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Kategorie:

Kartell

Dienststelle:

OLG Wien (009)

Aktenzeichen:

127 Kt 3/23p


Bekannt gemacht am:

26.02.2024

Entscheidungsdatum:

20.06.2023


 Gemäß § 28 Abs 1 iVm § 28 Abs 1a Z 1 KartG wird festgestellt, dass die Kostmann GesmbH mit Sitz in Burgstall 44, 9433 St. Andrä (FN 195813k) durch eine einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung in Form von kartellrechtswidrigen Preisabsprachenund/oder Preisabstimmungen, Marktaufteilungen und Informationsaustausch mit Mitbewerbern in Bezug auf öffentliche und private Ausschreibungen im Bereich Hoch- und Tiefbau in weiten Teilen Österreichs im Zeitraum von zumindest Juli 2002 bis Mai 2017 gegen § 1 Abs 1 KartG und Art 101 Abs 1 AEUV verstoßen hat.
Begründung:
Die Bundeswettbewerbsbehörde beantragte die Feststellung wie aus dem Spruch ersichtlich, zumal der Antragsgegnerin Kronzeugenstatus iSd § 11b Abs 1 WettbG zuerkannt wurde.
Der Bundeskartellanwalt schloss sich diesem Antrag an.
Die Antragsgegnerin trat dem Antrag und dem Vorbringen der Bundeswettbewerbsbehörde nicht entgegen.
 
Demnach steht folgender Sachverhalt fest:
A. Antragsgegnerin:
Die Antragsgegnerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit Sitz in Burgstall 44, 9433 St. Andrä im Lavanttal (FN 195813k). Sie steht im 100%igen Eigentum der Kostmann Verwaltungs GesmbH ebenso mit Sitz in Burgstall 44, 9433 St. Andrä im Lavanttal (FN 147139g), welche wiederum Mehrheitsbeteiligungen an der VRR Villacher Rohstoff und Recycling GmbH (100%), der Drau-Kies Gesellschaft m.b.H. (69,75%) sowie der KAB Kärntner Abfallbewirtschaftung GmbH (63,75%) innehat. Außerdem ist die Kostmann Verwaltungs GesmbH mit 45,01% an der Draubeton GesmbH, mit 37% an der Jauntaler Kies - Gesellschaft m.b.H., sowie mit 28,0033% an der Lieferasphaltgesellschaft JAUNTAL GmbH beteiligt. Die Antragsgegnerin bietet Leistungen im Wohn- und Industriebau, Erd- und Leitungsbau, im Asphaltbereich, sowie im Infrastruktur- und Ingenieurbau an. Außerdem gewinnen sie an Abbaustätten Rohstoffe, welche als Zuschlagstoffe und Kiese am Bau verwendet werden können. Die Antragsgegnerin ist auch im Transportbereich tätig.
B. Betroffener Wirtschaftszweig: Bauwirtschaft bzw Baugewerbe
Bei dem von der Gesamtzuwiderhandlung betroffenen Wirtschaftszweig handelt es sich um die Bauwirtschaft bzw das Baugewerbe. Dieser Wirtschaftszweig ist eine traditionelle Säule der heimischen Wirtschaft und umfasst die Planungs- und Ausführungsleistungen an Bauwerken. Bauwerke sind Objekte, deren fachgerechte Herstellung ein wesentliches Maß an bautechnischen Kenntnissen erfordert und die mit dem Boden kraftschlüssig verbunden sind. Dazu zählen etwa oberirdische Strukturen wie Gebäude, darunter Wohnbauten, Gesundheitsbauten, Schulbauten oder Verwaltungsbauten. Darüber hinaus werden auch Verkehrsbauwerke wie Gehwege, Fußgängertunnel, Straßenbauwerke oder Bauwerke für den Schienenverkehr unter den Begriff Bauwerk subsumiert.
Der Hochbau als Gegensatz zum Tiefbau ist jener Sektor der Bauwirtschaft, der sich mit der Planung und Errichtung von Bauwerken befasst, die mehrheitlich oberhalb der Geländelinie liegen. Im Hochbau werden grundsätzlich folgende Kategorien an Bauwerken unterschieden: Wohnungsbau, Verwaltungsbau, Gebäude für das Gesundheitswesen, Gebäude für Lehre und Forschung, Stadthallen, Bürgerzentren, Museen, Theater, Sportstätten, Freizeitanlagen, Einkaufszentren, Kaufhäuser und Industrie- und Produktionsgebäude. Damit fallen Wohngebäude, aber auch Büro- und große Industriegebäude sowie Wasserversorgungs-, Kanal- und Entwässerungsanlagen in den Bereich Hochbau. Keller und in den Boden eingelassene Fundamente gehören grundsätzlich nicht mehr zum Hochbau.
Der Tiefbau umfasst jene Bauwerke, die auf oder unter der Geländelinie errichtet werden. Damit sind nicht nur Fundamente bzw die Gründung eines Bauwerks vom Tiefbau erfasst, sondern auch der Straßen-, der Eisenbahn-, Stollen- und Tunnelbau sowie der Erdbau, bei dem Boden abgetragen, bewegt und am Ende wieder verdichtet wird. Auch die Errichtung von Versorgungs- und Entsorgungsnetzen, wie Kanalisationen und Staudämmen ist dem Tiefbau zuzurechnen. Brücken werden auch dem Verkehrswegebau zugerechnet. Zum Tiefbau zählen grundsätzlich folgende Kategorien an Bauwerken: Grundbau bzw Fundamente, Verkehrswegebau, Kanalbau, Erdbau, Brückenbau, Tunnelbau, Wasserbau, Spezialtiefbau und Siedlungswasserwirtschaft.
Der Straßenbau als Teilbereich des Tiefbaus umfasst die Planung, die Herstellung und die Erhaltung von Straßen und Wegen für den Fuß- und Fahrzeugverkehr. Gegenstand des Straßenbaus sind Autobahnen und Schnellstraßen, Gemeinde- und Landesstraßen sowie Fußgänger- und Radwege. Da Österreich insbesondere über ein vergleichsweise dichtes Autobahn- und Schnellstraßennetz verfügt, nimmt der Straßenbau naturgemäß einen besonderen Stellenwert in der Bauwirtschaft ein.
C. Gesamtzuwiderhandlung
1. Einleitung
Die Gesamtzuwiderhandlung betraf ein österreichweites Kartell, an dem bis zu 40 Bauunternehmen im unterschiedlichen Ausmaß beteiligt waren. Der Grad der Beteiligung variierte je nach Zeitraum, Region und Art des Bauvorhabens, wobei jedes einzelne der untengenannten Bauunternehmen im Rahmen ihres jeweiligen zeitlichen, regionalen und sachlichen Tätigkeitsbereiches zur Aufrechterhaltung und Funktionsfähigkeit der Gesamtzuwiderhandlung beigetragen hat.
Beinahe sämtliche Sparten der Bauwirtschaft im Bereich Hoch- und Tiefbau waren von der Gesamtzuwiderhandlung betroffen, wobei der Straßenbau als Teil des Tiefbaus eine besondere Rolle spielte. In diesem Zusammenhang ist es etwa zu Preisabsprachen, Marktaufteilungen bzw der Aufteilung von Bauvorhaben, Austausch wettbewerbssensibler Informationen (zB Abstimmungen über zukünftiges Verhalten bei Angebotsabgaben) und der Bildung kartellrechtswidriger Arbeits- und Bietergemeinschaften (ARGE und BIEGE) gekommen. Die Gesamtzuwiderhandlung erstreckte sich von zumindest Juli 2002 bis Oktober 2017 nahezu auf das gesamte österreichische Bundesgebiet und betraf eine hohe Anzahl an Bauvorhaben.
Die Antragsgegnerin war im Rahmen ihres zeitlichen, regionalen und sachlichen Tätigkeitsbereichs an dieser Gesamtzuwiderhandlung beteiligt, wobei die konkrete Beteiligung an der Gesamtzuwiderhandlung aufgrund der Unternehmensgröße nicht in demselben Umfang erfolgte, wie bei anderen, größeren beteiligten Unternehmen.
2. Ziel der Gesamtzuwiderhandlung:
Bei den nachstehend aufgezeigten wettbewerbsbeschränkenden Handlungen ging es den beteiligten Bauunternehmen darum, den Wettbewerb zu minimieren oder auszuschließen, um sich gegenseitig zur Erteilung von Aufträgen zu verhelfen und sich so unter anderem Marktanteile bzw eine kontinuierliche Auslastung zu sichern. Um dieses Ziel zu erreichen, stimmten sie bei einer Vielzahl an betroffenen Bauvorhaben ihre Preise und ihr Verhalten bei Angebotsabgaben ab. So verzichteten die Bauunternehmen bei den betroffenen Bauvorhaben bewusst auf die Abgabe wettbewerbsfähiger Angebote, indem sie entweder kein Angebot, oder ein bewusst überhöhtes Angebot („Deckangebot“ oder auch „Fahne“) abgaben („Zurückstehen“). Darüber hinaus tauschten sie in Bezug auf betroffene Bauvorhaben wettbewerbssensible Informationen aus, etwa das zukünftige Verhalten bei Angebotsabgaben.
Die wettbewerbsbeschränkenden Handlungen basierten auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit in der Erwartung, dass der Zurückstehende bei späteren Aufträgen selbst durch entsprechendes Verhalten der anderen beteiligten Bauunternehmen zum Auftrag gelangt und so insgesamt alle beteiligten Bauunternehmen vom mangelnden Wettbewerb profitieren. Dieses Prinzip wurde zum Teil durch die Vereinbarung eines Ausgleichs verstärkt (wobei die gegenseitigen Forderungen häufig saldiert bzw durch Arbeitsabtausch ausgeglichen wurden; in Einzelfällen kam es auch zu Ausgleichszahlungen).
So entstand ein nahezu österreichweites, gewachsenes, allgemein etabliertes Kollusionssystem, mit dem sich die Unternehmen über das jeweilige Angebots- und Marktverhalten abstimmten bzw informierten, um in weiterer Folge das eigene Marktverhalten bei den betroffenen Ausschreibungen daran anzupassen. Dieses Kollusionssystem ist als ein einheitliches Gesamtsystem zu betrachten. Auf diesem Wege haben die beteiligten Unternehmen bezweckt, sich gegenseitig zur Erteilung von Aufträgen zu verhelfen, ohne oder zumindest nur in einem geringeren Ausmaß befürchten zu müssen, von einem günstigeren Angebot im Wettbewerb unterboten zu werden. Damit wurde über weite Strecken der Wettbewerb zwischen den beteiligten Bauunternehmen von vornherein ausgeschaltet und der Zweck von Ausschreibungen unterwandert.
3. Elemente der Gesamtzuwiderhandlung:
a) Preisabsprachen:
Im Rahmen der Gesamtzuwiderhandlung wurden zwischen den beteiligten Unternehmen vielfach die in Ausschreibungen abzugebenden Preise vereinbart oder abgestimmt. Es wurde auch besprochen, dass ein Wettbewerber überhaupt kein Angebot legen wird. Bei den betroffenen Bauvorhaben kamen die beteiligten Bauunternehmen so etwa überein, welche Angebotssumme der designierte Auftragsempfänger anbietet. Die restlichen beteiligten Unternehmen boten in der Folge entweder zu einem höheren Preis oder gar nicht an. Oftmals kontaktierte der Initiator der Preisabsprache die zurückstehenden Wettbewerber und gab ihnen eine Angebotssumme vor (entweder in Form einer Summe oder eines fertigen Deckangebots).
b) Marktaufteilungen bzw Aufteilung von Bauvorhaben:
Im Rahmen der Gesamtzuwiderhandlung wurden von den beteiligten Unternehmen auch Aufteilungen von Märkten bzw die Aufteilung von Bauvorhaben besprochen. In zahlreichen Fällen einigten sich die beteiligten Unternehmen im Vorhinein, welches Bauunternehmen den jeweiligen Auftrag erhalten soll, um im nachfolgenden Ausschreibungsverfahren der Absprache entsprechende oder keine Angebote abzugeben. Zuweilen erfolgte auch eine Aufteilung von Bauvorhaben auf der Grundlage von Quoten (von manchen beteiligten Unternehmen als „fixer Schlüssel“ bezeichnet), die den (historischen) Marktanteilen der jeweiligen beteiligten Unternehmen entsprachen. Neben solchen Kundenaufteilungen kam es auch zu Aufteilungen von Gebieten. So herrschte in manchen Regionen Einigkeit darüber, welches Bauunternehmen für Ausschreibungen in welchem Gebiet zuständig war. Die anderen beteiligten Bauunternehmen standen bei diesen Ausschreibungen zurück.
c) Austausch von wettbewerbssensiblen Informationen:
Im Rahmen der Gesamtzuwiderhandlung kam es neben den beschriebenen Preisabsprachen und Marktaufteilungen bzw Aufteilung von Bauvorhaben begleitend auch zu einem laufenden Austausch wettbewerbssensibler Informationen, wie zB über das zukünftige Verhalten bei Angebotsabgaben.
d) Sonderfall: Kartellrechtswidrige ARGE:
ARGE sind projektbezogene Zusammenschlüsse mehrerer Bauunternehmen zur gemeinsamen Ausführung eines Auftrages. Im Rahmen der Gesamtzuwiderhandlung wurden vereinzelt ARGE als Deckmantel für wettbewerbsbeschränkende Handlungen genutzt. So wurden ARGE gegründet, die für die Bauunternehmen objektiv nicht notwendig waren, um an der jeweiligen Ausschreibung teilnehmen zu können, und nur als „Schnittstelle“ für die Festsetzung eines gemeinsamen Angebotspreises und die Aufteilung des Auftrages diente.
Darüber hinaus ist es auch zur Beteiligung eines Bauunternehmens an einer ARGE gekommen („stille ARGE“). In diesem Fall traten nicht alle ARGE-Partner als solche nach außen und gegenüber dem Auftraggeber in Erscheinung, waren aber im Innenverhältnis Beteiligte der ARGE. Dies diente insbesondere dazu, die Vorgaben des Auftraggebers in Bezug auf die Höchstzahl der zugelassenen ARGE-Partner unzulässigerweise zu umgehen.
4. Umsetzung der Gesamtzuwiderhandlung durch wettbewerbswidrige bi- und multilaterale Kontakte:
a) Gesprächsrunden:
Gesprächsrunden wurden, abhängig vom Zeitpunkt der Ausschreibung, je nach Bedarf ein- oder mehrmals im Jahr zwischen den beteiligten Unternehmen organisiert. Gesprächsrunden fanden zumeist in einer der Niederlassungen der an den konkreten Absprachen beteiligten Bauunternehmen statt. Im Rahmen dieser Gesprächsrunden wurde das Bauunternehmen, das den Auftrag für ein bestimmtes Bauvorhaben bekommen sollte, und dessen Abgabepreis festgelegt. Zudem wurde vereinbart, dass die zurückstehenden Wettbewerber ein Angebot abgeben, das über dem gemeinsam festgelegten Abgabepreis des designierten Auftragsempfängers liegt. Zum Teil wurden auch die Abgabepreise der zurückstehenden Wettbewerber vom designierten Auftragsempfänger vorgegeben („Preisvorgabe“).
b) Bilaterale Kontakte:
Kartellrechtswidrige bilaterale Kontakte unter Wettbewerbern fanden sowohl telefonisch als auch persönlich statt. Bilaterale Gespräche zu wettbewerbssensiblen Themen wurden immer wieder ergänzend zu den oben genannten größeren Gesprächsrunden, aber auch unabhängig davon geführt. Bilaterale persönliche Treffen fanden in Räumlichkeiten der Niederlassungen von an der Gesamtzuwiderhandlung beteiligten Bauunternehmen oder außerhalb dieser (zB in Lokalen oder auf Baustellen) statt.
Die kartellrechtswidrigen bilateralen Kontakte unter Wettbewerbern wurden ua dazu genutzt, sich über die Interessenslage hinsichtlich bestimmter Bauvorhaben zu informieren, konkrete Vorgehensweisen zu vereinbaren oder sich über zukünftiges Verhalten bei der Angebotsabgabe auszutauschen. Dabei trat man insbesondere mit jenen Wettbewerbern in Kontakt, die man bereits aus den Gesprächsrunden, von früheren wettbewerbswidrigen Kontakten, von ARGE oder privat kannte.
Nach einer bilateralen Vereinbarung wurden zum Teil auch weitere Wettbewerber kontaktiert und ebenso miteinbezogen, indem diese etwa zum Zurückstehen bei einer bestimmten Ausschreibung aufgefordert wurden.
Zu kartellrechtswidrigen bilateralen Kontakten kam es auch oft im Rahmen von notwendigen Kontakten bei laufenden ARGE oder sonstigen Kooperationen wie zB Asphaltmischwerken, aber auch am Rande von Veranstaltungen der Bauwirtschaft (zB Veranstaltungen der GESTRATA-Gesellschaft zur Pflege der Straßenbautechnik mit Asphalt).
c) Deckangebote:
Auch die Übermittlung von Deckangeboten spielte bei der Umsetzung von Preisabsprachen eine wichtige Rolle. Sie zielte darauf ab, die Auftragserteilung an einen zuvor bestimmten Wettbewerber so weit wie möglich zu gewährleisten und so das Risiko des Wettbewerbs zu minimieren oder auszuschließen. Jenes Bauunternehmen, das in Übereinstimmung mit den sonstigen beteiligten Unternehmen zum Zug kommen sollte, übermittelte fertige, höhere Leistungsverzeichnisse bzw vorausgefüllte Angebotsunterlagen (Deckangebote, auch als „Fahne“, „Ente“ oder „0-Lauf“ bezeichnet). Dadurch reduzierte sich bei den beteiligten Unternehmen der zeitliche und finanzielle Aufwand für die Angebotserstellung.
Zumeist kalkulierte der zuvor gemeinsam designierte Auftragsempfänger die Angebotspreise der zurückstehenden Wettbewerber höher und übermittelte diese in Form eines Datenträgers per E-Mail, Fax oder auch persönlich. Die zurückstehenden Wettbewerber gaben sodann diese Deckangebote zum Schein als von ihnen eigens kalkulierte Angebote ab.
In handschriftlichen Aufzeichnungen wurde immer wieder ein Fahnensymbol oder als Kennzeichen für die Übermittlung eines Deckangebotes verwendet. Dadurch wussten die handelnden Personen unmittelbar worum es ging.
Der E-Mail-Text bei der Übermittlung von Deckangeboten wurden in aller Regel kurz gehalten. Deckangebote wurden im E-Mail-Text, in der Dokumentenbezeichnung oder im Betreff auch als „Subangebot“ bezeichnet.
d) Kontakte im Rahmen der Zusammenarbeit in Asphaltmischwerken:
Asphaltmischwerke spielen auf Grund ihrer Zulieferfunktion eine zentrale Rolle im Straßenbau. Wettbewerbswidrige Handlungen, die den Straßenbau betrafen, erfolgten daher auch im Rahmen der Zusammenarbeit von Wettbewerbern in Asphaltmischwerken, die oft als Gemeinschaftsanlagen geführt wurden. Zudem waren auch zahlreiche Bauunternehmen, welche eigenständig Mischanlagen (Eigenanlagen) betrieben, an kartellrechtswidrigen Handlungen beteiligt.
In der Regel trafen die an den wettbewerbsbeschränkenden Handlungen beteiligten Bauunternehmen entsprechend des in Prozent festgelegten Marktanteils am Mischgutverbrauch (angegeben in Mischguttonnen) eine Einigung darüber, welcher Wettbewerber für welche Bauvorhaben die Auftragserteilung erhalten sollte. Wurde der jeweilige Schlüssel am Jahresende über- oder unterschritten, wurde die Differenz auf das nächste Jahr vorgetragen. Diese Aufteilung erfolgte zumeist nach Mischguttonnen, in seltenen Fällen auch nach der Anzahl der Projekte oder nach dem Umsatzvolumen auf dem jeweiligen Straßenbaumarkt.
Die an der Gesamtzuwiderhandlung beteiligten Bauunternehmen legten auch den Preis für Mischgut fest (anhand eines „Mittelpreises“, der sich am Vorjahrspreis orientierte). Das Bauunternehmen, das den Auftrag erhalten sollte, legte dann eine Angebotssumme fest. Die zurückstehenden Bauunternehmen gaben hingegen Angebote mit höheren Preisen oder kein Angebot ab.
e) Kontakte mittels E-Mail/Telefon/Fax:
Zum Teil kam es mittels E-Mail, Telefon und Fax zum Austausch von wettbewerbssensiblen Informationen oder auch zu Preisabsprachen und Marktaufteilungen bzw Aufteilungen von Bauvorhaben. Diese erfolgten entweder ergänzend zu den Gesprächsrunden und kartellrechtswidrigen bilateralen Kontakten als auch unabhängig davon. Zumeist wurde jedoch auf einen schriftlichen Austausch verzichtet, um Aufzeichnungen zu vermeiden. Kontakte per E-Mail wurden wohl primär aus Praktikabilitätsgründen für das Versenden von Deckangeboten genutzt.
Im Rahmen der beschriebenen Kontakte wurden teilweise auch verschlüsselte Formulierungen verwendet. So wurde teilweise im Straßenbau die Nummer der betroffenen Straße und die Höhe des Deckangebots als „Haus Nr.“ beizeichnet.
f) Diskrete Behandlung der Kontakte:
Die an den wettbewerbsbeschränkenden Handlungen beteiligten Bauunternehmen verzichteten zum Großteil bewusst auf Aufzeichnungen. Den unmittelbar beteiligten Mitarbeitern war bewusst, dass es sich um kein „Kavaliersdelikt“ handle, weshalb Aufzeichnungen und E-Mails bewusst vermieden, oder nach Abschluss der abgesprochenen Bauvorhaben vernichtet wurden. Aufgrund der Dauer und Intensität der wettbewerbsbeschränkenden Handlungen war es für die kartellierenden Bauunternehmen jedoch organisatorisch nicht möglich, auf jede Form von Aufzeichnung zu verzichten bzw alle Beweise zu vernichten.
5. Instrumente zur Aufteilung von Bauaufträgen:
a) Bieterrotation:
Ein Instrument zur Aufteilung von Bauaufträgen war die Organisation mittels Bieterrotation. Dabei kamen Wettbewerber überein, dass sie hinsichtlich bestimmter Bauvorhaben wechselseitig zum Zug kommen und sich dabei gegenseitig durch die Abgabe von höheren Deckangeboten oder gänzliches Verzichten auf eine Angebotslegung unterstützen. Bieterrotationen sind auch im Sinne eines von den Bauunternehmen so bezeichneten „Kampfschutzes“ oder „Vollschutzes“ zur Anwendung gekommen. Dabei wurden beim „Vollschutz“ alle für die Ausschreibung relevanten Wettbewerber in die Kartellabsprache eingebunden. Die beteiligten Bauunternehmen konnten davon ausgehen, dass keine anderen (nicht an der Kartellabsprache beteiligten) Bauunternehmen ein Angebot legen würden. Der Wettbewerb wurde im Rahmen des „Vollschutzes“ gänzlich ausgeschlossen. Er bot daher eine sehr hohe Sicherheit für die Umsetzung des gewünschten Ergebnisses.
Beim „Kampfschutz“ wurde nur ein Teil der für eine Ausschreibung relevanten Wettbewerber (zB fünf von insgesamt zehn) in die Kartellabsprache eingebunden. Diese Gruppe von Wettbewerbern einigte sich auf einen designierten Auftragsempfänger und bot folglich so an, dass sie sich nicht gegenseitig unterbieten. Im Unterschied zum „Vollschutz“ nahmen auch Bauunternehmen außerhalb der am „Kampfschutz“ beteiligten an der Ausschreibung teil, dennoch wurde das Risiko des Wettbewerbs erheblich minimiert.
b) Interne Submission:
Im Vorfeld von Angebotsabgaben kam es in einigen Fällen auch zu „internen Angebotsöffnungen“ (auch „interne Submission“ genannt) bei denen die Mitbewerber vor der offiziellen Angebotsabgabe ihre Angebotspreise untereinander offenlegten. Dieses Vorgehen diente als Mittel der Entscheidungsfindung, welches der beteiligten Unternehmen den Auftrag bei der tatsächlichen Ausschreibung erhalten sollte.
c) Fixer Schlüssel:
Für die Aufteilung von Aufträgen wurde zum Teil auch ein (von manchen Unternehmen so bezeichneter) „fixer Schlüssel“, dh eine Quote vereinbart, die jedem beteiligten Unternehmen zustand. Der „fixe Schlüssel“ richtete sich dabei in der Regel nach den geschätzten Marktanteilen oder orientierte sich insbesondere im Straßenbau an der geschätzten Gesamtmenge des zu verbauenden Asphaltmischguts pro Jahr.
6. Kartellstabilisierende Maßnahmen:
Die Umsetzung der Gesamtzuwiderhandlung wurden durch die nachstehend genannten kartellstabilisierenden Maßnahmen abgesichert und verstärkt. Damit sollte sichergestellt werden, dass sich die beteiligten Unternehmen an das Vereinbarte auch tatsächlich halten, jedes an den wettbewerbsbeschränkenden Handlungen beteiligte Bauunternehmen in einem vorgesehenen Ausmaß zum Zug kommt und somit das Kollusionssystem aufrecht und stabil bleibt.
a) Punktesystem:
Einer dieser kartellstabilisierenden Mechanismen war die Gegenverrechnung anhand eines „Punktesystems“: Da ein größerer Teil der beteiligten Unternehmen regelmäßig in verschiedenen Ausschreibungsverfahren aufeinandertraf, wurde mithilfe der Vergabe von „Punkten“/„Anteilen“/„Prozenten“ der Netto-Angebotssumme (typischerweise iHv 0,5-1,5%, teilweise auch mehr) ein finanzieller Interessensausgleich unter den beteiligten Unternehmen sichergestellt. Der durch diesen Prozentsatz errechnete Betrag wurde dem zurückstehenden Bauunternehmen wiederum als Forderung gegen den designierten Auftragsempfänger gutgeschrieben.
Einige der beteiligten Bauunternehmen führten Aufzeichnungen über die sich aus diesem Punktesystem ergebenden „Forderungen und Verbindlichkeiten“ gegenüber den anderen beteiligten Bauunternehmen (auch als „Kontokorrentverhältnis“ zeichnet). Diese Verbindlichkeiten wurden immer wieder saldiert oder durch Ausgleichsleistungen ausgeglichen. In manchen Fällen blieben Restforderungen und Verbindlichkeiten jedoch über längere Zeit bestehen.
Die Kontaktaufnahme für die Aufrechterhaltung des Punktesystems erfolgte zB telefonisch. Der an dem Auftrag Interessierte erkundigte sich bei seinen Wettbewerbern, ob diese zurückstehen würden. Für das Zurückstehen verlangte der Wettbewerber sodann Punkte.
In Aufzeichnungen wurde neben den Bezeichnungen der kontaktierten Unternehmen (zT mit Kontaktnamen und Telefonnummer) „o.k.“ oder ein Häkchen als Hinweis vermerkt, dass eine Preisabsprache stattgefunden hat. Weiters wurden Aufzeichnungen über den vereinbarten Ausgleich, dh nach dem Punktesystem oder andere Ausgleichsleistungen, gemacht.
b) Ausgleichsleistungen:
Zurückstehende Mitbewerber wurden neben den oben beschriebenen Punkten mitunter auch mit „Ausgleichsleistungen“ entlohnt, wie etwa mit Subaufträgen (zB im Sinne einer „Beteiligung“ am Bauvorhaben), Arbeitsabtausch, der Lieferung oder Abnahme von Leistungen unter bevorzugten Konditionen, beispielsweise Asphaltmischgut, sonstiges Material oder Geräte, oder den Bezug von größeren Abnahmemengen von Asphaltmischgut oder Beton sowie in bestimmten Fällen auch durch Ausgleichszahlungen. Ausgleichsleistungen standen zurückstehenden Mitbewerbern auch dann zu, wenn der Mitbewerber zu dessen Gunsten man zurückgestanden war, den Zuschlag nicht erhielt.
In den meisten Fällen erfolgte die Ausgleichsleistung durch den Abtausch gegen andere Bauvorhaben („Arbeitsabtausch“).
Es kam auch vor, dass Punkte und Ausgleichsleistungen, wie (in unterschiedlichem Ausmaß) Ausgleichszahlung und (in der Regel) Arbeitsabtausch, gemeinsam vereinbart wurden, je nachdem, was die konkret beteiligten Unternehmen für das Zurückstehen verlangten.
In Fällen, in denen es zu Ausgleichszahlungen oder
-leistungen kam, wurden diese entweder als Pauschalsumme oder als Anteil vereinbart. Es gab konkrete Festlegungen für einen jeweils vorgesehenen Ausgleich, wobei im Einzelfall dieser vom „Delta“ ermittelt wurde. Die Berechnungen der Ausgleichsleistung erfolgten auch auf Grundlage eines Kartellaufschlags (auch als „Delta“ bezeichnet). Für die Auszahlung einer Ausgleichsleistung wurden vereinzelt auch Scheinrechnungen erstellt.
7. Räumliche und zeitliche Ausdehnung:
Die Gesamtzuwiderhandlung erstreckte sich nahezu auf das gesamte Bundesgebiet Österreichs und dauerte jedenfalls zumindest von Juli 2002 bis Oktober 2017 an. Die Antragsgegnerin war an dieser Gesamtzuwiderhandlung im Rahmen ihres zeitlichen, räumlichen und sachlichen Tätigkeitsbereichs bis 17.05.2017 (Setzung ihres Markers im Rahmen des Kronzeugenprogramms) unmittelbar beteiligt .
8. Zusammenfassung:
Die Antragsgegnerin und die weiteren an der Gesamtzuwiderhandlung beteiligten Unternehmen schränkten (in unterschiedlichem Ausmaß) in Österreich über einen langen Zeitraum – zumindest von Juli 2002 bis Oktober 2017 (bzw im Fall der Antragsgegnerin längstens bis zum 17.05.2017) – den Wettbewerb systematisch ein bzw schlossen ihn aus, um sich gegenseitig zur Erteilung von Aufträgen zu verhelfen. Dazu trafen die beteiligten Bauunternehmen in Bezug auf die betroffenen Bauvorhaben unter anderem Preisabsprachen und/oder -abstimmungen, sie nahmen Marktaufteilungen bzw Aufteilungen von Bauvorhaben vor, tauschten wettbewerbssensible Informationen aus (zB über zukünftiges Verhalten bei Angebotsabgabe) oder bildeten vereinzelt auch kartellrechtswidrige ARGE.
Über einen Zeitraum von wohl mehreren Jahrzehnten ist so österreichweit ein Kollusionssystem gewachsen, das als ein Gesamtsystem zu sehen ist. Dieses System zeigt sich nicht zuletzt anhand der Häufigkeit und dem Selbstverständnisses der Abstimmungspraxis: Die Antragsgegnerin und die weiteren an der Gesamtzuwiderhandlung beteiligten Unternehmen haben über einen langen Zeitraum wiederkehrend und im Grundverständnis, sich jederzeit kontaktieren zu können, ihr Verhalten in Bezug auf eine Vielzahl betroffener Bauvorhaben aufeinander abgestimmt und wesentliche Wettbewerbsparameter abgesprochen, um so untereinander bestehenden oder möglichen Wettbewerb zu beschränken bzw gänzlich auszuschließen. Das Ausmaß der Beteiligung der Unternehmen variierte je nach Zeitraum, Region und Art des Bauvorhabens abhängig vom jeweiligen Tätigkeitsbereich, wobei jedes einzelne Unternehmen im Rahmen seiner Beteiligung zur Aufrechterhaltung und Funktionsfähigkeit der Gesamtzuwiderhandlung beitrug.
Die wettbewerbsbeschränkenden Handlungen wurden zumeist innerhalb eines Bauunternehmens von Vorgängern an nachfolgende Mitarbeiter weitergegeben („vererbt“) und beim Arbeitsplatzwechsel von einem Bauunternehmen zum nächsten mitgenommen. Die Mitarbeiter der beteiligten Bauunternehmen waren spätestens ab dem Zeitpunkt, zu dem sie die (Letzt-)Verantwortung für die Akquise von Bauvorhaben übernahmen, mit diesen wettbewerbsbeschränkenden Handlungen regelmäßig konfrontiert und übernahmen diese in ihre Arbeitsweise.
Dieses Kollusionssystem bestand aus verschiedenen komplexen Elementen, die es den beteiligten Bauunternehmen ermöglichten, auf regionale Gegebenheiten bzw Unterschiede in den einzelnen Bausparten flexibel einzugehen und damit die Gesamtzuwiderhandlung nahezu österreichweit (in unterschiedlicher Intensität) wirksam umzusetzen. Auch wenn diese Elemente auf jeweils unterschiedliche Arten umgesetzt wurden, ist all den Umsetzungshandlungen und Instrumenten ein gemeinsames Ziel immanent, nämlich den Wettbewerb zu minimieren bzw auszuschließen, um die Erteilung von Aufträgen zu beeinflussen und sich so unter anderem Marktanteile bzw eine kontinuierliche Auslastung zu sichern.
D. Unmittelbare Beteiligung der Antragsgegnerin an der Gesamtzuwiderhandlung:
1. Einleitung:
Die Antragsgegnerin war an abgesprochenen Bauvorhaben insbesondere in den Bundesländern Kärnten, Steiermark und Niederösterreich, sowie betreffend einzelne, bestimmte Projekte in den Bundesländern Wien, Oberösterreich und Burgenland unmittelbar beteiligt, und zwar im zeitlichen Verlauf entsprechend der Entwicklung ihrer Geschäftstätigkeiten und bezogen auf ihren regionalen Tätigkeitsschwerpunkt. Insoweit kam der Antragsgegnerin bei der Umsetzung der Gesamtzuwiderhandlung eine gewichtige Rolle zu.
Konkret stellt sich die unmittelbare Beteiligung der Antragsgegnerin wie folgt dar:
  • in Kärnten seit 2002/2003,
  • in der Steiermark von 2002 bis 2007 im Leitungsbau, ab 2012 (mit Inbetriebnahme einer Mischanlage in der Südsteiermark) auch im Straßenbau, dazu kommen einzelne Projekte in 2009/2010,
  • in Niederösterreich von 2008 bis 2012 punktuell betreffend einzelner Sonderprojekte und ab 2013/2014 auch betreffend Landesstraßen im Bereich der Bauabteilung 4 sowie in Einzelfällen in Bezug auf die Bauabteilungen 1 und 2
  • in Wien 2010 und 2012/2013 bei jeweils einem Projekt, 2014 bei zwei Projekten und 2017 bei einem Projekt,
  • in Oberösterreich 2009, 2010 und 2011 bei jeweils einem Projekt und 2014 bei zwei Projekten, und
  • im Burgenland 2012 bei drei Projekten und 2014 bei zwei Projekten.
2. Kärntner Landesregierung:
a) Einleitung:
Bei Ausschreibungen des Landes Kärnten im Bereich Straßen- und Verkehrswegebau nahm die Antragsgegnerin im Rahmen der Umsetzung der Gesamtzuwiderhandlung ab etwa 2002/2003 (aufgrund der Einbindung Schritt für Schritt durch die etablierten Bauunternehmen zunächst punktuell, später häufiger) an langjährigen Preisabsprachen, Marktaufteilungen bzw Aufteilungen von Bauvorhaben und Austausch über zukünftiges Abgabeverhalten teil. Die Antragsgegnerin war an den wettbewerbsbeschränkenden Handlungen, die im Rahmen von persönlichen Gesprächsrunden und bilateralen Kontakten stattfanden, wesentlich beteiligt. Alleine von 2004 bis 2016 wurden über 500 Bauvorhaben von den beteiligten Unternehmen abgesprochen. Die Häufigkeit der Beteiligung an Absprachen seitens der Antragsgegnerin und das Ausmaß der Kontakte variierten im Zeitverlauf.
b) Beteiligte Bauunternehmen:
[…]
c) Gesprächsrunden / fixer Schlüssel:
Die wettbewerbsbeschränkenden Handlungen wurden im Rahmen von (sowohl regelmäßigen wie auch anlassbezogenen) Gesprächsrunden zwischen den konkret involvierten Wettbewerbern organisiert. In Zeiten häufiger Abstimmung fanden Treffen im Durchschnitt zehn bis fünfzehn Mal pro Jahr statt. Dabei nahmen die Wettbewerber eine Aufteilung bestimmter Bauvorhaben vor. Dies erfolgte anhand eines (von manchen Unternehmen so bezeichneten) fixen Schlüssels (teilweise auch als „Beteiligungsprozentsatz“ bezeichnet), dem die bestehenden Marktanteile der Mischgutanlagen zugrunde gelegt wurden. Im Einzelnen wurde auf die Instrumente des Vollschutzes oder des Kampfschutzes zurückgegriffen.
d) Begleitende (bilaterale) Preisabsprachen, Marktaufteilungen und Informationsaustausch:
Begleitend zu den Gesprächsrunden fanden auch regelmäßig und anlassbezogen bilaterale wettbewerbsbeschränkende Handlungen (persönlich, telefonisch oder per E-Mail) statt.
e) Betroffene Bauvorhaben:
Im Rahmen der wettbewerbsbeschränkenden Handlungen waren vorrangig Ausschreibungen des Landes Kärnten zu mischgutlastigen Bauvorhaben, also solche mit einem zu liefernden Mischgutanteil von über 60% des gesamten Auftragsvolumens, im Bereich Tief- und Straßenbau (also va Asphaltierungsarbeiten) betroffen. Dies war bei ca 20-30 Ausschreibungen pro Kalenderjahr der Fall. Insgesamt sind über 500 Bauvorhaben mit einem Gesamtangebotsvolumen iHv über EUR 170 Mio betroffen, unter anderem folgende (soweit dabei „vermutl“ vermerkt ist, ist die genaue Bezeichnung des Bauvorhabens oder das Jahr fraglich, nicht aber, dass es zu wettbewerbsbeschränkenden Handlungen unter Beteiligung der Antragsgegnerin kam):
Datum
Bauvorhaben
2013/2014
Ortsdurchfahrt St. Georgen u.a.
2013 (vermutl)
B83 Arnoldstein – Tarviser Weg – Radweg
April 2013
 
St. Jakob, Einbindung B70
Oktober 2012
B91, Klagenfurt, Einbindung B70d-L97
Juni 2013
Nockalmstraße – Asphaltierungen 2013
Februar 2009
(vermutl) ARGE B80a Lippitzbacher Straße
Oktober 2009
(vermutl) ARGE L140 Michaelsdorf Eitweg
November 2009
(vermutl) ARGE B111 Einbindung L33
Dezember 2008
B78, Obdacher Straße, Umfahrung Bad St. Leonhard (A2 Zubringer Schiefling)
August 2007
(vermutl) ARGE L128 Kühnsdorf-Mitlern
Unbekannt
Kreisverkehr Eberndorf
3. Steiermärkische Landesregierung:
3.1. Sonderbudget des Landes Steiermark:
a) Einleitung:
Bei den Ausschreibungen der Abteilung 16 Verkehr und Landeshochbau des Amts der Steiermärkischen Landesregierung zum Sonderinvestitionsprogramms 2013 ("Sonderbudget des Landes Steiermark") nahm ua die Antragsgegnerin an Preisabsprachen, Marktaufteilungen bzw Aufteilungen von BVH und einem Austausch über zukünftiges Abgabeverhalten teil. Die Ausschreibungen wurden von der Abteilung 16 des Amts der Steiermärkischen Landesregierung als offene Verfahren im Zeitraum 30.07.2013 bis 18.09.2013 organisiert. Von den wettbewerbsbeschränkenden Handlungen waren alle der 32 ausgeschriebenen Straßenbauvorhaben mit einem Gesamtbauvolumen von rund EUR 15 Mio betroffen.
Die wettbewerbsbeschränkenden Handlungen erfolgten in Umsetzung der Gesamtzuwiderhandlung im Rahmen von bereits bestehenden regelmäßigen Kontakten anhand vorab durchgeführter „interner Submissionen“. Ziel der wettbewerbsbeschränkenden Handlungen war es, die Bauvorhaben untereinander aufzuteilen und nicht-steiermärkische Mischgutproduzenten vom Markteintritt abzuhalten.
b) Beteiligte Bauunternehmen:
[…]
c) Interne Submissionen:
Für die Umsetzung der „internen Submissionen“ (auch als „interne Angebotsöffnung“ bezeichnet) trafen sich die beteiligten Unternehmen vor der offiziellen Angebotslegung und gaben sich gegenseitig ihre Angebotspreise bekannt. Auf dieser Grundlage wurde schließlich jenes Bauunternehmen bestimmt, welches nach dem übereinstimmenden Willen aller beteiligten Bauunternehmen in der Ausschreibung obsiegen sollte (dies war in der Regel das Bauunternehmen mit dem billigsten „internen“ Angebotspreis. Die anderen beteiligten Unternehmen mussten in weiterer Folge zurückstehen und ein höheres Angebot - zugunsten des designierten Ausschreibungsgewinners - legen. Anhand solcher „interner Submissionen“ wurden alle 32 Straßenbauausschreibungen aufgeteilt.
Im Zuge der „internen Submissionen“, bei denen die teilnehmenden Mitbewerber vorab ein internes Angebot legten, um jenes Unternehmen zu eruieren, welches nach dem übereinstimmenden Willen aller beteiligten Unternehmen im Vergabeverfahren obsiegen sollte, wurde auch der offizielle Angebotspreis festgelegt. Zu diesem Zweck wurde von den beteiligten Bauunternehmen bei der tatsächlichen Angebotslegung auf die intern gebotenen Preise ein Aufschlag von etwa 5 bis 25% (vereinzelt mehr) hinzugerechnet, und zwar gestaffelt nach der Reihenfolge laut interner Angebotslegung. Der jeweils um diesen Prozentsatz erhöhte interne Angebotspreis bildete den offiziellen Angebotspreis jedes Bauunternehmens. Die Höhe dieses Prozentsatzes bzw Aufschlages richtete sich nach der zu erwartenden Konkurrenzsituation durch die übrigen Wettbewerber (die nicht an der Kartellabsprache teilnahmen).
d) Ausgleichssystem:
Unter einigen Beteiligten erfolgte schließlich in Bezug auf die Bauvorhaben zum Sonderbudget Steiermark ein gestaffelter Ausgleich, indem der Aufschlag unter allen an den „internen Submissionen“ beteiligten Bauunternehmen in Form eines festgelegten (von manchen Unternehmen so bezeichneten) „fixen Schlüssels“ verteilt wurde. Der „Billigstbieter“ erhielt den höchsten Anteil iHv 25% des Aufschlags, die übrigen Bieter teilten sich die restlichen 75% wie folgt auf: 2. Bieter: 12%, 3. Bieter: 11%, 4. Bieter: 11%, 5. Bieter: 11%, 6. Bieter: 10%, 7. Bieter: 8%, 8. Bieter: 5%, 9. Bieter: 4%, 10. Bieter: 3%.
Zumindest einige der beteiligten Unternehmen führten Aufzeichnungen über die sich aus diesem System ergebenden Forderungen und Verbindlichkeiten gegenüber den anderen beteiligten Unternehmen. Ein Ausgleich unter den beteiligten Unternehmen erfolgte zumeist über einen Arbeitsabtausch. Teilweise wurde Ausgleichszahlungen auch im Wege von Gegenverrechnungen über eine Mischgutlieferung, Schotter oder Mieten für Geräte oder Kosten für eine Mannschaft getätigt.
3.2. Ausschreibungen der Abteilung 7 Ländlicher Wege bau
a) Einleitung:
Bei den Ausschreibungen der Abteilung 7 - Gemeinden, Wahlen und ländlicher Wegebau des Amtes der Steiermärkischen Landesregierung nahm die Antragsgegnerin an mehrjährigen Preisabsprachen, Marktaufteilungen bzw Aufteilung von Projekten und Austausch über zukünftiges Abgabeverhalten teil. Die Antragsgegnerin wurde beginnend mit 2013 somit zeitnah nach Errichtung der eigenen Mischanlage in Weitendorf im Jahr 2012 - schrittweise in diese in Umsetzung der Gesamtzuwiderhandlung bestehende Praxis eingebunden.
b) Beteiligte Unternehmen:
[…]
c) Gesprächsrunden und bilaterale Treffen/fixer Schlüssel:
Unter Beteiligung der Antragsgegnerin wurden die wettbewerbsbeschränkenden Handlungen im Rahmen von (regelmäßigen wie anlassbezogenen) Gesprächsrunden und bilateralen Treffen zwischen den Wettbewerbern (insbesondere den ortsansässigen, etablierten mischgutproduzierenden Unternehmen) organisiert. Bei den Gesprächsrunden wurde die allgemeine Aufteilung von Mischgutmengen anhand eines „Aufteilungsschlüssels“ besprochen. Sobald die Ausschreibung erfolgte, folgten begleitende Kontakte, um die Aufteilung der Ausschreibungen (iS eines Arbeitstausches) vorzunehmen.
d) Betroffene Bauvorhaben: Ländlicher Wegebau:
Von den wettbewerbsbeschränkenden Handlungen waren Ausschreibungen der Abteilung 7 Ländlicher Wegebau Lieferung von Mischgutmengen betroffen. Die konkret betroffenen Bauvorhaben sind oft nicht mehr identifizierbar, es handelt sich dabei hauptsächlich um Bauvorhaben mit kleineren Auftragsvolumina. Teilweise waren auch Ausschreibungen mit größeren Auftragsvolumina (> EUR 500.000) betroffen.
e) Dauer:
Auch wenn nicht mehr exakt nachvollziehbar ist, wann und von wem die wettbewerbsbeschränkenden Verhaltensweisen bei Ausschreibungen der Abteilung 7 des Landes Steiermark initiiert worden sind, so reichen sie jedoch zumindest bis 2013 zurück (die Antragsgegnerin wurde 2013 in bestehende Kontakte einbezogen). Die Praxis war in der Baubranche (insbesondere den etablierten mischgutproduzierenden Unternehmen) bekannt, wurde innerhalb der beteiligten Unternehmen jeweils von den Vorgängern übernommen oder neu eintretende Wettbewerber (mit entsprechenden Mischgutkapazitäten) wurden in die etablierten wettbewerbsbeschränkenden Handlungen aufgenommen.
4. Niederösterreichische Landesregierung:
a) Einleitung:
In Niederösterreich bestehen insgesamt acht Bauabteilungen, die vom Amt der Niederösterreichischen Landesregierung geführt werden. Die Bauabteilungen sind dabei nach Regionen organsiert: Straßenbauabteilung 1 - Hollabrunn (BA 1), Straßenbauabteilung 2 - Tulln(BA 2), Straßenbauabteilung 3 – Wolkersdorf (BA 3), Straßenbauabteilung 4 – Wiener Neustadt (BA 4), Straßenbauabteilung 5 - St. Pölten(BA 5), Straßenbauabteilung 6 – Amstetten (BA 6), Straßenbauabteilung 7 – Krems (BA 7) Straßenbauabteilung 8 – Waidhofen an der Thaya (BA 8). Bei den Ausschreibungen der Straßenbauabteilungen des Amts der Niederösterreichischen Landesregierung kam es in Umsetzung der Gesamtzuwiderhandlung zu langjährigen Preisabsprachen, Marktaufteilungen und Austausch über zukünftiges Abgabeverhalten. Je nach Region (und entsprechender Bauabteilung des Landes Niederösterreich) wurden unter den beteiligten (häufig ortsansässigen, mischgutproduzierenden) Unternehmen regelmäßig Gesprächsrunden organisiert, die mit bil ateralen (persönlichen und telefonischen) Kontakten sowie bilateralen E-Mail-Nachrichten ergänzt wurden. Diese Absprachen waren historisch gewachsen und gehen zumindest bis in die 1990er Jahre zurück. Beendet wurden sie frühestens im Oktober 2017 (in Bezug auf die Antragsgegnerin mit 17.05.2017). Hauptsächlich betroffen waren ausgeschriebene Baulose im Straßenbau mit Mischgutbezug.
b) Beteiligte Bauunternehmen:
Die wettbewerbsbeschränkenden Handlungen wurden in der Regel von den verschiedenen mischgutproduzierenden Wettbewerbern umgesetzt. An den Umsetzungshandlungen der Gesamtzuwiderhandlung waren konkret jene Wettbewerber beteiligt, die Mischgutanlagen (i) im räumlichen Zuständigkeitsbereich der jeweiligen Bauabteilung (mit-)betrieben, (ii) in die Region, für die die Bauabteilung zuständig war, Mischgut liefern konnten, oder (iii) Bauunternehmen, die in der betroffenen oder angrenzenden Region selbst keine Mischanlage betrieben, aber über Bezugsrechte bei Fremdanlagen Mischgut liefern konnten.
Die Antragsgegnerin wurde nach Markteintritt in Niederösterreich ab 2013/2014 in die bestehenden wettbewerbsbeschränkenden Verhaltensweisen in Teilen eingebunden und nahm daran insbesondere im Hinblick auf Ausschreibungen der BA 4 sowie in Einzelfällen in Bezug auf Ausschreibungen der BA 1 und 2 teil. Die Teilnahme der Antragsgegnerin trug im Umfang ihrer Tätigkeit in Niederösterreich zur Aufrechterhaltung der wettbewerbsbeschränkenden Handlungen bei.
c) Gesprächsrunden:
Gespräche zur Aufteilung der jeweiligen Bauvorhaben begannen zumeist zwischen Jahresbeginn und Frühling eines Kalenderjahres und setzten sich in weiterer Folge über das jeweilige Jahr fort. So fanden mehrmals im Jahr Gesprächsrunden statt, bei welchen insbesondere der Preis sowie der Bestbieter für bestimmte Bauvorhaben und das Preisniveau für Mischgut für ein Jahr festgelegt wurden. Anlass dieser koordinierten Treffen waren die Ausschreibungen des Landes Niederösterreich im Bereich Straßenbau, die häufig in gebündelter Form erfolgten. Die Treffen richteten sich nach den Abgabeterminen der Angebotslegung und fanden in den Räumlichkeiten der beteiligten Unternehmen, in den Mischgutanlagen oder im informellen Rahmen statt.
Die Zusammensetzungen der Gesprächsrunden variierten je nach Tätigkeitsbereichen, regionalen Schwerpunkten und Kapazitäten der Bauunternehmen. Im Wesentlichen handelte es sich dabei um jene Unternehmen, die vor Ort über eine Mischgutanlage verfügten. Nicht alle an den wettbewerbsbeschränkenden Handlungen beteiligten Bauunternehmen nahmen dabei an den Gesprächsrunden teil. Die abwesenden beteiligten Unternehmen wurden von einzelnen Ergebnissen der Gespräche (bilateral) informiert. Dies war insbesondere der Fall, wenn ihnen aufgrund der zugerechneten Marktanteile nur einige wenige Baulose zugestanden wurden. Die Antragsgegnerin selbst nahm an diesen Gesprächsrunden nicht teil. Sie wurde von […] in die wettbewerbsbeschränkenden Handlungen eingebunden.
d) Begleitende (bilaterale) Preisabsprachen, Marktaufteilungen bzw Aufteilungen von Projekten und Informationsaustausch:
Begleitend zu den Gesprächsrunden fanden auch regelmäßig oder anlassbezogen bilaterale wettbewerbsbeschränkende Handlungen (persönlich, telefonisch oder per E-Mail) statt. Per E-Mail fanden etwa auch Preisabsprachen mit verschlüsselten Formulierungen statt, so unter Angabe der betroffenen Straße und der als Deckangebot abzugebenden Summe verschlüsselt als „Haus Nr.“ oder „Mautkosten“.
e) Fixer Schlüssel/Punktesystem:
Die wettbewerbsbeschränkenden Handlungen in Bezug auf ausgeschriebene BVH der Straßenbauabteilungen des Amts der Niederösterreichischen Landesregierung betrafen im Allgemeinen die Festsetzung eines „fixen Schlüssels“ anhand von (zT historischen) Marktanteilen. Dieser Schlüssel wurde bei der Aufteilung von Baulosen berücksichtigt. Bei Marktveränderungen, insbesondere bei Eintritt neuer Mitbewerber in den Markt, durch den Zusammenschluss von Bauunternehmen, durch Erwerb bestehender oder Aufbau neuer Mischanlagen, wurden die Quoten der beteiligten Baufirmen angepasst. Zum Großteil erfolgten die kartellrechtswidrigen Handlungen anhand des mit „fixen Schlüsseln“ organisierten Arbeitsabtausches innerhalb von etablierten Runden. Vereinzelt wurde mit einzelnen Marktteilnehmern auch ein Punktesystem angewandt. Die Antragsgegnerin war an den etablierten Runden zur Festsetzung eines „fixen Schlüssels“ nicht beteiligt.
Sie trat 2013/2014 in den Markt für Bauvorhaben im südlichen Niederösterreich ein. Soweit sie bei konkreten Bauvorhaben eingebunden war, kam ein Arbeitstausch und ein Punktesystem zur Anwendung.
f) Betroffene Bauvorhaben: Mischgut für Straßenbau:
Von den wettbewerbsbeschränkenden Handlungen waren vorrangig Ausschreibungen der Bauabteilungen der Niederösterreichischen Landesregierung über die Lieferung und den Einbau von Asphaltmischgut sowie Nebentätigkeiten und Erdbauarbeiten betroffen. Gegenstand der wettbewerbsbeschränkenden Handlungen war das Jahresvolumen sämtlicher Ausschreibungen der Straßenbauabteilungen (wobei es natürlich auch vorkam, dass das System nicht einwandfrei funktionierte und nicht an der Kartellabsprache beteiligte Bauunternehmen vereinzelt „versehentlich“ Zuschläge erhielten). Konkret betroffen waren nahezu sämtliche Ausschreibungen der Bauabteilungen 1, 2, 3, 4, 5, 7 und 8 des Amts der Niederösterreichischen Landesregierung. Zurückgehend bis zum Jahr 2002 waren rund 2.900 Bauvorhaben mit einem Gesamtbauvolumen von mehr als EUR 300 Mio von den kartellrechtswidrigen Handlungen betroffen.
Die Antragsgegnerin wurde ab 2013/2014 in wettbewerbsbeschränkende Handlungen, insbesondere in Bezug auf Bauvorhaben der BA 4, eingebunden. Sie war bei 85 Bauvorhaben unmittelbar an wettbewerbsbeschränkenden Handlungen betreffend Ausschreibungen der BA 4 sowie in drei Fällen der BA 1 und 2 zu Heißmischgutarbeiten, Straßensanierung und Straßenbauarbeiten beteiligt.
g) Dauer: Die wettbewerbsbeschränkenden Handlungen in Niederösterreich dürften bereits Anfang der 1990er Jahre bestanden haben. Die Praxis (auch als „Gepflogenheit“ oder „Struktur“ bezeichnet) wurde primär von den Mischgutanlagen-Betreibern sowie den Bezugsberechtigten betrieben und war in der Baubranche in Niederösterreich allgemein bekannt. Neu in den Markt eintretende Wettbewerber wie die Antragsgegnerin (ab 2013/2014), wurden in das etablierte System eingebunden und innerhalb eines Bauunternehmens wurden die Mitarbeiter vom Vorgesetzten/Vorgänger in die Abläufe eingeführt. Es handelt sich folglich um ein historisch gewachsenes System, das über viele Jahre hinweg zu kartellrechtswidrigen Handlungen führte. Die kartellrechtswidrigen Handlungen wurden im Oktober 2017 schließlich beendet. Die unmittelbare Beteiligung von Kostmann endete am 17.05.2017.
5. Magistrat Klagenfurt: Jahresbauverträge für Straßenbau und Künetteninstandsetzungen:
a) Einleitung:
Bei den Ausschreibungen des Magistrats Klagenfurt nahm die Antragsgegnerin an langjährigen Preisabsprachen, Marktaufteilungen und dem Austausch über zukünftiges Abgabeverhalten teil. Die wettbewerbsbeschränkenden Handlungen erfolgten in Umsetzung der Gesamtzuwiderhandlung und betrafen Ausschreibungen des Magistrats Klagenfurt zu fünf über mehrere Jahre laufenden Jahresbauverträgen für Straßenbau und Künetteninstandsetzung in den Jahren 2006, 2010, 2012, 2014 und 2017 mit einem Gesamtvolumen iHv etwa EUR 24,9 Mio. Die kartellrechtswidrigen Handlungen bestanden in der Aufteilung von Bauvorhaben sowie der Gründung kartellrechtswidriger ARGE, an denen die Antragsgegnerin beteiligt war.
b) Beteiligte Bauunternehmen:
[…]
c) Arbeitsabtausch/Punktesystem/Ausgleichszahlungen: Die wettbewerbsbeschränkenden Handlungen erfolgten zuerst in einer abgestimmten Gruppe bestehend aus den vier Bauunternehmen […], der Antragsgegnerin, […]und […], die abwechselnd eine ARGE (aus zwei oder drei Bauunternehmen) bildeten. Die ARGE-Partner vereinbarten mit dem jeweiligen Mitbewerber, der nicht Teil der ARGE war, dass dieser als Subunternehmer für die ARGE tätig wird und im Gegenzug kein oder ein höheres Angebot abgibt. So erhielt etwa für die Ausschreibung zum Jahresbauvertrag 2014 eine ARGE bestehend aus […], der Antragsgegnerin und […] den Zuschlag und […] wurde für ihr Zurückstehen als Subunternehmer beteiligt. In weiterer Folge wurden alle anderen an der Ausschreibung potentiell interessierten Bauunternehmen mit der Aufforderung kontaktiert, bei der Angebotsabgabe zurückzustehen (im Sinne eines „Vollschutzes“). Die beteiligten Unternehmen haben sodann ihre Angebote mit den mitgeteilten Angebotssummen oder kein Angebot abgegeben.
Die Subunternehmer der ARGE wurden dabei auch in die Abstimmung und Aufteilung der einzelnen Bauvorhaben im Rahmen der Jahresbauverträge eingebunden.
Der Ausgleich für das Zurückstehen erfolgte primär über ein Punktesystem und über Arbeitsabtausch. Anhand der vereinbarten Punkte (zB 1 Punkt entspricht 1%) kam es auch vereinzelt zu Ausgleichszahlungen. Die Höhe der Ausgleichsleistung, die sich häufig an den Gemeinkosten orientierte, wurde typischerweise berechnet, indem die Netto-Abgabesumme mit dem vereinbarten Prozentsatz multipliziert wurde.
Der Ausgleichsbetrag wurden sodann anhand des Gemeinkostenzuschlags berechnet. Im Fall des Jahresbauvertrages 2006 machte der Gemeinkostenzuschlag 10,5% aus, 10% waren für die Ausgleichsleistungen vorgesehen. Im Fall des Jahresbauvertrages 2010 machte der Gemeinkostenzuschlag 13% aus, 12,51% waren für die Ausgleichsleistungen vorgesehen. Im Fall des Jahresbauvertrages 2012 machte der Gemeinkostenzuschlag 11% aus, 10,2% waren für die Ausgleichsleistungen vorgesehen. Im Fall des Jahresbauvertrages 2014 machte der Gemeinkostenzuschlag 10% aus, wovon im ersten Jahr 8,05% für die Ausgleichsleistungen vorgesehen waren.
d) Telefonische und persönliche bilaterale Gespräche:
Die wettbewerbsbeschränkenden Handlungen betreffend das Zurückstehen gegenüber den ARGE-Partnern wurden im Rahmen von persönlichen Treffen und telefonisch zumeist bilateral organisiert. Die ARGE-Partner teilten sich die zu kontaktierenden Bauunternehmen untereinander auf und stimmten sich darüber ab, wer wie viele Punkte erhalten sollte.
Die letzte Ausschreibung, zu der (unter unmittelbarer Beteiligung der Antragsgegnerin an derartigen Kontakten) wettbewerbsbeschränkende Handlungen umgesetzt wurden, betraf den Jahresbauvertrag 2017. Nach Bekanntwerden der Ermittlungen der Bundeswettbewerbsbehörde und der WKStA wurde der Auftrag jedoch nicht vergeben.
e) Betroffene Bauvorhaben: Jahresbauverträge Straßenbau und Künetteninstandsetzung:
Von den wettbewerbsbeschränkenden Handlungen waren die Jahresbauverträge des Magistrats Klagenfurt zu Straßenbau und Künetteninstandsetzung (zumindest) seit 2006 betroffen. Jahresbauverträge gelten grundsätzlich für ein Jahr, sind aber auf zwei oder drei Jahre verlängerbar. Die Ausschreibungen zu den Jahresbauverträgen fanden 2006, 2010, 2012, 2014 und 2017 (nicht vergeben) statt und umfassten Tiefbauarbeiten aller Art, wie zB Sanierungen aufgrund von Schlaglöchern oder Straßenwiederherstellungen im Anschluss an Kanalarbeiten.
f) Dauer:
Es ist nicht mehr genau nachvollziehbar, ab wann und von wem die wettbewerbsbeschränkenden Handlungen initiiert worden sind. Es gibt Hinweise, dass die Strukturen in Klagenfurt bereits vor 2006 bestanden und somit bereits Ausschreibungen im Zeitraum von 2003 bis 2005 betroffen waren. Die Praxis war in der Baubranche allgemein bekannt. Neu in den Markt eintretende Wettbewerber wurden in das etablierte System eingebunden und innerhalb eines Unternehmens wurden die Mitarbeiter vom Vorgänger in die Abläufe eingeführt. Im Fall der Antragsgegnerin fand die erste Involvierung jedenfalls betreffend den Jahresbauvertrag 2006 statt (wobei eine Involvierung ab 2003 nicht ausgeschlossen werden kann). Die letzte Ausschreibung, in Bezug auf die die Antragsgegnerin an derartigen Kontakten beteiligt war, betraf den Jahresbauvertrag 2017 (nicht vergeben).
6. Magistrat Villach:
Im Rahmen der Umsetzung der Gesamtzuwiderhandlung fanden auch zu Bauvorhaben des Magistrats Villach Preisabsprachen, Marktaufteilungen bzw Aufteilungen von Bauvorhaben und Austausch von wettbewerbssensiblen Informationen (wie Austausch über das zukünftige Abgabeverhalten) statt, so bei folgenden Bauvorhaben:
Datum
Bauvorhaben
25.1.2011
Hausanschlusskanäle und Sammlererweiterungen im Stadtgebiet Villach, Jahresauftrag
22.3.2011
Villach, Straßeninstandsetzung, Jahresauftrag
31.5.2011
Generlasanierung Dollhopfgasse
13.12.2011
Warmbader Straße
15.5.2012
Straßeninstandsetzungen Großflächen Villach, Straßeninstandsetzung Großflächen, Jahresauftrag 2012
5.3.2013
Straßeninstandsetzung Großflächen Villach - JA 2013
28.5.2013
Tiroler Straße, Asphaltbetondeckschicht
7. Holding Graz:
a) Einleitung:
Bei Ausschreibungen der Holding Graz - Kommunale Dienstleistungen GmbH, Andreas Hofer Platz 15, 8010 Graz („Holding Graz“) nahm die Antragsgegnerin an Preisabsprachen, Marktaufteilungen bzw Aufteilungen von Bauvorhaben und dem Austausch über zukünftiges Abgabeverhalten, die im Rahmen der persönlichen Gesprächsrunden und bilateralen Kontakten stattfanden, teil. Die wettbewerbsbeschränkenden Handlungen erfolgten in Umsetzung der Gesamtzuwiderhandlung und betrafen Ausschreibungen der Holding Graz in den Jahren von 2014 bis 2017 insbesondere in den Bereichen Verkehrswege- und Leitungsbau (in Bezug auf die unmittelbare Beteiligung der Antragsgegnerin insbesondere Straßenbau und Straßensanierung).
b) Beteiligte Bauunternehmen:
[…]
c) Bilaterale Gespräche/Gesprächsrunden/Arbeitsabtausch: Die beteiligten Unternehmen setzten die wettbewerbsbeschränkenden Handlungen meist in bilateralen, telefonischen und persönlichen Gesprächen um. Nach Eruierung des gegenseitigen Interesses einigte man sich darüber, wer die Ausschreibung gewinnen sollte, woraufhin der designierte Auftragsempfänger den zurückstehenden Unternehmen die abzugebenden Preise mitteilte. Seit 2014/2015 kam es immer wieder zu persönlichen Treffen im Rahmen einer fixen Gesprächsrunde (von den beteiligten Unternehmen teilweise auch als „Holding-Graz-Runde“ bezeichnet) unter den fünf unmittelbar beteiligten Unternehmen. Es wurden hauptsächlich die Ausschreibungen der Holding Graz im Bereich Verkehrswegebau besprochen.
Zusätzlich zu den bilateralen Gesprächen fanden Gesprächsrunden statt.
Die bilateralen Gespräche und Gesprächsrunden dienten dem Arbeitsabtausch, um eine gleichmäßige Verteilung der Bauvorhaben auf die teilnehmenden Unternehmen zu erreichen.
d) Betroffene Bauvorhaben:
Von den wettbewerbsbeschränkenden Handlungen unter Beteiligung der Antragsgegnerin waren jedenfalls die nachfolgend aufgelisteten Bauvorhaben und insgesamt etwa 50% der Ausschreibungen der Holding Graz im Bereich Straßenbau betroffen:
Datum
Bauvorhaben
24.3.2017
Div. Fräs- und Asphaltierungsarbeiten,
24.3.2017
Triesterstraße Generalsanierung
6.3.2017
Sanierung FUZO Hofgasse
16.2.2017
Sanierung FUZO Stigergasse, Mariahilfer Straße
10.2.2017
Sanierung Stempfergasse Fußgängerzone
20.1.2017
ABA BA 169 Kanalsanierung Wagramerweg
20.12.2016
Reininghausgründe, provisorischer Radweg
6.12.2016
Jahresbauvertrag Wasser
24.7.2014
Schmiedgasse – FUZO Sanierung
11.4.2014
Inge-Morath-Straße (Viktor-Zack-Weg bis Kindergarten)
11.4.2014
Hans-Sachs-Gasse
Bei folgenden Bauvorhaben steht die Beteiligung der Antragsgegnerin an wettbewerbsbeschränkenden Handlungen zwar nicht außer Streit, es ist aber unstrittig, dass der Bundeswettbewerbsbehörde von Konkurrenten der Antragsgegnerin stammende Urkunden vorliegen, die auf eine Beteiligung der Antragsgegnerin an wettbewerbsbeschränkenden Handlungen hinweisen:
Datum
Bauvorhaben
12.5.2017
Südbahnstraße E+B für Leitungslegung
3.8.2016
Geidorfplatz
19.7.2016
Wickenburggasse
30.5.2016
Sternäckerweg, Abschnitt Liebenauer Hauptstraße bis hin zum Bahnübergang
25.5.2016
Teil B - Diverse Fräs- und Betonierarbeiten
24.5.2016
Teil A - Diverse Fräs- und Betonierarbeiten
17.5.2016
Harter Straße Generalsanierung
2.5.2016
Krottendorfer Straße - Generalsanierung
22.4.2016
Hasnerplatz 1-6 Generalsanierung
30.3.2016
Staatsbahnstraße – Rampe Erd- & Bauarbeiten
24.3.2014
Glacisstraße, Wasserleitung und Fernwärme
e) Dauer:
Die wettbewerbsbeschränkenden Handlungen fanden zumindest von 2014 bis 2017 (im Fall der Antragsgegnerin längstens bis 17.05.2017) statt.
8. Asfinag:
Im Rahmen der Gesamtzuwiderhandlung war die Antragsgegnerin auch an wettbewerbsbeschränkenden Handlungen bei Ausschreibungen der ASFINAG Bau Management GmbH, 1030 Wien, Modecenterstraße 16, („Asfinag“) beteiligt, die im Folgenden näher dargestellt werden.
8.1. Grundsatztreffen zu Asfinag Bauvorhaben im Frühjahr 2013:
a) Einleitung:
Im Frühjahr 2013 fand in der Porr Niederlassung in Unterpremstätten (Steiermark) ein „Grundsatztreffen“ statt. Im Zuge dieses Treffens teilten die anwesenden Bauunternehmen […], die Antragsgegnerin, […] und […] in Umsetzung der Gesamtzuwiderhandlung neun Bauvorhaben der Asfinag in der Steiermark untereinander auf. In weiterer Folge wurden von den dort anwesenden beteiligten Unternehmen andere Bauunternehmen in die wettbewerbsbeschränkenden Handlungen einbezogen, indem mit diesen der Erhalt von Punkten oder ein Arbeitsabtausch für das Zurückstehen vereinbart wurde.
b) Beteiligte Bauunternehmen:
[…]
c) Folgekontakte/ergänzende bilaterale Gespräche:
Das Grundsatztreffen zwischen den beteiligten Unternehmen erfolgte persönlich im Frühjahr 2013 in der […] Niederlassung in […]. Die Folgekontakte (bzw Folgeabsprachen) erfolgten bilateral und zumeist telefonisch.
d) Arbeitsabtausch/Punktesystem/Ausgleichszahlungen:
Die wettbewerbsbeschränkenden Handlungen erfolgten zuerst in einer Gruppe von fünf Bauunternehmen, die sich untereinander eine bestimmte Anzahl an Bauvorhaben der Asfinag aufteilten. Die Anzahl und Größe der zugeteilten Bauvorhaben war von der Markstellung bzw Größe des jeweiligen Bauunternehmens abhängig. Die Antragsgegnerin als kleineres Bauunternehmen „erhielt“ Bauvorhaben nur in einer ARGE-Konstellation mit […]. Im Gegenzug für eine „Zuteilung“ mussten die Bauunternehmen bei anderen Projekten zurückstehen und höhere Deckangebote abgeben („Arbeitsabtausch“). Die abzugebende Angebotssumme wurde ihnen vorgegeben.
In einem weiteren Schritt kontaktierten die jeweiligen beteiligten Unternehmen für „ihr“ Bauvorhaben andere Bauunternehmen, um sich zu erkundigen, ob diese an einer Preisabsprache oder Marktaufteilung interessiert wären. Für das Zurückstehen durch die Nicht-Teilnahme oder die Abgabe eines Deckangebots erhielten die Kontaktierten sodann Punkte. Diese wurden zumeist durch Arbeitsabtausch, vereinzelt auch durch Ausgleichszahlungen ausgeglichen.
Von den wettbewerbsbeschränkenden Handlungen im Rahmen der „Grundsatztreffen 2013“ waren folgende neun BVH in der Steiermark betroffen:
Datum
Bauvorhaben
9.12.2014
A9 Pyhrn Autobahn, Instandsetzung Übelbach (RFB Linz)
22.7.2014
A9 Pyhrn Autobahn, Grenzübergang Spielfeld
14.5.2014
S6 Semmeringer Schnellstraße Instandsetzung Kapfenberg
22.4.2014
A9 Pyhrn Autobahn, Generalerneuerung Abschnitt Schwarzlsee-Wildon, RFB Voralpenkreuz
10.4.2014
Anschlussstelle Graz Ost (Ausfahrt Liebenau)
11.2.2014
A9 Pyhrn Autobahn, Instandsetzung Rottenmann- Trieben
15.7.2013
A9 Pyhrn Autobahn, Schwarzlsee-Wildon, Hauptleistung
24.6.2013
A9 Pyhrn Autobahn, Schwarzlsee-Wildon, Vorleistung
13.6.2014
S35, INSB Bruck-Einöd
8.2. Weitere betroffene Bauvorhaben der Asfinag:
Neben den oben beschriebenen wettbewerbsbeschränkenden Handlungen fanden auch zu anderen Bauvorhaben der Asfinag ua unter Beteiligung der Antragsgegnerin in Umsetzung der Gesamtzuwiderhandlung langjährige Preisabsprachen, Marktaufteilungen bzw Aufteilungen von Bauvorhaben und Austausch von wettbewerbssensiblen Informationen sowie kartellrechtswidrige ARGE-Gründungen statt, die sich in ein historisch gewachsenes System eingliedern.
Für die Steiermark und in Kärnten gab es auch weitere Gesprächsrunden unter Beteiligung der Antragsgegnerin im Zusammenhang mit den Ausschreibungen der Asfinag vor. Bei diesen Gesprächsrunden wurde besprochen, welches Bauunternehmen und in welcher ARGE-Konstellation den Zuschlag erhalten sollte.
Die Antragsgegnerin war jedenfalls bei folgenden Bauvorhaben in Kärnten, Niederösterreich, Steiermark, Oberösterreich und Wien beteiligt (soweit dabei „vermutl“ oder „n/“ vermerkt ist, ist die genaue Bezeichnung des Bauvorhabens oder das Jahr fraglich, nicht aber, dass es zu wettbewerbsbeschränkenden Handlungen unter Beteiligung der Antragsgegnerin kam):
Datum
Bauvorhaben
02/2015
S4, Instandsetzung der Entwässerung Wiener Neustadt Ost (2015)
12.12.2014
A11 Karawanken Autobahn LB INS St. Jakob Deckensanierung
10.12.2014
A2 Wolfsberg Süd St. Andrä Deckensanierung
18.6.2014
A10 Tauernautobahn Lagertausch L27+L37 u. lokale Belagssanierung L27+L28
25.11.2013
A2, Zubringer Graz Ost, GS Straßen, INS Objekte, Erw. & Sanierung LS
14.10.2013
A2, Umbau Ast Wr. Neudorf Bauleistung
16.12.2013
A2, INS Völkermarkt Ost-West
22.6.2012
A11 Karawankenautobahn, Knoten Villach-St. Niklas, Fahrbahndeckeninstandsetzung
1.8.2011
A9 Pyhrn Autobahn, Lainberg Roßleithen, Sanierungsarbeiten 2011
26.8.2010
A23 Wiener Südosttangente, Sanierung Hanssonkurve
7/2010
A23 Südosttangente, „Instandsetzung Hochstraße Inzersdorf“
29.4.2010
A2 Südautobahn, Sinabelkirchen-Arnwiesen
3/2010
(vermutl) ARGE A2 Thörl
10/2009
(vermutl) ARGE Deckensanierung A10
12.2.2009
A2 Zubringer Schiefling
6.2.2008
A10 Deckensanierung Liesertal
11.4.2006
A2 Südautobahn AST Grafenstein, Rampe 3
n/
A2 Wechselabschnitt
Die wettbewerbsbeschränkenden Handlungen waren in ein bestehendes System eingebettet. Es ist nicht mehr nachvollziehbar, wie, wann und von wem es initiiert worden ist. Neu eintretende Wettbewerber wurden bei der erstmaligen Involvierung mit den Abläufen bekannt gemacht und durch die bereits etablierten Unternehmen in die Praxis eingebunden.
9. OMV:
a) Einleitung:
Bei den Ausschreibungen der OMV AG, 1030 Wien, Trabrennstraße 6 („OMV“) und ihrer nunmehr ehemaligen Tochtergesellschaften Gas Connect Austria GmbH, 1210 Wien, Floridsdorfer Hauptstraße 1 („GCA“) und Trans Austria Gasleitung GmbH, 1050 Wien, Wiedner Hauptstraße 120 -124, („TAG“) kam es zu mehrjährigen Preisabsprachen, Marktaufteilungen bzw Aufteilungen von Bauvorhaben und Austausch über zukünftiges Abgabeverhalten, die historisch gewachsen sind und jedenfalls bis Herbst 2006 zurückgehen. Die wettbewerbsbeschränkenden Handlungen erfolgten in Umsetzung der Gesamtzuwiderhandlung. Die Praxis wurde von Wettbewerbern bzw innerhalb der Bauunternehmen von Vorgängern übernommen und nicht in Frage gestellt. Betroffen waren Bauvorhaben in Niederösterreich, Kärnten, Steiermark und Oberösterreich.
Die Ausschreibungen erfolgten aufgrund der hohen Komplexität der Bauvorhagen oft auf Grundlage einer Einladung zu einem Verhandlungsverfahren, dh die vom Auftraggeber zur Angebotsabgabe eingeladenen Bieter wurden nach Angebotsabgabe vom Auftraggeber zu technischen und kaufmännischen Verhandlungen eingeladen. Betroffen waren unterschiedliche Projekte betreffend Hoch- und Tiefbau.
b) Beteiligte Bauunternehmen:
[…]
c) Telefonische und persönliche bi- und multilaterale Gespräche:
Kontaktaufnahmen erfolgten vorwiegend per Telefon, zT auch um abzuklären, welche Unternehmen bei einer Ausschreibung überhaupt eingeladen waren. Ergänzend zu den Telefonaten fanden auch persönliche Treffen statt, wie zB auf Raststationen oder in Niederlassungen der beteiligten Unternehmen.
Den an den Preisabsprachen und Marktaufteilungen beteiligten Unternehmen wurde in weiterer Folge ein Deckangebot (als Tarnung zT auch als „Subangebot“ bezeichnet) übermittelt (oftmals per Fax) oder eine Abgabesumme genannt.
Es kam auch vor, dass ein Mitarbeiter der OMV für die Einladung zu den Ausschreibungen Gegenleistungen einforderte und den beteiligten Unternehmen mitteilte, welche anderen Bauunternehmen zu der Ausschreibung eingeladen wurden, sodass diese wussten, wer zu kontaktieren war.
Jenes Unternehmen, das besonderes Interesse an einem Bauvorhaben zeigte, organisierte die Absprache, indem es andere Wettbewerber kontaktierte und diese aufforderte im Tausch gegen ein anderes Bauvorhaben oder für die Vergabe von „Punkten“ oder die Auszahlung eines Ausgleichs (oder für einen Subauftrag) zurückzustehen und ein Deckangebot abzugeben.
e) Betroffene Bauvorhaben: Hoch- und Tiefbau der OMV:
Von den wettbewerbsbeschränkenden Handlungen waren unterschiedliche „Sonderprojekte“ der OMV, CGA und TAG im Bereich Hoch- und Tiefbau in Niederösterreich, Kärnten, Steiermark und Oberösterreich betroffen.
Die Antragsgegnerin war bei folgenden Bauvorhaben an wettbewerbsbeschränkenden Handlungen in Niederösterreich, Kärnten, Steiermark und Oberösterreich beteiligt (soweit dabei „vermutl“ vermerkt ist, ist das Jahr fraglich, nicht aber, dass es zu wettbewerbsbeschränkenden Handlungen unter Beteiligung der Antragsgegnerin kam):
Datum
Bauvorhaben
Auftraggeber
4/2017
Gasdüker March Buhnenbau
TAG/GCA
272017
Mehrmenge Verteilgebiet PVS1-PVS2 VS Baumgarten, Hoch- und Tiefbau
CGA
11.8.2016
Rohrisolierung Gasleitung TAG (Kärnten, Steiermark) bzw TAG 1 - New Insulatio, OPMA/2016-3005497
TAG
06/2016
Aufstockung Wartungszentrum/ Bürogebäude Eggendorf bzw Centralization of Maintenance Centre (MC1) Eggendorf, PROJ/2016-3005285
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17.11.2016
Demolition Work Grafendorf bzw NOxER2 - Civil Demolition GRF, PROJ/2016-010
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21.10.2016
Office Building and Workshop Building At CC Baumgarten (PROK/2016-3005974) bzw Office Building and Workshop Building at CC Baumgarten
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18.10.2016
HVAC Verdichterstationen Baumgarten/March, Grafendorf und Ruden bzw HVAC (Heating Ventilation Air Condition) Compressor Stations: Baumgarten, Grafendorf, Ruden, PROJ/2016- 3005897
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11.10.2016
Major Renewal Civil and Asbestos (Orth an der Donau, Kaindorf) bzw Major Renewals Civil and Asbestos (TAG Valve Stations SS01 Orth a.d. Donau SS06 Kaindorf), PROJ/2016- 3005432
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08/2015
Zusammenlegung Wartungszentrum Eggendorf
ILF Consul-ting/TECON Engineering im Auftrag der TAG
27.7.2015
Programm Messstrecke (MS) Baumgarten, Baumeisterarbeiten
GCA
12.5.2015
AZ. St. Margarethen Kapazitätserhöhung
GCA
16.3.2015
Tiefbauarbeiten Dichtheitskontrolle 2015, Niederösterreich, Kärnten bzw EOM 2015 Dokumentation und Dichtheitsprüfung in Stationen, Dichtheitskontrolle 2015/Tiefbauarbeiten
GCA
9.2.2015
Errichtung und Liquidation von Bohrplätzen, TENCOX-14-671 (3-Jahresbauvertrag)
OMV
19.2.2015
Jahresbauvorhaben Schwechat, TEN-COX-14-661 (3-Jahres-bauvertrag)
OMV
19.2.2015
Bautätigkeiten und Klein-projekte, TEN-COX-14-669 (3-Jahresbauvertrag)
GCA/OMV
16.4.2015
Bautätigkeiten und Kleinprojekte Oil & Gas produktion u. facilities Austria Gänserndorf, TEN-COX- 14-572
OMV
8/2014
Werkstätten und Garagen in VS Baumgarten
n/a
5.5.2014 (verlängert auf 12.5.2014)
DNG-Field Development, Neusiedl an der Zaya, Hoch- und Tiefbauarbeiten / Baumeisterarbeiten für die Ausführungsphase des Projektes Development Nordfeld Gas (OMV_V 1012093_DNG_Field Development Nordfeld_A001-00 Hoch- u Tiefbauarbeiten_ Anfrage)
OMV
10/2014
Dückerleitung WW
n/a
5/2013
NOxER Umbau Sozialtrakt VS-Ruden
GCA
5/2013
Dichtheitskontrolle von Rohrleitungen 2013 - Tiefbauarbeiten
GCA
10.2.2012
CS Baumgarten Umbau C1+C2+C3 E-Gebäude
GCA
4/2012
Tiefbauarbeiten Molchbarmachung
n/a
5/2012
Sanierung Überschubrohre und Drückertausch
OMV
3/2011
Strasserfeld, Schönkirchen, Aderklaa
OMV Gas GmbH
2/2011
Gaskompressor, Roseldorf, Stockerau Verdichterhallen
OMV Gas GmbH
29.4.2011
Kondensatsystemsanierung bzw V.1011019 KSAU Kontensatsystem Sanierung
OMV
27.6.2011
Verdichterstation (VS) Ruden NOxER
GCA
27.6.2011
Verdichterstation (VS) Baumgarten NOxER
GCA
8/2011
Leitungssanierung VS Baumgarten
OMV Gas GmbH
11/2011
OMV Stationen Tiefbauarbeiten, Dichtheitskontrolle
OMV Gas GmbH
11.3.2010
Verdichterstation OGG Baumgarten und Archivzubau
GCA
5/2010
Tallesbrunn und Weikendorf
n/a
5/2010
Auerstal
n/a
7/2010
Objektschutz Messanlage Überackern (OÖ)
OMV
22.7.2010
Objektschutz MS Neustift und Oberkappel WAG (OÖ)
GCA
Sommer 2009 – Frühjahr 2010
PVS-Baumgarten, Gänserndorf, Auersthal
OMV/GCA
Sommer 2009 – Frühjahr 2010
Verdichterstation Neustift
OMV/GCA
Frühjahr 2008
VS-Weitendorf
OMV Gas GmbH
Vemutl Mitte 2008
VS-Eggendorf
OMV Gas GmbH
Herbst 2006
Erdarbeiten CS-Weitendorf
OMV Gas GmbH
f) Unstimmigkeiten zwischen den beteiligten Unternehmen:
Es kam auch zu Unstimmigkeiten zwischen den beteiligten Unternehmen, etwa bei der Ausschreibung der zwei Bauvorhaben PVS-Baumgarten, Gänserndorf, Auersthal und Verdichterstation Neustift. Hier beanspruchte […] anfänglich beide Bauvorhaben, die Antragsgegnerin konnte aber nach einer längeren Diskussion (auch auf Geschäftsleitungsebene) das Bauvorhaben PVS-Baumgarten, Gänserndorf, Auersthal für sich gewinnen und gab im laufenden Verhandlungsverfahren entsprechende Nachlässe, um den Auftrag zu gewinnen.
Im Gegenzug hatte die Antragsgegnerin angeboten, die Kosten der […], die für die bereits erfolgten Preisabsprachen entstanden sind, zu übernehmen.
g) Dauer:
Es ist nicht mehr genau nachvollziehbar, wann die wettbewerbsbeschränkenden Handlungen entstanden sind. Einzelne Aussagen weisen darauf hin, dass das System zumindest seit 2006 bestanden hat. Die Praxis (auch als „Gefüge von Wettbewerberkontakten“ bezeichnet) war allgemein bekannt. Die Preisvorgaben durch die beteiligten Unternehmen wurden von den Mitarbeitern der anderen beteiligten Unternehmen nicht weiter hinterfragt. Oft wurden neue Marktteilnehmer bei der erstmaligen Involvierung mit den Abläufen bekannt gemacht und haben die gleichen Abläufe in weiterer Folge bei ihren später organisierten Preisabsprachen und Marktaufteilungen bzw Aufteilungen von Bauvorhaben angewendet.
10. ÖBB:
a) Einleitung:
Bei den Ausschreibungen der ÖBB-Infrastruktur AG, 1020 Wien, Praterstern 3, („ÖBB“) bestanden langjährige Preisabsprachen, Marktaufteilungen und Austausch über zukünftiges Abgabeverhalten, die historisch gewachsen sind. Diese erfolgten in Umsetzung der Gesamtzuwiderhandlung. Die Praxis wurde von Wettbewerbern bzw innerhalb der beteiligten Bauunternehmen von Vorgängern übernommen und nicht in Frage gestellt. Betroffen sind Bauvorhaben in den Bundesländern Tirol, Vorarlberg, Wien, Kärnten und Steiermark.
Die Ausschreibungen betrafen unterschiedlichste Projekte im Hoch- und Tiefbau, etwa Gleisausbau, Streckensanierungen, Leitungsbau und Bahnhofssanierungen.
b) Beteiligte Bauunternehmen:
[…]
Kontakte fanden vor allem im Wege von persönlichen Treffen, Telefonaten und per E-Mail statt. Den beteiligten Unternehmen wurde in weiterer Folge ein Deckangebot übermittelt oder eine Abgabesumme genannt. Es kam auch vor, dass beteiligte Unternehmen gar kein Angebot legten.
c) Arbeitsabtausch/Punktesystem:
Ein Wettbewerber, der besonderes Interesse an einem Bauvorhaben zeigte, organisierte die Absprache, indem er andere Wettbewerber kontaktierte und diese aufforderte im Tausch gegen ein anderes zurückzustehen, dh kein Angebot oder nur ein Deckangebot abzugeben.
Von den wettbewerbsbeschränkenden Handlungen waren unterschiedliche Ausschreibungen der ÖBB im Hoch- und Tiefbau betroffen. Bei folgenden vier Bauvorhaben der ÖBB (in Kärnten und der Steiermark) war die Antragsgegnerin in Umsetzung der Gesamtzuwiderhandlung beteiligt, daneben bei diversen Kleinbauarbeiten (bis 2015):
Datum
Bauvorhaben
14.9.2016
Koralmbahn, Baulos 62.2 Freiformschale AM 2 und Deponie Einersdorf
15.12.2009
Koralmbahn Graz-Klagenfurt, Abschnitt Wettmannstätten - Deutschlandsberg, Brücken-, Straßen-, Wasserbauarbeiten und baubegleitende Maßnahmen im BL 2
Herbst 2009
Löschwasserleitung Hauptbahnhof Villach Nord
14.9.2009
ÖBB Bahnhof Leibnitz, Straßen- und Erdbau sowie Kunstbauten
11. Pensionsversicherungsanstalt:
Im Rahmen der Gesamtzuwiderhandlung war die Antragsgegnerin auch zumindest an zwei wettbewerbsbeschränkenden Handlungen (beide 2014) bei Ausschreibungen der Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, („PVA“) beteiligt, die im Folgenden näher dargestellt werden.
11.1. SKA-RZ Bad Tatzmannsdorf, Burgenland:
a) Einleitung:
Die Antragsgegnerin nahm bei zwei Ausschreibungen im Jahr 2014 zum Teilneubau des Sonderkrankenanstalt-Rehabilitationszentrums Bad Tatzmannsdorf („SKA- RZ Bad Tatzmannsdorf-Teilneubau“) an Preisabsprachen und Austausch über zukünftiges Abgabeverhalten teil. Dies erfolgte in Umsetzung der Gesamtzuwiderhandlung und betraf Ausschreibungen mit einem Gesamtbauvolumen von rund EUR 900.000. Die Antragsgegnerin war an den wettbewerbsbeschränkenden Handlungen im Rahmen von Telefonaten beteiligt.
b) Beteiligte Bauunternehmen:
[…]
c) Punktesystem/Arbeitsabtausch/Ausgleichszahlungen:
Die wettbewerbsbeschränkenden Handlungen umfassten den Abtausch der Ausschreibung im Gegenzug für „Punkte“, Arbeitsabtausch und Ausgleichszahlungen.
In Bezug auf die Antragsgegnerin wurde vereinbart, dass im Gegenzug für 1,5%-Punkte die Antragsgegnerin ein Deckangebot iHv etwa EUR 539.000 (Außenanlage Süd) abgibt.
e) Betroffene Bauvorhaben: SKA-RZ Bad Tatzmannsdorf Teilneubau:
Von den wettbewerbsbeschränkenden Handlungen waren zwei öffentliche Ausschreibungen der PVA im Rahmen des BVH SKA-RZ Bad Tatzmannsdorf Teilneubau betroffen, nämlich: (i) Errichtung der Außenanlagen SÜD (Abgabe- und Zuschlagstermin am 11.06.2014) und (ii) Außenanlage NORD (Abgabe - und Zuschlagstermin am 25.11.2014)
11.2. Bad Schallerbach, Oberösterreich:
a) Einleitung:
Die Antragsgegnerin nahm 2014 beim Bauvorhaben SKA-RZ Bad Schallerbach an Preisabsprachen und Austausch über zukünftiges Abgabeverhalten im Rahmen von bilateralen Treffen teil. Dies erfolgte in Umsetzung der Gesamtzuwiderhandlung. Das Projekt betraf ein BVH mit einem Gesamtbauvolumen iHv rund EUR 6 Mio.
b) Beteiligte Bauunternehmen:
[…]
c) Bilaterale Kontakte:
[…] und […] gründeten eine BIEGE, um gemeinsam ein Angebot abzugeben. Zur Organisation der Absprachen kontaktierten sie bilateral 17 Wettbewerber. Die Kontakte erfolgten telefonisch oder bei persönlichen Treffen. Dabei wurden Preisabsprachen getroffen sowie wettbewerbssensible Informationen, vor allem zum Abgabeverhalten, ausgetauscht. Das Ergebnis der Preisabsprache (Kürzel für beteiligte Unternehmen jeweilige Abgabesummen und „Fahnen“-Symbol) wurde in einer Notiz festgehalten. Mit der Antragsgegnerin wurde eine Abgabesumme iHv EUR 7,2 Mio vereinbart.
d) Ausgleichszahlung / Bezugsverträge:
Im Zuge der Preisabsprachen kam es auch zu Ausgleichsleistungen für zurückstehende Mitbewerber. So wurde die Antragsgegnerin im Herbst 2014 von […] telefonisch kontaktiert und es wurde ein Treffen in den Büroräumlichkeiten der Antragsgegnerin vereinbart. Bei diesem Treffen wurde eine Ausgleichsleistung iHv 1% oder 1,5% der Nettoauftragssumme besprochen. Bei einem späteren Treffen auf einer Raststation einigten sich […] und die Antragsgegnerin auf eine Ausgleichszahlung in Höhe von EUR 40.000. Der Ausgleich dieser Forderung erfolgte schlussendlich dadurch, dass […] einen Betonbezugsvertrag bei der Draubeton GesmbH, Tirolerstraße 155, 9500 Villach verlängerte. Bei dieser ist die Antragsgegnerin Mehrheitseigentümer.
e) Betroffenes Bauvorhaben: SKA-RZ Bad Schallerbach:
Das Bauvorhaben SKA-RZ Bad Schallerbach betraf eine Bestandsadaptierung und die Errichtung eines Zubaus des Rehabilitationszentrums und wurde im offenen Verfahren im Oberschwellenbereich ausgeschrieben. Die BIEGE […] erhielt mit ihrem Angebot in der Höhe von EUR 6,089 Mio (netto) den Auftrag. Die Antragsgegnerin forderte die Ausschreibungsunterlagen an, legte aber kein Angebot.
12. Sonstige Auftraggeber nach Bundesländern:
a) Burgenland:
Die Antragsgegnerin war in Umsetzung der Gesamtzuwiderhandlung (ab 2012) im Burgenland vereinzelt an wettbewerbsbeschränkenden Handlungen beteiligt. Folgende Bauvorhaben waren davon betroffen:
Datum
Bauvorhaben
Auftraggeber
Oktober 2012
Außenanlagen AL. Gericht & Justizanstalt Eisenstadt
BIG
Juli 2012
B50 Businesszone Parndorf
Amt der burgenländischen Landesregierung
24.5.2012
Fernwärme Neudörfl und Bad Sauerbrunn
Kelag Wärme GmbH
Oktober 2014
Nickelsdorf Rahmenbauprogramm
Gemeinde Nickelsdorf
März 2014
Straßenbau Leithaprodersdorf und Wimpassing
Gemeinde Leitha-prodersdorf
b) Niederösterreich:
In Niederösterreich waren im Rahmen der Umsetzung der Gesamtzuwiderhandlung neben den oben beschriebenen Bauvorhaben anlassbezogen auch nachfolgende Bauvorhaben von den wettbewerbsbeschränkenden Handlungen (unter unmittelbarer Beteiligung der Antragsgegnerin in den Jahren 2012 bis 2014) betroffen:
Datum
Bauvorhaben
Auftraggeber
n/a
JBV Korneuburg
Vermutl Gemeinde Korneuburg
Februar 2012
ABA Auersthal BA 13, WVA Auersthal BA 07
Marktgemeinde Auersthal
Juni 2013
Umbau und Erweiterung Ikea Vösendorf
Ikea Ein-richtungs GmbH
April 2014
Neubau Logistikzentrum mit Sozialgebäude Ebergassing, Außenanlagen
Spar AG
März 2014
Merkur-City Wr Neustadt, Straßenbauarbeit
M-City Vermittlung
März 2014
Achau Straßenbau
Gemeide Achau
c) Oberösterreich:
In Oberösterreich war im Rahmen der Umsetzung der Gesamtzuwiderhandlung neben den oben beschriebenen Bauvorhaben anlassbezogen auch zumindest ein weiteres Bauvorhaben von den wettbewerbsbeschränkenden Handlungen unter unmittelbarer Beteiligung der Antragsgegnerin betroffen, und zwar im Mai 2014 das Bauvorhaben „ABA Birkensiedlung-Gartensiedlung Ansfelden/Haid“ des Auftraggebers WV Großraum Ansfelden.
E. Kenntnis bzw Kennenmüssen der Gesamtzuwiderhandlung:
Entscheidungsträgern (im Sinne des VbVG, insbesondere Mitarbeitern, denen maßgeblicher Einfluss auf die Geschäftsführung zukommt) der Antragsgegnerin waren aufgrund ihrer Beteiligung (insbesondere in Kärnten und der Steiermark) die Grundsätze der Gesamtzuwiderhandlung im Ausmaß der unmittelbaren Beteiligung der Antragsgegnerin bekannt. Die Antragsgegnerin hat diese im Ausmaß ihrer dargestellten Beteiligung auch mitgeprägt. Den Entscheidungsträgern der Antragsgegnerin war bekannt, dass das einheitliche Ziel des Systems darin bestand, das Risiko des Wettbewerbs zu minimieren oder auszuschließen, um sich gegenseitig zu Erteilung von Aufträgen zu verhelfen.
F. Mitteilung der Beschwerdepunkte:
Die Antragstellerin übermittelte der Antragsgegnerin, die im Rahmen des Kronzeugenprogramms durchgehend und umfassend mit der Antragstellerin kooperierte, als erstes Unternehmen ein Ersuchen um Vorgehen nach § 11b WettbG gestellt hatte und deren Informationen für die Aufklärung des Sachverhalts von besonderem Wert waren, die Mitteilung der Beschwerdepunkte am 2.9.2021 per WebERV. Dabei wurde die Antragsgegnerin mit dem Verdacht von jahrelangen systematischen kartellrechtswidrigen Absprachen im Hoch- und Tiefbau über einen Zeitraum von zumindest 2002 bis 2017 und mit einer Ausdehnung über weite Teile Österreichs konfrontiert und ihr rechtliches Gehör eingeräumt.
 
Zur Beweiswürdigung:
Der Sachverhalt steht außer Streit. Angesichts des Akteninhalts, insbesondere der Urkunden ./A bis ./F7, bestehen gegen diese Außerstreitstellungen keine Bedenken, weshalb von weiteren Erhebungen Abstand zu nehmen war (§ 33 Abs 1 AußStrG iVm § 38 KartG). Bei den Bauvorhaben laut D.12. war aber zu berücksichtigen, dass die Gemeinden Nickelsdorf, Leithaprodersdorf und Wimpassing an der Leitha im Burgenland liegen. Sie waren daher der Aufstellung zum Burgenland zuzuordnen.
Soweit zu einzelnen Bauvorhaben nur außer Streit gestellt wurde, dass der Bundeswettbewerbsbehörde Unterlagen vorliegen, die auf eine Beteiligung der Antragsgegnerin an den wettbewerbswidrigen Handlungen hindeuten, waren ergänzende Feststellungen zur tatsächlichen Beteiligung der Antragsgegnerin aus rechtlichen Gründen entbehrlich, weil eine geringe zusätzliche Anzahl an betroffenen Bauvorhaben für die Annahme der gegenständlichen Gesamtzuwiderhandlung ohne Bedeutung wäre.
 
Rechtlich folgt:
1.)Zur „Zwischenstaatlichkeit“:
Gemäß § 1 Abs 1 KartG sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmern, Beschlüsse von Unternehmervereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken (Kartelle), verboten. Insbesondere sind nach § 1 Abs 2 Z 1 KartG die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der An- oder Verkaufspreise oder sonstige Geschäftsbedingungen sowie nach Z 3 leg.cit. die Aufteilung der Märkte oder Versorgungsquellen verboten.
Nach Art 101 Abs 1 AEUV sind alle jene Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten, die den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken. Dazu gehören insbesondere die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der An- und Verkaufspreise oder sonstiger Geschäftsbedingungen (lit a) sowie die Aufteilung der Märkte oder Versorgungsquellen (lit c). Die Anwendung von Art 101 und 102 AEUV fällt in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten (Art 5 VO [EG] 1/2003).
Beim Kriterium der Zwischenstaatlichkeit handelt es sich um eine Kollisionsnorm, die keine wettbewerbsrechtliche Bewertung der Absprache trifft, sondern die Frage beantworten soll, ob es angemessen ist, den Sachverhalt nach Unionsrecht zu beurteilen. Art 101 Abs 1 AEUV erfordert, dass die wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung oder der Missbrauch der beherrschenden Stellung geeignet ist, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Diese Voraussetzung ist – was schon durch Abstellen auf die „Eignung“ angelegt ist – weit zu verstehen (16 Ok 7/15p mwN).
Maßnahmen, deren wettbewerbsbeschränkende Wirkungen sich auf das gesamte Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erstrecken, sind idR zur Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten geeignet, weil sie schon ihrem Wesen nach die Abschottung nationaler Märkte verfestigen und die gewünschte Marktintegration verhindern können. Ein Kartell, das sich auf das gesamte Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erstreckt, hat nämlich schon seinem Wesen nach die Wirkung, die Abschottung der Märkte auf nationaler Ebene zu verfestigen, indem es die in der Europäischen Union angestrebte wirtschaftliche Verflechtung behindert (Leitlinien zum Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels, ABl 2004/C 101/07, Rn 77 ff). Daher können auch Maßnahmen von Unternehmen, die sich nur auf den Wettbewerb innerhalb eines einzelnen Mitgliedstaats auswirken, den innergemeinschaftlichen Handel beeinflussen (16 Ok 4/13; 16 Ok 2/15b; 16 Ok 7/15p; 16 Ok 8/16m; RS0120478).
Bei den festgestellten Zuwiderhandlungen der Antragsgegnerinnen ist allein schon aufgrund ihrer Dimension und Dauer sowie aufgrund der Marktanteile der Antragsgegnerinnen jedenfallsdie Zwischenstaatlichkeit zu bejahen und Unionsrecht anzuwenden.
2.) Zum Vorliegen einer Vereinbarung oder abgestimmten Verhaltensweise:
Das Kartellverbot des Art 101 Abs 1 AEUV erfasst – wie jenes des § 1 Abs 1 KartG – insbesondere den Wettbewerb beeinträchtigende Vereinbarungen zwischen Unternehmern und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen. Beiden Tatbeständen ist gemeinsam, dass sie geeignet sein müssen, zwischen den beteiligten Unternehmern die Unsicherheiten über ihr zukünftiges Verhalten im Wettbewerb auszuschließen oder zu vermindern. In der Praxis ist eine Abgrenzung dieser Begriffe von geringer Relevanz, weil diese Formen wettbewerbsbeschränkenden Zusammenwirkens gleichrangig sind (Lager/Petsche in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG2 § 1 Rz 14 ff).
Der Begriff „Vereinbarung“ wird in diesem Zusammenhang weit ausgelegt: Nicht notwendig ist, dass es sich dabei um einen rechtlich verbindlichen Vertrag handelt; eine Vereinbarung liegt vielmehr schon dann vor, wenn die betreffenden Unternehmen ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck gebracht haben, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten. Folglich ist der Begriff der Vereinbarung durch das Vorliegen einer Willensübereinstimmung zwischen mindestens zwei Parteien gekennzeichnet, deren Ausdrucksform unerheblich ist, sofern sie den Willen der Parteien getreu wiedergibt. Bei einer Vereinbarung zwischen Unternehmern kommt es daher weder auf die Form der Vereinbarung (diese kann schriftlich, mündlich oder schlüssig getroffen werden) noch darauf an, ob sie auch tatsächlich umgesetzt wird (Lager/Petsche aaO § 1 Rz 18 f mwN).
Neben Vereinbarungen (und Beschlüssen von Unternehmervereinigungen) sind auch aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen vom Kartellverbot erfasst. Dabei handelt es sich nach ständiger Rechtsprechung des EuGH um jede Form der Koordinierung des Verhaltens zwischen Unternehmern, die zwar nicht bis zum Abschluss eines Vertrags im eigentlichen Sinn gediehen ist, aber bewusst eine praktische Zusammenarbeit an die Stelle des mit Risiken verbundenen Wettbewerbs treten lässt. Unter einer Verhaltensabstimmung ist also eine „Fühlungnahme“ zwischen den Unternehmern zu verstehen, die geeignet und bestimmt ist, deren Wettbewerbsrisiko abzuschwächen (Lager/Petsche aaO § 1 Rz 25 ff mwN).
Erfasst ist jede unmittelbare oder mittelbare Koordination zwischen Unternehmen, die bezweckt oder bewirkt, das Marktverhalten zu beeinflussen oder einen Mitbewerber über das Marktverhalten ins Bild zu setzen, das man selbst an den Tag zu legen entschlossen ist oder in Erwägung zieht (Lager/Petsche aaO § 1 Rz 31).
3.) Bezweckte Wettbewerbsbeschränkung
Vereinbarungen stellen dann einen Verstoß gegen Art 101 Abs 1 AEUV dar, wenn sie eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken. Prinzipiell müssen Wettbewerbsbeschränkungen, um vom Kartellverbot erfasst zu sein, auch spürbar sein. Spürbarkeitskriterien sind der Marktanteil, die Marktstellung, die finanziellen Ressourcen und der Umfang der Produktion der beteiligten Unternehmen sowie der Umfang der betroffenen Handelsströme (RS0106875). Handelt es sich bei den Vereinbarungen jedoch um solche, die ihrer Natur nach geeignet sind, den Handel zwischen Mitgliedsstaaten zu beeinträchtigen und sind diese auch auf diesen Zweck gerichtet sind, liegt es auf der Hand, dass solche Vereinbarungen spürbare negative Auswirkungen auf den Markt haben. Es wird daher davon ausgegangen, dass eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung, also eine, die schon ihrem Wesen nach schädlich für den Wettbewerb sind, den Wettbewerb stets spürbar beeinträchtigt (Hiersche/Mertel in Egger/Harsdorf-Borsch, Kartellrecht, § 1 Rz 74, EuGH C-228/18 – Budapest Bank; EuGH C-345/14 - Maxima Latvija). Aus diesen Erwägungen sind bei bezweckten Wettbewerbsbeschränkungen die konkreten Auswirkungen, also der genaue Umfang der Spürbarkeit für den Markt im Verfahren nicht zu prüfen (RS0120477). Solche Kernbeschränkungen gelten demzufolge unabhängig vom Marktanteil der beteiligten Unternehmen als „spürbar“ (vgl EuGH 13. 12. 2012, C-226/11, Expedia, RS0106875, 16 Ok 2/22k).
Bei der Prüfung der Frage, ob eine Vereinbarung eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung enthält, ist auf den Inhalt ihrer Bestimmungen und die mit ihr verfolgten Ziele sowie auf den wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhang, in dem sie steht, abzustellen. Im Rahmen der Beurteilung dieses Zusammenhangs sind auch die Natur der betroffenen Waren und Dienstleistungen, die auf dem betreffenden Markt oder den betreffenden Märkten bestehenden tatsächlichen Bedingungen und die Struktur dieses Markts oder dieser Märkte zu berücksichtigen. Für einen wettbewerbswidrigen Zweck reicht es bereits aus, wenn die Vereinbarung das Potenzial hat, negative Auswirkungen auf den Wettbewerb zu entfalten, dh wenn sie konkret geeignet ist, zu einer Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Markts zu führen (EuGH C-32/11 - Allianz Hungária, mwN). Das wesentliche Kriterium ist, dass eine solche Handlung in sich selbst eine hinreichende Beeinträchtigung des Wettbewerbs erkennen lässt (EuGH C-67/13 P - Groupement des cartes bancaires, mwN).
Kernbeschränkungen des Wettbewerbs wie Preisabsprachen, Produktions- und Absatzbeschränkungen und Marktaufteilungsabsprachen sind grundsätzlich bezweckte Beschränkungen des Wettbewerbs (RS0120917).
Das zwischen den Antragsgegnerinnen und ihren Mitbewerbern im Zeitraum Juli 2002 bis Mai 2017 etablierte System von Preisabsprachen, Marktaufteilungen und des Informationsaustauschesist also als bezweckterVerstoß gegen die Bestimmungen des Art 101 Abs 1 lit a und c AEUV und § 1 Abs 2 Z 1 und 3 KartG in Fortschreibung der zitierten Rechtssprechung nicht in Richtung Spürbarkeit iSd konkreten Auswirkungen auf den Markt zu prüfen.
4.) Zum Verschulden:
§ 29 KartG stellt klar, dass Geldbußen nur bei Verschulden zu verhängen sind, was wegen des engen Zusammenhangs mit dem Geldbußenverfahren (EBRV 1804 BlgNr 24. GP, 8) gleichermaßen für die Feststellung der Zuwiderhandlung nach § 28 Abs 1a Z 1 KartG gilt (hg 27 Kt 5/16m).
Der Unternehmer muss den Tatbestand vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführt haben. Gleiches gilt zufolge Art 23 VO 1/2003 im Unionsrecht.
Das KartG definiert nicht näher, was unter Vorsatz und Fahrlässigkeit zu verstehen ist. Einschlägige Definitionen enthalten aber die strafrechtlichen Bestimmungen der §§ 5 f StGB und § 3 VbVG (16 Ok 2/11).
Vorsätzlich handelt gemäß § 5 Abs 1 StGB, wer einen Sachverhalt verwirklichen will, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht; dazu genügt es, dass der Täter diese Verwirklichung ernstlich für möglich hält und sich mit ihr abfindet. Demgegenüber handelt fahrlässig, wer die Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den Umständen verpflichtet und nach seinen geistigen und körperlichen Verhältnissen befähigt ist und die ihm zuzumuten ist, und deshalb nicht erkennt, dass er einen Sachverhalt verwirklichen könne, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht (§ 6 Abs 1 StGB), und wer es für möglich hält, dass er einen solchen Sachverhalt verwirkliche, ihn aber nicht herbeiführen will (§ 6 Abs 2 StGB).
Gemäß dem – nach der bisherigen Judikatur (RS0124134 [T1]) analog anwendbaren - § 3 Abs 1 VbVG ist ein Verband – ein solcher ist nach der Legaldefinition des § 1 Abs 2 leg.cit. insbesondere eine juristische Person – unter den weiteren Voraussetzungen des Abs 2 oder des Abs 3 für eine Straftat verantwortlich, wenn 1. die Tat zu seinen Gunsten begangen worden ist oder 2. durch die Tat Pflichten verletzt worden sind, die den Verband treffen.
Die Voraussetzungen des § 3 Abs 1 VbVG sind hier erfüllt, weil durch die festgestellten Verhaltensweise Pflichten der Antragsgegnerinnen verletzt wurden.
Für Straftaten eines Entscheidungsträgers ist gemäß § 3 Abs 2 VbVG der Verband verantwortlich, wenn der Entscheidungsträger als solcher die Tat rechtswidrig und schuldhaft begangen hat. Entscheidungsträger iSd VbVG ist nach dessen § 2 Abs 1, wer 1. Geschäftsführer, Vorstandsmitglied oder Prokurist ist oder aufgrund organschaftlicher oder rechtsgeschäftlicher Vertretungsmacht in vergleichbarer Weise dazu befugt ist, den Verband nach außen zu vertreten, 2. Mitglied des Aufsichtsrates oder des Verwaltungsrates ist oder sonst Kontrollbefugnisse in leitender Stellung ausübt, oder 3. sonst maßgeblichen Einfluss auf die Geschäftsführung des Verbandes ausübt.
Für Straftaten von Mitarbeitern ist gemäß § 3 Abs 3 VbVG der Verband verantwortlich, wenn
1. Mitarbeiter den Sachverhalt, der dem gesetzlichen Tatbild entspricht, rechtswidrig verwirklicht haben; der Verband ist für eine Straftat, die vorsätzliches Handeln voraussetzt, nur verantwortlich, wenn ein Mitarbeiter vorsätzlich gehandelt hat; für eine Straftat, die fahrlässiges Handeln voraussetzt, nur, wenn Mitarbeiter die nach den Umständen gebotene Sorgfalt außer Acht gelassen haben; und
2. die Begehung der Tat dadurch ermöglicht oder wesentlich erleichtert wurde, dass Entscheidungsträger die nach den Umständen gebotene und zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben, insbesondere indem sie wesentliche technische, organisatorische oder personelle Maßnahmen zur Verhinderung solcher Taten unterlassen haben.
Mitarbeiter iSd VbVG ist gemäß § 2 Abs 2 leg.cit., wer (unter anderem) aufgrund eines Arbeitsverhältnisses Arbeitsleistungen für den Verband erbringt.
Nach dem festgestellten Sachverhalt wurden die Kartellrechtsverstöße von Entscheidungsträgern der Antragsgegnerin gesetzt. Diese haben mit Vorsatz gehandelt, weil ihnen die Grundsätze der Gesamtzuwiderhandlung und deren Zielsetzung bekannt waren.
Da demnach Entscheidungsträger der Antragsgegnerin ein Verschulden trifft, bedarf es keiner Erörterung, ob im Lichte der Entscheidung des EuGH vom 7.2.2013, C-68/12, Protimonopolný úrad Slovenskej, an der (analogen) Anwendung der (engeren) Zurechnungsvoraussetzungen des VbVG festzuhalten ist.
5.) Zur Verjährung:
Das kartellrechtswidrige Verhalten der Antragsgegnerin umfasste einen Zeitraum von Juli 2002 bis Mai 2017.
§ 33 KartG idF BGBl I Nr. 176/2021 ist nach § 86 Abs 12 KartG auf Rechtsverletzungen anzuwenden, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes (10.9.2021) noch nicht verjährt sind.
Gemäß § 33 Abs 1 1. Satz KartG darf eine Geldbuße nur verhängt werden, wenn der Antrag binnen fünf Jahren ab Beendigung der Rechtsverletzung gestellt wurde. Diese Frist wird unterbrochen, sobald mindestens einem an der Rechtsverletzung beteiligten Unternehmer oder einer beteiligten Unternehmervereinigung eine auf Ermittlung oder Verfolgung der Rechtsverletzung gerichtete Handlung der Bundeswettbewerbsbehörde bekanntgegeben wird. Mit jeder Unterbrechung beginnt die Frist neu zu laufen.
Diese Vorschrift ist wegen wegen des engen Zusammenhangs mit dem Geldbußenverfahren (EBRV 1804 BlgNr 24. GP, 8) auch auf einen Feststellungsantrag nach § 28 Abs 1a Z 1 KartG anwendbar.
Anders als Art 25 der VO 1/2003 differenziert § 33 KartG nicht zwischen einmaligen, dauernden und fortgesetzten Zuwiderhandlungen bzw Zustands- und Dauerdelikten. Nach dem Gesetzeswortlaut muss das Verhalten insgesamt beendet sein, um den Beginn der Verjährungsfrist auszulösen.
Bei den Dauerdelikten ist zwischen dauernden und fortgesetzten Zuwiderhandlungen zu unterscheiden. Eine dauernde Zuwiderhandlung besteht aus einer andauernden, eine fortgesetzte aus mehreren Handlungen, die jede für sich die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllen. Somit handelt es sich bei einer dauernden Zuwiderhandlung um ein abgrenzbares rechtswidriges Verhalten, das ohne Unterbrechung über einen längeren Zeitraum gesetzt wird. Eine fortgesetzte Zuwiderhandlung liegt demgegenüber immer dann vor, wenn eine zu einer rechtlichen Einheit zusammengefasste Vielzahl rechtswidriger aufeinander folgender Verhaltensweisen oder mehrere abgrenzbare Handlungen, die auf die Durchführung einer einzigen Zuwiderhandlung gerichtet sind, erfolgen (Traugottin Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG2 § 33 Rz 6 und 7).
Der Begriff der fortgesetzten Zuwiderhandlung umfasst eine Mehrzahl von rechtswidrigen Verhaltensweisen oder von Handlungen zur Durchführung einer einzigen Zuwiderhandlung, die durch ein gemeinsames subjektives Element zu einer Einheit verbunden sind (EuGH C-235/92 P - Montecatini/Kommission).
Ein Verstoß gegen Art 101 Abs 1 AEUV und § 1 Abs 2 Z 1 und 3 KartG kann sich somit nicht nur aus einer isolierten Handlung, sondern auch aus einer Reihe von Handlungen oder einem kontinuierlichen Verhalten ergeben. Bei der Einstufung unterschiedlicher Handlungen als einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung ist zu prüfen, ob zwischen ihnen insoweit ein Komplementaritätsverhältnis besteht, als jede von ihnen eine oder mehrere Folgen des normalen Wettbewerbs beseitigen soll und durch Interaktion zur Verwirklichung sämtlicher wettbewerbswidriger Wirkungen beiträgt, die ihre Urheber im Rahmen eines auf eine einheitliche Zielsetzung gerichteten Gesamtplans anstreben. Insoweit sind alle Umstände zu berücksichtigen, die dieses Verhältnis belegen oder in Frage stellen können, wie der Anwendungszeitraum, der Inhalt einschließlich der verwendeten Methoden und im Zusammenhang damit die Zielsetzung der verschiedenen fraglichen Handlungen (EuG T-27/10 - AC-Treuhand/Kommission). Bei fortgesetzten Delikten, also solchen Verstößen, die aus mehreren Teilhandlungen bestehen, die in ihrer Begehungsweise gleichartig sind, in einem nahen zeitlichen Zusammenhang stehen und von einem Gesamtvorsatz getragen sind, beginnt die Verjährungsfrist erst mit Beendigung des letzten Teilakts zu laufen (16 Ok 2/15b, 8/15k mwN).
Nach den Feststellungen liegt hier eine einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung der Antragsgegnerin gegen das Kartellrecht vor, da alle Einzelverstöße auf einen einheitlichen Gesamtplan und Gesamtsystem beruhen.
Im gegenständlichen Fall liegt trotz der Beendigung der Gesamtzuwiderhandlung im Mai 2017 und der Einbringung des Antrags erst am 21.2.2023 keine Verjährung vor, weil die Mitteilung der Beschwerdepunkte an die Antragsgegnerin im Jahr 2021 die Verjährungsfrist unterbrochen hat. Da die Zuwiderhandlungen weniger als 5 Jahre vor der Mitteilung der Beschwerdepunkte beendet waren und der Feststellungsantrag binnen 5 Jahren nach dieser eingebracht wurde, ist somit keine Verjährung eingetreten.
6.) Zur Rechtfertigung:
Ein Freistellungs- bzw Rechtfertigungsgrund nach § 2 Abs 1 KartG und Art 101 Abs 3 AEUV wurde nicht behauptet und ist nicht erkennbar.
7.) Ergebnis:
Demgemäß war dem gemäß § 28 Abs 1a Z 1 KartG aufgrund der Anerkennung des Kronzeugenstatus der Antragsgegnerin gestellten Antrag auf Feststellung der Gesamtzuwiderhandlung im Zeitraum Juli 2002 bis Mai 2017 vollinhaltlich stattzugeben.“

Ausdruck vom: 28.04.2024 02:27:53 MESZ