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Kategorie:

Kartell

Dienststelle:

OLG Wien (009)

Aktenzeichen:

27 Kt 12/21y


Bekannt gemacht am:

03.02.2022

Entscheidungsdatum:

21.10.2021


Über die Antragsgegnerinnen wird wegen Zuwiderhandlung gegen § 1 Abs 1 KartG und Art 101 Abs 1 AEUV, nämlich wegen einheitlichen und fortgesetzten kartellrechtswidrigen Preisabsprachen, Marktaufteilungen und Informationsaustausch mit Mitbewerbern in Bezug auf öffentliche und private Ausschreibungen im Bereich Hoch- und Tiefbau in Österreich im Zeitraum von Juli 2002 bis Oktober 2017, gemäß § 29 Z 1 lit a und d KartG eine Geldbuße von EUR 45,37 Mio verhängt.

Begründung:

Vorbringen:

Die Antragstellerin beantragte die Verhängung einer Geldbuße gemäß § 29 Z 1 lit a und d KartG in Höhe von EUR 45,37 Mio über die Antragsgegnerinnen. Sie brachte zusammengefasst vor, die Antragsgegnerinnen hätten sich jahrzehntelang nahezu im gesamten österreichischen Bundesgebiet an einheitlichen und fortgesetzten kartellrechtswidrigen Vereinbarungen sowie aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Zusammenhang mit Bauvorhaben im Hoch- und Tiefbau beteiligt. Die an dieser Gesamtzuwiderhandlung beteiligten Unternehmen hätten über lange Zeit systematisch den Wettbewerb in der Bauwirtschaft ausgeschaltet und sich gegenseitig in einem kontinuierlichen System kartellrechtswidriger bi- und multilateraler Kontakte zu Aufträgen verholfen, ohne befürchten zu müssen, von einem günstigeren Angebot unterboten zu werden. Dieses etablierte System habe dem gemeinsamen Ziel gedient, den Wettbewerb bei Ausschreibungen zu minimieren oder auszuschließen. Das Vorgehen der Antragsgegnerinnen und ihrer Mitbewerber, Ausschreibungsverfahren dazu zu benützen, um Angebote abzugeben, die nicht im Wettbewerb zustandgekommen seien, habe das zentrale Ziel von Ausschreibungen, faire und transparente Wettbewerbsbedingungen zu schaffen und Auftraggebern eine unabhängige und unbeeinflusste Wahl zu ermöglichen, konterkariert. Die Zuwiderhandlung habe Preisabsprachen, Marktaufteilungen oder den Austausch wettbewerbssensibler Informationen, wie etwa Abstimmungen über zukünftiges Verhalten bei Angebotsabgaben, umfasst. Vereinzelt sei es auch zur Bildung kartellrechtswidriger ARGE und BIEGE gekommen. Neben regelmäßigen oder anlassbezogenen Gesprächsrunden sei es zu telefonischen oder persönlichen wettbewerbswidrigen bilateralen Kontakten zwischen den beteiligten Unternehmen gekommen. Dabei sei etwa vereinbart worden, dass die zurückstehenden Mitbewerber ein Angebot abgeben sollten, das über dem gemeinsam festgelegten Abgabepreis des designierten Auftragsempfängers liege. Zudem hätten die an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen regelmäßig Deckangebote der Mitbewerber übermittelt. Die kartellrechtswidrigen Handlungen hätten nach dem Prinzip der Gegenseitigkeit auf der Erwartung basiert, dass das oder die zurückstehenden Unternehmen bei späteren Aufträgen selbst durch entsprechendes Verhalten der anderen beteiligten Unternehmen einen Auftrag erlangen und so im Ergebnis alle beteiligten Unternehmen davon profitierten. Dieses Prinzip sei zum Teil durch die Vereinbarung von Ausgleichsleistungen bzw. vereinzelt auch durch tatsächliche Ausgleichszahlungen verstärkt worden. Dieses im Zeitraum von zumindest Juli 2002 bis Oktober 2017 gewachsene, allgemein etablierte Kollusionssystem, wonach man sich über das jeweilige Angebots- und Marktverhalten abstimmen und informieren habe können, um in weiterer Folge das eigene Marktverhalten anzupassen, sei durch die Mitarbeiter der beteiligten Unternehmen von ihren jeweiligen Vorgängern übernommen worden. Neu eintretende Mitarbeiter seien in das bestehende „System“ eingeführt und ihnen die Spielregeln erklärt worden.

An der Zuwiderhandlung seien über 40 Bauunternehmen in unterschiedlichem Ausmaß beteiligt gewesen, wobei die Antragsgegnerinnen neben 9 weiteren Bauunternehmen als Hauptbeteiligte zu qualifizieren seien. Den Antragsgegnerinnen sei daher nahezu im gesamten österreichischen Bundesgebiet an der Umsetzung der Zuwiderhandlung eine gewichtige Rolle zugekommen. Dieses Vorgehen habe ua der Sicherung von Marktanteilen in der Bauwirtschaft gedient.

Nachdem 2017 Hausdurchsuchungen auch bei den Antragsgegnerinnen durchgeführt worden seien, hätten diese am 2.7.2019 ein Ersuchen um Vorgehen nach § 11b WettbG gestellt und seither kontinuierlich mit der Antragstellerin im Sinne des Kronzeugenprogramms zusammengearbeitet. Am 10.2.2021 sei den Antragsgegnerinnen die Mitteilung der Beschwerdepunkt nach § 13 Abs 1 WettbG einschließlich der Beilagen übermittelt worden. Seither hätten die Antragsgegnerinnen eine Vielzahl von Unterlagen an die Antragstellerin übermittelt und am 21.6.2021 ein Anerkenntnis abgegeben, in dem sie den von der Antragstellerin vorgebrachten Sachverhalt außer Streit gestellt und die in Aussicht gestellte Geldbuße akzeptiert hätten.

In rechtlicher Hinsicht sei davon auszugehen, dass die Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen Einschränkungen des Wettbewerbs iSd § 1 Abs 1 KartG und Art 101 Abs 1 AEUV bezweckt hätten und damit eine Kernbeschränkung darstellten. Die Zwischenstaatlichkeit sei zu bejahen, da sich die Gesamtzuwiderhandlung nahezu auf das gesamte österreichische Bundesgebiet erstreckt habe und betroffene Projekte regelmäßig EU-weit bekannt gemacht und ausgeschrieben worden seien. Damit sei neben innerstaatlichem Recht auch Unionsrecht anzuwenden. Die getroffenen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen seien als einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung zu qualifizieren, da sich eine Vielzahl rechtswidriger aufeinanderfolgender Verhaltensweisen in einen Gesamtplan einfügten, der von den beteiligten Unternehmen zur Erreichung des gemeinsamen kartellrechtswidrigen Ziels umzusetzen gewesen sei. Im Hinblick auf die auch strafrechtliche Relevanz der kartellrechtlichen Verstöße iSd § 168b StGB könne am Verschulden der beteiligten Unternehmen kein Zweifel bestehen. Die beteiligten natürlichen Personen seien vertretungsbefugt gewesen.

Bei der Bemessung der Geldbuße sei als Ausgangspunkt der hauptsächlich betroffenen Bauvorhaben Straßenbau im Jahr 2016 in Österreich erzielte Umsatz der Antragsgegnerinnen in Höhe von rund EUR 371 Mio herangezogen worden. Ausgehend von einem Grundbetrag, der die regionale und zeitliche Ausprägung sowie persönliche Involvierung auf Unternehmensebene an der Gesamtzuwiderhandlung widerspiegle, und unter Anwendung eines Multiplikators für die Dauer der Zuwiderhandlung von 2002 bis 2017 ergebe sich ein Betrag in Höhe von EUR 245,3 Mio. Im Rahmen der Bemessung der beantragten Geldbuße seien Abzüge für die außerordentlich umfangreiche Kooperation der Antragsgegnerinnen als Kronzeugen sowie für die einvernehmliche Verfahrensbeendigung und das in diesem Zusammenhang abgegebene umfassende Anerkenntnis gewährt worden. Ebenfalls mildernd habe sich die Einführung eines zertifizierten Compliance Systems in Verbindung mit einem neuartigen Monitoring-System ausgewirkt. Daher werde unter Berücksichtigung dieser Faktoren eine Geldbuße von EUR 45,37 Mio beantragt, die aus general- und spezialpräventiven Erwägungen als ausreichend eingeschätzt werde. Auf Grund des im Geschäftsjahr 2020 erzielten weltweiten Umsatzes des STRABAG Konzerns in Höhe von rund EUR 14,75 Mrd sei die Geldbußenobergrenze gemäß § 29 KartG nicht überschritten.

Der Bundeskartellanwalt schloss sich dem Vorbringen und dem Antrag der Antragstellerin an.

Die Antragsgegnerinnen bestritten das Tatsachenvorbringen der Antragstellerin nicht und stellten es außer Streit. Sie akzeptierten die von der Antragstellerin vorgenommene Geldbußenbemessung als angemessen und erstatteten kein ergänzendes Vorbringen.

 

Feststellungen:

Auf Grund der Urkunden Beilagen ./A - ./D7 und der Außerstreitstellungen steht folgender Sachverhalt fest:

Die Erstantragsgegnerin ist eine zu FN 61689w im Firmenbuch eingetragene Aktiengesellschaft mit Sitz in 9800 Spittal an der Drau, Ortenburgerstraße 27. Sie ist ein indirekt 100%-iges Tochterunternehmen von STRABAG SE und erwirtschaftete mit einem weltweiten Umsatz von rund EUR 2,18 Mrd im Geschäftsjahr 2020, das mit dem Kalenderjahr ident ist, einen Anteil von ungefähr 15% des Gesamtumsatzes des STRABAG Konzerns. Die Erstantragsgegnerin verfügt über eine Vielzahl von Tochtergesellschaften, welche in die operative Ausführung und Abwicklung der Bauvorhaben eingebunden werden. Der weltweite Umsatz des STRABAG-Konzerns im Geschäftsjahr 2020 betrug EUR 14,75 Mrd.

Die Zweitantragsgegnerin ist eine im Firmenbuch zu FN 166133p eingetragene GmbH & Co KG und eine Tochtergesellschaft der Erstantragsgegnerin. Die Zweitantragsgegnerin ist österreichweit insbesondere im Bereich des Verkehrswegebaus tätig (Beilage ./A).

Nach Hausdurchsuchungen der Antragstellerin gemäß § 12 Abs 1 WettbG im Frühjahr 2017 bei den Antragsgegnerinnen sowie der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft bei verschiedenen Standorten der Erstantragsgegnerin stellten die Antragsgegnerinnen am 2.7.2019 Ersuchen um Vorgehen nach § 11b WettbG. Sie kooperierten im Sinne des Kronzeugenprogramms umfassend mit der Antragstellerin. So übermittelten die Antragsgegnerinnen der Antragstellerin eine Reihe von Urkunden und Beweismitteln. Sie gaben am 21.6.2021 ein Anerkenntnis ab, in dem sie zusammengefasst den von der Antragstellerin vorgebrachten Sachverhalt außer Streit stellten und die in Aussicht gestellte Geldbuße akzeptierten.

Die Zuwiderhandlung betraf ein nahezu das gesamte österreichische Bundesgebiet betreffendes Kartell, an dem über 40 Bauunternehmen in unterschiedlichem Ausmaß beteiligt waren. Der Grad der Beteiligung variierte je nach Region und Art des Bauvorhabens, wobei jedes einzelne Unternehmen zur Aufrechterhaltung und Funktionsfähigkeit der Gesamtzuwiderhandlung beitrug. Die Antragsgegnerinnen und 9 weitere Bauunternehmen waren Hauptbeteiligte an der Zuwiderhandlung, 25 weitere Bauunternehmen nahmen mit geringerer Intensität teil. Die Antragsgegnerinnen waren zumindest im Zeitraum von Juli 2002 bis Oktober 2017 beteiligt (Beilagen ./YY S 5, ./Q4 Rz 220 f).

Sowohl Hochbau als auch Tiefbau waren von der Zuwiderhandlung umfasst, wobei der Straßenbau als Teilbereich des Tiefbaus eine besondere Rolle spielte. Es gab Preisabsprachen, Marktaufteilungen und den Austausch wettbewerbssensibler Informationen, wie etwa Abstimmungen über zukünftiges Verhalten bei Angebotsabgaben. Vereinzelt kam es auch zur Bildung kartellrechtswidriger Arbeitsgemeinschaften und Bietergemeinschaften. Zur Umsetzung fanden regelmäßige oder anlassbezogene Gesprächsrunden statt. Darüber hinaus gab es bilaterale telefonische und persönliche Kontakte zwischen den Mitbewerbern. Jenes Unternehmen, das in Übereinstimmung mit den weiteren beteiligten Unternehmen zum Zug kommen sollte, übermittelte fertige höhere Leistungsverzeichnisse oder vorausgefüllte Angebotsunterlagen in Form von Deckangeboten an die Mitbewerber. Dabei wurde vereinbart, dass die zurückstehenden Mitbewerber ein Angebot abgeben, das über dem gemeinsam festgelegten Abgabepreis des designierten Auftragsempfängers liegt (Beilagen ./F, ./J, ./K, ./L, ./Z5, ./CC, ./DD, ./W, ./I, ./II, ./G). Diese Handlungen basierten auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit in der Erwartung, dass das oder die zurückstehenden Unternehmen bei späteren Aufträgen selbst durch entsprechendes Verhalten der anderen an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen zum Auftrag gelangen würden. Im Ergebnis konnten somit alle beteiligten Unternehmen vom mangelnden Wettbewerb profitieren. Dieses Prinzip wurde zum Teil durch die Vereinbarung von Ausgleichsleistungen bzw. vereinzelt auch durch tatsächliche Ausgleichszahlungen verstärkt.

So entstand ein nahezu österreichweites gewachsenes, allgemein etabliertes Kollusionssystem, mit dem sich die Unternehmen über das jeweilige Angebots- und Marktverhalten abstimmten und informierten, um in weiterer Folge das eigene Marktverhalten daran anzupassen. Mitarbeiter der Antragsgegnerin übernahmen dieses System von ihren jeweiligen Vorgängern, neu eintretende Mitarbeiter wurden in das bestehende System in Besprechungen eingeführt und ihnen die Spielregeln erklärt (Beilagen ./X, ./U, ./K, ./A6, ./N3, ./F, ./L, ./YY, ./W, ./O, ./E4 und ./H4).

Im Detail waren die Antragsgegnerinnen an folgenden Zuwiderhandlungen beteiligt:

a) Preisabsprachen:

Zwischen den beteiligten Unternehmen wurden die in Ausschreibungen abzugebenden Preise vereinbart oder abgestimmt. Es wurde auch besprochen, dass ein Mitbewerber überhaupt kein Angebot legen wird. So kamen die beteiligten Unternehmen überein, zu welcher Angebotssumme der designierte Auftragsempfänger anbietet. Die restlichen beteiligten Unternehmen boten in der Folge entweder zu einem höheren Preis oder gar nicht an (Beilagen ./F, ./G, ./H, ./I und ./J).

b) Deckangebote:

Die Übermittlung von Deckangeboten spielte insb bei der Umsetzung von Preisabsprachen eine wichtige Rolle. Sie zielte darauf ab, die Auftragserteilung an einen zuvor bestimmten Mitbewerber so weit wie möglich zu gewährleisten und so das Risiko des Wettbewerbs zu minimieren oder auszuschließen. Jenes Bauunternehmen, das in Übereinstimmung mit den weiteren beteiligten Unternehmen zum Zug kommen sollte, übermittelte fertige höhere Leistungsverzeichnisse bzw vorausgefüllte Angebotsunterlagen (Deckangebote). Dadurch reduzierte sich bei den beteiligten Unternehmen der zeitliche und finanzielle Aufwand für die Angebotserstellung. Der zuvor gemeinsam designierte Auftragsempfänger kalkulierte die Angebotspreise der zurückstehenden Mitbewerber höher und übermittelte diese in Form eines Datenträgers per E-Mail/Fax oder auch persönlich. Die zurückstehenden Mitbewerber gaben sodann diese Deckangebote zum Schein als von ihnen selbst kalkulierte Angebote ab (Beilagen ./II, ./M, ./HH, ./JJ, ./KK, ./LL, ./G, ./MM).

In handschriftlichen Aufzeichnungen wurde häufig ein Fahnensymbol oder das Wort „Fahne“ als Kennzeichen für die Übermittlung eines Deckangebots verwendet. Dadurch wussten die handelnden Personen unmittelbar, worum es ging (Beilagen ./NN, ./OO und ./PP). Bei der Übermittlung von Deckangeboten per E-Mail wurde der E-Mail-Text in aller Regel kurz gehalten, z.B. „wie besprochen“ (Beilagen ./QQ, ./RR und ./SS).

c) Marktaufteilungen:

Zwischen den beteiligten Unternehmen wurde auch die Aufteilung von Märkten besprochen. In zahlreichen Fällen einigten sie sich im Vorhinein, welches Unternehmen den jeweiligen Auftrag erhalten soll. Die übrigen Unternehmen gaben im nachfolgenden Ausschreibungsverfahren der Absprache entsprechende oder keine Angebote ab. Zuweilen erfolgte auch eine Aufteilung der Bauvorhaben auf der Grundlage von Quoten (sog „fixer Schlüssel“), die den (historischen) Marktanteilen der jeweiligen beteiligten Unternehmen entsprachen. Neben solchen Kundenaufteilungen kam es auch zu Aufteilungen von Gebieten. So herrschte in manchen Regionen Einigkeit darüber, welches Bauunternehmen für Ausschreibungen in welchem Gebiet zuständig war. Die anderen beteiligten Unternehmen standen bei diesen Ausschreibungen zurück (Beilagen ./F, ./K, ./L, ./M, ./N, ./J, ./O, ./P, ./Q, ./R, ./S und ./T).

d) Austausch von wettbewerbssensiblen Informationen:

Begleitend kam es zu einem laufenden Austausch wettbewerbssensibler Informationen, wie etwa über das zukünftige Verhalten bei Angebotsabgaben. So wurde zwischen den Unternehmen das jeweilige Interesse an einzelnen Bauvorhaben „abgeklopft“, also ob jemand überhaupt Interesse an den entsprechenden Vorhaben hat oder plant, ein Angebot abzugeben (Beilagen ./K und ./G).

e) Kartellrechtswidrige ARGEs:

Vereinzelt wurden Arbeitsgemeinschaften als Deckmantel für kartellrechtswidrige Handlungen genutzt. So wurden ARGEs gegründet, die für die Bauunternehmen objektiv nicht notwendig waren, um an der jeweiligen Ausschreibung teilnehmen zu können, sondern nur als Schnittstelle für die Festsetzung eines gemeinsamen Angebotspreises und die Aufteilung des Auftrags dienten (Beilagen ./K, ./U, ./G, ./J, ./V, ./W, ./F und ./K). Einzelne Bauunternehmen beteiligten sich an einer derartigen ARGE auch als stille Partner. In diesem Fall traten nicht alle ARGE-Partner als solche nach außen und gegenüber dem Auftraggeber in Erscheinung, waren aber im Innenverhältnis Beteiligte der ARGE. Dies diente insbesondere dazu, die Vorgaben des Auftraggebers in Bezug auf die Höchstzahl der zugelassenen ARGE-Partner zu umgehen (Beilagen ./I, ./X, ./Y und ./Z).

f) Gesprächsrunden:

Abhängig vom Zeitpunkt der Ausschreibungen wurden je nach Bedarf oder mehrmals im Jahr Gesprächsrunden zwischen den an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen organisiert.

Diese fanden zumeist in einer der Niederlassungen der an den Absprachen beteiligten Unternehmen statt. Im Rahmen dieser Gesprächsrunden wurden das Unternehmen, das den Auftrag für ein bestimmtes Bauvorhaben erhalten sollte, und dessen Abgabepreis festgelegt. Zudem wurde vereinbart, dass die zurückstehenden Mitbewerber ein Angebot abgeben, das über dem gemeinsam festgelegten Abgabepreis des designierten Auftragsempfängers liegt. Zum Teil wurden auch die Abgabepreise der zurückstehenden Mitbewerber vom designierten Auftragsempfänger vorgegeben (sog „Preisvorgabe“) (Beilagen ./F, ./K, ./BB, ./Q, ./CC, ./DD, ./W und ./EE).

g) Bilaterale Kontakte:

Kartellrechtswidrige bilaterale Kontakte unter Mitbewerbern fanden sowohl telefonisch als auch persönlich statt. Bilaterale Gespräche zu wettbewerbssensiblen Themen wurden ergänzend zu den oben genannten größeren Gesprächsrunden, aber auch unabhängig davon geführt. Bilaterale persönliche Treffen fanden in Räumlichkeiten der Niederlassungen der an der Gesamtzuwiderhandlung beteiligten Unternehmen oder außerhalb dieser (zB in Lokalen oder auf Baustellen) statt.

Die kartellrechtswidrigen bilateralen Kontakte unter Mitbewerbern wurden ua dazu genutzt, sich über die Interessenslage hinsichtlich bestimmter Bauvorhaben zu informieren, konkrete Vorgangsweisen zu vereinbaren oder sich über zukünftiges Verhalten bei der Angebotsabgabe auszutauschen. Dabei trat man insb mit jenen Mitbewerbern in Kontakt, die man bereits aus den Gesprächsrunden, von früheren kartellrechtswidrigen Kontakten, von ARGEs oder privat kannte.

Nach einer bilateralen Vereinbarung wurden zum Teil auch weitere Mitbewerber kontaktiert und ebenso miteinbezogen, indem diese etwa zum Zurückstehen bei einer bestimmten Ausschreibung aufgefordert wurden.

Zu kartellrechtswidrigen bilateralen Kontakten kam es auch oft im Rahmen von notwendigen Kontakten bei laufenden ARGEs oder sonstigen Kooperationen wie zB Asphaltmischwerken, aber auch am Rande von Veranstaltungen der Bauwirtschaft (zB Veranstaltungen der GESTRATA-Gesellschaft zur Pflege der Straßenbautechnik mit Asphalt „GESTRATA“) (Beilagen ./K, ./BB, ./FF, ./G, ./J, ./CC, ./L, ./W, ./GG, ./I und ./HH).

h) Kontakte im Rahmen der Zusammenarbeit in Asphaltmischwerken:

Asphaltmischwerke spielen auf Grund ihrer Zulieferfunktion eine zentrale Rolle im Straßenbau. Kartellrechtswidrige Handlungen, die den Straßenbau betrafen, erfolgten daher auch im Rahmen der Zusammenarbeit von Mitbewerbern in Asphaltmischwerken, die oft als Gemeinschaftsanlagen geführt werden. Zudem waren auch zahlreiche Bauunternehmen, die eigene Mischanlagen (sog „Eigen-anlagen“) betrieben, an kartellrechtswidrigen Handlungen beteiligt.

In der Regel einigten sich die an den wettbewerbsbeschränkenden Handlungen beteiligten Unternehmen entsprechend des in Prozenten festgelegten Marktanteils am Mischgutverbrauch (angegeben in Mischguttonnen) darüber, welcher Mitbewerber für welche Bauvorhaben die Auftragserteilung erhalten sollte. Wurde der jeweilige Schlüssel am Jahresende über- oder unterschritten, wurde die Differenz in das nächste Jahr vorgetragen. Diese Aufteilung erfolgte zumeist nach Mischguttonnen, in seltenen Fällen auch nach der Anzahl der Projekte oder nach dem Umsatzvolumen auf dem jeweiligen Straßenbaumarkt.

Die an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen legten auch den Preis für Mischgut anhand eines sog „Mittelpreises“, der sich am Vorjahrespreis orientierte, fest. Das Unternehmen, das den Auftrag erhalten sollte, bestimmte dann eine Angebotssumme. Die zurückstehenden Unternehmen gaben hingegen Angebote mit höheren Preisen oder keine Angebote ab (Beilagen ./K, ./TT, ./I, ./UU, ./X, ./VV und ./WW).

i) Kontakte mittels E-Mail, Telefon und Fax:

Zum Teil kam es mittels E-Mail, Telefon und/oder Fax zum Austausch von wettbewerbssensiblen Informationen oder auch zu Preisabsprachen und Marktaufteilungen. Diese erfolgten sowohl ergänzend zu den Gesprächsrunden und kartellrechtswidrigen bilateralen Kontakten als auch unabhängig davon. Zumeist wurde jedoch auf einen schriftlichen Austausch verzichtet. Kontakte per E-Mail wurden primär aus Praktikabilitätsgründen für das Versenden von Deckangeboten genutzt (Beilagen ./I und ./W). Den unmittelbar an den Zuwiderhandlungen beteiligten Mitarbeitern war bewusst, dass es sich nicht um ein „Kavaliersdelikt“ handelt. Aufzeichnungen sowie E-Mails wurden daher bewusst vermieden oder nach Abschluss der abgesprochenen Bauvorhaben vernichtet. Aufgrund der Dauer und Intensität der kartellrechtswidrigen Handlungen war es für die beteiligten Unternehmen jedoch organisatorisch nicht möglich, auf jegliche Form von Aufzeichnungen zu verzichten (Beilagen ./K, ./H, ./J, ./V, ./CC, ./W, ./I, ./HH, ./XX und ./YY).

Im Rahmen der beschriebenen Kontakte wurden teilweise auch verschlüsselte Formulierungen verwendet. So wurden im Bereich Straßenbau unter Angabe der Nummer der betroffenen Straße die als Deckangebot abzugebende Summe als „Haus Nr.“ (Beilage ./Q Rz 75) oder als „Kilometer inkl. Mautkosten“ (Beilage ./Q Rz 76) bezeichnet.

j) Bieterrotation und „Schutzmechanismen“:

Ein Instrument zur Aufteilung von Bauaufträgen war die Organisation mittels Bieterrotation. Dabei kamen die Mitbewerber überein, dass sie hinsichtlich bestimmter Bauvorhaben wechselseitig zum Zug kommen und sich dabei gegenseitig durch die Abgabe höherer Deckangebote oder den gänzlichen Verzicht auf eine Angebotslegung unterstützen. Bieterrotationen kamen dabei auch im Sinne eines von den beteiligten Unternehmen so bezeichneten „Kampfschutzes“ oder „Vollschutzes“ zur Anwendung.

- „Vollschutz“: Im Fall eines „Vollschutzes“ werden alle für eine Ausschreibung relevanten Mitbewerber in die Kartellabsprache eingebunden. Die beteiligten Unternehmen können davon ausgehen, dass keine anderen (nicht an der Kartellabsprache beteiligten) Unternehmen ein Angebot legen werden. Der Wettbewerb wird im Rahmen des „Vollschutzes“ gänzlich ausgeschlossen und bietet daher eine sehr hohe Sicherheit für die Umsetzung des gewünschten Ergebnisses.

- „Kampfschutz“: Im Fall eines „Kampfschutzes“ wird nur ein Teil der für eine Ausschreibung relevanten Mitbewerber (zB fünf von insgesamt zehn) in die Kartellabsprache eingebunden. Diese Gruppe von Mitbewerbern einigt sich auf einen designierten Auftragsempfänger und bietet folglich so an, dass sich ihre Mitglieder nicht gegenseitig unterbieten. Im Unterschied zum „Vollschutz“ nehmen auch Unternehmen außerhalb der am „Kampfschutz“ beteiligten Gruppe an der Ausschreibung teil. Dennoch wird das Risiko des Wettbewerbs im Rahmen des „Kampfschutzes“ erheblich minimiert (Beilagen ./K, ./MM, ./F, ./G, ./ZZ, ./A3, ./B3, ./C3, ./DD, ./D3 und ./CC).

k) Interne Submission:

Im Vorfeld von Angebotsabgaben kam es in einigen Fällen auch zu sog „internen Angebotsöffnungen“ (auch „interne Submissionen“ genannt), bei denen die Mitbewerber vor der offiziellen Angebotsabgabe ihre Kalkulationsgrundlagen untereinander offenlegten. Dieses Vorgehen diente als Mittel der Entscheidungsfindung, welches der beteiligten Unternehmen den Auftrag bei der tatsächlichen Ausschreibung erhalten soll (Beilagen ./II, ./E3, ./G, ./CC, ./DD und ./M).

l) Fixer Schlüssel:

Für die Aufteilung von Aufträgen wurde auch ein sog „fixer Schlüssel“, dh eine Quote vereinbart, die jedem beteiligten Unternehmen zustand. Der „fixe Schlüssel“ richtete sich dabei in der Regel nach den geschätzten Marktanteilen oder orientierte sich insb im Straßenbau an der geschätzten Gesamtmenge des zu verbauenden Asphaltmischguts pro Jahr (Beilagen ./K, ./F, ./CC, ./G und ./O). In einigen Fällen wurde mit der Verwaltung der Quoten ein bestimmtes Bauunternehmen betraut (Beilage ./F3).

m) Kartellstabilisierende Maßnahmen:

Die Umsetzung der Zuwiderhandlung wurde durch kartellstabilisierende Maßnahmen abgesichert und verstärkt. Damit sollte sichergestellt werden, dass sich die beteiligten Unternehmen an das Vereinbarte auch tatsächlich halten, jedes in einem vorgesehenen Ausmaß zum Zug kommt und somit das Kollusionssystem aufrecht und stabil bleibt:

aa) Punktesystem:

Einer dieser kartellstabilisierenden Mechanismen war die Gegenverrechnung anhand eines sog „Punktesystems“: Da ein größerer Teil der beteiligten Unternehmen regelmäßig in verschiedenen Ausschreibungsverfahren aufeinander traf, wurde mithilfe der Vergabe von „Punkten“/„Anteilen“/„Prozenten“ der Netto-Angebotssumme (typischerweise iHv 0,5-3,5%) ein finanzieller Interessensausgleich unter den Beteiligten sichergestellt. Der durch diesen Prozentsatz errechnete Betrag wurde dem zurückstehenden Bauunternehmen als Forderung gegen den designierten Auftragsempfänger gutgeschrieben. Einige der beteiligten Unternehmen führten Aufzeichnungen über die sich aus diesem Punktesystem ergebenden „Forderungen und Verbindlichkeiten“ gegenüber den anderen Beteiligten (auch als „Kontokorrentverhältnis“ bezeichnet). Diese Verbindlichkeiten wurden immer wieder saldiert oder durch Ausgleichsleistungen ausgeglichen. In manchen Fällen blieben Restforderungen und Verbindlichkeiten jedoch auch über längere Zeit bestehen (Beilagen ./II und ./G).

Die Kontaktaufnahme für die Aufrechterhaltung des Punktesystems erfolgte auch telefonisch. Das am Auftrag interessierte Bauunternehmen erkundigte sich bei seinen Mitbewerbern, ob diese zurückstehen würden. Für das Zurückstehen verlangte der Mitbewerber sodann Punkte (Beilage ./FF). In Aufzeichnungen wurde neben den Bezeichnungen der kontaktierten Mitbewerber (zT mit Kontaktnamen und Telefonnummer) ein „o.k.“ oder „“ als Hinweis vermerkt, dass eine Preisabsprache stattgefunden hat. Weiters wurden Aufzeichnungen über den vereinbarten Ausgleich nach dem Punktesystem gemacht (Beilagen ./T, ./G3 und ./H3).

bb) Ausgleichsleistungen:

Zurückstehende Mitbewerber wurden neben den oben beschriebenen Punkten auch mit sog „Ausgleichsleistungen“ entlohnt, wie etwa mit Subaufträgen (zB im Sinne einer „Beteiligung“ am Bauvorhaben), Arbeitsabtausch, der Lieferung oder Abnahme von Leistungen unter bevorzugten Konditionen (beispielsweise Asphaltmischgut, sonstiges Material, Personal oder Geräte) den Bezug von größeren Abnahmemengen von Asphaltmischgut oder Beton sowie in bestimmten Fällen auch durch Ausgleichszahlungen. Ausgleichsleistungen standen zurückstehenden Mitbewerbern auch dann zu, wenn der Mitbewerber, zu dessen Gunsten sie zurückstanden, den Zuschlag nicht erhielt (Beilagen ./I3, ./II, ./J3, ./FF, ./VV und ./K3). In den meisten Fällen erfolgte die Ausgleichsleistung durch den Abtausch gegen andere Bauvorhaben („Arbeitsabtausch“ - Beilagen ./L3, ./M3, ./H, ./V, ./ZZ, ./J3, ./BB, ./F, ./K, ./N3 und ./L). Es kam auch vor, dass Punkte und Ausgleichsleistungen, wie Ausgleichszahlungen und Arbeitsabtausch, gemeinsam vereinbart wurden, je nachdem, was die beteiligten Unternehmen für das Zurückstehen verlangten (Beilagen ./O3, ./P3, ./Q3, ./R3, ./T, ./S, ./S3, ./U3). Für die Auszahlung einer Ausgleichsleistung wurden vereinzelt auch Scheinrechnungen erstellt (Beilagen ./F und ./V3).

Die Aufteilung der Bauvorhaben erfolgte nach einer Quote, die in Relation zum Auftragsvolumen aller in der Runde besprochenen Bauvorhaben stand. In den Jahren 2002 bis 2016 lag die Quote der Antragsgegnerinnen an der Gesamtsumme der Ausschreibungen im Durchschnitt bei rund 20-25% (Beilagen ./F, ./K, ./Q4 und ./N5).

Insgesamt wurden von den Antragsgegnerinnen zumindest rund 1127 Bauvorhaben im oben dargelegten Sinn abgestimmt (ON 1 S 55). Darüber hinaus gibt es noch eine Reihe anderer Bauvorhaben, die sicher oder mit hoher Wahrscheinlichkeit von den Antragsgegnerinnen abgestimmt wurden.

Folgende Auftraggeber waren ua von den Zuwiderhandlungen der Antragsgegnerinnen betroffen:

Amt der Niederösterreichische Landesregierung; ASFINAG Bau Management GmbH; Amt der Steiermärkischen Landesregierung im Zusammenhang mit dem Sonderinvestitionsprogramm 2013; Amt der Kärntner Landesregierung; Amt der Tiroler Landesregierung; Stadt Wien, MA 28; Stadtgemeinde Wiener Neustadt; Magistrat Klagenfurt; Holding Graz Kommunale Dienstleistungen GmbH; Gemeinde Hochwolkersdorf; Güterweggemeinschaft Gregern, St. Peter am Wechsel; Marktgemeinde Hochneukirchen-Gschaidt; Gemeinde Edlitz; Beitragsgemeinde Pelleriker, Oberwaltersdorf; Güterweggemeinschaft Holler, Tattendorf; Gemeinde Wiesmath; Marktgemeinde Warth; Gemeinde Kottingbrunn; Marktgemeinde Günselsdorf; Marktgemeinde Pottenstein; KELAG Wärme GmbH, Villach; Gemeinde Hollenthon; Satoria Grundstückvermietung GmbH, St. Pölten; FV Brunn bei Pitten; Marktgemeinde Lichtenwörth; Gemeinde Eggendorf; Stadtgemeinde Oberpullendorf; ARGE R.O.B. Lanzendorf – Wiener Neustadt, Himberg; Zusammenlegungsgemeinschaft Matzendorf; Stadtgemeinde Pulkau; Gemeinde St. Ruprecht – Falkendorf; Gemeinde Göllersdorf; Marktgemeinde Podersdorf am See; Marktgemeinde Zurndorf; Marktgemeinde Enzersdorf/Fischa; Marktgemeinde Gols; Bergbahnen Hohe Salve Hopfgarten-Itter-Kelchsau Wörgl GmbH & Co KG; Stadtgemeinde Leoben; Gemeinde Heiligenkreuz; Marktgemeinde Leopoldsdorf; Marktgemeinde Schattendorf; Marktgemeinde Laxenburg; Gemeinde Edelstal; Tirol Kliniken GmbH, Innsbruck; Marktgemeinde Trautmannsdorf; Wasserverband Mittleres Burgenland, Lackendorf; Stadtgemeinde Kindberg; Gemeinde Otterthal; Marktgemeinde Bad Deutsch-Altenburg; Stadtgemeinde Mattersburg; Marktgemeinde Theresienfeld; Mark tgemeinde Türnitz; Gemeinde Ehenbichl; Gemeinde Bad Tatzmannsdorf; Gemeinde Hundsheim; Gemeinde Oberloisdorf; Energie Graz GmbH & Co KG; Gemeinde Sulz; Gemeinde Riedingsdorf; AUVA Allgemeine Unfallversicherungsanstalt; Marktgemeinde Horitschon; Wasserband Umland Graz; Wasserverband Grazer Feld Südost; ÖBB Infrastruktur AG; Stadtgemeinde Hollabrunn; Energie Steiermark AG.

Die Hauptbetroffenen werden im Folgenden exemplarisch dargestellt:

Beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung waren im Zeitraum von 2002 bis 2017 von den 8 Straßenbauabteilungen ausgeschriebene Baulose im Straßenbau, und zwar insgesamt rund 2900 Bauvorhaben mit einem Gesamtvolumen in Höhe von mehr als EUR 300 Mio betroffen. Diese umfassten Ausschreibungen über die Lieferung und den Einbau von Asphaltmischgut sowie Nebentätigkeiten und Erdbauarbeiten (Beilagen ./K, ./O, ./DD, ./F, ./U, ./G, ./Q, ./B4, ./F4, ./Q, ./D4, ./G4). Darüber hinaus waren Ausschreibungen des Amtes der Niederösterreichischen Landesregierung zu Spezialgewerken wie die Erhaltung von Güterwegen und Instandsetzung oder der Neubau von Brücken betroffen.

Von den Antragsgegnerinnen wurden im Zeitraum von 2005 bis 2011 im Zusammenhang mit den jährlichen Mischgutausschreibungen des Landes Tirol zur Sanierung der Bundes- und Landesstraßen jährlich 40-60 ausgeschriebene Mischgut-Baulose mit 3 weiteren Bauunternehmen abgestimmt. Diese Praxis war historisch gewachsen und in der Baubranche allgemein bekannt. Sie wurde innerhalb der Mitarbeiter der beteiligten Bauunternehmen jeweils von den Vorgängern weitergegeben und von den Nachfolgern übernommen. Von den kartellrechtswidrigen Handlungen waren in diesem Zusammenhang etwa 350 Bauvorhaben mit einem Gesamtvolumen in Höhe von rund EUR 49 Mio betroffen (Beilagen ./F, ./K und ./W).

Im Frühjahr 2013 fand in Unterpremstätten (Steiermark) ein Grundsatztreffen statt, im Zuge dessen die anwesenden Unternehmen, nämlich die Antragsgegnerinnen sowie vier weitere Bauunternehmen, verschiedene Bauvorhaben der ASFINAG Bau Management GmbH in der Steiermark untereinander aufteilten. In weiterer Folge wurden von einigen der anwesenden beteiligten Unternehmen andere Bauunternehmen in die Absprachen einbezogen, indem mit diesen der Erhalt von Punkten oder ein Arbeitsabtausch für das Zurückstehen vereinbart wurde. Folgeabsprachen erfolgten bilateral und zumeist telefonisch (Beilagen ./C3, ./UU, ./K4 und ./L4). Betroffen waren in den Jahren 2013 und 2014 Bauvorhaben auf der A9 Pyhrn-Autobahn sowie der S6 Semmeringer Schnellstraße und der S35 (Beilagen ./K4, ./L4, ./N4, ./M4, ./C3, ./UU, ./O4, ./M3, ./P4, ./Q4 und ./R4).

Weiters haben die Antragsgegnerinnen im Rahmen von Ausschreibungen der ASFINAG in Tirol an langjährigen Preisabsprachen, Marktaufteilungen und am Austausch über zukünftiges Abgabeverhalten teilgenommen, die historisch gewachsen sind. Dabei wurden auch kartellrechtswidrige ARGES gegründet. Zumindest bis einschließlich 2011 wurden fast alle in Tirol ausgeschriebenen ASFINAG Baulose unter vier Unternehmen abgestimmt. In den Jahren 2005 bis einschließlich 2011 waren insgesamt etwa 85 Bauvorhaben mit einem Gesamtvolumen in Höhe von über EUR 52 Mio betroffen (Beilage ./F, Anlage A Rz 611 ff, Beilage ./K, Anlage 193 S 5, ./B). Unter anderem waren Bauvorhaben im Bereich der A13 Patsch, A12 Kramsach, S16 Landeck West, Gschleiersbrücke und A13 Zentralentwässerung betroffen (Beilagen ./G, ./F).

In Vorarlberg gab es 2015 Absprachen bei zumindest zwei Bauvorhaben der ASFINAG im Verkehrswegebau, an denen die Antragsgegnerinnen beteiligt waren. Sie betrafen die Bauvorhaben A14 Hörbranz bis Pfänder und A14 Wolfurt (Beilage ./F, Anlage A Rz 644).

Es ist davon auszugehen, dass auch bei weiteren Bauvorhaben der ASFINAG in Kärnten, Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg und Wien in den Jahren 2008 bis 2016 Preisabsprachen, Marktaufteilungen und der Austausch von wettbewerbssensiblen Informationen zwischen den Antragsgegnerinnen und weiteren Bauunternehmen bei Gesprächsrunden erfolgten. Die Zuwiderhandlungen betrafen die Bauvorhaben A8 Innkreis-Autobahn, A11 Karawanken-Autobahn Knoten Villach–St. Niklas, S35 Brucker Schnellstraße, A2 Zubringer Schiefling und A10 Abschnitt Liesertal (Beilagen ./P4, ./T4, ./N4, ./U4, ./Q4, ./DD, ./K, ./CC, ./V4, ./W4, ./X4, ./V, ./Y4, ./Z4, ./A5, ./U3, ./B5, ./C5 und ./D5).

Auch bei Ausschreibungen der MA 28, der Magistratsabteilung 28 für Straßenverwaltung und Straßenbau der Stadt Wien, kam es unter Beteiligung der Antragsgegnerinnen zu langjährigen Preisabsprachen, Marktaufteilungen sowie zum Austausch über zukünftiges Abgabeverhalten. Diese Zuwiderhandlungen wurden im Rahmen von regelmäßigen Gesprächsrunden, der sogenannten „großen Runde“, zwischen den beteiligten Bauunternehmen, darunter den Antragsgegnerinnen, 2 bis 4 Mal im Jahr, teilweise am Rande von Seminaren der Gesellschaft zur Pflege der Straßenbautechnik mit Asphalt (GESTRATA) organisiert. Zudem wurden im Vorfeld von Ausschreibungen anlass- und projektbezogen einzelne Gespräche untereinander geführt. Diese historisch gewachsene Praxis wurde innerhalb der Unternehmen von den jeweiligen Vorgängern weitergegeben und von den Nachfolgern übernommen. Sie betraf etwa rund die Hälfte der jährlichen Ausschreibungen der MA 28 und umfasste neben Mischgut auch Straßensanierung, Straßenbau sowie Jahresbauverträge für Gussarbeiten, Asphaltbeton, Pflaster und Beton. Betroffen waren etwa 370 Bauvorhaben mit einem Gesamtvolumen in Höhe von mehr als EUR 268 Mio (Beilagen ./F, ./K, ./L und ./U).

Bei den Ausschreibungen der Jahresbauverträge der Stadtgemeinde Wr. Neustadt nahmen die Antragsgegnerinnen an langjährigen Preisabsprachen und am Austausch über zukünftiges Abgabeverhalten teil. Betroffen waren zumindest seit 2004 Jahresbauverträge mit einem jährlichen Volumen von ca. EUR 1 – 1,2 Mio für Straßenbauarbeiten im gesamten Stadtgebiet (Beilagen ./U, ./R5, ./F und ./Y).

Bei Ausschreibungen von Hochbauprojekten im Burgenland kam es unter Beteiligung der Antragsgegnerinnen bei einer Vielzahl von Bauvorhaben zu kartellrechtswidrigen Absprachen, wobei die konkreten Umsetzungshandlungen anlassbezogen und telefonisch erfolgten. Sobald eine neue Ausschreibung bekannt gemacht wurde, nahmen die Bauunternehmen untereinander Kontakt auf. Dabei vereinbarten sie, welches Bauunternehmen zurückstehen und welches den Auftrag erhalten solle. Letzteres übermittelte sodann Deckangebote in Form eines Datenträgers an seine Mitbewerber, welche diese beim jeweiligen Auftraggeber im eigenen Namen abgaben. In manchen Fällen wurde den Mitbewerbern nur die von ihnen abzugebende Angebotssumme genannt und die Mitbewerber erstellten ihre Deckangebote selbst. „Neue“ Unternehmen wurden bei der erstmaligen Involvierung mit den Abläufen bekannt gemacht und wendeten die gleichen Abläufe in weiterer Folge bei später organisierten Preisabsprachen an (Beilagen ./KK, ./LL und ./H6). Betroffen waren die Bauvorhaben WHA Pama, WHA Eisenstadt, WHA Rohrbach, RHA Weiden/See, RHA Kittsee, Klosterschule und Kindergarten Neusiedl/See, Gemeindeamt Nickelsdorf, BH Neusiedl/See, Biologische Station Neusiedlersee Illmitz, AK und ÖGB Eisenstadt (Beilagen ./J6, ./K6, ./SS, ./H6, ./L6, ./I6, ./KK und ./LL).

Daneben kam es zu Zuwiderhandlungen im Zusammenhang mit Ausschreibungen zu Sonderlosen und im Verkehrswegebau (Beilagen ./M6, ./F, ./K, ./N6 und ./T).

Bei Ausschreibungen von Hochbauprojekten in Tirol kam es von 2012 bis 2016 zu kartellrechtswidrigen Handlungen in Form von regelmäßigen Gesprächsrunden, in denen sich die beteiligten Unternehmen darauf einigten, wer ein bestimmtes Bauvorhaben erhalten sollte. Dann wurde der Angebotspreis für den designierten Auftragsempfänger festgelegt. Dieser festgelegte Angebotspreis wurde den übrigen beteiligten Unternehmen meist bilateral mitgeteilt. Diese gaben in weiterer Folge ein höheres Angebot ab. Insgesamt waren die Antragsgegnerinnen zwischen 2006 und 2016 an kartellrechtswidrigen Handlungen bei zumindest 29 Bauvorhaben im Hochbau in Tirol unmittelbar beteiligt.

Bei Ausschreibungen des Amtes der Kärntner Landesregierung im Bereich Straßen- und Verkehrswegebau kam es ebenfalls zu den bereits oben beschriebenen Gesprächsrunden zwischen den Antragsgegnerinnen und Mitbewerbern, bei denen die Bauvorhaben anhand eines fixen Schlüssels aufgeteilt wurden. Dem fixen Schlüssel wurden dabei die bestehenden Marktanteile der Mischgutanlagen zugrunde gelegt. Die Antragsgegnerinnen beanspruchten etwa einen Anteil von 20 bis 25% des ausgeschriebenen Volumens. Bei rund 26% der abgestimmten Bauvorhaben erhielten die Antragsgegnerinnen letztlich auch den Zuschlag. Von 2004 bis 2016 waren in diesem Zusammenhang 596 Bauvorhaben mit einem Gesamtvolumen von mehr als EUR 180 Mio, die unter den beteiligten Unternehmen abgesprochen wurden, betroffen (Beilagen ./F, ./K, ./YY, ./CC, ./Q4, ./N5, ./G und ./K3).

Bei den Ausschreibungen des Magistrats Klagenfurt betreffend Jahresbauverträge für Straßenbau und Künetteninstandsetzung nahmen die Antragsgegnerinnen an langjährigen Preisabsprachen, Marktaufteilungen und dem Austausch über zukünftiges Abgabeverhalten teil. Dies betraf Ausschreibungen zu fünf über mehrere Jahre laufenden Bauverträgen in den Jahren 2005, 2010, 2012, 2014 und 2017 mit einem Gesamtvolumen in Höhe von etwa EUR 24,9 Mio. Es wurden Bauvorhaben aufgeteilt sowie kartellrechtswidrige ARGEs gegründet, an denen die Antragsgegnerinnen auch beteiligt waren. Zwei oder drei Unternehmen bildeten abwechselnd eine ARGE und vereinbarten mit dem jeweiligen Mitbewerber, der nicht Teil der ARGE war, dass dieser als Subunternehmer für die ARGE tätig wird und im Gegenzug kein oder ein höheres Angebot abgibt. Die Antragsgegnerinnen waren etwa an den ARGEs zu den Jahresbauverträgen 2006, 2010 und 2012 nicht offiziell beteiligt, wurden jedoch jeweils als Subunternehmer herangezogen und legten im Gegenzug bei diesen Ausschreibungen ein höheres Angebot. Beim Jahresbauvertrag 2014 waren die Antragsgegnerinnen an der ARGE beteiligt, die den Zuschlag erhielt, und beteiligten ein weiteres Bauunternehmen im oben dargestellten Sinn für das Zurückstehen als Subunternehmer (Beilagen ./Q4, ./Y, ./G und ./T5). Der Ausgleich für das Zurückstehen erfolgte über ein Punktesystem und vereinzelt auch mit Ausgleichszahlungen.

Bei den Ausschreibungen der Holding Graz Kommunale Dienstleistungen GmbH nahm die Antragsgegnerinnen bei Ausschreibungen in den Jahren 2014 bis 2017 im Bereich Verkehrswege und Leitungsbau an Preisabsprachen, Marktaufteilungen und den Austausch über zukünftiges Abgabeverhalten teil. Es gab bilaterale Gespräche zwischen den beteiligten Bauunternehmen, in denen man nach Eruierung des gegenseitigen Interesses sich darauf einigte, wer die Ausschreibung gewinnen sollte. Der designierte Auftragsempfänger „rief“ den zurückstehenden Unternehmen „die abzugebenden Preise zu“. Zwischen Herbst 2016 und Frühjahr 2017 kam es zu mindestens vier Treffen im Rahmen einer fixen Gesprächsrunde (sog. Holding Graz-Runde). Hauptsächlich wurden Ausschreibungen der Holding Graz im Bereich Verkehrswegebau besprochen (Beilagen ./BB, ./FF, ./K, ./Z5, ./A6, ./I5, ./H5 und ./B6).

Auch bei den Ausschreibungen der Fachabteilung 16 des Amts der Steiermärkischen Landesregierung zum Sonderinvestitionsprogramm 2013 („Sonderbudget des Landes Steiermark“) nahmen die Antragsgegnerinnen an Preisabsprachen, Marktaufteilungen und am Austausch über zukünftiges Abgabeverhalten teil. Vor den Ausschreibungen wurden interne Submissionen im Rahmen von bereits bestehenden regelmäßigen Kontakten geführt. Darunter ist zu verstehen, dass sich die beteiligten Unternehmen vor der offiziellen Angebotslegung trafen und sich gegenseitig ihre jeweiligen Kalkulationsgrundlagen bekannt gaben. Auf dieser Grundlage wurde schließlich jenes Bauunternehmen bestimmt, welches nach dem übereinstimmenden Willen aller an der Gesamtzuwiderhandlung beteiligten Unternehmen in der Ausschreibung obsiegen sollte. Ziel war, die Bauvorhaben untereinander aufzuteilen und nicht Steiermärkische Mischgutproduzenten vom Markteintritt abzuhalten. Es waren 32 Bauvorhaben mit einem Gesamtbauvolumen von rund EUR 15 Mio betroffen, die im Rahmen des Sonderbudgets des Landes Steiermark ausgeschrieben wurden (Beilagen ./B7, ./CC, ./O4 und ./Q4). Es handelte sich um Bauvorhaben im Bereich der L502, L242, B57, L211, L201, B66, B69, B72, L117, B54, L619, L652, L624, L353, L416, B97, B68, B138, B24, L711, B146, L104, B20, B23, B115, B116, B20, B21, L371, L305, B65 und L301 (Beilagen ./F5, ./N4, ./E3, ./G5 und ./Q4).

Weiters waren Ausschreibungen der Abteilung 7 ländlicher Wegebau des Amtes der Steiermärkischen Landesregierung von langjährigen Preisabsprachen, Marktaufteilungen und dem Austausch über zukünftiges Abgabeverhalten betroffen, wobei es sich hierbei hauptsächlich um Bauvorhaben mit kleineren Auftragsvolumina handelte. Diese Absprachen gab es zumindest seit 2014 (Beilagen ./H5, ./T, ./J5 und ./V).

 

Im Zeitraum von zumindest Juli 2002 bis Oktober 2017 waren die Antragsgegnerinnen an den beschriebenen Zuwiderhandlungen führend beteiligt und in der Lage, deren wesentliche Umstände und das gemeinsame Ziel mitzuprägen. Damit wuchs unter Beteiligung der Antragsgegnerinnen ein nahezu das gesamte österreichische Bundesgebiet betreffendes Kollusionssystem, das als ein einheitliches Gesamtsystem, wenn auch in regional und zeitlich unterschiedlicher Intensität, zu betrachten ist. Dieses hatte den Zweck, den Wettbewerb zu minimieren oder auszuschließen, um sich gegenseitig zur Erteilung von Aufträgen zu verhelfen und so Marktanteile zu sichern.

 

Beweiswürdigung:

Von den Antragsgegnerinnen wurde der von der Antragstellerin vorgebrachte Sachverhalt ausdrücklich außer Streit gestellt. Darüber hinaus wird er durch die jeweils in Klammer angeführten Urkunden untermauert.

 

Rechtliche Beurteilung:

Da gegen die Richtigkeit der Außerstreitstellungen, die mit den von der BWB vorgelegten Urkunden Beilagen ./A - ./D7 in Einklang stehen, keine Bedenken bestehen, waren iSd § 33 Abs 1 AußStrG iVm § 38 KartG keine weiteren Erhebungen durchzuführen.

1.) Zur „Zwischenstaatlichkeit“:

Gemäß § 1 Abs 1 KartG 2005 sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmern, Beschlüsse von Unternehmervereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken (Kartelle), verboten. Insbesondere sind nach § 1 Abs 2 Z 1 KartG die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der An- oder Verkaufspreise oder sonstige Geschäftsbedingungen sowie nach Z 3 leg.cit. die Aufteilung der Märkte oder Versorgungsquellen verboten.

Nach Art 101 Abs 1 AEUV sind alle jene Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten, die den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken. Dazu gehören insbesondere die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der An- und Verkaufspreise oder sonstiger Geschäftsbedingungen (lit a) sowie die Aufteilung der Märkte oder Versorgungsquellen (lit c). Die Anwendung von Art 101 und 102 AEUV fällt in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten (Art 5 VO [EG] 1/2003).

Beim Kriterium der Zwischenstaatlichkeit handelt es sich um eine Kollisionsnorm, die keine wettbewerbsrechtliche Bewertung der Absprache trifft, sondern die Frage beantworten soll, ob es angemessen ist, den Sachverhalt nach Unionsrecht zu beurteilen. Art 101 Abs 1 AEUV erfordert, dass die wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung oder der Missbrauch der beherrschenden Stellung geeignet ist, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Diese Voraussetzung ist – was schon durch Abstellen auf die „Eignung“ angelegt ist – weit zu verstehen (16 Ok 7/15p mwN).

Maßnahmen, deren wettbewerbsbeschränkende Wirkungen sich auf das gesamte Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erstrecken, sind idR zur Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten geeignet, weil sie schon ihrem Wesen nach die Abschottung nationaler Märkte verfestigen und die gewünschte Marktintegration verhindern können. Ein Kartell, das sich auf das gesamte Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erstreckt, hat nämlich schon seinem Wesen nach die Wirkung, die Abschottung der Märkte auf nationaler Ebene zu verfestigen, indem es die in der Europäischen Union angestrebte wirtschaftliche Verflechtung behindert (Leitlinien zum Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels, ABl 2004/C 101/07, Rn 77 ff). Daher können auch Maßnahmen von Unternehmen, die sich nur auf den Wettbewerb innerhalb eines einzelnen Mitgliedstaats auswirken, den innergemeinschaftlichen Handel beeinflussen (16Ok 4/13; 16 Ok 2/15b; 16 Ok 7/15p; 16 Ok 8/16m; RIS-Justiz RS0120478).

Bei den festgestellten Zuwiderhandlungen der Antragsgegnerinnen ist allein schon aufgrund ihrer Dimension und Dauer sowie aufgrund der Marktanteile der Antragsgegnerinnen jedenfalls die Zwischenstaatlichkeit zu bejahen und Unionsrecht anzuwenden.

2.) Zum Vorliegen einer Vereinbarung oder abgestimmten Verhaltensweise:

Das Kartellverbot des Art 101 Abs 1 AEUV erfasst – wie jenes des § 1 Abs 1 KartG – insbesondere den Wettbewerb beeinträchtigende Vereinbarungen zwischen Unternehmern und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen. Beiden Tatbeständen ist gemeinsam, dass sie geeignet sein müssen, zwischen den beteiligten Unternehmern die Unsicherheiten über ihr zukünftiges Verhalten im Wettbewerb auszuschließen oder zu vermindern. In der Praxis ist eine Abgrenzung dieser Begriffe von geringer Relevanz, weil diese Formen wettbewerbsbeschränkenden Zusammenwirkens gleichrangig sind (Lager/Petsche in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG2 § 1 Rz 14 ff).

Der Begriff „Vereinbarung“ wird in diesem Zusammenhang weit ausgelegt: Nicht notwendig ist, dass es sich dabei um einen rechtlich verbindlichen Vertrag handelt; eine Vereinbarung liegt vielmehr schon dann vor, wenn die betreffenden Unternehmen ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck gebracht haben, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten. Folglich ist der Begriff der Vereinbarung durch das Vorliegen einer Willensübereinstimmung zwischen mindestens zwei Parteien gekennzeichnet, deren Ausdrucksform unerheblich ist, sofern sie den Willen der Parteien getreu wiedergibt. Bei einer Vereinbarung zwischen Unternehmern kommt es daher weder auf die Form der Vereinbarung (diese kann schriftlich, mündlich oder schlüssig getroffen werden) noch darauf an, ob sie auch tatsächlich umgesetzt wird (Lager/Petsche aaO § 1 Rz 18 f mwN).

Neben Vereinbarungen (und Beschlüssen von Unternehmervereinigungen) sind auch aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen vom Kartellverbot erfasst. Dabei handelt es sich nach ständiger Rechtsprechung des EuGH um jede Form der Koordinierung des Verhaltens zwischen Unternehmern, die zwar nicht bis zum Abschluss eines Vertrags im eigentlichen Sinn gediehen ist, aber bewusst eine praktische Zusammenarbeit an die Stelle des mit Risiken verbundenen Wettbewerbs treten lässt. Unter einer Verhaltensabstimmung ist also eine „Fühlungnahme“ zwischen den Unternehmern zu verstehen, die geeignet und bestimmt ist, deren Wettbewerbsrisiko abzuschwächen (Lager/Petsche aaO § 1 Rz 25 ff mwN).

Erfasst ist jede unmittelbare oder mittelbare Koordination zwischen Unternehmen, die bezweckt oder bewirkt, das Marktverhalten zu beeinflussen oder einen Mitbewerber über das Marktverhalten ins Bild zu setzen, das man selbst an den Tag zu legen entschlossen ist oder in Erwägung zieht (Lager/Petsche aaO § 1 Rz 31).

3.) Zum „Bezwecken“ und „Bewirken“:

Vereinbarungen fallen nur dann unter das Verbot des Art 101 Abs 1 AEUV, wenn sie eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH sind diese Voraussetzungen – wie die Konjunktion „oder“ erkennen lässt – alternativ zu verstehen, sodass sich die Notwendigkeit ergibt, zunächst den eigentlichen Zweck der Vereinbarung in Betracht zu ziehen, wobei die wirtschaftlichen Begleitumstände ihrer Durchführung zu berücksichtigen sind.

Wenn fest steht, dass eine Vereinbarung einen wettbewerbswidrigen Zweck verfolgt, brauchen ihre Auswirkungen auf den Wettbewerb nicht geprüft zu werden. Lässt jedoch die Prüfung des Inhalts der Vereinbarung keine hinreichende Beeinträchtigung des Wettbewerbs erkennen, sind ihre Auswirkungen zu untersuchen. Damit sie vom Verbot erfasst wird, müssen Umstände vorliegen, aus denen sich insgesamt ergibt, dass der Wettbewerb tatsächlich spürbar verhindert, eingeschränkt oder verfälscht worden ist.

Die Unterscheidung zwischen „bezweckten“ und „bewirkten“ Verstößen liegt darin begründet, dass bestimmte Formen der Kollusion zwischen Unternehmen schon ihrer Natur nach als schädlich für das gute Funktionieren des normalen Wettbewerbs angesehen werden können.

Bei der Prüfung der Frage, ob eine Vereinbarung eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung enthält, ist auf den Inhalt ihrer Bestimmungen und die mit ihr verfolgten Ziele sowie auf den wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhang, in dem sie steht, abzustellen. Im Rahmen der Beurteilung dieses Zusammenhangs sind auch die Natur der betroffenen Waren und Dienstleistungen, die auf dem betreffenden Markt oder den betreffenden Märkten bestehenden tatsächlichen Bedingungen und die Struktur dieses Markts oder dieser Märkte zu berücksichtigen. Für einen wettbewerbswidrigen Zweck reicht es bereits aus, wenn die Vereinbarung das Potenzial hat, negative Auswirkungen auf den Wettbewerb zu entfalten, dh wenn sie konkret geeignet ist, zu einer Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Markts zu führen (EuGH 14.3.2013, Rs C-32/11 - Allianz Hungária, mwN). Das wesentliche Kriterium ist, dass eine solche Handlung in sich selbst eine hinreichende Beeinträchtigung des Wettbewerbs erkennen lässt (EuGH 11.9.2014, Rs C-67/13 P - Groupement des cartes bancaires, mwN).

Sogenannte Kernbeschränkungen, namentlich die ersten drei Regelbeispiele des Art 101 Abs 1 AEUV, darunter auch Preisabsprachen und die Aufteilung von Märkten, sind als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen grundsätzlich verboten (Bechtold/Bosch/Brinker, EU-Kartellrecht³ Art 101 AEUV Rz 78 ff; Braun in Langen/Bunte, Kartellrecht13, Nach Art 101 AEUV, Rz 20; Füller in Kölner Kommentar zum Kartellrecht, Art 101 AEUV, Rz 205ff; zu § 1 KartG: Lager/Petsche in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG², § 1 Rz 57 und 104; uva). Sie sind auch von der De‑Minimis‑Bekanntmachung der Europäischen Kommission, ABl 2014/C 291/01, durch deren Pkt II.12 ausgenommen. Preisabsprachen und koordinierte Aufteilungen der Märkte oder Versorgungsquellen sind bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen.

Das zwischen den Antragsgegnerinnen und ihren Mitbewerbern im Zeitraum Juli 2002 bis Oktober 2017 etablierte System von Preisabsprachen, Marktaufteilungen und Informationsaustausch stellen Verstöße gegen die Bestimmungen des Art 101 Abs 1 lit a und c AEUV und § 1 Abs 2 Z 1 und 3 KartG dar. Hiebei handelt es sich um Kernbeschränkungen, deren unmittelbare Auswirkung auf den Markt nicht geprüft werden braucht.

Die Verhaltensweisen der Antragsgegnerinnen widersprechen den Zielsetzungen, die hinter der Einleitung eines Vergabeverfahrens oder einer Ausschreibung stehen. So sind nach § 19 BVergG Vergabeverfahren ua entsprechend den Grundsätzen des freien und lauteren Wettbewerbs durchzuführen. Dafür ist die Einhaltung des Grundsatzes des geheimen Wettbewerbs unverzichtbare Voraussetzung.

4.)Zur Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkung:

Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH müssen die Wettbewerbsbeschränkung und die Handelsbeeinträchtigung auch spürbar sein, um vom Kartellverbot erfasst zu sein. Das Vorliegen einer spürbaren Beschränkung des Wettbewerbs auf dem Binnenmarkt ist anhand des tatsächlichen Rahmens einer solchen Vereinbarung zu beurteilen. Vereinbarungen, die geeignet sind, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen und die einen wettbewerbswidrigen Zweck haben, sind ihrer Natur nach und unabhängig von ihren konkreten Auswirkungen eine spürbare Beschränkung des Wettbewerbs (EuGH C-226/11 - Expedia, Rz 16f, 21 und 37). Dies ist im vorliegenden Fall gegeben.

5.)Zum Verschulden:

§ 29 KartG stellt klar, dass Geldbußen nur bei Verschulden zu verhängen sind. Der Unternehmer muss den Tatbestand vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführt haben. Gleiches gilt zufolge Art 23 VO 1/2003 im Unionsrecht. Das KartG definiert nicht näher, was unter Vorsatz und Fahrlässigkeit zu verstehen ist. Einschlägige Definitionen enthalten aber die strafrechtlichen Bestimmungen der §§ 5 f StGB und § 3 VbVG (16 Ok 2/11).

Vorsätzlich handelt gemäß § 5 Abs 1 StGB, wer einen Sachverhalt verwirklichen will, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht; dazu genügt es, dass der Täter diese Verwirklichung ernstlich für möglich hält und sich mit ihr abfindet.

Demgegenüber handelt fahrlässig, wer die Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den Umständen verpflichtet und nach seinen geistigen und körperlichen Verhältnissen befähigt ist und die ihm zuzumuten ist, und deshalb nicht erkennt, dass er einen Sachverhalt verwirklichen könne, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht (§ 6 Abs 1 StGB), und wer es für möglich hält, dass er einen solchen Sachverhalt verwirkliche, ihn aber nicht herbeiführen will (§ 6 Abs 2 StGB).

Gemäß § 3 Abs 1 VbVG ist ein Verband – ein solcher ist nach der Legaldefinition des § 1 Abs 2 leg cit insbesondere eine juristische Person – unter den weiteren Voraussetzungen des Abs 2 oder des Abs 3 für eine Straftat verantwortlich, wenn 1. die Tat zu seinen Gunsten begangen worden ist oder 2. durch die Tat Pflichten verletzt worden sind, die den Verband treffen.

Die Voraussetzungen des § 3 Abs 1 VbVG sind hier unzweifelhaft erfüllt, weil durch die festgestellten Verhaltensweise Pflichten der Antragsgegnerinnen verletzt wurden.

Für Straftaten eines Entscheidungsträgers ist gemäß § 3 Abs 2 VbVG der Verband verantwortlich, wenn der Entscheidungsträger als solcher die Tat rechtswidrig und schuldhaft begangen hat.

Entscheidungsträger iSd VbVG ist nach dessen § 2 Abs 1, wer 1. Geschäftsführer, Vorstandsmitglied oder Prokurist ist oder aufgrund organschaftlicher oder rechtsgeschäftlicher Vertretungsmacht in vergleichbarer Weise dazu befugt ist, den Verband nach außen zu vertreten, 2. Mitglied des Aufsichtsrates oder des Verwaltungsrates ist oder sonst Kontrollbefugnisse in leitender Stellung ausübt, oder 3. sonst maßgeblichen Einfluss auf die Geschäftsführung des Verbandes ausübt.

Für Straftaten von Mitarbeitern ist gemäß § 3 Abs 3 VbVG der Verband verantwortlich, wenn

1. Mitarbeiter den Sachverhalt, der dem gesetzlichen Tatbild entspricht, rechtswidrig verwirklicht haben; der Verband ist für eine Straftat, die vorsätzliches Handeln voraussetzt, nur verantwortlich, wenn ein Mitarbeiter vorsätzlich gehandelt hat; für eine Straftat, die fahrlässiges Handeln voraussetzt, nur, wenn Mitarbeiter die nach den Umständen gebotene Sorgfalt außer Acht gelassen haben; und

2. die Begehung der Tat dadurch ermöglicht oder wesentlich erleichtert wurde, dass Entscheidungsträger die nach den Umständen gebotene und zumutbare Sorgfalt außer acht gelassen haben, insbesondere indem sie wesentliche technische, organisatorische oder personelle Maßnahmen zur Verhinderung solcher Taten unterlassen haben.

Mitarbeiter iSd VbVG ist gemäß § 2 Abs 2 leg.cit., wer (unter anderem) aufgrund eines Arbeitsverhältnisses Arbeitsleistungen für den Verband erbringt.

Nach dem festgestellten Sachverhalt wurden die Kartellrechtsverstöße von Mitarbeitern der Antragsgegnerinnen gesetzt. Diese haben jedenfalls zumindest mit bedingtem Vorsatz (dolus eventualis) gehandelt, was sich schon daraus ergibt, dass ihnen bewusst war, dass es sich hiebei nicht um ein „Kavaliersdelikt“ handelt. Das Verschulden ist daher zu bejahen.

6.)Zur Verjährung:

Das kartellrechtswidrige Verhalten der Antragsgegnerinnen umfasste einen Zeitraum von Juli 2002 bis Oktober 2017. Von den Antragsgegnerinnen wurde kein Verjährungseinwand erhoben. Aus einem solchen wäre für die Antragsgegnerinnen auch nichts zu gewinnen gewesen:

§ 33 KartG idFd Bundesgesetzes BGBl I Nr. 176/2021 ist nach § 86 Abs 12 KartG auf Rechtsverletzungen anzuwenden, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes (10.9.2021) noch nicht verjährt sind.

Gemäß § 33 Abs 1 1.Satz KartG darf eine Geldbuße nur verhängt werden, wenn der Antrag binnen fünf Jahren ab Beendigung der Rechtsverletzung gestellt wurde. Diese Frist wird unterbrochen, sobald mindestens einem an der Rechtsverletzung beteiligten Unternehmer oder einer beteiligten Unternehmervereinigung eine auf Ermittlung oder Verfolgung der Rechtsverletzung gerichtete Handlung der Bundeswettbewerbsbehörde bekanntgegeben wird. Mit jeder Unterbrechung beginnt die Frist neu zu laufen.

Anders als Art 25 der VO 1/2003 differenziert § 33 KartG nicht zwischen einmaligen, dauernden und fortgesetzten Zuwiderhandlungen bzw Zustands- und Dauerdelikten. Nach dem Gesetzeswortlaut muss das Verhalten insgesamt beendet sein, um den Beginn der Verjährungsfrist auszulösen.

Bei den Dauerdelikten ist zwischen dauernden und fortgesetzten Zuwiderhandlungen zu unterscheiden. Eine dauernde Zuwiderhandlung besteht aus einer andauernden, eine fortgesetzte aus mehreren Handlungen, die jede für sich die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllen. Somit handelt es sich bei einer dauernden Zuwiderhandlung um ein abgrenzbares rechtswidriges Verhalten, das ohne Unterbrechung über einen längeren Zeitraum gesetzt wird. Eine fortgesetzte Zuwiderhandlung liegt demgegenüber immer dann vor, wenn eine zu einer rechtlichen Einheit zusammengefasste Vielzahl rechtswidriger aufeinander folgender Verhaltensweisen oder mehrere abgrenzbare Handlungen, die auf die Durchführung einer einzigen Zuwiderhandlung gerichtet sind, erfolgen (Traugott in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG2 § 33 Rz 6 und 7).

Der Begriff der fortgesetzten Zuwiderhandlung umfasst eine Mehrzahl von rechtswidrigen Verhaltensweisen oder von Handlungen zur Durchführung einer einzigen Zuwiderhandlung, die durch ein gemeinsames subjektives Element zu einer Einheit verbunden sind (EuGH 8.7.1999, C-235/92 P - Montecatini/Kommission).

Ein Verstoß gegen Art 101 Abs 1 AEUV und § 1 Abs 2 Z 1 und 3 KartG kann sich somit nicht nur aus einer isolierten Handlung, sondern auch aus einer Reihe von Handlungen oder einem kontinuierlichen Verhalten ergeben. Bei der Einstufung unterschiedlicher Handlungen als einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung ist zu prüfen, ob zwischen ihnen insoweit ein Komplementaritätsverhältnis besteht, als jede von ihnen eine oder mehrere Folgen des normalen Wettbewerbs beseitigen soll und durch Interaktion zur Verwirklichung sämtlicher wettbewerbswidriger Wirkungen beiträgt, die ihre Urheber im Rahmen eines auf eine einheitliche Zielsetzung gerichteten Gesamtplans anstreben. Insoweit sind alle Umstände zu berücksichtigen, die dieses Verhältnis belegen oder in Frage stellen können, wie der Anwendungszeitraum, der Inhalt einschließlich der verwendeten Methoden und im Zusammenhang damit die Zielsetzung der verschiedenen fraglichen Handlungen (EuG 6.2.2014, T-27/10 - AC-Treuhand/Kommission). Bei fortgesetzten Delikten, also solchen Verstößen, die aus mehreren Teilhandlungen bestehen, die in ihrer Begehungsweise gleichartig sind, in einem nahen zeitlichen Zusammenhang stehen und von einem Gesamtvorsatz getragen sind, beginnt die Verjährungsfrist erst mit Beendigung des letzten Teilakts zu laufen (16 Ok 2/15b, 8/15k mwN).

Nach den Feststellungen liegt hier eine einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung der Antragsgegnerinnen gegen das Kartellrecht vor, da alle Einzelverstöße auf einen einheitlichen Gesamtplan und Gesamtsystem beruhen. Da die Zuwiderhandlungen weniger als 5 Jahre vor der Einbringung des Geldbußenantrags beendet waren, käme einem allfälligen Verjährungseinwand keine Berechtigung zu. Auf die strafrechtliche Rechtsprechung zum fortgesetzten Delikt kommt es auf Grund der besonderen Rechtsgrundlagen im Kartellrecht nicht weiter an (16 Ok 2/15b, 8/15k mwN).

7.) Zur Rechtfertigung:

Ein Freistellungs- bzw. Rechtfertigungsgrund nach § 2 Abs 1 KartG und Art 101 Abs 3 AEUV wurde nicht behauptet und ist nicht erkennbar.

8.)Zur Höhe der Geldbuße:

Gemäß § 29 Z 1 lit a und d KartG ist bei einem vorsätzlichen oder fahrlässigen Verstoß gegen § 1 KartG bzw gegen Art 101 AEUV eine Geldbuße bis zu einem Höchstbetrag von 10 % des im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes zu verhängen. Darunter ist der weltweite Umsatz des jeweils am Wettbewerbsverstoß beteiligten Unternehmers zu verstehen, wobei die Berechnungsbestimmung des § 22 KartG heranzuziehen ist.

Bei der Bemessung der Geldbuße ist gemäß § 30 Abs 1 KartG insbesondere auf die Schwere und die Dauer der Rechtsverletzung, auf die durch die Rechtsverletzung erzielte Bereicherung, auf den Grad des Verschuldens und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Bedacht zu nehmen.

Ein Erschwerungsgrund ist es gemäß § 30 Abs 2 KartG insbesondere, wenn

1. das Kartellgericht gegen den Unternehmer oder die Unternehmervereinigung schon wegen einer gleichartigen oder ähnlichen Zuwiderhandlung eine Geldbuße verhängt oder eine solche Zuwiderhandlung festgestellt hat oder

2. der Unternehmer oder die Unternehmervereinigung als Urheber oder Anstifter einer von mehreren begangenen Rechtsverletzung oder an einer solchen Rechtsverletzung führend beteiligt war.

Ein Milderungsgrund ist es gemäß § 30 Abs 3 KartG insbesondere, wenn der Unternehmer oder die Unternehmervereinigung

1. an einer von mehreren begangenen Rechtsverletzung nur in untergeordneter Weise beteiligt war,

2. die Rechtsverletzung aus eigenem beendet hat,

3. wesentlich zur Aufklärung der Rechtsverletzung beigetragen hat oder

4. den aus der Rechtsverletzung entstandenen Schaden ganz oder teilweise gutgemacht hat.

Dem Erschwerungsgrund der führenden Beteiligung der Antragsgegnerinnen an der Zuwiderhandlung steht als Milderungsgrund gegenüber, dass die Antragsgegnerinnen wesentlich zur Aufklärung der Rechtsverletzung beigetragen und ein Anerkenntnis abgegeben haben.

Bei der Ermittlung der Höhe der beantragten Geldbuße ging die Antragstellerin von folgenden Überlegungen aus:

Da die Mehrzahl der betroffenen Bauvorhaben den Straßenbau betrifft, zog sie den im Jahr 2016 in diesem Geschäftsbereich in Österreich erzielten Umsatz der Antragsgegnerinnen in Höhe von rund EUR 371 Mio als Ausgangspunkt der Bemessung heran. Ausgehend von einem Grundbetrag, der die regionale und zeitliche Ausprägung sowie persönliche Involvierung auf Unternehmensebene an der Gesamtzuwiderhandlung widerspiegle, und unter Anwendung eines Multiplikators für die Dauer der Zuwiderhandlung von 2002 bis 2017 errechnete sie einen Betrag in Höhe von EUR 245,3 Mio. In weiterer Folge berücksichtige die Antragstellerin Abzüge wegen der außerordentlich umfangreichen Kooperation der Antragsgegnerinnen als Kronzeuge sowie für die einvernehmliche Verfahrensbeendigung. Als mildernd wertete sie die Einführung eines zertifizierten Compliance-Systems in Verbindung mit einem neuartigen Monitoring-System. Unter Berücksichtigung dieser Faktoren beantragte die Antragstellerin eine Geldbuße von EUR 45,37 Mio.

Ob eine höhere als die von der Antragstellerin beantragte Geldbuße in Frage käme, ist im Hinblick darauf, dass das Kartellgericht nach § 36 Abs 2 letzter Satz KartG keine höhere Geldbuße verhängen darf als beantragt, nicht zu prüfen.

Eine niedrigere Geldbuße als die von der BWB beantragte Summe, die bei einem weltweiten Umsatz des STRABAG-Konzerns im vorangegangenen Geschäftsjahr von EUR 14,75 Mrd rund 3,076% des Höchstbetrags nach § 29 Z 1 KartG entspricht, kommt angesichts der Schwere und Dauer des Verstoßes, die durch die Rechtsverletzung zwangsläufig erzielte Bereicherung, das vorsätzliche Handeln und die erhebliche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Antragsgegnerinnen aus spezial- und generalpräventiven Erwägungen jedenfalls nicht in Betracht.


Ausdruck vom: 26.04.2024 06:48:23 MESZ