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Kategorie:

Kartell

Dienststelle:

OLG Wien (009)

Aktenzeichen:

25 Kt 5/21d


Bekannt gemacht am:

24.03.2022

Entscheidungsdatum:

15.07.2021


Über die Antragsgegnerin wird gemäß § 29 Z 1 lit a und d KartG wegen einer einheitlichen fortgesetzten Zuwiderhandlung gegen § 1 KartG und Art 101 AEUV auf dem österreichischen Markt in Form von vertikalen Absprachen mit Händlern über Wiederverkaufspreise im Sinne der Festlegung und Überwachung eines Fest- und Mindestpreisniveaus von Schultaschen und -rucksäcken der Marken "ergobag" und "satch" sowie in Einzelfällen von Zubehör zu diesen Produkten, Rucksäcken bzw Reisegepäck und Accessoires der Marken "AEVOR", "Affenzahn", "SALZEN" und "pinqponq" im Zeitraum von 1.1.2012 bis 31.1.2019 und wegen der Behinderung eines Absatzkanals und zwar des generellen Verbots des Online-Verkaufs in diesem Zusammenhang im Zeitraum vom 1.1.2012 bis August 2016 eine Geldbuße in der Höhe von EUR 340.000,-- verhängt.



 

Begründung:

I. Die Bundeswettbewerbsbehörde beantragte die Verhängung einer Geldbuße gemäß § 29 Z 1 lit a und d KartG in der Höhe von EUR 340.000,-- und brachte dazu im Wesentlichen vor, dass auf Grund von Konsumentenbeschwerden Ermittlungen wegen des Verdachts vertikaler Absprachen im Bereich des Handels mit Schultaschen beziehungsweise -rucksäcken durchgeführt worden seien. Die Ermittlungen haben ergeben, dass es im Zeitraum von Jänner 2012 bis Jänner 2019 zu kartellrechtswidrigen vertikalen Verhaltensweisen gekommen sei, in dem die Antragsgegnerin Händlern in ganz Österreich einen nur vermeintlich „unverbindlichen Verkaufspreis“ (UVP) verbindlich vorgegeben habe. Darüber hinaus seien bis zum Jahr 2016 die Möglichkeiten der Händler, Produkte online zu verkaufen beschränkt worden. Bei den von der Zuwiderhandlung betroffenen Produkte handle es sich um Schultaschen und Rücksäcke, hauptsächlich, aber nicht ausschließlich, für den schulischen Gebrauch sowie in Einzelfällen um diverses Zubehör (zB Federschachtel, Brustbeutel). Bei den inkriminierten vertikalen Verhaltensweisen handle es sich um Verstöße im Rahmen eines fortdauernden und einheitlichen kartellrechtswidrigen Verhaltens, das als Kernbeschränkung zu qualifizieren sei. Durch die Vereinbarung von Fest- oder Mindestverkaufspreisen werde der markeninterne Preiswettbewerb verringert oder sogar ausgeschaltet, was zu einer Erhöhung der Preise für die Verbraucher führe. Die ergänzend dazu verhängten Verbote im Zusammenhang mit dem Online-Handel seien als bezweckte Beschränkung des passiven Verkaufs an Endverbraucher ebenso als Kernbeschränkung zu werten. Bis zur Einführung von selektiven Kriterien für den Online-Handel im Jahr 2016 habe es für die Marken „ergobag“ und „satch“ ein generelles Verbot des Online-Vertriebs gegeben. Neben dem Verbot des Verkaufs über eigene Online-Shops bei Händlern und über Drittplattformen sei auch die Prä sentation der Produkte auf Preisvergleichsportalen oder über Preissuchmaschinen untersagt worden.

Zur Ausmittlung der beantragten Geldbuße brachte die Bundeswettbewerbsbehörde vor:

Die Antragsgegnerin habe am xx.xx.xxxx, also noch während der Hausdurchsuchung des Bundeskartellamts in Amtshilfe für die BWB bei der BWB einen Marker für einen Kronzeugenantrag eingebracht, diesen am xy.xy.xxxx vervollständigt und am xz.xz.xxxx eine Ergänzung der Unternehmenserklärung übermittelt. In weiterer Folge habe sie umfassend kooperiert. Die vom Unternehmen vorgelegten Informationen und Beweismittel erfüllten daher die Kriterien von § 11b Abs 2 Wettb< span style="font-weight: normal;">G.

Da die Antragsgegnerin ihre Mitwirkung an der Zuwiderhandlung eingestellt habe, in der Folge wahrheitsgemäß, uneingeschränkt und zügig mit der Bundeswettbewerbsbehörde zwecks vollständiger Aufklärung des Sachverhalts zusammengearbeitet und sämtliche Beweismittel betreffend die Zuwiderhandlung, die sich in ihrem Besitz befunden und auf die sie Zugriff gehabt habe, vorgelegt habe und andere Unternehmen nicht zur Teilnahme an der Zuwiderhandlung gezwungen habe, seien sämtliche Voraussetzungen für die Beantragung einer geminderten Geldbuße gemäß § 11b Abs 2 WettbG iVm § 36 Abs 1a KartG erfüllt. Bei der Bemessung der beantragten Geldbuße sei der Gruppenumsatz der Antragsgegnerin im Geschäftsjahr 2019/2020 in der Höhe von EUR xx Mio sowie der Umsatz mit den beiden von der Zuwiderhandlung hauptsächlich betroffenen Marken für Schultaschen beziehungsweise -rucksäcke im Geschäftsjahr x/y in der Höhe von EUR x Mio sowie die Schwere der Rechtsverletzung (Kernbeschränkung), die Dauer des Verstoßes von sieben Jahren sowie die schwierigen Eintrittsbedingungen auf dem Markt zum Zeitpunkt der Aufnahme der Geschäftstätigkeit berücksichtigt worden. Unter Abwägung der genannten Faktoren erscheine ei n Grundbetrag von EUR xxx.xxx,-- angemessen. Auf Grund der Kooperation der Antragsgegnerin mit der BWB iSd § 11b WettBG komme eine Ermäßigung in der Höhe von 50 % des Grundbetrages zur Anwendung. Eine weitere Reduktion in der Höhe von 20 % sei angemessen, da die Antragsgegnerin den von der BWB festgestellten Sachverhalt außer Streit gestellt und den Verfahrensaufwand dadurch deutlich reduziert habe. Dadurch ergäbe sich die beantragte Geldbuße von EUR 340.000,--.

Die Antragsgegnerin verwies auf das von ihr abgegebene Anerkenntnis vom 30.3.2021, das als Beilage ./C (= Beilage ./1) dem Gericht vorgelegt wurde.

II. Folgender Sachverhalt steht fest:

Die Antragsgegnerin ist ein im Jahr 2010 gegründetes Unternehmen mit Sitz in Köln, Deutschland. Sie entwirft und produziert unter verschiedenen Marken Taschen und Rucksäcke des gehobeneren Preissegments, wobei bei den für den schulischen Gebrauch konzipierten Rucksäcken vor allem gesundheitliche Aspekte (Ergonomie) berücksichtigt werden.

Sie verkauft ihre Produkte in Österreich über ein Netz von derzeit rund xx Händlern, die diese direkt bei der Antragsgegnerin erwerben und an Endverbraucher weiterverkaufen.

Der größte Teil des Umsatzes (ca. xx %) stammt aus dem Verkauf im stationären Fachhandel, der vor allem auch anderen Büro- und Schulbedarf oder Lederwaren anbieten.

Bei den von dem Preisabsprachen betroffenen Produkten handelt es sich um Schultaschen und Rucksäcke, hauptsächlich, aber nicht ausschließlich, für den schulischen Gebrauch sowie in Einzelfällen um diverses Zubehör (zB Federschachteln, Brustbeutel). Der überwiegende Teil der konkreten Maßnahmen zur Einhaltung des UVP bezog sich auf die Marken „ergobag“ und satch. Die Marken „AEVOR“, „Affenzahn“, „SALZEN“ und „pinqponq“ waren vereinzelt Gegenstände von Preisabsprachen.

Zu den Preisabsprachen:

Im Zuge der erstmaligen Anbahnung der Geschäftsbeziehung äußerte die Antragsgegnerin gegenüber den Händlern die Notwendigkeit, eine „Politik der Preisstabilität“ mit einheitlichem UVP zu verfolgen. Die Händler erklärten sich in der Regel mit der „Politik der Preisstabilität“ einverstanden, da auch sie ein Interesse an preisstabilen Marken und dementsprechend stabilen Margen hatten. Bis 2014 wurde die Einhaltung des UVP für die Produkte der Marken „ergobag“ und „satch“ in der Regel als Voraussetzung für das Eingehen der Geschäftsbeziehung formuliert. Nach 2014 sowie für Produkte der übrigen Marken wurde die Einhaltung des UVP häufig nachdrücklich von der Antragsgegnerin empfohlen beziehungsweise wurde zu verstehen gegeben, dass man die Einhaltung des UVP erwarte. Während laufender Geschäftsbeziehung hat die Antragsgegnerin Händler aufgefordert, den UVP einzuhalten, beispielsweise dann, wenn sie von anderen Händlern oder durch eigene in der Regel im Online-Bereich erfolgte Preisüberwachung erfahren hatte, dass ein bestimmter Händler Rucksäcke unter dem UVP, zB im Rahmen von Rabattaktionen anbiete oder verkaufe.

Wenn bei der Antragsgegnerin eine Preiserhöhung des UVP durchgeführt wurde, wurden die Händler aufgefordert, die Preise auch für die bereits gekauften Waren an die neuen empfohlenen Verkaufspreise anzupassen. So lautet das E-Mail vom 26.10.2017, in dem der Handelsvertreter für die Antragsgegnerin Herr A. die Händler auffordert, die am 1.10.2017 in Kraft getretene Preiserhöhung umzusetzen, wie folgt (Beilage ./S):

„Liebe FOB-Kunden,

wir stehen hier mitten in der Auslieferung der News 2017/2018 und ich denke, wir werden wieder zusammen sehr erfolgreich sein.

Eine große Bitte habe ich und wollte Sie nochmals daran erinnern, dass Sie doch bitte beachten, dass wir seit 1.10.2017 neue empfohlene VK-Preise haben. Ich bitte Sie, schnellstmöglich zu reagieren und die Preise anzupassen. Danke.

Was ist zu tun (ganz einfach):

.) Satch alle Modelle (alt und neu) haben nun den empf. VK € 119,-- (bitte alle mit € 109,-- auf den neuen Preis umzeichnen --- höhere Marge!!!!!)

.) Satch Match das „alte“ Modell, das Sie auf Lager haben, kann bei € 119,-- bleiben, alle neuen Satch Match 2.0 haben sowieso den VK € 139,--, also hier ist nichts zu tun

.) Ergobag Pack und Cubo (alt und neue Modelle) haben nun dem empf. VK € 239,-- (bitte alle mit € 219,-- auf den neuen Preis umzeichnen ---- höhere Marge!!!!!)

.) Ergobag Limited haben sowieso einen speziellen VK, hier ist nichts zu tun

.) sämtliches Zubehör, egal ob von satch oder Ergobag bleibt alles gleich!! […]“

Die Händler bestätigten in Mails die Einhaltung der vorgeschriebene Preise. So lautet beispielsweise das Email eines Händlers, der beim Handelsvertreter der Antragsgegnerin in Österreich um die Belieferung mit den Marken Ergobag und Satch ersucht wie folgt (Beilage ./L):

Lieber A.!

Wir hätten gerne ergo satch! Versprechen auch, dass wir uns an die Preise halten (schriftlich, wenn es sein muss) – fahren keine Aktionen zum Schulanfang, nur die extra eingekauften -M-angebote!!! Wir wollen keinen Cent herschenken! Die Zeit ist vorbei!

Alles Liebe

S [...]“

Für den Fall, dass der Aufforderung sich an den UVP zu halten, nicht nachgekommen wird, wurden von der Antragsgegnerin intern Sanktionen angedacht, wie die Stornierung der Order (Beilage ./R und Beilage ./T)) oder die Beendigung der Geschäftsbeziehung („ansonsten ist er wieder weg…“) erfolgen könnte.

Die Preisbindungsvereinbarungen zwischen den Händlern und der Antragsgegnerin wurden auch dadurch abgesichert, dass Händler ihre Werbeflyer zur Kontrolle der Antragsgegnerin übermittelten, damit die Antragsgegnerin vorab kontrollieren kann, ob im Flyer eine Verletzung der vereinbarten Preisbindung enthalten ist.

So lautet das Mail einer Händlerin vom 8.2.2012 an die Antragsgegnerin (Beilage ./G):

„Sehr geehrte Frau H[…],

wie mit Frau V[…] besprochen, bitte ich Sie um „Absegnung“ unseres Schultaschen-Flyers. Bitte wenn möglich um schnelle Rückmeldung, da Inhalt in Kürze in Druck geht.

Ganz kurz noch zur Info: Der Gutschein gilt erst ab dem nächsten Einkauf, d.h. die Schultaschen werden ganzjährig und auch bei der Ausstellung ganz normal zum UVP verkauft [...]“

Das Antwortschreiben der Antragsgegnerin dazu lautet:

Hallo Herr B[…],

vielen Dank für Ihre Email. So möchten wir den Flyer allerdings noch nicht freigeben.

Bitte ergänzen Sie entweder, dass der Gutschein für den Schulbedarf im Sommer gilt oder nehmen Sie alternativ bitte ergobag aus der Nennung der Hersteller, für die das Angebot gültig ist, heraus. Bitte senden Sie uns die geänderte Version nochmals zur Freigabe zu […].“

Die Preisabsprachen wurden mit ca. 20 Händlern getroffen und erstreckten sich über den Zeitraum vom 1.1.2012 bis 31.1.2019.

Zum Verbot des Online-Handels:

Im Zeitraum 1.1.2012 bis August 2016 erlegte die Antragsgegnerin den Händlern insbesondere für die Marken „ergobag“ und „satch“ ein generelles Verbot des Online-Vertriebs auf. Neben dem Verkauf über eigene Online-Shops der Händler und über Drittplattformen war auch die Präsentation der Produkte auf Preisvergleichsportalen oder über Preissuchmaschinen untersagt.

So lautete in dem Zusammenhang beispielsweise ein Mail der Antragsgegnerin an einen Händler vom 1.8.2013 (Beilage ./HH):

„Liebe Frau W[…],

vielen Dank für Ihre Mail an meinen Kollegen T[…].

Gerne können Sie unser Bildmaterial für Werbezwecke auf Ihrer Homepage nutzen – allerdings bitte, wie mit Frau W[…] besprochen, ohne direkten Verkauf im Online-Shop. […].

Am 22.8.2013 wurde ein weiteres Mail an diesen Händler von der Antragsgegnerin versendet mit folgendem Inhalt (Beilage ./II):

Sehr geehrte Frau W[…],

soeben von einer heutigen Vertriebstour zurück am PC habe ich überprüft, ob ihr Geschäft über unsere Fachhändler-Funktion auf unserer Webseite zu finden ist und der Eintrag stimmt. Dem ist so. Leider habe ich beim Anschauen Ihres Internetauftritts festgestellt, dass entgegen unserer beiden Telefonate dennoch eine Online-Kauffunktion für ergobagProdukte besteht.

Wie ich Ihnen schon gesagt habe, wurde von unserer Geschäftsleitung für Österreich und auch für Ihr Geschäft kein Online-Handel für Produkte der Marke ergobag ausdrücklich schriftlich genehmigt. Ich bitte Sie daher mit Verweis auf § 7 unserer AGB‘s und unserer Qualitätskriterien III.) und V.) darum die Kauffunktion mit sofortiger Wirkung zu ändern. […]

Sollte die Warenkorbfunktion nicht mit sofortiger Wirkung entfernt werden, wird die ergobag GmbH gemäß ihrer AGB‘s und Qualitätskriterien sich sicher gegen eine Vertriebspartnerschaft entscheiden und die Belieferung ihres Geschäfts einstellen.

Das möchte ich und Sie natürlich nicht. [...]“

Mit 2016 führte die Antragsgegnerin für den Online-Handel Selektivkriterien ein, womit das generelle Verbot, online zu verkaufen, wegfiel.

III. Beweiswürdigung:

Die getroffenen Feststellungen beruhen auf den unbedenklichen Urkunden Beil./A bis ./II, deren Echtheit von der Antragsgegnerin zugestanden wurden und die in einer unmissverständlichen Deutlichkeit die vertikalen Preisabsprachen, die den Zweck verfolgten, auf horizontaler Händlerebene einen einheitlichen Mindestverkaufspreis zu erreichen, dokumentieren. Ebenso konnte dem vorgelegten Schriftverkehr die verschiedenen, von der Antragsgegnerin gewählten Mechanismen zur Absicherung und Überwachung der einheitlichen Mindestwiederverkaufspreise entnommen werden.

Die Urkunden belegen auch unzweifelhaft das von der Antragsgegnerin den Händlern auferlegte Verbot der Online-Verkaufs.

Mit dem Anerkenntnis der Antragsgegnerin, das in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht am 15.7.2021 ergänzt wurde, stellte die Antragsgegnerin die Preisabstimmungsmaßnahmen und die Tatsache, dass die Antragsgegnerin verhinderte, dass Händler die im Spruch genannten Produkte in dort genanntem Ausmaß über den Online-Absatzkanal verkaufen, sowie die Deliktszeiträume außer Streit. Diese Angaben im Anerkenntnis sind unter Berücksichtigung der damit in Einklang stehenden vorgelegten Urkunden, insbesondere der Korrespondenz zwischen Händlern und der Antragsgegnerin sowie der eidesstättigen Erklärungen des B.(Beilage ./F), des M.(Beilage ./P), des A. (Beilage ./K) und des D. (Beilage ./O), als unbedenklich und wahrheitsgemäß einzustufen, weshalb das Kartellgericht von weiteren Erhebungen gemäß § 33 AußStrG absehen konnte.

Unstrittig sind die Angaben der BWB zur Höhe des Konzernumsatzes.


 

IV. Rechtliche Beurteilung:

1. Unionsrechtliches Kartellverbot:

  Nach Art 101 AEUV (vormals Art 81 EG) sind mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die geeignet sind, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken, insbesondere (lit a) die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der An- oder Verkaufspreise oder sonstiger Geschäftsbedingungen.

Die Anwendung von Art 101 AEUV fällt in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten (Art 5 VO [EG] 1/2003) sofern Zwischenstaatlichkeit vorliegt.

Beim Kriterium der Zwischenstaatlichkeit handelt es sich um eine Kollisionsnorm, die die Frage beantworten soll, ob es angemessen ist, den Sachverhalt nach Unionsrecht zu beurteilen (16 Ok 10/09 mwN; 16 Ok 2/15b).

Art 101 Abs 1 AEUV erfordert, dass die wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung geeignet ist, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Diese Voraussetzung ist - was schon durch Abstellen auf die „Eignung“ angelegt ist - weit zu verstehen (Zimmer in Immenga/Mestmäcker EU Wettbewerbsrecht5 Art 101 AEUV Rz 196 mwN).

Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass Maßnahmen, deren wettbewerbs-
beschränkende Wirkung sich auf das gesamte Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erstreckt, in der Regel zur Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten geeignet sind. Ein Kartell, das sich auf das gesamte Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erstreckt, hat nämlich schon seinem Wesen nach die Wirkung, die Abschottung der Märkte auf nationaler Ebene zu verfestigen, indem es die in der Europäischen Union angestrebte wirtschaftliche Verflechtung behindert. Daher können auch Maßnahmen von Unternehmen, die sich nur auf den Wettbewerb innerhalb eines einzelnen Mitgliedstaats auswirken, den innergemeinschaftlichen Handel beeinflussen (16 Ok 10/09 mwN, 16 Ok 2/15b).

Im Anlassfall war einerseits das gesamte Hoheitsgebiet Österreichs betroffen, andererseits wurden die vertikalen einheitlichen Preisabsprachen zwischen der in Deutschland ansässigen Antragsgegnerin und österreichischen Händlern getroffen, sodass sich das Kartell über die österreichischen Grenzen hinaus erstreckte. Damit wird das Kriterium der Zwischenstaatlichkeit erfüllt und Art 101 AEUV gelangt zur Anwendung.

2. Gemäß Art 3 VO (EG) Nr. 1/2003 haben die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten Art 101 AEUV parallel zum nationalen Wettbewerbsrecht anzuwenden.

3.1. Preisabsprachen

Kartellrechtswidrige Preisabsprachen können Absprachen über Mindestpreise, Preisintervalle, Preisaufschläge und -abzüge oder die Koordination der Höhe und des Zeitpunkts einer Preissteigerung sein (Schroeder in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union [54. Ergänzungslieferung 2014] Art 101 AEUV Rz 776).

Auch vertikale Preisabsprachen sind offenkundige Wettbewerbsbeschränkungen, weil sie ein hohes Potential negativer Auswirkungen auf den Wettbewerb haben, und zwar nicht zuletzt auf den Wettbewerb zwischen Unternehmen auf Handelsebene (16 Ok 2/15b).

Dem entspricht, dass auch vertikale Preisbindungen („Preisbindungen der zweiten Hand“) in Art 4 lit a) VO 330/2010 (Gruppenfreistellung für Vertikalvereinbarungen) als grundsätzlich unzulässige Kernbeschränkungen eingestuft werden (vgl Kuhn, Die Abgrenzung zwischen bezweckten und bewirkten Wettbewerbsbeschränkungen nach Art 101 AEUV, ZWeR 2014/2, 148).

Die Europäische Kommission legt in ihren Leitlinien für vertikale Vereinbarungen, ABl 2010/C 130/01, ausführlich dar, in welcher Hinsicht vertikale Preisbindungen eine Gefahr für den funktionierenden Wettbewerb bedeutet, und dass vertikale Verkaufspreisabsprachen auch auf indirektem Weg durchgesetzt werden können, zB über Abmachungen über Absatzspannen.

Die weitere Gefahr von vertikalen Preisbindungen besteht in der Begünstigung von Kollusionsergebnissen zwischen Abnehmern, das heißt Unternehmen auf Handelsebene (VLL Rz 224).

Vertikale Preisbindungen sind als Kernbeschränkung vom Rechtsvorteil der gruppenweisen Freistellung ausgeschlossen. Die mit den tatbestandsmäßigen Verhaltensweisen (Vereinbarung, Beschluss, abgestimmtes Verhalten) verbundenen horizontalen oder vertikalen Preisregulierungen sind als „bezweckte“ Wettbewerbsbeschränkung anzusehen, sodass es auf weitere Umsetzungshandlungen und Marktauswirkungen nicht mehr ankommt (Stockenhuber in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union [54. Ergänzungslieferung 2014] Art 101 AEUV Rz 179; 16 Ok 2/15b)).

3.2. Sternverträge:

  Eine besondere Form der Vereinbarungen sind sogenannte Sternverträge („hub and spoke“), die nicht durch Vertrag zwischen den Beteiligten, sondern durch eine Mehrzahl von Vereinbarungen der Beteiligten mit einem identischen Partner abgeschlossen werden. Bei Sternverträgen ist nicht fraglich, ob überhaupt eine Vereinbarung getroffen wurde - die ist vielmehr offensichtlich (16 Ok 2/15b).

Fraglich ist vielmehr, ob durch das Bündel koordinierter Vertikalverträge eine (horizontale) Vereinbarung zwischen den Beteiligten bewirkt wurde (Langen/Bunte I12 § 1 GWB Rz 81 mwN).

Der Hauptzweck der Vertikalverträge muss dabei nicht in der horizontalen Abstimmung liegen; es reicht bereits aus, wenn die Vertikalverträge so gestaltet sind, dass man das vertikale Vertragsverhältnis gar nicht eingehen kann, ohne einer horizontal wirkenden Abstimmung zuzustimmen (Langen/Bunte, Kartellrecht I12, § 1 GWB Rz 82 aE).

Auch zu Art 101 Abs 1 AEUV ist anerkannt, dass ein „Bündel“ vertikaler Vereinbarungen einen vertraglichen Rahmen schaffen kann, der eine horizontale Vereinbarung darstellt (Langen/Bunte I12 § 1 GWB Rz 83; 16 Ok 2/15b).

Im Anlassfall wurden die vertikalen Preisabstimmungsmaßnahmen im Sinne der „hub-and-spoke“ Methode dadurch verstärkt, dass die Antragsgegnerin auf horizontaler Händlerebene Fest- und Mindestverkaufspreise, nämlich den UVP vorschrieb und koordinierte, und die Händler im Wissen über die horizontale Vereinheitlichung des Preisniveaus mitwirkten, sodass ein verschiedene Richtungen berührendes Sternkartell vorlag.

4. Online-Verkaufsverbot:

Dass das generelle Verbot, bestimmte Produkte im Internet an den Endkunden zu verkaufen gegen Art 101 AEUV verstößt, hat der EuGH in der Entscheidung Pierre Fabre Dermo-Cosmétique (RS C-439/09) mit folgender Begründung bejaht:

In Bezug auf die Möglichkeit, dass die selektive Vertriebsvereinbarung in den Genuss der Gruppenfreistellung der Verordnung Nr. 2790/1999 kommt, ist festzustellen, dass die Gruppen vertikaler Vereinbarungen, die in ihren Genuss kommen können, von der Kommission in der genannten Verordnung auf der Grundlage der Ermächtigung des Rates in der Verordnung Nr. 19/65/EWG des Rates vom 2. März 1965 über die Anwendung von Artikel [81] Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen (ABl. 1965, Nr. 36, S. 533) definiert wurden.

Nach den Art. 2 und 3 der Verordnung Nr. 2790/1999 kann ein Lieferant im Rahmen eines selektiven Vertriebssystems grundsätzlich in den Genuss einer Freistellung kommen, wenn sein Marktanteil 30 % nicht überschreitet. Jedoch wurden in dieser Verordnung bestimmte Arten schwerwiegender wettbewerbsschädigender Beschränkungen unabhängig vom Marktanteil der betreffenden Unternehmen ausgeschlossen.

So geht aus Art. 4 Buchst. c der Verordnung Nr. 2790/1999 hervor, dass die Freistellung nicht für vertikale Vereinbarungen gilt, die unmittelbar oder mittelbar, für sich allein oder in Verbindung mit anderen Umständen unter der Kontrolle der Vertragsparteien Beschränkungen des aktiven oder passiven Verkaufs an Endverbraucher bezwecken, soweit diese Beschränkungen Mitgliedern eines selektiven Vertriebssystems auferlegt werden, die auf der Einzelhandelsstufe tätig sind; dies gilt unbeschadet der Möglichkeit, Mitgliedern des Systems zu verbieten, Geschäfte von nicht zugelassenen Niederlassungen aus zu betreiben.

Eine Vertragsklausel wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die de facto das Internet als Vertriebsform verbietet, bezweckt zumindest die Beschränkung des passiven Verkaufs an Endverbraucher, die über das Internet kaufen möchten und außerhalb des physischen Einzugsgebiets des betreffenden Mitglieds des selektiven Vertriebssystems ansässig sind.

Nach Ansicht von Pierre Fabre Dermo-Cosmétique kommt das Verbot, die Vertragsprodukte über das Internet zu verkaufen, jedoch einem Verbot gleich, Geschäfte von einer nicht zugelassenen Niederlassung aus zu betreiben. Da somit die am Ende von Art. 4 Buchst. c der Verordnung Nr. 2790/1999 vorgesehenen Voraussetzungen der Freistellung erfüllt seien, sei dieser Artikel auf sie nicht anwendbar.

Hierzu ist festzustellen, dass Art. 4 Buchst. c der Verordnung Nr. 2790/1999 mit der Erwähnung von „nicht zugelassenen Niederlassungen“ nur auf Verkaufsstellen abzielt, in denen Direktverkäufe vorgenommen werden. Fraglich ist, ob dieser Begriff durch eine weite Auslegung auf den Ort erstreckt werden kann, an dem die Dienstleistungen des Verkaufs über das Internet erbracht werden.

Da ein Unternehmen stets die Möglichkeit hat, individuell die Anwendbarkeit der Legalausnahme in Art. 101 Abs. 3 AEUV geltend zu machen, und seine Rechte somit geschützt werden können, besteht kein Anlass, die Bestimmungen, mit denen die Vereinbarungen oder Verhaltensweisen in die Gruppenfreistellung einbezogen werden, weit auszulegen.

Daher kann eine Vertragsklausel wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die de facto das Internet als Vertriebsform verbietet, nicht als Klausel angesehen werden, die den Mitgliedern des betreffenden selektiven Vertriebssystems verbietet, im Sinne von Art. 4 Buchst. c der Verordnung Nr. 2790/1999 Geschäfte von nicht zugelassenen Niederlassungen aus zu betreiben.“

Im Anlassfall ist die VertGVO 330/2010, die mit 1.6.2010 in Kraft trat, anzuwenden.

Da diese VertGVO mit der für den Anlassfall wesentlichen Norm des Art 4 lit c mit der im Fall Pierre Fabre Dermo-Cosmétique ausgelegten Vorschrift der VorgängerVO Nr. 2790/1999 übereinstimmt, ist die vom EuGH im dortigen Fall gegebene Antwort auf die Vorlagefrage, nämlich dass ein generelles Verbot der Nutzung des Internets für Verkäufe eine bezweckte Beschränkung im Sinne des Art. 101 Abs. AEUV darstellt, wenn dieses Verbot in Anbetracht der Eigenschaften der in Rede stehenden Produkte nicht objektiv gerechtfertigt ist, hier zu beachten und bindend (Mestmäcker/Schweitzer aaO, § 15 Rz 44).

Da die Eigenschaften der in Rede stehenden Produkte dieses Verbot nicht rechtfertigen – Behauptungen im Sinne der Rechtfertigung des Verbotes aufgrund spezieller Produkteigenschaften wurden von der Antragsgegnerin auch gar nicht aufgestellt - liegt eine kartellrechtlich verbotene bezweckte Kundenbeschränkung vor.

5. Die Bemessung der verhängten Geldbuße beruht auf der von der Antragsgegnerin nicht bestrittenen Berechnung durch die Bundeswettbewerbsbehörde.

Gemäß § 36 Abs 3 KartG darf das Kartellgericht über die beantragte Geldbuße nicht hinausgehen. Die Bundeswettbewerbsbehörde hat die von ihr dargelegten Milderungsgründe und Erschwerungsgründe im Sinne des § 30 Abs 3 KartG angemessen berücksichtigt. Weitere Milderungsgründe sind nicht ersichtlich.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.“


Ausdruck vom: 13.10.2024 09:18:24 MESZ