Veröffentlichung gemäß § 37 Kartellgesetz
Entscheidung des Kartellgerichts
Kategorie:
Zusammenschluss
Aktenzeichen:
28 Kt 2/24i
Fall:
Bundeswettbewerbsbehörde
Lenzing Aktiengesellschaft
verbotene Durchführung (§ 7 Abs 2 KartG);
Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens;
Durchführungshandlung;
Corona-Pandemie;
Herstellung von Schutzmasken
Bekannt gemacht am:
10.09.2024
Entscheidungsdatum:
28.05.2024
„Über die Antragsgegnerin wird wegen verbotener Durchführung der am 24.4.2020 erfolgten Aufnahme der operativen Tätigkeit des Gemeinschaftsunternehmens A* GmbH für den Zeitraum von 24.4.2020 bis 25.5.2020 gemäß § 29 Abs 1 Z 1 lit a iVm § 17 Abs 1 KartG eine Geldbuße von EUR 75.000 verhängt.
Begründung
Am 11.5.2020 meldete die Antragsgegnerin, FN 96499k, die Gründung des Gemeinschaftsunternehmens A*GmbH, *** (im Folgenden auch: „A*“), *straße ***, *** G*, durch die Antragsgegnerin und die B* AG, ***, zum Zweck der Herstellung und des Vertriebs von Schutzmasken zur Bekämpfung der damals gerade ausgebrochenen Covid-19-Pandemie als Zusammenschluss bei der Antragstellerin an. Das Zusammenschlussvorhaben wurde mit Wirkung vom 26.5.2020 infolge von Prüfungsverzichten der Amtsparteien vorzeitig freigegeben (unstrittig).
Am 18.3.2024 beantragte die Antragstellerin die Verhängung einer Geldbuße über die Antragsgegnerin in Höhe von EUR 75.000 gemäß § 29 Abs 1 Z 1 lit a iVm § 17 Abs 1 KartG. Das von der Antragsgegnerin und der B* AG gegründete und von ihnen gemeinsam kontrollierte Gemeinschaftsunternehmen habe die Verpflichtung zur Anmeldung eines Fusionsvorhabens ausgelöst; die entsprechenden Umsatzschwellen seien überschritten gewesen. Mit der APA-OTS-Pressemeldung vom 24.4.2020 sei das Gemeinschaftsunternehmen erstmalig am Markt aufgetreten; spätestens ab diesem Zeitpunkt seien Marktstrukturveränderungen möglich gewesen, weshalb mit dieser Handlung zum einen eine operative Tätigkeit einhergehe und zum anderen eine verbotene Durchführungshandlung vorliege. Durch die Pressemitteilung hätten Mitbewerber davon ausgehen können, dass die Durchführung des Zusammenschlusses kartellbehördlich bereits genehmigt worden sei. Der Antragsgegnerin sei klar erkennbar gewesen, dass die Gründung derA* ein anmeldebedürftiges Zusammenschlussvorhaben sei. Dennoch habe sie vor Aufnahme operativer Handlungen keinen Prüfungsantrag gestellt bzw einen allfälligen Prüfungsverzicht der Amtsparteien nicht abgewartet. Es sei von bedingtem Vorsatz auszugehen. Das Verhalten der Antragsgegnerin als großes, grenzüberschreitend tätiges Unternehmen sei im Übrigen im Rahmen der Bemessung der Geldbuße strenger zu beurteilen. Neben den mildernden Umständen, dass das Zusammenschlussvorhaben keine negativen Auswirkungen gehabt habe, die verbotene Durchführung nur von kurzer Dauer gewesen und eine Bereicherung der Antragsgegnerin nicht ersichtlich sei, sei zudem die Tatwiederholung als erschwerend zu berücksichtigen.
Die Antragsgegnerin habe am 21.11.2023 freiwillig und im Interesse einer Kooperation mit den Amtsparteien ein Anerkenntnis abgegeben. Damit habe sie anerkannt, dass der Zusammenschluss vor Anmeldung bei der Antragstellerin vollzogen worden sei, und sich mit der Verhängung einer Geldbuße von EUR 75.000 einverstanden erklärt.
Die Antragsgegnerin stellte das Tatsachenvorbringen außer Streit, anerkannte die im Geldbußenantrag vorgenommene rechtliche Beurteilung und erachtete die Höhe der beantragten Geldbuße als angemessen (xxx).
Feststellungen:
Aufgrund der Urkunden zu Beilagen ./A bis ./Nund der Außerstreitstellungen steht folgender Sachverhalt fest:
1. Corona-Pandemie, Schutzmaßnahmen
1.1 Durch den Ausbruch der Corona-Pandemie wurden auf Basis von Gesetzen und Verordnungen diverse Maßnahmen zum Schutz der österreichischen Bevölkerung vor der Ausbreitung von SARS-CoV-2 („Coronavirus“) getroffen. Die Regierung überlegte und setzte ua Maßnahmen zur Beschaffung von Schutzausrüstungen, darunter Schutzmasken (normaler Mund-Nasen-Schutz [MNS] sowie Schutzmasken der Kategorie FFP 1 bis FFP 3). Ende März/Anfang April 2020 verkündete der damalige Bundeskanzler Sebastian Kurz die Einführung einer allgemeinen Maskenpflicht ab 6.4.2020 in öffentlich zugänglichen Gebäuden und Geschäften (gerichtsnotorisch; parlamentarische Anfrage vom 4.8.2020 Beilage ./F; E-Mail der AGV vom 28.12.2022 Beilage ./G).
1.2 Das Österreichische Rote Kreuz („ÖRK“) war damals mit einer bundesweiten Bedarfsbeschaffung von Schutzausrüstungen für den medizinischen Bereich befasst. Für Angebotslegungen verwies das Wirtschaftsministerium alle interessierten Unternehmen sowohl an das ÖRK als auch die Bundesbeschaffung GmbH als Beschaffungs-Koordinationsstelle der Wirtschaftskammer Österreich. Die Antragsgegnerin und B* AG fragten erstmals Mitte März 2020 durch ein Ersuchen um Unterlagen zu Normen, Zertifizierungen und Ansprechstellen für Schutzausrüstungen an. Das Wirtschaftsministerium wurde dadurch erstmals darauf aufmerksam, dass die Zusammenschlusswerberinnen mit der A* GmbH Schutzausrüstungen (iSv Schutzmasken) herstellen wollten. Im Rahmen der Sitzung des SKKM-Koordinationsausschusses („Staatliches Krisen- und Katastrophenschutzmanagement“) am 31. März 2020 wurde dem Wirtschaftsministerium über eine geplante Kooperation der Antragsgegnerin und der A* AG berichtet; weitere Informationen des SKKM erfolgten am 8., 14. und 22. April 2020 (Antwort des Wirtschaftsministeriums vom 2.10.2020 auf die parlamentarische Anfrage zu Beilage ./F).
2. Zusammenschlusswerberinnen:
2.1 Die Antragsgegnerin ist Herstellerin von Zellulosefasern auf Holzbasis mit Hauptsitz in Österreich. Die hochwertigen Fasern werden in der Textilindustrie (Bekleidung, Heimtextilien etc), in der Nonwovens-Industrie (Hygieneprodukte) sowie in technischen Anwendungen eingesetzt. Aus dem Rohstoff Holz werden Viskose-, Modal- und Lyocellfasern für die jeweilige Anwendung hergestellt. Die Antragsgegnerin betreibt Faserproduktionsstätten in allen wichtigen Märkten weltweit sowie ein weltweites Netz von Vertriebs- und Marketingbüros. Neben dem Kerngeschäft Fasern betreibt sie auch Zellstoffproduktionsanlagen, die hauptsächlich für die eigene Faserproduktion genutzt werden. Ein Teil der Umsätze wird auch durch den externen Zellstoff- und Holzhandel erzielt. Über die Tochtergesellschaft Lenzing Co-Products vermarktet die Antragsgegnerin in geringem Umfang auch die Nebenprodukte der integrierten Zellstoff- und Faserproduktion (Essigsäure, Natriumsulfat, Soda etc.). Die Antragsgegnerin ist der Antragstellerin schon aus mehreren Zusammenschlussverfahren bekannt, zuletzt durch die Gründung eines Joint Ventures gemeinsam mit C*S.A. (Freigabe in Phase I) (Zusammenschlussanmeldung Beilage ./D).
2.2 Die B* AG ist ein österreichisches Textilunternehmen, das auf die Herstellung und den Vertrieb von Dessous, Bademode, Nachtwäsche, Loungewear und Strumpfwaren spezialisiert ist. Sie ist an über 300 Standorten in 18 Ländern mit eigenen Filialen, Shop-in-Shop- und Franchiseflächen in ganz Europa vertreten. In Österreich hat sie über 200 Standorte und etwa 550 Mitarbeiter. Sie ist der Antragstellerin schon durch den Erwerb der D* S.A.S. und der E*S.r.l. bekannt; dieses Fusionsvorhaben wurde bereits in Phase I freigegeben (Zusammenschlussanmeldung Beilage ./D).
2.3 Die Antragsgegnerin erzielte im Geschäftsjahr 2019 einen Umsatz von weltweit EUR 2,1 Mrd, davon EUR ***innerhalb derEuropäischen Union und EUR ***innerhalb Österreichs. Die F* Privatstiftung hält 50% plus 2 Aktien an der Antragsgegnerin; der weltweit konsolidierte Konzernumsatz der F*Privatstiftung betrug 2019 EUR 4,01 Mrd. Davon wurden rund EUR *** innerhalb der Europäischen Union und rund EUR *** in Österreich erwirtschaftet. Im Geschäftsjahr 2020 erzielte die F* Privatstiftung einen weltweiten Gesamtumsatz von rund EUR 3,5 Mrd, wovon rund EUR *** auf Österreich entfielen. Im selben Geschäftsjahr erwirtschaftete die Antragsgegnerin einen weltweiten Gesamtumsatz von rund EUR 1,6 Mrd, davon rund EUR *** in Österreich. Im Geschäftsjahr 2022 betrug der weltweite Gesamtumsatz der F* Privatstiftung rund EUR 5,07 Mrd, wovon EUR *** in Österreich erwirtschaftet wurden. Die Antragsgegnerin erzielte 2022 einen weltweiten Gesamtumsatz von rund EUR 2,57 Mrd, davon rund EUR *** in Österreich. An diesen (Konzern-)Umsätzen hat sich für das Geschäftsjahr 2023 nichts maßgeblich geändert; keinesfalls sind diese gegenüber dem Geschäftsjahr 2022 wesentlich geringer geworden.
Die weltweiten Umsätze der B* AG beliefen sich im Geschäftsjahr 1.2.2019 bis 31.1.2020 auf EUR ***, davon EUR *** in der EU und davon wiederum EUR *** in Österreich (unstrittig; E-Mail vom 15.6.2023 Beilage ./K; E-Mail vom 9.11.2023 Beilage ./L).
3. Gründung der A* GmbH
3.1 Durch den Ausbruch der Corona-Pandemie und die Anordnung von Schutzmaßnahmen wurde der Ruf nach Schutzausrüstungen, darunter Schutzmasken, für die Bevölkerung laut; es bestand ein Engpass an derartigen Schutzausrüstungen. Der öffentlich und politisch geäußerte Wunsch nach Schutzmasken rief auch in Österreich mehrere Unternehmer auf den Plan, die in der Folge die Herstellung und den Vertrieb von Schutzmasken forcierten (Antwort des Wirtschaftsministeriums zu Beilage ./F; E-Mail der AGV vom 28.12.2022 Beilage ./G; gerichtsnotorisch).
3.2 Auch Entscheidungsträger der Antragsgegnerin und der B*AG setzten im Zeitraum von spätestens Mitte März bis Ende April 2020 Handlungen, um mit dem von ihnen neu gegründeten Gemeinschaftsunternehmen (Joint Venture) „A* GmbH“ ab Mai 2020 Schutzmasken für den heimischen und den europäischen Markt zu produzieren. In den Wochen vor dem 24.4.2020 investierten sie zu diesem Zweck in eine moderne Produktionsinfrastruktur am Standort G* und sicherten sich die entsprechenden Rohstoffe zur Schutzmaskenproduktion. Gesellschaftsrechtlich gründeten sie – durch Übernahme der ursprünglich von der Antragsgegnervertreterin als Alleingesellschafterin gehaltenen H* GmbH als Mantelgesellschaft mit Anteilskauf- und Abtretungsvertrag vom 21.4.2020 – die A* GmbH als Gemeinschaftsunternehmen, an der sie folglich 50,1% (Antragsgegnerin) und 49,9% (B* AG) hielten. Zweck diesesVollfunktions-Gemeinschaftsunternehmen war, Schutzmasken als Mittel zur Bekämpfung der Corona-Pandemie herzustellen und zu vertreiben. Die firmenbuchrechtlich notwendigen Eintragungen wurden am 21.4.2020 beantragt. Die vereinbarte Frist zur Sacheinlage – hinsichtlich der B* AG Maschinen im Gesamtwert von EUR *** und hinsichtlich der Antragsgegnerin Rohstoffe im Gesamtwert von EUR *** sowie ein Geldbetrag von EUR *** - war der 31.5.2020, der gleichzeitig der vereinbarte „Stichtag für den Übergang von Besitz, Gefahr, Schaden und sonstigen Lasten und Vorteilen“ war. Die Antragsgegnerin erbrachte ihre Geldeinlage an die A* GmbH am 30.4.2020. Hinsichtlich der vereinbarten Sacheinlage legte sie der A* GmbH mit 23.6.2020 eine „Proforma-Rechnung“ über EUR ***, betreffend Sacheinlagen im Zeitraum April bis Mai 2020, wobei schon vor dem 24.4.2020 Hilfs- und Betriebsmittel im Anlagevermögen der A*erfasst wurden. Die ausstehende Differenz zur übernommenen Sacheinlagelaut Sacheinlage- und Einbringungsvertrag vom 21.4.2020 – EUR *** - überwies die Antragsgegnerin der A* mit 10.6.2020. Die von der B* AG bereitgestellten Mittel (Maschinen) wurden am 29.6.2020 in das Anlagevermögen der A* übernommen. Im März und April 2020 generierte dieA* noch keine Umsätze; eine eigene Kostenverrechnung gab es zunächst noch nicht. Im Mai 2020 beliefen sich ihre Umsätze auf insgesamt EUR ***. Mit 12.5.2020 bestellte die I*gesmbH bei der A* Gesichtsmasken, die der Auftraggeberin mit selbem Tag mit
einem Betrag von EUR *** brutto in Rechnung gestellt und in Auslieferung gebracht wurden (Firmenbuchantrag auf Änderung der Gesellschafter, Änderung der Geschäftsanschrift sowie Bestellung und Abberufung von Geschäftsführern Beilage ./B; Firmenbuchauszug Beilage ./C; E-Mail der AGV vom 28.12.2022, Sacheinlage- und Einbringungsverträge, Zahlungsanweisungen an A*, „Proforma- Rechnung“ an A* mit Anlage, Investübersicht; Rechnung vom 12.5.2020, Umsatzaufstellung, jeweils zu Beilage ./G).
3.3 Anfang Mai 2020 startete die A* GmbH mit der Produktion von Schutzmasken, zunächst durch das von der B* AG zur Verfügung gestellte Personal und - ganz zu Beginn – als Probeproduktion, später mit Leiharbeitern. Mitarbeiter der Antragsgegnerinwaren aber auch schon für die A* im Einsatz, spätestens ab Mitte April 2020 (E-Mail der Antragsgegnervertreterin vom 15.3.2023 Beilage ./H).
3.4 Am 24.4.2020 veröffentlichten die Zusammenschlusswerberinnen über APA-OTS nachstehende, auszugsweise wiedergegebene Pressemitteilung:
Lenzing AG und B* AG gründen A* GmbH zur industriellen Produktion hochwertiger Schutzmasken in Österreich
G* (OTS)-Hygiene-Kompetenzzentrum in G* mit einer Monatskapazität von 12 Mio. Stück gegründet, um Österreich und Europa in der Covid-19 Krise zu unterstützen.
- Gründung eines Hygiene-Kompetenzzentrums zur Produktion und Weiterentwicklung von Schutzartikeln, um die Covid-19 Pandemie weiter einzudämmen
- Millioneninvestition in Maschinenpark mit einer Monatskapazität von 12 Mio. Schutzmasken (Allgemeine Schutzmasken und FFP2 Masken)
-Sicherung von Arbeitsplätzen in Österreich
- Hochqualitative, zertifizierte Produkte „made in Austria" bereits ab Mai am Markt erhältlich
Lenzing AG und B* AG gründen die A* GmbH, an der die Lenzing AG 50,1 % und die B* AG 49,9% hält. Das neu gegründete Unternehmen wird ab Mai 2020 mit der Produktion und dem Verkauf von Schutzmasken für den heimischen und europäischen Markt beginnen.
Lenzing AG und B* AG haben über die letzten Wochen mehrere Millionen Euro in eine moderne Produktionsinfrastruktur am Standort G* investiert und sich die entsprechenden Rohstoffe zur Schutzmaskenproduktion gesichert. In einem ersten Schritt stellt das Unternehmen sogenannte Mund-Nasen-Schutzmasken (MNS) und OP-Schutzmasken der Klasse EN14683 her. A* GmbH plant, über die nächsten Wochen die Kapazitäten auf über 25 Millionen Masken pro Monat auszubauen und dieses Geschäft auch geografisch zu erweitern.
Der Bedarf an hochwertigen MNS und Atemschutzmasken für medizinisches Personal nimmt stark zu und am internationalen Markt läuft ein regelrechter Wettbewerb um diese Produkte. Damit die heimische Versorgung jetzt und in der Zukunft nachhaltig gesichert und der Standort gestärkt werden kann, haben die beiden Traditionsunternehmen Lenzing AG und B* AG nun einen Meilenstein mit einem eigenen Hygiene-Kompetenzzentrum mit Standort in Österreich geschaffen. Damit leistet die A* GmbH einen wesentlichen Beitrag zu Bekämpfung der Covid-19 Pandemie und sichert langfristig die Versorgung dieser kritischen Güter in Österreich in hoher Qualität.
Auch der Bundeskanzler der Republik Österreich, Sebastian Kurz, freut sich über diese österreichische Initiative in schwierigen Zeiten und hat seinen Dank per Videobotschaft übermittelt. (Video abrufbar über http://www.A*.at)
„Wir haben uns dazu entschieden, mit unserem Partner B* Wissen, Netzwerk und Erfahrung in ein Hygiene-Kompetenzzentrum zusammenzulegen. Ziel dieses Jointventures ist es, sehr rasch die Bürgerinnen und Bürger in Österreich und Europa mit heimisch produzierten und hochqualitativen Produkten bestmöglich zu schützen", so J* K*, CEO der Lenzing AG. „Masken werden uns als Gesellschaft noch länger beschäftigen und wir sind stolz, dass wir unser Ziel einer industriellen Produktion gemeinsam mit unserem Partner B* so schnell umsetzen konnten".
Symbiose B* & Lenzing
B* AG und Lenzing AG ergänzen sich optimal. L* M*, Vorstand von B*: „Wir haben langjährige Erfahrung in der Herstellung und im Vertrieb von Textilprodukten, Lenzing bringt ihre Technologieerfahrung im Hygienebereich, das Know-how bzgl. Beschaffung und Rohmaterial und Wissen im Bereich Anlagenbau mit ein".
„Uns verbindet nicht nur Textilerfahrung und „made in Austria", sondern auch der Wille, jetzt rasch zu handeln und etwas für den Schutz der Bürgerinnen und Bürger zu tun - das sehen wir als unsere Pflicht der Gesellschaft gegenüber. Wir sind Unternehmer und wir sind stolz auf unser Land", setzt N* O*, Vorstand von B* AG, fort.
„Unser Dank gilt auch unseren engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die in den letzten Wochen Tag und Nacht an der zeitgerechten Umsetzung der Produktion von A* gearbeitet haben", zeigt sich P* Q*, Vorstand von B* AG, erfreut über den großartigen Einsatz all seiner Mitarbeiter.
Die F* Industrieholding, Hauptaktionär der Lenzing AG, begrüßt diese Initiative von Lenzing AG und B* AG, da es sich in andere Initiativen der F* Industrieholding zur Unterstützung der Republik Österreich bei Maßnahmen zur Gesundheitssicherung reiht. Die Unternehmensgründung wurde von der Rechtsanwaltskanzlei R* unterstützt. […]
Damit brachten die verantwortlichen Entscheidungsträger der Zusammenschlusswerberinnen zum Ausdruck, mit einem vollfunktionsfähigen Gemeinschaftsunternehmen, der A* GmbH, im operativen Geschäft zur Herstellung und zum Vertrieb von Schutzmasken tätig zu sein und mit der Umsetzung der dafür nötigen Schritte sogleich zu beginnen. In Kenntnis der Notwendigkeit, einen derartigen Zusammenschluss anzumelden und kartellbehördlich genehmigen zu lassen, setzten sie dennoch operative Handlungen und veröffentlichten die zitierte Pressemitteilung. Dabei nahmen sie einen Verstoß gegen das Kartellrecht in Kauf und fanden sich damit ab (Pressemitteilung Beilage ./N).
Gegen die Antragsgegnerin wurde bereits einmal eine Geldbuße wegen Verstoßes gegen das Durchführungsverbot verhängt (27 Kt 245/04, 27 Kt 246/04; 27 Kt 241/05, 27 Kt 242/05, Lenzing/Tencel).
4. Ermittlungsverfahren
Von einer möglichen vorzeitigen Durchführung des Zusammenschlusses durch Aufnahme der operativen Tätigkeit der A* GmbH erfuhr die Antragstellerin durch eine parlamentarische Anfrage vom 4.8.2020 (Beilage ./F). Ein entsprechendes Auskunftsverlangen versandte sie am 8.9.2022, welches die Antragsgegnervertreterin mit E-Mail vom 28.12.2022 beantwortete (Beilage ./G). Mit E-Mail vom 1.3.2023 stellte die Antragstellerin weitere Fragen, die die Antragsgegnervertreterin mit Schreiben vom 15.3.2023 beantwortete (Beilage ./H). Eine Mitteilung gemäß § 13 Abs 1 WettbG versandte die Antragstellerin mit 2.6.2023 (Beilage ./i).
Beweiswürdigung:
Von der Antragsgegnerin wurde der von der Antragstellerin vorgebrachte Sachverhalt außer Streit gestellt und im Vorfeld schon anerkannt (./M). Darüber hinaus ergibt er sich aus den in Klammerzitaten angeführten Urkunden. Die pandemiebedingten Begleitumstände sind gerichtsnotorisch; darüber hinaus weist die Antragsgegnervertreterin in ihrem E-Mail vom 28.12.2022 darauf hin (siehe Antwort auf Frage 2 zu Beilage ./G). Aus der Antwort des Wirtschaftsministeriums auf die parlamentarische Anfrage vom 4.8.2020 zu Beilage ./F ergibt sich, dass auch die Zusammenschlusswerberinnen ab Mitte März 2020 mehrmals mit dem Wirtschaftsministerium in Kontakt waren, um Informationen einzuholen, die sie zur Gründung ihres Joint Venture benötigten. Die Antwort des Wirtschaftsministeriums gibt daher Aufschluss darüber, dass die Zusammenschlusswerberinnen bereits in diesem frühen zeitlichen Stadium ihr Joint Venture-Projekt mit dem Zweck verfolgten, Schutzmasken herzustellen und zu vertreiben. Aufgrund des Wortlauts der Pressemitteilung vom 24.4.2020 ist davon auszugehen, dass die notwendigen Schritte zum Start der Produktion von Schutzmasken davor gesetzt worden waren, um mit Anfang Mai 2020 tatsächlich auch mit der Produktion und dem Verkauf von Schutzmasken beginnen zu können. Die Zusammenschlusswerberinnen berichten in der Vergangenheitsform darüber, „über die letzten Wochen mehrere Millionen in eine moderne Produktionsinfrastruktur am Standort G* investiert und sich die entsprechenden Rohstoffe zur Schutzmaskenproduktion gesichert“ zu haben; die beiden Produktionsunternehmen hätten „einen Meilenstein mit einem eige
nen Hygiene-Kompetenzzentrum mit Standort in Österreich geschaffen“. Der CEO der Antragsgegnerin wird unter anderem mit den Worten zitiert, stolz darauf zu sein, dass die Antragsgegnerin ihr Ziel einer industriellen Produktion gemeinsam mit ihrem Partner B* so schnell umsetzen habe können. Der Vorstand der B* AG wird damit zitiert, dass Dank auch den engagierten MitarbeiterInnen gebühre, die in den letzten Wochen Tag und Nacht an der zeitgerechten Umsetzung der Produktion von A* gearbeitet haben. Dies alles zeigt auf, dass die Produktion von Masken durch die A* mit 24.4.2020 „startklar“ war.
Mit ihrer Pressemitteilung vom 24.4.2020bewarben die Zusammenschlusswerberinnen zudem ihren unternehmerischen Schritt (arg: „[…] Damit die heimische Versorgung jetzt und in der Zukunft nachhaltig gesichert und der Standort gestärkt werden kann […]“; „[…] Damit leistet die A* GmbH einen wesentlichen Beitrag zur Bekämpfung der Covid-19 Pandemie und sichert langfristig die Versorgung dieser kritischen Güter in Österreich in hoher Qualität […]“; „[…] Ziel dieses Joint Ventures ist es, sehr rasch die Bürgerinnen und Bürger in Österreich und Europa mit heimisch produzierten und hochqualitativen Produkten bestmöglich zu schützen […]“.) Es wurde zudem auf „hoch qualitative, zertifizierte Produkte ‚made in Austria‘ bereits ab Mai am Markt erhältlich“ und die „Sicherung von Arbeitsplätzen in Österreich“ hingewiesen. Mit all diesen Formulierungen brachten die Zusammenschlusswerberinnen jedenfalls auch wirtschaftliche Interessen zum Ausdruck, die sie mit ihrem Joint Venture verfolgten. Den Formulierungen in der Pressemitteilung in Zusammenschau mit der Antwort des Wirtschaftsministeriums (Beilagen ./F und ./N) sind in diesem Zusammenhang Hinweise auf die Wettbewerbssituation am Markt der Schutzausrüstungen inkl Schutzmasken zu entnehmen. So schreibt das Wirtschaftsministerium von „allen anfragenden Unternehmen“, was von der Existenz mehrerer, an der Produktion von Schutzmasken interessierter Unternehmer zeugt. Die Fusionswerberinnen halten in ihrer Presseaussendung zudem fest, dass „am internationalen Markt […] ein regelrechter Wettbewerb um diese Produkte [läuft]“. Die Entscheidungsträger der Antragsgegnerin und der B*AG waren sich folglich des zunehmend stärker werdenden Wettbewerbs in dieser „Marktnische“ bewusst und wollten sich daran maßgeblich beteiligen; daher musste ihnen aber auch schon früh (jedenfalls vor dem 24.4.2020) klar sein, dass ihr Vorhaben Einfluss auf die Marktstruktur haben und fusionskontrollrechtliche Schritte notwendig machen könnte. Mit dem Fusionskontrollverfahren waren sie, wie sich aus der Zusammenschlussanmeldung zu Bei
lage ./D (Seite 3 f) ergab, durch vorangegangene Unternehmenserwerbe bereits in Berührung gekommen; dass die Antragsgegnerin bereits einen Verstoß gegen das Durchführungsverbot zu verantworten hat, steht außer Streit. Aus diesen Umständen erhellt daher insgesamt, dass die Fusionswerberinnen ohne Anmeldung ihres Vorhabens durch die Aufnahme operativer Schritte – spätestens mit der bzw durch die Pressemitteilung vom 24.4.2020 – einen Verstoß gegen das Fusionskontrollrecht für möglich hielten und sich damit abfanden.
Die gesellschaftsrechtlichen Gründungsschritte sind ebenfalls unstrittig und urkundlich ausreichend belegt (siehe insb den Firmenbuchantrag auf Änderung der Gesellschafter, Änderung der Geschäftsanschrift sowie Bestellung und Abberufung von Geschäftsführern). Den Sach- und Einbringungsverträgen in Zusammenschau mit den Zahlungsanweisungen und der „Proforma-Rechnung“ vom 23.6.2020 ist zu entnehmen, welche der Fusionswerberinnen zu welchem Zeitpunkt Sach- und/oder Geldmittel in die A* einbrachte. Dabei ergibt sich aus der Anlage zur „Proforma-Rechnung“ der Antragsgegnerin, dass von dieser bereits vor dem 24.4.2020 Hilfs- und Betriebsmittel eingebracht worden sind (vgl die teilweise davor liegenden Erfassungsdaten). Aus den Umsatzlisten zur Beilage ./G sind Umsätze die A* betreffend erst für Mai 2020 ersichtlich; aus der Antwort der AGV auf Frage 4 im E-Mail vom 28.12.2022 zu Beilage ./G erhellt zudem, dass zunächst noch die Mutterunternehmen die Kosten der A* trugen, diese also noch keine eigene Kostenverrechnung hatte. Die erste Rechnung der A* über „80 KAR HC-MNS Gesichtsmasken Austria“ datiert zwar erst vom 12.5.2020; laut Antragsgegnerin habe die Auftraggeberin die Ware auch erst an diesem Tag bestellt (vgl E-Mail vom 15.3.2023 Beilage ./H, Antwort auf Frage 3). Die Rechnung verweist allerdings auf einen Lieferschein; daraus ist – im Einklang mit der allgemeinen Lebenserfahrung – zu schließen, dass bereits geliefert werden konnte, dass aber eine derartige Bestellung – 80 Kartons Gesichtsmasken – eine gewisse (Produktions-)Vorlaufzeit benötigt hat und daher schon an den Tagen davor (Anfang Mai 2020) Gesichtsmasken produziert worden sind. Die A* konnte daher zum Zeitpunkt der Maskenbestellung vom 12.5.2020 (laut AGV bereits au
f produzierte Ware zurückgreifen. All dies belegt einen Produktionsstart mit Anfang Mai 2020, mag auch in den ersten Tagen nur eine Probeproduktion stattgefunden haben. Dass die Produktion in dieser Form schon umgesetzt werden konnte, bedingt der Lebenserfahrung gemäß auch die vorherige Aufnahme operativer Tätigkeiten der A*spätestens mit dem Zeitpunkt der Pressemitteilung vom 24.4.2020.
Dass zunächst nur Mitarbeiter der B* AG an der Maskenproduktion mitwirkten, ergibt sich auch aus dem E-Mail der Antragsgegnervertreterin vom 28.12.2022 (Antwort zu Frage 4 in Beilage ./G). Dem E-Mail der Antragsgegnervertreterin vom 15.3.2023 (Beilage ./H) waren zudem der Hinweis auf eine erste Reiseabrechnung eines Mitarbeiters der Antragsgegnerin, datiert mit 14.4.2020, für die Anreise nach G* und damit der Umstand zu entnehmen, dass spätestens ab Mitte April 2020 auch Mitarbeiter der Antragsgegnerin für die A* zum Einsatz kamen.
Die Zusammenschlussanmeldung zu Beilage ./D gab unter anderem Aufschluss über die beiden Zusammenschlusswerberinnen, deren Unternehmenszwecke, die von ihnen produzierten Waren und ausgeführten Tätigkeiten. Die Umsätze der Fusionswerberinnen sind ebenfalls unstrittig und ergeben sich darüber hinaus teilweise aus den E-Mails zu Beilagen ./K und ./L.
Das der parlamentarischen Anfrage vom 4.8.2020 folgende Ermittlungsverfahren der Antragstellerin ist ebenfalls urkundlich belegt (Beilagen ./G bis ./I).
Rechtlich folgt:
1. Allgemeines:
1.1 Gemäß § 29 Abs 1 Z 1 lit a KartG hat das Kartellgericht gegen einen Unternehmer oder eine Unternehmervereinigung, der oder die vorsätzlich oder fahrlässig (ua) dem Durchführungsverbot (§ 17 KartG) zuwiderhandelt, eine Geldbuße bis zu einem Höchstbetrag von 10% des im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes zu verhängen.
1.2 Das Durchführungsverbot des § 17 Abs 1 KartG bestimmt, dass ein anmeldebedürftiger Zusammenschluss erst durchgeführt werden darf, wenn die Amtsparteien auf die Stellung eines Prüfungsantrages verzichtet oder innerhalb der Antragsfrist keinen Prüfungsantrag gestellt haben.
1.3 Die Gründung der A* GmbH als von den Fusionswerberinnen gemeinsam kontrolliertes, auf Dauer eigenständig agierendes (Vollfunktions-)Gemeinschaftsunternehmen stellte einen Zusammenschluss nach § 7 Abs 2 KartG dar.
Ein derartiger Zusammenschluss bedarf der Anmeldung bei der Bundeswettbewerbsbehörde und darf iSd § 17 KartG vor Freigabe nicht durchgeführt werden, wenn kumulativ
- kein Zusammenschluss von gemeinschaftsweiter Bedeutung vorliegt, der bei der Europäischen Kommission anmeldepflichtig ist (Artikel 21 FKVO),
- alle drei Umsatzschwellen des § 9 Abs 1 KartG erfüllt sind,
- die Ausnahme des § 9 Abs 2 KartG unanwendbar ist und
- der Zusammenschluss eine hinreichende Inlandsauswirkung gemäß § 24 Abs 2 KartG hat (Urlesberger in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG2 § 9 Rz 4).
Ein Zusammenschluss von gemeinschaftsweiter Bedeutung liegt hier nicht vor, da die Umsatzschwellen des Artikel 1 Abs 2 FKVO nicht erreicht werden.
Da im maßgeblichen Geschäftsjahr 2019 (bzw 2019/20 hinsichtlich der B* AG) die beteiligten Unternehmen weltweit jeweils einen Umsatz von mehr als EUR 5 Mio (B* AG: EUR ***; Antragsgegnerin durch die F* Privatstiftung: EUR 4,01 Mrd) und gemeinsam einen Umsatz von mehr als EUR 300 Mio (konkret EUR ***)sowie im Inland einen Umsatz von insgesamt mehr als EUR 30 Mio (konkret EUR *** B* AG: EUR ***; F* Privatstiftung: EUR ***) erzielten, sind die Aufgriffsschwellen des § 9 Abs 1 KartG überschritten.
Hingegen greift die Ausnahmebestimmung des § 9 Abs 2 KartG nicht, weil beide beteiligte Unternehmen in Österreich einen EUR 5 Mio übersteigenden Umsatz erzielten. Der Zusammenschluss hat demnach auch eine hinreichende Inlandsauswirkung gemäß § 24 Abs 2 KartG (vgl dazu Urlesberger aaO § 9 Rz 10 ff; Kühnert in Egger/Harsdorf-Borsch, Kartellrecht § 24 Rz 7ff).
2. Verbotene Durchführungshandlung(en)
2.1 Adressaten des Durchführungsverbots sind die am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen. Das Gesetz enthält aber keine Legaldefinition für den Begriff „Durchführung“. Demgegenüber definierte der bis 31.12.1999 in Geltung stehende § 42 Abs 1a KartG 1988 einen Zusammenschluss als zustande gekommen, wenn die wirtschaftliche Einflussmöglichkeit gegeben war. Der OGH als KOG hat sich zu 16 Ok 2/17f eingehend mit den zu dieser Frage in der Literatur vorherrschenden beiden Ansichten auseinandergesetzt und hält auch nach der neuen Rechtslage jene Auffassung im Schrifttum für überzeugend, die die Durchführung eines Zusammenschlusses bereits mit der Möglichkeit der Einflussnahme einsetzen lässt. Neben der historischen Gesetzesentwicklung sprechen auch der Zweck des Durchführungsverbots (die Wirksamkeit der präventiven Fusionskontrolle zu gewährleisten und vollendete Tatsachen zu verhindern, die bei einer späteren Untersagungsentscheidung nur schwer rückgängig zu machen sind) sowie der Gleichklang mit der praktisch einheitlichen Sichtweise im europäischen Rechtsbereich für diesen Standpunkt (vgl auch 16 Ok 4/23h [Rz 103]). Damit stellt schon die Erlangung einer (rechtlichen oder wirtschaftlichen) Einflussmöglichkeit über ein Unternehmen eine „Durchführung“ iSv § 17 KartG dar und nicht erst die tatsächliche Ausübung von sich daraus ergebenden Rechten. Die beiden Begriffe „Zustandekommen“ und „Durchführung“ eines Zusammenschlusses sind synonym zu verstehen. Im Einklang damit ist nach Ansicht des EuGH ein Vorgang vollzogen (im Sinne der Diktion des Artikel 7 Abs 1 FKVO), der ganz oder teilweise, tatsächlich oder rechtlich zu einer Veränderung der Kontrolle über das Zielunternehmen beiträgt. Ob die betreffenden Maßnahmen Auswirkungen auf den Markt haben können oder nicht, ist dabei für die Beurteilung des Vollzugsbegriffs unerheblich (vgl Scharf/Holzweber/Dietz in Holzweber/Dietz, Kommentar zur Fusionskontrolle § 17 KartG, Rz 21ff mwN).
2.2 Diese Rechtsprechung hat aber insbesondere Anteilserwerbe iSd § 7 Abs 1 KartG vor Augen, durch welche Möglichkeiten der Kontrolle/Einflussnahme des Erwerbers über/auf das Zielunternehmen erst hergestellt oder ausgebaut werden. Für den vorliegenden Fall, in dem die Fusionswerberinnen ein – neu gegründetes - Gemeinschaftsunternehmen von Anfang an (bzw spätestens mit dem gesellschaftsrechtlichen Gründungsakt) gemeinsam kontrollierten, gebietet sich allerdings eine differenziertere Herangehensweise:
2.2.1 Bei der Gründung und Ausstattung eines Gemeinschaftsunternehmens stellt sich (abseits der gesellschaftsrechtlich notwendigen Schritte) nämlich die Frage, welche faktische Maßnahme bereits als (verbotene) Durchführungshandlung zu werten ist. Während Wessely (in Säcker/Bien/Meier-Beck/Montag, Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht, Bd 1/24 Art 7 FKVO Rz 44 ff und 73 ff) etwa den (vertraglichen) Gründungsakt, die vorzeitige Zahlung des Kaufpreises und Maßnahmen zur Planung und Ausarbeitung der gemeinsamen Geschäftspolitik als erlaubte Vorbereitungshandlungen qualifiziert, geht Körber (in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd 36 Art 7 FKVO Rz 12) von einer größeren Reichweite des Durchführungsverbots aus und wertete beispielsweise bereits den Zeitpunkt der Ausstattung des – operativ noch nicht tätigen – Gemeinschaftsunternehmens mit Personal und/oder Vermögenswerten als Vollzugshandlungen.
2.2.2 Der Gemeinschaftsunternehmens-Tatbestand folgt bewusst der Vorbildregelung des Art 3 Abs 4 FKVO, weshalb die Entscheidungspraxis zu dieser Bestimmung auch für die Auslegung von § 7 Abs 2 KartG herangezogen werden kann (vgl Kühnert in Egger/Harsdorf-Borsch, Kartellrecht § 7 KartG Rz 117). Demnach fällt die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens nur dann unter § 7 Abs 2 KartG, wenn es auf Dauer alle Funktionen einer selbstständigen wirtschaftlichen Einheit erfüllt, also vollfunktionsfähig ist. Dafür spricht eine eigenständige Marktpräsenz, die dann gegeben ist, wenn das Gemeinschaftsunternehmen alle wesentlichen Funktionen ausüben muss, die auch von anderen Unternehmen auf diesem Markt wahrgenommen werden. Hierfür muss es über ein sich dem Tagesgeschäft widmendes Management und ausreichende Ressourcen wie finanzielle Mittel, Personal sowie materielle und immaterielle Vermögenswerte verfügen (vgl Kühnert aaO Rz 121).
2.2.3 Zu prüfen ist daher, inwieweit das Gemeinschaftsunternehmen „A* GmbH“ hier schon eigenständig agierte und operativ tätig war. Auch wenn die Sacheinlage- und Einbringungsverträge über den 24.4.2020 hinausreichende Fristen zur Einbringung vorsahen, darf nicht übersehen werden, dass schon vor dem 24.4.2020 Hilfs- und Betriebsmittel im Anlagevermögen der A* erfasst wurden, Personal mit Anfang Mai 2020 im Einsatz war und Schutzmasken zu produzieren begann, sodass einem ersten Auftrag zur Lieferung von Masken schon am 12.5.2020 entsprochen werden konnte. Diese Schritte waren – wie festgestellt – bereitsmit der APA-OTS-Pressemitteilung vom 24.4.2020 vermarktet worden. Als Durchführungshandlungen sind aber auch Vorgänge zu werten, die in irgendeiner Weise die Marktstruktur oder das strategische Wirtschaftsverhalten der neuen Einheit betreffen, auch wenn diese nur Teilschritte zu Erlangung der Kontrolle darstellen. In einigen Fällen aus dem Medienbereich wurde beispielsweise die Vermarktung - wie Werbung und Verkauf von Decodern für eine erst neu zu gründende TV-Plattform – als Durchführungshandlung angesehen (vgl Ablasser-Neuhuber in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, Kommentar zum Deutschen und Europäischen Recht4 Art 7 FKVO Rz 3 f mwN; Körber aaO Rz 11).
2.2.4 Daraus folgt, dass die Offenlegung der Aufnahme des operativen Geschäfts in Form einer Pressemitteilung über eine bloße Vorbereitungshandlung hinausging, weil damit anderen Marktteilnehmern die potenzielle Veränderung der Marktstruktur signalisiert wurde, was damals angesichts der Pandemie, des plötzlichen Bedarfs an Schutzausrüstungen inklusive Schutzmasken und des Interesses mehrerer Unternehmen an einem diesbezüglichen Markteintritt nicht unbedeutend war. Ob die betreffenden Maßnahmen der Fusionswerberinnen tatsächlich Auswirkungen auf den Markt hatten, ist seit „Ernst and Young“ nicht maßgeblich (vgl EuGH 31.5.2018, C-633/16, Ernst & Young P/S/Konkurrenceradet, Rz 50 ff). Auch wenn Fusionswerber häufig geplante Transaktionen für einen Zusammenschluss öffentlich ankündigen, ohne dadurch schon gegen das Durchführungsverbot zu verstoßen, ist aus fusionskontrollrechtlicher Sicht hierbei immer wichtig, dass die Aussendung nicht den Anschein erwecken darf, der Zusammenschluss sei bereits vollzogen worden. Durch entsprechende Hinweise auf noch ausstehende Genehmigungen kann der Eindruck des bereits erfolgten Zusammenschlusses vermieden werden (vgl Scharf/Holzweber/Dietz aaO Rz 28). Dies ist im vorliegenden Fall nicht passiert.
2.2.5 Dass das gegründete Gemeinschaftsunternehmen faktisch noch nicht vollfunktionsfähig war, nach dem 24.4.2020 noch mit weiteren Betriebs- und Geldmitteln sowie weiterem Personal ausgestattet wurde und zunächst noch nicht über eine eigene Kostenverrechnung verfügte, schadet nicht. Im Sinne von Körber (aaO Rz 12, siehe schon oben) sprechen hier die (teilweise) Ausstattung des Gemeinschaftsunternehmens mit Betriebsmitteln und Personal in Zusammenschau mit der Vermarktung und der „Startklarheit“ des neuen Unternehmens, also einem aktiven Marktauftritt bereits mit 24.4.2020, für eine Vollfunktionsfähigkeit im kartellrechtlichen Sinn. Schließlich gesteht die Kommission selbst einem Gemeinschaftsunternehmen während der Anlaufphase gewisse Defizite zu und stuft sie dennoch als vollfunktionsfähig ein. Die meisten neu gegründeten Gemeinschaftsunternehmen sind in der Anlaufphase in der einen oder anderen Weise mit den Müttern verbunden und greifen entweder beim Absatz oder beim Bezug auf diese zurück. Derlei Lieferbeziehungen/Dienstleistungen – aber auch die zunächst mangelnde Ausstattung mit Ressourcen – stehen der Vollfunktionsfähigkeit nicht entgegen, wenn diese – wie hier – tatsächlich auf eine Übergangsperiode beschränkt sind. Die maximale Dauer der Anlaufphase soll in der Regel drei Jahre nicht überschreiten; ein Bezug von Dienstleistungen und Waren in dieser Zeit wird von der Kommission als unschädlich erachtet (vgl Wessely/Wegner in Säcker/Bien/Meier-Beck/Montag, Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht 1/24 Art 3 FKVO, Rz 139, 153, 166 ff).
2.2.6 Trotz gewisser Abhängigkeiten von den Muttergesellschaften war die A* in „fusionskontrollrechtlicher“ Hinsicht daher schon spätestens mit 24.4.2020 vollfunktionsfähig. Bei Beurteilung einer Durchführungshandlung iSd § 17 Abs 1 KartG darauf abzustellen, dass bereits alle Maßnahmen zur Herstellung der Eigenständigkeit eines Gemeinschaftsunternehmens gesetzt wurden, liefe schließlich der Präventivfunktion des Fusionskontrollrechts zuwider, weil gerade die faktische Vollfunktionsfähigkeit im Sinne einer hundertprozentigen Ausstattung/Finanzierung/Organisation eines neuen Betriebs den Markt immer vor vollendete Tatsachen stellen und unumkehrbare Fakten schaffen würde; die Prüfkompetenz der Kartellbehörden wäre konterkariert (in diesem Sinne Körber aaO Rz 12; vgl auch Ablasser-Neuhuber aaO Rz 3f).
2.3 Zusammenfassend ist daher von einem eigenständigen Marktauftritt des von den Fusionswerberinnen gegründeten Gemeinschaftsunternehmens mit spätestens 24.4.2023 auszugehen. Bei diesem Joint Venture handelte es sich um ein auf Dauer angelegtes Gemeinschaftsunternehmen mit Vollfunktionsfähigkeit, wobei der Vollfunktionsfähigkeit die in der Anlaufphase noch vorhandenen Abhängigkeiten von den Muttergesellschaften nicht entgegen standen. Die Ausstattung des Gemeinschaftsunternehmens mit Betriebsmitteln begann zum Teil schon vor dem 24.4.2020; Personal der B* AG kam bereits ab Anfang Mai 2020 zum Einsatz. Zum selben Zeitpunkt wurde spätestens der Produktionsbetrieb aufgenommen, sodass am 12.5.2020 erstmals der Bestellung von Schutzmasken entsprochen werden konnte. Es ist daher von einer verbotenen Durchführung von 24.4. bis 25.5.2020 auszugehen.
3. Geldbußenbemessung
3.1 Da die Antragsgegnerin in einem Zeitraum von 32 Tagen gegen das Durchführungsverbot des § 17 KartG verstoßen hat, war über sie gemäß § 17 Abs 1 iVm § 29 Abs 1 Z 1 lit a KartG eine Geldbuße zu verhängen. Kriterien für die Bemessung der Geldbuße sind nach § 30 KartG insbesondere die Schwere und die Dauer der Rechtsverletzung, die daraus erzielte Bereicherung, der Grad des Verschuldens und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des betroffenen Unternehmens.
3.2 Die Zuwiderhandlung gegen das Durchführungsverbot ist in aller Regel als schwerer Verstoß zu beurteilen, weil die Wirksamkeit der Bestimmungen über die Anmeldung von Zusammenschlüssen auch dann untergraben wird, wenn der Zusammenschluss nach wettbewerblichen Kriterien grundsätzlich unbedenklich wäre. Dabei kann nicht mit der Verhängung einer „quasi symbolischen“ Geldbuße das Auslangen gefunden werden, sondern die Geldbuße muss eine solche Höhe erreichen, dass sie spürbar ist und zum Ausdruck bringt, dass die Unterlassung von Zusammenschlussanmeldungen in Österreich kein „Kavaliersdelikt“ ist. Es ist andererseits aber auch zu berücksichtigen, wenn durch das Unterbleiben der Anmeldung nicht gegen das Kartellverbot des § 1 KartG oder das Missbrauchsverbot des § 5 KartG verstoßen wurde. Ein „untersagungsfernes“ Zuwiderhandeln gegen eine bloße Formvorschrift ist im Ergebnis milder zu beurteilen. Die Bemessung einer Geldbuße hat außerdem nach den Umständen des konkreten Einzelfalls zu erfolgen und ist nicht Ergebnis eines bloßen auf den Gesamtumsatz abstellenden Rechenvorgangs, weil damit das Gebot der Berücksichtigung aller Faktoren nicht beachtet würde (vgl 16 Ok 2/13).
3.3 Was den Grad des Verschuldens betrifft, sind größere Unternehmen, die grenzüberschreitend tätig werden, wegen der großen wettbewerblichen Relevanz ihres Verhaltens strenger zu beurteilen. Der Grad des Verschuldens eines Unternehmens hängt deshalb auch davon ab, inwieweit es über juristischen und wirtschaftlichen Sachverstand und Ressourcen verfügt und sein Fehlverhalten leicht erkennen kann (16 Ok 2/11, 16 Ok 2/13 je mwN).
3.4 Der OGH misst den Grad des Verschuldens daher vor allem daran, ob die Pflicht zur Anmeldung eines Zusammenschlusses leicht oder nur unter erschwerten Bedingungen erkennbar ist:
Die Antragsgegnerin ist schon lange grenzüberschreitend tätig und der Antragstellerin durch mehrere Zusammenschlussverfahren bekannt. Sie hat daher bereits Erfahrung mit den mit Fusionsvorhaben einhergehenden, kartellrechtlich notwendigen Schritten. Außerdem ist davon auszugehen, dass die Zusammenschlusswerberinnen schon von Mitte März 2020 weg auf die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmen hinarbeiteten. Trotz der pandemiebedingt widrigen Begleitumstände hatten die Entscheidungsträger daher genügend Zeit, um sich über die Anmeldebedürftigkeit ihres Vorhabens – etwa durch Kontaktaufnahme mit der Antragstellerin – zu informieren, bevor etwaige Maßnahmen, die allenfalls schon als Vollzugshandlung gewertet werden könnten, gesetzt würden. Es stand ihnen eine Vorbereitungszeit von mehreren Wochen zur Verfügung; zudem bedurfte es keiner zeitaufwendigen Nachforschungen dahin, ob das Zusammenschlussvorhaben überhaupt anmeldepflichtig war. Einer früheren Befassung der Amtsparteien wäre daher nichts im Wege gestanden. Dass die Antragsgegnerin trotz dieser Umstände entgegen den fusionskontrollrechtlichen Bestimmungen verbotene Durchführungshandlungen setzte, begründet ein nicht mehr vernachlässigbares Verschulden im Ausmaß eines bedingten Vorsatzes.
3.5 Auch wenn letztlich kein Grund für die Untersagung des Zusammenschlusses vorlag, die Amtsparteien vorzeitig auf die Stellung eines Prüfungsantrags verzichteten, erweist sich eine Bestrafung aus spezial- und generalpräventiven Gründen als erforderlich, weil – trotz der mit dem Zusammenschlussvorhaben gleichzeitig verfolgten hehren Ziele der Pandemiebekämpfung – nicht der Anschein entstehen darf, dass aus einer Ausnahme- und Notsituation wie jener einer Pandemie kartell- und wettbewerbsrechtlichen Vorschriften zuwider Profit geschlagen werden kann und dies „ungesühnt“ bleibt.
3.6 Wenngleich das Verschulden der Antragsgegnerin nicht mehr als geringfügig eingestuft werden kann, sind bei der Bemessung der Geldbuße sehr wohl die pandemiebedingten Begleitumstände – ebenso wie die kurze Dauer der verbotenen Durchführung, das Anerkenntnis, das Fehlen negativer Auswirkungen und die nicht feststellbare Bereicherung – als mildernd zu berücksichtigen. Der Antragsgegnerin ist zugute zu halten, dass sie mit ihrem Fusionsvorhaben auch einen Beitrag zur Bekämpfung der Pandemie leisten wollte. Andererseits setzte sie verbotene Durchführungshandlungen ausgerechnet in einer Zeit, in der auch andere Mitbewerber auf den Markt der Schutzausrüstungen und Schutzmasken drängten und dieser Markt „heiß umkämpft“ war; durch ihr Vorgehen entgegen fusionskontrollrechtlichen Bestimmungen stellte die Antragsgegnerin ihre Mitbewerber daher vor vollendete Tatsachen. Diese Umstände sind als erschwerend zu werten – ebenso wie die Tatwiederholung (27 Kt 245/04, 27 Kt 246/04; 27 Kt 241/05, 27 Kt 242/05, Lenzing/Tencel); für die „Tilgung“ einer länger zurückliegenden kartellrechtlichen Sanktion bleibt mangels Regelung kein Raum.
Da die Milderungsgründe aber überwiegen, war die Geldbuße im unteren Bereich zu bemessen; die Höhe der beantragten Geldbuße erscheint dabei angemessen. Bei Heranziehung der Gesamtumsätze des Konzerns für das Geschäftsjahr 2019 in Höhe von rund EUR 4,01 Mrd (vgl 16 Ok 7/15p, 16 Ok 2/22p [Rz 84]; zur Maßgeblichkeit der Konzernumsätze siehe Koprivnikar/Mertel in Egger/Harsdorf-Borsch, Kartellrecht § 29 Rz 46 f) ist die Geldbußenobergrenze des § 29 KartG bei weitem nicht überschritten. Ob eine höhere als die beantragte Geldbuße in Frage käme, war im Hinblick darauf, dass das Kartellgericht nach § 36 Abs 2 letzter Satz KartG keine höhere Geldbuße verhängen darf als beantragt, gar nicht zu prüfen. Eine niedrigere Geldbuße als die beantragte Summe kam angesichts obiger Überlegungen, insbesondereaus den dargelegten spezial- und generalpräventiven Erwägungen,allerdings auch nicht in Betracht.“
Ausdruck vom: 27.05.2025 20:57:44 MESZ