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Kategorie:

Kartell

Dienststelle:

OLG Wien (009)

Aktenzeichen:

25 Kt 4/20f


Bekannt gemacht am:

11.01.2021

Entscheidungsdatum:

23.07.2020


Es wird festgestellt, dass die Antragsgegnerin einschließlich ihrer österreichischen Zweigniederlassung im Zeitraum von 2004 bis April 2017 an einer fortgesetzten Zuwiderhandlung gegen Art 101 AEUV und § 1 Abs 1 KartG auf dem österreichischen Markt teilgenommen hat, indem sie mit zahlreichen Händlern in ganz Österreich Vereinbarungen von Fest- und Mindestverkaufspreisen für Musikinstrumente und in Einzelfällen für Audio- und Videoprodukte sowie kommerzielle Audioprodukte getroffen bzw. hierüber Verhaltensweisen abgestimmt hat.

Begründung:

I. Am 29.5.2020 stellte die Bundeswettbewerbsbehörde den Antrag festzustellen, dass die Antragsgegnerin im Zeitraum von 2004 bis April 2017 an einer fortgesetzten Zuwiderhandlung gegen § 1 Abs 1 KartG und Art 101 Abs 1 AEUV teilgenommen hat, indem sie mit zahlreichen Händlern in ganz Österreich Vereinbarungen von Fest- oder Mindestverkaufspreisen für Musikinstrumente und in Einzelfällen für Audio- und Videoprodukte sowie kommerzielle Audioprodukte getroffen habe. Auch das in Deutschland ansässige Unternehmen T. sei an diesen Absprachen beteiligt gewesen.

Durch die von der Antragsgegnerin gesetzten Verhaltensweisen, nämlich die Festsetzung von Fest- oder Mindestpreisniveaus bzw. Fest- oder Mindestverkaufspreisen sei der markeninterne Preiswettbewerb verringert bzw. sogar ausgeschaltet worden.

Die Festsetzung von Fest- und Mindestpreisen sei derart erfolgt, dass die Antragsgegnerin Händler dann zur Anhebung ihrer Verkaufspreise aufgefordert habe, wenn sie Beschwerden von anderen Händlern über zu niedrige Preise der Mitbewerber erhalten habe. Teilweise sei die Preisanpassungsaufforderung von der Antragsgegnerin mit der Androhung gekoppelt worden, nicht mehr von der Antragsgegnerin beliefert zu werden.

Darüberhinaus habe die Antragsgegnerin auch auf eigene Initiative bei Händlern interveniert, um so ein gewisses Preisniveau zu erreichen.

Diese Preiabstimmungsmaßnahmen seien systematisch erfolgt und haben ein Gesamtziel gehabt, nämlich das Preisniveau auf dem Endkundenmarkt zu gestalten bzw. die Preisgestaltung der Händler abzustimmen.

Die BWB habe im vorliegenden Fall gemäß § 11b Abs 1 WettbG von einer Beantragung einer Geldbuße abgesehen, da die Antragsgegnerin am 31.5.2017 bei der BWB einen Marker als Kronzeuge eingebracht, und diesen Antrag am 26.7.2017 vervollständigt habe, und in weiterer Folge durchgehend und umfassend kooperiert habe.

Zum Zeitpunkt der Setzung des Markers habe die Bundeswettbewerbsbehörde nicht über ausreichende Informationen und Beweismittel verfügt, um einen Antrag zur Anordnung eines Hausdurchsuchungsbefehls hinreichend zu begründen. Die von der Antragsgegnerin vorgelegten Informationen und Beweismittel erfüllten die Kriterien des § 11b Abs 1 Z 1 lit a WettbG.

II. Folgender Sachverhalt steht fest:

Der typische Ablauf der kartellrechtswidrigen Verhaltensweisen der Antragsgegnerin, die von 2004 bis April 2017 andauerten, stellte sich wie folgt dar:

Bereits bei der Aushandlung der Einkaufskonditionen mit Händlern wurden sämtliche Preisbestandteile des Einkaufs und des Wiederverkaufs im Detail ausverhandelt.

So lautete beispielsweise das Mail vom 12.9.2012 (Beilage ./K) von Herrn S. von der Antragsgegnerin an den Händler H.:

Servus H.,

Darf ich kurz deine Konditionen offenlegen:

YAS- 82ZB EK 2539,40 -10% Sofortrabatt, -3% Werkstattbonus, -2% Skonto und -3% Umsatzbonus

wenn ich das Skonto raus lasse, wäre es EK netto: 2.150,39

Welche Marge ist dein Wunsch? Nehmen wir 1,5 dann wären es 3.225.--

Beste Grüße

S.

Vor Einführung des sogenannten „Purple Books“ bei der Antragsgegnerin wurde relativ direkt und in nicht verklausulierter Sprache die Preisgestaltung der Wiederverkaufspreise angesprochen. „Referenz-“ oder gewünschter „Street-“ oder Straßenpreis war oft der UVP -15%-16 %.

Im Jahr 2014/15 wurde ein Qualität-Vertriebsleitfaden gleichzeitig mit dem „Purple Book“ eingeführt. Ab diesem Zeitpunkt wurde seitens der Antragstellerin vorsichtiger agiert. Die Preispflegemaßnahmen erfolgten dann meist nur noch mündlich. Es wurde oft von „Qualität“ gesprochen, obwohl Preisthemen gemeint waren. Referenzpreis für Österreich war ab Einführung des „Purple Book“ die Preisliste von Yamaha Music London für Malta. Die Antragsgegnerin teilte den Händlern die unter der Malta-Flagge ersichtlichen Preise als Referenz für den zu erzielenden „Street-Preis“ mit.

Die Händler sind dem in der Regel nachgekommen. Wenn dieser Preis unterschritten wurde, kam es von anderen Händlern zu Beschwerden bei der Antragsgegnerin mit der zum Teil expliziten Aufforderung zur Intervention. Vereinzelt wurde von Händlern angedroht, keine Yamaha-Produkte mehr zu verkaufen, sollte kein angemessenes Preisniveau erreicht werden.

Tatsächlich forderte die Antragsgegnerin in vielen Fällen Händler zur Anhebung ihrer Verkaufspreise auf. Darüberhinaus intervenierte Yamaha auch auf eigene Initiative bei Händlern, um so ein einheitliches Preisniveau zu erreichen. Die Kontaktaufnahme erfolgte größtenteils mündlich (telefonisch oder im Rahmen persönlicher Treffen), zum Teil aber auch über E-Mails, zumeist in verklausulierter Sprache.

Die Beschwerden betrafen nicht nur Händler in Österreich, sondern auch das in Deutschland ansässige Unternehmen T.. Diese Beschwerden wurden häufig an Yamaha-Mitarbeiter in Deutschland weitergegeben, um T. zu kontaktieren. Umgekehrt wurden österreichische Mitarbeiter von deutschen Mitarbeitern angehalten, mit österreichischen Händlern in Kontakt zu treten, um Preise anzupassen. Dies geschah sowohl aufgrund von Eigeninitiative der Antragsgegnerin als auch aufgrund von Beschwerden.

Nach diesen Interventionen erfolgte von den Händlern die Anpassung der Preise auf ein höheres Niveau.

Besonders oft wurden von der Antragsgegnerin Onlinehändler kontaktiert. Diese Händler standen deshalb im Fokus, weil sie auf Suchplattformen wie „Geizhals“ und „Idealo“ präsent sind, und damit ihre Preisgestaltung besonders transparent und leicht überprüfbar war. Teilweise intervenierte die Antragsgenerin Händler zwei- bis dreimal pro Monat, mit der Aufforderung der Einhaltung der Preisdisziplin. Mit Einführung des „Pu< span style="text-decoration: none;">rple Books“ nahm die Häufigkeit der Kontakte ab, da sich die Händler meistens von selbst an der Malta-Liste orientierten.



 

III. Beweiswürdigung:

Die getroffenen Feststellungen beruhen auf den unbedenklichen Urkunden Beil./A bis ./Q, deren Echtheit von der Antragsgegnerin zugestanden wurde, und die in einer unmissverständlichen Deutlichkeit die vertikalen Preisabsprachen und -abstimmungen, die den Zweck verfolgten, auf horizontaler Händlerebene einen einheitlichen Mindestverkaufspreis zu erreichen, dokumentieren. Die eidesstättigen Erklärungen von S., B. und E., deren Richtigkeit von der Antragsgegnerin anerkannt wurde, geben ein klares Bild über die von der Antragsgegnerin gewählten Strategien zur Erreichung von einheitlichen Mindest- und Festpreisen. Die darin enthaltenen Angaben sind insbesondere auch in Zusammenschau mit der vorgelegten Korrespondenz als unbedenklich einzustufen, weshalb das Kartellgericht keinen Zweifel hat, dass die von der BWB in ihrem Antrag aufgestellten Tatsachenbehauptungen, die von der Antragsgegenerin außer Streit gestellt wurden, wahr sind.

Das Kartellgericht konnte daher gem. § 33 AußStrG von weiteren Erhebungen absehen.


 

IV. Rechtliche Beurteilung:

1. Unionsrechtliches Kartellverbot:

  Nach Art 101 AEUV (vormals Art 81 EG) sind mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die geeignet sind, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken, insbesondere (lit a) die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der An- oder Verkaufspreise oder sonstiger Geschäftsbedingungen.

Die Anwendung von Art 101 und 102 AEUV fällt in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten (Art 5 VO [EG] 1/2003).

Beim Kriterium der Zwischenstaatlichkeit handelt es sich um eine Kollisionsnorm, die die Frage beantworten soll, ob es angemessen ist, den Sachverhalt nach Unionsrecht zu beurteilen (16 Ok 10/09 mwN; 16 Ok 2/15b).

Art 101 Abs 1 AEUV erfordert, dass die wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung geeignet ist, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Diese Voraussetzung ist - was schon durch Abstellen auf die „Eignung“ angelegt ist - weit zu verstehen (Zimmer in Immenga/Mestmäcker EU Wettbewerbsrecht5 Art 101 AEUV Rz 196 mwN).

Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass Maßnahmen, deren wettbewerbs-
beschränkende Wirkung sich auf das gesamte Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erstreckt, in der Regel zur Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten geeignet sind, weil sie schon ihrem Wesen nach die Abschottung nationaler Märkte verfestigen und die gewünschte Marktintegration verhindern können. Ein Kartell, das sich auf das gesamte Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erstreckt, hat nämlich schon seinem Wesen nach die Wirkung, die Abschottung der Märkte auf nationaler Ebene zu verfestigen, indem es die in der Europäischen Union angestrebte wirtschaftliche Verflechtung behindert. Daher können auch Maßnahmen von Unternehmen, die sich nur auf den Wettbewerb innerhalb eines einzelnen Mitgliedstaats auswirken, den innergemeinschaftlichen Handel beeinflussen (16 Ok 10/09 mwN, 16 Ok 2/15b).

Im Anlassfall war einerseits das gesamte Hoheitsgebiet Österreichs betroffen, andererseits erstreckten sich die vertikalen einheitlichen Preisabstimmungen über die österreichischen Grenzen hinaus, sodass Art 101 AEUV zur Anwendung gelangt.

2. Gemäß Art 3 VO (EG) Nr. 1/2003 haben die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten auf Vereinbarungen zwischen Unternehmen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die geeignet sind, den zwischenstaatlichen Handel zu beeinträchtigen, Art 101 AEUV parallel zum nationalen Wettbewerbsrecht anzuwenden.

3.1. Preisabsprachen

Kartellrechtswidrige Preisabsprachen können Absprachen über Mindestpreise, Preisintervalle, Preisaufschläge und -abzüge oder die Koordination der Höhe und des Zeitpunkts einer Preissteigerung sein (Schroeder in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union [54. Ergänzungslieferung 2014] Art 101 AEUV Rz 776).

Auch vertikale Preisabsprachen sind offenkundige Wettbewerbsbeschränkungen, weil sie ein hohes Potential negativer Auswirkungen auf den Wettbewerb haben, und zwar nicht zuletzt auf den Wettbewerb zwischen Unternehmen auf Handelsebene (16 Ok 2/15b).

Dem entspricht, dass auch vertikale Preisbindungen („Preisbindungen der zweiten Hand“) in Art 4 lit a) VO 330/2010 (Gruppenfreistellung für Vertikalvereinbarungen) als grundsätzlich unzulässige Kernbeschränkungen eingestuft werden (vgl Kuhn, Die Abgrenzung zwischen bezweckten und bewirkten Wettbewerbsbeschränkungen nach Art 101 AEUV, ZWeR 2014/2, 148).

Die Europäische Kommission legt in ihren Leitlinien für vertikale Vereinbarungen, ABl 2010/C 130/01, ausführlich dar, in welcher Hinsicht vertikale Preisbindungen eine Gefahr für den funktionierenden Wettbewerb bedeuten, und dass vertikale Verkaufspreisabsprachen auch auf indirektem Weg durchgesetzt werden können, zB über Abmachungen über Absatzspannen.

Die weitere Gefahr von vertikalen Preisbindungen besteht in der Begünstigung von Kollusionsergebnissen zwischen Abnehmern, das heißt Unternehmen auf Handelsebene (VLL Rz 224).

Vertikale Preisbindungen sind als Kernbeschränkung vom Rechtsvorteil der gruppenweisen Freistellung ausgeschlossen. Die mit den tatbestandsmäßigen Verhaltensweisen (Vereinbarung, Beschluss, abgestimmtes Verhalten) verbundenen horizontalen oder vertikalen Preisregulierungen sind als „bezweckte“ Wettbewerbsbeschränkung anzusehen, sodass es auf weitere Umsetzungshandlungen und Marktauswirkungen nicht mehr ankommt (Stockenhuber in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union [54. Ergänzungslieferung 2014] Art 101 AEUV Rz 179).

3.2. Sternverträge:

  Eine besondere Form der Vereinbarungen sind sogenannte Sternverträge („hub and spoke“), die nicht durch Vertrag zwischen den Beteiligten, sondern durch eine Mehrzahl von Vereinbarungen der Beteiligten mit einem identischen Partner abgeschlossen werden. Bei Sternverträgen ist nicht problematisch, ob überhaupt eine Vereinbarung getroffen wurde, denn zwischen dem Partner und den einzelnen Beteiligten wurden offensichtlich Vereinbarungen geschlossen (16 Ok 2/15b).

Fraglich ist vielmehr, ob durch das Bündel koordinierter Vertikalverträge eine (horizontale) Vereinbarung zwischen den Beteiligten bewirkt wurde (Langen/Bunte I12 § 1 GWB Rz 81 mwN).

Der Hauptzweck der Vertikalverträge muss dabei nicht in der horizontalen Abstimmung liegen; es reicht bereits aus, wenn die Vertikalverträge so gestaltet sind, dass man das vertikale Vertragsverhältnis gar nicht eingehen kann, ohne einer horizontal wirkenden Abstimmung zuzustimmen (Langen/Bunte, Kartellrecht I12, § 1 GWB Rz 82 aE).

Auch zu Art 101 Abs 1 AEUV ist anerkannt, dass ein „Bündel“ vertikaler Vereinbarungen einen vertraglichen Rahmen schaffen kann, der eine horizontale Vereinbarung darstellt (Langen/Bunte I12 § 1 GWB Rz 83; 16 Ok 2/15b).

4. Im Anlassfall wurden die vertikalen Preisabstimmungsmaßnahmen im Sinne der „hub-and-spoke“ Methode dadurch verstärkt, dass die Antragsgegnerin auf horizontaler Händlerebene Mindestverkaufspreise vorgab und koordinierte und die Händler im Wissen über die horizontale Vereinheitlichung des Preisniveaus bei dem von der Antragsgegnerin dafür geschaffenen Überwachungssystem eingebunden waren und mitwirkten, sodass ein bezwecktes, verschiedene Richtungen berührendes Hardcore-Sternkartell vorlag.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.


Ausdruck vom: 27.07.2024 16:41:33 MESZ