Veröffentlichung gemäß § 37 Kartellgesetz
Entscheidung des Kartellgerichts
Kategorie:
Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung
Aktenzeichen:
24 Kt 1/23m
Fall:
DMC Digital Maut Consulting GmbH
Google Ireland Ltd
Google Austria GmbH
ebenso 24 Kt 2/23 h
digitale Vignette
internationale Zuständigkeit
einstweilige Verfügung
Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung
Geschäftsabbruch
Lieferverweigerung
Gatekeeper
Bekannt gemacht am:
06.11.2023
Entscheidungsdatum:
24.07.2023
B e s c h l u s s
I. Das Kartellgericht ist für den Abstellungsantrag und den Antrag auf Erlassung der einstweiligen Verfügung gegen die Erstantragsgegnerin international unzuständig.
II. Der Abstellungsantrag gegen die Antragsgegnerinnen, das Kartellgericht möge den Antragsgegnerinnen zur Abstellung des Missbrauchs ihrer marktbeherrschenden Stellung gemäß § 26 KartG auftragen, - es zu unterlassen, die Antragstellerin bei der Schaltung suchbezogener Online-Werbung für die Vermittlung digitaler Mautprodukte zu behindern, insbesondere durch Verweigerung der Schaltung solcher Online-Werbung über ihre Google Ads-Konten
- Digitale-Vignette-Online.AT – 799-997-0350
- Digitale-Vignette-Online.CZ – 781-090-5895
- Digitale-Vignette-Online.SI – 673-396-2966
- Digitale-Vignette-Online.RO – 898-179-7533
- Digitale-Vignette-Online.HU – 993-268-5198
und/oder Verhängung des Status „abgelehnt“ und der gleichlautende Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung für die Dauer bis zur Rechtskraft des Beschlusses über den Abstellungsantrag werden,
1. gegen die Erstantragsgegnerin zurückgewiesen.
2. gegen die Zweitantragsgegnerin abgewiesen.
B e g r ü n d u n g :
Die Antragstellerin beantragte wie aus dem Spruch ersichtlich. Sie habe seit 4.1.2022 über den von den Antragsgegnerinnen angebotenen Online-Werbungsdienst „Google Ads“ Werbung geschaltet. Seit 5.12.2022 seien ihre Anzeigen vollständig oder teilweise (namentlich in Österreich) ohne Vorankündigung blockiert. Die Dienstleistungen der Antragstellerin werden ausschließlich online angeboten. Sie vermittle online Vignetten unter anderem für Österreich, Tschechien, Ungarn, Slowenien, Rumänien. Sie biete den Kunden die Registrierung des Fahrzeuges bei den offiziellen Stellen in den jeweiligen Ländern an, entrichte die Mautgebühr und übersende den Kunden online die Bestätigung für die Vignette. Für ihre Leistungen verlange sie ein Serviceentgelt. Die Antragstellerin könne als Unternehmerin eine Registrierung der online Vignette mit sofortiger Wirkung vornehmen, während bei Online-Käufen von Verbrauchern eine Wartefrist von 18 Tagen nach dem FAGG einzuhalten wäre, bis die Vignette gültig sei. Die Antragstellerin könne nur über Google Ads effektiv und zielgerichtet Werbung für ihren Vermittlungsdienst schalten. Es bestehe ein klares Abhängigkeitsverhältnis zu den Antragsgegnerinnen.
Sie erleide durch den Geschäftsabbruch einen Gewinnrückgang von etwa EUR xxx monatlich. Für die tschechische Website Digitale-Vignette-Online.CZ sei aufgrund der Blockade die Anzahl der Bestellungen um 89% am Folgetag und in den Folgetagen um 80% und 87% im Vergleich zu den Tagen der Vorwoche eingebrochen. Für die slowenische Website Digitale-Vignette-Online.SI sei am Dienstag aufgrund der Blockade ein Rückgang um 48% und an den beiden Folgetagen jeweils um 76% feststellbar gewesen. Alleine bei diesen beiden Websites ergäbe sich ein Gewinnrückgang von durchschnittlich über EUR xxx pro Tag.
Insgesamt stammten rund 50% der bei der Antragstellerin jemals abgeschlossenen Bestellungen von Kunden mit österreichischen oder deutschen Kennzeichen. Vor der Sperre von Google Ads habe die Antragstellerin ihren Umsatz mit digitalen Mautprodukten überwiegend, daher zu 50% mit dem Vertrieb von in Österreich verwertbaren Leistungen, das heißt digitalen Mautprodukten der ASFINAG erzielt.
Die Erstantragsgegnerin rechtfertige die Blockade mit ihrer Werberichtlinie „andere eingeschränkt zulässige Unternehmen“. Diese Richtlinie verbiete Werbung für Dokumente oder Dienstleistungen, die auch direkt bei einer Behörde oder einem staatlich betrauten Unternehmen erhältlich seien. Die Richtlinie sei auf die Antragstellerin, die ein zulässiges Geschäftsmodell betreibe, nicht
anwendbar (16 Ok 1/21i).
Die Antragsgegnerinnen verfügen über eine absolute bzw. relativ marktbeherrschende Stellung auf dem suchgebundenen Online-Werbemarkt gemäß § 4 Abs 1 KartG, Art 102 AEUV, § 18 Abs 1 dGWB. Alleine in Deutschland habe Google mit 80% eine beherrschende Stellung auf dem Markt für allgemeine Suchdienste und sei der wesentliche Anbieter für suchgebundene Werbung. Durch das abrupte und inhaltlich nicht begründete Abbrechen einer bestehenden Geschäftsbeziehung missbrauchten die Antragsgegnerinnen ihre marktbeherrschende Stellung im Sinne der §§ 19 dGWB, 5 KartG, Art 102 AEUV. Die Antragstellerin habe die Erstantragsgegnerin erfolglos in deutscher Sprache abgemahnt. Die Erstantragsgegnerin habe ihr Angebot auch auf Deutschland ausgerichtet, kommuniziere mit den Kunden wie der Antragstellerin in deutscher Sprache und verfüge über eine Rechtsabteilung in Deutschland. Sie stelle die Rechnungen an die Antragstellerin in deutscher Sprache.
Die Antragstellerin brachte darüber hinaus zur Zuständigkeit vor:
1. Das Kartellgericht sei gemäß § 24 Abs 2 KartG international zuständig. Die Verhaltensweise der Antragsgegnerinnen wirke sich im gesamten EWR, darunter auch konkret in Österreich aus. Es sei der Antragstellerin wesentlich erschwert, Verträge mit Kunden auf dem nachgelagerten Markt, dem Vertrieb von online-Vignetten, so auch in Österreich abzuschließen. Die EuGVVO sei auf das österreichische Kartellverfahren nicht anwendbar.
2. Die Antragstellerin stehe mit der Zweitantragsgegnerin in keinem Vertragsverhältnis. Aus diesem Grund sei eine vertraglich vereinbarte Gerichtsstandsklausel auf sie nicht anwendbar. Der Abschluss der Gerichtsstandsvereinbarung mit der Erstantragsgegnerin werde bestritten. Die Nutzungsbedingungen seien zum Vertragsabschlusszeitpunkt nicht abrufbar gewesen. Welche AGB auf die Antragstellerin anwendbar seien, sei nicht transparent dargestellt.
Die Gerichtsstandsklausel erfasse Ansprüche nach Artikel 102 AEUV und § 5 KartG nicht. Die Erstantragsgegnerin habe den Vertrag beendet. Eine allfällige Gerichtsstandsvereinbarung habe somit ihre Gültigkeit verloren.
3. Für die Antragsgegnerinnen bestehe in Österreich ein Verletzungsgerichtsstand nach Artikel 7 Nr. 2 EuGVVO.
4. Eine Einschränkung des Antrages auf Erlassung der einstweiligen Verfügung sowie des Abstellungsantrages auf Österreich werde nicht vorgenommen. Die Antragstellerin gehe davon aus, dass Österreich für die anderen Märkte EWR-weit zuständig sei. Die Zuständigkeit hinsichtlich der Erlassung der einstweiligen Verfügung beruhe auf Art 35 EuGVVO iVm Art. 7 Nr. 2 EuGVVO, §§ 38, 48 KartG. Eine Vorwegnahme des Hauptverfahrens durch den Erlass der einstweiligen Verfügung sei nicht zu befürchten. Die Antragstellerin beantrage den Abschluss eines Werbevertrages. Sie sei bereit, als vertragliche Gegenleistung ein Entgelt zu zahlen. Eine ungerechtfertigte Bereicherung der Antragstellerin liege im Fall der Erlassung der einstweiligen Verfügung nicht vor.
5. Die Zweitantragsgegnerin habe ihren allgemeinen Gerichtsstand in Österreich. Sie biete für Google Ads Online-Marketing für den österreichischen Markt an. Die Erstantragsgegnerin sei ihre Streitgenossin gemäß Art. 8 Abs 1 EuGVVO. Es bestehe eine offensichtliche Konnexität zwischen den Handlungen beider Antragsgegnerinnen.
Die Antragsgegnerinnen bestritten den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung. Ihre Werberichtlinie schütze Verbraucher vor Irreführung und folge dabei einem typisierenden Ansatz. Alle Anzeigen für den Weiterverkauf von digitalen Autobahnvignetten bzw. deren Vermittlung durch Private seien von der Google Ads Werbung ausgenommen. Die jeweiligen Websites der Antragstellerin seien organisch abrufbar, nur (die zusätzliche) Bewerbung werde verweigert.
Sie wendeten die internationale Unzuständigkeit des Kartellgerichtes und die mangelnde Passivlegitimation der
Zweitantragsgegnerin ein.
1. § 24 Abs 2 KartG sei eine materiellrechtliche Kollisionsnorm.
Die EuGVVO sei auf kartellrechtliche Abstellungsanträge zwischen Unternehmen anwendbar.
2. Die Gerichtsstandsvereinbarung sei zum Vertragsabschlusszeitpunkt abrufbar gewesen. Die zwischen der Erstantragsgegnerin und der Antragstellerin vereinbarten und auf sie anwendbaren Nutzungsbedingungen sehen als ausschließlichen Gerichtsstand Hamburg vor. Sobald man die richtige Rechnungsadresse (Deutschland) eingebe, scheinen exakt die Nutzungsbedingungen auf, die auf die Antragstellerin zur Anwendung kommen. Die AGB und die Gerichtsstandsvereinbarung seien transparent dargestellt. Die Gerichtsstandsvereinbarung sei für die Antragstellerin nicht nachteilig. Die Erstantragsgegnerin ermögliche dem deutschen Unternehmen einen Gerichtsstand in ihrem Sitzstaat.
3. Es bestehe kein Gerichtsstand nach Art 7 Nr. 2 EuGVVO in Österreich. Die Antragstellerin habe in Österreich keinen zu lokalisierenden Schaden erlitten. Der Vermögensschaden der Antragstellerin sei in Deutschland eingetreten. Die Antragstellerin werfe der in Irland niedergelassenen Erstantragsgegnerin Geschäftsverweigerung vor. Es fehle an einem ausreichenden Bezug zu Österreich. Die Anrufung des österreichischen Gerichtes durch eine deutsche Antragstellerin gegen eine irische Erstantragsgegnerin erfolge offensichtlich, um die nicht erfolgversprechende Rechtsprechung deutscher Kartellgerichte zu „umgehen“. Da eine Abgrenzung im Internet nicht möglich sei, sei jenes Gericht zuständig, das über den gesamten Schaden urteilen könne und der Staat, in dem der Kläger den Mittelpunkt seiner Interessen habe.
4. Durch die Erlassung der einstweiligen Verfügung erfolge eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache. Die Antragstellerin schränke ihre Unterlassungsansprüche nicht auf Österreich ein.
5. Art. 8 Z 1 EuGVVO komme nicht zur Anwendung. Zwischen der Antragstellerin und der Zweitantragsgegnerin bestehe keine Vertragsbeziehung. Es gebe keine Anknüpfungspunkte zwischen der Zweitantragsgegnerin und der Antragstellerin. Sie werde weder durch Mitarbeiter der Zweitantragsgegnerin betreut noch habe die Zweitantragsgegnerin auf die Vertragsbeziehung und die Schaltung bzw. Blockade der Werbung einen Einfluss. Die Zweitantragsgegnerin sei keine Tochter der Erstantragsgegnerin.
6. Die Zweitantragsgegnerin sei für die geltend gemachten Ansprüche nicht passiv legitimiert.
Aufgrund der vorgelegten Urkunden und des Augenscheins vom 29.6.2023 steht fest:
Die Antragstellerin hat ihren Sitz in Deutschland und betreibt einen Online-Vermittlungsdienst für die Registrierung digitaler Vignetten im Mautsystem verschiedener EU-Mitgliedsstaaten. Als Unternehmerin ist es ihr möglich, bei den offiziellen Mautanbietern in den jeweiligen Mitgliedstaaten online Vignetten mit sofortiger Wirkung zu erwerben und die Registrierung der Kennzeichen ihrer Kunden für diese sofort gültigen Vignetten vorzunehmen, auch wenn die Kunden Verbraucher sind. Die Onlineshops der Antragstellerin sind über folgende URLs zu erreichen:
https://digitale-vignette-online.at
https://digitale-vignette-online.cz
https://digitale-vignette-online.si
https://digitale-vignette-online-ro
https://digitale-vignette-online.hu
Bei der Antragstellerin handelt es sich nicht um einen offiziellen Vertriebspartner der jeweiligen Vertriebsstellen, sondern um eine von diesen unabhängige Dienstleistungsanbieterin.
Die Erstantragsgegnerin bietet die Schaltung von suchbezogener Online-Werbung über „Google Ads“ in der EU an und ist alleiniger Vertragspartner der Werbekunden von Google Ads. Die Erstantragsgegnerin ist eine Tochtergesellschaft der Google Inc. Mit Sitz in Irland.
Die Zweitantragsgegnerin ist eine in Österreich eingetragene Tochtergesellschaft der Google International & LLC mit Sitz in Wien.
Die Zweitantragsgegnerin ist nicht Diensteanbieterin des Google Ads Programms. Die Zweitantragsgegnerin hat auf einen Vertragsabschluss und auf die Schaltung von Google Ads keinen Einfluss. Sie hat mit der Blockade durch die Erstantragsgegnerin nichts zu tun und kann sie nicht beseitigen.
Die Schaltung von Werbung setzt den Abschluss eines Vertrages zur Nutzung des Werbeprogramms „Google Ads“ mit der Erstantragsgegnerin voraus. Die Vertragsbedingungen werden in den Nutzungsbedingungen der Erstantragsgegnerin geregelt (Ads-Nutzungsbedingungen). Diese Nutzungsbedingungen sind von allen Nutzern des Google Ads Programms bei der Kontoeinrichtung zu akzeptieren. Auf der unter https://payments.google.com/paymentsinfofinder abrufbaren Webseite muss der Werbekunde das ihn betreffende Produkt (Google Ads), das Land der Rechnungsadresse (im Falle der Antragstellerin: Deutschland) und die Währung (im Falle der Antragstellerin: Euro) und den Verwendungszweck (im Falle der Antragstellerin: Geschäftskonto) auswählen. Unmittelbar danach werden die auf das jeweilige Vertragsverhältnis anwendbaren Nutzungsbedingungen im Volltext automatisch angezeigt und sind von den Kunden für die weitere Google-Ads Kontoeinrichtung als vereinbart zu akzeptieren. In diesen, auf den Vertrag zwischen der Antragstellerin und der Erstantragsgegnerin anwendbaren Nutzungsbedingungen wird Hamburg als ausschließlicher Gerichtsstand vereinbart.
Die auf den Vertrag mit der Antragstellerin anwendbaren Ads-Nutzungsbedingungen enthalten folgende Bestimmung:
„2. Richtlinien:“
Die Nutzung der Programme unterliegt der jeweiligen aktuellen Fassung der anwendbaren Google-Richtlinien, die unter Google.com/ads/policies abgerufen werden können sowie allen anderen Richtlinien (einschließlich Richtlinien von Partnern) die dem Kunden von Google bereitgestellt werden, sowie (soweit anwendbar) der auf Privacy.google.com/Businesses/userconsentpolicy verfügbaren Google-EU-Einwilligungsrichtlinie in der jeweils aktuellsten Fassung. Bei diesen in Z 2 der Ads-Nutzungsbedingungen genannten Google-Richtlinien handelt es sich auch um die Werberichtlinien des Google Ads Programms, die auf der in den Ads-Nutzungsbedingungen verlinkten Internetseite abrufbar sind.
Teil der Ads-Richtlinien ist die Richtlinie „andere eingeschränkt zulässige Unternehmen“. In dieser heißt es:
Auf Grundlage unserer laufenden Überprüfungen und des Feedbacks von Nutzern, Aufsichtsbehörden und Verbraucherschutzorganisationen ermitteln wir gelegentlich Produkte oder Dienstleistungen bei denen ein hohes Missbrauchsrisiko besteht. Wenn bestimmte Arten von Unternehmen unserer Ansicht nach ein unzumutbares Risiko für die Sicherheit der Nutzer und die Nutzererfahrung darstellen, schränken oder stellen wir die Auslieferung entsprechender Anzeigen unter Umständen ein.
Ein Abschnitt der Richtlinie andere eingeschränkt zulässige Unternehmen betrifft „offizielle/staatliche Dokumente und Dienstleistungen“. Die in diesem Abschnitt enthaltenen Regeln werden als „OSDD-Richtlinien“ bezeichnet.
Die OSDD-Richtlinie verbietet insbesondere: „Werbung für die Unterstützung bei der Beantragung oder Bezahlung hoheitlicher Dienstleistungen, wenn diese auch direkt bei einer Behörde oder einem staatlich beauftragten Unternehmen erhältlich sind“.
In der OSDD-Richtlinie werden jeweils beispielhafte konkrete Anwendungsfälle aufgeführt, wobei „Unterstützung bei der Bezahlung von Gebühren für den Individualverkehr wie Brückenmaut oder City-Maut“ explizit genannt werden. Staatlich beauftragte Unternehmen werden definiert als Unternehmen, die vom ursprünglichen Anbieter (dem Staat oder der Behörde) offiziell dazu ermächtigt oder ernannt wurden, bestimmte Produkte oder Dienstleistungen anstelle und im Namen der Behörde/des Staates anzubieten bzw. zu erbringen.
Die Antragstellerin schaltete seit 4.1.2022 für ihre Dienste über den von der Erstantragsgegnerin angebotenen Online-Werbungsdienst Google Ads Werbung. Die Erstantragsgegnerin vergab für die Nutzung von Google Ads, bezogen auf das jeweilige länderspezifische Projekt folgende Kundennummern an die Antragstellerin:
- Digitale-Vignette-Online.AT – 799-997-0350
- Digitale-Vignette-Online.CZ – 781-090-5895
- Digitale-Vignette-Online.SI – 673-396-2966
- Digitale-Vignette-Online.RO – 898-179-7533
- Digitale-Vignette-Online.HU – 993-268-5198
Vor dem Vertragsabschluss mit der Erstantragsgegnerin akzeptierte die Antragstellerin die auf sie anwendbaren Nutzungsbedingungen samt Anwendbarkeit der Richtlinien der Erstantragsgegnerin und schloss mit ihr folgende Gerichtsstandsvereinbarung ab:
„Diese Nutzungsbedingungen unterliegen deutschem Recht. Die Anwendung des UN-Kaufrechts ist ausgeschlossen. Ausschließlicher Gerichtsstand ist Hamburg“.
Beginnend mit 5.12.2022 blockierte die Erstantragsgegnerin die Anzeigen der Antragstellerin vollständig und zunächst teilweise für Österreich. Sie begründet die Ablehnung mit einem Verstoß gegen die Werberichtlinie unter dem Stichwort „offizielle/staatliche Dokumente und Dienstleistungen“.
Da die Untersagung der Blockade und die erneute Freischaltung der Werbung einen Vertrag zwischen der Antragstellerin und der Erstantragsgegnerin voraussetzt, wäre bei einer darauf gerichteten Erlassung einer einstweiligen Verfügung die Erstantragsgegnerin zur Erfüllung ihrer vertraglichen Leistung, nämlich der Schaltung der Werbeanzeigen für die Antragstellerin im Internet verpflichtet.
Beweiswürdigung:
Dass die Erstantragsgegnerin und die Antragstellerin einen Vertrag über die Nutzung von Google Ads abschlossen und die von der Antragstellerin eingerichteten Konten zunächst aktiv und freigeschaltet waren, war unstrittig. Damit aber der Vertrag abgeschlossen und die Werbung geschaltet werden konnte, musste die Antragstellerin, so wie jeder Google-Ads Kunde, einen Registrierungsprozess durchmachen, auf dessen Weg sie ihre Rechnungsadresse (./D), den Verwendungszweck und die Währung, in der sie zahlen möchte, eingeben muss. Dieser standardisierte Vorgang wurde von der Erstantragsgegnerin vorgebracht und von der Antragstellerin nicht bestritten.
Sobald diese Schritte gesetzt sind, scheinen automatisch die jeweilig anwendbaren, zu akzeptierenden Bedingungen für die Google Ads Nutzung im Volltext auf, die dem Vertragsabschluss zugrunde gelegt werden. Die Feststellungen, dass die Nutzungsbedingungen laut ./12 samt Gerichtsstandsvereinbarung zum Vertragsabschlusszeitpunkt abrufbar waren und von der Antragstellerin auf dem Registrierungsweg akzeptiert wurden, folgten aus dem Auswahlprozess ./11, den die Antragstellerin für den erfolgten Vertragsabschluss durchlief und aus dem in der Verhandlung durchgeführten Augenscheinsbeweis. Mit dem Augenscheinsbeweis wurden die Schritte der Beilagen ./11 und ./12 am Laptop nachvollzogen. Der Beweis ergab anschaulich, dass die Erstantragsgegnerin ihren Kunden auf transparente Weise, bezogen auf den Sitz und die Rechnungsadresse des Kunden und seine Unternehmereigenschaft den Weg zu den jeweilig anwendbaren und zu akzeptierenden Nutzungsbedingungen, in concreto ./12, aufzeigt. Zu der von der Antragstellerin vorgelegten Beilage ./V gelangt man nur dann, wenn man als Rechnungsadresse, wie aus Beilage ./U ersichtlich, „Austria“ eingibt, was im Falle der Antragstellerin nicht erfolgt sein kann, wie sich aus ihrem Sitz und beispielsweise aus ./D ergibt.
Die von der Antragstellerin vorgelegten Urkunden Beilage ./U, ./W und ./X haben weder eine Aussagekraft für die zum Vertragsabschluss mit der Erstantragsgegnerin gültigen und abrufbaren Nutzungsbedingungen noch dazu, dass die von der Antragstellerin behauptete Konnexität zwischen der Erst- und der Zweitantragsgegnerin bestünde.
Da der Antragstellerin bereits mit Schriftsatz vom 12.6.2023 (Gegenäußerung) die Möglichkeit eingeräumt wurde, sich zu der behaupteten Gerichtsstandsvereinbarung zu äußern, jedoch in dieser Äußerung weder die Abrufbarkeit noch die Wirksamkeit der Nutzungsbedingungen und der Gerichtsstandsvereinbarung bestritten wurden, erscheint dem Gericht das erst in der Verhandlung erstattete Vorbringen wesentlich dem Prozessstandpunkt geschuldet. Die ausgeschriebene Verhandlung diente zwar der Klärung der Gerichtsstandsvereinbarung, sodass es der Antragstellerin grundsätzlich nicht verwehrt war, ergänzendes Vorbringen zu erstatten.
Dennoch ist es im Rahmen der Beweiswürdigung gemäß § 32 AußStrG zu beachten (Schneider in Schneider/Verweijen, AußStrG § 32 Rz 3), dass ein so wesentlicher Einwand, wie die Bestreitung der Abrufbarkeit nicht sofort in der Gegenäußerung vorgenommen und dazu entsprechende Beweise angeboten wurden. Die von der Antragstellerin in der Verhandlung dazu vorgelegten Beweise ./U - ./V lieferten keinen Anhaltspunkt dafür, dass sie auf das konkrete Vertragsverhältnis anwendbar seien. Eine Beschlussfassung nach § 33 Abs 2 AußStrG in diesem Zusammenhang war nicht erforderlich (Höllwerth in Gitschthaler AußStrG § 33 Rn 39; 2 Ob 150/16x).
Dass die Zweitantragsgegnerin keine Tochter der Erstantragsgegnerin ist, ist außer Streit gestellt und zusätzlich durch den Firmenbuchauszug ./9 belegt. Die Antragstellerin vermochte keinen Beweis zu erbringen, dass die Zweitantragsgegnerin auf die Schaltung oder die Blockade von Google Ads bzw. auf ein Vertragsverhältnis Einfluss nehmen kann. Dass die Zweitantragsgegnerin Onlinewerbung für Google Ads in Österreich betreibt, wie aus Beilage ./B ableitbar ist und allenfalls eine nicht näher definierte Position als „affiliate“ einnimmt (Beilage ./W) oder möglicherweise für die Einhaltung der Datenschutzbestimmungen verantwortlich ist (./X), ist irrelevant.
Rechtlich hat das Kartellgericht erwogen:
1. Das Auswirkungsprinzip gemäß § 24 Abs 2 KartG ist ein Grundsatz des materiellen Kollisionsrechtes. Seine unmittelbare Gültigkeit für das Verfahrensrecht wird überwiegend abgelehnt (16 Ok 3/08 Rz 3.8, 3.20, 4.6).
1.1. Abstellungsverfahren vor dem Kartellgericht sind Zivilverfahren im Sinne der EuGVVO, weil das Kartellgericht weitgehend an die Anträge der Parteien gebunden ist (16 Ok 3/08).
Die Zuständigkeit des österreichischen Kartellgerichts ist daher nach den in der EuGVVO festgeschriebenen Zuständigkeitsbestimmungen zu prüfen.
1.2. In den Erwägungsgründen 15, 16 und 34 der Verordnung Nr. 1215/2012 (in der Folge: EuGVVO) heißt es:
„Die Zuständigkeitsvorschriften sollten im hohen Maß vorhersehbar sein und sich grundsätzlich nach dem Wohnsitz des Beklagten richten.
Diese Zuständigkeit sollte stets gegeben sein, außer in einigen genau festgelegten Fällen, in denen aufgrund des Streitgegenstands oder der Vertragsfreiheit der Parteien ein anderes Anknüpfungskriterium gerechtfertigt ist...
Der Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beklagten sollte durch alternative Gerichtsstände ergänzt werden, die entweder aufgrund der engen Verbindung zwischen Gericht und Rechtsstreit oder im Interesse einer geordneten Rechtspflege zuzulassen sind. Das Erfordernis der engen Verbindung soll Rechtssicherheit schaffen und verhindern, dass die Gegenpartei von einem Gericht des Mitgliedsstaates verklagt werden kann, mit dem sie vernünftigerweise nicht rechnen konnte.“
1.3. Die vom EuGH vorgenommene Auslegung der Bestimmungen der Verordnung Nr. 44/2001, die durch die im Anlassfall maßgebliche Verordnung Nr. 1215/2012 aufgehoben wurde, sind weiterhin anzuwenden, soweit die betreffenden Bestimmungen als „gleichwertig“ angesehen werden können (C-306/17; C-308/17, C-451/18).
1.4. Die Antragstellerin stützt sich für den Fall, dass das Kartellgericht die Anwendbarkeit der EuGVVO bejaht, auf den Zuständigkeitstatbestand des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO (Ort des schädigenden Ereignisses) und auf Art. 8 Nr. 1 EuGVVO (Streitgenossenschaft auf Beklagtenseite).
Die Antragsgegnerinnen halten entgegen, dass mit der
Erstantragsgegnerin eine Gerichtsstandsvereinbarung geschlossen wurde, die als ausschließlichen Gerichtsstand Hamburg vorsieht. Ein Gerichtsstand gemäß Art. 8 Nr. 1 EuGVVO bestehe nicht, weil die Zweitantragsgegnerin keine konnexe Tätigkeit ausübe. Hinsichtlich Art. 7 Nr. 2 EuGVVO fehle es an einer Auswirkung auf den österreichischen Markt.
2. Gerichtsstandsvereinbarung:
2.1. Art 25 EuGVVO regelt die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte eines Mitgliedstaates oder Gerichtes, welches die Parteien unabhängig von ihrem Wohnsitz als jenes Gericht vereinbart haben, das über eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder über eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit entscheiden solle.
Bei dem Begriff „Gerichtsstandsvereinbarung“ handelt es sich um einen autonomen Begriff des Unionsrechts (EuGH C-519/19 Rn 38).
2.2. Eine Gerichtsstandsvereinbarung muss nach Art. 25 Abs 1 EuGVVO entweder schriftlich oder mündlich mit schriftlicher Bestätigung oder in einer Form geschlossen werden, die den zwischen den Parteien entstandenen Gepflogenheiten oder im internationalen Handel einem Handelsbrauch entspricht.
Die Willenseinigung der Vertragsparteien über die Gerichtsstandsklausel wird vermutet, wenn sie in einer Weise in die Geschäftsbeziehung eingeführt wird, die einem solchen Handelsbrauch entspricht, wenn dieser den Parteien bekannt ist oder als ihnen bekannt angesehen werden muss (EuGH C-106/95 Rn 19).
2.3. Durch einen in einer Vereinbarung enthaltenen Verweis auf AGB kann wirksam eine Gerichtsstandsvereinbarung zustande kommen. Dabei ist es nicht nötig, dass ausdrücklich auf die Gerichtsstandsvereinbarung hingewiesen wird. Dem Schriftformerfordernis wird durch Bezugnahme auf allgemeine Geschäftsbedingungen, in denen eine Gerichtsstandsklausel enthalten ist, entsprochen, wenn der Vertragstext ausdrücklich auf diese allgemeinen Geschäftsbedingungen Bezug nimmt (2 Ob 41/99i; RIS-Justiz
RS0111715; RS0109865 [T1]; 9 Ob 68/16i). Der EuGH sprach in C-358/21 aus, dass auch ein Verweis mittels Hyperlink auf AGB zulässig ist, wenn im Text des von beiden Parteien unterzeichneten Vertrages ausdrücklich auf die AGB hingewiesen wird.
2.3.1. Die Antragstellerin wurde in ihrem Registrierungsprozess durch das automatische Aufscheinen der sie betreffenden Nutzungsbedingungen im Volltext und der darin befindliche Gerichtsstandsvereinbarung (sowie mittels Hyperlink auf die anwendbaren Richtlinien) vor Vertragsabschluss ausreichend hingewiesen.
Die Gerichtsstandsvereinbarung zwischen der Antragstellerin und der Erstantragsgegnerin wurde wirksam geschlossen.
2.4. Umfang der Gerichtsstandsvereinbarung:
Die sachliche Reichweite einer Gerichtsstandsvereinbarung ist durch Auslegung zu ermitteln (BGH, 6.12.2018 – IX ZR 22/18, NJW 2019, 1300 Rn 25). Die Auslegung einer Vereinbarung über die internationale Zuständigkeit ist Sache des nationalen Gerichts (vgl. EuGH, WOW 2015, 785 Rn 67- CDCHydrogen Peroxide; WOW 2018, 3630 Rn 21 – Apple Inc.).
Sie richtet sich, wenn sie – wie hier – Teil einer umfassenderen Vereinbarung ist, regelmäßig nach dem für den Vertrag geltenden Recht, soweit Art 25 EuGVVO keine Maßstäbe und Vorgaben enthält.
2.4.1. Die Auslegung der Gerichtsstandsvereinbarung im Falle der wirksamen Einbeziehung der in den allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltenen Rechtswahlklausel unterliegt daher deutschem Recht.
Nach deutschem Recht sind allgemeine Geschäftsbedingungen gemäß § 157 BGB objektiv, nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte auszulegen (BGH, 17.2.2016 – XII ZR 183/13, NZM 2016, 315 Rn 10 mwN). Ausgangspunkt der Auslegung ist der Wortlaut. Es sind aber der mit der Regelung erkennbare verfolgte Zweck und ihr Sinnzusammenhang zusätzlich zu berücksichtigen (ständige Rechtsprechung BGH Urteil vom 17.10.2019, III ZR 42/19, NJW 2020, 399 Rn 34 bis 36 mwN).
2.4.2. Die Gerichtsstandsklausel in den Nutzungsbedingungen sieht als ausschließlichen Gerichtsstand Hamburg vor. Sie nimmt keine nähere Differenzierung vor, welche Ansprüche davon umfasst sind. Sie bezieht sich insbesondere nicht nur auf vertragliche Ansprüche. Die daraus ableitbare typische Intention der Parteien ist darauf gerichtet, alle zwischen ihnen vorhersehbaren Streitigkeiten, also sowohl vertraglicher als auch deliktischer Herkunft, der deutschen Gerichtsbarkeit zu unterwerfen. Eine Aufspaltung der Zuständigkeiten soll typisch vermieden werden.
2.4.3. Die Antragstellerin wehrt sich dagegen, dass die Erstantragsgegnerin die Geschäftsbeziehung durch Berufung auf eine Werberichtlinie abbrach. Sie stützt ihren Anspruch auf den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung gemäß §§ 5 KartG, 19 dGWB und Art 102 AEUV und begehrt sinngemäß die Unterlassung der Geschäfts- oder Lieferverweigerung durch die Erstantragsgegnerin. Der Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung ist hier funktionell mit dem Vertragsabbruch, der plötzlichen „Lieferverweigerung“ verbunden.
2.4.4. Der EuGH sprach aus, es sei nicht ausgeschlossen, dass eine im Vertrag enthaltene Gerichtsstandsvereinbarung Schadenersatzansprüche, die auf Art 102 AEUV gestützt werden, umfasse (C-595/17 Rn 30). Sie können für eine der Parteien nicht als überraschend angesehen werden (EuGH C- 595/17 Rn 29). Anders stelle sich die Situation dar, wenn die Schadenersatzansprüche aus Art 101 AEUV resultierten, weil dies für die Parteien in der Regel nicht vorhersehbar sei (C 352/13 Rn 70).
2.4.5. Im Anlassfall macht die Antragstellerin zwar keinen Schadenersatzanspruch sondern einen Unterlassungsanspruch gestützt auf Art 102 AEUV geltend. Ein Unterlassungsanspruch dient aber der Hintanhaltung eines aus Art 102 AEUV resultierenden Schadens. Eine Rechtsstreitigkeit auf Unterlassung der Erfüllungsverweigerung ist für die Parteien vorhersehbar, mag der Vertragspartner dabei auch seine marktbeherrschende Stellung missbrauchen. Dass sich eine Partei bei einem Abbruch der Geschäftsbeziehung auf ihre AGB und die darin geregelte Werbelinie berufen kann, ist für die andere Partei nicht überraschend.
2.4.6. Dem Argument der Antragstellerin, dass die Gerichtsstandsvereinbarung mit dem Abbruch der Geschäftsbeziehung ihre Wirksamkeit verloren hätte, ist zu entgegnen, dass eine Kündigung des materiell-rechtlichen Vertrags nicht zum Außerkrafttreten der Gerichtsstandsvereinbarung führt. Es ist zwischen einer Gerichtsstandsvereinbarung und den materiellen Bestimmungen des Vertrages, in den diese Vereinbarung eingefügt ist, zu unterscheiden
(EuGH, WM 1997, 1549 Rn. 24).
Selbst wenn geltend gemacht wird, dass der Vertrag, in dem eine gemäß Art. 25 Abs. 1 EuGVVO wirksam getroffene Gerichtsstandsvereinbarung enthalten ist, unwirksam sei, bleibt das Gericht eines Vertragsstaates, das in dieser Vereinbarung als zuständiges Gericht bestimmt ist, grundsätzlich für die von dieser Gerichtsstandsvereinbarung erfassten Streitigkeiten ausschließlich zuständig (EuGH, aaO Rn. 29 f, 32).
Die Gerichtsstandsvereinbarung soll gerade im Fall von Streitigkeiten aus der vertraglichen oder vertragsähnlichen Beziehung gelten. Daher bleibt insbesondere eine Gerichtsstandsvereinbarung auch nach der Kündigung oder Beendigung eines schuldrechtlichen Vertrags wirksam, selbst wenn sie in der gleichen Urkunde enthalten ist (Zöller/Geimer, ZPO32, Art. 25 EuGVVO Rn. 40).
Auch hier geht es um Ansprüche, die daraus resultieren, dass der geschlossene Vertrag nicht mehr erfüllt wird.
2.4.7. Durch die Klausel, die einen Gerichtsstand im Sitzstaat der Antragstellerin normiert, wird die Erstantragsgegnerin nicht begünstigt.
Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass der Abstellungsantrag gegen die Erstantragsgegnerin von der Gerichtsstandsvereinbarung umfasst ist.
2.5. Zum Umfang der Gerichtsstandsvereinbarung auf Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes:
Lässt sich der Gerichtsstandsvereinbarung eines ausdrücklichen Gerichtsstandes kein entgegenstehender Parteiwille entnehmen, so erstrecken sich die Prorogationswirkung und die Derogationswirkung grundsätzlich auch auf Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes (Kropholler/Hein, europäisches Zivilprozessrecht9 Art. 23 EuGVVO Rn 103; Simotta/Garber in Fasching/Konecny3 Art. 35 EuGVVO Rz 174).
Voraussetzung dafür, dass die Gerichtsstandsvereinbarung auch im Eilverfahren Wirkung entfalten kann, ist, dass sie sich nicht darauf beschränkt, eine Abrede für ihr Hauptverfahren zu treffen. Gefordert ist zumindest eine Vereinbarung, die Geltung für alle Streitigkeiten verlangt (Mankowski in Rauscher EuZPR5 Art. 25 EuGVVO Rn 77). Da eine (solche) Gerichtsstandsvereinbarung auch Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes deckt, ist das derogierte Gericht nicht mehr zuständig (Schlosser/Hess, EU-Zivilprozessrecht5 Art. 25 EuGVVO Rn 42).
2.5.1. Es könnten zwar die Zwangsgerichtsstände gemäß § 387 EO anwendbar bleiben. Auf diese hat sich die Antragstellerin jedoch nicht berufen. Sie böten der Antragstellerin vor allem keine Möglichkeit einer Anerkennung und Vollstreckung im Ausland.
2.5.2. Eine amtswegige Wahrnehmung scheitert auch daran, dass nach § 387 Abs 1 EO das Gericht für die Bewilligung einstweiliger Verfügungen nur solange zuständig ist, solange der Prozess in der Hauptsache noch nicht rechtskräftig beendet ist.
Da in diesem Beschluss die Zurück- bzw. Abweisung der Hauptsache mitentschieden wird, bietet die bis zur Rechtskraft bestehende Anhängigkeit der Hauptsache auch aus diesem Grund keinen hinreichenden realen Anknüpfungspunkt für einen Provisorialgerichtsstand in Österreich (siehe Punkt 4.).
3. Zu Artikel 7 Nr. 2 EuGVVO:
Die unter Punkt 2. behandelte wirksame Gerichtsstandsvereinbarung begründet nach Art. 25 Abs 1 Satz 2 EuGVVO eine ausschließliche Zuständigkeit und verdrängt Art. 7 Nr 2 EuGVVO.
Selbst wenn die Gerichtsstandsvereinbarung nicht wirksam oder anwendbar wäre (quod non), wäre Österreich aus folgenden Erwägungen auch nicht nach Art. 7 Nr. 2 EuGVVO zuständig:
3.1. Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann in einem anderen Mitgliedstaat gemäß Art. 7 Nr 2 EuGVVO verklagt werden,
- wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht.
3.2. In der Entscheidung C-59/19 (Wikingerhof/booking com) stellte der EuGH klar, dass Art. 7 Nr. 2 EuGVVO für eine Klage auf Unterlassung bestimmter Verhaltensweisen im Rahmen einer Vertragsbeziehung gelte, die darauf gestützt werde, dass der Beklagte unter Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht seine marktbeherrschende Stellung missbräuchlich ausnütze (Rn 38).
Für die Zuständigkeit des Gerichtes sei aber nach dem 16. Erwägungsgrund zur EuGVVO entscheidend (siehe Punkt 1.2.), dass zwischen der Unterlassungsklage und dem Gericht eine besonders enge Verknüpfung bestehe (Rn 28). Das in Deutschland ansässige Hotelunternehmen Wikingerhof berief sich auf einen Verstoß gegen das deutsche Wettbewerbsrecht.
Wikingerhof brachte vor, keine andere Wahl gehabt zu haben, als den benachteiligenden Vertrag mit dem Marktbeherrscher booking com aus den Niederlanden abzuschließen, auch wenn die daraus resultierende Verhaltensweise von booking com unbillig gewesen sei. Booking com verwende ohne Zutun von Wikingerhof Rabatthinweise, leite Kundendaten nicht an Wikingerhof weiter und gewähre Wikingerhof nur gegen hohe Provisionszahlungen eine bessere Position in der Trefferliste.
Der EuGH folgerte, dass das deutsche Gericht am Besten geeignet sei, über den Vorwurf zu entscheiden, insbesondere im Hinblick auf die Erhebung und Würdigung der Beweise (Rn 37). Es verwies dabei auf die Entscheidungen C 451/18 und C 343/19.
3.3. In der Entscheidung C 451/18 Tibor Trans/DAF Trucks, hielt der EuGH die ungarischen Gerichte für am Besten geeignet, über die Schadenersatzklage des ungarischen Unternehmens Tibor Trans zu entscheiden. Wesentlich sei nämlich, ob es sich um einen unmittelbar aus dem kausalen Ereignis ergebenden Erstschaden handle, dessen Eintrittsort die Zuständigkeit im Hinblick auf Art. 7 Nr. 2 EuGVVO begründen könne, oder um die darauffolgenden nachteiligen Konsequenzen, die keine Zuständigkeitszuweisung gemäß dieser Vorschrift begründen können.
Der Begriff „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“ dürfe nicht so weit ausgelegt werden, dass er jeden Ort erfasse, an dem die schädlichen Folgen eines Ereignisses spürbar werden können, das bereits einen Schaden verursacht hat, der tatsächlich an einem anderen Ort entstanden ist. Folglich könne dieser Begriff nicht so ausgelegt werden, dass er den Ort einschließe, an dem der Geschädigte einen Vermögensschaden in der Folge eines in einem anderen Staat entstandenen und dort von ihm erlittenen Erstschadens erlitten zu haben behauptet.
Das klagende ungarische Unternehmen Tibor Trans habe durch das Kartell, an dem die niederländische Beklagte DAF beteiligt gewesen sei, als unmittelbare Folge künstlich überhöhte Preise gezahlt. Dieser Schaden stelle sich als unmittelbare Folge der Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV dar und sei somit ein unmittelbarer Schaden, der grundsätzlich die Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaats begründen könne, in dessen Hoheitsgebiet sich der Schadenserfolg verwirklicht habe (Rn 28 und 31).
3.4. In der Entscheidung C 343/19 (österreichischer VKI/VW AG) begründete der EuGH die Zuständigkeit Österreichs damit, dass die durch VW eingebaute manipulierte Software in den Fahrzeugen zu einem Wertverlust jedes betroffenen Fahrzeugs geführt habe. Der Schaden sei daher unmittelbar bei den Letztverbrauchern in Österreich eingetreten.
3.5. Die litauische Fluggesellschaft fly LAL brachte eine Schadenersatzklage gegen den Flughafen in Riga und die Air Baltic bei einem litauischen Gericht ein. Air Baltic habe sie aufgrund von Kampfpreisen vom Markt durch Absatzverluste auf Flügen von und nach Vilnius verdrängt. Der EuGH vertrat dazu (C-27/17) die Ansicht, als hauptsächlicher Markt für die Verluste aus den Flügen von und nach Vilnius sei der Markt anzusehen, auf dem die Gesellschaft wahrscheinlich den wesentlichen Teil ihrer Verkaufstätigkeiten in Bezug auf solche Flüge ausübe, d. h. der litauische Markt (Rn 39).
Art 7 Nr 2 EuGVVO sei dahin auszulegen, dass bei Schadenersatzklagen infolge eines Wettbewerbsverstoßes der „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“, der Ort der Verwirklichung von entgangenen Einnahmen aus Absatzverlusten ist, d.h. der Ort des durch diese Verhaltensweisen beeinträchtigten Marktes, auf dem der Geschädigte diese Verluste erlitten zu haben, behauptet.
3.6.Concurrence betrieb über ein Ladengeschäft in Paris und ihren Online-Shop „concurrence.fr“ Einzelhandel mit für die breite Öffentlichkeit bestimmten Geräten der Unterhaltungselektronik. Sie schloss mit Samsung eine selektive Vertriebsvereinbarung, in der ein Verbot des Verkaufs der Produkte über das Internet vereinbart wurde. Nach Abschluss dieser Vereinbarung kam es zwischen den Parteien zum Streit. Samsung warf Concurrence vor, sie habe durch den Vertrieb der Produkte über ihre Website gegen die selektive Vertriebsvereinbarung verstoßen. Concurrence wiederum bestritt die Rechtmäßigkeit der Klauseln dieser Vereinbarung und machte u. a. geltend, diese würden nicht einheitlich auf alle Händler angewandt, von denen einige die in Rede stehenden Produkte auf verschiedenen Websites von Amazon vertrieben, ohne dass Samsung darauf reagiere. Samsung teilte Concurrence das Ende der Geschäftsbeziehung mit. Concurrence erhob Klage gegen Samsung und beantragte, festzustellen, dass das mit der selektiven Vertriebsvereinbarung auferlegte Verbot des Verkaufs von Produkten der Produktreihe über das Internet ihr gegenüber unwirksam und Samsung verpflichtet sei, sie weiterhin mit den unter diese Vereinbarung fallenden Produkten zu beliefern. Außerdem erhob Concurrence Klage gegen Amazon mit dem Ziel, diese Gesellschaft zu verpflichten, alle Angebote bestimmter Samsung-Produkte von ihren Websites Amazon.fr, Amazon.de, Amazon.co.uk, Amazon.es und Amazon.it zu entfernen.
Der EuGH entschied dazu (C-618/15):
- Zwischen der Streitigkeit und den Gerichten des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht, muss eine besonders enge Beziehung bestehen (Rn 26).
- bei unerlaubten Handlungen oder ihnen gleichgestellten Handlungen ist das Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht, insbesondere wegen der Nähe zum Streitgegenstand und der leichteren Beweisaufnahme in der Regel am besten in der Lage, den Rechtsstreit zu entscheiden (Rn 27).
- Es ist nur die Anrufung des Gerichts zulässig, in dessen Zuständigkeitsbereich der relevante Anknüpfungspunkt liegt (Rn 28).
- Bezüglich dieses Anknüpfungspunkts hat der Gerichtshof bereits festgestellt, dass der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs in Abhängigkeit von der Natur des Rechts variieren kann, das verletzt worden sein soll, und dass die Gefahr, dass sich ein Schadenserfolg in einem bestimmten Mitgliedstaat verwirklicht, voraussetzt, dass das Recht, dessen Verletzung geltend gemacht wird, in diesem Mitgliedstaat geschützt ist (Rn 30).
- Im vorliegenden Fall ist zum einen der Verstoß gegen das Verbot des Wiederverkaufs außerhalb eines Vertriebsnetzes durch das Recht des Mitgliedstaats des angerufenen Gerichts mit Sanktionen bedroht, so dass ein natürlicher Zusammenhang zwischen dem angerufenen Gericht und dem Ausgangsrechtsstreit besteht, was die Begründung der Zuständigkeit dieses Gerichts rechtfertigt (Rn 32).
- Zum anderen hat sich der geltend gemachte Schaden im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats verwirklicht. Bei einem Verstoß – über eine Website – gegen die Bedingungen eines selektiven Vertriebsnetzes besteht der Schaden, den ein Händler geltend machen kann, im Rückgang seines Absatzvolumens infolge der unter Verstoß gegen die Bedingungen des Vertriebsnetzes vorgenommenen Verkäufe und den ihm dadurch entgangenen Gewinn (RN 33).
- Insoweit ist es unerheblich, dass die Websites, auf denen die Produkte angeboten werden und Gegenstand des selektiven Vertriebsrechts sind, in anderen Mitgliedstaaten als dem des angerufenen Gerichts betrieben werden, da die in jenen Mitgliedstaaten begangenen Taten einen Schaden im Zuständigkeitsbereich des angerufenen Gerichts verursacht haben oder zu verursachen drohen, was zu beurteilende Sache des vorlegenden Gerichts ist (Rn 34).
3.7. Für die Prüfung eines Schadenersatzbegehrens ist ein Gerichtsstand am Sitz der Klägerin als derjenige Ort eröffnet, an dem sich der mit der Klage geltend gemachte Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung gegenüber der Klägerin ausgewirkt hat (EuGH C-352/13, WuW 2015, 785 Rn. 53 - CDC Hydrogene Peroxide). Nach der Rechtsprechung des EuGH ist der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs der Ort, an dem sich der behauptete Schaden konkret zeigt (EuGH Zuid-Chemie, C‐189/08, EU:C:2009:475, Rn. 27).
Wenn es sich um einen Schaden handelt, der in den Mehrkosten besteht, die wegen eines künstlich überhöhten Preises wie dem von Wasserstoffperoxid anfielen, das Gegenstand des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Kartells war, lässt sich dieser Ort nur für jeden einzelnen mutmaßlich Geschädigten ermitteln und liegt grundsätzlich an dessen Sitz (C‐352/13 Rn 52).
So sprach auch der OGH in den Entscheidungen 4 Ob 131/16t und 4 Ob 120/16z aus, dass im Kartelldeliktsrecht der Erfolgsort jener ist, an dem der durch die kartellbedingten Mehrkosten verursachte Schaden entsteht, wo also die unionswidrige Marktbeeinflussung eingetreten ist. Dies sei regelmäßig am Wohnsitz des Geschädigten der Fall.
3.8. Ein Abstellungsverfahren im Rahmen des Private Enforcement ist indirekt darauf gerichtet, den durch Kartellrechtsverstöße drohenden Schaden einzudämmen.
Damit ist nach den zitierten Entscheidungen der Ort, an dem die vom Schaden bedrohte Antragstellerin ihren Sitz unter gleichzeitiger Bedingung, dass der Markt am Sitz der Geschädigten vom behaupteten wettbewerbswidrigen Verhalten betroffen ist, der Schadenseintrittsort im Sinne des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO.
3.9. Beim Vorbringen zum Ort der Schadenszufügung im Sinne des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO handelt es sich um sogenannte doppelrelevante Tatsachen (16 Ok 3/08), die im Rahmen des Zuständigkeitsstreites nicht auf ihre materielle Richtigkeit zu prüfen sind, sondern lediglich einer Schlüssigkeitsprüfung zu unterziehen sind. Die Prüfung des Rechtsstreits hat nur prima facie zu erfolgen, ohne dass bereits in diesem Verfahren eine materiell-rechtliche Beurteilung vorzunehmen ist (C-27/17). Nach dem Vorbringen der Antragstellerin - sei die Geschäftsbeziehung von der marktbeherrschenden Erstantragsgegnerin zu der in Deutschland ansässigen, von den Leistungen der Erstantragsgegnerin abhängigen Antragstellerin abgebrochen worden, was (auch) nach deutschem Recht (§ 19 dGWB) und Art 102 AEUV verpönt sei (vgl C-618/15 Rn 32), - verzeichne das vom Sitzstaat der Antragstellerin aus betriebene Produkt („Weitervertrieb“ der von ihr „erworbenen“ online Vignetten) durch die Werbeblockade einen Rückgang an Kundenreichweite in mehreren Ländern, - erleide die Antragstellerin durch die blockierte Werbung ihres Produktes an ihrem Sitz in Deutschland einen Gewinnrückgang.
Nach diesem Vorbringen besteht die vom EuGH geforderte enge Verknüpfung zwischen der Unterlassungsklage und Österreich als Gerichtsstand nicht. Es ist unerheblich, dass die Werbung für die Websites der Antragstellerin auch in Österreich sukzessive eingestellt wurde, weil die (auch) in Österreich begangene Unterlassung einen Schaden am Sitzstaat der Antragstellerin verursacht hat oder zu verursachen droht, was zu beurteilende Sache des Staates, zu dem die engste Verknüpfung besteht, ist (in diesem Sinne C-618/15 Rn 34).
Die engste Verknüpfung besteht zu dem Sitzstaat der vom Abbruch der Geschäftsbeziehung unmittelbar betroffenen Antragstellerin, die durch die blockierte Werbung eine Wertminderung ihres Produktes und einen Umsatz/Gewinnverlust auch wegen der Bestellrückgänge aus Deutschland verzeichnet.
3.10. In der Entscheidung C-194/16 führte der EuGH aus, dass in Anbetracht der umfassenden Abrufbarkeit der auf einer Website veröffentlichten Angaben und Inhalte und des Umstands, dass die Reichweite ihrer Verbreitung grundsätzlich weltumspannend sei (vgl. in diesem Sinn auch Urteil vom 25.10.2011, eDate Advertising u.a.; C-509/09 und C-161/10) ein auf die Richtigstellung dieser Angaben und die Entfernung dieser Inhalte gerichteter Antrag einheitlich und untrennbar sei. Er könne somit nur bei einem Gericht erhoben werden, das nach der Rechtsprechung, die sich aus dem Urteil vom 7.3.1995 (Shevill C-98/93) und vom 25.10.2011, eDate Advertising (C-509/09 und C-161/10) ergebe zur Entscheidung über einen Antrag auf Ersatz des gesamten Schadens zuständig sei und nicht bei einem Gericht, das nicht über eine solche Zuständigkeit verfüge.
Die Gegenpartei solle vor einem Gericht verklagt werden, mit dem es vernünftigerweise rechnen habe können. Das Kriterium des Mittelpunkts der Interessen des Betroffenen spiegle den Ort wider, an dem sich der Erfolg des durch einen Online-Inhalt verursachten Schadens im Sinne des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO am spürbarsten verwirkliche.
Sollte die Antragstellerin den größten Teil ihrer Tätigkeit in einem anderen Mitgliedsstaat als dem ihres satzungsmäßigen Sitzes ausüben, dann sei davon auszugehen, dass der Mittelpunkt ihrer Interessen in diesem anderen Mitgliedsstaat sei.
3.10.1. Dass die Antragstellerin den wesentlichsten Teil ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit in Österreich ausüben würde, lässt sich ihrem Vorbringen nicht entnehmen. Nach ihrem Vorbringen vertreibt die in Deutschland ansässige Antragstellerin die von der blockierten Werbung betroffenen online Vignetten, bedient die bei ihr eingehenden Kundenanfragen aus mehreren Mitgliedstaaten durch Registrierung der Vignetten in den einzelnen Mitgliedstaaten, erzielt an ihrem Sitzstaat daraus Einkommen und kümmert sich von ihrem Sitzstaat aus um die zielgerichtete Vermarktung ihres Vermittlungsdienstes. Nach ihrem Vorbringen befindet sich auf jeder ihrer Webseiten eine Auflistung aller Länder, für die bei der Antragstellerin digitale Mautprodukte erworben werden können.
3.10.2. Für die Erstantragsgegnerin ist vorhersehbar, vor dem Sitzstaat der Antragstellerin, in dem die Antragstellerin ihr Produkt ebenso wie in anderen Ländern anbietet und in dem sie die Vermittlung zu den jeweiligen Mautstellen zentral vornimmt, in Anspruch genommen zu werden, wenn sie die Geschäftsbeziehung zu ihr verweigert.
3.10.3. Dass die angebotene Vermittlung der Antrag- stellerin in Österreich so wie in anderen Ländern besser wahrnehmbar wäre, wenn sie durch die Erstantragsgegnerin beworben würde, ist nicht ausreichend, um von einem Mittelpunkt der wirtschaftlichen Interessen der Antragstellerin in Österreich zu sprechen, der Österreich dazu befugen würde, über die länderübergreifende Unterlassung der Geschäftsverweigerung, die sich auf die nachgelagerten Märkte in verschiedenen Mitgliedstaaten auswirkt, zu entscheiden.
3.10.4. Dass ein so spürbarer Gewinnrückgang auf einen Nachfragerückgang aus Österreich zurückzuführen sei, dass Österreich eine besondere Kompetenz zur Entscheidung über den Abstellungsantrag für alle werbeblockierten Vermittlungsdienstleistungen der Antragstellerin zukommen solle, wurde nicht behauptet.
Zusammengefasst fehlt es nach dem Vorbringen der Antragstellerin an der geforderten engen Verknüpfung zwischen der begehrten Unterlassung des Geschäftsabbruchs und dem Gerichtsstand Österreich gemäß Art. 7 Nr 2 EuGVVO, sodass die internationale Zuständigkeit hinsichtlich der Erstantragsgegnerin auch aus diesem Grund zu verneinen ist.
4. Würde die geschlossene Gerichtsstandsvereinbarung einstweilige Maßnahmen nicht umfassen, so ist zu prüfen, ob das Kartellgericht für die Erlassung der einstweiligen Verfügung nach Art. 35 EuGVVO zuständig ist:
Art. 35 EuGVVO lautet:
„Die im Recht eines Mitgliedstaats vorgesehenen einstweiligen Maßnahmen einschließlich Sicherungsmaßnahmen können bei den Gerichten dieses Mitgliedstaats auch dann beantragt werden, wenn für die Entscheidung in der Hauptsache das Gericht eines anderen Mitgliedstaats zuständig ist.“
4.1. Nach einem Teil der Lehre fällt eine Unterlassungs-EV gar nicht unter den Begriff des Art. 35 EuGVVO (Simotta/Garder in Fasching/Konecny3 Rn 111). Nach dem anderen Teil der Lehre muss eine reale Verknüpfung vorliegen. Das heißt, die zu unterlassene Handlung muss in Österreich vorzunehmen sein und die Vollstreckung muss auf Vermögensobjekte, die sich im Inland befinden, erfolgen (Simotta/Garber, aaO Rn 153).
4.2. Der Begriff „einstweilige Maßnahme“ ist europaeinheitlich zu definieren (Geimer in Geimer/Schütze, europäisches Zivilverfahrensrecht4 Art. 35 Rn 34). Der Europäische Gerichtshof hat in einem Fall, in dem die vorläufige Erfüllung einer vertraglichen Hauptleistungspflicht angeordnet wurde, ausgesprochen, dass ungeschriebene Voraussetzung für die Anordnung einstweiliger Maßnahmen nach Art 35 EuGVVO sei, dass zwischen dem Gegenstand der beantragten Maßnahmen und der gebietsbezogenen Zuständigkeit des Mitgliedstaats des angerufenen Gerichts eine „reale Verknüpfung“ besteht (RS 391/95, Van Uden/Deco-Line; 17 Ob 13/10a mwN). Dieses Erfordernis gilt für
alle auf Art 35 EuGVVO gestützten einstweiligen Maßnahmen; dazu kommen bei Leistungsverfügungen weitere Voraussetzungen, nämlich die Sicherstellung der Rückzahlung bei Abweisung in der Hauptsache und die Beschränkung auf Vermögensgegenstände im Sprengel des angerufenen Gerichts (RS 391/95 Rn 40, 47).
4.3. Eine reale Verknüpfung kann aber nicht schon deshalb bejaht werden, weil das Verfahren in der Hauptsache (noch) anhängig ist.
Dadurch wird zwar die Zuständigkeit nach § 387 Abs 1 EO begründet; dieser Zuständigkeitstatbestand kann aber eine Zuständigkeit nach Art 35 EuGVVO nur begründen, wenn die den Gegenstand des Unterlassungsgebots bildende Maßnahme mit Österreich „real verknüpft“ ist (17 Ob 13/10a; 4 Ob 2/12s).
4.4. Die Zweitantragsgegnerin hat zwar ihren Sitz in Österreich, gegen sie besteht jedoch kein Anspruch (siehe unten Punkte 5. und 6.).
4.5. Die Erstantragsgegnerin hat keinen Sitz in Österreich. Dass die Erstantragsgegnerin Vermögen im Inland hätte, auf das im Falle der Vollstreckung einer Beugestrafe zugegriffen werden könnte, behauptet die Antragstellerin nicht.
4.6. Im Allgemeinen besteht keine österreichische Zuständigkeit für die Vollstreckung eines gegen einen ausländischen Beklagten gerichteten Unterlassungsgebots. Die „erste Exekutionshandlung“ ist bei der Unterlassungsvollstreckung die Zustellung der Exekutionsbewilligung die am ausländischen Sitz der Erstantragsgegnerin zu erfolgen hätte (RS0000652; RS0053178).
4.7. Welchen konkreten Einfluss die Geschäftsverweigerung zwischen der irischen Erstantragsgegnerin und der deutschen Antragstellerin auf den nachgelagerten Markt in Österreich gehabt habe und inwieweit sich die unterlassene Werbung am Inlandsmarkt auf den Gewinn/Umsatz der Antragstellerin in Deutschland ausgewirkt habe (siehe Punkte 3.9. und 3.10.4.), ist dem Vorbringen nicht zu entnehmen.
4.8. Eine einstweilige Verfügung darf zudem das Ergebnis des Hauptverfahrens nicht vorwegnehmen, wenn es nicht mehr rückgängig gemacht werden kann (Leible in Rauscher, EuZPR5 Art. 35 Rn 13 ff; Simotta/Garder in Fasching/Konecny3 Art. 35 Rn 108 ff).
So können das Gebot, eine Musiksendung auszustrahlen (1 Ob 136/08v) oder das Gebot für längere Werbezeiten (OGH MR 1994, 78 ff) nicht mehr rückgängig gemacht werden.
In der Entscheidung 16 Ok 6/10 sprach der OGH aus, dass zwar das Verbot des Abschlusses oder der Erfüllung eines Vertrages rückgängig gemacht werden können, also später nachgeholt werden können, auf die Verpflichtung zur Annahme eines gelegten Angebotes würde eine endgültige, keiner Rückabwicklung mehr zugängliche Situation schaffen.
4.9. Ähnlich wäre der vorliegende Fall zu beurteilen, in dem die Erstantragsgegnerin gezwungen wäre, die Geschäftsbeziehung mit der Antragstellerin wieder aufzunehmen, Google Ads für die Antragstellerin zu schalten und dadurch die Anbahnung von Geschäftsbeziehungen zu Kunden zu optimieren, ohne dass dies später rückführbar wäre.
5. Zu Art. 8 Nr. 1 EuGVVO und zur Passivlegitimation der Zweitantragsgegnerin:
5.1. Nach allgemeiner Auffassung verdrängt Art. 25 alle Wahl- und allgemeinen Gerichtsstände. Aus Art. 25 Abs. 1 Satz 2 EuGGVO folgt, dass ein sich aus dieser Bestimmung ergebender Gerichtsstand ausschließlich ist, sodass auf Art. 8 (ebenso wie auf Art. 7 Nr. 2 EuGVVO siehe Punkt 3.) nicht abgestellt werden darf, wenn sich daraus ein abweichender Gerichtsstand ergeben würde.
Der Annexbeteiligte des Art. 8 EuGVVO, hier die Erstantragsgegnerin, kann daher in den Rechtsstreit nicht
hineingezogen werden, wenn sie eine Gerichtsstandsvereinbarung mit der Antragstellerin getroffen hat, die einen Gerichtsstand eines anderen Mitgliedstaates vorsieht (Simotta in Fasching/Konecny ZPO 5 Art. 8 EuGVVO Rz 51; Leible in Rauscher EuZPR5 Art 8; BGH 19.3.1987 NJW 1983,646; Geier Streitgenossenschaft Rn 92ff; Stein/Jonas/Wagner Art 8 EuGVVO; MünchKomm ZPO Gottwald Art 25 EuGVVO; Rauscher/Mankowski EuZPR Art. 25).
5.2. Nur für den Fall, dass die Gerichtsstandsvereinbarung gegen die Erstantragsgegnerin nicht anwendbar sein sollte, ist die Zuständigkeit nach Art. 8 EuGVVO zu prüfen.
Danach kann eine Person, wenn mehrere Personen zusammen verklagt werden, vor dem Gericht des Ortes, an dem einer der Beklagten seinen Wohnsitz hat, verklagt werden, sofern zwischen den Klagen eine so enge Beziehung gegeben ist, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen können (C-145/10; C-654/11; C-352/13).
5.3. Diese besondere Zuständigkeitsregel ist, damit von der Grundregel des Gerichtsstands des Wohnsitzes des Beklagten abgewichen werden kann, strikt auszulegen. Eine Auslegung über die ausdrücklichen in der Verordnung vorgesehenen Fälle hinaus ist unzulässig.
Für die Anwendung des Art. 8 Nr. 1 EuGVVO ist somit zu prüfen, ob zwischen den verschiedenen Klagen eines Klägers gegen verschiedene Beklagte ein Zusammenhang besteht, der eine gemeinsame Entscheidung geboten erscheinen lässt, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren möglicherweise widersprechende Entscheidungen ergehen. Dabei können Entscheidungen nicht schon deswegen als einander widersprechend betrachtet werden, weil es zu einer abweichenden Entscheidung des Rechtsstreits kommt, sondern diese Abweichung muss außerdem bei derselben Sach- und Rechtslage auftreten (C-98/06; C-145/10; C-645/11; C-352/13).
5.4. Die Voraussetzung, dass es sich um dieselbe Sach- und Rechtslage iSd Art. 8 EuGVVO handelt, ist nicht erfüllt. Die Antragstellerin brachte dazu vor und dies ist insoweit unstrittig, dass nur die Erstantragsgegnerin einen Einfluss auf die Schaltung und die Kontrahierung über Google Ads habe. Aus ihrem Vorbringen ergibt sich jedoch nicht, welche Aufgabe der Zweitantragsgegnerin hinsichtlich des behaupteten kartellrechtswidrigen Verhaltens, nämlich der Geschäftsverweigerung bzw. Blockade der Werbung, zukommen solle.
Es wurde keine Behauptung aufgestellt, welches konkrete kartellrechtswidrige Verhalten der Zweitantragsgegnerin vorgeworfen werde, das durch sie abgestellt werden solle.
6. Nach Erörterung und dem zur Passivlegitimation der Zweitantragsgegnerin durchgeführten Beweisverfahren sind die beiden Antragsgegnerinnen zwar Unternehmen desselben Konzerns, ein „Mutter“-“Tochter“ oder ähnlich nahes Verhältnis besteht jedoch nicht.
Die Verantwortung, Verträge mit Google Ads abzuschließen und die Werbung zu schalten oder zu blockieren, kommt nur der Erstantragsgegnerin zu. Die Anträge gegen die Zweitantragsgegnerin waren daher infolge mangelnder Passivlegitimation abzuweisen.
Ausdruck vom: 22.12.2024 06:30:34 MEZ