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Kategorie:

Kartell

Dienststelle:

OLG Wien (009)

Aktenzeichen:

26 Kt 5/22p


Bekannt gemacht am:

07.02.2023

Entscheidungsdatum:

05.10.2022


Über die Antragsgegnerin wird wegen einheitlicher und fortgesetzter Zuwiderhandlung gegen § 1 Abs 1 KartG, nämlich wegen der Beteiligung an kartellrechtswidrigen Preisabsprachen, Marktaufteilungen und Informationsaustausch mit Wettbewerbern, insbesondere durch Einigung über den Zuschlagsempfänger und die daran anschließende Abgabe von Deckangeboten, in Bezug auf Ausschreibungen im Bereich Bau- und Möbeltischlereiarbeiten in Niederösterreich und Wien im Zeitraum von zumindest Juli 2013 bis Mai 2019, gemäß § 29 Abs 1 Z 1 lit a KartG eine Geldbuße von EUR 128.000,-- verhängt.
Begründung:
Die Bundeswettbewerbsbehörde beantragte die Verhängung einer Geldbuße wider die Antragsgegnerin wegen einer Zuwiderhandlung gegen § 1 Abs 1 KartG wie im Spruch ersichtlich.
Der Bundeskartellanwalt schloss sich dem Antrag an.
Die Antragsgegnerin trat dem Antrag und dem Vorbringen der Antragstellerin nicht entgegen und stellte den von jener vorgetragenen Sachverhalt außer Streit.
Folgender Sachverhalt steht demnach fest:
Die Antragsgegnerin (FN 325242y) bietet Dienstleistungen im Bereich Möbel- und Einrichtungstischlerei an und ist insbesondere auch im Bereich der Ausstattung von Messen aktiv. Im Geschäftsjahr 2021 belief sich ihr Gesamtumsatz auf EUR 7.354.192,75. Im Jahr 2020 betrug der Umsatz rund EUR 5,76 Mio (wovon rund EUR 4,74 Mio auf den Bereich Möbel- und Einrichtungstischlerei entfielen), in den Jahren 2017, 2018 und 2019 rund EUR 7,2 Mio, EUR 5,87 Mio bzw EUR 5,76 Mio.
Von zumindest Juli 2013 bis einschließlich Mai 2019 kam es in Wien und Niederösterreich zwischen der Antragsgegnerin und Mitbewerbern zu Absprachen im Zusammenhang mit Ausschreibungen von Dienstleistungen im Bereich Bau- und Möbeltischlerarbeiten, die von kleineren Projekten (ab rund EUR 1.000,--) bis hin zu umfangreicheren Projekten (iHv rund EUR 1 Mio) reichten. Die Antragsgegnerin war an über 50 Projekten unmittelbar beteiligt.
Die typische Vorgehensweise war dabei, dass jenes Unternehmen, das in einem Vergabeverfahren den Zuschlag erhalten wollte, die übrigen beteiligten Unternehmen vor Ablauf der Angebotslegungsfrist über die Ausschreibung informierte und diese zur Legung von Deckangeboten aufforderte. In der Folge versendete das Unternehmen entweder fertig ausgefüllte Angebote an die Mitbewerber oder übermittelte vorab kalkulierte Preise, die von den beteiligten Unternehmen, welche Deckangebote legen sollten, selbst in das Angebot eingefügt wurden. Die Deckangebote wurden dabei so kalkuliert, dass sie preislich über jenem Angebot lagen, dass das am Zuschlag interessierte Unternehmen (der „aktive Teilnehmer“) legte. Durch die Abgabe des höheren Deckangebots der Mitbewerber („passive Teilnahme“) wurde jenem Unternehmen, welches den Zuschlag erhalten wollte - vor allem in Verfahren nach dem Billigstbieterprinzip - zur Auftragserteilung verholfen. Die Antragsgegnerin war an dieser Vorgangsweise sowohl aktiv (durch die Aufforderung zum Legen von Deckangeboten und Übermittlung konzertierter Angebotskalkulationen an Mitbewerber) als auch passiv (durch die Abgabe von Deckangeboten) beteiligt.
So wurden Ausschreibungsverfahren, deren eigentlicher Zweck darin liegt, faire und transparente Wettbewerbsbedingungen zu schaffen, von der Antragsgegnerin und ihren Mitbewerbern dazu genutzt, um Angebote abzugeben, die gerade nicht im Wettbewerb, sondern durch zwischen den Wettbewerbern gepflogene Absprachen zustande gekommen sind. Der Sinn und Zweck von Ausschreibungen wurde damit unterlaufen, vielmehr bestand das Ziel, den Preiswettbewerb zu verhindern. Die Handlungen waren von einer Selbstverständlichkeit geprägt, mit der es während der gesamten Dauer in einer beträchtlichen Anzahl von Projekten regelmäßig zu Absprachen zwischen der Antragsgegnerin und den weiteren beteiligten Unternehmen kam.
Die betroffenen Projekte beziehen sich sowohl auf Ausschreibungen öffentlicher Auftraggeber (unter anderem im Verkehrs-, Bildungs- und Gesundheitsbereich), als auch auf private Auftragsvergaben (ua betreffend Einkaufszentren). Unabhängig vom konkreten Auftraggeber bestand zwischen den beteiligten Unternehmen ein Grundverständnis, sich vor der Angebotsabgabe für ein Projekt wechselseitig über das jeweilige Angebotsverhalten abzustimmen bzw zu informieren.
An diesen Absprachen waren zumindest die Mitbewerber Fürst Möbel GmbH („Fürst“), Tischlerei Lechner GmbH („Lechner“), Norer Tischlereiges.m.b.H („Norer“), Tischlerei S*** („S***“) beteiligt. Die Abstimmungspraxis erfolgte großteils gleichartig, beispielhaft werden nachstehende Projekte dargestellt:
Im Jänner 2017 schrieb die Wiener Linien GmbH & Co KG Bautischlerarbeiten für die Umgestaltung des Konferenzsaales und dem anliegenden Gang im 1.OG der Direktion Erdberg im Rahmen eines nicht offenen Verfahrens aus. Neben der Antragsgegnerin wurden „Fürst“ und „S***“ zur Angebotslegung eingeladen, wobei Letztere kein Angebot abgab. Am 25.1.2017 sendete **** (von der Antragsgegnerin) an **** (von „Fürst“) ein E-Mail mit dem Betreff „Unterlagen Wr. Linien“ und folgendem Text: „Sehr geehrter Herr ****, beiliegend die Unterlagen wie mit Hrn **** besprochen – ist bereits ihre Version. Danke im Voraus!“. Im Anhang befand sich ein bereits ausgefülltes Leistungsverzeichnis betreffend die genannte Ausschreibung mit einer Netto-Leistungssumme von EUR 119.634,--. Laut Protokoll zur Angebotsöffnung gab „Fürst“ am 26.1.2017 ein Angebot mit ebendieser Angebotssumme ab. Die Antragsgegnerin legte ein (niedrigeres) Angebot über EUR 102.576,25 und erhielt den Zuschlag (wobei die Leistungssumme schließlich infolge Bietergespräche und Einsparungen bei EUR 94.352,10 lag).
Das Amt der NÖ Landesregierung, Abteilung Landeskliniken und Landesbetreuungszentren schrieb 2019 Sanierungsarbeiten im PBZ Mauer, Haus 46, 48 und 19 im Rahmen eines nicht offenen Verfahrens ohne vorherige Bekanntmachung aus. „Fürst“ ersuchte ua die Antragsgegnerin um Unterstützung durch Legung eines höherpreisigen Deckangebots. Telefonisch informierte „Fürst“, dass man sich kurz vor dem Abgabetermin zwecks Treffen und Übergabe der Abgabepreise melden werde. Die physische Übergabe dieser Preise fand am 24. oder 25.4.2019 statt. Laut Öffnungsprotokoll wurden folgende Angebote gelegt: von „Fürst“ mit einer Leistungssumme von EUR 378.905,10, von der Antragsgegnerin mit eine Leistungssumme von EUR 399.823,99, sowie von „Lechner“ mit einer Leistungssumme von EUR 450.313,--. Die Antragsgegnerin gab somit ein höheres Angebot an, um „Fürst“ zur Zuschlagserteilung zu verhelfen.
Zu ähnlich gelagerten Zuwiderhandlungen unter Beteiligung der Antragsgegnerin (also zur Legung von Deckangeboten zu Gunsten ihrer Mitbewerber im Bereich öffentlicher Ausschreibungen) kam es auch 2014 bei der Ausschreibung PBZ Mauer Haus 42 sowie 2016 bei der Ausschreibung betreffend das LK Mauer im Bezug auf Wand- und Deckenverkleidungen.
Mehrere solcher Verhaltensweisen gab es auch bei Projekten privater Auftraggeber, insbesondere im Bereich Tischlerarbeiten für Einkaufszentren. So bei einer Ausschreibung durch Unibail-Rodamco Invest GmbH für die Shopping City Süd betreffend Tischlereiarbeiten für eine MUX-Platzgestaltung, wo neben der Antragsgegnerin zumindest „Fürst“, „Lechner“ und „Norer“ eingeladen wurden. Am 22.2.2017 übermittelte **** (von der Antragsgegnerin) an **** (von „Fürst“) ein E-Mail mit dem Betreff „Mux Eventplatz“ und folgendem Text: „Hallo Herr ****, wie mit **** besprochen die Preise. Aufschalg von ca. 6 % ist schon berücksichtigt. Besten Dank!“ Bei der angehängten pdf-Datei handelt es sich um Teile eines ausgefüllten Leistungsverzeichnisses betreffend das Projekt. Dieses Leistungsverzeichnis wurde von „Fürst“ finalisiert und an die Auftraggeber übermittelt. „Fürst“ übernahm weiters die Koordination der Abgabepreise mit weiteren Mitbewerbern, um der Antragsgegnerin zur Auftragserteilung zu verhelfen.
Dieser Ablauf – der insofern abweichend war, als nicht der designierte Ausschreibungsgewinner, sondern ein zurückstehender Mitbewerber an die beteiligten Unternehmer herantrat – zeigt das gelebte Gesamtsystem der gegenseitigen „Unterstützung“.
Von solchen Handlungen waren auch mehrfach Projekte betroffen, die von der Inter-Pool Immobilien GmbH im Auftrag von Bauherrn durchgeführt wurden. Etwa wickelte sie im Auftrag der Oracle Austria GmbH das Projekt „Oracle Wien“ die Ausschreibung von Tischlerarbeiten für Büroräumlichkeiten im DC-Tower ab. Neben der Antragsgegnerin wurden „Fürst“ und ein weiteres Unternehmen eingeladen. Am 23.3.2017 übermittelte **** (von der Antragsgegnerin) eine E-Mail an **** (von „Fürst“) mit dem Betreff „Ausschreibung Oracle Wien“ und dem Text: „(…) beiliegend das Angebot wie mit Hrn. **** besprochen – kann genau so übernommen werden. (…)“ Im Anhang befand sich ein ausgefülltes Leistungsverzeichnis, in dem die Preise durch die Antragsgegnerin bereits vorgegeben und zur weiteren Verwendung durch „Fürst“ bestimmt waren. Die vorausgefüllte Netto-Leistungssumme betrug EUR 338.697,--. In der Folge gab „Fürst“ ein Angebot mit identer Leistungssumme ab. Die Antragsgegnerin, die ein Angebot über EUR 311.710,-- abgab, wurde mit dem Projekt beauftragt. Ihr wurde demnach durch Übermittlung des vorkalkulierten Angebots zur Zuschlagserteilung verholfen.
Nach demselben Schema kam es bei weiteren Projekten verschiedenster öffentlicher und privater Auftraggeber zu Absprachen unter Beteiligung der Antragsgegnerin. Auch wenn die Umsetzung der Absprachen nicht in allen Fällen erfolgreich war, kam es bei all diesen Projekten im Vorfeld zu einem Austausch von Angebotskalkulationen (in Form von ausgefüllten Leistungsverzeichnissen, Preispositionen etc), der idR schon bei der unmittelbaren Ausschreibung zu einem entsprechenden Marktverhalten (Übernahme der erhaltenen Kalkulation oder einzelner Bestandteile, bewusstes Überbieten eines Mitbewerbers) führte.
Beweiswürdigung:
Zu diesen Tatsachenfeststellungen gelangte das Kartellgericht aufgrund des Akteninhalts, insbesondere der Urkunden ./A bis ./H2 in Verbindung mit der Außerstreitstellung des Antragsvorbringens durch die Antragsgegnerin. Aufgrund dieser Außerstreitstellung konnte von weiteren Erhebungen Abstand genommen werden (§ 33 Abs 1 AußStrG iVm § 38 KartG).
In rechtlicher Hinsicht folgt daraus:
Nach § 1 Abs 1 KartG sind Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmervereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen verboten, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken (Kartellverbot).
Der Begriff „Vereinbarung“ ist weit auszulegen: Eine Vereinbarung liegt bereits vor, wenn die Parteien ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck gebracht haben, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten, mag die Willensübereinstimmung ausdrücklich oder konkludent, schriftlich oder formlos zustande gekommen sein (RS0124670). Voraussetzung und Kernelement für das Vorliegen einer Vereinbarung ist daher die Willensübereinstimmung der beteiligten Unternehmen über die Regelung ihres Marktverhaltens (6 Ob 105/19p).
Eine derartige Willensübereinstimmung der Antragsgegnerin mit ihren Mitbewerbern über die Regelung des Marktverhaltens im Zusammenhang mit Ausschreibungen ist dem festgestellten Sachverhalt eindeutig zu entnehmen. Sie beruhte auf einem Gesamtsystem mit dem Grundverständnis, sich bei Vergabeverfahren unterschiedlicher Art gegenseitig zu unterstützen, indem Deckangebote gelegt wurden, um den beteiligten Unternehmen zur Zuschlagserteilung zu verhelfen. Die festgestellten Verhaltensweisen sind daher als eine einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung zu qualifizieren (16 Ok 5/08; RS0130390).
Als Kernbeschränkungen handelt es sich bei den gegenständlichen Preis- und Marktaufteilungsabsprachen um bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen (RS0120917), deren tatsächliche Auswirkungen auf den Markt nicht zu prüfen sind (16 Ok 51/05).
Eine Ausnahme nach § 2 KartG wurde nicht behauptet und ist auch nicht ersichtlich. Aus der festgestellten Absicht, den Wettbewerb bei den Ausschreibungen zu beschränken, folgt auch das Verschulden der für die Antragsgegnerin handelnden Entscheidungsträger.
Die Antragsgegnerin hat sohin durch die festgestellten Preis- und Marktaufteilungsabsprachen gegen § 1 Abs 1 KartG verstoßen. Da eine fortgesetzte Zuwiderhandlung vorliegt und der Beginn der Verjährungsfrist nach § 33 KartG mit dem Zeitpunkt anzunehmen ist, an dem die Rechtsverletzung beendet wurde, ist eine Verjährung der bis Mai 2019 stattgefundenen Kartellrechtsverstöße nicht eingetreten.
Bei der Bemessung der Höhe der Geldbuße iSd § 30 KartG wurden insbesondere der von der Antragsgegnerin erzielte Gesamtumsatz (im Jahr 2019 rund EUR 5,76 Mio, im Jahr 2021 rund EUR 7,35 Mio), die regionale und zeitliche Ausprägung sowie persönliche Involvierung an der Gesamtzuwiderhandlung, die Schwere der Zuwiderhandlung (Kernbeschränkung), das Verschulden der Antragsgegnerin, die Dauer des Verstoßes von sechs Jahren sowie die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Antragsgegnerin berücksichtigt. Bezüglich der Leistungsfähigkeit wurden die (abnehmenden Umsatzzahlen in den letzten Jahren [2018, 2019 und 2020 jeweils im Vergleich zum Vorjahr] und die derzeit schwierige Auftragslage sowie die Rohstoffsituation am Markt berücksichtigt; überdies dass eines der Kerngeschäfte der Antragsgegnerin, der Messebau, bedingt durch die Coronapandemie eingebrochen ist und eine zu hohe Geldbuße als nur schwer leistbar und bestandgefährdend bezeichnet wurde.
Zu beachten war ebenfalls die umfangreiche Kooperation der Antragsgegnerin mit der Antragstellerin außerhalb des Kronzeugenprogrammes. Angesichts der einvernehmlichen Verfahrensbeendigung (samt Anerkenntnis, Außerstreitstellung des Sachverhalts und dadurch deutlich reduziertem Verfahrensaufwand) gewährte die Antragstellerin einen Abschlag von 20 %.
Unter Berücksichtigung der genannten Faktoren ist die beantragte und von der Antragsgegnerin akzeptierte Geldbuße iHv EUR 128.000,- angemessen und aus general- und spezialpräventiven Erwägungen nicht überhöht.
Die Geldbußenobergrenze des § 29 KartG ist nicht überschritten. Ob eine höhere als die beantragte Geldbuße in Frage käme, ist im Hinblick darauf, dass das Kartellgericht nach § 36 Abs 2 letzter Satz KartG keine höhere Geldbuße verhängen darf als beantragt, nicht zu prüfen.

Ausdruck vom: 28.04.2024 11:25:05 MESZ