Veröffentlichung gemäß § 37 Kartellgesetz
Entscheidung des Kartellgerichts
Kategorie:
Kartell
Aktenzeichen:
24 Kt 3/23f
Fall:
Bundeswettbewerbsbehörde
Fröschl AG & Co KG
Fröschl AG
Bauwesen
Hochbau
Tiefbau
Preisabsprache
Marktauteilung
Bekannt gemacht am:
14.10.2024
Entscheidungsdatum:
01.03.2024
Über die Fröschl AG & Co KG, Brockenweg 1, 6060 Hall in Tirol, FN 23496d und dieFröschl AG, Beethovenstraße 47, 8002 Zürich, Schweiz, wird für die im Zeitraum von zumindest Juni 2005 bis Februar 2016 erfolgte Teilnahme als Nebenbeteiligte an einer in Österreich im Zeitraum von zumindest Juli 2002 bis Oktober 2017 erfolgten, einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung gegen § 1 Abs 1 KartG und Art 101 AEUV in Form von kartellrechtswidrigen Preisabsprachen, Marktaufteilungen und Informationsaustausch mit Wettbewerbern in Bezug auf öffentliche und private Ausschreibungen im Bereich Hoch- und Tiefbau in Tirol gemäß § 29 Z 1 lit a und d KartG eine Geldbuße von EUR 1,4 Mio verhängt.
Begründung:
Die Bundeswettbewerbsbehörde beantragte eine Geldbuße wie aus dem Spruch ersichtlich. Bei der Bemessung der beantragten Geldbuße sei sie von einem im Geschäftsbereich Straßenbau im Jahr 2015 in Österreich erzielten Umsatz in der Höhe von rund EUR xxx ausgegangen. Angesichts der regionalen und zeitlichen Ausprägung sowie der persönlichen Involvierung auf Unternehmensebene an der Gesamtzuwiderhandlung habe sie einen Betrag von EUR 1,9 Mio bemessen. Davon habe sie einen Abschlag für die einvernehmliche Verfahrensbeendigung gewährt. Die Antragsgegnerinnen hätten ein umfassendes Anerkenntnis abgegeben. Mildernd berücksichtigt sei die Einführung eines zertifizierten Compliance‑Managementsystems gewesen. Unter Berücksichtigung der erwähnten Faktoren sowie der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sei eine Geldbuße von EUR 1,4 Mio angemessen.
Der Bundeskartellanwalt schloss sich dem Antrag an.
Die Antragsgegnerinnen stellten den im Antrag vorgebrachten Sachverhalt außer Streit bzw bestritten ihn nicht und traten der rechtlichen Beurteilung der Bundeswettbewerbsbehörde nicht entgegen.
Danach steht folgender Sachverhalt fest:
DieErstantragsgegnerinist als regionales, mittelständisches Familienunternehmen in nahezu sämtlichen Teilbereichen des Tief‑ (beispielsweise Straßenbau, Asphaltierung, Siedlungswasserbau, Eisenbahnbau etc) und Hochbaus (beispielsweise Gewerbe‑ und Industriebau, Seilbahnbau, Wohnhausbau etc) tätig. Der Schwerpunkt der betrieblichen Tätigkeiten liegt in Tirol.
Die Zweitantragsgegnerinmit Sitz in der Schweiz ist die unbeschränkt haftende Gesellschafterin der Erstantragsgegnerin. Über verschiedenste Beteiligungsstrukturen sowie Eigentümerfunktionen der leitenden Personen sind von der Fröschl‑Gruppe auch mehrere Kies‑ und Schotterwerke sowie Asphaltmischanlagen umfasst.
Im Geschäftsjahr 2015 erzielten die Antragsgegnerinnen im Straßenbau einen Umsatz in Österreich von EUR xxx. Der weltweite Gesamtumsatz im Geschäftsjahr 2015 betrug EUR 242 Mio. Im Geschäftsjahr 2022 EUR 365 Mio und im Jahr 2023 EUR 396,4 Mio.
B. Betroffener Wirtschaftszweig: Bauwirtschaft bzw Baugewerbe
Bei dem von der Gesamtzuwiderhandlung betroffenen Wirtschaftszweig handelt es sich um die Bauwirtschaft bzw das Baugewerbe. Dieser Wirtschaftszweig ist eine traditionelle Säule der heimischen Wirtschaft und umfasst die Planungs- und Ausführungsleistungen an Bauwerken. Bauwerke sind Objekte, deren fachgerechte Herstellung ein wesentliches Maß an bautechnischen Kenntnissen erfordert und die mit dem Boden kraftschlüssig verbunden sind.
Der Hochbau als Gegensatz zum Tiefbau ist jener Sektor der Bauwirtschaft, der sich mit der Planung und Errichtung von Bauwerken befasst, die mehrheitlich oberhalb der Geländelinie liegen. Im Hochbau werden grundsätzlich folgende Kategorien an Bauwerken unterschieden: Wohnungsbau, Verwaltungsbau, Gebäude für das Gesundheitswesen, Gebäude für Lehre und Forschung, Stadthallen, Bürgerzentren, Museen, Theater, Sportstätten, Freizeitanlagen, Einkaufszentren, Kaufhäuser und Industrie- und Produktionsgebäude. Damit fallen Wohngebäude, aber auch Büro- und große Industriegebäude sowie Wasserversorgungs-, Kanal- und Entwässerungsanlagen in den Bereich Hochbau. Keller und in den Boden eingelassene Fundamente gehören grundsätzlich nicht mehr zum Hochbau.
Der Tiefbau umfasst jene Bauwerke, die auf oder unter der Geländelinie errichtet werden. Damit sind nicht nur Fundamente bzw die Gründung eines Bauwerks vom Tiefbau erfasst, sondern auch der Straßen-, der Eisenbahn-, Stollen- und Tunnelbau sowie der Erdbau, bei dem Boden abgetragen, bewegt und am Ende wieder verdichtet wird. Auch die Errichtung von Versorgungs- und Entsorgungsnetzen, wie Kanalisationen und Staudämmen ist dem Tiefbau zuzurechnen. Brücken werden auch dem Verkehrswegebau zugerechnet. Zum Tiefbau zählen grundsätzlich folgende Kategorien an Bauwerken: Grundbau bzw Fundamente, Verkehrswegebau, Kanalbau, Erdbau, Brückenbau, Tunnelbau, Wasserbau, Spezialtiefbau und Siedlungswasserwirtschaft.
Der Straßenbau als Teilbereich des Tiefbaus umfasst die Planung, die Herstellung und die Erhaltung von Straßen und Wegen für den Fuß- und Fahrzeugverkehr. Gegenstand des Straßenbaus sind Autobahnen und Schnellstraßen, Gemeinde- und Landesstraßen sowie Fußgänger- und Radwege. Da Österreich insbesondere über ein vergleichsweise dichtes Autobahn- und Schnellstraßennetz verfügt, nimmt der Straßenbau naturgemäß einen besonderen Stellenwert in der Bauwirtschaft ein.
C. Gesamtzuwiderhandlung
1. Allgemeines
Die Gesamtzuwiderhandlung betraf ein österreichweites Kartell, an dem bis zu 40 Bauunternehmen im unterschiedlichen Ausmaß beteiligt waren. Der Grad der Beteiligung variierte je nach Zeitraum, Region und Art des Bauvorhabens.
Hauptbeteiligt an der Gesamtzuwiderhandlung waren unter anderen die ALPINE Holding GmbH, HABAU Hoch- und Tiefbaugesellschaft m.b.H., Kostmann GesmbH; Pittel+Brausewetter Holding GmbH; PORR AG, PORR Bau GmbH, und damit verbundene Unternehmen ua auch „Teerag-Asdag“, STRABAG und damit verbundene Unternehmen sowie SWIETELSKY AG.
Dagegen sind die Antragsgegnerinnen aufgrund der geringeren Intensität ihrer Beteiligung nicht als Hauptbeteiligte der Gesamtzuwiderhandlung zu betrachten.
Beinahe sämtliche Sparten der Bauwirtschaft im Bereich Hoch- und Tiefbau waren von der Gesamtzuwiderhandlung betroffen, wobei der Straßenbau als Teil des Tiefbaus eine besondere Rolle spielte. In diesem Zusammenhang ist es etwa zu Preisabsprachen, Marktaufteilungen bzw der Aufteilung von Bauvorhaben, Austausch wettbewerbssensibler Informationen (zB Abstimmungen über zukünftiges Verhalten bei Angebotsabgaben) und der Bildung kartellrechtswidriger Arbeits- und Bietergemeinschaften (ARGE und BIEGE) gekommen. Die Gesamtzuwiderhandlung erstreckte sich von zumindest Juli 2002 bis Oktober 2017 nahezu auf das gesamte österreichische Bundesgebiet und betraf eine hohe Anzahl an Bauvorhaben.
Die Antragsgegnerinnen waren im Rahmen ihres zeitlichen, regionalen und sachlichen Tätigkeitsbereichs an dieser Gesamtzuwiderhandlung nebenbeteiligt, wobei sich die gesetzten unmittelbaren kartellrechtswidrigen Handlungen auf Tirol in einem Zeitraum von zumindest Juni 2005 bis Februar 2016 beziehen.
2. Ziel der Gesamtzuwiderhandlung:
Bei den nachstehend aufgezeigten wettbewerbsbeschränkenden Handlungen ging es den beteiligten Bauunternehmen darum, den Wettbewerb zu minimieren oder auszuschließen, um sich gegenseitig zur Erteilung von Aufträgen zu verhelfen und sich so unter anderem Marktanteile bzw eine kontinuierliche Auslastung zu sichern. Um dieses Ziel zu erreichen, stimmten sie bei einer Vielzahl an betroffenen Bauvorhaben ihre Preise und ihr Verhalten bei Angebotsabgaben ab. So verzichteten die Bauunternehmen bei den betroffenen Bauvorhaben bewusst auf die Abgabe wettbewerbsfähiger Angebote, indem sie entweder kein Angebot oder ein bewusst überhöhtes Angebot („Deckangebot“ oder auch „Fahne“) abgaben („Zurückstehen“). Darüber hinaus tauschten sie in Bezug auf betroffene Bauvorhaben wettbewerbssensible Informationen aus, etwa das zukünftige Verhalten bei Angebotsabgaben.
Die wettbewerbsbeschränkenden Handlungen basierten auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit in der Erwartung, dass der Zurückstehende bei späteren Aufträgen selbst durch entsprechendes Verhalten der anderen beteiligten Bauunternehmen zum Auftrag gelangt und so insgesamt alle beteiligten Bauunternehmen vom mangelnden Wettbewerb profitieren. Dieses Prinzip wurde zum Teil durch die Vereinbarung eines Ausgleichs verstärkt (wobei die gegenseitigen Forderungen häufig saldiert bzw durch Arbeitsabtausch ausgeglichen wurden; in Einzelfällen kam es auch zu Ausgleichszahlungen).
So entstand ein nahezu österreichweites, gewachsenes, allgemein etabliertes Kollusionssystem, mit dem sich die Unternehmen über das jeweilige Angebots- und Marktverhalten abstimmten bzw informierten, um in weiterer Folge das eigene Marktverhalten bei den betroffenen Ausschreibungen daran anzupassen.
Dieses Kollusionssystem ist als ein einheitliches Gesamtsystem zu betrachten. Dieses System zeigt sich nicht zuletzt anhand der Häufigkeit und dem Selbstverständnis der Abstimmungspraxis: Die Antragsgegnerinnen und die weiteren an der Gesamtzuwiderhandlung beteiligten Unternehmen stimmten - in unterschiedlichem Ausmaß - über einen langen Zeitraum wiederkehrend und im Grundverständnis, sich jederzeit kontaktieren zu können, ihr Verhalten in Bezug auf eine Vielzahl betroffener Bauvorhaben aufeinander ab und sprachen wesentliche Wettbewerbsparameter ab.
Dabei verfolgten die beteiligten Unternehmen den einheitlichen Zweck, sich gegenseitig zur Erteilung von Aufträgen zu verhelfen, ohne oder zumindest nur in einem geringeren Ausmaß befürchten zu müssen, von einem günstigeren Angebot im Wettbewerb unterboten zu werden. Damit wurde über weite Strecken der Wettbewerb zwischen den beteiligten Bauunternehmen von vornherein ausgeschaltet und der Zweck von Ausschreibungen unterwandert.
Diese Verhaltensweisen wurden innerhalb eines Unternehmens über viele Jahre hinweg an nachfolgende Mitarbeiter weitergegeben („vererbt“) und bei Arbeitsplatzwechsel von einem Unternehmen zum nächsten mitgenommen.
Das Kollusionssystem bestand dabei aus verschiedenen komplexen Elementen, die es den beteiligten Unternehmen ermöglichten, auf regionale Gegebenheiten bzw Unterschiede in den einzelnen Bausparten flexibel einzugehen und damit die Gesamtzuwiderhandlung nahezu österreichweit (in unterschiedlicher Intensität) wirksam umzusetzen. All den Umsetzungshandlungen und Instrumenten ist jedoch ein gemeinsames Ziel immanent, nämlich den Wettbewerb zu minimieren bzw auszuschließen, um die Erteilung von Aufträgen zu beeinflussen und sich so ua Marktanteile bzw eine kontinuierliche Auslastung zu sichern.
3. Elemente der Gesamtzuwiderhandlung:
Im Rahmen dieser Gesamtzuwiderhandlung wurden zwischen den beteiligten Unternehmen vielfach die in Ausschreibungen abzugebenden Preise vereinbart oder abgestimmt. Es wurde auch besprochen, dass ein Wettbewerber überhaupt kein Angebot legen wird. Bei den betroffenen Bauvorhaben kamen die beteiligten Bauunternehmen so etwa überein, welche Angebotssumme der designierte Auftragsempfänger anbietet. Die restlichen beteiligten Unternehmen boten in der Folge entweder zu einem höheren Preis oder gar nicht an. Oftmals kontaktierte der Initiator der Preisabsprache die zurückstehenden Wettbewerber und ließ ihnen fertige, höhere Leistungsverzeichnisse bzw vorausgefüllte Angebotsunterlagen (Deckangebote) zukommen, um den zeitlichen und finanziellen Aufwand der Mitbewerber bei der Angebotserstellung zu reduzieren.
Die beteiligten Unternehmen besprachen die Aufteilungen von Märkten bzw von Bauvorhaben. Teilweise erfolgte auch eine Aufteilung von Bauvorhaben auf der Grundlage von Quoten (von manchen beteiligten Unternehmen als „fixer Schlüssel“ bezeichnet), die den (historischen) Marktanteilen der jeweiligen beteiligten Unternehmen entsprachen. Darüber hinaus herrschte in manchen Regionen Einigkeit darüber, welches Bauunternehmen für Ausschreibungen in welchem Gebiet zuständig war. Die anderen beteiligten Bauunternehmen standen bei diesen Ausschreibungen zurück.
Neben den beschriebenen Preisabsprachen und Marktaufteilungen bzw Aufteilung von Bauvorhaben kam es begleitend auch zu einem laufenden Austausch wettbewerbssensibler Informationen, wie zB über das zukünftige Verhalten bei Angebotsabgaben oder Kostenschätzungen von Mitbewerbern.
Im Rahmen der Gesamtzuwiderhandlung wurden fallweise ARGE als Deckmantel für wettbewerbsbeschränkende Handlungen genutzt. So wurden ARGE gegründet, die für die Bauunternehmen objektiv nicht notwendig waren, um an der jeweiligen Ausschreibung teilnehmen zu können, und nur als „Schnittstelle“ für die Festsetzung eines gemeinsamen Angebotspreises und die Aufteilung des Auftrages dienten.
Zur Umgehung der Vorgaben des Auftraggebers in Bezug auf die Höchstzahl der zugelassenen ARGE-Partner kam auch die Beteiligung eines Bauunternehmens an einer ARGE als „stiller Partner“ („stille ARGE“) vor. In diesem Fall traten nicht alle ARGE-Partner als solche nach außen und gegenüber dem Auftraggeber in Erscheinung, waren aber im Innenverhältnis Beteiligte der ARGE.
4. Umsetzung der Gesamtzuwiderhandlung durch wettbewerbswidrige bi- und multilaterale Kontakte:
Typischerweise wurde zwischen den Antragsgegnerinnen und ihren Mitbewerbern schriftlich, telefonisch oder im Rahmen von persönlichen Treffen abgestimmt, wer den Zuschlag für ein bestimmtes Bauvorhaben erhalten oder wie die Zuschlagserteilung für mehrere Bauvorhaben erfolgen soll.
Abhängig vom Zeitpunkt der Ausschreibung und je nach Bedarf wurden etwa ein- oder mehrmals im Jahr zwischen den beteiligten Unternehmen Gesprächsrunden organisiert. Diese fanden zumeist in einer der Niederlassungen der an den konkreten Absprachen beteiligten Unternehmen statt. Im Rahmen dieser Gesprächsrunden wurde das Unternehmen, das den Auftrag für ein bestimmtes Bauvorhaben erhalten sollte, und dessen Abgabepreis festgelegt. Zum Teil wurden auch die Abgabepreise der zurückstehenden Wettbewerber vom designierten Auftragsempfänger vorgegeben („Preisvorgabe“).
Ergänzend zu den genannten größeren Gesprächsrunden, aber auch unabhängig davon, wurden unter den Mitbewerbern auch bilaterale Gespräche zu wettbewerbssensiblen Themen geführt. Bilaterale Kontakte fanden in Räumlichkeiten der Niederlassungen der an der Gesamtzuwiderhandlung beteiligten Unternehmen oder außerhalb dieser (zB auf Autobahnraststationen, Tankstellen, in Lokalen oder auf Baustellen) statt. Die kartellrechtswidrigen bilateralen Kontakte wurden unter anderem dazu genutzt, um sich bei Mitbewerbern über die Interessenslage hinsichtlich bestimmter Bauvorhaben zu informieren bzw konkrete Vorgehensweisen zu vereinbaren.
Nach einer bilateralen Vereinbarung wurden zum Teil auch weitere Wettbewerber kontaktiert und ebenso miteinbezogen, indem diese etwa zum Zurückstehen bei einer bestimmten Ausschreibung aufgefordert wurden.
Zu kartellrechtswidrigen bilateralen Kontakten kam es auch oft im Rahmen von notwendigen Kontakten bei laufenden ARGE oder sonstigen Kooperationen wie zB Asphaltmischwerken, aber auch am Rande von Veranstaltungen der Bauwirtschaft (zB Veranstaltungen der GESTRATA-Gesellschaft zur Pflege der Straßenbautechnik mit Asphalt).
Bei der Umsetzung von Preisabsprachen spielte darüber hinaus die Übermittlung von Deckangeboten eine wichtige Rolle. Jenes Unternehmen, das in Übereinstimmung mit den weiteren konkret beteiligten Unternehmen zum Zug kommen sollte, übermittelte fertige, höhere Leistungsverzeichnisse bzw vorausgefüllte Angebotsunterlagen (Deckangebote, auch als „Fahne“, „Ente“ oder „0-Lauf“ bezeichnet) an die übrigen Mitbewerber in Form eines Datenträgers per E-Mail/Fax oder übergab diese persönlich. Die zurückstehenden Mitbewerber gaben sodann diese Deckangebote zum Schein als von ihnen eigens kalkulierte Angebote ab. Diese Umsetzungshandlung zielte dabei insbesondere darauf ab, die Auftragserteilung an einen zuvor bestimmten Mitbewerber so weit wie möglich zu gewährleisten und so das Risiko des Wettbewerbs zu minimieren oder auszuschließen.
In handschriftlichen Aufzeichnungen wurde immer wieder ein Fahnensymbol oder das Wort „Fahne“ als Kennzeichen für die Übermittlung eines Deckangebotes verwendet.
Wesentlich bei der Umsetzung der Gesamtzuwiderhandlung waren auch Kontakte zwischen Wettbewerbern im Rahmen der Zusammenarbeit in Asphaltmischwerken, die aufgrund ihrer Zulieferfunktion eine zentrale Rolle im Straßenbau spielen. Kartellrechtswidrige Handlungen, die den Straßenbau betrafen, erfolgten daher auch im Rahmen der Zusammenarbeit von Mitbewerbern in Asphaltmischwerken, die oft als Gemeinschaftsanlagen geführt werden. In der Regel trafen die an den wettbewerbsbeschränkenden Handlungen beteiligten Unternehmen entsprechend des in Prozent festgelegten Marktanteils am Mischgutverbrauch (angegeben in Mischguttonnen) eine Einigung darüber, welcher Mitbewerber für welche Bauvorhaben die Auftragserteilung erhalten sollte.
5. Instrumente zur Aufteilung von Bauaufträgen:
Ein Instrument zur Aufteilung von Bauaufträgen war die Organisation mittels Bieterrotation. Dabei kamen Wettbewerber überein, dass sie hinsichtlich bestimmter Bauvorhaben wechselseitig zum Zug kommen und sich dabei gegenseitig durch die Abgabe von höheren Deckangeboten oder gänzliches Verzichten auf eine Angebotslegung unterstützen. Bieterrotationen kamen auch im Sinne eines von den Bauunternehmen so bezeichneten „Kampfschutzes“ oder „Vollschutzes“ zur Anwendung. Beim „Vollschutz“ wurde bei einer Abstimmung für ein Bauvorhaben versucht, eine Abstimmung sämtlicher Bieter zu erreichen. Der „Kampfschutz“ beschränkte sich demgegenüber auf einen kleineren Kreis von Mitbewerbern (in der Regel vier oder fünf), die in Bezug auf bestimmte Projekte ihre Angebote abstimmten.
Ein weiteres Instrument zur Aufteilung von Bauaufträgen waren sog interne Angebotsöffnungen (auch „interne Submissionen“ genannt), bei denen die Mitbewerber vor der offiziellen Angebotsabgabe ihre („internen“) Angebotspreise untereinander offenlegten. Dieses Vorgehen diente als Mittel der Entscheidungsfindung, welches der beteiligten Unternehmen den Auftrag bei der tatsächlichen Ausschreibung erhalten sollte.
Für die Aufteilung von Aufträgen wurde zum Teil auch ein sogenannter „fixer Schlüssel“, dh eine Quote vereinbart, die jedem beteiligten Unternehmen zustand. Der „fixe Schlüssel“ richtete sich dabei in der Regel nach den geschätzten Marktanteilen oder orientierte sich insbesondere im Straßenbau an der geschätzten Gesamtmenge des zu verbauenden Asphaltmischguts pro Jahr.
6. Kartellstabilisierende Maßnahmen:
Die Gesamtzuwiderhandlung wurde regelmäßig durch stabilisierende Mechanismen ergänzt. Dazu zählte etwa die Abrechnung anhand eines „Punktesystems“: War ein größerer Teilnehmerkreis betroffen, der regelmäßig in verschiedenen Ausschreibungsverfahren aufeinandertraf, wurde mithilfe der Zuordnung von „Punkten“/„Anteilen“/„Prozenten“ sichergestellt, dass die Zuschlagserteilung nach einem „fairen Schlüssel“ unter den Mitbewerbern (oft anhand der bestehenden Marktanteile) erfolgte. Einige der beteiligten Unternehmen führten Aufzeichnungen über die sich aus diesem Punktesystem ergebenden „Forderungen und Verbindlichkeiten“ gegenüber den anderen Beteiligten (auch als „Kontokorrentverhältnis“ bezeichnet). Die erworbenen „Punkte“ bzw Verbindlichkeiten wurden zwischen den Mitbewerbern aufgerechnet (saldiert) und zumeist vom Kreis der beteiligten Bauunternehmen durch die Verteilung von Aufträgen abgegolten (sog „Arbeitsaustausch“). Vereinzelt wurden diese Verbindlichkeiten auch monetär ausgeglichen.
Zurückstehende Mitbewerber wurden zum Teil auch mit „Ausgleichsleistungen“ entlohnt, wie etwa mit Subaufträgen (zB im Sinne einer „Beteiligung“ am Bauvorhaben), Arbeitsabtausch, Bildung einer (offenen oder „stillen“) ARGE, der Lieferung oder Abnahme von Leistungen unter bevorzugten Konditionen, beispielsweise Asphaltmischgut, sonstiges Material oder Geräte, oder den Bezug von größeren Abnahmemengen von Asphaltmischgut oder Beton. In den meisten Fällen erfolgte die Ausgleichsleistung durch den Abtausch gegen andere Bauvorhaben („Arbeitsabtausch“).
Es kam auch vor, dass Punkte und Ausgleichsleistungen, wie Ausgleichszahlung und Arbeitsabtausch, gemeinsam vereinbart wurden, je nachdem, was die konkret beteiligten Unternehmen für das Zurückstehen verlangten.
D. Unmittelbare Beteiligung der Antragsgegnerinnen an der Gesamtzuwiderhandlung:
1. Liste abgesprochener Bauvorhaben:
Insgesamt waren die Antragsgegnerinnen daher bei bis zu 67 Bauvorhaben an kartellrechtswidrigen Handlungen unmittelbar in geringerer Intensität beteiligt, wobei die Bauvorhaben den Straßenbau in Tirol betrafen. Aufbauend auf diesem Gesamtüberblick werden anschließend auszugsweise konkrete Handlungen unter unmittelbarer Beteiligung der Antragsgegnerinnen dargestellt, welche die Elemente, Umsetzungshandlungen sowie Instrumente der Gesamtzuwiderhandlung näher beleuchten:
ASFINAG ‑ BVH in Tirol
Im Rahmen der Gesamtzuwiderhandlung waren die Antragsgegnerinnen an kartellrechtswidrigen Preisabsprachen, Marktaufteilungen und dem Austausch über zukünftiges Abgabeverhalten in Bezug auf Ausschreibungen der ASFINAG Bau Management GmbH, Modecenterstraße 16, 1030 Wien, bzw deren Zweigniederlassung in Innsbruck, Rennweg 10a, 6020 Innsbruck (ASFINAG) beteiligt. Zumindest bis einschließlich 2011 wurden nahezu alle in Tirol ausgeschriebenen ASFINAG‑Baulose unter den beteiligten Unternehmen abgestimmt. Die kartellrechtswidrigen Handlungen erfolgten zumeist im Rahmen von bilateralen Gesprächen zwischen den beteiligten Unternehmen oder vereinzelt auch in Gesprächsrunden. Die Antragsgegnerinnen waren an diesen regelmäßig stattfinden kartellrechtswidrigen bilateralen Gesprächen und Gesprächsrunden betreffend die Ausschreibungen der ASFINAG in Tirol unmittelbar beteiligt.
Tiroler Landesregierung
Bei den jährlichen Mischgut‑Ausschreibungen des Landes Tirol zur Sanierung der Bundes‑ und Landesstraßen nahmen die Antragsgegnerinnen in Umsetzung der Gesamtzuwiderhandlung langjährigen Preisabsprachen, Marktaufteilungen und dem Austausch über zukünftiges Abgabeverhalten teil, die historisch gewachsen sind. Die Aufteilung der konkreten Mischgut‑Baulose orientierte sich dabei im Wesentlichen an den bestehenden Marktanteilen für Mischgut. Strabag beanspruchte gegenüber ihren Mitbewerbern rund 50 % der ausgeschriebenen Bauvorhaben. In einer zweiten Gesprächsrunde bzw im Rahmen bilateraler Gespräche wurde der konkrete Angebotspreis jenes Unternehmens vereinbart, welches den Ausschreibungszuschlag erhalten sollte. Nach erfolgter Einigung über den Angebotspreis für den designierten Ausschreibungsgewinner, gaben die anderen beteiligten Unternehmen in der Folge höhere Angebote ab oder legten gar kein Angebot.
Hochbau Tirol
Im Bereich Hochbau fanden im Zeitraum von 2012 bis 2016 in Tirol ca. alle zwei bis sechs Wochen Gesprächsrunden statt. Zudem kam es bereits vor 2012 vereinzelt zu Preisabsprachen oder dem Austausch von wettbewerbssensiblen Informationen zwischen Mitbewerbern. Ergänzt wurden diese Gesprächsrunden durch bilaterale Kontakte. Die beteiligten Unternehmen einigten sich darauf, wer ein bestimmtes Bauvorhaben erhalten sollte und legten den Angebotspreis für den designierten Auftragsempfänger fest.
Der festgelegte Angebotspreis wurde den übrigen beteiligten Unternehmen ‑ meist bilateral ‑ mitgeteilt. Diese gaben in weiterer Folge ein höheres oder gar kein Angebot ab. An den kartellrechtswidrigen Handlungen betreffend Hochbauprojekte in Tirol waren im Zeitraum von 2012 bis 2016 neben den Antragsgegnerinnen die Porr, Strabag, Swietelsky, Alpine beteiligt.
Ermittlungen:
Ausgangspunkt der Ermittlungen war eine im Frühjahr 2016 erfolgte Hausdurchsuchung im Rahmen finanzstrafrechtlicher Ermittlungen bei Kostmann. Dabei wurden Unterlagen sichergestellt, die ua einen roten Aktenordner („Roter Ordner“) mit Aufzeichnungen zu etwa 300 Bauvorhaben umfassten. Im Wege der Amtshilfe erlangte die Bundeswettbewerbsbehörde Kenntnis von diesem Roten Ordner. Sie beantragte daraufhin die Bewilligung von Hausdurchsuchungen gemäß § 12 Abs 1 WettbG und führte diese im Frühjahr 2017 auf Anordnung des Oberlandesgerichts Wien als Kartellgericht durch.
Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft („WKStA“) führt parallel zu diesen Maßnahmen der Bundeswettbewerbsbehörde strafrechtliche Ermittlungen im Bereich der Bauwirtschaft. Den Antragsgegnerinnen wurden am 8.5.2023 per elektronischem Rechtsverkehr die Mitteilung der Beschwerdepunkte einschließlich Beilagen gemäß § 13 Abs 2 WettbG übermittelt. Nach Beantwortung des Auskunftsverlangens der Bundeswettbewerbsbehörde zu Umsatzinformationen und Bekanntgabe der Vertretungsbefugnis nahmen die Antragsgegnerinnen mit Eingabe vom 19.6.2023 zur Mitteilung der Beschwerdepunkte gemäß § 13 Abs 2 WettbG Stellung.
Die Antragsgegnerinnen führten zusammenfassend aus, dass die allgemeinen Vorhalte zu den Bauvorhaben in Tirol korrekt sind und es Kontakte mit den anderen Bauunternehmen gegeben hat. Die Antragsgegnerinnen gestanden ihre Nebenbeteiligung zu. Im Rahmen der geführten Gespräche gaben die Antragsgegnerinnen freiwillig und im Interesse eine Kooperation zur Aufklärung des Sachverhaltes am 7.8.2023 ein Anerkenntnis ab. In diesem Anerkenntnis stellten die Antragsgegnerinnen den dargestellten Sachverhalt außer Streit sowie die kartellrechtliche Beurteilung, dass das beschriebene Verhalten als Zuwiderhandlung gegen § 1 Abs 1 KartG und Art 101 Abs 1 AEUV zu werten ist, kein Rechtfertigungsgrund gemäß § 2 KartG oder Art 101 Abs 3 AEUV besteht und akzeptierte die in Aussicht gestellte Geldbuße als angemessen.
Beweiswürdigung:
Der Sachverhalt steht außer Streit. Angesichts des Akteninhaltes, insbesondere der Urkunden ./A bis ./I1, bestehen gegen die Außerstreitstellungen keine Bedenken, weshalb von weiteren Erhebungen Abstand zu nehmen war (§ 33 Abs 1 AußStrG iVm § 38 KartG).
Rechtlich folgt:
1.)Zur „Zwischenstaatlichkeit“:
Gemäß § 1 Abs 1 KartG sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmern, Beschlüsse von Unternehmervereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken (Kartelle), verboten. Insbesondere sind nach § 1 Abs 2 Z 1 KartG die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der An- oder Verkaufspreise oder sonstige Geschäftsbedingungen sowie nach Z 3 leg.cit. die Aufteilung der Märkte oder Versorgungsquellen verboten.
Nach Art 101 Abs 1 AEUV sind alle jene Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten, die den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken. Dazu gehören insbesondere die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der An- und Verkaufspreise oder sonstiger Geschäftsbedingungen (lit a) sowie die Aufteilung der Märkte oder Versorgungsquellen (lit c). Die Anwendung von Art 101 und 102 AEUV fällt in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten (Art 5 VO [EG] 1/2003).
Beim Kriterium der Zwischenstaatlichkeit handelt es sich um eine Kollisionsnorm, die keine wettbewerbsrechtliche Bewertung der Absprache trifft, sondern die Frage beantworten soll, ob es angemessen ist, den Sachverhalt nach Unionsrecht zu beurteilen. Art 101 Abs 1 AEUV erfordert, dass die wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung oder der Missbrauch der beherrschenden Stellung geeignet ist, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Diese Voraussetzung ist – was schon durch Abstellen auf die „Eignung“ angelegt ist – weit zu verstehen (16 Ok 7/15p mwN).
Maßnahmen, deren wettbewerbsbeschränkende Wirkungen sich auf das gesamte Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erstrecken, sind idR zur Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten geeignet, weil sie schon ihrem Wesen nach die Abschottung nationaler Märkte verfestigen und die gewünschte Marktintegration verhindern können. Ein Kartell, das sich auf das gesamte Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erstreckt, hat nämlich schon seinem Wesen nach die Wirkung, die Abschottung der Märkte auf nationaler Ebene zu verfestigen, indem es die in der Europäischen Union angestrebte wirtschaftliche Verflechtung behindert (Leitlinien zum Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels, ABl 2004/C 101/07, Rn 77 ff). Daher können auch Maßnahmen von Unternehmen, die sich nur auf den Wettbewerb innerhalb eines einzelnen Mitgliedstaats auswirken, den innergemeinschaftlichen Handel beeinflussen (16 Ok 4/13; 16 Ok 2/15b; 16 Ok 7/15p; 16 Ok 8/16m; RS0120478).
Nach den Feststellungen erstreckte sich die Gesamtzuwiderhandlung sich von zumindest Juli 2002 bis Oktober 2017 und nahezu auf das gesamte österreichische Bundesgebiet. Sie betraf dabei eine hohe Anzahl an Bauvorhaben in beinahe sämtlichen Sparten der Bauwirtschaft im Bereich Hoch- und Tiefbau. Daher ist allein schon aufgrund ihrer Dimension und Dauer jedenfallsdie Zwischenstaatlichkeit zu bejahen und Unionsrecht anzuwenden.
Dass die Antragsgegnerinnen nur in Tirol an abgestimmten Verhaltensweisen beteiligt waren, ändert an dieser Beurteilung nichts. Durch ihr Verhalten haben sie an einem österreichweiten Gesamtsystem teilgenommen und so an der Abschottung nationaler Märkte sowie einer Veränderung der Marktstruktur am Binnenmarkt mitgewirkt.
2.) Zum Vorliegen einer Vereinbarung oder abgestimmten Verhaltensweise:
Das Kartellverbot des Art 101 Abs 1 AEUV erfasst – wie jenes des § 1 Abs 1 KartG – insbesondere den Wettbewerb beeinträchtigende Vereinbarungen zwischen Unternehmern und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen. Beiden Tatbeständen ist gemeinsam, dass sie geeignet sein müssen, zwischen den beteiligten Unternehmern die Unsicherheiten über ihr zukünftiges Verhalten im Wettbewerb auszuschließen oder zu vermindern. In der Praxis ist eine Abgrenzung dieser Begriffe von geringer Relevanz, weil diese Formen wettbewerbsbeschränkenden Zusammenwirkens gleichrangig sind (Lager/Petsche in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG2 § 1 Rz 14 ff).
Der Begriff „Vereinbarung“ wird in diesem Zusammenhang weit ausgelegt: Nicht notwendig ist, dass es sich dabei um einen rechtlich verbindlichen Vertrag handelt; eine Vereinbarung liegt vielmehr schon dann vor, wenn die betreffenden Unternehmen ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck gebracht haben, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten. Folglich ist der Begriff der Vereinbarung durch das Vorliegen einer Willensübereinstimmung zwischen mindestens zwei Parteien gekennzeichnet, deren Ausdrucksform unerheblich ist, sofern sie den Willen der Parteien getreu wiedergibt. Bei einer Vereinbarung zwischen Unternehmern kommt es daher weder auf die Form der Vereinbarung (diese kann schriftlich, mündlich oder schlüssig getroffen werden) noch darauf an, ob sie auch tatsächlich umgesetzt wird (Lager/Petsche aaO § 1 Rz 18 f mwN).
Neben Vereinbarungen (und Beschlüssen von Unternehmervereinigungen) sind auch aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen vom Kartellverbot erfasst. Dabei handelt es sich nach ständiger Rechtsprechung des EuGH um jede Form der Koordinierung des Verhaltens zwischen Unternehmern, die zwar nicht bis zum Abschluss eines Vertrags im eigentlichen Sinn gediehen ist, aber bewusst eine praktische Zusammenarbeit an die Stelle des mit Risiken verbundenen Wettbewerbs treten lässt. Unter einer Verhaltensabstimmung ist also eine „Fühlungnahme“ zwischen den Unternehmern zu verstehen, die geeignet und bestimmt ist, deren Wettbewerbsrisiko abzuschwächen (Lager/Petsche aaO § 1 Rz 25 ff mwN).
Erfasst ist jede unmittelbare oder mittelbare Koordination zwischen Unternehmen, die bezweckt oder bewirkt, das Marktverhalten zu beeinflussen oder einen Mitbewerber über das Marktverhalten ins Bild zu setzen, das man selbst an den Tag zu legen entschlossen ist oder in Erwägung zieht (Lager/Petsche aaO § 1 Rz 31).
3.) Bezweckte Wettbewerbsbeschränkung
Vereinbarungen stellen dann einen Verstoß gegen Art 101 Abs 1 AEUV dar, wenn sie eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken. Prinzipiell müssen Wettbewerbsbeschränkungen, um vom Kartellverbot erfasst zu sein, auch spürbar sein. Spürbarkeitskriterien sind der Marktanteil, die Marktstellung, die finanziellen Ressourcen und der Umfang der Produktion der beteiligten Unternehmen sowie der Umfang der betroffenen Handelsströme (RS0106875). Handelt es sich bei den Vereinbarungen jedoch um solche, die ihrer Natur nach geeignet sind, den Handel zwischen Mitgliedsstaaten zu beeinträchtigen und sind diese auch auf diesen Zweck gerichtet, liegt es auf der Hand, dass solche Vereinbarungen spürbare negative Auswirkungen auf den Markt haben. Es wird daher davon ausgegangen, dass eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung, also eine, die schon ihrem Wesen nach schädlich für den Wettbewerb sind, den Wettbewerb stets spürbar beeinträchtigt (Hiersche/Mertel in Egger/Harsdorf-Borsch, Kartellrecht, § 1 Rz 74, EuGH C-228/18 – Budapest Bank; EuGH C-345/14 - Maxima Latvija). Aus diesen Erwägungen sind bei bezweckten Wettbewerbsbeschränkungen die konkreten Auswirkungen, also der genaue Umfang der Spürbarkeit für den Markt im Verfahren nicht zu prüfen (RS0120477). Solche Kernbeschränkungen gelten demzufolge unabhängig vom Marktanteil der beteiligten Unternehmen als „spürbar“ (vgl EuGH 13. 12. 2012, C-226/11, Expedia, RS0106875, 16 Ok 2/22k).
Bei der Prüfung der Frage, ob eine Vereinbarung eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung enthält, ist auf den Inhalt ihrer Bestimmungen und die mit ihr verfolgten Ziele sowie auf den wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhang, in dem sie steht, abzustellen. Im Rahmen der Beurteilung dieses Zusammenhangs sind auch die Natur der betroffenen Waren und Dienstleistungen, die auf dem betreffenden Markt oder den betreffenden Märkten bestehenden tatsächlichen Bedingungen und die Struktur dieses Markts oder dieser Märkte zu berücksichtigen. Für einen wettbewerbswidrigen Zweck reicht es bereits aus, wenn die Vereinbarung das Potenzial hat, negative Auswirkungen auf den Wettbewerb zu entfalten, dh wenn sie konkret geeignet ist, zu einer Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Markts zu führen (EuGH C-32/11 - Allianz Hungária, mwN). Das wesentliche Kriterium ist, dass eine solche Handlung in sich selbst eine hinreichende Beeinträchtigung des Wettbewerbs erkennen lässt (EuGH C-67/13 P - Groupement des cartes bancaires, mwN).
Kernbeschränkungen des Wettbewerbs wie Preisabsprachen, Produktions- und Absatzbeschränkungen und Marktaufteilungsabsprachen sind grundsätzlich bezweckte Beschränkungen des Wettbewerbs (RS0120917).
Das zwischen den Antragsgegnerinnen und ihren Mitbewerbern etablierte System von Preisabsprachen, Marktaufteilungen und des Informationsaustauschesist als bezweckterVerstoß gegen die Bestimmungen des Art 101 Abs 1 lit a und c AEUV und § 1 Abs 2 Z 1 und 3 KartG in Fortschreibung der zitierten Rechtssprechung nicht in Richtung Spürbarkeit iSd konkreten Auswirkungen auf den Markt zu prüfen.
4.) Gesamtzuwiderhandlung:
Eine fortgesetzte Zuwiderhandlung liegt immer dann vor, wenn eine zu einer rechtlichen Einheit zusammengefasste Vielzahl rechtswidriger aufeinander folgender Verhaltensweisen oder mehrere abgrenzbare Handlungen, die auf die Durchführung einer einzigen Zuwiderhandlung gerichtet sind, erfolgen (Traugottin Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG2 § 33 Rz 6 und 7).
Der Begriff der fortgesetzten Zuwiderhandlung umfasst eine Mehrzahl von rechtswidrigen Verhaltensweisen oder von Handlungen zur Durchführung einer einzigen Zuwiderhandlung, die durch ein gemeinsames subjektives Element zu einer Einheit verbunden sind (EuGH C-235/92 P - Montecatini/Kommission).
Ein Verstoß gegen Art 101 Abs 1 AEUV und § 1 Abs 2 Z 1 und 3 KartG kann sich somit nicht nur aus einer isolierten Handlung, sondern auch aus einer Reihe von Handlungen oder einem kontinuierlichen Verhalten ergeben. Bei der Einstufung unterschiedlicher Handlungen als einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung ist zu prüfen, ob zwischen ihnen insoweit ein Komplementaritätsverhältnis besteht, als jede von ihnen eine oder mehrere Folgen des normalen Wettbewerbs beseitigen soll und durch Interaktion zur Verwirklichung sämtlicher wettbewerbswidriger Wirkungen beiträgt, die ihre Urheber im Rahmen eines auf eine einheitliche Zielsetzung gerichteten Gesamtplans anstreben. Insoweit sind alle Umstände zu berücksichtigen, die dieses Verhältnis belegen oder in Frage stellen können, wie der Anwendungszeitraum, der Inhalt einschließlich der verwendeten Methoden und im Zusammenhang damit die Zielsetzung der verschiedenen fraglichen Handlungen (EuG T-27/10 – AC-Treuhand/Kommission).
Fortgesetzte Zuwiderhandlungen sind Verstöße, die aus mehreren Teilhandlungen bestehen, die in ihrer Begehungsweise gleichartig sind, in einem nahen zeitlichen Zusammenhang stehen und von einem Gesamtvorsatz getragen sind (16 Ok 2/15b [16 Ok 8/15k] mwN).
Angesichts der im Wesentlichen gleichartigen Begehungsweise der Verstöße und des festgestellten Gesamtvorsatzes ist das Vorliegen einer fortgesetzten Zuwiderhandlung (Gesamtzuwiderhandlung) zu bejahen.
5.) Zum Verschulden:
§ 29 KartG stellt klar, dass Geldbußen nur bei Verschulden zu verhängen sind. Der Unternehmer muss den Tatbestand vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführt haben. Gleiches gilt zufolge Art 23 VO 1/2003 im Unionsrecht.
Das KartG definiert nicht näher, was unter Vorsatz und Fahrlässigkeit zu verstehen ist. Einschlägige Definitionen enthalten aber die strafrechtlichen Bestimmungen der §§ 5 f StGB und § 3 VbVG (16 Ok 2/11).
Vorsätzlich handelt gemäß § 5 Abs 1 StGB, wer einen Sachverhalt verwirklichen will, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht; dazu genügt es, dass der Täter diese Verwirklichung ernstlich für möglich hält und sich mit ihr abfindet. Demgegenüber handelt fahrlässig, wer die Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den Umständen verpflichtet und nach seinen geistigen und körperlichen Verhältnissen befähigt ist und die ihm zuzumuten ist, und deshalb nicht erkennt, dass er einen Sachverhalt verwirklichen könne, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht (§ 6 Abs 1 StGB), und wer es für möglich hält, dass er einen solchen Sachverhalt verwirkliche, ihn aber nicht herbeiführen will (§ 6 Abs 2 StGB).
Gemäß dem – nach der bisherigen Judikatur (RS0124134 [T1]) analog anwendbaren - § 3 Abs 1 VbVG ist ein Verband – ein solcher ist nach der Legaldefinition des § 1 Abs 2 leg.cit. insbesondere eine juristische Person – unter den weiteren Voraussetzungen des Abs 2 oder des Abs 3 für eine Straftat verantwortlich, wenn 1. die Tat zu seinen Gunsten begangen worden ist oder 2. durch die Tat Pflichten verletzt worden sind, die den Verband treffen.
Die Voraussetzungen des § 3 Abs 1 VbVG sind hier erfüllt, weil durch die festgestellten Verhaltensweise Pflichten der Antragsgegnerinnen verletzt wurden.
Für Straftaten eines Entscheidungsträgers ist gemäß § 3 Abs 2 VbVG der Verband verantwortlich, wenn der Entscheidungsträger als solcher die Tat rechtswidrig und schuldhaft begangen hat. Entscheidungsträger iSd VbVG ist nach dessen § 2 Abs 1, wer 1. Geschäftsführer, Vorstandsmitglied oder Prokurist ist oder aufgrund organschaftlicher oder rechtsgeschäftlicher Vertretungsmacht in vergleichbarer Weise dazu befugt ist, den Verband nach außen zu vertreten, 2. Mitglied des Aufsichtsrates oder des Verwaltungsrates ist oder sonst Kontrollbefugnisse in leitender Stellung ausübt, oder 3. sonst maßgeblichen Einfluss auf die Geschäftsführung des Verbandes ausübt.
Nach dem außer Streit gestellten Sachverhalt verfügten die involvierten Mitarbeiter der Antragsgegnerinnen über Vertretungsmacht.
Da demnach einen Entscheidungsträger der Antragsgegnerinnen ein Verschulden trifft, bedarf es keiner Erörterung, ob im Lichte der Entscheidung des EuGH vom 7.2.2013, C-68/12, Protimonopolný úrad Slovenskej, an der (analogen) Anwendung der (engeren) Zurechnungsvoraussetzungen des VbVG festzuhalten ist.
6.) Wirtschaftliche Einheit:
Gemäß § 29 Abs 2 KartG richtet sich die Geldbuße gegen Zuwiderhandlungen, die von Unternehmen begangen wurden. Ein Unternehmen ist jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform und ihrer Finanzierung. Nach § 29 Abs 3 KartG ist die Geldbuße gegen Unternehmer zu verhängen, die die an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen im Zeitpunkt der Zuwiderhandlung betrieben haben, als rechtliche Nachfolger danach betreiben oder in wirtschaftlicher Kontinuität fortführen. Sie kann auch gegen Muttergesellschaften verhängt werden, die zu derselben wirtschaftlichen Einheit gehören wie ein an der Zuwiderhandlung beteiligtes Unternehmen.
Im gegenständlichen Fall ist unstrittig, dass es sich bei den Antragsgegnerinnen um eine wirtschaftliche Einheit iS dieser Bestimmung handelt. Damit sind beide Antragsgegnerinnen Adressatinnen der Geldbuße.
7.) Zur Verjährung:
Das kartellrechtswidrige Verhalten der Antragsgegnerin umfasste einen Zeitraum von Juni 2005 bis Februar 2016.
§ 33 KartG idF BGBl I Nr. 176/2021 (KaWeRÄG 2021) ist nach § 86 Abs 12 KartG auf Rechtsverletzungen anzuwenden, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes (10.9.2021) noch nicht verjährt sind. Der hier maßgebliche § 33 Abs 1 KartG blieb durch das KaWeRÄG 2021 aber ohnedies unverändert.
Nach dieser Bestimmung darf eine Geldbuße nur verhängt werden, wenn der Antrag binnen fünf Jahren ab Beendigung der Rechtsverletzung gestellt wurde. Diese Frist wird unterbrochen, sobald mindestens einem an der Rechtsverletzung beteiligten Unternehmer oder einer beteiligten Unternehmervereinigung eine auf Ermittlung oder Verfolgung der Rechtsverletzung gerichtete Handlung der Bundeswettbewerbsbehörde bekanntgegeben wird. Mit jeder Unterbrechung beginnt die Frist neu zu laufen.
Anders als Art 25 der VO 1/2003 differenziert § 33 KartG nicht zwischen einmaligen, dauernden und fortgesetzten Zuwiderhandlungen bzw Zustands- und Dauerdelikten. Nach dem Gesetzeswortlaut muss das Verhalten insgesamt beendet sein, um den Beginn der Verjährungsfrist auszulösen.
Bei fortgesetzten Delikten beginnt die Verjährungsfrist erst mit Beendigung des letzten Teilakts zu laufen (16 Ok 2/15b [16 Ok 8/15k] mwN).
Wie bereits ausgeführt, liegt hier eine einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung der Antragsgegnerinnen gegen das Kartellrecht vor, da alle Einzelverstöße auf einem einheitlichen Gesamtplan und Gesamtsystem beruhen.
Im Übrigen wird nach dem Gesetzeswortlaut des § 33 Abs 1 KartG die Verjährung nicht nur durch gegen den jeweiligen Unternehmer gerichtete Ermittlungs- oder Verfolgungshandlungen, sondern auch durch solche Maßnahmen gegen mindestens einen anderen an der Rechtsverletzung beteiligten Unternehmer unterbrochen. Durch die auf Verhängung von Geldbußen gerichteten Anträge gegen Habau, Strabag und Porr wegen derselben, den Tatzeitraum der Antragsgegnerinnen umfassenden Gesamtzuwiderhandlung wurde demnach auch gegenüber den Antragsgegnerinnen die Verjährungsfrist vor deren Ablauf unterbrochen.
Die Einbringung des gegenständlichen Antrags erfolgte jedenfalls vor dem Ablauf von 5 Jahren seit dieser Unterbrechung, sodass keine Verjährung eingetreten ist.
8.) Zur Rechtfertigung:
Ein Freistellungs- bzw Rechtfertigungsgrund nach § 2 Abs 1 KartG und Art 101 Abs 3 AEUV wurde nicht behauptet und ist nicht erkennbar.
9.) Zur Bemessung der Höhe der Geldbuße:
Gegen einen Unternehmer, der vorsätzlich oder fahrlässig dem Kartellverbot (§ 1 KartG) zuwiderhandelt oder gegen Art 101 AEUV verstößt, hat das Kartellgericht eine Geldbuße bis zu einem Höchstbetrag von 10 % des im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes zu verhängen (§ 29 Z 1 lit a und d KartG).
Der Oberste Gerichtshof hat bereits darauf hingewiesen, dass der Geldbuße nach dem Willen des Gesetzgebers Präventionsfunktion zukommt. Nur eine angemessen hohe Geldbuße kann abschreckende Wirkung erzielen. Auch die Leitlinien der Kommission für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Art 23 Abs 2 Buchstabe a) der VO (EG) Nr 1/2003, Abl C 210 vom 1. 9. 2006 (LL Geldbußen), weisen darauf hin, dass Geldbußen eine ausreichend abschreckende Wirkung zu entfalten haben (Einleitung Z 7; Rz 30, 37). Der Zweck der Geldbußen besteht nämlich darin, unerlaubte Verhaltensweisen zu ahnden sowie der Wiederholung unabhängig davon vorzubeugen, ob das Verhalten noch andauert oder dessen Wirkungen noch bestehen (16 Ok 2/22p mwN).
Eine Kartellstrafe kann nur dann abschreckend wirken, wenn die Höhe und Wahrscheinlichkeit der Strafe den zu erwartenden Kartellgewinn übersteigen. Zutreffend wird daher in der Literatur und Rechtsprechung ausgeführt, die theoretisch optimale Höhe der Geldbuße für einen materiell-rechtlichen Wettbewerbsverstoß sei der Betrag des erlangten Gewinns zuzüglich einer Marge, die garantiert, dass die Zuwiderhandlung nicht Folge eines rationalen Kalküls ist (16 Ok 2/22p mwN).
Die Festsetzung einer kartellrechtlichen Geldbuße ist eine Ermessensentscheidung, bei der neben den – nicht taxativ aufgezählten – gesetzlichen Bemessungsfaktoren die Umstände des Einzelfalls und der Kontext der Zuwiderhandlung zu berücksichtigen sind. Es handelt sich dabei um eine rechtliche und wirtschaftliche Gesamtwürdigung aller Umstände und nicht um das Ergebnis einer schlichten Rechenoperation auf Grundlage etwa des Gesamtumsatzes (16 Ok 2/22p mwN).
Eine sinngemäße Anwendung der LL Geldbußen ist dabei lediglich insofern unbedenklich, als sich das Kartellgericht an der europäischen Geldbußenpraxis orientiert, ohne dabei jedoch das eigenständige inländische Sanktionensystem zu missachten und eigene Überlegungen zu vernachlässigen (16 Ok 2/22p mwN).
Ein wichtiger Unterschied betrifft die Frage, welcher Umsatz als Basis für die Ermittlung der Höhe der Geldbuße heranzuziehen ist. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist „nach dem klaren Gesetzeswortlaut auf den Gesamtumsatz im letzten Jahr des Zuwiderhandelns abzustellen. […] Abgestellt wird auf den Gesamtumsatz im der Zuwiderhandlung vorausgegangenen Geschäftsjahr“ (16 Ok 2/22p mwN).
Gemäß § 30 Abs 1 KartG ist bei der Bemessung der Geldbuße insbesondere auf die Schwere und die Dauer der Rechtsverletzung, auf die durch die Rechtsverletzung erzielte Bereicherung, auf den Grad des Verschuldens und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Bedacht zu nehmen. In § 30 Abs 2 KartG sind Erschwerungsgründe, in § 30 Abs 3 KartG Milderungsgründe jeweils demonstrativ aufgelistet.
Demnach sind unter anderem der räumliche Umfang des vom Wettbewerbsverstoß betroffenen Markts, die kumulierten Marktanteile der beteiligten Unternehmen, die Art des Verstoßes und der Grad des Verschuldens wichtige Bemessungsfaktoren für die Höhe der Geldbuße. Darüber hinaus ist auch auf die durch die Rechtsverletzung erzielte Bereicherung und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des dem Kartellverbot Zuwiderhandelnden Bedacht zu nehmen; ebenso auf seine Mitwirkung an der Aufklärung der Rechtsverletzung. Auch Erschwerungs- und Milderungsgründe sind zu berücksichtigen (16 Ok 2/22p mwN).
Zu 16 Ok 2/22p hat der Oberste Gerichtshof als Kartellobergericht weiters deutlich darauf verwiesen, „dass die Entscheidung 16 Ok 2/15b, in der die Geldbuße in Höhe von 3,5 % der gesetzlichen Obergrenze verhängt wurde, keineswegs einer Verallgemeinerung zugänglich ist. Vielmehr sollte durch diese Entscheidung, mit der die vom Erstgericht verhängte Geldbuße verzehnfacht wurde, klargestellt werden, dass auch in Österreich zur wirksamen Bekämpfung von Kartellverstößen Geldbußen in einer Größenordnung zu verhängen sind, wie sie auf Unionsebene und in zahlreichen Mitgliedstaaten bereits seit langem üblich ist.“
Das Kartellgericht darf nach § 36 Abs 2 letzter Satz KartG keine höhere Geldbuße verhängen als beantragt. Es ist daher lediglich zu prüfen, ob die von der Antragstellerin beantragte Geldbuße überhöht ist.
Vom Gesamtumsatz im Jahr 2015 entfielen auf den Straßenbau in Österreich EUR xxx. Unter Berücksichtigung der Schwere und Dauer des Verstoßes, der durch die Rechtsverletzung zwangsläufig erzielten Bereicherung, des vorsätzlichen Handelns sowie der erheblichen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Antragsgegnerinnen und unter Einbeziehung spezial‑ und generalpräventiver Erwägungen ist die beantragte Geldbuße von EUR 1,4 Mio nicht überhöht.
Ausdruck vom: 05.02.2025 11:40:27 MEZ