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Kategorie:

Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung

Dienststelle:

OLG Wien (009)

Aktenzeichen:

24 Kt 1/24p


Bekannt gemacht am:

10.03.2025

Entscheidungsdatum:

17.07.2024


Einstweilige Verfügung:
I. Der Antragsgegnerin wird aufgetragen, binnen 14 Tagen bis zur Rechtskraft der Entscheidung über den Abstellungsantrag zu 24 Kt 2/24k,
- entsprechend dem Vignettenvertriebsvertrag vom 20.12.2011, der Verlängerungsvereinbarung vom 14.3.2012 und dem Sideletter vom 2.11.2020
1. der Antragstellerin Zugang zum Vertriebspartnerportal zu gewähren, über welches die Antragsgegnerin digitale Vignetten vertreibt, um der Antragstellerin den Erwerb von digitalen Mautprodukten, dh digitalen Vignetten und digitalen Streckenmauten, zu ermöglichen,
2. die Antragstellerin weiterhin entsprechend den von der Antragstellerin zu tätigenden Bestellungen mit Klebevignetten zu beliefern,
3. das Abrechnungssystem weiterhin uneingeschränkt aufrecht zu erhalten.
 
II.Das Mehrbegehrenauf Erteilung der Aufträge gemäß Punkt I. auch für den Zeitraum vom 1.5.2024 bis zum Ablauf der Leistungsfrist wird abgewiesen.
 
 
Begründung
 
Die Antragstellerin beantragte im Wesentlichen wie aus dem Spruch ersichtlich. Sie brachte vor, die Antragsgegnerin habe den Vignettenvertriebsvertrag zur Antragstellerin per 30.4.2024 ohne sachliche Rechtfertigung gekündigt. Es hätten weder im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung noch laufend offene Zahlungsverpflichtungen bestanden. Die Antragstellerin sei eine zuverlässige und langjährige Vertragspartnerin der Antragsgegnerin. Das Insolvenzverfahren der Antragstellerin aus dem Jahr 2018 sei irrelevant, weil die Vertragsbeziehung von 2018 bis 2024 fortgesetzt worden sei. Das am 7.7.2023 eröffnete Insolvenzverfahren der Antragstellerin habe mit einem bestätigten Sanierungsplan geendet. Die Antragsgegnerin habe keinen Zahlungsausfall erlitten.
Zwischen den Streitteilen sei keine wöchentliche Abrechnung der Klebevignetten, sondern ein monatliches Abrechnungsintervall ohne Beanstandung durch die Antragsgegnerin gelebt worden. Als die Antragsgegnerin erstmals nach Interventionen eine wöchentliche Abrechnung gefordert habe, sei die Antragstellerin diesem Wunsch umgehend nachgekommen. Die Antragsgegnerin führe im Nachhinein vermeintliche Vertragsverletzungen ins Treffen, um die Kündigung zu rechtfertigen. Das Portalfür die Klebevignetten der Antragstellerin sei am 30.6.2023 von der Antragsgegnerin gesperrt und erst nach Beanstandungen am 13.10.2023 geöffnet worden. Die Antragstellerin habe über das Portal in diesem Zeitraum gar keine Abrechnungen vornehmen können. Es sei daher nicht nachvollziehbar, dass die Kündigung, welche die Antragsgegnerin am 10.10.2023 ausgesprochen habe, auf nicht eingehaltene Abrechnungsmodalitäten gestützt werde.
Die Antragsgegnerin wolle Dritte vom Vignetten-Vertrieb ausschließen und ihre Marktbeherrschung weiter ausbauen. Die Antragstellerin werde durch die Kündigung geschädigt. Es entfalle ihr nicht nur der Gewinnanteil aus den verkauften Vignetten, sondern auch aus dem Verkauf sonstiger Produkte, die Kunden anlässlich des Vignettenkaufs erwerben würden. Der Vertrieb der Vignetten sei ein wichtiger Bestandteil ihres Produktportfolios. Aufgrund des Insolvenzverfahrens, das mit dem bestätigten Sanierungsplan geendet habe, befinde sich die Antragstellerin in herausfordernder finanzieller Zeit. Die Vertragsbeendigung bewirke eine Reduktion der Kundenfrequenz, die ein wirtschaftliches Problem der Antragstellerin auslöse.
 
Die Antragsgegnerin bestritt und beantragte die Abweisung der Anträge.
Die Antragsgegnerin habe einen Forderungsausfall von EUR xxx.xxx,-- durch das Insolvenzverfahren der Antragstellerin im Jahr 2018 erlitten. Die Antragstellerin habe im Jahr 2018 Klebevignetten bezogen, verkauft, aber die Differenz zwischen Verkaufserlös und Provision an die Antragsgegnerin nicht oder nicht zur Gänze abgeführt. Die Antragsgegnerin habe sich dennoch bereit erklärt, das Vertragsverhältnis fortzuführen und die Antragstellerin auch für den Vertrieb von digitalen Vignetten unter Vertrag zu nehmen. Die Abrechnung der digitalen Vignetten erfolge automatisch über das Vertriebspartnerportal und erfordere kein Zutun der Antragstellerin. Hinsichtlich der Klebevignetten habe sich die Antragstellerin im Sideletter 2020 zu einer wöchentlichen Abrechnung verpflichtet, diese jedoch trotz wiederholter Abmahnung nicht eingehalten, sodass die Abrechnung und daraus resultierend die Zahlung verspätet erfolgt seien. Von Anfang Juni 2023 bis Anfang Februar 2024 habe die Antragstellerin an folgenden Tagen abgerechnet: 5.6.2023, 3.7.2023, 6.7.2023 (zwei Abrechnungen), 10.10.2023, 8.11.2023, 18.12.2023, 27.12.2023, 2.1.2024, 1.2.2024.
Im Sanierungsverfahren 2023 sei der Antragsgegnerin nur deshalb kein Zahlungsausfall entstanden, weil die Insolvenzeröffnung im Sommer erfolgt sei; zu einer Zeit, in der die Verkäufe nicht so umfangreich seien wie um den Jahreswechsel. Die offenen Beträge seien durch die Bankgarantie gedeckt gewesen.
Es sei richtig, dass das Portal für die Antragstellerin aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gesperrt worden sei. Die Antragstellerin habe aber aufgrund ihrer Vorbestellung im Umfang eines Jahresvolumens auch in dieser Zeit über genügend Klebevignetten verfügt.
Vor dem Hintergrund der nochmaligen Insolvenz und der Nichteinhaltung des vereinbarten Abrechnungsintervalls sehe sich die Antragsgegnerin außerstande, das Vertragsverhältnis aufrecht zu erhalten. Das Vertrauen in eine erfolgreiche Zusammenarbeit sei nachhaltig beeinträchtigt. Es liege eine ausreichende sachliche Rechtfertigung für die Beendigung des Geschäftsverhältnisses vor.
Der Antragstellerin entstehe durch die Auflösung der Vertragsbeziehung kein schwerwiegender betriebswirtschaftlicher Nachteil. Ihr Produkt- und Leistungsportfolio sei nicht auf den Vignettenverkauf, der ohnehin nur um den Jahreswechsel vermehrt stattfände, ausgerichtet. Die Antragstellerin habe die Unwiederbringlichkeit des Schadens und das Schadensausmaß für das Vorliegen eines Verstoßes nicht ausreichend vorgebracht.
 
Folgender Sachverhalt ist bescheinigt:
Die Antragsgegnerinist die nach § 1 ASFINAG-Gesetz errichtete Aktiengesellschaft, deren Aktien zur Gänze im Eigentum der Republik Österreich stehen. Ihr Unternehmensgegenstand ist insbesondere die Finanzierung, die Planung, der Bau und die Erhaltung von Bundesstraßen, einschließlich der dafür notwendigen und zweckdienlichen Infrastruktur und die Einhebung von zeit- und fahrleistungsabhängigen Mauten von den Nutzern dieser Straßen. Sie hat das Fruchtgenussrecht (§§ 509 ff ABGB) an allen Autobahnen und Schnellstraßen in Österreich. Damit verbunden ist das Recht, die Einhebung von Mauten und Benützungsgebührenvon sämtlichen Nutzern der ihr übertragenen Straßen vorzunehmen.
Die Antragstellerin ist im B2C-Sektor als Automobilfachmarkt bekannt. Sie bietet Mobilitätsdienstleistungen und für Unternehmen sowie Flottenbetreiber maßgeschneiderte Leistungspakete an. Die Antragstellerin hat ihre Zentrale an der Geschäftsanschrift in der Königstetter Straße 128-134 in 3430 Tulln an der Donau. Sie betreibt derzeit 70 Filialen in Österreich.
Die Antragstellerin und die Antragsgegnerin standenseit dem Abschluss des Vignetten-Vertriebs-Vertrages vom 20.12.2011 (Vertragsbeginn 30.12.2011) in einer Geschäftsbeziehung. Gegenstand des Vertrages vom 20.12.2011 war der Vertrieb von Klebevignetten. Zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vignettenvertriebsvertrages existierten Vignetten nur in Form von physischen, auf die Fahrzeugscheibe aufzuklebenden Vignetten. Die Antragstellerin verkaufte die auf Kommission von der Antragsgegnerin bezogenen Klebevignetten im Namen und auf Rechnung der Antragsgegnerin. Für den Verkauf erhielt die Antragstellerin eine Provision. Die Antragstellerin hatte die Abrechnung über die von ihr vertriebenen Klebevignetten monatlich über das bei der Antragsgegnerin bestehende Internet-Vignetten-Portal („Verkaufsportal“) abzuwickeln. Die Antragstellerin erhob dabei den aktuellen Bestand an Klebevignetten pro Monat und meldete die Differenz zum Vormonat als Verkauf. Stichtag für die Meldung war der jeweilige Monatsletzte. Die Antragsgegnerin hatte die Meldung längstens bis zum 5. dem Stichtag folgenden Werktag zu übermitteln. Sollten Abrechnungen nicht fristgerecht durchgeführt werden, so galt ab der Fälligkeit ein Verzugszinssatz von acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß § 352 UGB als vereinbart. Der Vertrag wurde zunächst bis zum 31.3.2012 befristet abgeschlossen (./A).
Am 14.3.2012 vereinbarten die Streitteile die Verlängerung des Vignetten-Vertriebs-Vertrages auf unbestimmte Zeit (./B). Die Antragstellerin brachteder Antragsgegnerin für die Verlängerung vereinbarungsgemäßeine unbefristete Bankgarantie von EUR xx.xxx,-- bei.
Im Jahr 2018 wurde über die Antragstellerin das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Antragsgegnerin meldete für den Monat 2018 eine Forderung von EUR xxx.xxx,--aus dem Verkauf der Klebevignetten an (./4). Am 8.5.2018 wurde der Sanierungsplan mit einer Quote von 20% angenommen. Die Antragsgegnerin buchte eine offene Forderung von EUR xxx.xxx,-- als uneinbringlich aus.
Ende 2017 wurde erstmals für das Jahr 2018 die Vignette in digitaler Form eingeführt.
Am 21.8.2020 wandten sich die Vertreter der Antragstellerin per Email an die Antragsgegnerin und ersuchten, in ihren Shops Vignetten auch in digitaler Form anbieten zu dürfen. Sie verwiesen darauf, dass die Antragstellerinneue Eigentümer und ein neues Management mit langjähriger Branchen-Expertise habe.Das Unternehmen sei mit frischem Kapital ausgestattet und habe zum letzten Bilanzstichtag 2019 eine Eigenkapitalquote von rund 15%.
Am 10.9.2020 richteten der Geschäftsführer der Antragstellerinund ein Gesellschafterder Antragstellerin eine E-Mail an die Antragsgegnerin mit folgendem wesentlichen Inhalt (./2):
...Vielen Dank für den konstruktiven Termin und das offene Gespräch am 8.9. Wir freuen uns, dass die Zusammenarbeit zwischen ASFINAG und Forstinger vertieft werden soll. Wie besprochen würden wir die operative Umsetzung des Verkaufs der digitalen Vignette in unserem Shop gemeinsam mit Herrn xxx vorbereiten. Um einen Neustart für beide Seiten attraktiv zu gestalten, können wir Ihnen – wie im Termin besprochen – verbesserte Zahlungskonditionen wie folgt anbieten:
Klebevignette:
- wöchentliche Abrechnung (bisher 14-tägige Abrech- nung)
- 7 Tage netto mittels Bankeinzug (wie bisher)
- xx.xxx,-- Euro Bankgarantie (wie bisher)
Digitale Vignette:
- tägliche Abrechnung
- 7 Tage netto mittels Bankeinzug
- xx.xxx,-- Euro Bankgarantie
Wir freuen uns auf eine gute und langfristige Zusammenarbeit und ersuchen um Ihre Bestätigung
mit besten Grüßen xxx (Geschäftsführer)“
Die Geschäftsführerin der Antragsgegnerin antwortete am 10.9.2020:
Sehr geehrter Herr xxx,
vielen Dank für den kurzfristigen Vorschlag nach unserem Termin. Die vorgeschlagenen Modalitäten sind für uns in Ordnung, wir gehen davon aus, dass die Bankgarantie für die digitale Vignette zusätzlich gilt. Hinsichtlich der weiteren Vorgangsweise ersuchen wir Sie, diese direkt mit Herrn xxx abzustimmen.
Mit freundlichen Grüßen“
Daraufhin vereinbarten die Streitteile in einemSideletter (./3) zum Vertriebsvertrag vom 2.11.2020, dass die Antragstellerin für ihre Kunden nun auch die Digitale Vignette und die Digitale Streckenmaut als Vertragsprodukt anbieten sollte. Unter Punkt 3.5, Punkt 5.1. und Punkt 5.2. des Sideletters hielten sie fest:
3.5. Die Abrechnung der digitalen Vignetten und der digitalen Streckenmaut erfolgt zweimal pro Monat gemeinsam mit der Provisionsrechnung, wobei die Stichtage immer der 15. Kalendertag und der jeweilige Letzte eines Monats sind. Für die Monate November bis einschließlich Februar erfolgt im Unterschied zur oben stehenden Regelung die Abrechnung der digitalen Vignette und der digitalen Streckenmaut täglich gemeinsam mit der Provisionsrechnung. Der Stichtag ist hierbei immer der nächste Werktag.
Die Abrechnung der Klebevignette erfolgt viermal pro Monat gemeinsam mit der Provisionsrechnung, wobei die Stichtage für die Meldungen immer der 7., 15., 22. Kalendertag und der jeweilige Letzte eines jeden Monats sind. Die Stichtagsmeldung ist dem Vertragsgeber längstens nach 3 Tagen dem Stichtag folgenden Werktag zu übermitteln. Der Vertragsnehmer wird die Abrechnung über das beim Vertragsgeber bestehende Internet-Vignetten-Portal (Internetportal B2B) abwickeln.
5.1.: Zusätzlich zu der bereits bestehenden Bankgarantie in Höhe von EUR xx.xxx,-- übergibt der Vertragsnehmer dem Vertragsgeber eine weitere unwiderruflicheselbstschuldnerische Bankgarantie in der Höhe von EUR xx.xxx,-- für die Sicherstellung aller Forderungen aus dem Verkauf sämtlicher Mautprodukte.
5.2.: Festgehalten wird, dass sämtliche übrigen Regelungen aus den bezughabenden Verträgen, welche vorliegender Vereinbarung nicht widersprechen, weiterhin in Kraft sind.
Die Antragstellerin brachte vereinbarungsgemäß die weitere Bankgarantie von EUR xx.xxx,-- bei. Eine Umstellung der bisher erfolgten monatlichen Abrechnung laut dem Vignettenvertriebsvertrag vom 20.12.2011 auf einewöchentliche Abrechnung der Klebevignetten laut dem Sideletter erfolgte tatsächlich nicht. Die Antragsgegnerin beanstandete dies auch nicht und wenn eine Abrechnungserinnerung der Antragsgegnerin an die Antragstellerin erfolgte, dann war dies eine Erinnerung zur monatlichen Abrechnung gemäß dem Vignettenvertriebsvertrag.
So richtete das Vignetten-Team der Antragsgegnerin am 8.5.2023 eine E-Mail an die Antragstellerin zu Handen der Leiterin der Buchhaltungmit folgendem Inhalt (./L):
Sehr geehrte/r Vertriebspartner/in,
gemäß Vignetten-Vertriebs-Vertrag sind Sie verpflichtet, Ihre Monatsabrechnung längstens bis zum 5. dem Stichtag folgenden Werktag zu übermitteln. Bis zum heutigen Stichtag 8.5.2023 wurde noch keine Monatsabrechnung durch Sie erfasst. Bitte führen Sie die offene Provisionsabrechnung für den Verkaufsmonat 04 im Vignetten-Portal B2B durch. Sollten Sie zwischenzeitlich eine Provisionsabrechnung gelegt haben, betrachten Sie diese E-Mailals gegenstandslos.“
Am 6.7.2023 wurde über die Antragstellerin das Sanierungsverfahren ohne Eigenverwaltung eröffnet (./1). Wenige Tage vor der Insolvenzeröffnung sperrte die Antragsgegnerin das Portal für die Bestellung der Online-Vignetten („Vertriebspartnerportal“) für die Antragstellerin. Nach der Insolvenzeröffnung am 7.7.2023 sperrte die Antragsgegnerin auch das Bestell- und Abrechnungsportal für die Klebevignetten. Die Antragsgegnerin öffnete das Abrechnungsportal für die Klebevignetten nach Urgenz der Antragstellerin wieder am 10.10.2023.In der Zeit zwischen dem 7.7.2023 und dem 10.10.2023 war der Antragstellerin die Abrechnung der Klebevignetten aufgrund der Sperre nicht möglich.Die Bestellung der Online Vignetten auf dem Vertriebspartnerportal war der Antragstellerin ab dem 13.10.2023 wieder möglich.
Am 10.10.2023 um 7.48 Uhr richtete derVertriebsleiter Mauteinhebung der Antragsgegnerin, ein Schreiben an die Antragstellerin zu Handen der Leiterin der Buchhaltung mit folgendem Inhalt (./H, Anhang 1):
Sehr geehrte Frau xxx,
wir sehen noch keine Abrechnung für die Klebevignette. Bitte um dringende Abrechnung. Mit besten Grüßen.“
Die Abrechnung der Klebevignetten wurde von der Antragstellerin am 10.10.2023 vorgenommen (./6 drittletzter Absatz).
Ebenfalls am 10.10.2023 richteten die Geschäftsführerin der Antragsgegnerin und ein Prokurist der Antragsgegnerin ein Schreiben an die Antragstellerin, das wie folgt lautete (./C):
Kündigung Vignettenvertriebsvertrag
Sehr geehrte Damen und Herren, gemäß Vertriebsvertrag über den Verkauf von österreichischen Autobahn-Vignetten ist unter Punkt 3. Z 3 festgelegt, dass jeder der Partner die Möglichkeit hat, das Vertragsverhältnis unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von 3 Monaten zum Monatsletzten zu kündigen. Hiermit machen wir von unserem Recht der Vertragsbeendigung Gebrauch und kündigen den Vertrag mit der Nr. 3269. Das Vertragsverhältnis endet somit am 31.1.2024. Wir bitten Sie, ab 1.2.2024 die Vignetten aus den Niederlassungen einzuholen, damit eine Abholung durch unsere Vertriebsbetreuerin spätestens am 15.2.2024 erfolgen kann. Diese werden sich diesbezüglich mit Ihnen in Verbindung setzen. Im Anschluss werden wir eine Endabrechnung erstellen. Mit dem Ersuchen um Kenntnisnahme verbleiben wir mit freundlichen Grüßen
Mit Beschluss vom 12.10.2023 wurde der Sanierungsplan der Antragstellerin, wonach die Gläubiger zur vollständigen Befriedigung ihrer Forderungen eine Quote von 20% erhielten, rechtskräftig bestätigt und das Sanierungsverfahren aufgehoben.
Die Antragsgegnerin erlitt durch das Sanierungsverfahren der Antragstellerin keinen Zahlungsausfall. Ihre Forderung von wenigen Tausend Euro wurde durch den Zug einer der beiden, von der Antragstellerin bestellten Bankgarantien, welche die offene Forderung um mehr als das 10-fache überstiegen, gedeckt.
Am 8.11.2023 richtete der Vertriebsleiter der Mauteinhebung eine E-Mail an die Leiterin der Buchhaltung der Antragstellerin (./H Anlage 2) unter dem Betreff:
RE: Abrechnung Oktober:
Sehr geehrte Frau xxx, wir bitten Sie höflichst, die Abrechnung der Klebevignette heute durchzuführen. Beste Grüße“.
Die Abrechnung der Klebevignetten wurde von der Antragstellerin am 8.11.2023 durchgeführt (./6 drittletzter Absatz).
In einem MS Teams Gespräch im November 2023, an dem Vertreter der Antragsteller- und Antragsgegnerseite teilnahmen, fragte die Antragstellerin nach dem Grund der Kündigung, worauf von der Antragsgegnerin die strategische Neuausrichtung der Antragsgegnerin im Online-Vignettengeschäft als Grund angegeben wurde.
DieAbweichung von den im Sideletter vereinbarten Abrechnungsbedingungenund die Insolvenz 2023nannte die Antragsgegnerin der Antragstellerin nicht alsGrund für die Kündigung des Vertragsverhältnisses. Sie warenauch tatsächlich nicht der Grund dafür, dass die Antragsgegnerin die Vertragsbeziehung nicht mehr fortführen wollte.
Am 5.12.2023 richtete die Rechtsvertretung der Antragstellerin an die Geschäftsführerin und einen Prokuristen der Antragsgegnerin ein Schreiben, in dem sie mitteilten, die Vertragskündigung nicht zur Kenntnis zu nehmen. Sie sei ein zuverlässiger und langjähriger Vertriebspartner und habe sich in der mehr als 10-jährigen Zusammenarbeit niemals Vertragsverletzungen schuldig gemacht. Die Fortführung des Unternehmens wäre durch die Auflösung des Vertrages gefährdet. Verträge, die für die Fortführung des Unternehmens eine Gefahr darstellten, unterlägen der Auflösungssperre des § 25a IO. Die Antragsgegnerin könnte daher erst frühestens 6 Monate nach Eröffnung des Verfahrens auflösen. Kündigungsfristen könnten vor Ablauf der Frist nicht zu laufen beginnen (./D).
Am 18.12.2023 erfolgte eine Abrechnung der Antragstellerin für die Klebevignetten (./6 drittletzter Absatz).
Seit dem Beginn der Vertragsbeziehung im Dezember 2011 bis zum Dezember 2023 lebten die Streitteile (weiterhin)die monatliche Abrechnung der Klebevignetten laut dem Vignetten-Vertriebsvertrag und nicht die wöchentliche Abrechnung laut dem Sideletter.
Mit E-Mail vom 19.12.2023 schrieb eine Sachbearbeiterin der Antragsgegnerin an die Leiterin der Buchhaltung der Antragstellerin:
Sehr geehrte Frau xxx, wie vereinbart, bitten wir Sie dringend, die wöchentlicheAbrechnung der Klebevignetten im Vignetten-Portal vorzunehmen. Mit freundlichen Grüßen“ (./H Anhang 3).
Mit diesem Email mahnte die Antragsgegnerin die Antragstellerin das erste Malschriftlich,eine wöchentliche statt der bisher erfolgten monatlichen Abrechnung der Klebevignetten durchzuführen. Es ist nicht bescheinigt, dass die Antragsgegnerin vor dem 19.12.2023 eine wöchentliche Abrechnung telefonisch urgiert hätte (./6).
Mit Schreiben vom 21.12.2023(./E) wies die Rechtsvertretung der Antragsgegnerin die Rechtsvertretung der Antragstellerin darauf hin, dass die Abrechnung der Klebevignetten durch die Antragstellerin nur unregelmäßig und nicht pünktlich zu den vereinbarten (wöchentlichen) Zeitpunkten erfolgt sei. Eine Aufkündigung des Vertrages mit der Antragstellerin sei vor dem Hintergrund der nochmaligen Insolvenz sowie der Nichteinhaltung der vereinbarten Abrechnungsintervalle sachlich gerechtfertigt. Die Antragsgegnerin spreche eine Kündigung nach entsprechender Mahnung auch gegenüber anderen Vignetten-Vertriebspartnern, die in Verzug mit Zahlungen geraten, aus. Die Antragstellerin werde daher von der Antragsgegnerin nicht schlechter gestellt als andere Vertriebspartner. Die Antragsgegnerin habe im aktuellen Insolvenzverfahren nur deshalb keinen Zahlungsausfall erlitten, weil das Insolvenzverfahren im Sommer eröffnet worden sei, also zu einem Zeitpunkt, zu dem die Verkäufe von Jahres-Klebevignetten nicht so umfangreich seien wie rund um den Jahreswechsel. Die offenen Beträge im Sommer 2023 seien durch die Bankgarantie gedeckt gewesen. Da der Antragstellerin die in § 25a IO normierte Auflösungssperre zugute komme, werde ein nochmaliges Kündigungsschreiben übermittelt, mit dem das Vertragsverhältnis zum 30.4.2024 aufgelöst werde.
Am 27.12.2023 und am 2.1.2024 erfolgten jeweils Abrechnungen der Klebevignetten durch die Antragsstellerin.
Es ist nicht bescheinigt, dass ein Sanierungsverfahren zu einem anderen Zeitpunkt im Jahr eine mangelnde Deckung einer Forderung der Antragsgegnerin zur Folge gehabt hätte.
Mit Schreiben vom 11.1.2024 kündigte die Antragsgegnerin den Vignetten-Vertriebs-Vertrag per 30.4.2024 unter Einhaltung der vertraglich vereinbarten Kündigungsfrist von 3 Monaten (./F). Sie führte in diesem Schreiben wie folgt aus:
Sehr geehrte Damen und Herren, Sie haben von uns ein mit 10.10.2023 datiertes Schreiben erhalten, mit dem wir den Vertriebsvertrag über den Verkauf von österreichischen Autobahnvignetten zum 31.1.2024 gekündigt haben. Im Hinblick auf die möglichen Auslegungsvarianten von § 25a IO nehmen wir vorsichtshalber die mit 10.10.2023 datierte Kündigungserklärung zurück. Wir sprechen hiermit die ordentliche Kündigung des Vertragsverhältnisses in seiner Gesamtheit (dh hinsichtlich aller Arten von Klebe- und digitalen Vignetten sowie der digitalen Streckenmaut) aus. Unter Berücksichtigung der vertraglich vereinbarten Kündigungsfrist von drei Monaten endet das Vertragsverhältnis sohin mit Wirkung zum 30.4.2024. Wir bitten Sie, ab 1.5.2024 die Klebevignetten aus den Niederlassungen einzuholen, damit eine Abholung durch unsere Vertriebsbetreuer spätestens am 15.6.2024 erfolgen kann. Diese werden sich diesbezüglich mit Ihnen in Verbindung setzen...mit freundlichen Grüßen“
Am 1.2.2024 erfolgte eine Abrechnung der Klebevignetten durch die Antragstellerin. Mit Schreiben vom selben Tag (./G) teilte die Antragstellerin mit, die Kündigung nicht zu akzeptieren. Es seien keinerlei Beanstandungen hinsichtlich der Abrechnungen bekannt, weshalb um diesbezügliche Übermittlung ersucht werde.
Mit Email vom 9.2.2024 machte die Antragsgegnerin die Antragstellerin auf die vereinbarte wöchentliche Abrechnung aufmerksam (./5).
Am 14.2.2024 richtete die Leiterin der Buchhaltung der Antragstellerin an den Vertriebsleiter Mauteinhebung eine E-Mail, in welcher sie darauf hinwies, künftig die Abrechnung in einem wöchentlichen Intervall durchzuführen. Dass dies bereits länger vereinbart gewesen sein sollte, sei für die Antragstellerin nicht ganz nachvollziehbar. In dem ihr vorliegenden Vignetten-Vertriebs-Vertrag sei in Punkt 5.6. eine monatliche Abrechnung vereinbart. Auch in der Erinnerung der Antragsgegnerin vom 8.5.2023 sei explizit auf eine Monatsabrechnung hingewiesen worden. Die Verkäufe vom 1.2. bis 14.2.2024 würden aber morgen abgerechnet und am kommenden Montag würde auf eine wöchentliche Abrechnung umgestellt werden (./5, ./K).
Es ist nicht bescheinigt, dass und in welcher Höhe der Antragsgegnerin durch die abweichende Abrechnung einSchaden entstand.
DieInsolvenz 2023 und die abweichende Abrechnung warenfür die Antragsgegnerin tatsächlich nicht die Gründe für die Kündigung im Jänner 2024.
In der Zeit zwischen September 2023 und Mai 2024 hatte die Antragstellerin insgesamt 12.000 Bons fakturiert, auf denen sich zumindest eine Online- oder Klebevignette befand. Insgesamt verkaufte sie in diesem Zeitraum 13.500 Vignetten. Hinsichtlich der anderen Produkte, die gemeinsam mit diesen Vignetten verkauft wurden, erzielte die Antragstellerin einen Rohertrag von mehreren zehntausend Euro, dieser macht im Vergleich zum Gesamtrohertrag etwa 5% aus.
 
Der Sachverhalt basiert auf folgender Bescheinigung:
Der Sachverhalt war im Wesentlichen unstrittig und basierte zudem auf dem Inhalt der vorgelegten unbedenklichen, in Klammer gesetzten Urkunden. Die im Bescheinigungsverfahren erfolgten, durchwegs um Wahrheit bemühten Aussagen deckten sich weitgehend, sodass der Inhalt der MS-Teamssitzung von November 2023, die Sperre sowohl des Vertriebspartnerportals für Online Vignetten als auch des Verkaufsportals (Bestell- und Abrechnungsportals für Klebevignetten) und der auf das Crossselling entfallende Rohertrag den widerspruchsfreien Angaben entnommen werden konnten.
Nach den glaubhaften Aussagen des Geschäftsführers der Antragstellerin sowie des Einkaufsleiter der Antragstellerin und der Leiterin der Buchhaltung der Antragstellerin wurde die vom Sideletter abweichende Abrechnungsmodalität und die Insolvenz aus dem Jahre 2023 von der Antragsgegnerin auf Nachfrage nicht als Grund für die Kündigung vom 10.10.2023 angegeben. Als Grund habe die Antragsgegnerin nach der übereinstimmenden Wahrnehmung der Sitzungsteilnehmer eine strategische Neuausrichtung im Online Vignetten Geschäft angeführt. Auch der Abteilungsleiter Maut-Einhebung der Antragsgegnerin erläuterte, dass die Kündigung „nicht alleine aus strategischen Überlegungen, sondern auch weil sich die Antragsgegnerin die Zusammenarbeit der letzten Jahre und den Rückgang der Verkaufszahlen angesehen hätte“, erfolgt sei.
Dass eine wöchentliche Abrechnung erstmals mit 19.12.2023 schriftlich eingemahnt wurde, ist aufgrund der unbedenklichen Emails der Streitteile belegt. Bevor die Sperre des Abrechnungsportals für den Zeitraum zwischen dem 7.7.2023 und 10.10.2023 erfolgte, bescheinigen die Emails der Antragsgegnerin, dass sie die Einhaltung der monatlichen Abrechnung des Vignettenvertriebsvertrages (monatlich zum 5.), nicht jedoch einer wöchentlichen Abrechnung laut dem Sideletter forderte. Im Email vom 8.11.2023 wurde von der Antragsgegnerin ebensowenig auf eine wöchentliche Abrechnung Bezug genommen.
Doch auch die vom Vertriebsleiter Mauteinhebung der Antragsgegnerin in seiner eidesstattlichen Erklärung ./6 angegebenen Telefonate zielten nach seiner eigenen Aussage „nicht nur“ auf das Thema Abrechnung ab, sodass zum Einen nicht bescheinigt war, es hätte vor der ersten schriftlichen Mahnung überhaupt die angeführten Telefonate jeweils zum Thema „Abrechnung“ gegeben, zum Anderen ging aus ./6 nicht hervor, dass eine wöchentliche Abrechnung telefonisch urgiert worden wäre. Darüber hinaus ist es überwiegend wahrscheinlich, dass die Antragsgegnerin, wäre eine solche telefonische Urgenz erfolgt, in ihren Emails darauf Bezug genommen hätte. Die zeitliche Angabe der Auskunftsperson und Leiterin der Buchhaltungsabteilung der Antragstellerin zu einer ersten Urgenz Ende November 2023 war diesbezüglich nicht ganz präzise ebenso wie ihre Angabe, dass bis Februar 2024 nur eine monatliche Abrechnung erfolgt sei. Die von der Antragsgegnerin vorgelegten unbedenklichen Urkunden belegen die erste schriftliche Urgenz im Dezember 2023 und eine mehrfache Abrechnung der Antragstellerin im Dezember 2023.
Es war daher überwiegend wahrscheinlich, dass die Antragsgegnerin auf die wöchentliche Abrechnung solange keinen Wert legte bis die Antragstellerin die Gründe für die Kündigung hinterfragte und der Kündigung im November 2023 im Hinblick darauf, sich keiner Vertragsverletzungen schuldig gemacht zu haben, widersprach. Erst danach schenkte die Antragsgegnerin dieser Vertragsabweichung ihr Augenmerk. So gab der Vertriebsleiter Mauteinhebung der Antragsgegnerin, befragt wie es zur Kündigung gekommen sei, an: „Nach Rücksprache mit der Rechtsvertretung ist der Abrechnungszeitraum, der im Sideletter vereinbart worden ist, nicht eingehalten worden. Wir haben uns die letzten Monate vom Jahr 2023 angesehen und gesehen, dass das monatlich erfolgt ist.“ Selbst wenn die Auskunftsperson (wie im Protokollberichtigungsantrag behauptet) „die Rechtsabteilung“ statt „die Rechtsvertretung“ gemeint haben könnte, ist es überwiegend wahrscheinlich, dass strategische Überlegungen bei der Einmahnung im Vordergrund standen und nicht die Wichtigkeit der Vertragsabweichung an sich. Wäre die Vertragsabweichung von vertrauenszerstörender Bedeutung hätte sie dem dafür verantwortlichen Vertriebsleiter der Antragsgegnerin seit Jahren auffallen und Verzugszinsen angedroht bzw. geltend gemacht werden müssen. In dieses Bild passen sehr treffend auch die Antworten des Pokuristen der Antragsgegnerin, der auf die Fragen der Antragstellerin, ob ausschließlich die Insolvenz 2018 oder Zahlungsrückstände für die Kündigung ausschlaggebend waren, antwortete: „Nein, wir haben auch die Verkaufszahlen beobachtet, die zurückgegangen sind und haben uns daraufhin auf den Kündigungspassus zurückgezogen. Wir haben uns intern abgesprochen, wann die Kündigung ausgesprochen wird.“
Die Antragstellerin erstattete kein widersprechendes Vorbringen zu den von der Antragsgegnerin behaupteten und in ./6 aufgelisteten Abrechnungen. Es ist dadurch dokumentiert, dass die Antragstellerin unmittelbar nach der schriftlichen Urgenz der Antragsgegnerin im Dezember 2023 innerhalb der darauf folgenden 14 Tage zweimal abrechnete.
Die Antragsgegnerin bescheinigte nicht, dass ihr durch die abweichende Abrechnung ein Schaden entstand. So wären unter eine wöchentliche Abrechnung nach der glaubhaften Aussage des Vertriebsleiters Mauteinhebung der Antragsgegnerin auch Nullmeldungen (keine Verkäufe) gefallen, die somit keinen Verzugsschaden in dem jeweiligen Monat, in dem Nullmeldungen zu erstatten gewesen wären, zur Folge haben konnten. Die Antragsgegnerin konnte zudem vertraglich vereinbarte Verzugszinsen bei einer Abweichung von der Abrechnung verlangen, die gegen einen Verzugsschaden zur Verfügung standen. Eine Behauptung, dass Verzugszinsen gefordert, aber von der Antragstellerin nicht gezahlt worden wären, wurde nicht erhoben. So vermeinten die Vertriebsleiter der Antragsgegnerin, Herr xxx und Herr xxx übereinstimmend: „Geld hat die Asfinag zuletzt im Insolvenzverfahren 2018 verloren. Seit der Insolvenz 2018 und dem dort erlittenen Forderungsausfall haben wir keinen Forderungsausfall mehr bei Forstinger verzeichnen müssen, weil unsere Forderung durch die Bankgarantie abgedeckt war.“
Dass der Antragsgegnerin sohin überhaupt ein finanzieller Nachteil durch die monatliche Abrechnung entstand, ist nicht bescheinigt. Ebensowenig ist die Behauptung der Antragsgegnerin bescheinigt, dass die Deckung der Forderung durch eine der beiden Bankgarantien nur deshalb möglich gewesen sei, weil das Sanierungsverfahren in einer verkaufsschwachen Zeit, im Sommer, eröffnet worden sei. Nach den plausiblen Angaben des Einkaufsleiters Herrn xxx und des Prokuristen Herrn xxx der Antragsgegnerin in Zusammenhalt mit der geringen Forderung im Sanierungsverfahren 2023 war das Geschäft mit den Klebevignetten generell rückläufig und kaum rentabel. Dass eine Forderung der Antragsgegnerin aus dem Verkauf der Klebevignetten die Höhe der Bankgarantie in verkaufsstärkeren Monaten überstiegen hätte, ist nicht als überwiegend wahrscheinlich anzunehmen.
Zusammengefasst ergab sich für das Gericht daher mit der erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit das Bild, dass die Antragsgegnerin zwar das Insolvenzverfahren 2023 und die abweichende Abrechnung zum Anlass für die Kündigung nahm, ihre tatsächliche Motivation dafür jedoch eine andere war.
 
Rechtliche Beurteilung:
1. Die Erlassung einer EV nach § 48 KartG verlangt im Gegensatz zu § 381 EO keine Gefahrenbehauptung und -bescheinigung. Es ist nur die Bescheinigung des Abstellungsanspruches wegen einer wettbewerbsrechtlichen Zuwiderhandlung, hier des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung, erforderlich (RS0123759; 16 Ok 6/08).Der Antragsteller trägt die Behauptungs- und Bescheinigungslast für dieanspruchsbegründenden Tatsachen (König/Weber, EV6 Rz 10.68; 16 Ok 13/13; 16 Ok 1/21i).
2. Die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung ist nach europäischem gleich wie nach nationalem Kartellrecht verboten (Art 102 AEUV, § 5 KartG). Art 102 AEUV erfasst die missbräuchliche Ausnützung nur soweit eine beherrschende Stellung auf dem Binnenmarkt oder auf einem wesentlichen Teil desselben vorliegt und die Handlung dazu führen kann, den Handel zwischen Mitgliedsstaaten zu beeinträchtigen (vgl Jung in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union (56. EL) Art 102 Rn 56 f). Für die Beurteilung der Missbrauchstatbestände des § 5 KartG sind nach ständiger Rechtsprechung und herrschender Lehre auch Art 102 AEUV und die dazu ergangenen Entscheidungen heranzuziehen (RS0110382 [T5]; s auch Hoffer/Barbist, Das neue Kartellrecht3 35; Vartian/Schuhmacher in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG 20052 § 5 Rz 22).
2.1. Ohne Bedeutung ist für den vorliegenden Fall, dass nach § 24 Abs 3 Z 2 KartG das KartG nicht auf staatliche Monopolunternehmungen anzuwenden ist, soweit sie in Ausübung der von ihnen gesetzlich übertragenen Monopolbefugnisse tätig werden, was von der Antragsgegnerin nachzuweisen ist (16 Ok 14/03). Diese Ausnahme setzt voraus, dass der Verfahrensgegenstand die Ausübung von Monopolbefugnissen betrifft (Kühnert in Egger/Harsdorf-Borsch, Kartellrecht § 24 Rn 20). Solche Monopolbefugnisse werden hier nicht angesprochen, weil das BStMG nur die Einhebung der Maut durch die Antragsgegnerin als (einzige) Mautgläubigerin vorsieht (§ 3 BStMG); dasselbe gilt nach den jeweiligen Straßensonderfinanzierungsgesetzen (s § 32 Abs 1 BStMG) für die von der digitalen Streckenmaut betroffenen Mautstrecken (siehe bereits 28 Kt 4/20b, Rz2.2.2). Beim Vertrieb der Vignetten handelt es sich um einen nachgelagerten Markt, auf dem verschiedene Unternehmen im Wettbewerb zueinander stehen und kein Monopol der Antragstellerin besteht (28 Kt 4/20b, Rz 2.2.2, vgl auch 16 Ok 14/03). Die Ausnahmebestimmung des § 24 KartG kommt daher – auch mangels entsprechender Behauptung der Antragsgegnerin – nicht zur Anwendung.
3. Normadressat des kartellrechtlichen Marktbeherrschungstatbestands ist der „Unternehmer“. Dem Kartellrecht liegt – schon aufgrund der nach § 20 KartG gebotenen wirtschaftlichen Betrachtung – ein eigenständiger Unternehmensbegriff zugrunde. Der Begriff des Unternehmens im kartellrechtlichen Sinn erfasst jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung, wobei die wirtschaftliche Betätigung entscheidend ist (RS0124391). DerStaat selbst oder eine staatliche Einheit können als Unternehmen tätig sein (EuGH C41/83, Italien/Kommission, Rn 16 ff). Dagegen haben Tätigkeiten, die in Ausübung hoheitlicher Befugnisse erfolgen, keinen wirtschaftlichen Charakter (EuGH C138/11, Compass-Datenbank GmbH/Republik Österreich, Rn 36).
3.1. Die Einhebung der Maut durch die Antragsgegnerin kommt ihr aufgrund des Rechts der Fruchtnießung (§§ 509 ff ABGB) an den Mautstrecken zu (vgl § 6 ASFINAG-Ermächtigungsgesetz 1997). Die Antragsgegnerin handelt aber beim Vertrieb der Mautproduktenicht hoheitlich. Sie bietet eine Dienstleistung am Markt an und wird damit wirtschaftlich tätig (in diesem Sinn auch 4 Ob 96/19z Pkt 1.1.4). Dass die Höhe der von ihr einzuhebenden Entgelte (hoheitlich) normiert ist (vgl die Verordnungsermächtigung in § 12 Abs 1 BStMG und in den Straßensonderfinanzierungsgesetzen), steht damit nicht im Widerspruch. Die Antragsgegnerin ist Unternehmerin im Sinn des KartG.
4. Da die Abstellung nach § 26 KartG voraussetzt, dass der Antragsgegnerin eine marktbeherrschende Stellung zukommt, ist der relevante (beherrschte) Markt abzugrenzen. Im Missbrauchsverfahren sind der relevante Markt für jedes Verfahren zu definieren und die Wettbewerbsbedingungen einer Analyse zu unterziehen (16 Ok 1/18k [Pkt 4.2.]; EuG T-125/97 und T-127/97, Coca Cola/Kommission, Rz 82).
4.1. Der sachlich relevante Markt liegt im Vertrieb von Mautprodukten (betreffend österreichische Mautstrecken). Nach der Rechtsprechung des KOG bedarf es bei der Antragsgegnerin im Sicherungsverfahren keiner detaillierteren Marktabgrenzung (16 Ok 1/21i Rn 36).
4.2. Der sachlich abgegrenzte Markt ist hinsichtlich der räumlichen Abgrenzung nicht problematisch, weil die Antragsgegnerin der Antragstellerin am sachlich relevanten Markt den Vertrieb von Mautproduktenin ganz Österreich (70 Filialen) unterbindet.
5. Marktbeherrschung liegt vor, wenn ein Unternehmen in der Lage ist, die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs auf dem relevanten Markt zu verhindern, indem es die Möglichkeit hat, sich seinen Wettbewerbern, seinen Abnehmern und letztlich den Verbrauchern gegenüber in einem nennenswerten Umfang unabhängig zu verhalten (RS0110205).
5.1.Die Antragsgegnerin nimmt für den relevanten Markt des Vertriebs von Mautprodukten eine marktbeherrschende Stellung ein, die von ihr nicht bestritten wurde. Angesichts der gesetzlichen Stellung der Antragsgegnerin als einzige Mautgläubigerin ist ihre marktbeherrschende Stellung evident, unabhängig davon, wie weit oder eng man den konkret betroffenen Markt abgrenzt (s 16 Ok 1/21i Rn 36).
6. Der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ist ex lege verboten. Ein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung liegt vor, wenn ein den anderen Marktteilnehmern wirtschaftlich überlegener Unternehmer auf das Marktgeschehen in einer Weise Einfluss nimmt, die geeignet ist, negative Auswirkungen auf die Markt- und Wettbewerbsverhältnisse zu entfalten; die objektive Eignung des Verhaltens genügt (RS0119533 [T5]). Durch den damit gewährleisteten Leistungswettbewerb soll eine Wettbewerbssituation sichergestellt werden, die den Verbrauchern durch niedrigere Preise, eine bessere Qualität oder eine breitere Auswahl neuer oder leistungsfähigerer Produkte und Dienstleistungen zu Gute kommt (EuGH C-377/20, Servicio Elettrico, Rn 85).Ein Unternehmen, das eine beherrschende Stellung innehat, trägt somit unabhängig von den Ursachen einer solchen Stellungeine besondere Verantwortung dafür, dass es durch sein Verhalten einen wirksamen und unverfälschten Wettbewerb nicht beeinträchtigt (EuGH C‑307/18, Generics [UK] Ltd, Rn 153; C‑413/14 P, Intel/Kommission, Rn 135). Dementsprechend können sich Unternehmen in beherrschender Stellung zwar gegen ihre Wettbewerber verteidigen, sie müssen dies aber mit Mitteln tun, die auf einem „normalen“ d.h. leistungsbasierten, Wettbewerb beruhen. Dies ist nicht der Fall, wenn eine Praxis nicht von einem hypothetischen Mitbewerber verfolgt werden kann, der zwar ebenso effizient ist, aber auf dem relevanten Markt keine beherrschende Stellung hat (EuGH C-377/20, Servicio Elettrico, Rn 75 ff).
6.1. Die Antragstellerin macht einen Fall des Behinderungsmissbrauchs durch Lieferverweigerung geltend, weil die Antragsgegnerin die Weiterführung der bisherigen Geschäftsbeziehung und die Lieferung der Mautprodukte an sie für den Weitervertrieb verweigert.
7.Auch einem marktbeherrschenden Unternehmen steht es grundsätzlich frei, zu entscheiden, mit wem und auf welcher Grundlage kontrahiert wird und welche Vertriebswege gewählt werden (RS0132203). Es muss aber ein angemessener Ausgleich zwischen den Erfordernissen eines unverfälschten Wettbewerbs einerseits sowie der Vertragsfreiheit und dem Eigentumsrecht des beherrschenden Unternehmens andererseits hergestellt werden (vgl EuGH C-42/21P, Lietuvos geležinkeliai, Rn 86; s auch 16 Ok 1/12; 16 Ok 14/04).
7.1. Bei dieser Abwägung ist nach der Rechtsprechung des EuGH dem Umstand Rechnung zu tragen, dassdie Stellung des marktbeherrschenden Unternehmens nicht auf eigene Investitionen zurückzuführen ist, sondern mit öffentlichen Mitteln ermöglicht wurde und dieses Unternehmen nicht Eigentümer der Infrastruktur ist, deren Nutzung begehrt wird. In diesen Fällen muss nicht nachgewiesen werden, dass der Vertragsgegenstand für den Antragsteller unentbehrlich im Sinne der Bronner-Rechtsprechung ist (EuGH C-42/21P, Lietuvos geležinkeliai, Rn 87).
7.1.1.Gemäß § 2 ASFINAG-Ermächtigungsgesetz 1997 wurde der Antragsgegnerin von der öffentlichen Hand ein Recht der Fruchtnießung (§§ 509 ff ABGB) an allen Bestandteilen bestehender und künftig zu errichtender Bundesstraßen übertragen. Der Fruchtgenussvertrag hat nach § 9 ASFINAG-Ermächtigungsgesetz 1997 im Gegenzug vorzusehen, dass die Antragsgegnerin näher bezeichnete Straßen zu planen, zu bauen und zu erhalten hat. Nach den Materialien hat hier der Bund aber dafür Sorge zu tragen, dass der Antragsgegnerin die zur Erfüllung ihrer Aufgaben notwendigen liquiden Mittel zur Verfügung stehen (ErläutRV 1853 BlgNR 20. GP, 11). Die Marktstellung der Antragsgegnerin istdaher durch öffentliche Mittel ermöglicht.
8. Der Abbruch laufender Geschäftsbeziehungen ist nach § 5 KartG nur in Ausnahmefällen, insbesondere aus zwingenden wirtschaftlichen oder technischen Gründen gerechtfertigt (vgl 16 Ok 1/21i, Rn 40; Vartian/Schuhmacher in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG² § 5 Rn 78). In der Lehre wird für Art 102 AEUV von einer grundsätzlichen Pflicht des Marktbeherrschers zur Fortführung einer bestehenden Lieferbeziehung ausgegangen, es sei denn, der Abbruch ist sachlich gerechtfertigt (Bulst in Bunte, Kartellrecht II14 Art 102 Rn 262; Fuchs in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht6 Art 102 AEUV Rz 311;Busche in Kölner Kommentar zum Kartellrecht, Art 102 Rn 166). Die Anforderungen an die Feststellung eines Missbrauchs von Marktmacht sindsomit geringer als im Fall der Verweigerung eines erstmaligen Vertragsabschlusses (Brand in Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht (75. EL) Art 102 Rn 365 f; Fuchs in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht6 Art 102 AEUV Rz 312). So stellt die Unerlässlichkeit des Vertragsgegenstands für die Wettbewerbsteilnahme des Geschäftspartners keine notwendige Voraussetzung für die Missbräuchlichkeit dar (Bulst in Bunte, Kartellrecht II14 Art 102 Rn 262)
8.1.Der Marktbeherrscher ist nach herrschender Lehre zu Art 102 AEUV nachweispflichtig, dass zwingende sachliche Gründe für einen Abbruch der Geschäftsbeziehung sprechen und dass auch die Verhältnismäßigkeit gewahrt wird (Brand in Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht (75. EL) Art 102 Rn 365; Fuchs in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht6 Art 102 AEUV Rz 312). Das sachliche Interesse des Marktbeherrschers an einem Abbruch der Geschäftsbeziehung müsse das Interesse des betroffenen Unternehmens an einer Fortsetzung der Geschäftsverbindung und damit das Interesse der Allgemeinheit an einer Offenhaltung der Märkte in weit stärkerem Maße überwiegen als bei anderen Fallgruppen des Marktmachtmissbrauchs (Busche in Kölner Kommentar zum Kartellrecht, Art 102 Rn 164). Die Ablehnungsgründe sind transparent darzulegen, sodass der Nachfrager die Möglichkeit hat, sie auf Plausibilität zu überprüfen (26 Kt 2/08, ausdrücklich gebilligt durch das KOG: 16 Ok 6/08 Pkt 5.; Vartian/Schuhmacher in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG2 § 5 Rz 80). Für die Beurteilung, ob eine hinreichende sachliche Rechtfertigung für den Abbruch der Geschäftsbeziehung besteht, ist auch auf den Grad der Marktmacht des Normadressaten abzustellen (mwN zur deutschen Rechtsprechung Nothdurft in Bunte, Kartellrecht I14 § 19 Rn 441, 446). Jedenfalls müssen die Maßnahmen des marktbeherrschenden Unternehmens fair sein und in einem angemessenen Verhältnis zur Bedrohung stehen (16 Ok 12/03; 16 Ok 22/97).
9.Zusammengefasst gilt für die Beurteilung nach Art 102 AEUV und§ 5 KartG, dass der Abbruch laufender Geschäftsbeziehungen durch den Marktbeherrscher nur dann zulässig ist, wenn ein sachlicher Rechtfertigungsgrund vorliegt und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt wird.
10.Zwingende Gründe für einen Abbruch laufender Geschäftsbeziehungen können in der Person des Geschäftspartners liegen (16 Ok 1/21i, Rn 40; Vartian/Schuhmacher in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG² § 5 Rn 78). Insbesondere schwerwiegende Verletzungen vertraglicher Pflichten des Vertragspartners gegenüber dem Marktbeherrscher oder geschäftsschädigendes Verhalten, verbunden mit der Zerstörung der Vertrauensbasis können in Betracht kommen (vgl 16 Ok 12/03). Nach Lehre und Rechtsprechung in Deutschland erlaubt das bloße rechtswidrige Verhalten des Abnehmers noch keine vollständige Lieferverweigerung (mwN Loewenheim in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht4, § 19 GWB Rn 57).
10.1. Die Antragstellerin rechnete im Zeitraum zwischen November 2020 und Dezember 2023 Klebevignetten anders als im Sideletter vereinbart monatlich und nicht wöchentlich ab. Seit Beginn ihrer Geschäftsbeziehung im Jahr 2011 lebten die Streitteile daher die monatliche Abrechnungsweise. So forderte die Antragsgegnerin bis Dezember 2023 schriftlich nur die Monatsabrechnung wie sie im Vignettenvertriebsvertrag vom 20.12.2011(./A) ursprünglich vereinbart war (./L; ./H Anhang 2) und nicht die wöchentliche Abrechnung wie sie im Sideletter vereinbart war, von der Antragstellerin. Eine wöchentliche Abrechnung wurde von der Antragsgegnerin erstmals nach der (ersten) Kündigung am 19.12.2023 schriftlich eingefordert.
Im Zeitraum zwischen dem 7.7.2023 und der (ersten) Kündigung der Geschäftsbeziehung am 10.10.2023 war der Antragstellerin eine Abrechnung durch die von der Antragsgegnerin vorgenommene Sperre des Abrechnungsportals überhaupt nichtmöglich.
10.1.1.Das Abweichen vom wöchentlichen Abrechnungsintervall bei den Klebevignetten stelltedaher weder objektiv noch subjektiv für die Antragsgegnerin eine so schwerwiegende Verletzung vertraglicher Pflichten dar, dass die Aufrechterhaltung des Geschäftsverhältnisses unzumutbar geworden wäre.
10.2. Dass angesichts der erstmaligen Urgenz im Dezember 2023 und der darauf sofort erfolgten Kündigung im Jänner 2024 eine Umstellung der jahr(zehnt)elang gelebten Abrechnungsmodalität bei 70 Filialen erst mit einer Verzögerung von wenigenWochen(Jänner 2024 und Februar2024)vorgenommen wurde, entbanddie Antragsgegnerin als Marktbeherrscherinnichtihrer Pflicht zur Fortführung eines bestehenden Vertragsverhältnisses.
10.3. Selbst wenn man in der Abweichung von den Abrechnungsmodi einenobjektiv sachlichen Rechtfertigungsgrund für den Abbruch der Geschäftsbeziehung erblicken würde, entspricht das Vorgehen der Antragsgegnerin nicht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Bei den Klebevignetten war es der Antragsgegnerin als mildere Maßnahme zumutbar, die tatsächlich erfolgten wöchentlichen Verkäufe bei der Antragstellerin zu hinterfragen und sollte es überhaupt zu wöchentlichen Verkäufen gekommen sein, die vertraglich vereinbarten Verzugszinsen zu fordern. Zumindest hätte die Antragsgegnerin die Einhaltung des wöchentlichen Abrechnungsintervalls unter Androhung einer Vertragsbeendigungso frühzeitig vor der Kündigung einzumahnen gehabt, dass der Antragstellerin ausreichend Zeit verblieben wäre,darauf zu reagieren. Es mangelte daher vor dem Ausspruch der Kündigung an einer zeitgerechten, transparenten Darlegung eines objektiven Grundes, der von der Antragstellerin auf ihre Plausibilität hätte geprüft werden können.
10.4.Bei den Online-Vignetten wurde keine Abweichung von den vereinbarten Abrechnungsmodalitäten behauptet. Die Kündigung des gesamten Vertragsverhältnisses (Klebevignetten und Onlinevignetten) durch die marktbeherrschende Antragsgegnerinstehtdaher auch in keinem angemessenen Verhältnis zu einer bloß möglichen finanziellen Bedrohung, die lediglich die abweichende Abrechnungsmodalität der Klebevignetten darstellen könnte. Zudem wurde nicht bescheinigt, dass und inwieweitder Antragsgegnerin durch die abweichende Abrechnung der Klebevignetten überhaupt ein Schaden entstand.
11.Der Abbruch von Geschäftsbeziehungen ist insbesondere aus zwingenden wirtschaftlichen Gründen wie zB der finanziellen Unzuverlässigkeit des Handelspartners gerechtfertigt (vgl 16 Ok 1/21i; Vartian/Schuhmacher in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG² § 5 Rn 78). Nach deutscher Rechtsprechung rechtfertigen Zahlungsverzögerungen den Abbruch von Lieferbeziehungen in aller Regel nicht, wenn bei begründeten Zweifeln an der Bonität des Abnehmers Vorkasse verlangt werden kann (BGH KZR 2/04, Sparberaterin II, mwN Nothdurft in Bunte, Kartellrecht I14 § 19 Rn 449).Nach einer Entscheidung des OLG Karlsruhe (6 U 57/06) ist es bei hohen offenen Forderungen für den Marktbeherrscher zwar zulässig, den Geschäftspartner nicht mehr auf offene Rechnung zu beliefern, nicht jedoch, die Lieferung auf Vorkasse zu verweigern. Dies ist Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, da ein Vertragsabbruch nicht gerechtfertigt ist, wenn die verfolgten Zwecke – hier der Schutz gegen Zahlungsausfälleauch durch mildere Maßnahmen erreicht werden können (Loewenheim in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht4, § 19 GWB Rn 57).
Nach österreichischer Rechtsprechung besteht für einen Marktbeherrscher etwa keine Verpflichtung zur Lieferung gegen Vorauskasse-Zahlungen, wenn hohe Außenstände bestehen und die Geschäftspartnerin diese nicht in angemessener Frist abbauen kann (16 Ok 20/97).
11.1. DasneuerlicheSanierungsverfahrender Antragstellerin kann zwar berechtigte Zweifel an ihrer Bonität und der Tragfähigkeit ihrer geschäftlichen Gebarung begründen. So kann die Vermeidung von Zahlungsausfällen dem Grunde nach einen zwingenden wirtschaftlichen Grund darstellen, der den Abbruch von Geschäftsbeziehungen rechtfertigen kann. Mit dem Leistungswettbewerb im Einklang wäre ein Geschäftsabbruch aber nur dann, wenn in einer solchen Situation ein hypothetischer Mitbewerber, der zwar ebenso effizient wie der Marktbeherrscher ist, aber auf dem relevanten Markt keine beherrschende Stellung hat, angesichts des Ausfallrisikos die Vertragsverbindung beendigen würde.
11.2.Der Verweis der Antragsgegnerin auf den Forderungsausfall aus der Insolvenz der Antragstellerin im Jahr 2018, der alleine aus dem Vertrieb der Klebevignetten resultierte,begründet keine sachliche Rechtfertigung für die aktuelle Lieferverweigerung, weilsich die wirtschaftlichen Umstände seither stark veränderten. Durch das Aufkommen der Online-Vignetten sowie die von der Antragstellerin erhöhten Bankgarantien sind wesentliche Änderungen im Geschäftsumfeld eingetreten, die Auswirkungen auf das Ausfallrisiko der Antragsgegnerin hatten. Bei den Online-Vignetten, die während der umsatzstarken Monate November bis Februar täglich abgerechnet werden, bestand kein Ausfall. Es haftete auch unstrittig keine Forderung der Antragsgegnerin aus dem Vertrieb der Onlinevignetten im Zuge des Sanierungsverfahrens im Sommer 2023 aus.
Für das äußerst geringe Ausfallrisiko bei den Klebevignetten spricht, dass die offene Forderung von wenigen Tausend Euro bei Weitem von der dafür bestelltenBankgarantie im fünfstelligen Bereich gedeckt war.
Eine finanzielle Unzuverlässigkeit der Antragstellerin gegenüber der Antragsgegnerin, die eine sachliche Rechtfertigung der Kündigung begründen könnte, bestand nicht. Sie war auch auf Bescheinigungsebene tatsächlich nicht der Grund für die Kündigung.
11.3.Selbst wenn man in dem erneuten Sanierungsverfahren objektiv einen sachlichen Grund für die Vertragsbeendigung erblicken wollte, fehlt es auchhier an der Verhältnismäßigkeit des Handelns der Antragsgegnerin. So wäre esder Antragsgegnerin zumutbar gewesen, als gelinderes Mittel mit der Antragstellerin in Verhandlungen zu treten und in sachlich gerechtfertigtem Umfang beispielsweise eine Erhöhung der Bankgarantie für die Klebevignetten zu fordern. Ebenso hätte die Lieferung von Klebevignetten von einer Vorauszahlung abhängig gemacht werden können, was ein allfälliges zukünftiges Ausfallrisiko noch weiter minimiert hätte. Schließlich hätte die Belieferung der Klebevignette von derBelieferung der online Vignette entkoppelt werden können und bei einer allfälligen Sanktionierung des Verhaltens der Antragstellerin im Zusammenhang mit dem Vertrieb der Klebevignetten, die Belieferung mit online Vignetten wie bisher fortgeführt werden können.
12.Bei der Verhältnismäßigkeit ist vor allem die Situation der Antragstellerin zu berücksichtigen (BrandaaO Rz 367).Einelangjährige Lieferbeziehung, wie hier,genießt einen höheren Schutz. Das Vertrauen der Antragstellerin auf den Bestand dieser Vertragsbeziehung, die weder unter dem aktuellen Sanierungsverfahren noch nachweisbar unter der Abrechnungsabweichung finanziell gelitten hat, ist gerade in der sonst geschwächten Situation der Antragstellerin zu schützen.
Die Maßnahmen der Antragsgegnerin stehen somit nicht in einem angemessenen Verhältnis zu bloßmöglichen zukünftigenZahlungsausfällenim Zusammenhang mit dem Klebevignettenvertrieb.
13. Zusammengefasst überzeugen die von der Antragsgegnerin als sachliche Rechtfertigung für die Verweigerung der Fortsetzungder Geschäftsbeziehung vorgebrachten Argumente unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nach Ansicht des erkennenden Senats nicht.
Die Weigerung der Antragsgegnerin, mit der Antragstellerindie Geschäftsbeziehung fortzusetzen ist unter den aufgezeigten Umständen als Missbrauch ihrer marktbeherrschenden Stellung auf dem beschriebenen relevanten Markt zu beurteilen.
14. Wenn die Antragsgegnerin bemängelt, dass die Antragstellerin nicht dargelegt hätte, der Vertragsabbruch hätte für sie zu schwerwiegenden betriebswirtschaftlichen Nachteilen geführt und sie sei auf die Aufrechterhaltung der Geschäftsbeziehung angewiesen, verkennt sie die Rechtslage und die Pflichten, denen sie als Marktbeherrscherin unterliegt. Anders als bei der verweigerten Geschäftsaufnahme ist die Unentbehrlichkeit des Vertragsgegenstands für den Geschäftspartner generell keine notwendige Voraussetzung für die ihr obliegende Verpflichtung, eingegangene Vertragsverbindungen aufrecht zu erhalten, sofern keine sachliche Rechtfertigung für einen Abbruch besteht. Dies gilt umso mehr, wenn wie vorliegend die marktbeherrschende Stellung nicht auf eigene Investitionen zurückzuführen ist, sondern durch öffentliche Mittel ermöglicht wurde (EuGH C-42/21P, Lietuvos geležinkeliai, Rn 87), was hier, wie bereits unter 7.1.1. ausgeführt, der Fall ist.
14.1.An dieser Beurteilung ändert auch die Entscheidung 16 Ok 12/13 nichts, weil dort für die Prüfung der relativen Marktmacht (nunmehr § 4a KartG) darauf abgestellt werden musste, ob die Antragstellerin zur Vermeidung schwerwiegender betriebswirtschaftlicher Nachteile auf die Aufrechterhaltung der Geschäftsbeziehung mit der Antragsgegnerin angewiesen ist. Da die Antragsgegnerin durch ihregesetzliche Stellung als einzige Mautgläubigerin marktbeherrschend iSd § 4 Abs 1 KartG ist, muss nicht geprüft werden, ob die Antragstellerin zur Vermeidung schwerwiegender betriebswirtschaftlicher Nachteile auf die Aufrechterhaltung der Geschäftsbeziehung angewiesen ist. Mit den durch den Geschäftsabbruch gefährdeten Crosssellingeffekten in Höhe von etwa 5% des gesamten Rohertrags wurden die schädlichen wettbewerblichen Auswirkungen für die Antragstellerin darüber hinaus dargetan, während der Antragsgegnerin die Bescheinigung eines finanziellen Nachteils weder durch das Sanierungsverfahren noch durch die abweichende Abrechnung gelang.
15. Letztlichbestätigt sich die Missbräuchlichkeit des Vertragsabbruchs in der für die kartellrechtliche Beurteilung maßgeblichen wirtschaftlichen Betrachtungsweise (§ 20 KartG). Die Antragsgegnerin hat als alleinige Mautgläubigerin durch den Vertragsabbruch keine Umsatzeinbußen zu befürchten, weil alle Vertriebspartner die Vignetten von ihr beziehen müssen. Durch den eigenen Vertrieb von Online-Vignetten würde der Umsatz der Antragsgegnerin steigen, weil die Bezugsmöglichkeiten für Abnehmer verringert würden. Die Antragsgegnerin reduziert durch den Vertragsabbruch somit nur ein mögliches zukünftiges Ausfallrisiko, ohne ein Umsatzrisiko zu tragen. Ein hypothetischer Mitbewerber, der zwar ebenso effizient wie die Antragsgegnerin ist, aber auf dem relevanten Markt keine beherrschende Stellung hat, würde durch den Vertragsabbruch auf die von der Antragstellerin generierten Umsätze verzichten müssen. Die Antragsgegnerin legte nicht dar, dass ein mögliches Ausfallrisiko so hoch wäre, dass ein hypothetischer Mitbewerber ohne marktbeherrschende Stellung auf die durch den Vertrieb der Antragstellerin erwirtschafteten Umsätze verzichten würde. Die Beendigung der Vertragsbeziehung entspricht somit nicht den Grundsätzen des Leistungswettbewerbs.
16Da der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung in einem Unterlassen bestehen kann, ist es – insb bei Liefersperren – möglich, durch den kartellgerichtlichen Auftrag ein positives Tun anzuordnen (RS0119533). Bei einer unzulässigen Liefersperre kann eine Belieferungsverpflichtung auferlegt werden (16 Ok 6/08; 16 Ok 1/21i; RS0119533 [T4]).
16.1. Dasrechtswidrige Verhalten der Antragsgegnerin bestanddarin, der Antragstellerin die Lieferungvon Klebevignetten und digitalen Mautproduktenfür den Weiterverkauf zu verwehren. Eine ausreichende sachliche Rechtfertigung für diese Lieferverweigerung liegt nicht vor.
16.2. Die Regelung des § 879 Abs 1 ABGB gilt nach ständiger Rechtsprechung nicht nur für Verträge, sondern auch für einseitige Rechtsgeschäfts wie eine Kündigung (RS0016534). Das Kartellgericht ist aber nicht berufen, über die zivilrechtliche Folge einer Zuwiderhandlung gegen das Kartellrecht abzusprechen (vgl RS0119408). Die Abstellungsverfügung betrifft daher bloß die kartellrechtswidrige Verweigerung der Vertragserfüllung durch die Antragsgegnerin.
In der mündlichen Verhandlung konkretisierte die Antragstellerin das Begehren auf Vertragserfüllung dahingehend, dass der Vermerk „entsprechend dem Vignettenvertriebsvertrag, der Verlängerung und des Sideletters der Vertriebsvereinbarung“ aufgenommen wurde.
17. Da das Begehren die Verpflichtung zu einem positiven Tun beinhaltet, istdie Einräumung einer angemessenen Leistungsfrist sachgerecht (vgl RS0132208). Angesichts der technisch unkompliziert durchführbaren Aufhebung der Sperre(n) schien eine relativ kurze Leistungsfrist von 14 Tagen angemessen (vgl 16 Ok 1/21i).
18. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung, dass eine einstweilige Verfügung nur in die Zukunft wirken kann. Durch eine einstweilige Verfügung können nur den Anspruch gefährdende Handlungen für die Zukunft oder die Änderung eines bestehenden Zustands verboten, nicht aber im Zeitpunkt der Erlassung der einstweiligen Verfügung bereits vorgenommene Handlungen rückwirkend unwirksam gemacht werden (RS0005070 [T2, T3]; 7 Ob 164/13p). Es können der Antragstellerin mit der Abstellungsverfügung somit keine Verhaltenspflichten für die Vergangenheit auferlegt werden. Darüber hinaus gilt, dass eine EV nur im Rahmen des konkret geltend gemachten Hauptanspruchs erlassen werden darf (RS0004815; RS0080058; Kodek/Leupold in Wiebe/Kodek, UWG2 § 24 Rz 19).
19.Nach § 48 Abs 2 KartG ist eine einstweilige Verfügung sofort vollstreckbar. Dem Rekurs kommt keine aufschiebende Wirkung zu. Ist eine Leistungsfrist bestimmt, so tritt die Vollstreckbarkeit gemäß § 43 Abs 3 AußStrG erst nach dem Ablauf der Leistungsfrist ein.
Soweit sich das Begehren der Antragstellerin daher auf den Zeitraum zwischen dem 1.5.2024 und dem Ablauf der Leistungsfristbezieht, war dieses abzuweisen.

Ausdruck vom: 02.07.2025 02:22:05 MESZ