Veröffentlichung gemäß § 37 Kartellgesetz
Entscheidung des Kartellgerichts
Kartell
127 Kt 1/22t
Bundeswettbewerbsbehörde
Norer Tischlereigesellschaft mbH
Bau- und Möbeltischlerei
Preisabsprachen
Marktaufteilungen
Informationsaustausch
Vergabeverfahren
Ausschreibung
11.10.2022
12.05.2022
„Über die Antragsgegnerin wird eine Geldbuße in Höhe von EUR 69.000,‑‑ wegen der Beteiligung an einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung gegen § 1 Abs 1 KartG in Form von kartellrechtswidrigen Preisabsprachen, Marktaufteilungen und Informationsaustausch mit Wettbewerbern, insbesondere durch die Einigung über den Zuschlagsempfänger und die daran anschließende Abgabe von Deckangeboten, und zwar in Bezug auf Ausschreibungen im Bereich Bau‑ und Möbeltischlereiarbeiten in Niederösterreich, Wien und Tirol im Zeitraum von Dezember 2013 bis zumindest September 2019, verhängt.
Begründung:
Die Bundeswettbewerbsbehörde beantragte die Verhängung einer Geldbuße wie aus dem Spruch ersichtlich.
Der Bundeskartellanwalt schloss sich diesem Antrag an.
Die Antragsgegnerin trat dem Antrag und dem Vorbringen der Bundeswettbewerbsbehörde nicht entgegen.
Angesichts des Akteninhalts bestehen gegen diese Außerstreitstellungen keine Bedenken, weshalb von weiteren Erhebungen Abstand zu nehmen war (§ 33 Abs 1 AußStrG iVm § 38 KartG).
Demnach steht folgender Sachverhalt fest:
Die Antragsgegnerin bietet Dienstleistungen im Bereich Bau- und Möbeltischlerei an und ist insbesondere auf die Ausstattung von Apotheken, Arztpraxen, aber auch Hotels und Restaurants spezialisiert. Im Jahr 2018 belief sich ihr Umsatz auf EUR 4.527.979,58, im Jahr 2021 auf EUR 4.112.620,‑‑.
Mehrheitsgesellschafter und einziger Geschäftsführer der Antragsgegnerin ist *****, der darüber hinaus alleiniger Gesellschafter der Messe- und Ausstellungsbau GmbH (FN 200284k) ist, die wiederum alleinige Gesellschafterin der Holzmanufaktur und Vitrinenbau Auer GmbH (FN 440347w) ist. Die Antragsgegnerin hält 99,8% der Anteile an der W. Norer Gesellschaft m.b.H. (FN 42677k), deren einziger Geschäftsführer ebenfalls ***** ist, und deren Geschäftsbereich im Wesentlichen im Bereich der Immobilienverwaltung liegt.
Diese „Auer-Gruppe“ erzielte im Jahr 2018 einen Gesamt-Umsatz von EUR 10.779.038, im Jahr 2021 von EUR 8.281.333,‑‑.
Von Dezember 2013 bis zumindest September 2019 kam es in Tirol, Niederösterreich und Wien zwischen der Antragsgegnerin und zumindest acht Mitbewerbern zu Absprachen im Zusammenhang mit Bau- und Möbeltischlerarbeiten, die von kleineren Projekten (ab rund EUR 7.000,--) bis hin zu umfangreicheren Projekten (in Höhe von rund EUR 300.000,--) reichten.
Die typische Vorgehensweise war dabei, dass jenes Unternehmen, das von einer bevorstehenden Ausschreibung (in der Regel beschränkte Ausschreibungen) erfuhr, weitere Unternehmen informierte, von denen es annahm, dass diese an einer Angebotslegung interessiert sein könnten oder die häufig vom jeweiligen Auftraggeber eingeladen wurden. Im Zuge von zumeist bilateralen Kontakten einigten sich die Unternehmen, wer den Zuschlag erhalten sollte. Das dafür ausgewählte Unternehmen forderte die übrigen eingeladenen Unternehmen zur Legung von Deckangeboten auf. Dazu wurden entweder fertig ausgefüllte Angebote an die Mitbewerber versendet oder vorab kalkulierte Preislisten übermittelt, die von den weiteren beteiligten Unternehmen, welche Deckangebote legen sollten, selbst in ein Angebot eingefügt wurden. Die Preise für die Deckangebote wurden dabei so kalkuliert, dass sie über den Preisen im Angebot des Unternehmens lagen, welches den Zuschlag erhalten sollte. Durch die Abgabe des höheren Deckangebots der Mitbewerber wurde jenem Unternehmen, welches den Zuschlag erhalten wollte, vor allem in Verfahren nach dem Billigstbieterprinzip zur Auftragserteilung verholfen. Die Antragsgegnerin war an dieser Vorgangsweise sowohl aktiv als auch passiv beteiligt.
So wurden Ausschreibungsverfahren, deren eigentlicher Zweck darin liegt, faire und transparente Wettbewerbsbedingungen zu schaffen, von der Antragsgegnerin und ihren Mitbewerbern dazu genutzt, um Angebote abzugeben, die gerade nicht im Wettbewerb, sondern durch Absprachen zustande gekommen sind. Die Handlungen der Antragsgegnerin und ihrer Mitbewerber waren gekennzeichnet durch eine beträchtliche Anzahl der betroffenen Projekte, die Dauer von sechs Jahren und die Selbstverständlichkeit, mit der es regelmäßig zu Absprachen zwischen der Antragsgegnerin und den zumindest acht weiteren beteiligten Unternehmen kam.
Die davon betroffenen Projekte im Bereich Bau- und Möbeltischlerarbeiten beziehen sich sowohl auf Ausschreibungen öffentlicher Auftraggeber (insbesondere im Gesundheitsbereich), als auch auf private Ausschreibungen. Unabhängig vom konkreten Auftraggeber bestand zwischen den beteiligten Unternehmen ein Verständnis, sich vor der Angebotsabgabe für ein Projekt wechselseitig über das jeweilige Angebotsverhalten abzustimmen bzw informieren zu können.
Derartige Absprachen erfolgten zum Beispiel bei folgenden Projekten:
Die damalige WGKK (nunmehr: Österreichische Gesundheitskasse) hatte im Jahr 2016 Möbeltischlerarbeiten zum Umbau der Endoskopie des Gesundheitszentrums Wien Mariahilf ausgeschrieben. Die Angebotsfrist endete im November 2016. Am 07.10.2016 sendete *****, Prokurist der Antragsgegnerin, E-Mails an die Mitbewerberinnen ***** und *****, in denen er zur Unterfertigung und Rücksendung eines angeschlossenen Deckangebots aufforderte. In einer dieser E-Mails wurde auf eine bereits erfolgte mündliche Absprache verwiesen. Die den E-Mails angehängten PDF-Dateien enthielten jeweils ein ausgefülltes Leistungsverzeichnis zum Projekt GZ Mariahilf-Umbau Endoskopie/5. OG. Die Angebotssumme dieser Leistungsverzeichnisse lag dabei jeweils über jener, die von der Antragsgegnerin schlussendlich abgegeben wurde. Die Antragsgegnerin erhielt letztlich den Zuschlag zu diesem Projekt.
Beim Projekt Dermatologie im Gesundheitszentrum in der Strohgasse 3, 1030 Wien, welches ebenfalls durch die WGKK ausgeschrieben wurde, gab es im Jahr 2014 eine Vereinbarung mit dem Mitbewerber *****, wonach dieser ein Deckangebot für die Antragsgegnerin legen sollte, um ihr zur Auftragserteilung zu verhelfen. Dabei hat die Antragsgegnerin die Kalkulation selbst übernommen, der Mitbewerber musste lediglich seine Unterschrift setzen und das Leistungsverzeichnis an die zuständige Stelle schicken. In diese Vereinbarung waren seitens der Antragsgegnerin der Prokurist ***** und der Geschäftsführer ***** eingebunden.
Durch die Unibail-Rodamco Invest GmbH wurden für die Shopping City Süd (SCS) in Vösendorf im Jahr 2017 Tischlereiarbeiten bezüglich einer MUX-Platzgestaltung ausgeschrieben. Neben der Antragsgegnerin wurden zumindest auch die Mitbewerber *****, ***** und ***** eingeladen. Dabei forderte der Mitbewerber ***** den Prokuristen der Antragsgegnerin ***** durch Übermittlung von vorkalkulierten Leistungspositionen am 23.02.2017 zur Legung eines Deckangebots auf, um dem Mitbewerber ***** zur Auftragserteilung zu verhelfen.
Zu einer großteils gleichartig gelagerten Abstimmungspraxis wie bei den vorgenannten Projekten kam es, unter unmittelbarer Beteiligung der Antragsgegnerin, weiters bei folgenden Projekten: „Donauzentrum Tischlerarbeiten BT 1-9 TFE“ (18.12.2017), „Donauzentrum - Neugestaltung Büro UR Büromöblierung und Tischlerarbeiten Infopult“ (31.1.2018), „Donauzentrum – Umbau Babylounge, diverse BT – Tischlerarbeiten“ (12.07.2018), „WGKK - HNO Ambulanz GZ 3 Wien Mitte“ (03.12.2013), „Donauzentrum – Family Entertainment 2“ (26.01.2017), „KC 10 Sondermöblierung“ (19.09.2019), „KBG Kagran-Sondermöblierung“ (19.09.2019), „GZ Nord Herzambulanz“ (19.06.2019), „GZ Nord Urologie 3.OG“ (12.11.2018), „GZ Mariahilf Umbau Lungenambulanz“ (12.07.2018), „ZGZ Mariahilf Adaptierung Kiefer“ (03.05.2018), „ZGZ Mariahilf Adaptierung Kiefer Bauti.“ (28.12.2017), „GZ Wien Nord Umbau Labor EG“ (22.06.2017), „Haus der Senioren“ (22.06.2017), „GZ Nord Umbau Kinderambulanz“ (19.09.2016), „ZGZ Mariahilf Umbau Kiefer Möbeltischler“ (06.12.2016), „ZGZ Mariahilf Umbau Kiefer Bautischler“ (10.10.2016), „GZ Mariahilf Zi. 317/318“ (17.08.2016), „Haus St. Josef Ost und Nord Essenausgabe“ (08.08.2016), „Feuerwehrhaus Kematen“ (11.08.2016), „GZ Nord Halbstock West UG + Verwaltung EG ins UG“ (14.06.2016), „ZGZ 17 Mundhygiene und Ord.1“ (27.07.2015), „KIGA West“ (20.07.2015), „GZ 3 Urologie“ (01.06.2015), „Case Managment Büro Kagran“ (11.05.2015), „KC Kagran Kücheneinrichtung Sozialraum +“ (28.04.2015), „KC Kagran Möbel“ (30.04.2015), „KC Breitensee Möbeltischler + zusätzliche Optionen“ (15.12.2014), „GZ Mariahilf Urologie“ (10.06.2014), „ZGZ Mariahilf Büro + Zi 320, 321“ (11.04.2014), „KC Favoriten Sozialküche“ (17.09.2019), „KBG Kagran Sozialküche“ (17.09.2019), „Nord Empfang Warteraum“ (12.06.2019), „Infopult Corian“ (07.03.2017), „Sanatorium Hera Schalter Präanästhesie“ (04.05.2016), „Sanatorium Hera Elektroverteiler“ (11.12.2015), „Sanatorium Hera Beh. 3 + 4“ (13.10.2014) und „Sanatorium Hera Ärztliche Direktion“ (12.02.2014).
Auch in diesen Fällen übermittelte die Antragsgegnerin Angebotskalkulationen für Mitbewerber, auf deren Basis Deckangebote bei den ausschreibenden Stellen abgegeben wurden, oder sie gab umgekehrt von Mitbewerbern vorab kalkulierte und an sie übermittelte Deckangebote ab, um diesen wiederum zur Zuschlagserteilung zu verhelfen. Die Umsetzung dieser Absprachen war allerdings nicht in allen dieser Fälle (im Sinne der Auftragserteilung an die Antragsgegnerin oder einen an der Absprache teilnehmenden Mitbewerber) erfolgreich.
Rechtlich folgt:
Nach § 1 Abs 1 KartG sind Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmervereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen verboten, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken (Kartellverbot).
Der Begriff „Vereinbarung“ ist weit auszulegen: Eine Vereinbarung liegt bereits vor, wenn die Parteien ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck gebracht haben, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten, mag die Willensübereinstimmung ausdrücklich oder konkludent, schriftlich oder formlos zustande gekommen sein (RS0124670).
Eine derartige Willensübereinstimmung der Antragsgegnerin mit ihren Mitbewerbern über die Regelung des Marktverhaltens im Zusammenhang mit Ausschreibungen ist dem festgestellten Sachverhalt eindeutig zu entnehmen. Sie beruhte auf einem Gesamtsystem mit dem Grundverständnis, sich bei Ausschreibungen unterschiedlicher Art gegenseitig zu unterstützen, indem Deckangebote gelegt wurden, um den beteiligten Unternehmen zur Zuschlagserteilung zu verhelfen. Die festgestellten Verhaltensweisen sind daher als eine einheitliche und fortgesetze Zuwiderhandlung zu qualifizieren (16 Ok 5/08; RS0130390).
Als Kernbeschränkungen handelt es sich bei den gegenständlichen Preis- und Marktaufteilungsabsprachen um bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen (RS0120917), deren tatsächlichen Auswirkungen auf den Markt nicht zu prüfen sind (16 Ok 51/05).
Eine Ausnahme nach § 2 KartG wurde nicht behauptet und ist auch nicht ersichtlich.
Aus der festgestellten Absicht, den Wettbewerb bei den Ausschreibungen zu beschränken, folgt auch das Verschulden der für die Antragsgegnerin handelnden Entscheidungsträger.
Bei der Bemessung der Höhe der Geldbuße iSd § 30 KartG wurden insbesondere der von der Auer-Gruppe im Jahr 2018 erzielte Gesamtumsatz iHv EUR 10.779.038,‑‑ sowie der Umsatz der Antragsgegnerin im Jahr 2018 iHv EUR 4.527.979,58, die regionale und zeitliche Ausprägung der Gesamtzuwiderhandlung, die Schwere der Zuwiderhandlung (Kernbeschränkung), das Verschulden der Antragsgegnerin sowie die Dauer des Verstoßes von sechs Jahren berücksichtigt. Ebenfalls in die Bemessung eingeflossen sind die wirtschaftliche Situation der Antragsgegnerin, die in den letzten beiden Geschäftsjahren Verluste erzielte, sowie die Anstrengungen zur zukünftigen Vermeidung kartellrechtswidriger Handlungen durch die Einführung von regelmäßigen Compliance-Schulungen (beginnend mit Dezember 2019).
Aufgrund der umfangreichen Kooperation der Antragsgegnerin mit der Bundeswettbewerbsbehörde iSd § 11b WettbG wurde von dieser eine um 50 %, angesichts der einvernehmlichen Verfahrensbeendigung (samt Anerkenntnis, Außerstreitstellung des Sachverhalts und dadurch deutlich reduziertem Verfahrensaufwand) nochmals um 20 % geminderte Geldbuße beantragt.
Unter Berücksichtigung der genannten Faktoren ist die beantragte und von der Antragsgegnerin akzeptierte Geldbuße iHv EUR 69.000,- angemessen und aus general- und spezialpräventiven Erwägungen nicht überhöht. Die Geldbußenobergrenze des § 29 KartG ist nicht überschritten.“