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Kategorie:

Kartell

Dienststelle:

OLG Wien (009)

Aktenzeichen:

25 Kt 4/22h


Bekannt gemacht am:

24.01.2023

Entscheidungsdatum:

14.07.2022


Über die Antragsgegnerin wird gemäß § 29 Z 1 lit a und d KartG wegen einer einheitlichen, komplexen und fortgesetzten Zuwiderhandlung gegen § 1 Abs 1 KartG und Art 101 AEUV in Form von kartellrechtswidrigen vertikalen Absprachen mit Herstellern von Schultaschen und -rucksäcken über die Wiederverkaufspreise durch Vereinbarung von Mindest- und Festpreisen für diese Produkte und in Einzelfällen von Zubehör auf dem österreichischen Markt im Zeitraum von Februar 2015 bis Februar 2019 eine Geldbuße in der Höhe von EUR 100.000,-- verhängt.
Begründung:
I. Die Bundeswettbewerbsbehörde beantragte die Verhängung einer Geldbuße gemäß § 29 Z 1 lit a und d KartG in der Höhe von EUR 100.000,-- und brachte dazu im Wesentlichen vor, dass auf Grund von Konsumentenbeschwerden Ermittlungen wegen des Verdachts vertikaler Absprachen im Bereich des Handels mit Schultaschen beziehungsweise -rucksäcken durchgeführt worden seien. Die Ermittlungen haben ergeben, dass es zumindest von Februar 2015 bis Februar 2019 zu kartellrechtswidrigen vertikalen Verhaltensweisen gekommen sei, indem die Antragsgegnerin mit Herstellern dieser Produkte sowie diversen Zubehörs (zB Federschachteln, Brustbeutel) Vereinbarungen über die Wiederverkaufspreise getroffen habe. Mit diesen Vereinbarungen sei der vermeintlich „unverbindlichen Verkaufspreis“ (UVP) als verbindlich vorgegeben und von der Antragsgegnerin als Mindestpreis eingehalten worden. Die Einhaltung dieser Preise sei von den Herstellern überwacht worden. Das Überwachungssystem sei derart aufgebaut gewesen, dass die kartellbeteiligten Hersteller Beschwerden von Einzelhändlern über das Unterschreiten der vereinbarten Preise von Mitbewerbern, beispielsweise bei Rabattaktionen, weiterverfolgt haben und Preisdisziplin eingefordert haben. Zum Teil seien die Überwachungsmaßnahmen direkt vom Hersteller gesetzt, worden und bei Wahrnehmungen von Preisunterschreitungen der Kontakt mit dem betroffenen Händler gesucht worden. Hinsichtlich der Antragsgegnerin seien immer wieder Beschwerden von Mitbewerbern bei Herstellern eingelangt, dass die vereinbarten Preise von der Antragsgegnerin nicht eingehalten und unterschritten würden. Nach Einschreiten der Hersteller sei die Anhebung der Preise auf das vereinbarte Niveau regelmäßig von der Antragsgegnerin zugesichert worden. Auch umgekehrt habe die Antragsgegnerin sich mit Beschwerden über die fehlende Preisdisziplin von anderen Händlern an Hersteller gewandt, mit dem Ersuchen auf die Abstellung dieser Abweichungen hinzuwirken.
Die BWB brachte zur Höhe der beantragten Geldbuße vor:
Gem § 30 KartG seien der Gruppenumsatz der Thalia Bücher GmbH im Geschäftsjahr 2020/2021 in der Höhe von EUR 1,065 Mrd sowie der Umsatz der Antragsgegnerin mit Schultaschen und -rucksäcken in Österreich im Geschäftsjahr 2018/2019 in Höhe von EUR XX, die Schwere der Rechtsverletzung (Kernverstoß), die Dauer des Verstoßes von vier Jahren sowie die von der Antragsgegnerin zwischenzeitig gesetzten Maßnahmen der Mitarbeiterschulungen zu berücksichtigen. Dies führe zu einem Grundbetrag von EUR 125.000,--. Da die Antragsgegnerin den Sachverhalt außer Streit gestellt, und den Verfahrensaufwand damit reduziert habe, werde eine um 20% geminderte Geldbuße beantragt.
Der Bundeskartellanwalt schloss sich dem Vorbringen der BWB an.
Die Antragsgegnerin stellte das Vorbringen der BWB außer Streit.
II. Folgender Sachverhalt steht fest:
Die Antragsgegnerin ist ein Tochterunternehmen der Thalia Bücher GmbH mit Sitz in Hagen, Deutschland, welche 100 % der Anteile hält. Sie verfügt in Österreich über insgesamt 37 Filialen und ist im Einzelhandel mit Büchern, Zeitschriften, Schreibwaren und Bürobedarf sowie mit Ton- und Bildträgern tätig. Sie führt Schultaschen und -rucksäcke verschiedener Hersteller, wobei der Einkauf zum Teil zentral gesteuert wird und die einzelnen Filialen zum Teil die Produkte anderer Hersteller zusätzlich ins Sortiment aufnehmen können. Die Verkaufspreise werden zentral vorgegeben.
Der für Thalia wichtigste Hersteller ist die in Köln, Deutschland, ansässige Fond Of GmbH (in der Folge FOND OF), welche ua Schulrücksäcke der Marken „Ergobag“ (Rucksäcke für Kinder im Grundschulalter) und „satch“ (Rucksäcke für die Kinder in weiterführenden Schulen) herstellt.
Über das Unternehmen FOND OF verhängte das Kartellgericht mit rechtskräftigem Beschluss vom 15.7.2021 (25 Kt 5/21 d) eine Geldbuße ua wegen der Vereinbarung von Fest- und Mindestverkaufspreisen für Schultaschen bzw. -rucksäcken und Zubehör mit Händlern auf dem österreichischen Markt.
Zu den kartellrechtswidrigen Preisabsprachen:
Die Vereinbarung der Antragsgegnerin mit Herstellern von Schultaschen und -rucksäcken über Wiederverkaufspreise durch Vereinbarung von Mindest- und Festpreisen für diese Produkte, die im Zeitraum Februar 2015 bis Februar 2019 stattfanden, erfolgten insbesondere mit dem Hersteller FOND OF nach folgendem Modus:
Bei den ersten Gesprächen im Rahmen des Aufbaus der Geschäftsbeziehung zwischen FOND OF und der Antragsgegnerin wurde das Thema Preise angesprochen und vom Hersteller der Hinweis gegeben, dass man sich wünschen würde, dass das Produkt preisstabil bleibe. Als FOND OF im Markt etwas mehr Fuß gefasst hatte, wurde die Forderung nach Preisstabilität von FOND OF mit der Androhung von Sanktionen im Falle der Nichteinhaltung der von FOND OF vorgegebenen Preispolitik verknüpft (Beilage ./D). Zwischen der Antragsgegnerin und FOND OF wurden die Mindestverkaufspreise für jedes einzelne Schultaschen und -rucksackmodell festgelegt und von Seiten der Antragsgegnerin das Unterlassen der Unterschreitung dieses vereinbarten Preises zugesagt. Insbesondere beinhaltete die Vereinbarung auch, dass diese Artikel von jeglichem Aktionsnachlass und jeglicher Rabattaktion auszunehmen sind. FOND OF achtete auf die Einhaltung der vorgegebenen Verkaufspreise und forderte im Falle der Unterschreitung der vereinbarten Preise die Antragsgegnerin auf, die Preise wieder auf das vereinbarte Niveau anzuheben. Dieser Aufforderung kam die Antragsgegnerin regelmäßig nach.
Es kam im Deliktszeitraum wiederholt vor, dass die Antragsgegnerin in Radiowerbungen oder Werbeeinschaltungen auf 20 %ige Rabatttage hinwies und die FOND OF Produkte nicht ausnahm. Dies führte zu Beschwerden von anderen Händlern, die sich an die Preispolitik der Herstellerin hielten und die von der Herstellerin ein Einschreiten gegenüber der Antragsgegnerin erwarteten. Die Herstellerin hat sich in diesen Fällen an die Antragsgegnerin, meistens an eine Mitarbeiterin in der Zentrale gewandt, die dann die Zusage machte, sich darum zu kümmern und durch ihr Einschreiten bewirkte, dass entweder die Folder angepasst wurden oder die Werbung nicht weiter geschaltet wurde.
Damit in allen Filialen der Antragsgegnerin die vereinbarten Preise für die FOND OF Artikel eingehalten werden, wurden regelmäßig Mails antragsgegnerinintern versendet, beispielsweise lautete das antragsgegnerininterne Mail vom 24.2.2015 (Beilage ./G) wie folgt:
„Sehr geehrte Damen und Herren,
die Schultaschenaktion -20 % wurde nun vorverlegt auf Start 26.2. bis 5.4.2015. Seitens Marketing wurde das POS-Plakat entsprechend geändert.
Aktion gültig auf alle Schultaschen, Schultaschen-Sets und Rucksäcke – ausgenommen sind die Marken „satch“ und „Ergobag“.
Bitte kassieren Sie die Artikel mit der 20 % Schnellrabatttaste an der Kassa.
Schöne Grüße
J. H.“
Als sich M.H. seitens der Antragsgegnerin per Mail über den Grund für diese Ausnahmen erkundigt, erhält er mit Mail vom 27.2.2015 folgende Antwort (Beilage ./G):
„Hallo M., nein das hat nichts mit der Aktion zu tun. Das steht im Vertrag und wenn wir ihn nicht ausgenommen hätten, dann hätte er uns nicht beliefert. Habe es eh anders probiert, aber er ist dahintergekommen, weil Max Center das Plakat schon früher aufgehängt hat. Deshalb die Änderung.
[…]
LG
C.“
Die Antragsgegnerin überwachte regelmäßig, ob die mit der Herstellerin vereinbarten Preise in allen Filialen verrechnet wurden. Wenn es zu Preisabweichungen und -reduktionen kam, wurde dem antragsgegnerinintern auch nachgegangen. So heißt es beispielsweise in einem antragsgegnerininternen Mail vom 8.9.2016, dem das Foto eines Kassenzettels angefügt war (Beilage ./J):
„Hallo zusammen,
der gesamte österreichische Markt hat mit FOB die Vereinbarung, dass die Marken Ergobag und Satch aus allen Aktionen ausgenommen wird. Heute haben wir wieder eine Rechnung bekommen, auf der die -20 % abgezogen wurden.
Bitte leiten Sie die Information an alle Mitarbeiter, vor allem den Kassenkräften weiter!!
Vielen Dank für die ausnahmslose Einhaltung!
LG aus Linz
Freundliche Grüße
A.Z.
[...]“ (Beilage ./J).
Der Leiter der Thalia-Filiale, die den Rabatt gewährt hatt, antwortete auf das Mail am 9.9.2016 wie folgt (Beilage ./J):
„Hallo Frau Z.!
Wir halten uns grundsätzlich an die Anordnungen die von der Zentrale kommen. Doch möchte ich anmerken, wenn im Flugblatt nicht ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass auf satch und Ergobag kein Rabatt gewährt wird, ist es schwierig, einer aufgebrachten Kundin diese 20 % nicht zu gewähren.
Ich bin überzeugt im Sinne unseres Unternehmens, in diesem Fall, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.
Zudem würde ich sie bitten bei weiteren Aktionen dieser Art, dies im Flugblatt unmissverständlich zu kommunizieren.
Im voraus schon herzlichen Dank und ein schönes Wochenende
Liebe Grüße
G.K. Filialleitung“
Das Antwortschreiben von A.Z. auf dieses Mail lautet wie folgt (Beilage ./J):
„Sehr geehrter Herr K.,
Sie haben eben NICHT im Sinne vom Unternehmen gehandelt. Mit diesem Verhalten riskieren Sie, dass es zukünftig Satch und Ergobag bei Thalia nicht mehr geben wird, weil uns der Lieferant nicht mehr beliefert.
Die Ausnahme ist auf dem Plakat, im Newsletter UND im Flugblatt (im Rechtstext) angeführt. Im Flugblatt können wir dies nicht größer machen, da sonst jede Marke ausgenommen werden will.
Im Interesse des Unternehmens ist zu handeln, dass der Kunde in der Filiale gleich behandelt wird.
Beste Grüße C.S.“
Auch von Seiten der Antragsgegnerin wurde FOND OF wiederholt über Abweichungen von den vereinbarten Preisen durch Mitbewerber der Antragsgegnerin informiert. So weist die Antragsgegnerin mit E-Mail vom 15.3.2017 Herrn D. (FOND OF) auf eine Rabattaktion hin (Beilage ./K):
„Hallo Herr D.,
anbei eine Aktion vom Büroland Wiesmayr die EUR 15,-- Rabatt auf die Schultasche nach Wahl geben (abgebildet unter anderem ergobag). Wir möchten auch gerne eine Rabatt-Aktion mit ergobag & satch machen ….
Bitte um Klärung!
Vielen Dank! […].“
Herr D. antwortet am selben Tag (Beilage ./K):
„Hallo Frau R.,
danke für die Info wir kümmern uns, dass es sofort eingestellt wird,
lg D.“ (Beilage ./K).
Am 31.1.2018 beschwert sich Frau S. (Antragsgegnerin) in einem E-Mail an FOND OF über eine Gutscheinaktion eines Mitbewerbers mit folgenden Mail (Beilage ./N):
„Sehr geehrter Herr D., Sehr geehrter Herr S.,
wir haben uns an die mündliche Vereinbarung, keinen Rabatt auf satch und Ergobag zu geben gehalten. Anbei 1 Werbemittel von einem starken Mitbewerber, der € 25,-- Gutschein gibt und die aktuelle Info von Skribo:
Satch hat Skribo auch, ist aber von der Aktion ausgenommen (steht aber nicht auf dem Gutschein …).
Vorjahresmodelle von satch werden günstiger hergegeben.
Bei den neuen satch gibt sie einen GS von 5 Euro dazu.
Bestimmt haben Sie Verständnis dafür, dass wir jetzt auf die geänderte Marktsituation reagieren müssen.
Vielen Dank für ihre Kenntnisnahme
Freundliche Grüße
C.“
Diese Beschwerden der Antragsgegnerin gegenüber der Herstellerin über Aktionen von Mitbewerbern wurden regelmäßig vom FOND OF beantwortet mit der Zusicherung, sich darum zu kümmern und auf die Einstellung dieser Aktionen hinzuwirken.
Zwischen der Antragsgegnerin und dem Hersteller Fond Of wurden im zeitlichen Gleichklang mit Mitwerbern der Antragsgegnerin Preiserhöhungen bei den genannten Artikeln durchgeführt, wobei die konzertierten Preiserhöhungsschritte umfassend waren und auch die Preise bereits zuvor erworbener Artikel betroffen haben.
So lautet das E-Mail vom 26.10.2017 von Fond Of zu dieser Thematik wie folgt (Beilage ./M)
„Liebe FOB Kunden,
wir stehen ja Mitten in der Auslieferung der News 2017/2018 und ich denke wir werden wieder zusammen sehr erfolgreich sein.
Eine große Bitte habe ich und wollte Sie nochmals daran erinnern, dass Sie doch bitte beachten, dass wir seit 1.10.2017 neue empfohlene VK-Preise haben. Ich bitte Sie schnellst möglichst zu agieren und die Preise anzupassen. Danke.
Was ist zu tun (ganz einfach):
.) satch alle Modelle (alt und neu) haben nun den empf. VK 119 (bitte alle mit  109 € auf den neuen Preis umzeichnen - - - höhere Marge!!!!!)
.) satch Match das „alte“ Modell, das Sie auf Lager haben kann bei 119 € bleiben alle neuen satch Match 2.0 haben sowieso den VK 139. Also hier ist nichts zu tun.
.) Ergobag Pack und Cubo (alte und neue Modelle) haben nun den empf. VK 239, - (bitte alle mit EUR 219,-- auf den neuen Preis umzeichnen - - - höhere Marge!!!!!)
.) Ergobag Limited haben sowie so einen speziellen VK hier ist nichts zu tun
.) sämtliches Zubehör egal von satch oder Ergobag bleibt alles gleich !! [...]“
Die Antragsgegnerin antwortete am 2.11.2017 mit der Übermittlung einer Artikelliste und dem Ersuchen um allfällige Korrekturen:
„Hallo Herr D.,
vielen Dank – ich denke wir haben alle Preise korrekt im System.
Zur Sicherheit darf ich Ihnen die aktuellste Artikelliste übermitteln. Sollte hier etwas noch nicht richtig sein, bitte um kurze Info. [...]“ (Beilage ./M).
Reduktionen von diesen von der Herstellerin festgesetzten Preisen durften nur mit ausdrücklicher Zustimmung der Herstellerin erfolgen. So übermittelte besispielsweise Herr D. (Antragsgegnerin) am 9.1.2019 ein E-Mail an FOND OF mit dem Ersuchen Preisreduktion durchführen zu dürfen (Beilage ./R):
„Lieber Herr D.!
Wir haben aufgrund von Penner-Auswertungen die folgenden Artikel gefunden die wir nurmehr in geringer Stückzahl lagernd haben
[…]
Können wir für diese Artikel einen Abverkaufspreis festsetzen.
Drei der Artikel sind nicht einmal mehr in der Gesamtliste zu finden, die waren entweder noch vor der Thawis Umstellung oder sie sind irgendwann verschwunden. Im System sind alle bereits auf Auslauf gesetzt, aber wir haben noch ein paar auf Lager. Wir verkaufen die Artikel vom Normalpreis leider nicht mehr [...]“
Die Antwort lautet(Beilage ./R):
„Hallo Frau U.,
gerne reduzieren 30 bis 40 % bzw. was sie denken sporttaschen nicht so problematisch
LG
D.“
Die Antragsgegnerin traf auch kartellrechtswidrige Preisabsprachen mit anderen Markenherstellern von Schultaschen und -rucksäcken. So wird in einer antragsgegnerininternen E-Mail-Korrespondenz vom 31.1.2018 auf das Verbot von Rabattaktionen mit Markenlieferanten hingewiesen (Beilage ./S):
„Hallo R.,
wie bei unserem Workshop im November besprochen, bekommen wir für die Sonderflächen, Schultaschenausstellung etc. keine Kommissionsware. […]
20 % Rabattaktion dürfen wir nicht mehr machen, alle unsere Markenlieferanten gestatten das nicht. Ich hatte ja einen Thalia-Wertgutschein angeregt. Ob dieser Wertgutschein jetzt gemacht werden darf – ich glaube da fehlen noch die Entscheidungen
[…]
Freundliche Grüße
A.“
Die Antragsgegnerin hat auch mit anderen Herstellern die exakten Wiederverkaufspreise vereinbart und mit Herstellern darüber korrespondiert, welcher konkrete Verkaufspreis für die Kunden attraktiv sei. So lautet die Korrespondenz zwischen der Antragsgegnerin und einem Hersteller vom 27./28.12.2017 dahingehend (Beilage ./U):
„Hallo B, (Anm.: Herstellerin)
lange nichts gehört von dir.
Ich habe unsere Aktionsmodelle vom letzten Jahr analysiert. Wir haben einen VK-Umsatz von € 52.375,-- gemacht, jedoch noch EK-Wert von € 28.615,-- lagernd. Der VK mit 39,99 ist einfach nicht attraktiv genug für den Kunden um solche Mengen zu verkaufen. Anbei die Auswertung.
Wie gehen wir kommendes Schuljahr damit um? Ich hätte gerne wieder ein Modell mit VK € 34,99. Habt ihr Abverkaufsangebote mit denen wir den lagernden XX(Anm: Modellname) auffüllen können?
Danke für deine Rückantwort
Lg
C.“
Die Antwort der Herstellerin lautet(Beilage ./U):
„Hallo C.,
[…]
Danke für die Auswertung, ja das Ergebnis ist nicht so berauschend – allerdings ist es auch unser Bestreben die Preise für die Bags nicht so tief zu haben, da dies einfach nicht gut für unsere Brand ist. Ich könnte noch folgendes Modell zum Auffüllen anbieten
[...]“ .
Es kam auch vor, dass die Antragsgegnerin die Einhaltung der vereinbarten Preise zwischen Herstellerin und Antragsgegnerin davon abhängig machte, dass die Herstellerin einen Werbekostenbeitrag leistet (Beilage ./T und ./X).
So lautet zu dieser Thematik ein E-Mail vom 15.7.2015 der Antragsgegnerin an eine Herstellerin (Beilage ./X):
„Sehr geehrte Frau V,,
wie soeben telefonisch besprochen werden wir auf Ihren Wunsch eingehen und die beiden Produkte Federbox normal und Federbox groß um den regulären Preis von EUR 19,95 und EUR 26,-- in unserem kommenden Flugblatt „Schulstart“ anbieten.
Als Entgegenkommen ihrerseits haben wir einen Werbekostenbeitrag von EUR 1.000,-- festgelegt. Die Abrechnung erfolgt in den kommenden Wochen.
Beste Grüße von Linz,
Freundliche Grüße
A.“
Die festgestellten vertikalen Absprachen mit Herstellern von Schultaschen und -rucksäcken über die Wiederverkaufspreise durch Vereinbarung von Mindest- und Festpreisen für diese Produkte und in Einzelfällen von Zubehör erstreckten sich über den Zeitraum von Februar 2015 bis Februar 2019.
III. Beweiswürdigung:
Die getroffenen Feststellungen beruhen auf den unbedenklichen Urkunden Beil./A bis ./Z, deren Echtheit von der Antragsgegnerin zugestanden wurden und die in einer unmissverständlichen Deutlichkeit die vertikalen Preisabsprachen, die den Zweck verfolgten, auf horizontaler Händlerebene einen einheitlichen Mindestverkaufspreis zu erreichen, dokumentieren. Ebenso konnte dem vorgelegten Schriftverkehr die Mechanismen zur Absicherung und Überwachung der einheitlichen Mindestwiederverkaufspreise entnommen werden, an der die Antragsgegnerin beteiligt war.
Von der Antragsgegnerin wurde der von der BWB vorgebrachte Sachverhalt und Deliktszeitraum sowie die Umsatzzahlen ausdrücklich außer Streit gestellt.
Die außerstreitgestellten Behauptungen stehen mit dem Inhalt der vorgelegten Urkunden im Einklang. Da die als echt anerkannten vorgelegten Urkunden unbedenklich sind, konnte das Kartellgericht von weiteren Beweisaufnahmen gemäß § 33 AußStrG absehen und die Feststellungen auf das Vorbringen der BWB und den Inhalt der Urkunden gründen.
 
IV. Rechtliche Beurteilung:
1. Unionsrechtliches Kartellverbot:
  Nach Art 101 AEUV sind mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die geeignet sind, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken, insbesondere (lit a) die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der An- oder Verkaufspreise oder sonstiger Geschäftsbedingungen.
Die Anwendung von Art 101 AEUV fällt in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten (Art 5 VO [EG] 1/2003) sofern Zwischenstaatlichkeit vorliegt.
Beim Kriterium der Zwischenstaatlichkeit handelt es sich um eine Kollisionsnorm, die die Frage beantworten soll, ob es angemessen ist, den Sachverhalt nach Unionsrecht zu beurteilen (16 Ok 10/09 mwN; 16 Ok 2/15b).
Art 101 Abs 1 AEUV erfordert, dass die wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung geeignet ist, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Diese Voraussetzung ist - was schon durch Abstellen auf die „Eignung“ angelegt ist - weit zu verstehen (Zimmer in Immenga/Mestmäcker EU Wettbewerbsrecht5 Art 101 AEUV Rz 196 mwN).
Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass Maßnahmen, deren wettbewerbs-
beschränkende Wirkung sich auf das gesamte Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erstreckt, in der Regel zur Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten geeignet sind. Ein Kartell, das auf das gesamte Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats ausgedehnt ist, hat nämlich schon seinem Wesen nach die Wirkung, die Abschottung der Märkte auf nationaler Ebene zu verfestigen, indem es die in der Europäischen Union angestrebte wirtschaftliche Verflechtung behindert. Daher können auch Maßnahmen von Unternehmen, die sich nur auf den Wettbewerb innerhalb eines einzelnen Mitgliedstaats auswirken, den innergemeinschaftlichen Handel beeinflussen (16 Ok 10/09 mwN, 16 Ok 2/15b).
Im Anlassfall war einerseits das gesamte Hoheitsgebiet Österreichs betroffen, andererseits wurden die vertikalen Preisabsprachen zwischen der Antragsgegnerin und ua der in Deutschland ansässigen Herstellerin Fond Of getroffen, sodass sich das Kartell über die österreichischen Grenzen hinaus erstreckte. Damit wird das Kriterium der Zwischenstaatlichkeit erfüllt und Art 101 AEUV gelangt zur Anwendung.
2. Gemäß Art 3 VO (EG) Nr. 1/2003 haben die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten Art 101 AEUV parallel zum nationalen Wettbewerbsrecht anzuwenden.
3.1. Preisabsprachen
Kartellrechtswidrige Preisabsprachen können Absprachen über Mindestpreise, Preisintervalle, Preisaufschläge und -abzüge oder die Koordination der Höhe und des Zeitpunkts einer Preissteigerung sein (Schroeder in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union [54. Ergänzungslieferung 2014] Art 101 AEUV Rz 776).
Auch vertikale Preisabsprachen sind offenkundige Wettbewerbsbeschränkungen, weil sie ein hohes Potential negativer Auswirkungen auf den Wettbewerb haben, und zwar nicht zuletzt auf den Wettbewerb zwischen Unternehmen auf Handelsebene (16 Ok 2/15b).
Dem entspricht, dass auch vertikale Preisbindungen („Preisbindungen der zweiten Hand“) in Art 4 lit a) VO 330/2010 (Gruppenfreistellung für Vertikalvereinbarungen) als grundsätzlich unzulässige Kernbeschränkungen eingestuft werden (vgl Kuhn, Die Abgrenzung zwischen bezweckten und bewirkten Wettbewerbsbeschränkungen nach Art 101 AEUV, ZWeR 2014/2, 148). Auch die mit 1.6.2022 in Kraft getretene GruppenfreistellungsVO (EU) 2022/720 betont in ihrem ErwGr 15, dass die Freistellung insbesondere nicht für vertikale Vereinbarungen von Mindest- und Festpreise für den Weiterverkauf gilt. Konkret nimmt Art 4 lit a VO 2022/720 Vereinbarungen von der Freistellung aus, die die Möglichkeit des Abnehmers beschränken, seinen Verkaufspreis festzusetzen. Preisempfehlungen sind nur dann zulässig, wenn sich diese nicht infolge der Ausübung von Druck oder Gewährung von Anreizen tatsächlich wie Fest- und Minestverkaufspreise auswirken.
Vertikale Preisbindungen sind also als Kernbeschränkung vom Rechtsvorteil der gruppenweisen Freistellung ausgeschlossen. Die mit den tatbestandsmäßigen Verhaltensweisen (Vereinbarung, Beschluss, abgestimmtes Verhalten) verbundenen vertikalen Preisregulierungen, die aufgrund der wechselseitigen Überwachung horizontale Wirkungsweisen entfalten, sind als „bezweckte“ Wettbewerbsbeschränkung anzusehen, sodass es auf weitere Umsetzungshandlungen und Marktauswirkungen nicht mehr ankommt (Stockenhuber in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union [54. Ergänzungslieferung 2014] Art 101 AEUV Rz 179; 16 Ok 2/15b)).
3.2. Sternverträge:
  Eine besondere Form der Vereinbarungen sind sogenannte Sternverträge („hub and spoke“), die nicht durch Vertrag zwischen den Beteiligten, sondern durch eine Mehrzahl von Vereinbarungen der Beteiligten mit einem identischen Partner abgeschlossen werden. Bei Sternverträgen ist nicht fraglich, ob überhaupt eine Vereinbarung getroffen wurde - die ist offensichtlich (16 Ok 2/15b).
Fraglich ist vielmehr, ob durch das Bündel koordinierter Vertikalverträge eine (horizontale) Vereinbarung zwischen den Beteiligten bewirkt wurde (Langen/Bunte I12 § 1 GWB Rz 81 mwN).
Der Hauptzweck der Vertikalverträge muss dabei nicht in der horizontalen Abstimmung liegen; es reicht bereits aus, wenn die Vertikalverträge so gestaltet sind, dass man das vertikale Vertragsverhältnis gar nicht eingehen kann, ohne einer horizontal wirkenden Abstimmung zuzustimmen (Langen/Bunte, Kartellrecht I12, § 1 GWB Rz 82 aE).
Auch zu Art 101 Abs 1 AEUV ist anerkannt, dass ein „Bündel“ vertikaler Vereinbarungen einen vertraglichen Rahmen schaffen kann, der eine horizontale Vereinbarung darstellt (Langen/Bunte I12 § 1 GWB Rz 83; 16 Ok 2/15b).
Im Anlassfall wurden die vertikalen Preisabstimmungsmaßnahmen im Sinne der „hub-and-spoke“ Methode dadurch verstärkt, dass die Antragsgegnerin und weitere mit der Antragsgegnerin stehende Mitbewerber im Wissen über die horizontale Vereinheitlichung des Preisniveaus bei dem von Herstellern dafür geschaffenen Überwachungssystem eingebunden waren und mitwirkten, sodass ein in horizontaler und vertikaler Ebene ausgerichtetes Preisabstimmungsverhalten vorlag.
 
4. Die Bemessung der verhängten Geldbuße beruht auf der von der Antragsgegnerin nicht bestrittenen Berechnung durch die Bundeswettbewerbsbehörde.
Gemäß § 36 Abs 3 KartG darf das Kartellgericht über die beantragte Geldbuße nicht hinausgehen. Die Bundeswettbewerbsbehörde hat die von ihr dargelegten Milderungsgründe und Erschwerungsgründe im Sinne des § 30 Abs 3 KartG angemessen berücksichtigt. Weitere Milderungsgründe sind nicht ersichtlich.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
 

Ausdruck vom: 28.04.2024 19:33:57 MESZ