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Kategorie:

Kartell

Dienststelle:

OLG Wien (009)

Aktenzeichen:

24 Kt 1/22k


Bekannt gemacht am:

23.11.2022

Entscheidungsdatum:

12.05.2022


 Über die Antragsgegnerinnen wird wegen einer einheitlichen komplexen und fortgesetzten Zuwiderhandlung gegen § 1 KartG und Art 101 AEUV in Form von kartellrechtswidrigen vertikalen Absprachen mit Herstellern von Schultaschen und -rucksäcken über die Wiederverkaufspreise im Sinne der Festlegung eines Fest- und Mindestpreisniveaus dieser Produkte und in Einzelfällen von Zubehör zu diesen im Zeitraum von Februar 2016 bis März 2019 eine

Geldbuße in Höhe von EUR 70.000,--

verhängt.

 

B e g r ü n d u n g :

Die Bundeswettbewerbsbehörde beantragte die Verhängung der Geldbuße wie aus dem Spruch ersichtlich.

Der Bundeskartellanwalt schloss sich diesem Antrag an.

Die Antragsgegnerinnen traten dem Antrag und dem Vorbringen der Bundeswettbewerbsbehörde nicht entgegen.

Angesichts des Akteninhalts, insbesondere auch der Urkunden bestehen gegen diese Außerstreitstellungen keine Bedenken, weshalb von weiteren Erhebungen Abstand zu nehmen war (§ 33 Abs 1 AußStrG iVm § 38 KartG).

Demnach steht folgender Sachverhalt fest:

Die Erstantragsgegnerin hält alle Anteile an der Drittantragsgegnerin (idF Antragsgegnerin), welche im Einzelhandel unter anderem mit Bekleidung, Einrichtungsgegenständen und Spielwaren an 17 Standorten in Österreich und im Online-Vertrieb tätig ist. Dem Segment „Spiele und Papier“ ist auch der Verkauf von Schultaschen zugeordnet. Bei dem Umsatz mit Schultaschen entfällt ein Teil auf Produkte des Herstellers FOND OF GmbH mit Sitz in Köln, Deutschland (FOND OF), ein Teil auf Produkte anderer Hersteller.

Im Zeitraum von Februar 2016 bis März 2019 traf die Antragsgegnerin mit den Herstellern von Schultaschen bzw. -rucksäcken Vereinbarungen über die Festsetzung von Verkaufspreisen. Der Antragsgegnerin wurden nur vermeintlich „unverbindliche“ Verkaufspreise („UVP“) dennoch verbindlich vorgegeben. Bei den betroffenen Produkten handelt es sich um Rucksäcke, hauptsächlich, aber nicht ausschließlich, für den schulischen Gebrauch sowie vereinzelt um diverses Zubehör (zB Federschachteln, Brustbeutel). Der Großteil der Verhaltensweisen betraf die Handelsbeziehungen mit dem Hersteller FOND OF.

Die Antragsgegnerin ist Kundin von FOND OF. Im Zuge der erstmaligen Anbahnung der Geschäftsbeziehung verlangte FOND OF gegenüber den Händlern eine Politik der Preisstabilität, so auch gegenüber der Antragsgegnerin. Da die Antragsgegnerin daran interessiert war, die Preise auf dem Niveau des UVP zu halten, sah sie keinen Grund, von diesem abzuweichen. Somit kam es bis zum Beginn des Online-Vertriebs von Schultaschen durch die Antragsgegnerin im Februar 2016 zu keinen Beschwerden der Herstellerin. Ab diesem Zeitpunkt versuchte die Antragsgegnerin den Umsatz durch das Gewähren von Preisnachlässen zu steigern. Als Reaktion auf derartige Rabatte kontaktierte FOND OF – sei es auf Grund eigener Preisbeobachtung, sei es auf Grund Beschwerden von Mitbewerbern – die Antragsgegnerin und forderte sie auf, den UVP einzuhalten, was diese auch zusicherte. Der Handelsvertreter von FOND OF verlangte von dem Verantwortlichen der Antragsgegnerin für den Online-Vertrieb, die Preise auf das Niveau des UVP anzupassen bzw. Schultaschen generell von Online-Aktion auszunehmen, was dieser veranlasste.

Ab dem Jahr 2017 versuchte auch auch ein anderer Hersteller Einfluss auf die Gestaltung der Verkaufspreise durch die Antragsgegnerin zu nehmen, was in der Regel mündlich geschah. Der Hersteller wies die Antragsgegnerin auf die vorgenommene Unterschreitung des UVP hin und forderte die „Korrektur“ auf den UVP. Die Antragsgegnerin kam dieser Aufforderung nach.

Die Antragsgegnerin schloss auch mit einem weiteren Hersteller im Jahr 2018 eine Übereinkunft, den UVP nicht zu unterschreiten, woran sich die Antragsgegnerin fortan hielt.

Ab Dezember 2017 platzierte die Antragsgegnerin ihre Angebote auch auf unterschiedlichen Preissuchmaschinen und versuchte, über verschiedene Aktionen verstärkt auf dem deutschen Markt Fuß zu fassen. Auf Grund der Beschwerden von Herstellern wurde das gesamte Sortiment an Schulrucksäcken jedoch von sämtlichen Online-Aktionen ausgenommen, sodass es zu keiner Unterschreitung des UVP mehr kam.

Die Vereinbarungen über die Festsetzung der Fest- und Mindestpreise dauerten zumindest von Februar 2016 bis März 2019 an.

 

Rechtlich folgt:

1. Nach Art. 101 AEUV sind mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten alle Vereinbarungen zwischen Unternehmern, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die geeignet sind, den Handel zwischen Mitgliedsstaaten zu beeinträchtigen und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken, insbesondere (lit a) die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der An- oder Verkaufspreise oder sonstiger Geschäftsbedingungen.

2. Die Anwendung von Art. 101 AEUV fällt in die Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten (Art. 5 VO [EG] 1/2003) sofern Zwischenstaatlichkeit vorliegt. Beim Kriterium der Zwischenstaatlichkeit handelt es sich um eine Kollisionsnorm, die die Frage beantworten soll, ob es angemessen ist, den Sachverhalt nach Unionsrecht zu beurteilen (16 Ok 10/09 mwN; 16 Ok 2/15b).

Art. 101 Abs 1 AEUV erfordert, dass die wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung geeignet ist, den Handel zwischen Mitgliedsstaaten zu beeinträchtigen. Diese Voraussetzung ist – was schon durch Abstellen auf die „Eignung“ angelegt ist, weit zu verstehen (Zimmer in Immenga/Mestmäcker EU Wettbewerbsrecht5 Art. 101 AEUV Rz 196 mwN).

Der Oberste Gerichtshof hat mehrfach ausgesprochen, dass Maßnahmen, deren wettbewerbsbeschränkende Wirkung sich auf das gesamte Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats erstreckt, in der Regel zur Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedsstaaten geeignet sind. Ein Kartell, das sich auf das gesamte Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats erstreckt, hat schon seinem Wesen nach die Wirkung, die Abschottung der Märkte auf nationaler Ebene zu verfestigen, indem es die in der Europäischen Union angestrebte wirtschaftliche Verflechtung behindert. Daher können auch Maßnahmen von Unternehmen, die sich nur auf den Wettbewerb innerhalb eines einzelnen Mitgliedsstaats auswirken, den innergemeinschaftlichen Handel beeinflussen (16 Ok 10/09 mwN, 16 Ok 2/15b).

2.1. Im Anlassfall war einerseits das gesamte Hoheitsgebiet Österreichs betroffen, andererseits wurden die vertikalen einheitlichen Preisabsprachen zwischen der Antragsgegnerin und in Deutschland ansässigen Händlern getroffen, sodass sich das Kartell über die österreichischen Grenzen hinaus erstreckte. Damit wird das Kriterium der Zwischenstaatlichkeit erfüllt und Art. 101 AEUV gelangt zur Anwendung.

Gemäß Art. 3 VO (EG) Nr. 1/2003 haben die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedsstaaten Art. 101 AEUV parallel zum nationalen Wettbewerbsrecht anzuwenden.

3. Kartellrechtswidrige Preisabsprachen können Absprachen über Mindestpreise, Preisintervalle, Preisaufschläge und -abzüge oder die Koordination der Höhe oder des Zeitpunkts einer Preissteigerung sein (Schröder in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union [54. Ergänzungslieferung 2014], Art. 101 AEUV Rz 776).

Vertikale Preisabsprachen sind offenkundige Wettbewerbsbeschränkungen, weil sie ein hohes Potential negativer Auswirkungen auf den Wettbewerb haben, und zwar nicht zuletzt auf den Wettbewerb zwischen Unternehmen auf Handelsebene (16 Ok 2/15b).

Dem entspricht, dass auch vertikale Preisbindungen (Preisbindungen der 2. Hand) in Art. 4 lit a VO 330/2010 (Gruppenfreistellung für Vertikalvereinbarungen) als grundsätzlich unzulässige Kernbeschränkungen eingestuft werden (vgl Kuhn, Die Abgrenzung zwischen bezweckten und bewirkten Wettbewerbsbeschränkungen nach Art. 101 AEUV, ZweR 2014/2, 148).

Die europäische Kommission legt in ihren Leitlinien für vertikale Vereinbarungen ausführlich dar, in welcher Hinsicht vertikale Preisbindungen eine Gefahr für den funktionierenden Wettbewerb bedeuten, und dass vertikale Verkaufsabsprachen auch auf indirektem Weg durchgesetzt werden können, zB über Abmachungen über Absatzspannen.

Die weitere Gefahr von vertikalen Preisbindungen besteht in der Begünstigung von Kollusionsergebnissen zwischen Abnehmern, das heißt Unternehmen auf Handelsebene.

Vertikale Preisbindungen sind als Kernbeschränkung vom Rechtsvorteil der gruppenweisen Freistellung ausgeschlossen. Die mit den tatbestandsmäßigen Verhaltenswiesen (Vereinbarung, Beschluss, abgestimmtes Verhalten) verbundenen horizontalen oder vertikalen Preisregulierungen sind als „bezweckte“ Wettbewerbsbeschränkung anzusehen, sodass es auf weitere Umsetzungshandlungen und Marktauswirkungen nicht mehr ankommt (Stockenhuber in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union [54. Ergänzungslieferung 2014] Art. 101 AEUV Rz 179; 16 Ok 2/15).

4. Die Bemessung der verhängten Geldbuße beruht auf der von den Antragsgegnerinnen nicht bestrittenen Berechnung durch die Bundeswettbewerbsbehörde.

Gemäß § 36 Abs 3 KartG darf das Kartellgericht über die beantragte Geldbuße nicht hinausgehen. Die Bundeswettbewerbsbehörde hat die von ihr dargelegten Milderungsgründe und Erschwerungsgründe im Sinne des § 30 Abs 3 KartellG angemessen berücksichtigt. Weitere Milderungsgründe sind nicht ersichtlich. 


Ausdruck vom: 27.04.2024 23:01:13 MESZ