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Kategorie:

Kartell

Dienststelle:

OLG Wien (009)

Aktenzeichen:

27 Kt 3/18w


Bekannt gemacht am:

08.03.2019

Entscheidungsdatum:

08.11.2018


Über die Antragsgegnerin wird wegen Zuwiderhandlung gegen § 1 KartG, nämlich einer Preisbindung der zweiten Hand, indem sie ab April 2015 bis Februar 2018 mit einzelnen ihrer Tankstellenpächter vertikale Vereinbarungen in Form von Marken- und Belieferungsverträgen abschloss, die eine Beauftragung der Antragsgegnerin durch die Tankstellenbetreiber zur laufenden Bildung von Verkaufspreisen vorsahen, sowie ein elektronisches Kassensystem installierte, das die direkte Übertragung von Preisen für Treibstoffe der Antragsgegnerin in das Kassensystem von Händlern und in weiterer Folge an die Zapfsäulen und weitere Preisauszeichnungseinrichtungen („Totem“) ermöglichte, gemäß § 29 Z 1 lit a KartG 2005 eine Geldbuße von EUR 70.000,-- verhängt.

B e g r ü n d u n g :

Die Antragsgegnerin betreibt in Österreich ein Tankstellennetz mit 81 Tankstellen und erzielte im Jahr 2017 – ebenso wie 2016 – einen Umsatz von rund EUR XXX. Von April 2015 bis Ende Februar 2018 wurde die Antragsgegnerin von der Futura Privatstiftung und KR Gerhard Annawitt gehalten. Seit 28.2.2018 werden die Unternehmensanteile zur Gänze von der SOCAR Energy Austria GmbH gehalten, die ihrerseits ein Tochterunternehmen der Schweizerischen SOCAR Energy Holdings AG ist. Deren Alleineigentümer ist die State Oil Company of the Azerbaijan Republic („SOCAR“) mit Sitz in Baku, Azerbaijan.

Der Antragsteller begehrte die Verhängung einer Geldbuße von EUR 70.000,-- über die Antragsgegnerin wegen einer wettbewerbswidrigen Preisbindung der zweiten Hand, da sie mit ihren als selbständige Gewerbetreibende agierenden Tankstellenpächtern Marken- und Belieferungsverträge für Treibstoff abgeschlossen habe, die eine Beauftragung zur Preisbildung der Antragsgegnerin durch die Tankstellenpächter vorgesehen hätten, ohne eindeutig unverbindlich zu sein. Er brachte im Wesentlichen vor, die Antragsgegnerin habe diesen Vertragstyp bei insgesamt 37 Tankstellen von April 2015 bis Februar 2018 angewendet. Darüber hinaus hätten die Tankstellenpächter ein im Besitz der Antragsgegnerin befindliches Kassensystem benützt, in das die Antragsgegnerin direkt jeweilige Verkaufspreise einspielen habe können. Diese Preise seien an die „Totem“-Anzeigen der Tankstellen und an die Preisanzeigen an den Zapfsäulen weitergeleitet worden. Die Pächter hätten zwar technisch die Möglichkeit der manuellen Änderung gehabt, hätten diese aber kaum genützt und die Preise meist unverändert zur Kenntnis genommen.

Die vor April 2015 von der Antragsgegnerin verwendeten Handelsvertreterverträge hätten zulässigerweise eine Vorgabe hinsichtlich der Preisgestaltung von Mineralölprodukten an Zapfsäulen enthalten. Ab April 2015 habe die Antragsgegnerin ihr Vertriebsnetz durch den Abschluss der Marken- und Belieferungsverträge in ein Netz selbständiger Kaufleute umgebaut und das bisher zulässige System der Preisvorgaben durch den Abschluss der Marken- und Belieferungsverträge zu einer kartellrechtlich verbotenen Preisbindung der zweiten Hand umgewandelt. Die Marken- und Belieferungsverträge hätten ausdrücklich die Existenz eines Handelsvertretervertrages verneint. In diesen Verträgen sei kein System vorgesehen gewesen, das eine Weitergabe der Provision der Tankstellenpächter an Endkunden geregelt habe. Damit sei die Möglichkeit der Tankstellenpächter, den Verkaufspreis für Treibstoff selbst festzusetzen, beschränkt worden. Diese Preisbindung der zweiten Hand stelle eine Kernbeschränkung dar, die eine Freistellung nach § 2 KartG ausschließe.

Nach Gesprächen zwischen dem Antragsteller und der Antragsgegnerin seien die Marken- und Belieferungsverträge großteils ab 14.12.2017 in nicht gegen das Kartellrecht verstoßende Agenturverträge überführt worden. Der letzte Marken- und Belieferungsvertrag sei mit 28.2.2018 beendet worden. Die Antragsgegnerin habe am 13.8.2018 ein Anerkenntnis gegenüber dem Antragsteller abgegeben.

Der räumlich relevante Markt umfasse ein Umfeld von etwa 30 Autominuten und überschreite nicht die Staatsgrenzen. Daher liege keine spürbare Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels vor und Art 101 AEUV sei nicht anzuwenden.

Nach den Kriterien des KartG und den Leitlinien der Europäischen Kommission sei im Hinblick auf den Gesamtumsatz der Antragsgegnerin von rund EUR XXX, den im Mineralölhandel hohen Materialaufwand von rund EUR XXX und eine „Wertschöpfung“ von rund EUR XXX eine Geldbuße von EUR 70.000,-- angemessen. Der vom Verstoß betroffene Umsatz habe hochgerechnet auf die gesamte Verstoßdauer für die 37 betroffenen Tankstellen EUR XXX betragen. Als mildernd sei zu berücksichtigen, dass der Marktanteil der gesamten Gruppe der Antragsgegnerin auf dem österreichischen Markt gering sei, ihre Tankstellen auch auf lokalen Märkten nie unter das Vermutungskriterium der Marktbeherrschung fielen, die Antragsgegnerin als Diskonter eine aggressive Preispolitik betreiben müsse, es sich bei den einzelnen Tankstellen um sehr kleinräumige lokale Märkte handle und der preisliche Spielraum eines Pächters begrenzt sei. Die Dauer der Rechtsverletzung für jeden einzelnen Tankstellenstandort habe im Durchschnitt etwa 1 ½ Jahre betragen. Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Zuwiderhandlung seien im Hinblick auf die zahlreichen Wettbewerber in der Umgebung gering gewesen. Eine Bereicherung sei nicht festzustellen und der Grad des Verschuldens leicht. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Antragsgegnerin sei im Hinblick auf die Rohmarge von rund EUR XXX und den Jahresüberschuss von nur rund EUR XXX zu beurteilen. Erschwerungsgründe lägen nicht vor. Als Milderungsgründe seien die Abänderung der Verträge aus eigenem, die Kooperation mit den Amtsparteien sowie das Anerkenntnis zu werten. Nach dem Eigentümerwechsel am 28.2.2018 habe der neue Eigentümer die Abstellung der inkriminierten Vorgangsweise mit Nachdruck betrieben.

Die Bundeswettbewerbsbehörde schloss sich dem Vorbringen und dem Antrag des Bundeskartellanwalts an.

Die Antragsgegnerin stellte den vorgebrachten Sachverhalt außer Streit und trat der Verhängung einer Geldbuße in der beantragten Höhe nicht entgegen.

Da gegen die Richtigkeit der Außerstreitstellungen, die mit den vom Bundeskartellanwalt vorgelegten Urkunden Beilagen ./A - ./H in Einklang stehen, keine Bedenken bestehen, waren iSd § 33 Abs 1 AußStrG iVm § 38 KartG keine weiteren Erhebungen durchzuführen.

Rechtlich ergibt sich daraus Folgendes:

Gemäß Art 3 VO (EG) Nr 1/2003 haben die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten auf Vereinbarungen zwischen Unternehmen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die geeignet sind, den zwischenstaatlichen Handel zu beeinträchtigen, Art 101 AEUV parallel zum nationalen Wettbewerbsrecht anzuwenden. Dabei ist der Begriff des zwischenstaatlichen Handels weit auszulegen und erfasst den gesamten Wirtschaftsverkehr im Binnenmarkt. Die Eignung der Vereinbarung oder der abgestimmten Verhaltensweise, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, reicht aus. Im vorliegenden Fall ist dem Antragsteller darin beizupflichten, dass die Zwischenstaatlichkeit zu verneinen ist. Ein grenzüberschreitender Handel wurde nicht behauptet und lässt sich im Hinblick auf das kleinräumige Einzugsgebiet der Tankstellen dem Sachverhalt auch nicht entnehmen. Daher war nur innerstaatliches Wettbewerbsrecht anzuwenden und nicht auf Art 101 AEUV Bezug zu nehmen.

Das festgestellte Verhalten der Antragsgegnerin umfasst vertikale Preisabstimmungen bzw -absprachen über Wiederverkaufspreise. Solche Preisbindungen der zweiten Hand stellen – als Festsetzung von Verkaufspreisen - „Kernverstöße“ gegen § 1 KartG dar. Preisabsprachen verletzen somit auch im Vertikalverhältnis per se das Kartellverbot. Das Verbot ist weit auszulegen und betrifft jede Vereinbarung, die direkt oder indirekt geeignet ist, Preiswettbewerb zu behindern. Eine Vereinbarung kann nicht nur eine isolierte Handlung sein, sondern auch aus einer Reihe von Akten, einem kontinuierlichen Verhalten und einer Gesamtheit von Absprachen, Abstimmungen und Regeln bestehen, sofern sie sich in einen Gesamtplan einfügen (16 Ok 2/15b).

Die hier zu beurteilenden Verhaltensweisen stellen verpönte Preisabsprachen dar. Sie waren objektiv geeignet, in die Bestimmung der Preise der Tankstellenpächter einzugreifen und den Preiswettbewerb für Treibstoff zu beschränken. In diesem Sinn war eine Wettbewerbsbeschränkung bezweckt und es liegt ein Verstoß gegen das Kartellverbot vor.

Rechtfertigungsgründe nach § 2 KartG wurden nicht behauptet und sind nicht erkennbar.

Daher sind alle Tatbestandsvoraussetzungen für die Verhängung einer Geldbuße erfüllt. Dabei war iSd § 30 Abs 3 KartG als mildernd zu berücksichtigen, dass die Antragsgegnerin die Rechtsverletzung aus eigenem beendete, wesentlich zur Aufklärung des Sachverhalts beitrug, indem sie mit den Amtsparteien kooperierte und ein Anerkenntnis abgab. Erschwerungsgründe iSd § 30 Abs 2 KartG sind nicht gegeben.

Ob allenfalls eine höhere als die vom Bundeskartellanwalt beantragte Geldbuße in Frage käme, ist im Hinblick darauf, dass das Kartellgericht nach § 36 Abs 2 letzter Satz KartG keine höhere als die beantragte Geldbuße verhängen darf, nicht zu prüfen. Eine niedrigere Geldbuße als die beantragte Summe kommt angesichts der Schwere und Dauer des Verstoßes aus spezial- und generalpräventiven Erwägungen nicht in Betracht.“


 


Ausdruck vom: 19.04.2024 15:02:19 MESZ