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Kategorie:

Kartell

Dienststelle:

OLG Wien (009)

Aktenzeichen:

25 Kt 3/23p


Bekannt gemacht am:

07.05.2024

Entscheidungsdatum:

11.10.2023


 
 
 „Über die Antragsgegnerin wird wegen einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung gegen § 1 Abs 1 KartG in Form von kartellrechtswidrigen Preisabsprachen, Marktaufteilungen und Informationsaustausch mit Wettbewerbern in Bezug auf Ausschreibungen im Bereich Fassadenbau im Gebiet von Wien und Niederösterreich im Zeitraum vom 04.04.2017 bis 30.09.2017 eine Geldbuße in der Höhe von EUR 63.000, -- verhängt.
 
 
Begründung:

 
 
Die Antragsgegnerin übt in Österreich das Baumeistergewerbe aus und bietet insbesondere Bauleistungen im Bereich Fassadenbau und Vollwärmeschutz an.
 
 
Die Antragsgegnerin erzielte im Geschäftsjahr 2022 einen Gesamtumsatz von EUR 11.920.460,42.
Die Bundeswettbewerbsbehörde (in der Folge BWB) beantragte die Verhängung einer Geldbuße in der Höhe von EUR 63.000,-- gegen die Antragsgegnerin wegen der Teilnahme an einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung gegen § 1 Abs 1 KartG im Zusammenhang mit Ausschreibungen von Fassadenbauleistungen. Im Zeitraum von April bis September 2017 sei es zwischen der Antragsgegnerin und Mitbewerberinnen zu kartellrechtswidrigen horizontalen Absprachen und kartellrechtswidrigen Verhaltensabstimmungen durch Informationsaustausch bezüglich Ausschreibungen von Fassadenbauleistungen gekommen sei, die in den Bundesländern Wien und Niederösterreich stattgefunden haben.
Bei den Auftraggebern habe es sich um private Auftraggeber gehandelt, welche die Aufträge in Form eines Einladungsverfahrens, bei welchem (bestimmte) Unternehmen zur Angebotslegung eingeladen wurden, vergeben haben.
Die kartellrechtswidrigen Praktiken seien sowohl im Rahmen von telefonischen Gesprächen als auch persönlicher Treffen zwischen der Antragsgegnerin und ihren Mitbewerberinnen vereinbart worden. Dabei sei es zu Absprachen über die Angebotspreisgestaltung sowie -summen, Nachlässe, Skonto und sonstige Preisbestandteile sowie zum Austausch sensibler Geschäftsinformationen gekommen.
Zwischen der Antragsgegnerin und den Mitbewerbern, sei vereinbart worden, welches Unternehmen bei einem bestimmten Bauvorhaben den Zuschlag erhalten solle. Dieses Unternehmen habe anschließend den Mitbewerberinnen die eigene Angebotskalkulation mitgeteilt. Die Mitbewerber kalkulierten in weiterer Folge ihre Deckangebote so, dass sie preislich über diesem Angebot gelegen seien.
Ziel dieser Absprachen sei gewesen, dem vereinbarten Unternehmen zur Auftragserteilung zu verhelfen.
Zwischen den beteiligten Unternehmen habe ein Grundverständnis dahingehend bestanden, sich bei Ausschreibungen vor Angebotsabgabe wechselseitig über das jeweilige Angebotsverhalten zu informieren und darüber abzustimmen.
Bei der Ausmittlung der Höhe der beantragten Geldbuße sei der Umsatz der Antragsgegnerin im von der Zuwiderhandlung betroffenen Bereich Fassadenbau in Österreich im Jahr 2017, die regionale und zeitliche Ausprägung der Gesamtzuwiderhandlung, die Schwere der Zuwiderhandlung (Kernbeschränkung), das Verschulden der Antragsgegnerin sowie die nachweisliche Dauer des Verstoßes, die ein Jahr nicht überstiegen habe, berücksichtigt worden.
Aufgrund der einvernehmlichen Verfahrensbeendigung und Kooperation der Antragsgegnerin mit der BWB sei ein Abschlag von 20 % gewährt worden.
Unter Berücksichtigung dieser Faktoren werde eine Geldbuße in der Höhe von EUR 63.000, -- als angemessen erachtet.
Die Antragsgegnerin stellt die Tatsachenbehauptungen der BWB außer Streit.

 
 
Folgender Sachverhalt steht fest:

 
 
Im Zeitraum vom 04.04.2017 bis 30.09.2017 kam es zwischen der Antragsgegnerin und Mitbewerberinnen zu kartellrechtswidrigen horizontalen Absprachen betreffend die Angebotslegung und kartellrechtswidrigen Verhaltensabstimmungen durch Informationsaustausch bezüglich Ausschreibungen von Fassadenbauleistungen in den Bundesländern Wien und Niederösterreich.
 
 
An den kartellrechtswidrigen Absprachen bei Ausschreibungen für Fassadenbauleistungen haben inklusive der Antragsgenerin sieben Wettbeweber teilgenommen.
 
 
Die Absprachen erfolgten im Rahmen von telefonischen Gesprächen sowie persönlichen Treffen.
 
 
Bei den Auftraggebern handelte es sich um private, welche die Aufträge nicht direkt, sondern in Form eines Einladungsverfahrens, bei welchem (bestimmte) Unternehmen zur Angebotslegung eingeladen wurden, vergeben haben.
Hinter dem zwischen der Antragsgegnerin und ihren Wettbewerberinnen aufgezogenen Kartellsystem stand der Gesamtplan, die Wirkungsweise des normalen Wettbewerbs, dem strategische Unsicherheiten immanent sind, insbesondere über das (Angebots-)Verhalten von Mitbewerberinnen bei Ausschreibungen auszuschalten.

 
 
Im Rahmen der Ausschreibungsverfahren sprach sich die Antragsgegnerin mit ihren Mitbewerberinnen darüber ab, wer den Zuschlag erhalten soll und in welcher preislichen Höhe die Angebote abgegeben werden. Das Unternehmen, das den Zuschlag nach der horizontalen Absprache erhalten soll, teilteanschließend den Mitbewerberinnen die eigene Angebotskalkulation mit. Die Mitbewerber kalkulierten in weiterer Folge ihre Angebote so, dass sie preislich über diesem Angebot lagen und gaben sogenannte Deckangebote ab. Teilweise zogen sich Anbieter auch aus den Ausschreibungsverfahren zurück, um nicht die Preise ihres Mitbewerbers zu „unterfahren“.
 
 
Damit wurde ein selbständiges und kompetitives Bieterverhalten der beteiligten Unternehmen verhindert und der Wettbewerb dadurch ausgeschlossen.
 
 
Des Weiteren kam es zu einem Austausch wettbewerbssensibler Informationen zwischen der Antragsgegnerin und ihren Mitbewerberinnen. Dies beruhte auf dem Umstand, dass zwischen den beteiligten Unternehmen ein Grundverständnis dahingehend bestand, sich bei Ausschreibungen vor Angebotsabgabe wechselseitig über das jeweilige Angebotsverhalten zu informieren.
Bauvorhaben mit kartellrechtswidriger Beteiligung der Antragsgegnerin:
 
 
Die Antragsgegnerin beteiligte sich an Absprachen und Abstimmungen im oben dargelegten Sinn bei den folgenden Bauvorhaben:
a)1210 Wien, Stammersdorf, Inge-Konradi-Gasse/Gaswerkstraße, Wohnen am Marchfeldkanal
 
 
Im Zusammenhang mit diesem Bauvorhaben besprachen die Antragsgegnerin und ihre Mitbewerberinnen Details zur Angebotslegung sowie ihre Angebotssummen. Es wurde zwischen den Mitbewerbern diskutiert, dass dasjenige Unternehmen, das den Zuschlag erhält, den anderen Mitbewerberinnen EUR 5.000, -- oder EUR 10.000, -- bezahlen sollte. Die Antragsgegnerin legte hier ein Deckangebot, den Zuschlag erhielt eine Mitbewerberin.
b)1230 Wien, Helene-Thimig-Weg, In der Wiesen Ost, Bauplatz 4
 
 
Im Zusammenhang mit diesem Bauvorhaben kam es zwischen der Antragsgegnerin und drei Mitbewerberinnen zu Preisabsprachen bei der Angebotslegung.
 
 
Konkret besprach die Antragsgegnerin mit ihren Mitbewerberinnen die Angebotspreisgestaltung sowie -summen und die weitere Vorgehensweise im Ausschreibungsverfahren.
Die Antragsgegnerin erhielt den Zuschlag.
 
 
Beispielsweise fanden zwischen der Antragsgegnerin und den Mitbewerbern zu dieser Baustelle folgende Telefonespräche statt:

 
 
Wortprotokoll (Nr. 10) zu Ifd Nr. 785(Telefonat am 05.05.2017 zwischen E. (Mitbewerber) und H. (Antragsgegnerin):
 
 
E: „[…] Das ist die Baustelle, [...], da hab ich dir gesagt, die haben uns eingeladen, wir drei waren dort, vor vor…da haben wir eh letztens gesprochen…und da hat uns der P. angekündigt, der schickt uns diese Baustelle und die Preise, die drinnen sind, san für ihn sozusagen die Jahrespreise für nächstes Jahr.“
 
 
H: „Ok“
 
 
E: „Jetzt ist es sehr wichtig, dass wir dort alle gleich anbieten, damit – egal wer die Baustelle kriegt – aber später die Folgebaustellen, egal wenn die anderen die Folgebaustellen bekommen, gilt der Preis. Er richtet sich nach dem Preis.“
 
 
H.: „Ok, ok, ok.“

 
 
Wortprotokoll (Nr. 86) zu Ifd Nr. 4485(Telefonat am 28.07.2017 zwischen E.) und H.(Antragsgegnerin))
 
 
E.: „[…] F. hat 1.370 (Anm: Angebotssumme 1,370.000, -- Euro), da R. ist sowieso drüber und ich bin bei 1,3.“
 
 
H.:„Ja“
 
 
E.: „Also du kannst locker…das garantiere ich dir, die haben keinen anderen, du bist der einzige, billigste, der, du kannst locker 30 – 50.000 raufgehen. […]“

c)1210 Wien, Prager Straße Florasdorf, Bauplatz 1b und 2
Im Zusammenhang mit diesem Bauvorhaben kam es zwischen der Antragsgegnerin und Mitbewerberinnen zu Absprachen über den Kreis der Bieter.
 
 
Die Antragsgegnerin wurde von den Mitbewerberinnen kontaktiert, mit dem Ersuchen einen Mitbieter zu überreden, sein Angebot zurückzuziehen (Beilage ./J):

 
 
Wortprotokoll (Nr. 55) zu Ifd Nr. 1772 (Telefonat am 29.05.2017 zwischen E.(Mitbewerber) und H. (Antragsgegnerin)):
 
 
E: „[…] Ist S. jetzt bei der Baustelle vom G. dabei oder wie oder was?“
 
 
[…]
 
 
E. „[…] Einerseits macht er mir ein Problem, weil ich mit Baustelle rechne, andererseits tut er sich wahrscheinlich ein Problem, und dritte Sache tut er den Preis wieder ruinieren, […] Jetzt wollt ich dich nur drum bitten, dass du ihn anrufst, und dass er davon…“
 
 
H.: „Ich rufe ihn an.“
 
 
E.: „Der soll sich da zurückziehen.“
 
 
[…]
 
 
H: „Ich ruf ihn jetzt an, ich meld mich dann“.
 
 
Die Antragsgegnerin legte hier kein Deckangebot. Den Zuschlag erhielt eine Mitbewerberin.

d)2100 Stetten, Dr. Josef-Levit-Straße 1/3, WVDS
 
 
Im Zusammenhang mit diesem Fassadenbauvorhaben besprach die Antragsgegnerin mit einer Mitbewerberin die Modalitäten des Bauvorhabens und verhandelte aus, wieviel Nachlass seitens der Mitbewerberin zu vergeben ist, um den Zuschlag zu erhalten. Die Antragsgegnerin erhielt den Zuschlag.
 
 
Im Zusammenhang mit dieser Ausschreibung fand ua folgendes Telefongespräch statt (Beilage ./L):

 
 
Wortprotokoll (Nr. 124) zu Ifd Nr. 6253(Telefonat am 18.09.2017 zwischen E. (Mitbewerber) und H.(Antragsgegnerin))
 
 
E.: „[…] Zweite Frage, er hat mich wegen Stetten gefragt, ob ich ihm die Fassade mache. Sag ich: Des is mit dir… ausgemacht. [...]“
 
 
H.: „Ja, ja. Der ist angeblich 16.000, -- Euro bist du billiger. Oder waß i net, irgendwer, irgendwelche Firma, hat er gesagt, 16.000, -- Euro ist sie billiger, ich weiß net welche Firma.“

e.)2120 Wolkersdorf, Wohnhausanlage Wolkersdorf II, Innenputz
 
 
Im Zusammenhang mit diesem Bauvorhaben erhielt die Antragsgegnerin den Zuschlag für den Innenputz.
Zuvor wollte sich die Antragsgegnerin gegenüber einer Mitbewerberin absichern, dass diese bei der Ausschreibung kein Angebot legt, damit ein wechselseitiges Unterbieten verhindert werden könne.
 
 
Dazu fanden u.a folgende Gespräche statt (Beilage ./N):
 
 
Wortprotokoll (Nr. 134) zu Ifd Nr. 5904(Telefonat am 07.09.2017 zwischen E. (Mitbewerber) und H.(Antragsgegnerin))
 
 
H.: „Nana, er hat gesagt…ich hab Vermutung, er wollt mir eh die Baustelle geben. Ich wollt nur wissen, ob du dort auch angeboten hast, oder nicht, damit wir uns nicht gegenseitig die Preise zamhauen, verstehst?!“
 
 
[…]
 
 
H.: „Was bietest du normalerweise an, große Baustelle? Welche Preise bist du?“
E.: „Ich bin 8 ½ Euro, plus viele Zusagen. Ich komme dann bissl über 9 Euro. Wenn dann verhandelt wird komme ich wieder in Summe, mit allem, zwischen 8,20 und 8,50 […]“
 
 
[…]
 
 
H.: „Ich hab 9 Euro angeboten...“
 
 
[…]
 
 
H.: „[…] Ich würde 2% oder was nachlassen und dann wird ich die Baustelle kriegen, schätz ich. […]“

 
 
Beweiswürdigung:
Von der Antragsgegnerin wurde der von der BWB vorgebrachte Sachverhalt und Deliktszeitraum sowie die Umsatzzahlen ausdrücklich außer Streit gestellt. Die außerstreitgestellten Behauptungen stehen mit dem Inhalt der vorgelegten Urkunden Beilage ./A - ./P im Einklang. Da die Antragsgegnerin die Urkunden als echt anerkannte und diese als unbedenklich einzustufen sind, konnte das Kartellgericht von weiteren Beweisaufnahmen gemäß § 33 AußStrG absehen und die Feststellungen auf das Vorbringen der BWB und den Inhalt der Urkunden gründen.
 
 
Rechtliche Beurteilung:

1. Kartellverbot
Gemäß § 1 KartG sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmern, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken (Kartelle), verboten. Insbesondere sind nach § 1 Abs 2 Z 1 KartG die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der An- und Verkaufspreise oder sonstige Geschäftsbedingungen sowie nach Z 3 leg.cit. die Aufteilung der Märkte oder Versorgungsquellen verboten.

 
 
2. Fehlende Zwischenstaatlichkeit
Im Anlassfall ist das Zwischenstaatlichkeitskriterium des Art 101 AEUV zu verneinen, da sich die Zuwiderhandlungen nicht auf das gesamte Bundesgebiet, sondern nur auf die Bundesländer Wien und Niederösterreich erstreckten. Damit kommt ausschließlich § 1 KartG zur Anwendung.
 
 
3.Vorliegen einer Vereinbarung oder abgestimmten Verhaltensweise
Das Kartellverbot des § 1 Abs 1 KartG erfasst den Wettbewerb beeinträchtigende Vereinbarungen zwischen Unternehmern und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen. Beiden Tatbeständen ist gemein, dass sie geeignet sein müssen, zwischen den beteiligten Unternehmern die Unsicherheiten über ihr zukünftiges Verhalten im Wettbewerb auszuschließen oder zu verhindern. In der Praxis ist eine Abgrenzung dieser Begriffe von geringer Relevanz, weil diese Formen wettbewerbsbeschränkenden Zusammenwirkens gleichrangig sind (Lager/Petsche in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG2 § 1 Rz 14 ff).
Der Begriff „Vereinbarung“ wird in diesem Zusammenhang weit ausgelegt: Nicht notwendig ist, dass es sich dabei um einen rechtlich verbindlichen Vertrag handelt. Eine Vereinbarung liegt vielmehr schon dann vor, wenn die betreffenden Unternehmen ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck gebracht haben, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten. Folglich ist der Begriff der Vereinbarung durch das Vorliegen einer Willensübereinstimmung zwischen mindestens zwei Parteien gekennzeichnet, deren Ausdrucksform unerheblich ist, sofern sie den Willen der Parteien getreu wiedergibt. Bei einer Vereinbarung zwischen Unternehmern kommt es daher weder auf die Form der Vereinbarung (diese kann schriftlich, mündlich oder schlüssig getroffen werden) noch darauf an, ob sie auch tatsächlich umgesetzt wird (Lager/Petsche aaO § 1 Rz 18 f mwN).
Neben Vereinbarungen sind auch aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen vom Kartellverbot erfasst. Dabei handelt es sich nach ständiger Rechtsprechung des EuGH um jede Form der Koordinierung des Verhaltens zwischen Unternehmern, die zwar nicht bis zum Abschluss eines Vertrages im eigentlichen Sinn gediehen ist, aber bewusst eine praktische Zusammenarbeit an die Stelle des mit Risiken verbundenen Wettbewerbs treten lässt. Unter einer Verhaltensabstimmung ist also eine „Fühlungnahme“ zwischen den Unternehmern zu verstehen, die geeignet und bestimmt ist, deren Wettbewerbsrisiko abzuschwächen (Lager/Petsche aaO § 1 Rz 25 ff mwN).
Erfasst ist jede unmittelbare oder mittelbare Koordination zwischen Unternehmen, die bezweckt oder bewirkt, das Marktverhalten zu beeinflussen oder einen Mitbewerber über das Marktverhalten ins Bild zu setzen, das man selbst an den Tag zu legen entschlossen ist oder in Erwägung zieht (Lager/Petsche aaO § 1 Rz 31).

 
 
4. Bezweckte Wettbewerbsbeschränkung
Nach § 1 Abs 1 KartG sind mehrseitige Verhaltensweisen verboten, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs, dh eine Wettbewerbsbeschränkung, bezwecken oder bewirken.
Für das Kartellverbot selbst ist die Unterscheidung zwischen einer bezweckten oder bewirkten Wettbewerbsbeschränkung ohne Bedeutung. Handelt es sich bei den Vereinbarungen jedoch um solche, die ihrer Natur nach geeignet sind, den Wettbewerb zu beeinträchtigen und diese auch auf diesen Zweck gerichtet sind, liegt es auf der Hand, dass solche Vereinbarungen spürbar negative Auswirkungen auf den Markt haben.
Es wird daher davon ausgegangen, dass eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung, also eine, die schon ihrem Wesen nach schädlich für den Wettbewerb ist, den Wettbewerb stets spürbar beeinträchtigt (Hiersche/Mertl in Egger/Harsdorf-Borsch, Kartellrecht, § 1 Rz 73f, EuGH C-228/18 – Budapest Bank; EuGH C-345/14 – Maxima Latvija).
Aus diesen Erwägungen sind bei bezweckten Wettbewerbsbeschränkungen die konkreten Auswirkungen, also der genaue Umfang der Spürbarkeit für den Markt im Verfahren nicht zu prüfen (RS0120477). Solche Kernbeschränkungen gelten demzufolge unabhängig vom Marktanteil der beteiligten Unternehmen als „spürbar“ (vgl EuGH 13.12.2012, C-226/11, Expedia, RS0106875, 16 Ok 2/22k).
Bei der Prüfung der Frage, ob eine Vereinbarung als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung zu qualifizieren ist, ist auf den Inhalt ihrer Bestimmungen und die mit ihr verfolgten Ziele sowie auf den wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhang, in dem sie steht, abzustellen.
Für einen wettbewerbswidrigen Zweck reicht es bereits aus, wenn die Vereinbarung das Potential hat, negative Auswirkungen auf den Wettbewerb zu entfalten, dh wenn sie geeignet ist, zu einer Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes zu führen (EuGH C-32/11 – Allianz Hungária, mwN).
Das wesentliche Kriterium für die Einordnung als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung ist, dass eine solche Handlung in sich selbst eine hinreichende Beeinträchtigung des Wettbewerbs erkennen lässt (EuGH C-67/13 P – Groupment des cartes bancaires, mwN).
Wie hier noch zu zeigen sein wird, sind die hier zu prüfenden Wettbewerbsbeschränkungen durchwegs bezweckt.

 
 
5. Absprachen über Preise
Gemäß § 1 Abs 2 Z 1 KartG sind insbesondere die unmittelbare und mittelbare Festsetzung der An- und Verkaufspreise oder sonstiger Geschäftsbedingungen verboten. Kartellrechtswidrige Preisabsprachen können Absprachen über Mindestpreise, Preisintervalle, Preisaufschläge und -abzüge oder die Koordination der Höhe und des Zeitpunkts einer Preissteigerung sein (Schroeder in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union [54. Ergänzungslieferung 2014] Art 101 AEUV Rz 776).
 
 
Die mit den tatbestandsmäßigen Verhaltensweisen verbundenen horizontalen Preisregulierungen sind als „bezweckte“ Wettbewerbsbeschränkung anzusehen, da Preisabsprachen schon nach ihrem Wesen schädlich für den Wettbewerb sind, sodass es auf weitere Umsetzungshandlungen und Marktauswirkungen nicht mehr ankommt und diese nicht mehr geprüft werden müssen (Stockenhuber in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union [54. Ergänzungslieferung 2014] Art 101 AEUV Rz 179; 16 Ok 2/15b).

 
 
6. Deckangebote:
Die Aufteilung von Aufträgen zwischen Wettbewerbern stellt einen Unterfall des Kartellrechtsverstoßes „Aufteilung der Märkte“ iS des § 1 Abs 2 Z 3 KartG dar (16 Ok 5/08; Gugerbauer in Gugerbauer, KartG und WettbG3 § 1 KartG Rz 105).
Eine Marktaufteilung ist tatbestandsmäßig, unabhängig davon, ob der gesamte Markt oder nur ein Teil davon betroffen ist (Gugerbauer aaO). Durch die Koordinierung des Angebotsverhaltens in einem Ausschreibungsverfahren wird eine Reduktion des Bieterwettbewerbs erreicht, sodass dieses Verhalten auch als Kernverstoß der Aufteilung der Märkte zu qualifizieren ist (sogenanntes Submissionskartell).
Wenn nämlich zwischen den Wettbewerbern im Vorhinein vereinbart wird, wer den Zuschlag erhalten soll, und die von den Mitbewerbern abgegebenen Angebote derart (höher) kalkuliert sind, dass der von den Kartellanten ausgewählte Mitbewerber den Zuschlag erhält, wird jener Markt, in dem die Mitbewerber tätig sind (im konkreten Fall Fassadenbauleistungen) unter den Mitbewerbern durch Absprachen aufgeteilt, und damit die dem fairen Wettbewerb innewohnende Ungewissheit über das zukünftige Marktverhalten der Mitbewerber ausgeschaltet (EuGH C-RS 40/73).
 
 
Auch solche Formen der Kollusion zwischen Unternehmen, die im Anlassfall stattgefunden haben, sind ihrer Natur nach als schädlich für das gute Funktionieren des Wettbewerbs anzusehen und daher als bezweckte Kartellrechtsverstöße zu qualifizieren (EuGH C-32/11; 16 Ok 1/13, 16 Ok 10/16f).

 
 
7. Informationsaustausch
 
 
Eine typische Form der Abstimmung iSd § 1 KartG ist ein Informationsaustausch zwischen Wettbewerberinnen, der den Grad der Ungewissheit über das Marktgeschehen verringert oder beseitigt (EuGH C-7/95, EuGH C-8/08, EuGH C-286/13). Dies ist etwa der Fall, wenn die ausgetauschten Daten strategisch relevant sind (zB künftiges Preis- oder Mengenverhalten), da dadurch die Unabhängigkeit des Verhaltens der Wettbewerber auf dem Markt verringert und Wettbewerbsanreize gemindert werden (Vgl LL der Kommission zur Anwendbarkeit von Art 101 auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit 2011/C 11/01, Rz 61).
 
 
Die im Anlassfall ausgetauschten Informationen ermöglichten der Antragsgegnerin nicht nur Rückschlüsse auf die Strategien der daran beteiligten Mitbewerber zu ziehen (vgl 16 Ok 12/06), vielmehr wurde zukünftiges Marktverhalten bei Ausschreibungen zwischen den Wettbewerbern besprochen und marktstrategische Überlegungen offengelegt und Verhaltensweisen abgeglichen.
Solche horizontalen Marktinformationsaustauschsysteme, bei denen, wie hier, strukturiert wesentliche marktstrategisch relevante Preiskalkulationsinterna zwischen den Wettbewerbern weitergegeben werden, sind schon ihrer Natur nach geeignet, den Wettbewerb zu beschränken und sind daher als bezweckte Kernverstöße unter den Tatbestand der mittelbaren Festsetzung von Geschäftsbedingungen zu subsumieren (Schröter in Schröter/Jakob/Klotz/Mederer, Kommentar zum Europäischen Wettbewerbsrecht, Art 101 Abs 1 Rz 144).

 
 
8. Verschulden:
§ 29 KartG stellt klar, dass Geldbußen nur bei Verschulden zu verhängen sind. Der Unternehmer muss den Tatbestand vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführt haben. Das KartG definiert nicht näher, was unter Vorsatz und Fahrlässigkeit zu verstehen ist. Einschlägige Definitionen enthalten aber die strafrechtlichen Bestimmungen der § 5 f StGB und § 3 VbVG (16 Ok 2 /11).
Vorsätzlich handelt gemäß § 5 Abs 1 StGB, wer einen Sachverhalt verwirklichen will, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht; dazu genügt es, dass der Täter diese Verwirklichung ernstlich für möglich hält und sich mit ihr abfindet.
Demgegenüber handelt fahrlässig, wer die Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den Umständen verpflichtet und nach seinen geistigen und körperlichen Verhältnissen befähigt ist und die ihm zuzumuten ist, und deshalb nicht erkennt, dass er einen Sachverhalt verwirklichen könnte, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht (§ 6 Abs 1 StGB). Fahrlässig handelt auch, wer es für möglich hält, dass er einen solchen Sachverhalt verwirklicht, ihn aber nicht herbeiführen will (§ 6 Abs 2 StGB).
Gem § 3 Abs 1 VbVG, der nach kartelloberstgerichtlicher Rechtsprechung im Kartellverfahren analog anzuwenden ist (RS0124134 [T1]), ist ein Verband - ein solcher ist nach der Legaldefinition des § 1 Abs 2 leg.cit. insbesondere eine juristische Person – unter den weiteren Voraussetzungen des Abs 2 oder des Abs 3 für die Straftat verantwortlich, wenn 1. die Tat zu seinen Gunsten begangen worden ist oder 2. durch die Tat Pflichten verletzt worden sind, die den Verband treffen.
Die Voraussetzungen des § 3 Abs 1 VbVG sind hier erfüllt, weil durch die festgestellten Verhaltensweisen die Pflicht der Antragsgegnerin sich an das Wettbewerbsrecht zu halten verletzt wurden.
Für Straftaten eines Entscheidungsträgers ist gemäß § 3 Abs 2 VbVG der Verband verantwortlich, wenn der Entscheidungsträger als solcher die Tat rechtswidrig und schuldhaft begangen hat. Entscheidungsträger iSd VbVG ist nach dessen § 2 Abs 1, wer 1. Geschäftsführer, Vorstandsmitglied oder Prokurist ist oder aufgrund organschaftlicher oder rechtsgeschäftlicher Vertretungsmacht in vergleichbarer Weise dazu befugt ist, den Verband nach außen zu vertreten, 2. Mitglied des Aufsichtsrates oder des Verwaltungsrates ist oder sonst Kontrollbefugnisse in leitender Stellung ausübt, oder 3. Sonst maßgeblich Einfluss auf die Geschäftsführung des Verbandes ausübt.
Da im Anlassfall unstrittig das Verhalten von einem Organ der Antragsgegnerin gesetzt wurde, ist ein der Antragsgegnerin zurechenbares Verschulden an der Gesamtzuwiderhandlung im Sinne des § 29 KartG zu bejahen.
 
 
9. Verjährung:
Gemäß § 33 KartG darf eine Geldbuße nur verhängt werden, wenn der Antrag binnen fünf Jahren ab Beendigung der Rechtsverletzung gestellt wurde. Damit differenziert § 33 KartG nicht zwischen einmaligen, andauernden und fortgesetzten Zuwiderhandlungen bzw Zustands- und Dauerdelikten. Nach dem Gesetzeswortlaut muss das Verhalten insgesamt beendet sein, um den Beginn der Verjährungsfrist auszulösen (16 Ok 2/15b).
Bei Dauerdelikten ist zwischen dauernden und fortgesetzten Zuwiderhandlungen zu unterscheiden. Eine dauernde Zuwiderhandlung besteht aus einer andauernden Handlung, eine fortgesetzte aus mehreren Handlungen, die jede für sich die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllen. Somit handelt es sich bei einer dauernden Zuwiderhandlung um ein abgrenzbares rechtswidriges Verhalten, das ohne Unterbrechung über einen längeren Zeitraum gesetzt wird. Eine fortgesetzte Zuwiderhandlung liegt demgegenüber immer dann vor, wenn eine zu einer rechtlichen Einheit zusammengefasste Vielzahl rechtswidriger aufeinanderfolgender Verhaltensweisen oder mehrere abgrenzbare Handlungen, die auf die Durchführung einer einzigen Zuwiderhandlung gerichtet sind, erfolgen (16 Ok 2/15b).
Nach der Definition des Europäischen Gerichtshofs umfasst der Begriff der fortgesetzten Zuwiderhandlung eine Mehrzahl von rechtswidrigen Verhaltensweisen oder von Handlungen zur Durchführung einer einzigen Zuwiderhandlung, die durch ein gemeinsames subjektives Element zu einer Einheit verbunden sind (EuGH, C-235/92).
Der Begriff der einheitlichen Zuwiderhandlung erfasst eine Situation, in der mehrere Unternehmen an einer Zuwiderhandlung beteiligt waren, die aus einem kontinuierlichen Verhalten bestand, mit dem ein einziges wirtschaftliches Ziel verfolgt wurde, nämlich die Verfälschung des Wettbewerbs, oder an einzelnen Zuwiderhandlungen, die miteinander durch eine Übereinstimmung des Zwecks (dieselbe Zielsetzung sämtlicher Bestandteile) und der Personen (Übereinstimmung der beteiligten Unternehmen, die sich der Beteiligung am gemeinsamen Zweck bewusst waren) verbunden waren (16 Ok 2/15b).
Ein Verstoß gegen § 1 KartG kann sich daher nicht nur aus einer isolierten Handlung, sondern auch aus einer Reihe von Handlungen oder einem kontinuierlichen Verhalten ergeben. Bei der Einstufung unterschiedlicher Handlungen als einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung ist zu prüfen, ob zwischen ihnen insoweit ein Komplementaritätsverhältnis besteht, als jede von ihnen eine oder mehrere Folgen des normalen Wettbewerbs beseitigen soll und durch Interaktion zur Verwirklichung sämtlicher wettbewerbswidriger Wirkungen beiträgt, die ihre Urheber im Rahmen eines auf eine einheitliche Zielsetzung gerichteten Gesamtplans anstreben.
Insoweit sind alle Umstände zu berücksichtigen, die dieses Verhältnis belegen oder in Frage stellen können, wie der Anwendungszeitraum, der Inhalt (einschließlich der verwendeten Methoden) und im Zusammenhang damit die Zielsetzung der verschiedenen fraglichen Handlungen (16 Ok 2/15b).
 
 
Bei fortgesetzten Delikten, also solchen Verstößen, die aus mehreren Teilhandlungen bestehen, die in ihrer Begehungsweise gleichartig sind, in einem zeitlichen Zusammenhang stehen und von einem Gesamtvorsatz getragen sind, beginnt die Verjährungsfrist erst mit Beendigung des letzten Teilakts zu laufen (Bauer/Müller, Verjährung im Kartellrecht, ÖZK 2009, 23 [26]; vgl auch Maritzen, Die einheitliche und fortdauernde Zuwiderhandlung - ein kartellrechtliches Oxymoron?, ÖZK 2010, 92m 16 Ok 2/15b).
Im Anlassfall sind die dargelegten Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen nicht isoliert zu betrachten, sondern beruhten auf einem Gesamtsystem und dem Grundverständnis, sich bei Ausschreibungen gegenseitig zu unterstützen, indem Deckangebote gelegt wurden und den beteiligten Unternehmen sohin in abgesprochener Weise zur Zuschlagserteilung verholfen wurde, weshalb das Bündel der Kartellrechtsverstöße als eine einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung zu beurteilen ist.
Trotz der Beendigung der Gesamtzuwiderhandlung im September 2017 und der Einbringung des Antrags erst im Juni 2023 ist im gegenständlichen Fall keine Verjährung eingetreten, weil die die Verjährung unterbrechende Hausdurchsuchung (§ 33 Abs 1 KartG) bereits am 12.3.2019 stattgefunden hat.

 
 
Bemessung der Geldbuße:
 
 
Die Höhe der verhängten Geldbuße beruht auf der von der Antragsgegnerin nicht bestrittenen Ausmittlung durch die BWB.
 
 
Gemäß § 36 Abs 3 KartG darf das Kartellgericht über die beantragte Geldbuße nicht hinausgehen.
Die Bundeswettbewerbsbehörde hat die von ihr dargelegten Milderungsgründe und Erschwerungsgründe im Sinne des § 30 Abs 3 KartG angemessen berücksichtigt. Weitere Milderungsgründe sind nicht ersichtlich.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.“
 

Ausdruck vom: 20.05.2024 14:50:20 MESZ