Veröffentlichung gemäß § 37 Kartellgesetz
Entscheidung des Kartellgerichts
Kategorie:
Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung
Aktenzeichen:
26 Kt 5/23i
Fall:
Bundeswettbewerbsbehörde
Peugeot Austria Gesellschaft mbH
Neuwagenvertrieb und Kfz-Werkstättenbetrieb
Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung
relative Marktmacht im Vertikalverhältnis
Konditionenmissbrauch
Koppelung von Prämienzahlungen mit Kundenzufriedenheitsumfragen
Spannenreduktion durch überhöhte Verkaufsziele
missbräuchlich niedrige Abgabepreise der Tochtergesellschaft
nicht kostendeckende Garantie- und Gewährleistungsarbeiten
Schulungspauschale
Bekannt gemacht am:
20.01.2025
Entscheidungsdatum:
04.06.2024
„Über die Antragsgegnerin wird wegen des Missbrauchs ihrer marktbeherrschenden Stellung im Sinne von § 5 KartG durch
1. im Neuwagenvertrieb
a) die Koppelung von Prämienzahlungen mit dem bestehenden und tatsächlich praktizierten System der Kundenzufriedenheitsumfragen;
b) die Spannenreduktionen durch Vorgabe bewusst überhöhter Verkaufsziele mittels Erhöhung des Zielwerts in einem über die allgemeine Schätzung der Absatzentwicklung hinausgehenden Ausmaß trotz Herabsetzung der Verkaufsziele für Vorjahre im vertraglich vorgesehenen Sachverständigen-Schiedsverfahren;
c) die Praktizierung missbräuchlich niedriger Abgabepreise am Endkundenmarkt durch im wirtschaftlichen Mehrheitseigentum der Antragsgegnerin stehende Händlerbetriebe, insbesondere wenn deren Verluste von der Antragsgegnerin abgedeckt werden, während die Antragsgegnerin gleichzeitig gegenüber der Büchl GmbH (als Antragstellerin des kartellgerichtlichen Verfahrens 27 Kt 5/18i) Preise verrechnet und Rabattkonditionen gewährt, die es der Büchl GmbH unmöglich machen, diese niedrigen Endkundenpreise einzustellen;
2. im Werkstättenbetrieb
a) die Verpflichtung zur Durchführung von Garantie- und Gewährleistungsarbeiten mit von der Antragsgegnerin gestellten Bedingungen, insbesondere einem auch für die Büchl GmbH aufwändigen Kontrollsystem, die diese Arbeiten für die Büchl GmbH wirtschaftlich unrentabel machen;
b) die Abwicklung von Garantie- und Gewährleistungsaufträgen mit nicht kostendeckenden Stundensätzen sowie nicht kostendeckenden Refundierungen bei Ersatzteilen;
3. im Neuwagenvertrieb und im Werkstättenbereich
a) die Überwälzung der Kosten für Mystery Shopping, Mystery Leads und Standardkriterien-Audits auf die Büchl GmbH, insbesondere durch die kalkulatorische Einbeziehung dieser Kosten in die Schulungspauschale;
im Zeitraum von 2017 - betreffend Spruchpunkte 1.a), b) und c) sowie 2.a) und b) - bzw von 2018 - betreffend Spruchpunkt 3.a) - bis 22.3.2021 gemäß § 29 Abs 1 Z 1 lit a KartG eine Geldbuße von EUR 15 Mio verhängt.
Begründung:
I. Ausgangslage
Die Antragsgegnerin ist eine zu FN 110977b (HG Wien) eingetragene GmbH und die österreichische Generalimporteurin für Neufahrzeuge und Originalersatzteile der Marke Peugeot. Innerhalb der Peugeot-Vertriebsorganisation ist sie ausschließlich zuständig, in Österreich Neuwagen- und Werkstättenverträge abzuschließen.
Die Büchl GmbH, damals eine Vertragshändlerin und Vertragswerkstätte der Antragsgegnerin, erhob zu 27 Kt 5/18i des Kartellgerichts[in der Folge: Vorverfahren oder Ausgangsverfahren] wider die Antragsgegnerin einen Antrag auf Abstellung des Missbrauchs der marktbeherrschenden Stellung der Antragsgegnerin iSd § 5 KartG.
Mit rechtskräftigem Beschluss des Kartellobergerichtes (KOG) vom 17.2.2021, 16 Ok 4/20d, mit welchem der im Vorverfahren ergangene Beschluss des Kartellgerichts vom 12.5.2020 teils bestätigt, teils abgeändert und teils aufgehobenwurde, wurde der Antragsgegnerin Folgendes aufgetragen (wobei die „Antragstellerin“ diesfalls die Büchl GmbH ist):
„I.1.Der Antragsgegnerin wird aufgetragen, den Missbrauch ihrer marktbeherrschenden Stellung binnen drei Monaten abzustellen, und zwar
A) im Neuwagenvertrieb durch Abstellung
c) der Koppelung von Prämienzahlungen mit dem bestehenden und tatsächlich praktizierten System der Kundenzufriedenheitsumfragen;
d) derSpannenreduktionen durch Vorgabe bewusst überhöhter Verkaufsziele mittels Erhöhung des Zielwerts in einem über die allgemeine Schätzung der Absatzentwicklung hinausgehenden Ausmaß trotz Herabsetzung der Verkaufsziele für Vorjahre im vertraglich vorgesehenen Sachverständigen-Schiedsverfahren;
f) der Praktizierung missbräuchlich niedriger Abgabepreise am Endkundenmarktdurch im wirtschaftlichen Mehrheitseigentum der Antragsgegnerin stehende Händlerbetriebe, insbesondere wenn deren Verluste von der Antragsgegnerin abgedeckt werden, während die Antragsgegnerin gleichzeitig gegenüber der Antragstellerin Preise verrechnet und Rabattkonditionen gewährt, die es der Antragstellerin unmöglich machen, diese niedrigen Endkundenpreise einzustellen.
B) im Werkstättenbetrieb durch Abstellung
g) der Verpflichtung zur Durchführung von Garantie- und Gewährleistungsarbeiten mit von der Antragsgegnerin gestellten Bedingungen, insbesondere einem auch für die Antragstellerin aufwändigen Kontrollsystem, die diese Arbeiten für die Antragstellerin wirtschaftlich unrentabel machen;
h) der Abwicklung von Garantie- und Gewährleistungsaufträgen mit nicht kostendeckenden Stundensätzen sowie nicht kostendeckendenRefundierungen bei Ersatzteilen;
C) im Neuwagenvertrieb und im Werkstättenbereich durch Abstellung
j) derÜberwälzung der Kosten für Mystery Shopping, Mystery Leads und Standardkriterien-Audits auf die Antragstellerin, insbesondere durch die kalkulatorische Einbeziehung dieser Kosten in die Schulungspauschale.“
Bezüglich des an die erste Instanz zurückverwiesenen Verfahrensteils wurde in der Folge eine Ruhensvereinbarung geschlossen.
II. Vorbringen der Parteien:
1. Bundeswettbewerbsbehörde:
Die Bundeswettbewerbsbehörde als Antragstellerin dieses Verfahrens begehrtnun die Verhängung einer Geldbuße nach § 29 KartG wider die Antragsgegnerin. Im verfahrenseinleitenden Schriftsatz wurde zusammengefasst vorgebracht, der Abstellungsanordnung liege die implizite Feststellung missbräuchlichen Verhaltens, welches im Zeitpunkt der (Abstellungs-)Entscheidung noch angedauert habe, zugrunde. In ihrer Funktion als Amtspartei sehe es die Antragstellerin als geboten an, aus general- und spezialpräventiven Gründen wegen der rechtskräftig festgestellten Verstöße die Verhängung einer angemessenen Geldbuße zu beantragen. Verwiesen wurde auf die Rechtskraftwirkung des Beschlusses iSd § 43 Abs 1 AußStrG. Die Feststellung einer Zuwiderhandlung sei Vorfrage für die Verhängung der Geldbuße; der Beschluss des KOG entfalte somit Bindungswirkung.
Betreffend die Geldbußenbemessung berief sich die Antragstellerin zum Faktor „Schwere“ darauf, dass die missbräuchlichen Praktiken der Antragsgegnerin großteils Ausfluss eines – von ihrem Mutterkonzern vorgegebenen – Standardvertragswerkes gewesen seien, das einheitlich in ganz Österreich zur Regelung der Vertragsbeziehungen zwischen der Antragsgegnerin und dem Netz ihrer autorisierten Markenhändler und -werkstätten Anwendung finde. Verwiesen wurde auf das besondere Ausmaß des wirtschaftlichen Machtgefälles zwischen der Antragsgegnerin, die Teil eines äußerst finanzkräftigen internationalen Großkonzerns sei, und ihren Vertragspartnern, bei denen es sich überwiegend um regionale Kleinunternehmen handle. Zudem werde die Antragsgegnerin nicht nur im Vertikalverhältnis tätig, sondern trete als Betreiberin der größten, noch dazu überregional tätigen Einzelhandelsbetriebe der Marke Peugeot auch in ein horizontales Wettbewerbsverhältnis zu ihren Vertragspartnern. Aus dieser Relation ergebe sich eine besondere Verantwortung und gesteigerte Sorgfaltspflicht der Antragsgegnerin. Die festgestellten Missbräuche seien schon ihrer Art nach als schwerwiegend anzusehen und geeignet, die Wettbewerbsstruktur nachhaltig zu beeinträchtigen.
Zur Dauer der Verstöße seien im Vorverfahren naturgemäß keine umfassenden Feststellungen getroffen worden. In dem im Antrag angegebenen Zeitraum hätten aber jedenfalls Verstöße stattgefunden. Dabei handle es sich nicht um punktuelle Zuwiderhandlungen, sondern um eine strukturell missbräuchliche Ungleichverteilung von Rechten und Pflichten auf Basis der bestehenden Verträge. Der Beginn des Missbrauchs gründe auf die Händler- bzw Werkstattverträge von Mai 2011 sowie die [von der Antragsgegnerin als Handlungsdirektive vorgegebene] „Kommerzielle Politik“ 2017 bzw 2018 und könne somit (überwiegend) mit 2017 angenommen werden, das Verhalten habe jedenfalls bis zur Übermittlung der höchstgerichtlichen Entscheidung an die Parteien am 22.3.2021 angedauert.
Auch über eine eingetretene Bereicherung lägen keine dezidierten Feststellungen im Ausgangsverfahren vor; die Ermittelbarkeit eines exakten Werts sei fraglich. Bei der Mehrzahl der Verstöße handle es sich jedoch um Ausbeutungsmissbräuche, bei denen das Machtgefälle vom Marktbeherrscher dazu verwendet werde, die Verteilung von Kosten und Nutzen in unbilliger Weise zu seinen Gunsten zu verschieben. Es liege damit geradezu im Wesen derartiger Ausbeutungshandlungen, sich auf Kosten anderer Marktteilnehmer zu bereichern.
Zum Grad des Verschuldens werde auf das Vorliegen reicher Judikatur des OGH zur Frage der (relativen) Marktbeherrschung im Verhältnis von Kfz-Herstellern/Importeuren zu ihren Vertragshändlern/-werkstätten sowie den Voraussetzungen für die Qualifikation eines Verhaltens als missbräuchlich verwiesen. Zu dieser Thematik existierten auch allgemein bekannte rechtliche Stellungnahmen der Bundeswettbewerbsbehörde. Die Antragsgegnerin als Teil eines multinationalen Großkonzerns verfüge jedenfalls über entsprechende Ressourcen zur rechtlichen Einordnung, zumal sich die fraglichen Handlungen im Kernbereich ihrer unternehmerischen Tätigkeit bewegten. Sie habe daher nicht im Zweifel über ihre marktbeherrschende Position und die daraus erwachsende Sorgfaltspflicht sein können; dies umso mehr, als sie durch den Händlerverband und durch einzelne Händler wiederholt auf die Problematik aufmerksam gemacht worden sei. All die Handlungen seien ausgehend von und mit Wissen und Billigung der Geschäftsführung der Antragsgegnerin erfolgt.
Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Antragsgegnerin sei außerordentlich hoch einzuschätzen. Stellantis N.V. - die Konzernmutter - habe für das erste Geschäftsjahr (2021) ein „Rekordergebnis“ mit Umsätzen in Höhe von EUR 152 Mrd und einem Nettoergebnis von EUR 13,4 Mrd verlautbart. 2022 habe sich eine weitere signifikante Umsatzsteigerung von 17% und ein Wachstum des Nettoergebnisses um 34% ergeben.
Daneben komme der zu verhängenden Geldbuße eine Präventivfunktion zu. Der Bundeswettbewerbsbehörde seien wiederholt vergleichbare Sachverhaltskonstellationen wie jene des Ausgangsverfahrens zur Kenntnis gebracht worden. Diese seien (teilweise) bereits in ihrem veröffentlichten „Standpunkt zum Kfz-Vertrieb“ aus dem April 2016 reflektiert worden.Zum Schwerpunktthema „unzureichende Vergütung von Gewährleistungs- und Garantiearbeiten“, welche Vertragswerkstätten wirtschaftlich stark belaste, liege eine markenübergreifende Erhebung des Verbandes Österreichischer Kraftfahrzeug-Betriebe (VÖK) vom September 2022 vor, wonach die entsprechenden Vergütungen weiterhin in 70% der Fälle nicht kostendeckend seien und es in 55% der Fälle zu keinen Verbesserungen in Reaktion auf die Entscheidung des Ausgangsverfahrens gekommen sei.
Dargelegt wurde - im Hinblick auf das Bestehen relativer Marktmacht - Größe und Struktur des Peugeot-Netzwerks unter Berücksichtigung der dem Konzern der Antragsgegnerin zuzurechnenden Marken, woraus sich die Abhängigkeit der Vertragshändler- und -werkstättenbetriebe von der Antragsgegnerin ergebe. Im Licht der ebenso dargestellten Judikatur zur relativen Marktbeherrschung des Importeurs habe die Antragsgegnerin nicht im Zweifel über ihre Position sein können (ON 15). Umfang und Reichweite der relativen Marktbeherrschung sei primär deshalb relevant, um die Schwere des Verstoßes und des Verschuldens der Antragsgegnerin einordnen zu können. Es müsse daher nicht die Marktmacht gegenüber jedem einzelnen Vertragspartner erkundet werden, sondern es genüge die Feststellung, dass die Mehrzahl der Betriebe mit Büchl GmbH vergleichbare Merkmale aufweise (ON 30).
Ob die von der Antragsgegnerin gesetzten Maßnahmen geeignet seien, die Missbräuche abzustellen bzw diese abgestellt worden seien, sei durchaus fraglich.
Die Einwendungen der Antragsgegnerin betreffend die Unzulässigkeit und Unbegründetheit des Geldbußenantrags bestritt die Antragstellerin (ON 9).
2. Bundeskartellanwalt:
Der Bundeskartellanwalt schloss sich dem Vorbringen der Bundeswettbewerbsbehörde an und erstattete in Replik auf die Einwendungen der Antragsgegnerin ebenso Vorbringen über die Zulässigkeit und Berechtigung des Geldbußenantrags (ON 10).
3. Antragsgegnerin:
Die Antragsgegnerin beantragte zunächst die Zurückweisung, in eventu die Abweisung der Anträge; in eventu das Absehen von der Aussprache einer Geldbuße, in eventu die Verhängung einer symbolischen Geldbuße.
Sie wendete ein, die Verhängung einer Geldbuße sei aus systematischen und grundrechtlichen Überlegungen nicht (mehr) zulässig. Da die Bundeswettbewerbsbehörde im Vorverfahren volle Parteistellung und umfassende Antragsrechte gehabt habe, hätten Geldbußenanträge in jenem Verfahren gestellt werden müssen. Würden solche Anträge nicht rechtzeitig gestellt, so seien die Anträge präkludiert, widrigenfalls grundlegende Verfahrensrechte gemäß Art 6 EMRK bzw Art 46 GRC verletzt würden.
Die Verhängung einer Geldbuße durch das Kartellgericht – also nach der Systematik des österreichischen Kartellrechts durch eine Wettbewerbsbehörde - verstieße gegen den Grundsatz ne bis in idem bzw käme einem Wiederaufnahmeantrag gleich, ohne dass zu berücksichtigende Neuerungen vorlägen. Ein und dasselbe Unternehmen würde wegen desselben Sachverhalts – von derselben Behörde! - zweimal sanktioniert werden. Es seien sämtliche Voraussetzungen für „ne bis in idem“ erfüllt.
Die Verhängung einer Geldbuße widerspreche zudem – infolge des in § 29 Abs 1 Z 2 lit a KartG enthaltenen eigenen Geldbußentatbestandes für den Fall, dass einer Abstellungsentscheidung nicht nachgekommen werde - der Systematik der Geldbußentatbestände im KartG. Auch widerspreche der Antrag angesichts der fehlenden Zusammenfassung der Ermittlungsergebnisse den gesetzlichen Erfordernissen des § 36 Abs 1a KartG, weiters den – ebenso ein hier fehlendes Ermittlungsverfahren voraussetzenden - europäischen Vorgaben und der europäischen Anwendungspraxis. Die völlig überraschende und ohne vorherige Mitteilung von Verfahrensergebnissen (inbesondere iSd § 13 Abs 1 WettbG) erfolgte Antragsstellung widerspreche grundlegenden Verfahrensrechten der Antragsgegnerin und deren verfassungsgesetzlich garantierten Rechten.
Da die Durchsetzung innerhalb eines angemessenen Zeitraums erfolgen müsse, hätte die Bundeswettbewerbsbehörde ihren Antrag auf Verhängung der Geldbuße bis zum Ende der Verhandlung erster Instanz stellen müssen, wofür sie ausreichend Zeit gehabt hätte. Seit Beginn des Vorverfahrens am 19.10.2018 bis zur Antragseinbringung am 9.6.2023 seien mehr als fünf Jahre verstrichen; seit ihrer (von ihr angeführten) Befassung mit den fraglichen Themen im Herbst 2015 sogar mehr als acht Jahre. Die Antragstellerin wie auch der Bundeskartellanwalt seien im Vorverfahren in jeden Aspekt involviert gewesen, ohne einen Geldbußenantrag zu stellen. Die Antragsgegnerin hätte daher darauf vertrauen dürfen, dass aus Sicht der Amtsparteien kein Grund für einen Antrag vorläge. Die nunmehrige Antragstellung verletze den durch den Gleichheitssatz gewährleisteten Grundsatz von Treu und Glauben und den verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz.
Zumindest (in eventu) hätte die Bundeswettbewerbsbehörde, insbesondere in Anbetracht des beträchtlichen Zeitraums, der seit der rechtskräftigen Abstellungsentscheidung vergangen sei (mehr als zwei Jahre), kein Rechtsschutzinteresse im Hinblick auf die Verhängung einer Geldbuße mehr. Überdies lägen keine spezial- und keine generalpräventiven Gründe für die Erhebung des Geldbußenantrags vor. In eventu verstoße er gegen die Grundwerte der Rechtsordnung.
Unabhängig davon bestehe ein krasses Missverhältnis zwischen den Interessen der Antragsgegnerin und denen der Bundeswettbewerbsbehörde; dabei spiele die vergangene Zeit wiederum eine wichtige Rolle. Aus diesem Missverhältnis folge, dass der Geldbußenantrag nicht gesetzeskonform sei.
Da kein oder zumindest nur ein sehr geringes, völlig untergeordnetes Verschulden vorliege, sei – in eventu – von der Verhängung einer Geldbuße abzusehen oder nur eine symbolische Geldbuße zu verhängen.
Jedenfalls fehle es für die Verhängung einer Geldbuße, insbesondere für die wesentlichen Parameter der Bemessung (Dauer der Zuwiderhandlung, allenfalls eingetretene Bereicherung, Schwere der Rechtsverletzung, Milderungsgründe), an wesentlichen Sachverhaltsfeststellungen im Vorverfahren. Dies habe angesichts der „Zweiteilung“ des Verfahrens zur Folge, dass der Antragsgegnerin wesentliche Verfahrensrechte entzogen, ihre Verteidigungsrechte verletzt würden und ein Geldbußenbeschluss als unzulässige Überraschungsentscheidung zu qualifizieren wäre.
Letztlich wäre für eine Geldbußenbemessung zu beachten, dass es um die Sanktionierung eines Missbrauchs von relativer Marktmacht in einer konkreten zweiseitigen Geschäftsbeziehung gehe, darüber präzise Vorgaben und spezifische Präzedenzfälle fehlen würden und die Umstände des Einzelfalles und der Kontext berücksichtigt werden müssten. Ausgangspunkt müsste der betroffene (tatbezogene) Umsatz sein, wobei (nur) auf die konkrete bilaterale Geschäftsbeziehung zwischen der Antragsgegnerin und Büchl GmbH abzustellen sei. Die insoweit eingetretene Bereicherung sei geringfügig. Feststellungen über die Dauer der Zuwiderhandlung fehlten in der Vorentscheidung.
Als Milderungsgrund werde geltend gemacht, dass die Antragsgegnerin die festgestellten rechtswidrigen Verhaltensweisen sofort beendet habe, weiters die Komplexität des Sachverhalts und das Erfordernis einer komplexen Abwägung der Gesamtumstände (woraus sich das fehlende Verschulden ergebe) sowie der Umstand, dass die Bundeswettbewerbsbehörde mit der Stellung des Geldbußenantrags von ihrer in der Vergangenheit geübten Praxis abgewichen sei und die Antragsgegnerin auch aufgrund der verstrichenen Zeit auf die Beibehaltung der Behördenpraxis habe vertrauen dürfen. Letztlich habe die Antragsgegnerin nunmehr ein völlig neues Vertriebssystem („Retailer-System“) gestaltet, welches mit 1.9.2023 wirksam geworden und mit den Peugeot-Händlern in monatelangen Abstimmungsgesprächen und Verhandlungsrunden abgestimmt worden sei; künftige Verletzungen würden daher ausscheiden. Es sei auch das System der Kundenzufriedenheitsbefragungen umgestellt und die Verknüpfung mit der Qualitätsprämie eingestellt worden. Bei Festlegung der Verkaufsziele werde fortan nur von den allgemeinen Markterwartungen ausgegangen. Der Gewinn- und Verlustabführungsvertrag mit PSA Retail sei aufgelöst und Standorte seien verkauft worden. Das System der Garantieprüfungen sei umgestellt worden.
Bestritten wurde in der Folge weiters, dass eine relative Marktmacht gegenüber sämtlichen Teilnehmern des (ehemaligen) Werkstattnetzes des Antragsgegnerin bestanden habe. Vielmehr lasse sich aus der Entscheidung im Vorverfahren für die Stellung der Antragsgegnerin in Bezug auf andere Händler und Werkstätten nichts gewinnen. Gegenüber verschiedenen – näher dargestellten (ON 16) – Gruppen von Vertragspartnern bestünde keineswegs eine relative Marktmacht der Antragsgegnerin.
Bestritten werde auch, dass betreffend Garantievergütungen und Refundierungen von Ersatzteilen eine Kostenunterdeckung gegenüber der Büchl GmbH und gegenüber den übrigen Vertragswerkstätten vorgelegen sei. Aufgrund der Anwendung der Kundenzufriedenheitsumfragen hätte kein Händler einen Nachteil erlitten, es sei keine Bereicherung der Antragsgegnerin eingetreten. Die festgestellte Spannenkürzung durch Festlegung überhöhter Verkaufsziele setze eine Herabsetzung der Verkaufsziele für Vorjahre – also mindestens zwei – voraus und finde demnach für die Büchl GmbH gar keine Anwendung. Eine Kostenüberwälzung für Audits und Mystery Shopping sei laut der Vorentscheidung rein auf Büchl GmbH beschränkt, wobei es hier eine Kompensationsmöglichkeit gegeben habe, von der Büchl GmbH – wie überwiegend die anderen Händler – auch Gebrauch gemacht hätte; eine Bereicherung der Antragsgegnerin scheide daher aus.
Dass andere Händler die Preise der ehemaligen Tochtergesellschaft der Antragsgegnerin PSA Retail nicht hätten unterbieten können, treffe nicht zu. Soweit Büchl GmbH eine Preisunterbietung oder -einstellung nicht möglich gewesen sei, lasse deren Kalkulation mögliche Prämien außer Acht, die jedem Händler offen gestanden wären, von Büchl GmbH aber nicht in Anspruch genommen worden seien. PSA Retail habe sich marktkonform verhalten, von einem Margin Squeeze könne keine Rede sein.
4. Anerkenntnis und Antragskonkretisierung:
Am 3.6.2024 gab die Antragsgegnerin schließlich ein Anerkenntnis ab, in dem sie sich dem Sachvorbringen der Antragstellerin in einem näher genannten Umfang und der rechtlichen Beurteilung anschloss und dem Geldbußenantrag nicht entgegentrat, soweit eine Geldbuße in Höhe von EUR 15 Mio beantragt werde. Der im Vorverfahren festgestellte Sachverhalt wurde – soweit hier wesentlich - außer Streit gestellt. Der Zeitraum der Verstöße wurde zugestanden. Eine Geldbuße in Höhe von EUR 15 Mio wurde unter Bedachtnahme auf die Bemessungskriterien – insbesondere auch der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Antragsgegnerin unter Berücksichtigung der gemäß § 22 Z 1 KartG verbundenen Unternehmen - als angemessen anerkannt.
Infolge dieses Anerkenntnisses modifizierte die Bundeswettbewerbsbehörde ihren Antrag dahin, dass die Verhängung einer Geldbuße in Höhe von EUR 15 Mio beantragt wurde.
Die Geldbuße sei aus general- und spezialpräventiven Erwägungen angemessen. Sie entspreche der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Antragsgegnerin und der mit ihr verbundenen Unternehmen.
III. Beweisaufnahmen:
Beweis wurde aufgenommen durch Einvernahme der Zeugen XXX, XXX, XXX, XXX, XXX, XXX und durch Einsichtnahme in den Akt 27 Kt 5/18i sowie in die vorgelegten Urkunden Beilagen ./A bis ./K und ./1 bis ./20.
IV. Feststellungen:
Die Antragsgegnerinsteht zu 100 % im Eigentum der Automobiles Peugeot S.A., Poissy, Frankreich, und war bis Mitte Juli 2021 zu 81 % Gesellschafterin der PSA Retail Austria GmbH; in der Folge: PSA Retail oder Tochtergesellschaft) als Teil der konzerneigenen Handelsorganisation der Groupe PSA.
Die Groupe PSA ist ein börsennotiertes Unternehmen in Frankreich und Hersteller von Fahrzeugen der Marken Peugeot, Citroen, DS Automobiles und Opel.
Im Jänner 2021 haben Peugeot S.A. (PSA) sowie Fiat Chrysler Automobile (FCA) ihre Fusion zum viertgrößten Fahrzeughersteller der Welt abgeschlossen und firmieren nun unter Stellantis N.V. Die Beteiligung der Antragsgegnerin an der PSA Retail Austria GmbH (mittlerweile umbenannt in Stellantis &you Österreich GmbH) wurde zwischenzeitig an PSA Retail France SAS übertragen.
Der Konzernumsatz der Groupe PSA im Jahr 2019 betrug zum 31.12.2019 EUR 74,73 Mrd. Zum 31.12.2020 betrug dieser Umsatz EUR 60,73 Mrd.
Der Konzernumsatz der Stellantis N.V. für das Geschäftsjahr 2021 betrug EUR 152 Mrd, das Nettoergebnis EUR 13,4 Mrd. Im ersten Halbjahr 2022 wurde ein Umsatzwachstum von 17 % und ein Wachstum des Nettoergebnisses von 34 % vermeldet (Beilage ./E). Insgesamt betrug im Jahr 2022 der Umsatz EUR 179,6 Mrd und das Nettoergebnis EUR 16,8 Mrd. Im Geschäftsjahr 2023 betrug – laut einer Pressemitteilung des Stellantis-Konzerns – der Gesamtjahresumsatz EUR 189,5 Mrd.
Feststellungen im Vorverfahren:
Im Verfahren 27 Kt 5/18i wurden auf den Seiten 3 bis 9 und 35 bis 64 der Beschlussausfertigung die von der Antragsgegnerin nun außer Streit gestellten Sachverhaltsfeststellungen getroffen, die vom KOG in seiner Rekursentscheidung übernommen und seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt wurden (s Rz 143 in 16 Ok 4/20d). Die wesentlichen Feststellungen fasste das KOG auf den Rz 1 bis 52 wie folgt zusammen(wobei mit „Antragstellerin“ wiederum die „Büchl GmbH“ gemeint ist):
„[1] 1. Parteien des Verfahrens:
[2] 1.1. Die Antragstellerin führt seit 1992 einen eingesessenen Händler- und Werkstättenbetrieb in Schärding, der auf den Verkauf von Neu- und Gebrauchtfahrzeugen der Marken Peugeot, Citroen und Opel und die Erbringung von Werkstättendienstleistungen spezialisiert ist. Weitere Standorte hat sie seit 2001 in Ried und seit 2006 in Mattighofen. Seit 2011 handelt die Antragstellerin an den Standorten Schärding und Ried auch mit Fahrzeugen der Marke Citroen, seit 2016 in Schärding mit solchen der Marke Opel. Der Standort in Mattighofen vertreibt nur Fahrzeuge der Marke Peugeot.
[3] Beim Neuwagenvertrieb entfallen bei allen drei Standorten zusammengenommen etwa 60 % auf die Marke Peugeot, 30 % auf die Marke Citroen und 10 % auf die Marke Opel. Beim Werkstattbetrieb entfallen etwa 50 % auf die Marke Peugeot, über 20 % auf die Marke Opel und der Rest auf die Marke Citroen. Die Antragstellerin beschäftigt durchschnittlich zwischen 45 und 50 Mitarbeiter. Im Geschäftsjahr 2016/2017 (1. 11. 2016 bis 31. 10. 2017) betrug ihr Jahresumsatz über 11,8 Mio EUR. Davon entfielen auf den Verkauf von Neuwagen rund 5,6 Mio EUR, auf den Verkauf von Gebrauchtwagen rund 2,7 Mio EUR, auf Werkstättenerlöse rund 3,1 Mio EUR. Der Anteil der Umsätze mit der Marke Peugeot beläuft sich im Bereich der Neuwagen auf ca 68 % und im Bereich Werkstattleistungen auf ca 60 %.
[4] Die Antragstellerin wird von ihren Kunden mit dem Namen Peugeot identifiziert. Würde der Vertrieb von Fahrzeugen dieser Marke wegfallen und müsste sie zu einer anderen Automarke wechseln, so würde sie 2/3 ihrer Kunden verlieren. Da die Antragstellerin überdies erhebliche Investitionen in die Marke Peugeot getätigt hat (so etwa 2011/2012 zwei Mio EUR in die Erweiterung der Werkstätte im Betrieb Ried), wäre für sie ein Verlust von Peugeot als Vertragspartner im Neuwagenvertrieb und im Werkstättenbereich existenzbedrohend.
[5] 1.2. Die Antragsgegnerin ist die österreichische
Generalimporteurin für Neufahrzeuge und Originalersatzteile der Marke Peugeot. Innerhalb der Peugeot-Vertriebsorganisation ist sie ausschließlich zuständig, in Österreich Neuwagen- und Werkstättenverträge abzuschließen. Sie ist zu 81 % (und die Citroen Österreich GmbH zu 19 %) Gesellschafterin der PSA Retail Austria GmbH (bis Oktober 2018: Peugeot Autohaus GmbH, idF: Tochtergesellschaft) als Teil der konzerneigenen Handelsorganisation der Group PSA, einem börsennotierten Unternehmen in Frankreich und Hersteller von Fahrzeugen der Marken Peugeot, Citroen, DS Automobiles und Opel. PSA Retail Europa ist die zweitgrößte Automobilhandelsgruppe mit 374 Niederlassungen in zehn Ländern.
[6] 2. Vertragsbeziehungen:
[7] Die Antragstellerin hat mit der Antragsgegnerin sowohl einen Neuwagen- als auch einen Werkstattvertrag abgeschlossen, wonach der Antragstellerin das nicht exklusive Recht eingeräumt wird, nach Maßgabe dieser Verträge fabriksneue Peugeot-Personenkraftfahrzeuge und leichte Nutzfahrzeuge bis 3,5 t sowie die dazugehörige Ausstattung und das Zubehör zu vertreiben sowie Service- und Reparaturdienstleistungen für diese Peugeot-Produkte zu erbringen. Nach dem Neuwagenvertrag ist sie berechtigt, außer Fahrzeugen der Marke Peugeot bestimmte (in einem Anhang zum Vertrag genannte) andere Fahrzeuge zu vertreiben, das sind solche der Marken Citroen und Opel. Im Rahmen des unbefristeten Werkstattvertrags verpflichtete sich die Antragstellerin, den Kundendienst an Fahrzeugen der Marke Peugeot sicherzustellen.
[8] 3. Vergütungssystem:
[9] 3.1. Das Vergütungssystem für Neuwagen wird von der Antragsgegnerin über die sogenannte „Kommerzielle Politik“ (für jedes Jahr neu) vorgegeben. Dieses Vergütungssystem sieht neben einer Fixmarge (die sich laut Verkaufspreislisten je Modell zwischen 8,5 % bis 11,0 % bewegt) eine variable Marge (bis zu 6,5 % bei 100 % Zielerreichung) vor, die sich aus einer Leistungsprämie (4,5 %) und aus einer Qualitätsprämie (2 %) zusammensetzt.
[10] 3.2. Einstiegskriterium für beide Komponenten der variablen Marge ist das Erreichen eines Weiterempfehlungsniveaus (dem sogenannten „NET EQC“) von zumindest 80 %. Wird dieser Schwellwert nicht erreicht, wird die variable Marge (unabhängig davon, ob die Kriterien für die Leistungsprämie oder die Qualitätsprämie erfüllt sind) nicht ausgezahlt. Das Weiterempfehlungsniveau wird von der Antragsgegnerin über die Befragung von Kunden des jeweiligen Monats ermittelt. Dabei wird eine Punkteskala von eins bis zehn (Höchstnote) abgefragt. Als Weiterempfehlung wird allein die Vergabe von zumindest neun Punkten gewertet. Bei positiver Erfüllung des Einstiegskriteriums erfolgt die Berechnung der Leistungs- und der Qualitätsprämie nach folgenden Kriterien:
[11] 3.3. Leistungsprämie: Als weiteres Kriterium für den Anspruch auf eine Leistungsprämie ist eine Zielerreichung von zumindest 70 %, bei PKW von 80 % des monatlichen Verkaufsziels notwendig. Eine quartalsweise Aufrollung der Verkaufsergebnisse (also eine Gesamtbetrachtung der Verkaufsergebnisse auf Quartalsbasis, sofern die monatlichen Verkaufsziele insgesamt im Quartal erreicht wurden) ist zulässig. Die Höhe der Leistungsprämie hängt von der Erreichung der Monatsziele (das sind die monatlichen Verkaufsziele des jeweiligen Händlers im PKW und LKW-Bereich) ab. Werden die Absatzziele bei PKW nicht zumindest im Ausmaß von 80 % erreicht, wird keine Leistungsprämie gewährt; diese Prämie beträgt 2,5 % für eine Zielerreichung ab 80 %, 3,5 % ab 90 %, 4,5 % ab 100 %, 4,75 % ab HO % und 5 % ab 120 % Zielerreichung.
[12] 3.4. Qualitätsprämie:
[13] Die variable Qualitätsprämie beträgt höchstens 2,5 % und setzt sich aus einer Prämie für Weiterempfehlung (0,6 %) und einer Prämie für das Mystery Shopping Ergebnis (1,4 %; zum Begriff siehe unten Pkt 7.j) zusammen. Für die Weiterempfehlungsprämie ist ein Empfehlungsgrad von zumindest 89 % erforderlich (basierend auf den Ergebnissen der Kundenbefragung innerhalb der letzten sechs Monate), für die Prämie betreffend das Mystery Shopping (das quartalsweise von einer Drittfirma durchgeführt wird) müssen zumindest 820 von 1.000 Punkten erreicht werden.
[14] 4. Verkaufsziele:
[15] 4.1. Die Verkaufsziele setzen sich aus einem Jahres- und einem Monatsziel zusammen. Die Berechnung des Jahresziels beruht einerseits auf einem historischen Kriterium (basierend auf den Verkaufsmeldungen des Händlers in den letzten zwölf Monaten) und andererseits auf einem Potenzial-Kriterium (beruhend auf den Verkaufsergebnissen des räumlichen Markts in einem Radius einer 30-minütigen Fahrzeit um den Standort des Händlers, bereinigt um Kurzzulassungen bis 90 Tage, Behördenzulassungen, Mietwagen- und Diplomatengeschäfte). In der Quote für das Jahresziel wird das historische Kriterium doppelt so stark gewichtet wie das Potenzial-Kriterium. Sollte ein Partner nicht mit dem Jahresziel einverstanden sein, kann er dieses nach dem Neuwagen-Händlervertrag durch einen unabhängigen Sachverständigen überprüfen lassen.
[16] 4.2. Das Monatsziel wird in einem zweiten Schritt auf Basis des ermittelten Jahresziels und der jeweiligen Monatsmarktschätzung kalkuliert und den Händlern bis zum dritten Werktag des Monats mitgeteilt. Sollte der reale Markt gegenüber der Monatsmarktschätzung um mehr als 2 % sinken, wird das Monatsziel nachträglich nach unten angepasst; bei einem steigenden Markt erfolgt keine Anpassung.
[17] Daneben gibt es die Möglichkeit der Quartalsaufrollung im PKW- und LKW-Bereich: Erreicht der Händler kumuliert im Quartal 100 % seiner Monatsziele, wird die Leistungsprämie auf 100 % aufgerollt und nachbezahlt. Erreicht der Händler sein Jahresziel, bekommt er (auch ohne Erreichen eines bestimmten Weiterempfehlungsniveaus) die volle Leistungsprämie ausbezahlt.
[18] 5. A) Neuwagenvertrieb:
[19] a) Corporate Identity Investitionen:
[20] Laut Art 10 des Händlervertrags für Neufahrzeuge sind die Vertragshändler verpflichtet, von der Antragsgegnerin definierte Standards für den Standort und die Innen- und Außenausstattung der Geschäftsräumlichkeiten genau einzuhalten; dazu gehört auch die Verwendung des markenspezifischen Farbtons Blau im Verkaufsbereich. Dieser Farbton wurde 2010 in ein vom vorherigen Farbton abweichendes dunkleres Blau geändert. 2016 wurde die Bodenfliese MOKA als verpflichtend definiert. Die Antragstellerin investierte 2012 im Standort Ried zwei Mio EUR in die von der Antragsgegnerin vorgeschriebene Ausstattung. 2017 umfassten die Vorgaben der Antragstellerin einen eigenen Eingang für die Peugeot-Räumlichkeiten, sodass die Antragstellerin den Fliesenboden MOKA verlegen und einen eigenen Eingangsbereich für die Peugeot-Räumlichkeiten schaffen musste. Dafür erhielt sie eine Prämie von rund 40.000 EUR.
[…]
[23] c) Kundenzufriedenheitsumfragen:
[24] Der Händlervertrag verpflichtet den Händler, qualitativ hochwertige Dienstleistungen zu erbringen und eine möglichst hohe Kundenzufriedenheit sicherzustellen. Zur Bewertung der Kundenzufriedenheit wird den Kunden nach einem Neuwagenkauf ein E-Mail mit einem Link zu einem Formular geschickt, auf dem drei Fragen zur Gesamtzufriedenheit, zur Weiterempfehlung und zur Höflichkeit des Teams auf einer Skala von eins bis zehn zu beantworten sind. Für die Neuwagen-Qualitätsprämie ist die Mindestanzahl von 32 Interviews pro Monat bei einer Gesamtbetrachtung der Anzahl der Interviews innerhalb des letzten Jahres oder ein 60 % Anteil verwendbarer E-Mail-Adressen in dieser Periode erforderlich. Für die Kundenzufriedenheit bedarf es einer Quote von mindestens 80 % Weiterempfehlung und für die Qualitätsprämie einer Bewertung von mindestens neun Punkten. Daher ist die Antragstellerin zur Erreichung der Qualitätsprämie darauf angewiesen, auf ihre Kunden dahin einzuwirken, dass sie eine möglichst gute Bewertung abgeben, was mit erheblichem Aufwand an Kommunikation und einem als beschämend empfundenen Maß an Beeinflussung der Kunden verbunden ist. Die von der Antragsgegnerin gewählte Methode der Koppelung der Kundenzufriedenheitsumfragen mit der Gewährung der Qualitätsprämie ist mit einer reellen Erhebung der Kundenzufriedenheit nicht zu vergleichen und keine echte Befragung.
[25] d) Spannenreduktion durch überhöhte Verkaufsziele:
[26] Das Jahresziel 2018 für die Antragstellerin umfasste 259 Fahrzeuge. Die Antragstellerin nutzte das Recht, ein Schiedsgericht anzurufen und das Jahresziel durch einen Sachverständigen neu festsetzen zu lassen. Sie war nicht die Einzige; 2017 riefen sieben Händler das Schiedsgericht an, 2018 und 2019 je elf. Als Ergebnis des Schiedsverfahrens wurde das Jahresziel der Antragstellerin für 2018 von 259 auf 220 Fahrzeuge reduziert. Tatsächlich verkaufte sie dann 178 Fahrzeuge, somit mehr als 40 Autos weniger als das bereits herabgesetzte Jahresziel, und erreichte damit das reduzierte Jahresziel nur mit 86 % (wobei sie monatsweise meistens auf 80 %, in einzelnen Monaten auf 100 % kam). Für 2019 setzte die Antragsgegnerin das Jahresziel der Antragstellerin so fest, dass sie den Ist- Verkauf für 2018 um 25 % erhöhte. Für die Leistungsprämie ist überdies nicht das Datum des Verkaufs des Fahrzeugs, sondern jenes der Auslieferung an den Käufer entscheidend. Etwa 65 % der gekauften Fahrzeuge der Marke Peugeot haben eine Lieferzeit unter einem Monat. Bei einzelnen Fahrzeugtypen mit hoher Nachfrage kommen aber auch Lieferzeiten von zwei bis vier Monaten vor. Sollte ein Fahrzeug nach Abschluss des Kaufvertrags daher eine lange Lieferzeit haben, kann dies für den Händler von ihm nicht kalkulierbaren Einfluss auf die Erreichung des Monatsziels haben.
[27] f) Abgabepreise der PSA Retail Händlerbetriebe:
[28] Die Antragsgegnerin selbst ist nur vereinzelt im Endkundenmarkt bei einzelnen Direktverkäufen an bestimmte (Groß-)Kunden tätig. 95 % ihrer Geschäfte wickelt sie über die Händler, darunter ihre Tochtergesellschaft (deren Geschäftsführerin zugleich die Geschäftsführerin der Antragsgegnerin ist) ab. Die Antragsgegnerin hat mit ihrer Tochtergesellschaft die gleichen Neuwagen- und Werkstättenverträge zu den gleichen Konditionen und mit gleicher „Kommerzieller Politik” wie mit den selbständigen Peugeot-Händlern abgeschlossen.
[29] Zwischen der Tochtergesellschaft, der Antragsgegnerin und der Citroen Österreich GmbH wurde am 16.12.2015 ein (in ähnlicher Form bereits davor bestehender) Ergebnisabführungsvertrag geschlossen, wonach der Jahresverlust der Tochtergesellschaft von der Antragsgegnerin zu 81 % und von der Citroen Österreich GmbH zu 19 % abzudecken ist. 2013 betrug der Jahresverlust der Tochtergesellschaft rund 777.000 EUR, 2015 knapp 2,2 Mio EUR, 2017 knapp 630.000 EUR und 2018 2,6 Mio EUR. Ihr Jahresgewinn 2016 von rund 1,1 Mio EUR war auf den Verkauf einer Liegenschaft in Wien zurückzuführen. Die Verluste ergeben sich zu einem Teil daraus, dass die Mietkosten für die Standorte ebenso wie die Lohnkosten in Städten wie Wien oder Linz höher sind als auf dem Land, während die Marktanteile für Fahrzeuge der Marke Peugeot auf dem Land höher sind als in der Stadt. Zum anderen Teil liegen die Verluste darin begründet, dass die Tochtergesellschaft aufgrund des Ergebnisabführungsvertrags in der Lage ist, niedrige Abgabepreise am Endkundenmarkt zu verlangen. Diese können von den freien Händlern (wie der Antragstellerin) angesichts der ihnen von der Antragsgegnerin verrechneten Preise und gewährten Rabattkonditionen – von Einzelfällen abgesehen - nicht gehalten oder unterboten werden, zumal die Kunden zunehmend an Preisvergleiche im Internet gewöhnt und immer weniger auf lokale Händler in ihrer Nähe angewiesen sind.
[30] 6. B) Werkstättenbetrieb:
[31] g) Garantieprüfungen:
[32] Beim Kauf eines Neuwagens räumt die Antragsgegnerin den Kunden eine zweijährige Neuwagengarantie ein und übernimmt zusätzlich die Kosten für die Reparatur oder den Austausch fehlerhafter Teile. Cirka 7-10 % aller Werkstättenaufträge entfallen bei der Antragstellerin auf Gewährleistungs- und Garantiearbeiten (im Branchenschnitt beläuft sich der Anteil auf ca 5-20 %). Es liegt im Interesse der Antragsgegnerin, die ordnungsgemäße Abrechnung von Garantiearbeiten zu überprüfen; vereinzelt kommt es nämlich vor, dass Werkstätten Arbeiten unzulässigerweise als Garantiearbeiten verrechnen.
[33] Die Antragsgegnerin entwickelte für den Ersatz der Kosten der Garantiearbeiten ein Refundierungssystem, das auf Richtwerten und Richtzeiten beruht und bedient sich dabei des CVR(= cost vehicle repair)-Werts, der sich aus Arbeitszeit- und Materialkosten für jeden Garantiefall zusammensetzt. Diejenige Werkstätte, die die niedrigsten Kosten für den jeweiligen Garantiefall hat, wird als „best performer“ solcherart herangezogen, dass diese Kosten als Normkosten bestimmt werden. Für jede Garantiearbeit gibt es derartige Normkosten als Referenz. Der weiters herangezogene Durchschnittsstundensatz wird so berechnet, dass die Antragsgegnerin die verschiedenen Stundensätze der einzelnen Werkstätten durch eine Agentur in einer für die Händler nicht nachvollziehbaren Form nivellieren lässt.
[34] Die Werkstätten werden nach dem jeweiligen CVR-Wert und der Garantieablehnungsquote (das ist die Anzahl der aufgrund eines Fehlers nicht freigegebenen Garantieanträge, die nicht höher als 5 % sein sollte) sowie der Einreichdauer für Garantieaufträge in rund 75-80 % „delegierte“ Werkstätten (die kein hohes Garantievolumen haben und Garantiearbeiten unter 1.500 EUR ohne vorherige Abklärung mit der Antragsgegnerin selbständig durchführen dürfen) und „gecoachte“ Vertragspartner geteilt (die schon bei Garantieaufträgen ab 350 EUR eine Vorabzusage der Antragsgegnerin benötigen).
[35] Das Coaching umfasst drei Stufen: In Stufe eins
wählt der Coach willkürlich 50 Garantiefälle des letzten Jahres aus, analysiert sie, bespricht die Mängel und erstellt einen Aktionsplan für Verbesserungen. Mit dieser Form des Coaching sind keine finanziellen Nachteile der Werkstätte verbunden; die Werkstätte hat drei Monate Zeit, die Verbesserungen umzusetzen. Daran schließt sich eine neunmonatige Beobachtungszeit. Sollte sich der CVR-Wert dennoch wieder erhöhen, werden in der Coachingstufe zwei wieder 50 Fälle überprüft und Verbesserungsvorschläge gemacht. Führt dies zu keinem Erfolg wird in Stufe drei ein „Garantieaudit“ durchgeführt, in dessen Verlauf sämtliche Garantieaufträge von drei ausgewählten Monaten auf Fehler kontrolliert werden.
[36] Auch die Fehler sind in drei Stufen eingeteilt.
Die leichtesten in Stufe eins haben keine finanziellen Konsequenzen (dazu gehören das Fehlen eines Messwerts oder die unzureichende Aufbewahrung von Unterlagen). Fehler in Stufe 2 führen zur Rückbelastung; die Werkstätte muss der Antragsgegnerin das für die Garantiearbeit erhaltene Geld refundieren. Darunter fallen Fehler wie die mangelnde Unterschrift eines Kunden, die fehlende elektronische Signatur des Technikers oder das Fehlen einer Schraube im Garantieauftrag unabhängig davon, ob sie verwendet wurde oder nicht. Haben mehr als 3 % der Fehler den gleichen Beanstandungsgrund, geht die Antragsgegnerin davon aus, dass der Fehler das ganze Jahr über gemacht wurde, und bucht im Prozentsatz des Fehlers die Refundierungen für alle gleichartigen Garantiearbeiten für das ganze Jahr zurück. Insgesamt ist die Rückbelastung mit 3.000 EUR gedeckelt. Zu Stufe drei gehören Fehler wie das Rückdatieren eines Auftrags, sodass er in die Garantiezeit fällt, oder eine Doppelverrechnung sowohl an den Kunden als auch an die Antragsgegnerin. In dieser Stufe wird jeder Fehler unabhängig vom Erreichen der 3 %-Schwelle mit einer Deckelung von 3.000 EUR auf das Jahr hochgerechnet. Unterläuft daher zB ein solcher Fehler bei einer Garantiereparatur über 5.000 EUR, beträgt die Rückbelastung 5.000 EUR plus dem Limit der Hochrechnung von 3.000 EUR.
[37] Diese Gefahr zwingt die Werkstätten zu sehr genauem Arbeiten. Die Einreichung eines Garantieantrags bedarf, um alle Formulare auszufüllen und auszudrucken, eines relativ hohen bürokratischen Aufwands, der unter Umständen die Dauer der tatsächlichen Behebung des Mangels am Fahrzeug erheblich übersteigt. Dazu kommt, dass die Garantierichtlinien immer wieder geändert werden, dies den Werkstätten nicht immer mitgeteilt wird und es mitunter lange dauert, bis eine Rückmeldung der Antragsgegnerin kommt, ob eine Garantiearbeit durchgeführt wird oder nicht, sodass die Werkstätte in ihren Abläufen über Tage blockiert sein kann.
[38] Da bei den geschilderten Garantieprüfungen praktisch immer Fehler gefunden werden, tragen letztlich die Werkstätten im Wege der Rückbelastung einen erheblichen Teil der Kosten der Garantieprüfungen, obwohl diese im überwiegenden Interesse der Antragsgegnerin liegen.
[39] h) Stundensätze sowie Refundierungen bei Garantiearbeiten
[40] Die Kosten für die Durchführung der Garantiearbeiten ersetzt die Antragsgegnerin den Werkstätten nach einem von ihr aufgestellten Refundierungssystem. Dieses basiert auf Richtwerten und Richtzeiten. Mehr als 65 % der Werkstätten unterscheiden bei der Höhe ihres Stundensatzes nicht, welcher ihrer Mitarbeiter die Arbeit durchführt, da sie einen einheitlichen Stundensatz haben. Die übrigen Werkstätten unterscheiden bei den Stundensätzen (je nach erforderlicher Qualifikation) die drei Niveaus „Wartung“, „Reparatur“ und „Techniker“. Zur Ermittlung des Richtwerts für Garantiearbeiten fordert die Antragsgegnerin die Werkstätten mit einem Rundschreiben im Dezember jeden Jahres auf, ihre Stundensätze für diese drei Niveaus bekanntzugeben und gewichtet dann die bekannt gegebenen Stundensätze derart, dass 70 % der für Garantiearbeiten anfallenden Kosten auf Stufe 1, 20 % auf Stufe 2 und 10 % auf Stufe 3 entfallen. Diese Regelung ist europaweit gleich. Sodann zieht die Antragsgegnerin von dem ermittelten Stundensatz 12 % ab; dieser Stundensatz wird dann jeder Werkstätte für die Durchführung der Garantiearbeiten refundiert.
[41] Die Antragsgegnerin gibt für Reparaturarbeiten auch Richtzeiten vor. Dafür wird die von einem Mechaniker für verschiedene Arbeiten bei einem neuen Fahrzeugmodell benötigte Zeit mit der Stoppuhr gestoppt. Diese Richtzeiten gelten europaweit. Die Richtzeiten sind zumindest für einen Teil der Arbeiten sehr knapp bemessen, was die Werkstätten unter Druck setzt.
[42] Eine Werkstätte hat bei Ersatzteilen im Schnitt eine Marge von rund 32-33 %. Die Antragsgegnerin bezahlt nur den Einkaufspreis zuzüglich 5 % (seit 2019: 4 %) Handlingspauschale, aber maximal 65 EUR (seit 2019: 130 EUR) pro Garantieantrag, womit aus ihrer Sicht der administrative Aufwand mit dem Ersatzteil (wie etwa die Lagerhaltung) abgegolten werden soll.
[43] In einer Gesamtbetrachtung des 12%-igen Abzugs vom Stundensatz, der geringen Handlingspauschale, der knapp bemessenen Richtzeiten, des administrativen Aufwands bei der Meldung der Garantiefälle und der erforderlichen Verpackung und Lagerung der ausgetauschten Ersatzteile ist davon auszugehen, dass die von der Antragsgegnerin bezahlte Vergütung für Garantiearbeiten für die Antragstellerin wie auch für andere Peugeot-Werkstätten nicht zu 100 % kostendeckend ist, wobei die Unterdeckung in der Größenordnung zwischen 5 und 10 % liegt.
[…]
[46] 7. C) Neuwagenvertrieb und Werkstättenbereich:
[47] j) Schulungspauschale:
[48] Sowohl nach dem Werkstätten- als auch nach dem Händlervertrag müssen die Mitarbeiter an kostenpflichtigen und/oder kostenlosen Schulungen teilnehmen. Die Antragstellerin nahm vor 2018 für ihre Mitarbeiter die Pflichtschulungen und darüber hinaus Einzelschulungen in Anspruch, wenn sie ihrer Ansicht nach notwendig waren. Ab 2018 stellte die Antragsgegnerin dieses System um. Sie verlangt nun eine Schulungspauschale von jährlich 5.000 EUR. Ausgebildete Techniker müssen als Pflichtschulung vier Tage jährlich absolvieren, Kundenberater zwei Tage. Dazu kommen zwei bis drei Produktschulungen im Neuwagenbereich und die Garantieschulungen im Werkstättenbereich. Da die Schulungspauschale pro Betrieb anfällt, treffen die Antragstellerin für ihre drei Betriebe für die Marke Peugeot jährlich Schulungspauschalen von insgesamt 15.000 EUR. Durch diese Änderung wurde die Frequenz an Schulungen generell gesteigert, bei den Pflichtschulungen gab es einen Zuwachs von 40 %, bei den nicht verpflichtenden Schulungen hat sich die Anzahl vervierfacht. Allerdings deckt ein Teilbetrag der Schulungspauschale von 2.000 EUR vier Mystery Shoppings im Bereich Neuwagen, zwei Mystery Shoppings im Bereich Kundendienst, sechs Mystery Leads sowie ein Neuwagen- bzw Kundendienst-Standardkriterien-Audit pro Jahr ab.
[49] Mit Mystery Shoppings überprüft die Antragsgegnerin durch ein Drittunternehmen die Einhaltung der im Händler- und Werkstattvertrag enthaltenen Qualitätsvorgaben. Die Antragsgegnerin trug ursprünglich die Kosten dafür selbst. Ein erster Versuch, sie auf die Händler zu überwälzen, hatte massive Proteste zur Folge. Daher nahm die Antragsgegnerin sie in die Schulungspauschale auf.
[50] Mystery Leads sind Anfragen an Händler um Probefahrten und ähnliche durch eine von der Antragsgegnerin beauftragte Drittfirma, um zu kontrollieren, ob in der vorgegebenen Zeit von einer Stunde eine Antwort des Händlers erfolgt. Die Agentur der Antragsgegnerin kreiert pro Händler etwa zwei bis vier Mystery Leads jährlich. Welche Kosten hierfür anfallen, konnte nicht festgestellt werden.
[51] Standardkriterien-Audits sind Überprüfungen der Einhaltung der operativen Vorgaben im Neuwagenvertrieb und im Kundendienst. Im Neuwagenbereich gibt es neun, im Kundendienstbereich 13 operative Standards, dazu kommen zwei bereichsübergreifende Standards. Bei einer Prüfung kontrolliert der Prüfer fünf von ihm ausgewählte Standards.
[52] Mystery Shopping, Mystery Leads und Standard-Audit dienen der Kontrolle der Antragsgegnerin dahin, ob ihre vertraglichen Vorgaben von den Händlern und Werkstätten eingehalten werden. Die Kosten hierfür tragen aber im wesentlichen die Händler und Werkstätten allein.“
V. Beweiswürdigung:
Die Antragsgegnerin hat den Sachverhalt, wie er im Vorverfahren festgestellt wurde, zuletzt außer Streit gestellt. Dieser Sachverhalt war daher in diesem Verfahren zur Gänze zu übernehmen. Von weiteren Erhebungen war iSd § 33 AußStrG (iVm § 38 KartG) abzusehen.
Die Feststellungen über die Fusion zu Stellantis N.V. und die Jahresumsätze waren ebenso unstrittig und werden durch die vorgelegten Urkunden bestätigt.
VI. Rechtliche Beurteilung:
1. Rechtskraftwirkung des Vorverfahrens, „ne bis in idem“:
1.1. Die Antragsgegnerin hat sich eingangs des Verfahrens auf „ne bis in idem“ berufen. Auch wenn sie zuletzt die rechtliche Beurteilung der Antragstellerin nicht mehr in Frage stellte, ist dieser Einwendung – zumal das Verfahrenshindernis der materiellen Rechtskraft einer Entscheidung im Sinne des Wiederholungsverbots („ne bis in idem“) auch im Verfahren außer Streitsachen in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen ist (RS0007477; Deixler-Hübner in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 43 Rz 16) - zu erwidern:
1.2. Beim Grundsatz ne bis in idem handelt es sich um einen tragenden Grundsatz des Unionsrechts, der nunmehr in Art 50 GRC niedergelegt ist. Art 50 der Charta bestimmt, dass „[n]iemand … wegen einer Straftat, derentwegen er bereits in der Union nach dem Gesetz rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren erneut verfolgt oder bestraft werden [darf]“. Der Grundsatz ne bis in idem verbietet somit eine Kumulierung von Verfolgungsmaßnahmen und Sanktionen, die strafrechtlicher Natur im Sinne dieses Artikels sind, gegenüber derselben Person wegen derselben Tat (EuGH C-151/20 „Nordzucker“, Rn 28 f).
Für die Beurteilung der strafrechtlichen Natur der in Rede stehenden Verfolgungsmaßnahmen und Sanktionen sind drei Kriterien maßgebend: 1. die rechtliche Einordnung der Zuwiderhandlung im innerstaatlichen Recht, 2. die Art der Zuwiderhandlung und 3. der Schweregrad der dem Betroffenen drohenden Sanktion. Die Anwendung von Art 50 der Charta beschränkt sich nicht allein auf Verfolgungsmaßnahmen und Sanktionen, die im nationalen Recht als „strafrechtlich“ eingestuft werden, sondern erstreckt sich – unabhängig von einer solchen Einordnung im innerstaatlichen Recht – auf Verfolgungsmaßnahmen und Sanktionen, die nach den beiden anderen Kriterien strafrechtlicher Natur sind (aaO Rn 30 f).
Nach der Judikatur des EuGH ist der Grundsatz ne bis in idem in wettbewerbsrechtlichen Verfahren, die auf die Verhängung von Geldbußen gerichtet sind, zu beachten. Dieser Grundsatz verbietet es im Bereich des Wettbewerbsrechts, dass ein Unternehmen wegen eines wettbewerbswidrigen Verhaltens, in Bezug auf das es in einer früheren, nicht mehr anfechtbaren Entscheidung mit einer Sanktion belegt oder für nicht verantwortlich erklärt wurde, erneut mit einer Sanktion belegt oder verfolgt wird (aaO Rn 32).
1.2. Unstrittig ist nunmehr, dass die Geldbuße nach § 29 KartG nach ihrem Zweck und ihrer Wirkung eine Sanktion mit strafrechtsähnlichem Charakter ist (RS0120560). Betreffend Abstellungsaufträge hat der OGH andererseits bereits zu 5 Ob 154/07v ausgesprochen, dass die Auffassung, dass das kartellgerichtliche Abstellungsverfahren strafrechtlichen Charakter habe, weder in der Literatur noch in der Rechtsprechung vertreten werde.
Dies hat weiterhin zu gelten:
Derin Rede stehende, auf Abstellung marktmissbräuchlichen Verhaltens gerichtete Individualantrag des Vorverfahrens führte zu keiner strafrechtlichen Sanktionierung der Antragsgegnerin. Ein nach den oben dargestellten Kriterien maßgeblicher „Schweregrad der Sanktion“ ist hier nicht erkennbar: Die aufgetragene Abstellung zielte ja lediglich auf die Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes ab, stellte aber keine – auch keine graduell geringe – Pönalisierung des bis dahin vorliegenden rechtswidrigen Verhaltens dar. Der Antragstellerin des Vorverfahrens – einer privatrechtlichen juristischen Person – mangelte es auch an jeglicher hoheitlicher Befugnis, eine strafrechtliche Verfolgungsmaßnahme oder Sanktion zu bewirken.
Es handelt sich bei der Abstellungsentscheidung also nicht um eine Verfolgungsmaßnahme oder Sanktion „strafrechtlicher Natur“. Demzufolge kann ein Verstoß gegen das Doppelbestrafungsverbot nicht erblickt werden.
1.3.Maßgeblich für die rechtlichenWirkungen der im Vorverfahren ergangenen rechtskräftigen Entscheidung des KOG (16 Ok 4/20d) auf das vorliegende Verfahren ist § 43 AußStrG. Nach dessen Abs 1 treten mit der Rechtskraft eines Beschlusses Vollstreckbarkeit, Verbindlichkeit der Feststellung oder Rechtsgestaltung ein.
Es ist unzweifelhaft, dass die im Kartellverfahren ergangenen Beschlüsse – wie überhaupt die im Außerstreitverfahren ergangenen Beschlüsse (RS0007171; RS0107666) – der materiellen Rechtskraft zugänglich sind. Sie entfalten daher Einmaligkeits- und Bindungswirkung (RS0007171 [T13], 16 Ok 3/24p mwN).
Die materielle Rechtskraft bewirkt einerseits, dass eine formell rechtskräftig entschiedene Sache bei Identität des Anspruches nicht neuerlich (anders) entschieden werden darf (Wiederholungsverbot). Andererseits ist die formell rechtskräftig entschiedene Rechtsfeststellung in künftigen Verfahren, in denen sich die im Vorverfahren entschiedene Rechtsfrage als Vorfrage stellt, der dort zu fällenden Entscheidung ohne weitere Prüfung zugrunde zu legen (Bindungswirkung; Deixler-Hübner in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 43 Rz 13).
Die Rechtskraftwirkung setzt die Identität der Parteien, des geltend gemachten Begehrens und des rechtserzeugenden Sachverhalts voraus (RS0108828; RS0041340). Von Identität des Anspruchs, bei dem ein neuer Antrag ausgeschlossen ist, spricht man dann, wenn der Gegenstand des neuerlichen Rechtsschutzantrags und der Gegenstand der schon vorliegenden Entscheidung gleich sind, also sowohl das Begehren inhaltlich dasselbe (oder bloß ein quantitatives Minus) fordert, was bereits rechtskräftig zuerkannt oder aberkannt wurde, als auch die zur Begründung vorgebrachten Tatsachen den festgestellten entsprechen (16 Ok 7/16i mwN). Die materielle Rechtskraft äußert sich als zur Zurückweisung des später gestellten Antrags führende Einmaligkeitswirkung allerdings nur dann, wenn und insoweit die Begehren deckungsgleich (ident) sind (RS0007171 [T11]; 16 Ok 3/24p).
1.4. Dies ist vorliegend nicht der Fall: Das von der Bundeswettbewerbsbehörde erhobene Begehren auf Verhängung einer Geldbuße wegen kartellrechtswidriger Zuwiderhandlungen ist mit dem im Vorverfahren von einem Unternehmer erhobenen (Individual-)Antrag auf Abstellung ebendieser Zuwiderhandlungen nicht ident.
Mag den jeweils erhobenen Begehren auch derselbe rechtserzeugende Sachverhalt zugrunde liegen und aufgrund der Stellung der Bundeswettbewerbsbehörde als Amtspartei (§ 40 KartG) eine Parteienidentität bestehen, so ist die Annahme eines Wiederholungsverbots schon deshalb zu verneinen, weil sich die beiden Rechtsschutzbegehren gänzlich voneinander unterscheiden. Von einer Deckungsgleichheit kann keine Rede sein.
1.5. Zu beachten ist jedoch die Bindungswirkung der Vorentscheidung. Das Ausmaß der Bindungswirkung wird zwar nur durch den Urteilsspruch bestimmt, doch sind die Entscheidungsgründe zur Auslegung und Individualisierung des rechtskräftigen Anspruches heranzuziehen (RS0043259, vgl RS0039843, RS0127052). Die materielle Rechtskraft erstreckt sich damit auf die Tatsachenfeststellungen jedenfalls soweit, als diese zur Individualisierung des Spruchs notwendig sind (RS0043259 T4). Demnach sind, wenn bereits einmal über ein konkretes Rechtsschutzbegehren entschieden wurde, beide Parteien dieses Verfahrens vom Vorbringen neuer anspruchsbegründender beziehungsweise anspruchsvernichtender Tatsachen in einem zweiten Verfahren zum selben Begehren präkludiert, wenn diese Tatsachen schon den im Vorverfahren geltend gemachten Anspruch hätten stützen beziehungsweise abwehren können (RS0039347 T18).
Die Feststellung einer Zuwiderhandlung ist Vorfrage für die Verhängung einer Geldbuße (RS0122739).
2. Weitere Einwendungen der Antragsgegnerin:
Diese sind – soweit sie noch aufrecht sind – allesamt nicht stichhaltig:
Keineswegs wäre die Bundeswettbewerbsbehörde aus systematischen oder grundrechtlichen Überlegungen verpflichtet gewesen, bereits im Vorverfahren einen Geldbußenantrag zu stellen, ebensowenig führte ein Zuwarten mit der Antragstellung nach Vorliegen der (rechtskräftigen) Abstellungsentscheidung zur Präklusion oder Verfristung des Antragsrechts nach § 29 KartG. Derartige gesetzliche Vorgaben, die ein solches früheres Tätigwerden der Bundeswettbewerbsbehörde geboten hätten, sind nicht ersichtlich.
Dass eine Verjährung iSd § 33 KartG nicht eingetreten ist, stellt die Antragsgegnerin (zutreffend) nicht in Frage.
Dass der Bundeswettbewerbsbehörde das Rechtsschutzinteresse fehlen würde, ist ebenso wenig nachvollziehbar wie die Behauptung, es liege eine Verletzung des Grundsatzes von Treu und Glauben bzw des Vertrauensschutzes vor. Der Umstand, dass bislang Geldbußenanträge kaumim Anschluss an einen Abstellungsbeschluss gestellt wurden (vgl aber 16 Ok 3/06, wo einem Geldbußenverfahren ein Abstellungsverfahren vorausging), führt weder zur Unzulässigkeit einer solchen Vorgehensweise noch zu einer Verletzung des Vertrauensschutzes oder einer (unzulässigen) Überraschungsentscheidung. Ein krasses Missverhältnis zwischen den Interessen der Antragstellerin und jenen der Antragsgegnerin besteht nicht.
Schließlich wurden auch keine Verfahrensrechte der Antragsgegnerin verletzt, wurden ihr doch sowohl im Vorverfahren wie auch im vorliegenden Verfahren rechtliches Gehör sowie alle (verfassungs-)rechtlich vorgesehenen Rechtsverteidigungsrechte eingeräumt. Dass – wie dargestellt – die Bindungswirkung einer Vorentscheidung zu beachten ist, vermag keine Verletzung solcher Rechte zu begründen.
3. Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung:
Was die Zuwiderhandlung gegen § 5 KartG betrifft, so genügt es, auf die rechtliche Beurteilung des KOG in 16 Ok 4/20d zu verweisen. Damit wurde – im oben zu Punkt 1.5. dargestellten Umfang - bindend ausgesprochen, dass die Antragsgegnerin durch die – hier wie dort - festgestellten Verhaltensweisen ihre marktbeherrschende Stellung missbraucht hat. Diese Vorfrage ist unzweifelhaft zu bejahen. Die Tatbestandsmäßigkeit iSd § 5 KartG liegt daher vor.
Das Vorliegen eines gemäß § 29 KartG erforderlichen Verschuldens wurde zuletzt von der Antragsgegnerin nicht mehr bestritten. Indem die Antragsgegnerin der Büchl GmbH die vertraglich festgeschriebenen und in der „Kommerziellen Politik“ vorgegebenen Pflichten auferlegt hat, hat sie – zweifellos mit Wissen ihrer Entscheidungsträger – zumindest mit bedingtem Vorsatz (dolus eventualis) gehandelt. Grundsätzlich kann auch ein Verbotsirrtum nicht zur Sanktionsfreiheit führen (vgl betreffend Art 101 AEUV: EuGH in C-681/11 bzw KOG in 16 Ok 4/13).
Es sind somit alle Tatbestandsvoraussetzungen für die Verhängung einer Geldbuße erfüllt.
4. Höhe der Geldbuße:
Gemäß § 29 Abs 1 Z 1 lit a KartG ist bei einem vorsätzlichen oder fahrlässigen Verstoß gegen das Missbrauchsverbot des § 5 KartG eine Geldbuße bis zu einem Höchstbetrag von 10 % des im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes zu verhängen. Darunter ist der weltweite Umsatz des jeweils am Wettbewerbsverstoß beteiligten Unternehmers zu verstehen, wobei die Berechnungsbestimmung des § 22 KartG heranzuziehen ist.
Für die Bemessung der Geldbuße gilt § 30 KartG. Nähere Prüfungen zur Höhe der Geldbuße erübrigen sich allerdings im Hinblick darauf, dass das Kartellgericht nach § 36 Abs 2 letzter Satz KartG keine höhere Geldbuße verhängen darf als beantragt.
Es liegen keine Anhaltspunkte vor, dass die beantragte Geldbuße überhöht wäre. Eine niedrigere Geldbuße als die beantragte Summe kommt angesichts der Schwere und Dauer des Verstoßesaus spezial- und generalpräventiven Erwägungennicht in Betracht, dies zumal die Antragsgegnerin den beantragten Betrag als angemessen bestätigte.“
Ausdruck vom: 04.07.2025 10:27:52 MESZ