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Kategorie:

Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung

Dienststelle:

OLG Wien (009)

Aktenzeichen:

128 Kt 4/22s


Bekannt gemacht am:

10.04.2024

Entscheidungsdatum:

27.01.2023


 
1. Die von der Antragsgegnerin erhobene Einrede der Unzuständigkeit wird – soweit sie als formelle Unzuständigkeitsreinrede zu verstehen ist – zurückgewiesen.
2. Die Anträge, der Antragsgegnerin aufzutragen,
(a) binnen 14 Tagen der Antragstellerin Zugang zum Webshop der Antragsgegnerin unter https://shop.asfinag.at/de/ zu gewähren, um der Antragstellerin den Erwerb von digitalen Mautprodukten (= digitalen Vignetten und digitalen Streckenmauten) zu ermöglichen, und die Sperre der Kundenkonten der Antragstellerin für Registrierungen von digitalen Mautprodukten im Webshop aufzuheben; sowie hilfsweise
(b) es zu unterlassen, die Kundenkonten der Antragstellerin für Registrierungen von digitalen Mautprodukten (= digitalen Vignetten und digitalen Streckenmauten) im Webshop der Antragsgegnerin unter https://shop.asfinag.at zur Bereitstellung an und sofortigen Benutzung und Online-Bezug durch Kunden mit Sitz außerhalb von Österreich und Fahrzeugen mit nicht-österreichischen Kennzeichen, unter Berufung auf die Punkte 1.6. und 14. der „Allgemeinen Nutzungsbedingungen („ANB“) zum Bezug der Digitalen Vignetten sowie der Digitalen Streckenmaut im ASFINAG-Webshop (inklusive der ASFINAG-App)“ und unter Bezugnahme auf das Verbot der gewerblichen Weiterveräußerung, zu sperren und der Antragstellerin den Zugang zum Webshop der Antragsgegnerin unter https://shop.asfinag.at zu gewähren;
werden jeweils - mit Ausnahme der Einräumung eines Zuganges der Antragstellerin für den Eigenbedarf – abgewiesen.
3. Die Antragstellerin und die Antragsgegnerin haben ihre Kosten des Verfahrens jeweils selbst zu tragen.
B e g r ü n d u n g
Die Antragstellerin ist eine deutsche Gesellschaft mit Sitz in Regensburg (Deutschland).
Die Antragsgegnerin ist die nach § 1 ASFINAG-Gesetz errichtete Aktiengesellschaft, deren Aktien zur Gänze im Eigentum der Republik Österreich stehen. Ihr Unternehmensgegenstand ist insbesondere die Finanzierung, die Planung, der Bau und die Erhaltung von Bundesstraßen, einschließlich der hierzu notwendigen und zweckdienlichen Infrastruktur, und die Einhebung von zeit- und fahrleistungsabhängigen Mauten von den Nutzern dieser Straßen. Sie hat das Fruchtgenussrecht (§§ 509 ff ABGB) an allen Autobahnen und Schnellstraßen in Österreich. Damit verbunden ist das Recht, die Einhebung von Mauten und Benützungsgebühren von sämtlichen Nutzern der ihr übertragenen Straßen vorzunehmen.
Seit 1.12.2017 bietet die Antragsgegnerin den Bezug der digitalen Vignette und der digitalen Streckenmaut (Überbegriff für beide: „digitale Mautprodukte“) über den von ihr betriebenen Webshop https://shop.asfinag.at/de/ an. Die Allgemeinen Nutzungsbedingungen zum Bezug der Digitalen Vignetten sowie der Digitalen Streckenmaut im Webshop der Antragsgegnerin (kurz „ANB“) sehen ua folgende Regelungen vor:
„1.3 […]Der Erwerb einer Digitalen Vignette bzw. einer Digitalen Streckenmaut ist möglich, indem das Kennzeichen im Mautsystem registriert wird.[…]
1.6 Der Bezug der Digitalen Vignette bzw. der Digitalen Streckenmaut ist ein gesetzliches Schuldverhältnis. Der Online-Bezug darf ausschließlich über den ASFINAG-Webshop innerhalb von Österreich, der EU, der EWR-Staaten sowie der Schweiz und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland erfolgen. Der Bezug erfolgt ausschließlich auf Basis dieser ANB, der per Verweis integralen Dokumente und der gesetzlichen Bestimmungen. Andere Bedingungen – insbesondere Einkaufsbedingungen odgl des Beziehers – sind ausgeschlossen.
[…]
2.1 Klebevignette und Digitale Vignette haben dieselbe Gültigkeitsdauer, sie kosten denselben Preis und sind jeweils als Jahresvignette, als Zweimonatsvignette und als Zehntagesvignette verfügbar. Sie unterscheiden sich voneinander aber dadurch, dass die Klebevignette am Fahrzeug anzubringen ist, während bei der Digitalen Vignette das Kraftfahrzeugkennzeichen gemäß den Vorgaben des BStMG im Mautsystem registriert wird. Diese Registrierung stellt den Bezug der Digitalen Vignette dar.[…]
2.2 Herkömmliche Streckenmaut und Digitale Streckenmaut kosten denselben Preis und sind als Einzelfahrt oder Jahreskarte verfügbar.[…]“
(Beilagen ./J und ./8)
Im Webshop oder in der App der Antragsgegnerin wird beim Bezug der digitalen Mautprodukte zwischen Unternehmern und Verbrauchern unterschieden. Unternehmer können die digitalen Mautprodukte auch mit sofortiger Gültigkeit – also ohne 18-tägige Wartefrist – zum aktuellen Mauttarif beziehen. Beim Bezug digitaler Vignetten durch Verbraucher ist das digitale Mautprodukt frühestens nach Ablauf einer Wartefrist von 18 Tagen gültig, innerhalb derer die Verbraucher den Rücktritt vom Vertrag erklären können.
Abgesehen vom möglichen Bezug der Klebevignette (bei der die 18-tägige Mindestfrist bis zur Gültigkeit generell nicht gilt) über das Internet bzw der Streckenmaut an Mautstellen kann ein (auch für Verbraucher) sofort gültiges digitales Mautprodukt in physischen Vertriebsstellen der Antragsgegnerin oder ihrer Vertriebspartner erworben werden. Diesen Vertriebspartnern werden von der Antragsgegnerin auch zusätzliche Funktionalitäten über ihr Kundenkonto zur Verfügung gestellt, mit denen ihnen der Produktverkauf und ein anschließendes Servicemanagement (etwa Umregistrierung) ermöglicht werden. Der Produktpreis ist in allen diesen Fällen (Klebevignette, Streckenmaut, digitale Vignette über Webshop oder App, über Automat, über eine Vertriebsstelle oder über Vertriebspartner der Antragsgegnerin) gleich und es werden keine Aufschläge verrechnet. Ein digitales Mautprodukt konnte daher vor der Entscheidung des Kartellobergerichts zu 16 Ok 1/21i online über das Internet (also ohne physische Anwesenheit bei einem Automaten, einer Vertriebsstelle oder einem Vertriebspartner der Antragsgegnerin) nur über den Webshop oder die App der Antragsgegnerin erworben werden, sodass von Verbrauchern (sofern sie im Webshop der Antragsgegnerin nicht tatsachenwidrig angaben, Unternehmer zu sein) über das Internet erworbene digitale Mautprodukte in jedem Fall (Ausnahme: Einzelfahrt bei Streckenmaut bei Verzicht auf das Rücktrittsrecht) frühestens 18 Tage nach Bezugsdatum gültig sein konnten. Insbesondere kontrahierte die Antragsgegnerin hinsichtlich des Zugangs zu ihrem Webshop nicht mit Dritten, die über eigene Webshops digitale Mautprodukte vertreiben wollten.
Gegenstand des Verfahrens ist der von der Antragstellerin zuletzt [ON 6] gestellte Antrag, der Antragsgegnerin zur Abstellung des Missbrauchs der marktbeherrschenden Stellung gemäß § 26 KartG aufzutragen, der Antragstellerin den Zugang zum Webshop der Antragsgegnerin https://shop.asfinag.at/de/ zu gewähren, um der Antragstellerin den Erwerb von digitalen Mautprodukten zu ermöglichen, und die Sperre der Kundenkonten der Antragstellerin für Registrierungen von digitalen Mautprodukten im Webshop aufzuheben. Hilfsweise begehrte sie, die Antragsgegnerin dazu zu verpflichten, es zu unterlassen, die Kundenkonten der Antragstellerin für Registrierungen von digitalen Mautprodukten zur Bereitstellung an und sofortigen Benutzung und Online-Bezug durch Kunden mit Sitz außerhalb von Österreich und Fahrzeugen mit nicht-österreichischen Kennzeichen zu sperren und ihr Zugang zum Webshop zu gewähren.
Unter einem brachte die Antragstellerin auch einen inhaltsgleichen Sicherungsantrag ein (siehe Punkt 3. der Feststellungen).
Die Antragstellerin bestritt die von der Antragsgegnerin eingewendete Unzuständigkeit des Kartellgerichts und brachte im Hauptverfahren zusammengefasst wie folgt vor:
[a] Die Antragstellerin wolle ihren Kunden unter der Domain mautpilot.de sofort gültige digitale Mautprodukte online bereitstellen. Zu diesem Zweck habe die Antragstellerin im Webshop der Antragsgegnerin gemäß 3.2.5.1 der Mautordnung der Antragsgegnerin Kundenkonten in ihrem Namen unter Angabe ihres Unternehmenssitzes in Deutschland angemeldet. Über die Domain mautpilot.de und ein solches zwischengeschaltetes Kundenkonto der Antragstellerin könnten ihre Kunden als Begünstigte bei der Antragsgegnerin sofort gültige digitale Mautprodukte für ihr Kraftfahrzeug online erwerben. Die Kunden der Antragstellerin seien zur Zahlung der Mautgebühr der Antragsgegnerin als Vorleistung sowie einer Servicegebühr für die Dienstleistung der Antragstellerin und die schnelle Verfügbarkeit (zzgl der jeweiligen gesetzlichen Umsatzsteuer) verpflichtet. Handle es sich beim Kunden der Antragstellerin um einen Verbraucher, habe dieser gegenüber der Antragstellerin gemäß den Allgemeinen Geschäftsbedingungen von mautpilot.de das Recht den Vertrag gegenüber der Antragstellerin binnen 14 Tagen ohne Angabe von Gründen zu widerrufen. Dieses Recht gewähre die Antragstellerin den Verbrauchern auch tatsächlich.
[b] Die Antragsgegnerin blockiere jedoch sowohl die Kundenkonten als auch sämtliche weiteren Möglichkeiten für den Erwerb von digitalen Mautprodukten durch die Antragstellerin in ihrem Webshop: Die von der Antragstellerin zunächst erstellten Accounts, mit denen sie sich im Webshop der Antragsgegnerin registriert habe, seien gesperrt worden. Auch alle weiteren Versuche der Antragstellerin, ohne Account im Webshop der Antragsgegnerin digitale Mautprodukte zu bestellen, seien ohne Erfolg gewesen, weil die Antragsgegnerin nach wie vor offenbar sämtliche IP-Adressen der Server der Antragstellerin vom Zugang zu ihrem Webshop sperre. Darüber hinaus sperre sie auch sämtliche von der Antragstellerin gewählten Zahlungsarten, wie Bankkonto, Kreditkarte und PayPal.
[c] Solange die Zugangssperre der Antragstellerin zum Webshop der Antragsgegnerin aufrecht sei, sei es der Antragstellerin nicht möglich, den Bedarf ihrer Kunden nach sofort gültigen, online beziehbaren digitalen Mautprodukten für die Benützung von Mautstraßen in Österreich zu decken. Der Antragstellerin sei es damit nämlich nicht möglich, die digitalen Mautprodukte der Antragsgegnerin als notwendige Vorleistungen online zu erwerben. Trotz großer Nachfrage nach ihrem Produkt werde durch die genannten Sperren das Geschäftsmodell der Antragstellerin komplett verhindert. Dadurch entgehe ihr ein wesentlicher Teil ihres Umsatzes in Höhe von etwa EUR xxx monatlich. Zudem sei für sie der Zugang zum Webshop der Antragsgegnerin auch dann gesperrt, wenn sie digitale Mautprodukte für ihren eigenen Bedarf, zB für von ihr selbst genutzte PKWs, erwerbe.
[d] Die Antragsgegnerin missbrauche durch die kategorische Weigerung, der Antragstellerin Zugang zu ihrem Online-Webshop zu gewähren, und die Sperre der Kundenkonten der Antragstellerin ihre marktbeherrschende Stellung. Andere Anbieter für den Online-Bezug von digitalen Mautprodukten zur Benutzung des österreichischen Bundesstraßennetzes existierten faktisch nicht. Es kämen daher keine alternativen Bezugsquellen für die Antragstellerin in Frage. Die von ihr angebotenen (beabsichtigten) Dienstleistungen seien neu und brächten Effizienzvorteile für ihre Kunden. Bei sämtlichen von der Antragsgegnerin angebotenen Vertriebsformen sei es für den Bezug einer sofort gültigen digitalen Vignette erforderlich, dass der Verbraucher physisch einen Vertriebspartner der Antragsgegnerin oder einen Automaten aufsuche; somit sei ein Online-Bezug von sofort gültigen digitalen Mautprodukten (mit Ausnahme von Einzelfahrten) nicht möglich. Die Antragstellerin unterstütze dabei die Mauteinhebung der Antragsgegnerin.
Die Antragsgegnerin unterliege als marktbeherrschendes Unternehmen, das über unerlässliche Vorleistungen auf dem vorgelagerten Markt verfüge, einem Kontrahierungszwang. Sie dürfe eine Geschäftsbeziehung mit der Antragstellerin, dh den Zugang zu ihrem Webshop, nur bei Vorliegen einer objektiven wirtschaftlichen oder sachlichen Rechtfertigung verweigern. Jedenfalls aber sei die Zugangssperre der Antragstellerin völlig überschießend und unverhältnismäßig.
Auch die Voraussetzungen für die Anwendung der essential-facilities-Doktrin seien hier erfüllt, weil für den Online-Bezug von digitalen Mautprodukten kein tatsächlicher oder potentieller Ersatz für einen Bezug über den Webshop der Antragsgegnerin bestehe und ein neuartiges Produkt (sofort gültige, online beziehbare digitale Mautprodukte für Verbraucher) vorliege, das derzeit von keinem anderen Marktteilnehmer angeboten werde.
Die Verweigerung des Zugangs zum Webshop der Antragsgegnerin verstoße auch gegen das Diskriminierungsverbot, zumal die Antragstellerin bereit sei, die Leistungen der Antragsgegnerin zu denselben Bedingungen wie alle anderen Marktteilnehmer zu erwerben und sich aus Sicht der Antragsgegnerin deren Leistungen an die Antragstellerin nicht von jenen unterschieden, die sie auch Dritten über den Webshop anbiete.
Die Antragsgegnerin kontrahiere trotz Hinweises durch die Antragstellerin nunmehr – nach Erlassung der Einstweiligen Verfügung in diesem Verfahren - hinsichtlich des Zugangs zu ihrem Webshop mit anderen Unternehmen, die über eigene Webshops digitale Marktprodukte anbieten. Dagegen verweigere sie der Antragstellerin nach wie vor den unbeschränkten Zugang zum Webshop und gewähre ihr den Zugang nur gezwungener Maßen aufgrund der erlassenen Einstweiligen Verfügung. Aufgrund der Marktöffnung sei die Antragsgegnerin aber gemäß Art 102 Satz 1 AEUV schon ganz grundsätzlich verpflichtet, ihr Produkt diskriminierungsfrei anzubieten. Auf das Vorliegen eines „neuen Produkts“ komme es daher aufgrund der zwischenzeitig erfolgten Marktöffnung für den digitalen Weitervertrieb von digitalen Mautprodukten nicht mehr an. Die Einstweilige Verfügung entfalte gegenüber anderen „Graumarktanbietern“ keine rechtliche Wirkung. Die Antragsgegnerin sei keinen Diskriminierungsvorwürfen ausgesetzt.
[e] Es lägen keine sachlichen Gründe vor, die es rechtfertigen würden, der Antragstellerin den Zugang zum Webshop der Antragsgegnerin zu verweigern:
[e1] Die Antragstellerin schädige mit ihrem Geschäftsmodell keine Verbraucher. Es sei sowohl nach deutschem als auch nach österreichischem Recht zulässig. Für Verbraucher habe es ausschließlich Vorteile, weil diese sowohl ein Widerrufs- bzw Rücktrittsrecht als auch ein gleich nach Erwerb sofort gültiges, online beziehbares digitales Mautprodukt hätten.
[e2] Die Antragstellerin weise für ihre Kunden auf ihrer Domain mautpilot.de ordnungsgemäß und transparent in tabellarischer Form sowohl die Höhe der Mautgebühr als auch die Höhe des Serviceentgelts für jedes einzelne Mautprodukt getrennt aus, wohin auch der naheliegende Link „Preise“ führe. Dieser Link werde auch während des Bestellprozesses in räumlicher Nähe zum angegebenen Preis angeführt. Es sei daher unrichtig, dass lediglich ein Pauschalpreis angegeben werde. Ebenso weise die Antragstellerin im Bestellprozess als auch unter Punkt 5. ihrer AGB darauf hin, dass ihre Preise die Mautgebühren der Antragsgegnerin sowie eine Servicegebühr beinhalten.
Zudem sei ohnehin nach dem (aufgrund des Herkunftslandprinzips in § 20 ECG anwendbaren) deutschen Lauterkeitsrecht nur die Angabe des vom Kunden zu zahlenden Gesamtpreises geboten. Daraus ergebe sich keine Pflicht zu einer weiteren Aufschlüsselung. Sofern österreichisches Recht strengere Vorgaben vorsähe, wären diese für die Antragstellerin als deutsches Unternehmen nicht anwendbar. Für den Tatbestand des UWG Anh Z 18 reiche das bloße Erwecken eines unzutreffenden Eindrucks nicht aus.
Die von der Antragstellerin an ihre Kunden weitergeleiteten Unterlagen würden natürlich ihren Gesamtpreis ausweisen. Dazu sei sie auch verpflichtet. Das angeblich unlautere „Retuschieren“ auf den Bestellbestätigungen werde von der Antragsgegnerin in dem von ihr vor dem Handelsgericht Wien gegen die Antragstellerin geführten UWG-Verfahren (siehe dazu Punkt 13. der Feststellungen) gar nicht beanstandet.
[e3] Die unterlassene Weitergabe eines Rabatts werde bestritten. Sofern es dazu gekommen sei, handle es sich bloß um einen Einzelfall, der keine sachliche Rechtfertigung für eine komplette Lieferverweigerung durch die Antragsgegnerin als Monopolistin begründen könne.
[e4] Bei mautpilot.de würden Verbraucher gegenüber der Antragsgegnerin nicht als Unternehmer ausgegeben. Die Antragstellerin führe ein Kundenkonto als Unternehmerin und registriere über dieses Kennzeichen ihrer Kunden. Im Webshop der Antragsgegnerin müssten zur Identität und Eigenschaft ihrer Kunden keine Angaben gemacht werden. Vielmehr seien nur das behördliche Kfz-Kennzeichen, Zahlungsdaten und eine E-Mail-Adresse einzugeben. Es sei also – auch nach den AGB der Antragsgegnerin - möglich, für einen Dritten als Begünstigten ein digitales Mautprodukt zu erwerben. Es komme daher zu einem Vertrag zwischen der Antragstellerin und der Antragsgegnerin zugunsten des (dritten) Zulassungsinhabers. Vertragspartnerin der Antragsgegnerin sei ausschließlich die Antragstellerin; nur sie sei ihr gegenüber zur Zahlung von Entgelten verpflichtet. Der Endkunde sei dagegen nur gegenüber der Antragstellerin Vertragspartner und zahlungspflichtig. Zwischen der Antragstellerin und ihren Kunden liege auch kein Vermittlungs- oder Vertretungsgeschäft vor. Die Antragstellerin komme ihrer Zahlungspflicht gegenüber der Antragsgegnerin auch dann nach, wenn ihre Kunden von ihrem gemäß den allgemeinen Geschäftsbedingungen von mautpilot.de zustehenden Widerrufsrecht Gebrauch machen würden. Das gegenüber der Antragstellerin bestehende Widerrufsrecht ihrer Kunden schlage nicht auf die Antragsgegnerin durch, sodass ihr Geschäftsmodell für die Antragsgegnerin mit keinerlei Nachteilen verbunden sei.
[e5] 10-Tages-Vignetten könnten auslaufen, noch bevor das Rücktrittsrecht von 14 Tagen ende. In diesem Fall könnten Verbraucher der sofortigen Vertragserfüllung zustimmen und nach Erbringung der Leistung durch die Antragstellerin bestünde für diese kein Widerrufsrecht mehr. Es sei daher korrekt, wenn die Antragstellerin auf diese Möglichkeit hinweise. Nach deutschem Recht ende die Leistung des Unternehmens bei Bestellung längerfristiger Leistungen bereits mit der Bestellung durch den Kunden und nicht erst mit dem Ablauf des Abonnements. Für die Antragstellerin gelte der Maßstab des deutschen Rechts; strengere Bestimmungen des österreichischen Rechts seien aufgrund des Herkunftslandprinzips nicht anwendbar; zumindest sei diese Rechtsansicht vertretbar und keinesfalls unlauter. Der von der Antragsgegnerin relevierte Text betreffend die Erklärung über die vorzeitige Leistungserbringung im Rahmen des Bestellprozesses werde zudem schon lange nicht mehr verwendet.
[e6] Das Geschäftsmodell des Vertriebs sofort gültiger, online beziehbarer digitaler Mautprodukte der Antragstellerin sehe keine Weiterveräußerung der digitalen Mautprodukte der Antragsgegnerin im Sinne ihrer allgemeinen Nutzungsbedingungen vor, sondern einen Vertrag zu Gunsten Dritter. Selbst wenn aber eine Weiterveräußerung vorläge, begehe die Antragstellerin keinen Vertragsbruch, weil die Antragsgegnerin mit dem genannten Verbot in unsachlicher und unangemessener Weise von dispositiven Rechtsvorschriften abweiche, was zur Rechtswidrigkeit und Nichtigkeit der betreffenden Klausel führe.
Die Antragstellerin sei jedenfalls schon seit Anfang 2020 Kundin der Antragsgegnerin. Über die mit 3.2.2022 vorgenommenen Änderung der ANB in Punkt 14.1. sei sie von der Antragsgegnerin nie informiert worden und habe dieser weder zustimmen, noch widersprechen können. Aufgrund der laufenden Geschäftsbeziehung hätte die Antragsgegnerin die Antragstellerin auf eine Änderung ihrer AGB hinweisen müssen. Die geänderte Klausel sei daher für sie nicht gültig. Selbst im Falle der Gültigkeit sei die Bestimmung – wie bereits die Vorgängerbestimmung – nichtig und könne daher keine Unlauterkeit begründen: Es handle sich dabei nämlich um eine Kernbeschränkung gemäß Art 4 lit b VO (EU) 330/2010 (Vertikal-GVO). Mit ihr solle das zulässige Geschäftsmodell der Antragsgegnerin verhindert werden.
[e7] Die Antragstellerin brachte zunächst [ON 1] vor, dass sie die sofort gültigen, online beziehbaren digitalen Mautprodukte ausschließlich gegenüber Kunden mit Sitz außerhalb Österreichs und nur für Fahrzeuge mit nicht österreichischen Kennzeichen vertreibe. Kunden mit Sitz in Österreich und österreichischen behördlichen Kennzeichen sei es hingegen nicht möglich, über mautpilot.de digitale Mautprodukte der Antragsgegnerin zu bestellen. Um ihren goodwill zu zeigen, habe sich die Antragstellerin mit Unterlassungserklärung vom 29.5.2020 gegenüber der Antragsgegnerin sogar dazu verpflichtet, dass ihr Angebot ausschließlich von Kunden mit Sitz außerhalb Österreichs und für Fahrzeuge, die nicht in Österreich zugelassen seien, in Anspruch genommen werden könne, sie Verbraucher über deren gesetzliches Widerrufsrecht informiere und ihnen dieses gewähre und zudem, dass sie ihre Kunden über ihre Preisgestaltung informiere, insbesondere dass die Preise der Antragstellerin höher seien, als die Preise im Webshop der Antragsgegnerin.
In der Tagsatzung vom 9.6.2022 [ON 40] sowie im Schriftsatz [ON 46] brachte sie vor, sie habe bloß eine – auf den österreichischen Markt beschränkte - Unterlassungserklärung angeboten, welche die Antragsgegnerin jedoch nie angenommen habe. Damit habe sie nicht den Vorwurf unlauterer Geschäftspraktiken anerkannt, sondern versucht, einen Streit mit der Antragsgegnerin beizulegen. Nach zweijährigem Warten und einer zwischenzeitigen Bestätigung ihrer Rechtsposition habe die Antragstellerin ihr Angebot nunmehr zurückgezogen. Eine Pflicht zur Aufrechterhaltung des Angebots bestehe nicht.
[e8] Es werde bestritten, dass Kundenbeschwerden bei der Antragsgegnerin von der Antragstellerin zu verantworten seien. Soweit behauptete Kundenbeschwerden überhaupt vorgelegen hätten, würden sie Kunden anderer Anbieter betreffen. Sofern sich unzufriedene Kunden der Antragstellerin bei der Antragsgegnerin darüber beschwert hätten, dass die Antragstellerin deren Anfragen nach sofort gültigen, online beziehbaren Mautprodukten aufgrund der Sperre durch die Antragsgegnerin nicht habe bedienen können, liege dies in deren Verantwortung. Die Antragstellerin täusche Verbrauchern auch nicht vor, sie wäre ein offizieller Vertriebspartner der Antragsgegnerin. Sofern Missverständnisse bei Kunden bestanden hätten, habe die Antragsgegnerin diese nicht aufgeklärt, sondern vorsätzlich noch verstärkt. Durch den Versand von Standardschreiben werde kein „enormer Aufwand“ begründet. Die Antragsgegnerin informiere Kunden nicht, dass sie zum Schutz eigener wirtschaftlicher Interessen das von der Antragstellerin angebotene Produkt nicht selbst anbiete. Generell habe die Antragsgegnerin Serviceanfragen von Mautprodukt-Beziehern hinzunehmen. Dies könne nicht dazu führen, dass ein Marktteilnehmer gänzlich ausgeschlossen werde. Rechte an der Farbe „Orange“ stünden der Antragsgegnerin nicht zu.
[e9] Es werde bestritten, dass fehlerhafte Skript-Zugriffe aus dem Geschäftsmodell der Antragstellerin resultieren. Soweit fehlerhafte Skript-Zugriffe vorlägen, würden sie andere Anbieter betreffen. Die Antragstellerin könne auch nicht für etwaige Hacker-Angriffe auf den Webshop der Antragsgegnerin verantwortlich gemacht werden. Die behaupteten Zugriffe könnten technisch auch kein Problem für den Webshop darstellen.
[e10] Die von ihr verrechneten Servicegebühren seien nicht überhöht, sondern angemessen. Es sei nicht Aufgabe der Antragsgegnerin, festzustellen, ob die Preise der Antragstellerin werthaltig sind. Es werde bestritten, dass die Antragstellerin nicht in der Lage sei, ihren Kunden bei ordnungsgemäßem Zugang zu ihrem Kundenkonto das von der Antragsgegnerin behauptete Service-Niveau anzubieten. Selbst wenn man diese Behauptungen für richtig hielte, wäre ein bloß darauf gestützter Ausschluss vom Erwerb digitaler Mautprodukte überschießend und unverhältnismäßig.
[f] Aufgrund der bloßen Einleitung eines UWG-Verfahrens gegen die Antragstellerin sei die Antragsgegnerin nicht berechtigt, das Kundenkonto bzw den Zugang zum Webshop für die Antragstellerin zu sperren. Die behaupteten unlauteren Geschäftspraktiken lägen nicht vor. Selbst ein Unterliegen der Antragstellerin im UWG-Verfahren rechtfertige aber die Sperre nicht, weil die Antragsgegnerin im UWG-Verfahren nur für Österreich Lauterkeitsverstöße behaupte und somit maximal bestimmte Verkaufsmodalitäten für den Vertrieb in Österreich untersagt werden könnten. Die Antragstellerin betreibe aber auch Webshops für andere Länder, über die österreichische digitale Mautprodukte bestellt werden könnten. In Bezug auf diese Länder werfe die Antragsgegnerin keine Rechtsverletzungen vor. Allfällige punktuelle Einzelvorwürfe würden nicht die Rechtmäßigkeit des Geschäftsmodells der Antragstellerin in seiner Gesamtheit in Frage stellen. Obwohl die rechtliche Beurteilung des stattgebenden Teils der Einstweiligen Verfügung falsch sei, halte sich die Antragstellerin daran und habe den Vertrieb gegenüber österreichischen Kunden zur Gänze beendet. So sei der länderspezifische Webshop für Österreich eingestellt, die Domain m***.at von ihrem Online-Angebot getrennt, die Eingabemaske für österreichische Kennzeichen aus dem Webshop generell entfernt und die Angabe österreichischer Rechnungsadressen im Webshop generell gesperrt worden. Zum Teil sei der Sicherungsantrag im UWG-Verfahren überhaupt abgewiesen worden.
[g] Die Antragsgegnerin wende selbst fragwürdige Geschäftspraktiken an, die Lauterkeitsverstöße begründen würden. Dies stelle eine unzulässige Selbstbevorzugung durch ein marktbeherrschendes Unternehmen dar: Sie täusche die Verbraucher darüber, dass der Zweck der 18-tägigen Wartefrist dem Schutz von Verbrauchern diene, obwohl damit ausschließlich sie selbst vor der Geltendmachung des zwingenden Widerrufsrechts geschützt werden solle. Sie weise in ihrer Preisauszeichnung die USt so klein aus, dass sie von Verbrauchern gar nicht wahrgenommen werde. Sie ignoriere den Widerruf von Verbrauchern, die irrtümlich als Unternehmer eine digitale Vignette erworben hätten und dies später richtigstellen wollten. Andere Anbieter als die Antragstellerin sperre die Antragsgegnerin nicht von ihrem Webshop und verfolge sie auch sonst nicht, obwohl diese oft tatsächlich massive Rechtsverletzungen begingen. Damit verstoße sie als marktbeherrschendes Unternehmen gegen das Gleichbehandlungsgebot.
Die Antragsgegnerin bestritt und führte aus, das Kartellgericht sei nach § 24 Abs 2 KartG nicht zuständig, weil die Antragstellerin die Belieferung durch die Antragsgegnerin mit Auswirkungen außerhalb Österreichs begehre und sich das behauptete Verhalten der Antragsgegnerin daher nicht in Österreich auswirke.
Im Übrigen beantragte sie die (auf § 41 KartG gestützte) kostenpflichtige Abweisung der Anträge und brachte dazu zusammengefasst folgendes vor:
[a] Unternehmer könnten im Webshop der Antragsgegnerin digitale Mautprodukte auch mit sofortiger Gültigkeit zum aktuellen Mauttarif beziehen. Beim Bezug durch Verbraucher sei von der Antragsgegnerin dagegen eine 18-tägige Wartefrist (gesetzliche Rücktrittsfrist plus Postlauf) vorgesehen, weil ansonsten – wenn die digitalen Mautprodukte sofort gültig wären – das Rücktrittsrecht „missbraucht“ und die gesetzlich festgelegten Mauttarife ausgehebelt werden könnten. Das Geschäftsmodell der Antragstellerin ziele ausschließlich auf Verbraucher ab, die digitale Mautprodukte sofort bzw ohne Abwarten der 18-tägigen Frist nutzen wollten. Ihr Service bestehe somit darin, Verbrauchern zu höheren Preisen eine sofortige Benutzungsmöglichkeit der österreichischen Bundesstraßen „weiterzuverkaufen“. Dazu schalte sie Werbung für ihre Plattform, um unbedarfte Kunden auf ihre Website zu „locken“, leite die auf ihrer Plattform eingegebenen Kennzeichendaten der Bezieher automatisiert an den Webshop weiter, bezahle den entsprechenden Mautbetrag an die Antragsgegnerin und leite die Erklärungen aus dem Webshop an die Kunden wieder automatisiert zurück.
[b] Die Antragsgegnerin habe im Rahmen von sog „Anti-Fraud-Measures“ zunächst die von der Antragstellerin verwendeten Kundenkonten und sodann – um zu verhindern, dass immer wieder neue E-Mail-Konten unter der identischen Domain angelegt werden – die gesamte Domain gesperrt. IP-Adressen der Antragstellerin seien dagegen ebenso wenig gesperrt worden wie bestimmte Zahlungsarten. Derzeit befolge die Antragsgegnerin aber die vom Kartellobergericht erlassene Einstweilige Verfügung und gewähre der Antragstellerin (und anderen „Graumarktanbietern“) vollen Zugang zur Website, Software und Datenbank iZm ihrem Webshop, zumal ein beschränkter Zugang im Sinne des eingeschränkten Abstellungsauftrags technisch nicht möglich sei.
[c] Durch die Sperre der Domain sei die Antragstellerin nicht gezwungen gewesen, ihr Geschäftsmodell komplett einzustellen. Die Antragstellerin hätte jederzeit weitere Konten mit einer anderslautenden E-Mail-Adresse bzw Domain zum Erwerb eigener digitaler Mautprodukte anlegen oder auch anonyme Käufe ohne Kundenkonto tätigen können und damit digitale Mautprodukte - insbesondere auch für den eigenen Bedarf - beziehen können. Es sei somit lediglich der nicht autorisierte Weitervertrieb unterbunden worden.
[d] Ein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung liege nicht vor. Das Prinzip der Vertragsfreiheit gelte auch für marktbeherrschende Unternehmen; ihnen bleibe es somit unbenommen, ihre Handelspartner frei auszuwählen und über ihr Eigentum zu verfügen. Geschäfts- und Lieferverweigerungen seien auch für marktbeherrschende Unternehmen nur unter bestimmten, engen Voraussetzungen missbräuchlich, wobei hinzukomme, dass die Antragsgegnerin hinsichtlich des Zugangs zu ihrem Webshop nicht mit Dritten, die über eigene Webshops digitale Mautprodukte vertreiben wollen, kontrahiere.
Die essential facilities Doktrin sei nicht anwendbar, weil kein neuartiges Produkt/keine eigene Dienstleistung der Antragstellerin vorliege, die für den Vertrieb den Zugang zur Infrastruktur der Antragsgegnerin erfordern würde. Sofort gültige digitale Mautprodukte könnten von Verbrauchern bereits jetzt bei den Vertriebspartnern der Antragsgegnerin außerhalb und innerhalb Österreichs bezogen werden (von Unternehmern bereits jetzt auch online im Webshop der Antragsgegnerin). Es sei völlig ausreichend, wenn für den Online-Vertrieb ein einziger Vertriebskanal (nämlich der Webshop der Antragsgegnerin) bestehe. Sollten sich Kunden nämlich zur Erlangung der sofortigen Gültigkeit der digitalen Mautprodukte tatsachenwidrig als Unternehmer ausgeben wollen, könnten sie dies auch beim Erwerb über den Webshop der Antragsgegnerin tun, ohne einen überteuerten Preis zahlen zu müssen. Die Neuartigkeit könne im vorliegenden Fall noch nicht in der etwas früheren Verfügbarkeit des Produkts über einen bestimmten Vertriebskanal bestehen. Für das von der Antragstellerin angebotene „Service“ bestehe somit kein faktischer Bedarf und damit auch kein nachgelagerter Markt im Verhältnis zum Direktvertrieb der digitalen Mautprodukte durch die Antragsgegnerin, auf dem der Wettbewerb geschützt werden müsste. Es liege auch kein Fall vor, in dem das Entstehen eines neuen Marktes verhindert werde.
Auch eine Diskriminierung liege nicht vor. Nach der Rechtsprechung bestehe eine kartellrechtliche Verpflichtung zur Gleichbehandlung selbst für Marktbeherrscher nur gegenüber Handelspartnern, die sich gegenüber dem Lieferanten in der gleichen Lage befinden. Eine missbräuchliche Diskriminierung liege dann vor, wenn unterschiedliche Bedingungen angewandt würden, die fraglichen Leistungen gleichwertig seien und das marktbeherrschende Unternehmen durch sein Verhalten Handelspartner im Wettbewerb benachteilige. Die Antragsgegnerin gewähre aber auch sonst keinem Dritten mit einem ähnlichen Geschäftsmodell wie die Antragstellerin (egal ob man dieses als Vertrieb oder als „Vertrag zugunsten Dritter“ betrachte) Zugang zu ihrem Webshop. Die Antragstellerin befinde sich als Nachfrager der Zugangsleistung keineswegs in der gleichen Lage wie Endkunden im Webshop der Antragsgegnerin. Die beabsichtigten Vertriebsleistungen seien auch nicht mit jenen anderer Vertriebspartner der Antragsgegnerin vergleichbar, weil die bestehenden Vertriebspartner ausschließlich den physischen Wiederverkauf der digitalen Mautprodukte unterhalten würden und ihre (für Kunden und die Antragsgegnerin wertvolle) Leistung darin bestehe, das Vertriebsnetz für digitale Mautprodukte aufrecht zu erhalten. Die Antragstellerin wolle hingegen den auf Basis der Gesetze und der Mautordnung exklusiv der Antragsgegnerin vorbehaltenen Vertrieb digitaler Mautprodukte für sich beanspruchen.
Aufgrund der geltenden Einstweiligen Verfügung mahne die Antragsgegnerin andere „Graumarktanbieter“ derzeit zwar ab, sperre sie aber technisch nicht vom Zugang zu ihrem Webshop. Die Einstweilige Verfügung verbiete dies gegenüber der Antragstellerin, sodass in einem solchen Fall „Diskriminierungsanwürfe“ von anderen Anbietern drohten. Die Antragsgegnerin öffne den „Graumarktanbietern“ ihre Systeme auch nicht „aktiv“. Im Rahmen ihrer Kapazitäten verfolge sie diese vielmehr, sofern sie – wie die Antragstellerin – rechtswidrig handelten.
[e] Es lägen sachliche Gründe vor, die eine Geschäftsbeziehung der Antragsgegnerin mit der Antragstellerin unzumutbar machen würden. Die Antragsgegnerin sei nicht gewillt, ein Geschäftsmodell zu fördern, das auf systematischer Kundentäuschung basiere. Sie sehe sich dazu verpflichtet, die Transparenz, Lauterkeit und Rechtmäßigkeit ihres Vertriebsnetzes sicherzustellen und auf die Einhaltung der (europäischen) Verbraucherschutzregelungen zu achten. Die Antragstellerin verstoße hartnäckig sowohl gegen das Verbraucherschutz- als auch Lauterkeitsrecht sowie gegen vertragliche Verpflichtungen in den ANB der Antragsgegnerin. Dabei sei die Sperre des Zugangs der Antragstellerin das einzig probate Mittel seitens der Antragsgegnerin. Dieser sei es nicht zumutbar, laufend die Angebote der Antragstellerin auf Gesetzeskonformität zu prüfen.
[e1] Die Antragstellerin gestehe selbst zu, dass ihr Geschäftsmodell nicht rechtmäßig sei, weil sonst kein Grund bestünde, ihren Service nicht auch in Österreich anzubieten.
[e2] Im gesamten Bestellprozess der Antragstellerin zum Bezug von digitalen Mautprodukten und auf sämtlichen ihm übermittelten Unterlagen werde dem Verbraucher das an die Antragstellerin zu entrichtende Entgelt als „Gesamtpreis“ angegeben, ohne den Mautpreis und das von ihr verlangte „Service-Entgelt“ separat auszuweisen. Zu einer Preisliste der Antragstellerin auf ihrer Webseite gelange der Verbraucher nur umständlich durch mehrmaliges „Klicken“ und „Hinunterscrollen“. Damit bleibe dem Kunden aber der hohe Preisaufschlag der Antragstellerin – und damit auch der höhere Preis gegenüber einem Bezug im Webshop der Antragsgegnerin - in der Regel verborgen. Der objektive Durchschnittsverbraucher müsse nicht damit rechnen, dass der von der Antragstellerin kommunizierte Gesamtpreis auch einen Aufschlag für ihre Dienstleistungen enthalte. Die Antragsgegnerin verstoße dadurch gegen §§ 5 Abs 2 ECG, 11 PrAG, 4 Abs 1 Z 4 FAGG und – durch die unrichtige Information über die Marktbedingungen mit dem Ziel, den umworbenen Verbraucher dazu zu bewegen, die digitalen Mautprodukte zu höheren Preisen zu erwerben – auch gegen den Tatbestand des UWG Anh Z 18. Es sei der Antragsgegnerin nicht zuzumuten, Kunden beliefern zu müssen, die auf ihre Preise beim Weiterverkauf an den Endkunden intransparente Zuschläge aufschlagen und damit ihre Produkte mit rechtswidrigen Praktiken in Verbindung bringen.
Die Antragstellerin decke den auf der von der Antragsgegnerin ausgestellten Bestellbestätigung abgedruckten Mautpreis vor der Übermittlung der Bestätigung an ihre Kunden ab. Gleichzeitig sei in der Rechnung der Antragstellerin nur der von dieser verrechnete „Gesamtpreis“ angeführt. Damit solle gegenüber Verbrauchern verschleiert werden, wie hoch das Serviceentgelt bzw sonstige Aufschläge tatsächlich seien.
[e3] Die Antragstellerin gebe den von der Antragsgegnerin automatisiert gewährten Preisnachlass von EUR 40 beim Kauf einer Streckenmaut-Jahreskarte bei bereits vorhandener digitaler Jahresvignette nicht an die Verbraucher weiter und bereichere sich – neben den Serviceentgelten – um weitere EUR 40, ohne die Verbraucher darüber zu informieren.
[e4] Die Antragstellerin erkläre beim Bezug für ihre Kunden im Webshop der Antragsgegnerin, dass das digitale Mautprodukt als bzw für Unternehmer bezogen werde. Dabei verschweige sie gegenüber Verbrauchern, dass sie diese in allen Fällen ungeprüft der Antragsgegnerin gegenüber – tatsachenwidrig - als Unternehmer deklariere, um die von der Antragsgegnerin vorgesehene Wartezeit bei beim Online-Bezug von digitalen Mautprodukten zu vermeiden.
[e5] Obwohl sich die Antragstellerin gezielt an den österreichischen Markt richte, verweise sie in ihren AGB ausschließlich auf deutsches Recht und informiere auch nicht dem FAGG entsprechend über das österreichische Widerrufsrecht. Darüber hinaus suggeriere sie durch die Regelungen in ihren AGB im Zusammenhang mit der von den Kunden im Bestellprozess abverlangten Erklärung zur vorzeitigen Leistungserbringung, dass den Verbrauchern kein Widerrufsrecht zukomme, sobald sie die digitalen Mautprodukte der Antragsgegnerin erfolgreich vermittelt habe. Tatsächlich komme es aber auf die vollständig erbrachte Leistung auch der digitalen Mautprodukte an. Damit verfolge die Antragstellerin das Ziel, Verbraucher dazu zu bewegen, ihr Widerrufsrecht nicht auszuüben, womit sie gegen UWG Anh Z 18 verstoße. Zudem verlange sie im Bestellprozess die Erklärung über die vorzeitige Leistungserbringung in zwingender Kombination mit der Annahme ihrer AGB, der Widerrufsbelehrung und der Verbraucherinformation ab, was mit §§ 10, 18 FAGG im Widerspruch stehe. Die Antragsgegnerin müsse einen Zwischenhändler nicht beliefern, der über die gesetzlichen Rücktrittsrechte nicht gesetzmäßig informiert und diese daher einschränkt.
[e6] Die Antragsgegnerin verstoße mit ihrem Geschäftsmodell gegen das in den ANB der Antragsgegnerin geregelte Verbot der gewerblichen Weiterveräußerung, welches notwendig und gerechtfertigt sei. Dieses sei wirtschaftlich zu verstehen und erfasse gerade auch das Geschäftsmodell der Antragstellerin. Schon deshalb komme die Antragstellerin als Geschäftspartnerin nicht in Frage.
In ihren aktuellen – entsprechend der Entscheidung des Kartellobergerichts zu 16 Ok 1/21i gestalteten – ANB, die von den Beziehern stets zu akzeptieren seien, untersage die Antragsgegnerin unter Punkt 14.1 die gewerbliche Weiterveräußerung von digitalen Mautprodukten ohne Verkürzung des Gültigkeitsbeginns der 18 Tage für Verbraucher ohne ihre ausdrückliche Zustimmung. Die Antragstellerin verstoße dagegen, weil sie auch solche Mautprodukte weiterverkaufe. Die Antragsgegnerin müsse Kunden nicht beliefern, die sich weigern, ihre rechtskonformen ANB zu befolgen.
[e7] Am 20.1.2022 habe die Antragstellerin ihre Unterlassungserklärung vom 29.5.2020 „zurückgezogen“ und habe ihren Webshop für Österreich eröffnet, allerdings ohne diesen an die verbraucher- und lauterkeitsrechtlichen Anforderungen anzupassen. Sie halte sich auch nicht mehr an die darin gegenüber der Antragsgegnerin gemachten Zusagen.
[e8] Die Antragsgegnerin habe durch das Angebot der Antragstellerin zwar keinen unmittelbaren wirtschaftlichen Nachteil, weil ja die Maut voll entrichtet werde. Allerdings entfalle ein erheblicher administrativer Zusatzaufwand auf sie. Die Antragsgegnerin müsse nämlich mittelbar (über ihr Kundenservice) erzürnte Kunden auch der Antragstellerin betreuen, die sich über die Mehrkosten bzw andere Unzulänglichkeiten des „Service“ der Antragstellerin beschwerten. Dabei suggeriere diese gegenüber ihren Kunden, dass sie die digitalen Mautprodukte direkt bei der Antragsgegnerin oder einem ihrer offiziellen Vertragspartner bezogen hätten, sodass sich die Kunden mit ihren Beschwerden auch an die Antragsgegnerin richten würden. Dies verursache einen enormen Aufwand, was die Antragstellerin bewusst in Kauf nehme. Ein Mehraufwand für die Antragsgegnerin bestehe auch darin, dass Kunden der Antragstellerin eine mit dem Kundenkonto verbundene Serviceleistung der Antragsgegnerin in Anspruch nehmen wollen. In diesem Falle müsse letztere nämlich zunächst feststellen, ob es sich bei der betreffenden Person tatsächlich um den rechtmäßigen Bezieher handle. Dadurch erleide die Antragsgegnerin auch einen Imageschaden.
[e9] Die Vielzahl an automatisierten Zugriffen mit Anmeldung auf der Webseite der Antragsgegnerin von unterschiedlichen Client-Geräten werde vom Sicherheitssystem der Antragsgegnerin wie ein Hacker-Angriff gewertet und löse einen Alarm aus, was erheblichen Aufwand erzeuge. Es komme zu einer Überlastung des Loggings und der Sicherheitssysteme, wodurch tatsächliche gefährliche Angriffe nicht mehr identifiziert werden könnten. Zudem erschwere die hohe Anzahl an erzeugten irrelevanten Log-Einträgen die Fehlersuche und verlängere die Analysezeit von anderen Systemfehlern. Schließlich entstünden durch diese Art des fehlerhaften Skript-Zugriffs in Hochlast-Zeiten Performance-Probleme. Jeder Webshop-Betreiber sei bei solchen unerlaubten Zugriffen eigentlich genötigt, diese allein aus Sicherheitsgründen sofort zu unterbinden.
Durch die hohe Frequenz der Bot-Zugriffe komme es bei der Antragsgegnerin auch zu Zahlungsabwicklungsproblemen mit ihren Providern.
Die automatisierten Zugriffe der Antragstellerin würden bei der Antragsgegnerin im Verhältnis zur direkten manuellen Eingabe durch natürliche Personen als Bezieher überdurchschnittliche Vorhaltekosten verursachen. Ihr Webshop sei auf solche vollautomatisierten Zugriffe nicht ausgelegt, sodass diese zur Instabilität des Webshops führen (könnten). Da ein Viertel des Traffic im Webshop von den Systemen der Antragstellerin verursacht werde, entfalle etwa ein Viertel der täglichen Kosten für die Webshop-Infrastruktur iHv EUR 1.375 auf diese.
[e10] Bei rein wirtschaftlicher Betrachtungsweise sei die Antragstellerin ungerechtfertigt bereichert, weil deren „Service“ nicht werthaltig sei. Eine unkontrollierte Öffnung des „Sekundär-Vertriebsmarktes“ für digitale Mautprodukte für fremde Webshops würde zu nicht gerechtfertigten und nicht kontrollierten „Service-Aufschlägen“ durch andere Anbieter führen.
Die für den Vertrieb erforderliche umfassende Kenntnis der Produkte seitens des Vertriebspartners sowie die Möglichkeit zur kurzfristigen Klärung von Problemsachverhalten könne nur sichergestellt werden, wenn die Vertriebsorganisation entsprechend von der Antragsgegnerin ausgebildet werde. Dies sei auch für die Kundenakzeptanz als Grundlage des österreichischen Mautsystems notwendig. Die qualifizierte Servicierung von Beziehern könne im Falle von „wilden“ Vertriebsstrukturen dagegen nicht gewährleistet werden. Zudem wären Produktänderungen wie zB Änderungen des Gültigkeitszeitraums (vor Beginn der Gültigkeit) oder des Kennzeichens im Falle des Bezugs über die Antragstellerin nur indirekt für den Kunden möglich, weil aufgrund der Zuordnung des Kundenkontos zur Antragstellerin ausschließlich diese für entsprechende Änderungen autorisiert sei.
[f] Die Antragsgegnerin habe am 21.4.2022 vor dem Handelsgericht Wien zu AZ 43 Cg 22/22s gegen die Antragstellerin eine auf Unterlassung gerichtete UWG-Klage samt gleichlautendem Sicherungsantrag eingebracht, um einzelne der behaupteten Verstöße gegen gesetzliche und vertragliche Bestimmungen zu den digitalen Mautprodukten zu unterbinden. Mit Einstweiliger Verfügung vom 31.10.2022 sei ihrem Sicherungsantrag teilweise stattgegeben worden. Davon umfasst sei auch die Domain mautpilot.de. Die Antragstellerin halte sich aber nicht an die Einstweilige Verfügung: Zum einen gebe sie gegenüber (auch österreichischen) Kunden im Bestellvorgang nach wie vor nur Pauschalpreise ohne nähere Aufschlüsselung an. Zum anderen verstoße sie gegen die vertragliche Vereinbarung, dass der Vertrieb digitaler Mautprodukte ausschließlich an Verbraucher und unter der Bedingung der Verkürzung des Gültigkeitsbeginns erfolgen dürfe. Die Einleitung des UWG-Verfahrens diene nicht dem „Abstrafen“ der Antragstellerin.
[g] Der Antrag sei überdies überschießend und mutwillig. Die Antragsgegnerin gewähre der Antragstellerin ohnedies den Zugang zu ihrem Webshop, um ihr den Erwerb von digitalen Vignetten und anderen digitalen Mautprodukten zu ermöglichen. Darüber hinaus sei das Eventualbegehren unzulässig, weil es ein „Minus“ und nicht ein „Aliud“ anspreche.
Folgender Sachverhalt steht fest:
1. Allgemeines zum Geschäftsmodell der Antragstellerin:
Die Antragstellerin wollte zunächst beschränkt für Kunden mit Sitz außerhalb Österreichs und nur für Fahrzeuge mit nicht österreichischen Kennzeichen als Begünstigten unter der Domain mautipilot.de sofort gültige digitale Mautprodukte im Online-Vertrieb bereitstellen, die sie selbst bei der Antragsgegnerin in deren Webshop bezieht. (unstrittig)
Diesen Vertragsabschüssen sollten allgemeine Geschäftsbedingungen der Antragstellerin zugrunde gelegt werden, die auszugsweise wie folgt lauteten:
[…]
5 Preise; Zahlungsbedingungen; Lieferbedingungen
5.1 Die Preise beinhalten die Mautgebühren der ASFINAG sowie eine Servicegebühr für die Dienstleistung des Anbieters sowie für die schnelle Verfügbarkeit und die jeweilige gesetzliche Umsatzsteuer.
5.2 Soweit nichts anderes vereinbart ist, sind Zahlbeträge innerhalb von sieben Kalendertagen nach Erhalt einer ordnungsgemäßen Rechnung durch Überweisung des Rechnungsbetrages auf das in der Rechnung angegeben Konto zur Zahlung fällig.
5.3 Soweit nichts anderes vereinbart ist, erfolgt die Lieferung ausschließlich in digitaler Form durch Registrierung der digitalen Vignette/Streckenmaut beim jeweiligen Streckenbetreiber und durch Übersendung einer Email an die vom Kunden hinterlegte E-Mail-Adresse. Der Versand ist kostenfrei.
5.4 Die Rechnung wird ausschließlich elektronisch im PDF-Format ausgestellt und gesendet. Der Nutzer stimmt dem Erhalt einer elektronischen Rechnung zu. Die elektronische Erstausstellung von Rechnungen sowie der Abruf von Online-Rechnungskopien sind kostenlos. Für eine etwaige Ausstellung einer Rechnungskopie in Papierform behält sich der Anbieter das Recht vor, eine Bearbeitungsgebühr einzuheben.
[…]“
(Beilage ./G)
Zu diesem Zweck erstellte die Antragstellerin im Webshop der Antragsgegnerin entsprechend der Mautordnung Kundenkonten als Unternehmerin in ihrem Namen unter Angabe ihres Unternehmenssitzes in Deutschland. (unstrittig)
Die Antragstellerin wollte auch die im Webshop oder der App der Antragsgegnerin mit einem Kundenkonto verbundenen zusätzlichen Services (wie etwa die vor Beginn des Gültigkeitszeitraums mögliche Änderung des Gültigkeitszeitraums oder des Kennzeichens, den Abschluss eines Abonnements) erbringen. Ohne (nicht gesperrtes) Kundenkonto bei der Antragsgegnerin ist dies allerdings nicht möglich. [BW1]
2. Zugangssperre zum Webshop der Antragsgegnerin und Unterlassungserklärung der Antragstellerin:
Ab einem nicht mehr näher feststellbaren Zeitpunkt blockierte die Antragsgegnerin die von der Antragstellerin erstellten Kundenkonten und sämtliche weiteren Möglichkeiten für den Erwerb von digitalen Mautprodukten durch die Antragstellerin im Webshop der Antragsgegnerin, und zwar durch Sperre ihrer unter Angabe verschiedener E-Mail-Adressen angelegter Kundenkonten und Sperre sämtlicher unter der Domain „r***.de“ geführten E-Mail-Adressen. (unstrittig) Dass die Antragsgegnerin auch IP-Adressen oder Zahlungsmittel der Antragstellerin sperrte, kann nicht festgestellt werden. [BW2]
Die Antragstellerin war daher gezwungen, das beschriebene Geschäftsmodell komplett einzustellen. Der Betrieb dieses Geschäftsmodells wurde ohne Kundenkonto und ohne Verwendung einer (nicht gesperrten) E-Mail-Adresse komplett verhindert, sodass es ihr auch nicht möglich war, digitale Mautprodukte für den eigenen Bedarf (zB für von ihr selbst genutzte PKW) mit einer E-Mail-Adresse unter ihrer Domain zu erwerben. [BW3a]
Mit Schreiben vom 20.3.2020 führte die Antragsgegnerin unter dem Betreff „https://www.mautpilot.de: Rechtsverletzender Vertrieb von ‚Digitale Vignette‘ und ‚Digitale Streckenmaut‘“ gegenüber der Antragstellerin ua aus:
Entgegen den gesetzlichen Vorgaben und den Bestimmungen der ASFINAG-ANB vertreiben Sie über den von Ihnen betriebenen Webshop unter https://www.mautpilot.de ‚Digitale Vignette‘ bzw. ‚Digitale Streckenmaut‘ für die österreichischen Bundesstraßen. Die gesamte Aufmachung Ihrer Plattform macht deutlich: Für Verbraucher soll auf Ihrer Plattform rechtswidrig das EU-weit zwingend geltende gesetzliche Widerrufs- bzw Rücktrittsrecht ‚ausgeschalten‘ werden. Zahlreiche Bezieher melden sich diesbezüglich bei uns. Die daraus entstehende ‚Kundenbetreuung‘ verursacht bei der ASFINAG einen enormen Aufwand. Hinzukommt der Imageschaden, welcher uns durch die erbosten ‚Kunden‘ entsteht.
Bei der Bewerbung Ihrer Plattform nutzen Sie auch rechtswidrig unsere Marken. Auch aufgrund der Markenverwendung geht die Internetnutzer davon aus, dass es eine wirtschaftliche Verbindung zwischen Ihrer Plattform und der ASFINAG gäbe.
Sie bzw. Ihre Plattform verstoßen somit sowohl gegen die oben erwähnten gesetzlichen und vertraglichen Bestimmungen zur ‚Digitalen Vignette‘ bzw. zur ‚Digitalen Streckenmaut‘, als auch insbesondere gegen das Lauterkeitsrecht. Wir haben diesbezüglich bereits unsere Rechte gegenüber anderen Betreibern von Webseiten, die mit Ihrer Plattform vergleichbar sind, geltend gemacht. Diese Betreiber haben ihr rechtswidriges Vorgehen umgehend eingesehen und ihre Webseiten offline genommen. Gegen andere Betreiber wurden bereits gerichtliche Schritte eingeleitet.
Um rechtliche Schritte gegen Sie bzw. Ihre Plattform zu vermeiden, fordern wir Sie hiermit auf, Ihre Vertriebsaktivität zu den einleitend genannten ASFINAG Produkten
bis zum 25.03.2020
umgehend einzustellen und uns bis zu selbigem Datum verbindlich und unwiderruflich schriftlich (vorab per E-Mail an vertrieb@asfinag.at) zu erklären, dass Ihre Plattform den Vertrieb von ASFINAG-Produkten auch nicht mehr aufnehmen wird.“
(Beilage ./K)
Nach mehreren von der Antragsgegnerin gewährten Fristerstreckungen erklärte die Antragstellerin schließlich mit Schreiben vom 29.5.2020 gegenüber der Antragsgegnerin ua folgendes:
[…]
in vorbezeichneter Angelegenheit […] geben [wir] für unsere Mandantin, die [Antragstellerin], zunächst folgende
Unterlassungserklärung
ab:
Die [Antragstellerin] verpflichtet sich gegenüber der [Antragsgegnerin] es zu unterlassen,
1. die ‚Digitale Vignette‘ bzw ‚Digitale Streckenmaut‘ für Autobahnen in Österreich ohne Zustimmung der [Antragsgegnerin] an Kunden mit Sitz in Österreich und/oder für Fahrzeuge mit österreichischen Kennzeichen unter der Domain ‚mautpilot.de‘ anzubieten und/oder zu vertreiben, insbesondere soweit dies geschieht, ohne
a) die Verbraucher über ihr gesetzliches Widerrufsrecht zu informieren und/oder
b) den Verbrauchern ihr gesetzliches Widerrufsrecht zu gewähren und/oder
c) die Verbraucher über die Preisgestaltung zu informieren, insbesondere, dass die Preise der Registeranzeiger GmbH höher sind als im Webshop der [Antragsgegnerin];
2. die von der ASFINAG Maut Service GmbH registrierten Marken AT 297760 ‚Digitale Vignette‘ und AT 297762 ‚Digitale Streckenmaut‘ oder ähnliche Zeichen ohne deren Zustimmung im geschäftlichen Verkehr für Waren oder Dienstleistungen zu benutzen.“
[…]
Im Übrigen hat unsere Mandantin einen Anspruch auf Zustimmung der [Antragsgegnerin] zum Vertrieb der Digitalen Vignette an Kunden außerhalb Österreichs:
1.
Unsere Mandantin hat die Rechtslage nach österreichischem Recht durch österreichische Rechtsanwälte prüfen lassen. Für den Vertrieb außerhalb Österreichs kommt aufgrund der in den AGB unserer Mandantin zulässig getroffenen Rechtswahl ausschließlich deutsches Recht zur Anwendung, es sei denn einem Verbraucher würde dadurch entgegen Art. 6 (2) Rom-I-VO der Schutz durch zwingende Verbraucherschutzvorschriften seines Aufenthaltsstaates entzogen. Letzteres wird aufgrund der europäischen Rechtsangleichung in der Praxis aber nicht der Fall sein.
[…]
Wenn nun die einzige Möglichkeit, den Wiederverkauf der DiVi rechtskonform zu gestalten, in der Gewährung des Widerrufsrechts liegt, ist unsere Mandantin bereit, allen ihren Kunden das nach deutschem Recht vierzehntägige Widerrufsrecht zu gewähren und – wie bereits bisher grundsätzlich auch – über das Widerrufsrecht ordnungsgemäß zu belehren.
2.
Darüber hinaus ist unsere Mandantin aufgrund der OGH-Entscheidung bereit, auch über die Preisgestaltung aufzuklären, also über den Grundpreis der Vignette und das Entgelt für die Zusatzleistung (sofortige Gültigkeit, Übernahme des Risikos bei Wahrnehmung des Widerrufsrechts).
[…]
Vertragspartner gegenüber der [Antragsgegnerin] und Zahlungspflichtiger für die Mautgebühr wird unsere Mandantin im eigenen Namen sein. Das Widerrufsrecht gilt demnach nicht für unsere Mandantin. Begünstigter durch die DiVi ist der Zulassungsinhaber. Demnach liegt ein Vertrag zugunsten Dritter vor.
[…]
Eine ‚Weiterveräußerung‘ der DiVi oder von damit verbundenen Rechten erfolgt nicht, weshalb das in den ANB der [Antragsgegnerin] vorgesehene Verbot ins Leere geht.
[…]
4.
Unsere Mandantin ist demnach berechtigt, die DiVi wenigstens außerhalb Österreichs an Kunden mit Sitz außerhalb Österreichs bzw. für nicht in Österreich zugelassene Fahrzeuge unter der Domain ‚mautpilot.de‘ anzubieten, wenn der vorskizzierte rechtliche Rahmen eingehalten wird.
Nach dem geänderten Geschäftsmodell hat unsere Mandantin vor, künftig die ‚Digitale Vignette‘ bzw. ‚Digitale Streckenmaut‘ für Autobahnen in Österreich nur an Kunden mit Sitz außerhalb Österreichs und nur für Fahrzeuge mit nicht österreichischen Kennzeichen unter der Domain ‚mautpilot.de‘ anzubieten, und dabei
a) die Verbraucher ordnungsgemäß über ihr gesetzliches Widerrufsrecht zu informieren und
b) den Verbrauchern ihr gesetzliches Widerrufsrecht tatsächlich zu gewähren und
c) die Verbraucher über die Preisgestaltung zu informieren, insbesondere, dass die Preise der Registeranzeiger GmbH höher sind als im Webshop der [Antragsgegnerin],
d) die von der ASFINAG Maut Service GmbH registrierten Marken AT 297760 ‚Digitale Vignette‘ und AT 297762 ‚Digitale Streckenmaut‘ oder ähnliche Zeichen nicht ohne deren Zustimmung im geschäftlichen Verkehr für Waren oder Dienstleistungen zu benutzen.
Vor diesem Hintergrund haben wir Ihre Mandantin aufzufordern, den Unternehmensaccount unserer Mandantin oder eine entsprechende anderweitige Zugangsmöglichkeit bis zum 02.06.2020 wieder freizuschalten bzw. herzustellen und den Zugang künftig nicht mehr zu blockieren.“
(Beilage ./B)
Mit Schreiben vom 19.8.2020 forderte die Antragstellerin auf, die Zugangssperre im Webshop umgehend, spätestens jedoch binnen 14 Tagen ab Zustellung des Schreibens aufzuheben und die Antragstellerin davon zu informieren (Beilage./I).
Mit E-Mail vom 7.9.2020 wies die Rechtsvertreterin der Antragsgegnerin die mit Schreiben vom 19.8.2020 erhobene Forderung als unbegründet zurück (Beilage ./5).
3. Entscheidung des Kartellobergerichts im Provisorialverfahren (16 Ok 1/21i):
Mit Einstweiliger Verfügung vom 1.2.2021 [ON 14] trug das Oberlandesgericht Wien als Kartellgericht der Antragsgegnerin über Antrag der Antragstellerin auf, dieser Zugang zum Webshop der Antragsgegnerin zu gewähren, um der Antragstellerin den – unbeschränkten - Erwerb von digitalen Mautprodukten, dh digitale Vignetten und digitale Streckenmauten, zu ermöglichen.
Dem dagegen von der Antragsgegnerin erhobenen Rekurs gab der Oberste Gerichtshof als Kartellobergericht mit Beschluss vom 12.10.2021 [ON 24; 16 Ok 1/21i] teilweise Folge und änderte die angefochtene Einstweilige Verfügung dahingehend ab, dass es der Antragsgegnerin auftrug, bis zur Rechtskraft der Entscheidung über den Abstellungsantrag der Antragstellerin Zugang zum Webshop der Antragsgegnerin zu gewähren, um der Antragstellerin den Erwerb von digitalen Mautprodukten (= digitalen Vignetten und digitalen Streckenmauten) – jedoch nur für den Eigenbedarf und für die gewerbliche Weiterveräußerung von digitalen Mautprodukten mit einem Gültigkeitsbeginn von weniger als 18 Tagen ab Kauf an Verbraucher – zu ermöglichen.
4. Öffnung des Webshops durch die Antragsgegnerin und Anpassung des Weiterveräußerungsverbots in ihren ANB:
Seit der Entscheidung des Kartellobergerichts im Provisorialverfahren gewährt die Antragsgegnerin der Antragstellerin technisch vollen Zugang zu ihrem Webshop. Damit kann jene digitale Mautprodukte aber nicht nur für ihren Eigenbedarf und für die gewerbliche Weiterveräußerung an Verbraucher mit einem Gültigkeitsbeginn von weniger als 18 Tagen ab Kauf erwerben. Sondern es ist ihr technisch auch möglich, die von der Antragsgegnerin bereits bisher angebotenen digitalen Mautprodukte – nämlich solche für die gewerbliche Weiterveräußerung an Verbraucher mit einem späteren Gültigkeitsbeginn sowie solche für die gewerbliche Weiterveräußerung an Unternehmer mit einem Gültigkeitsbeginn von weniger als 18 Tagen ab Kauf - zu erwerben (unstrittig). Dass die Gewährung bloß eines beschränkten Zugangs im Sinne des eingeschränkten Abstellungsauftrags in der Einstweiligen Verfügung für die Antragsgegnerin technisch nicht möglich ist, kann nicht festgestellt werden. [BW3b]
Die vor der Entscheidung des Kartellobergerichts im Sicherungsverfahren gültigen ANB der Antragsgegnerin zum Stand 8.11.2018 sahen zum Verbot der Weiterveräußerung Folgendes for:
„14.Verbot der Weiterveräußerung
14.1 Die gewerbliche Weiterveräußerung von bezogenen Produkten der Digitalen Vignetten und der Digitalen Streckenmaut ohne schriftliche Zustimmung seitens der ASFINAG wird untersagt.“
Die Antragsgegnerin änderte mit Stand 3.2.2022 ihre ANB. Deren Punkt 14 lautet seitdem wie folgt:
„14. Verbot der Weiterveräußerung von Digitalen Mautprodukten
14.1 Die gewerbliche Weiterveräußerung der Digitalen Vignette und/oder der Digitalen Streckenmaut ohne Verkürzung des Gültigkeitsbeginns der 18 Tage für Verbraucher, ist ohne der ausdrücklichen Zustimmung der ASFINAG untersagt.“
(Beilage ./8)
Die Antragsgegnerin hat die Antragstellerin über diese Änderung nicht gesondert verständigt (GF der ASTin, ON 53, Seite 21). Sowohl vor der Änderung mit 3.2.2022 als auch danach waren die jeweils gültigen ANB aber im Bestellvorgang über den Webshop der Antragsgegnerin für die Antragstellerin einsehbar und wurden von ihr auch vor jedem Erwerb eines digitalen Mautprodukts akzeptiert [BW 4].
5. Vertrieb der digitalen Mautprodukte durch die Antragstellerin und Widerruf der Unterlassungserklärung:
Seitdem die Antragstellerin wieder Zugang zum Webshop der Antragsgegnerin hat, vertreibt sie über ihre Webseiten m***.at und mautpilot.de digitale Mautprodukte der Antragsgegnerin an ihre Kunden. Dabei richtet sie ihr Angebot auch gezielt auf den österreichischen Markt aus, indem sie die Domain m***.at verwendet. Die digitalen Mautprodukte für ihre Kunden erwirbt die Antragstellerin von der Antragsgegnerin. Für die digitalen Mautprodukte verlangt die Antragstellerin von ihren Kunden einerseits die Mautgebühr und andererseits eine Servicegebühr, die von den Kunden im Voraus zu zahlen sind. Die Mautgebühr führt sie dabei an die Antragsgegnerin ab; die Servicegebühr verbleibt dagegen der Antragstellerin. Die Antragstellerin beschränkte sich nicht auf den Vertrieb von digitalen Mautprodukten mit einem Gültigkeitsbeginn von weniger als 18 Tagen ab Kauf bloß an Verbraucher. Sondern sie vertreibt – entgegen den ab 3.2.2022 gültigen ANB der Antragsgegnerin - ebenso digitale Mautprodukte an Verbraucher mit einem späteren Gültigkeitsbeginn und an Unternehmer mit einem Gültigkeitsbeginn von weniger als 18 Tagen ab Kauf, ohne dass die Antragsgegnerin dem ausdrücklich zustimmte. [BW5a]
Mit Schreiben ihres Rechtsvertreters vom 20.1.2022 erklärte die Antragstellerin gegenüber der Antragsgegnerin Folgendes:
„…
mit Schreiben vom 29.05.2020 hat die [Antragstellerin] der [Antragsgegnerin] einen Unterlassungsvergleich angeboten. Dieses hat die [Antragsgegnerin] bis heute nicht angenommen und auch auf den Vorschlag unserer Mandantin vom 30.11.2021, eine Kooperationsvereinbarung abzuschließen, nie inhaltlich reagiert. Im Übrigen hat das KOG die Rechtsansicht unserer Mandantin bestätigt.
Aus diesen Gründen zieht daher die [Antragstellerin] mit sofortiger Wirkung ihr Angebot auf Abschluss eines Unterlassungsvergleichs vom 29.05.2020 bezüglich des dortigen Punkt 1. zurück.“
(Beilage ./11)
Seitdem vertreibt die Antragstellerin die digitalen Mautprodukte der Antragsgegnerin – entgegen ihrer Erklärung vom 29.5.2020 - auch an Kunden mit Sitz in Österreich und/oder für Fahrzeuge mit österreichischen Kennzeichen. [BW5b]
6. Preisauszeichnung durch die Antragstellerin:
Die bis zum 17.3.2022 den Vertragsabschlüssen mit ihren Kunden zugrunde gelegten AGB der Antragstellerin enthielten unter Punkt 5 folgenden Hinweis:
„5 Preise; Zahlungsbedingungen; Lieferbedingungen
5.1 Die Preise beinhalten die Mautgebühren der ASFINAG sowie eine Servicegebühr für die Dienstleistung des Anbieters sowie für die schnelle Verfügbarkeit und die jeweilige gesetzliche Umsatzsteuer.“
(Beilage ./G)
Die ab 17.3.2022 geltenden AGB der Antragstellerin enthalten unter Punkt 5 folgenden Hinweis:
„5 Preise; Zahlungsbedingungen; Lieferbedingungen; Wertersatz
5.1 Die Preise beinhalten die Mautgebühren der ASFINAG (die aktuellen Gebühren zu den Zeit- und Streckenmauten der ASFINAG finden sie unter https://www.asfinag.at/maut-vignette/vignette und unter https://www.asfinag.at/maut-vignette/streckenmaut/tarife/) sowie eine Servicegebühr für die Dienstleistung des Anbieters sowie für die schnelle Verfügbarkeit und die jeweilige gesetzliche Umsatzsteuer.“
(Beilage ./U)
Seitdem ihr die Antragsgegnerin wieder Zugang zu ihrem Webshop gewährt, veröffentlicht die Antragstellerin darüber hinaus auf ihren Webseiten in Form einer Tabelle für jedes digitale Mautprodukt die Höhe der Mautgebühr sowie die Höhe der von ihr eingehobenen Servicegebühr. Um diese Tabelle zu erreichen, müssen folgende Schritte gesetzt werden:
1) Auf der Startseite von m***.at oder mautpilot.de muss bis fast zum Ende der Seite hinuntergescrollt und auf folgendes Icon geklickt werden:

2) Anschließend wird man auf eine weitere Seite verlinkt, auf der man etwa bis zur Mitte hinunterscrollen und anschließend den folgenden Link „Zur Preisliste“ auswählen muss.


3) Auf der dann erreichten Seite werden zunächst das „Service von Mautpilot“ und die „Vorteile der digitalen Vignette“ in Textblöcken wie folgt beschrieben:


Unmittelbar darunter findet sich die oben beschriebene Tabelle, in der für alle digitalen Mautprodukte die Maut- und Servicegebühren wie folgt dargestellt werden:







[BW6a]
Auch im Bestellvorgang für ein digitales Mautprodukt erhält der Kunde unter dem Schritt „Zahlungsarten“ folgenden Hinweis, bevor die von ihm gewünschte Zahlungsart auszuwählen ist:
„Zahlungsarten
Unsere Preise beinhalten die Mautgebühren sowie eine Servicegebühr für den Mehrwert unserer Dienstleistung sowie für die schnelle Verfügbarkeit und die gesetzliche Umsatzsteuer.“
(Beilage ./13, Seite 9; ./20, Seite 5)
Abgesehen davon wird aber im gesamten Bestellprozess der Antragstellerin das zu entrichtende Entgelt für das digitale Mautprodukt stets als „Gesamtpreis“ oder „Gesamtbetrag“ bezeichnet und betraglich (inklusive 20% USt) als Summe aus Maut- und (von der Antragstellerin eingehobener) Servicegebühr ausgewiesen, ohne näher aufzuschlüsseln, welcher Teilbetrag auf welche Komponente entfällt. Im gesamten Bestellprozess findet sich weder ein Hinweis auf die oben erwähnte tabellarische Aufschlüsselung von Maut- und Servicegebühren für die einzelnen digitalen Mautprodukte, noch ein Hinweis oder eine sonstige Hilfestellung, wie diese aufgefunden werden kann oder eine Verlinkung, die direkt zur Tabelle führt. Wenn ein Kunde nicht selbst aktiv auf den Webseiten der Antragstellerin nach der Tabelle sucht, besteht für ihn im Bestellprozess selbst daher keine Möglichkeit, sich darüber zu informieren, wie hoch die zu entrichtende Servicegebühr für das von ihm gewählte Produkt ist. [BW6b]
7. Bestellvorgang im Webshop der Antragsgegnerin:
Im Webshop der Antragsgegnerin können digitale Mautprodukte von Kunden entweder über ein Kundenkonto oder als „Gast“ (ohne Verwendung eines Kundenkontos) erworben werden (Beilagen ./D und ./Z). Kunden mit einem Kundenkonto können dabei zusätzliche Services der Antragsgegnerin nutzen: Sie haben direkten Zugriff auf ihre gekauften Produkte; sie können sich vor Ablauf der Gültigkeit ihrer Vignette erinnern lassen; sie können bei 10-Tages und 2-Monatsvignetten vor Beginn der Gültigkeit den Geltungszeitraum verändern; und sie können bei Umzug, Verlust, Diebstahl oder Totalschaden ihr Kennzeichen im Webshop ändern (Beilage ./P). Bei Bestellung als „Gast“ muss der Kunde im Bestellprozess selbst zuerst auswählen, ob er Konsument oder Unternehmer ist, bevor er fortfahren kann (Beilagen ./D, ./N, ./Z, ./AC). Bei Bestellung über ein Kundenkonto muss ein solches zuerst erstellt werden, wofür sich der Kunde zunächst für eine bestimmte Kontoart („Konsument“ oder „Unternehmen“) entscheiden muss, bevor er fortfahren kann. Wird „Unternehmen“ ausgewählt, sind zusätzlich (verpflichtend) der Firmenname, die Adresse, das Land, sowie der Name einer Ansprechperson anzugeben. Eine Telefonnummer kann optional angegeben werden. Schließlich muss eine E-Mail-Adresse eingegeben sowie ein Passwort vergeben werden (Beilage ./AA). Für die Bestellung eines konkreten digitalen Mautprodukts loggt man sich mit seinen Anmeldedaten (E-Mail-Adresse und Passwort) in das Kundenkonto ein, wählt zunächst ein beliebiges Produkt aus und muss sodann den Fahrzeugtyp, den Zulassungsstaat, das KFZ-Kennzeichen, das gewünschte Datum für den Start der Gültigkeit des digitalen Mautprodukts, eine E-Mail-Adresse und die gewünschte Zahlungsart angeben. Optional kann ausgewählt werden, dass die Rechnungsadresse auf der Rechnung abgedruckt wird. In diesem Fall ist eine Adresse einzugeben. Weitere Daten über jene Personen, für die das digitale Mautprodukt bezogen werden soll (insbesondere deren Identität, oder ob es sich bei diesen um Konsumenten oder Unternehmer handelt), sind im Fall einer Bestellung über ein Unternehmer-Kundenkonto der Antragsgegnerin im konkreten Bestellprozess nicht anzugeben. [BW7a]
8. Ablauf des Bestellvorgangs bei der Antragstellerin:
Die Antragstellerin bezieht die von ihr an ihre Kunden vertriebenen digitalen Mautprodukte bei der Antragsgegnerin über das von ihr im Webshop der Antragsgegnerin entsprechend der Mautordnung erstellte Kundenkonto als Unternehmerin. Kauft ein Kunde über ihre Webseite ein digitales Mautprodukt bei ihr, bestellt die Antragstellerin dieses Produkt vollautomatisiert im Webshop der Antragsgegnerin im eigenen Namen als Unternehmerin über ihr Kundenkonto, wobei sie neben dem gewünschten Produkt auch das vom Kunden auf ihrer Webseite eingegebene Kennzeichen und den von ihm gewünschten Gültigkeitszeitraum an die Antragsgegnerin weiterleitet. Zusätzliche Informationen über den Kunden der Antragstellerin wie insbesondere dessen Identität, oder ob es sich bei diesem um einen Konsumenten oder einen Unternehmer handelt, wer Eigentümer des Kraftfahrzeuges ist oder auf wen es zugelassen ist, erhält die Antragsgegnerin im Rahmen dieses Bestellvorgangs über das Kundenkonto von der Antragstellerin nicht und fragt diese auch nicht ab. Für die Antragsgegnerin ist nicht einmal ersichtlich, ob Begünstigter des digitalen Mautprodukts die Antragstellerin selbst oder ein Dritter sein soll. Die Antragstellerin deklariert ihre Kunden gegenüber der Antragsgegnerin also nicht tatsachenwidrig als Unternehmer. [BW7b]
Eine Person, die ein digitales Mautprodukt der Antragsgegnerin über die Antragstellerin erworben hat, hat technisch keine Möglichkeit, jene zusätzlichen Services, die ein Kunde der Antragsgegnerin bei Registrierung eines Kundenkontos wahrnehmen könnte, unmittelbar selbst über ein Kundenkonto bei der Antragsgegnerin zu nutzen. Diese Services könnte nur die Antragstellerin für ihren Kunden bei der Antragsgegnerin über ihr Kundenkonto in Anspruch nehmen. Die Antragstellerin bietet das für ihre Kunden aber (bis dato) nicht an. Ihre Kunden müssen sich daher wegen der Inanspruchnahme dieser Services an die Antragsgegnerin wenden. [BW7c]
Nach durchgeführter Bestellung erhält die Antragstellerin von der Antragsgegnerin eine Bestellbestätigung, auf der sich das gewünschte digitale Mautprodukt, das KFZ-Kennzeichen, der Verwendungszeitraum, das Kaufdatum, eine Produkt-ID, ein QR-Code sowie die Mautgebühr (inklusive 20% USt) finden (Beilage ./21). Die Antragstellerin versendet sodann vollautomatisiert eine E-Mail an ihren Kunden mit der Rechnung und den „AGB und Widerrufsbelehrung“ jeweils als pdf-Dokument. Außerdem übermittelt sie einen Link, über den der Kunde die Bestellbestätigung der Antragsgegnerin herunterladen kann, auf der allerdings die Mautgebühr nicht ersichtlich ist. Diese macht die Antragstellerin vor Weiterleitung der Bestellbestätigung an den Kunden unkenntlich (Beilagen ./21 und ./27 Seiten 10 und 11; Zeuge A***, ON 53 Seite 7f; Zeuge M***, ON 53 Seite 14). Dies geschieht nicht deshalb, damit der Kunde nicht zwei Urkunden hat, mit denen er den Vorsteuerabzug geltend machen kann. [BW7d] Auch in den von der Antragstellerin gegenüber ihren Kunden ausgestellten Rechnungen wird nur der Gesamtpreis (als Summe der Mautgebühr und der von der Antragstellerin verrechneten Servicegebühr) ausgewiesen. Aus der Rechnung ist nicht ersichtlich, wie hoch die Servicegebühr für das erworbene Produkt ist (Beilagen ./21 und ./27).
9. Antragstellerin gibt Maut-Reduktionen der Antragsgegnerin nicht an Kunden weiter:
Erwirbt man als Kunde der Antragsgegnerin in ihrem Webshop eine digitale Streckenmaut-Jahreskarte, so werden vom System im Fall eines gleichzeitigen oder vorhergehenden Bezugs einer digitalen Jahresvignette für dasselbe KFZ-Kennzeichen automatisch EUR 40 auf den Preis der digitalen Streckenmaut-Jahreskarte angerechnet, sodass sich der vom Kunden dafür zu zahlende Preis um EUR 40 reduziert (Beilagen ./J und ./8; Zeugin ***, ON 53 Seite 6; Zeuge M***, ON 53 Seite 13). Diese Mautreduktion kommt auch der Antragstellerin zugute, wenn sie bei der Antragsgegnerin eine digitale Streckenmaut-Jahreskarte zum Vertrieb an ihre Kunden bei gleichzeitigem oder vorhergehendem Bezug einer digitalen Jahresvignette für dasselbe KFZ-Kennzeichen kauft. Die Antragstellerin gibt diese Mautreduktion an ihre Kunden allerdings generell nicht weiter, sondern verrechnet ihnen (zusätzlich zur Servicegebühr) den vollen Preis für die digitale Streckenmaut-Jahreskarte und behält den Betrag der Mautreduktion selbst ein. Ihre Kunden informiert sie darüber nicht. [BW8]
10. Belehrung über Rücktrittsrecht für Verbraucher durch die Antragstellerin:
Zum Rücktrittsrecht für Verbraucher und zum anwendbaren Recht regelten die bis zum 17.3.2022 gültigen AGB der Antragstellerin Folgendes:
4 Widerrufrecht
Ausschließlich für Verbraucherkunden im Sinne von § 13 BGB, d. h. natürlichen Personen, die ein Rechtsgeschäft zu Zwecken abschließen, die überwiegend weder ihrer gewerblichen, noch ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können, gilt was folgt:
Widerrufsrecht
Sie haben das Recht, binnen vierzehn Tagen ohne Angaben von Gründen diesen Vertrag zu widerrufen.
Die Widerrufsfrist beträgt vierzehn Tage ab dem Tag des Vertragsabschlusses. Um Ihr Widerrufsrecht auszuüben, müssen Sie uns (Registeranzeiger GmbH, Alfons-Auer-Straße 8f, 93053 Regensburg, E-Mail: kundenservice@mautpilot.de) mittels einer eindeutigen Erklärung (z. B. ein mit der Post versandter Brief, Telefax oder E-Mail) über Ihren Entschluss, diesen Vertrag zu widerrufen, informieren. Sie können dafür das beigefügte Muster-Widerrufsformular verwenden, das jedoch nicht vorgeschrieben ist. Zur Wahrung der Widerrufsfrist reicht es aus, dass Sie die Mitteilung über die Ausübung des Widerrufsrechts vor Ablauf der Widerrufsfrist absenden.
Folgen des Widerrufs
Wenn Sie diesen Vertrag widerrufen, haben wir Ihnen alle Zahlungen, die wir von Ihnen erhalten haben, einschließlich der Lieferkosten (mit Ausnahme der zusätzlichen Kosten, die sich daraus ergeben, dass Sie eine andere Art der Lieferung als die von uns angebotene, günstigste Standardlieferung gewählt haben), unverzüglich und spätestens binnen vierzehn Tagen ab dem Tag zurückzuzahlen, an dem die Mitteilung über Ihren Widerruf dieses Vertrags bei uns eingegangen ist. […]
Haben Sie verlangt, dass die Dienstleistungen während der Widerrufsfrist beginnen sollen, so haben Sie uns einen angemessenen Betrag zu zahlen, der dem Anteil der bis zu dem Zeitpunkt, zu dem Sie uns von der Ausübung des Widerrufsrechts hinsichtlich dieses Vertrages unterrichten, bereits erbrachten Dienstleistungen im Vergleich zum Gesamtumfang der im Vertrag vorgesehenen Dienstleistungen entspricht.
Ende der Widerrufsbelehrung
[…]
8 Schlussbestimmungen
[…]
8.2 Der mit dem Kunden geschlossene Vertrag und diese allgemeinen Geschäftsbedingungen unterliegen dem Recht der Bundesrepublik Deutschland unter Ausschluss des UN-Kaufrechts […] sowie unter Ausschluss des Internationalen Privatrechts.“
(Beilage./G)
Die ab 17.3.2022 gültigen AGB der Antragstellerin sahen dazu Folgendes vor:
„4 Widerrufrecht
Ausschließlich für Verbraucher Kunden im Sinne von § 13 BGB, d.h. natürlichen Personen, die ein Rechtsgeschäft zu Zwecken abschließen, die überwiegend weder ihrer gewerblichen, noch ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können, gilt was folgt:
a) Widerrufsrecht
Sie haben das Recht, binnen vierzehn Tagen ohne Angaben von Gründen diesen Vertrag zu widerrufen.
Die Widerrufsfrist beträgt 14 Tage ab dem Tag des Vertragsabschlusses. Um Ihr Widerrufsrecht auszuüben, müssen Sie uns […] Mittels einer eindeutigen Erklärung (z.B. eine mit der Post versandter Brief, Telefax oder E-Mail) über Ihren Entschluss, diesen Vertrag zu widerrufen, informieren. Sie können dafür das beigefügte Muster-Widerrufsformular verwenden, das jedoch nicht vorgeschrieben ist.
Zur Wahrung der Widerrufsfrist reicht es aus, dass Sie die Mitteilung über die Ausübung des Widerrufsrechts vor Ablauf der Widerrufsfrist absenden.
b) Folgen des Widerrufs
wenn Sie diesen Vertrag widerrufen, haben wir Ihnen alle Zahlungen, die wir von Ihnen erhalten haben, einschließlich der Lieferkosten (mit Ausnahme der zusätzlichen Kosten, die sich daraus ergeben, dass Sie eine andere Art der Lieferung als die von uns angebotene, günstigste Standardlieferung gewählt haben), unverzüglich und spätestens binnen vierzehn Tagen ab dem Tag zurückzuzahlen, an dem die Mitteilung über Ihren Widerruf dieses Vertrages bei uns eingegangen ist. […] Haben Sie verlangt, dass die Dienstleistungen während der Widerrufsfrist beginnen sollen, so haben sie uns einen angemessenen Betrag zu zahlen, der dem Anteil der bis zu dem Zeitpunkt, zu dem Sie uns von der Ausübung des Widerrufsrechts hinsichtlich dieses Vertrages unterrichten, bereits erbrachten Dienstleistungen im Vergleich zum Gesamtumfang der im Vertrag vorgesehenen Dienstleistungen entspricht.
c) Vorzeitiges Erlöschen des Widerrufsrechtes
das Widerrufsrecht erlischt vorzeitig, wenn wir die Dienstleistung vollständig erbracht haben und wir mit der Ausführung der Dienstleistung erst begonnen haben, nachdem Sie dazu Ihre ausdrückliche Zustimmung gegeben haben und gleichzeitig Ihre Kenntnis davon bestätigt haben, dass Sie Ihr Widerrufsrecht bei vollständiger Vertragserfüllung durch uns verlieren.
Ende der Widerrufsbelehrung
[…]
8 Schlussbestimmungen
[…]
8.2 Der mit dem Kunden geschlossene Vertrag und diese allgemeinen Geschäftsbedingungen unterliegen dem Recht der Bundesrepublik Deutschland unter Ausschluss des UN-Kaufrechts [...] sowie unter Ausschluss des Internationalen Privatrechts. Die gesetzlichen Vorschriften zur Beschränkung der Rechtswahl und zur Anwendbarkeit zwingender Vorschriften insbes. des Staates, in dem der Kunde als Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, bleiben unberührt.“
(Beilage ./U)
Die Annahme der AGB, der Widerrufsbelehrung und der Verbraucherinformation vor Abschluss der Bestellung waren im Bestellprozess der Antragstellerin zunächst wie folgt geregelt:


Die Annahme der AGB, der Widerrufsbelehrung und der Verbraucherinformation war also mit dem an die Antragstellerin gerichteten Verlangen, mit der Ausführung der Dienstleistung schon vor Ablauf der Widerrufsfrist zu beginnen (in der Folge: Verlangen auf vorzeitige Vertragserfüllung), zwingend verknüpft, sodass der Kunde die AGB, die Widerrufsbelehrung und die Verbraucherinformation nicht annehmen konnte, ohne zugleich das Verlangen auf vorzeitige Vertragserfüllung an die Antragstellerin zu richten.
Zu einem nicht mehr näher feststellbaren Zeitpunkt zwischen der Entscheidung des Kartellobergerichts und dem 5.5.2022 änderte die Antragstellerin den Bestellprozess betreffend die Annahme der AGB, der Widerrufsbelehrung und der Verbraucherinformation vor Abschluss der Bestellung wie folgt ab:


Seitdem ist es für die Annahme der AGB, der Widerrufsbelehrung und der Verbraucherinformation nicht mehr erforderlich, dass der Kunde auch ein Verlangen auf vorzeitige Vertragserfüllung stellt. Der Kunde hat seitdem auch sonst im Bestellprozess keine Möglichkeit, von der Antragstellerin die vorzeitige Vertragserfüllung zu verlangen.
Klickt man im Zuge des Bestellprozesses auf die Buttons „AGB“ oder „Widerrufsbelehrung“, wird man auf eine entsprechende Seite des Web-Browsers verlinkt, auf der diese Dokumente zum Download bereitstehen. [BW9]
Die Antragstellerin gewährt ihren Kunden das Widerrufsrecht, wenn sie Verbraucher sind und davon gemäß den AGB der Antragstellerin Gebrauch machen. In diesem Fall zahlt die Antragstellerin der Antragsgegnerin die Mautgebühr trotzdem zur Gänze (GF der Antragstellerin ON 53, Seite 21).
11. Öffnung des Webshops der Antragsgegnerin auch für dritte Anbieter:
Neben der Antragstellerin treten noch etwa 20 weitere Unternehmen am Online-Markt auf, die über eigene Webshops digitale Mautprodukte der Antragsgegnerin anbieten. Um sich keinen Diskriminierungsvorwürfen auszusetzen und weil sie zunächst im anhängigen Verfahren die rechtskräftige Klärung der Frage, ob sie der Antragstellerin Zugang zu ihrem Webshop gewähren muss, abwarten möchte, sperrt die Antragsgegnerin jedenfalls seit 12.10.2021 auch für solche dritten Anbieter digitaler Mautprodukte den Zugang zu ihrem Webshop nicht mehr und geht auch rechtlich nicht gegen diese vor. Auch diese Anbieter haben seitdem technisch – ebenso wie die Antragstellerin – vollen Zugang zum Webshop. Die Antragsgegnerin hat aber weder vor noch nach der Entscheidung des Kartellobergerichts im Provisorialverfahren Vereinbarungen über den (Weiter-)Vertrieb von über ihren Webshop bezogenen digitalen Mautprodukten mit der Antragstellerin oder einem anderen solchen Unternehmen geschlossen. Wenn die Antragsgegnerin der Meinung ist, dass solche dritten Anbieter digitaler Mautprodukte rechtswidrig agieren, mahnt sie diese aber ab. [BW10a]
12. Zur behaupteten Selbst-Bevorzugung der Antragsgegnerin:
Die Antragsgegnerin weist in ihrer Preisauszeichnung die USt nicht so klein aus, dass sie von Verbrauchern gar nicht wahrgenommen wird. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Antragsgegnerin ihre Kunden über den Zweck der 18-tägigen Wartefrist beim Erwerb digitaler Mautprodukte durch einen Verbraucher täuscht oder dass sie den Widerruf von Verbrauchern ignoriert, die irrtümlich als Unternehmer ein digitales Mautprodukt erworben haben und dies später richtigstellen. [BW10b]
13. UWG-Verfahren vor dem Handelsgericht Wien (43 Cg 22/22s):
Am 21.4.2022 brachte die Antragsgegnerin als Klägerin vor dem Handelsgericht Wien eine auf Unterlassung und Urteilsveröffentlichung gerichtete und auf mehrere behauptete UWG-Verletzungen im Zusammenhang mit dem Vertrieb der digitalen Mautprodukte der Antragsgegnerin gestützte Klage mit einem inhaltsgleichen Sicherungsantrag gegen die Antragstellerin als erstbeklagte und deren Geschäftsführer C*** als zweitbeklagte Partei ein (Beilage ./14). Es kann nicht festgestellt werden, dass dies aus Anlass des von der Antragstellerin gegen sie geführten gegenständlichen Abstellungsverfahrens geschah. [BW10c]
Am 31.10.2022 erließ das Handelsgericht Wien zu AZ 43 Cg 22/22s eine Einstweilige Verfügung, mit der es den beiden dg Beklagten zur Sicherung des Anspruchs der [hier:] Antragsgegnerin auf Unterlassung weiterer Verletzungen des Lauterkeitsrechts ab sofort und bis zur Rechtskraft der Klage mit Wirkung für Österreich gebot, es zu unterlassen
„1. Digitale Vignetten (DiVi) und/oder Digitale Streckenmaut für Autobahnen in Österreich („Digitale Mautprodukte“ der ASFINAG) ohne klare, eindeutige und bei jeder Preisangabe vorhandene, getrennte Ausweisung vom ASFINAG-Mauttarif einerseits und von Aufschlägen, insbesondere „Serviceentgelten“, andererseits, gewerbsmäßig anzubieten bzw. zu vertreiben, insbesondere - aber nicht einschränkend - im Webshop der erstbeklagten Partei unter www.mautpilot.de bzw. www.m***.at und/oder dazu 128 Kt 4/22s ausgestellten Rechnungen der erstbeklagten Partei;
2. digitale Mautprodukte der ASFINAG ohne die ausdrückliche Zustimmung der ASFINAG ohne Verkürzung des Gültigkeitsbeginns der 18 Tage für Verbraucher gewerbsmäßig anzubieten bzw. zu vertreiben, insbesondere - aber nicht einschränkend - im Webshop der erstbeklagten Partei unter www.mautpilot.de bzw. www.m***.at;
3. digitale Mautprodukte der ASFINAG ohne klare, eindeutige Kundeninformation anzubieten bzw. zu vertreiben, dass die „sofortige Freischaltung“ dadurch bewirkt wird, dass Kunden der beklagten Parteien der ASFINAG gegenüber „pauschal als Unternehmer ausgegeben“ werden, insbesondere - aber nicht einschränkend - im Webshop der erstbeklagten Partei unter www.mautpilot.de bzw. www.m***.at;
4. digitale Mautprodukte der ASFINAG derart gewerbsmäßig anzubieten, dass die Verbraucher nicht transparent und gesetzmäßig über ihr gesetzliches Rücktrittsrecht bzw. Widerrufsrecht informiert werden bzw. dass sie von Verbrauchern nicht-gesetzmäßige Erklärungen abverlangen, nämlich dadurch, dass
a) der Eindruck erweckt wird, dass das gesetzliche Rücktrittsrecht erlöschen würde, sobald die beklagten Parteien „ihre Vermittlungstätigkeit“ beim Bezug der digitalen Mautprodukte der ASFINAG vollständig erbracht hätten, wie insbesondere durch die Angabe bzw. Regelung in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen: „Das Widerrufsrecht erlischt vorzeitig, wenn wir die Dienstleistung vollständig erbracht haben und wir mit der Ausführung der Dienstleistung erst begonnen haben, nachdem Sie dazu Ihre ausdrückliche Zustimmung gegeben haben und gleichzeitig Ihre Kenntnis davon bestätigt haben, dass Sie Ihr Widerrufsrecht bei vollständiger Vertragserfüllung durch uns verlieren“;
und
b) nicht transparent darauf hingewiesen wird, dass die „vollständige Vertragserfüllung“, die zum gesetzlichen Verlust des Rücktrittsrechts bzw. Widerrufsrechts-nach entsprechender Erklärung des Verbrauchers gemäß § 10 FAGG-führt, (auch) die Dauerleistung der ASFINAG, nämlich die Bereitstellung der vom Bezieher benützbaren Straßen, umfasst, somit erst nach Ablauf der Laufzeit des Digitalen Mautprodukts erfolgt.“
Das darüber hinausgehende Sicherungsbegehren wies das Handelsgericht Wien dagegen ab (Beilage ./24). Die Antragstellerin hat gegen den stattgebenden Teil dieser Einstweiligen Verfügung Rekurs erhoben. Die Einstweilige Verfügung ist noch nicht rechtskräftig (Beilage ./25).
14. Reaktion der Antragstellerin auf die Einstweilige Verfügung:
Zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt ab dem 9.11.2022 stellte die Antragstellerin aufgrund der Einstweiligen Verfügung bis auf weiteres, längstens jedoch für die Dauer ihrer Gültigkeit, den länderspezifischen Webshop für Österreich ein, trennte die Domain m***.at von ihrem Online-Angebot, entfernte die Eingabemaske generell für österreichische Kennzeichen aus dem Webshop und sperrte generell die Angabe österreichischer Rechnungsadressen im Webshop (Beilagen ./AG und ./AH). Kunden mit einer österreichischen Anschrift können seitdem über den Webshop der Antragstellerin ebenso wenig ein digitales Mautprodukt erwerben wie Kunden, die es für ein österreichisches Kennzeichen beziehen möchten. Es ist aber trotz dieser Maßnahmen weiterhin möglich, in anderen länderspezifischen Webshops der Antragstellerin – und zwar auch als Österreicher - digitale Mautprodukte der Antragsgegnerin zu beziehen, sofern man über keine österreichische Anschrift verfügt und das Mautprodukt nicht für ein österreichisches Kennzeichen beziehen will. Jedenfalls bis zum 9.11.2022 konnten auch Kunden mit einer österreichischen Anschrift über einen anderen länderspezifischen Webshop der Antragstellerin – insbesondere über die ebenfalls deutschsprachige Domain mautpilot.de – noch digitale Mautprodukte der Antragsgegnerin online erwerben. Weiterhin wird im Webshop der Antragstellerin unter den verbleibenden länderspezifischen Domains das für das jeweilige Produkt an die Antragstellerin zu entrichtende Entgelt nur als „Gesamtpreis“ oder „Gesamtbetrag“ bezeichnet und betraglich nicht in Mautgebühr und (der Antragstellerin verbleibende) Servicegebühr aufgeschlüsselt. Auch der sonstige Bestellprozess und die Belehrung über das Widerrufsrecht für Verbraucher in den AGB der Antragstellerin blieben dort unverändert. [BW11]
15. Behandlung von Kundenbeschwerden durch die Antragsgegnerin:
In einem Zeitraum von sechs Monaten hat die Antragsgegnerin (oder das nach der Mautordnung vorgesehene Service-Center) insgesamt etwa 50.000 Kundenanfragen zu bearbeiten. Seitdem die Antragsgegnerin der Antragstellerin wieder Zugang zu ihrem Webshop gewährt, entfallen davon im selben Zeitraum etwa 500 Anfragen auf Beschwerden von Kunden, die ein digitales Mautprodukt über den Webshop eines dritten Anbieters (einschließlich jenem der Antragstellerin) erworben haben. Themen dieser Anfragen sind in erster Linie ein im Vergleich zum Webshop bzw der App der Antragsgegnerin höherer Preis für das erworbene Produkt, allfällige Probleme im Zusammenhang mit der Aktivierung des Produkts oder der Umstand, dass die mit einem Kundenkonto bei der Antragsgegnerin verbundenen Services bei anderen Online-Shops nicht genutzt werden können und der Kunde diese Services jetzt direkt über die Antragsgegnerin nutzen möchte. Wie oft Beschwerden letzteren Punkt (die Nutzung von Services über die Antragsgegnerin) betreffen, kann nicht festgestellt werden. Mit der Bearbeitung solcher Beschwerden durch das Service-Center der Antragsgegnerin ist kein besonderer – im Verhältnis zu anderen Anfragen höherer - Aufwand verbunden. Die Beschwerden werden meist bloß mit standardisierten E-Mails beantwortet. Wie viele solcher Beschwerden in Bezug auf den Erwerb eines digitalen Mautprodukts bei einem dritten Anbieter gerade die Antragstellerin betreffen, kann nicht festgestellt werden. Ebenso kann nicht festgestellt werden, dass sich durch die Zulassung der Antragstellerin zum Webshop der Aufwand der Antragsgegnerin für die Bearbeitung von Kundenbeschwerden erhöht hat. Es kann nicht festgestellt werden, dass sich Kunden der Antragstellerin, die aufgrund der von der Antragsgegnerin vorgenommenen Sperre des Zugangs zu ihrem Webshop bei der Antragstellerin keine digitalen Mautprodukte beziehen konnten, bei der Antragsgegnerin deswegen beschwert hätten. [BW12]
16. Auswirkungen im Bereich der IT der Antragsgegnerin:
Der Online-Bezug von digitalen Mautprodukten bei der Antragsgegnerin ist technisch als Web-Shop konzipiert, bei dem man für jede Transaktion die Webseite öffnen und mit der dort vorgesehenen „Maske“ einsteigen muss. Die Webseite ist dabei so programmiert, dass innerhalb eines bestimmten (vom jeweiligen Benutzer-Client vorgegebenen) Zeitraums der Benutzer bei einem erneuten Zugriff automatisch wieder angemeldet wird und er die Anmelde-Informationen nicht wieder neu eingeben muss. Die Antragstellerin greift – ebenso wie die anderen Unternehmen, die über ihren Webshop digitale Mautprodukte der Antragsgegnerin online vertreiben - automatisch auf den Web-Shop der Antragsgegnerin zu, wobei von der Antragstellerin pro Minute in etwa 50 bis 60 Zugriffe, in Spitzenzeiten (etwa vor Ferienbeginn) dagegen doppelt so viele Zugriffe erfolgen. Jeder Zugriff ist dabei grundsätzlich mit einer nachfolgenden Transaktion im Web-Shop verbunden. Dazu verwendet sie automatisch generierte E-Mail-Adressen, die zwischen den einzelnen Sessions mitunter auch ausgetauscht werden. Passiert das, zeigt das System der Antragsgegnerin nach den angewendeten Sicherheitsrichtlinie eine Fehlermeldung an oder lehnt die Anmeldung überhaupt ab. Weiters führen die häufigen automatisierten Zugriffe der Antragstellerin dazu, dass die von den Zahlungsmittel-Providern der Antragsgegnerin eingesetzten Betrugserkennungs-Softwares immer wieder einen möglichen Missbrauchsfall melden, den die Provider dann mit der Antragsgegnerin abklären wollen. Aufgrund der Fehlermeldungen des eigenen Sicherheitssystems der Antragsgegnerin oder aufgrund der Rückfragen der Zahlungsmittel-Provider kommt es insofern zu einem Mehraufwand bei der Antragsgegnerin, als immer wieder IT-Experten zugezogen werden müssen, um deren Ursachen abzuklären und zu analysieren. In welchem Ausmaß dies erforderlich ist, kann nicht festgestellt werden. Dass durch die automatisierten Zugriffe der Antragstellerin darüber hinaus ein weitergehender Mehraufwand für die IT der Antragsgegnerin oder sonstige Nachteile erzeugt werden oder zusätzliche Investitionen der Antragsgegnerin in IT-Infrastruktur und IT-Sicherheit (wie etwa Vorhaltekosten) erforderlich sind, kann nicht festgestellt werden.
Es kann nicht festgestellt werden, dass es durch die automatisierten Zugriffe der Antragsgegnerin zu Performance-Problemen oder zu einer Überlastung des Loggings und der Sicherheitssysteme, wodurch tatsächlich gefährliche Angriffe nicht mehr identifiziert werden könnten, oder zu einem „Crash/Shutdown“ des Webhops kommt. [BW 13]
17. Folgen einer neuerlichen Zugangssperre zum Webshop der Antragsgegnerin für das Geschäftsmodell der Antragstellerin:
Würde die Antragsgegnerin der Antragstellerin neuerlich den Zugang zu ihrem Webshop verwehren, wäre die Antragstellerin wieder gezwungen, ihr Geschäftsmodell komplett einzustellen. Ebenso wäre es ihr nicht möglich, digitale Mautprodukte für den eigenen Bedarf (zB für von ihr selbst genutzte PKW) online zu erwerben. [BW14]
Die Antragstellerin erzielte im Zeitraum Februar 2021 bis inklusive November 2022 aus dem Vertrieb der von der Antragsgegnerin bezogenen digitalen Mautprodukte an ihre Kunden einen Umsatz von etwa EUR xxx. Wieviel Gewinn sie daraus erzielt hat, kann nicht festgestellt werden. Kann sie ihrem Geschäftsmodell nicht mehr nachgehen, entgeht ihr monatlich ein Umsatz in Höhe von etwa EUR xxx. Wie hoch ihr entgangener Gewinn ist, kann nicht festgestellt werden. [BW15]
Der festgestellte Sachverhalt gründet sich auf nachstehender Beweiswürdigung:
Soweit die Feststellungen auf unbedenklichen Beweismitteln beruhen, wurden diese bereits oben in Klammern angeführt. Sofern eine weitergehende Auseinandersetzung mit den einzelnen Beweismitteln erforderlich war, ist Folgendes auszuführen:
[BW1]: Dass die Antragstellerin auch diejenigen Zusatzleistungen erbringen wollte, die bei Bezug eines digitalen Mautprodukts über ein Kundenkonto im Webshop der Antragsgegnerin zur Verfügung stehen, ergibt sich aus der Aussage ihres Geschäftsführers (ON 12 Seite 6), was auch der Zeuge M*** als möglich einräumte (ON 12 Seite 12 und 13). Wieso eine automatisierte Umsetzung solcher Zusatzleistungen über ein Kundenkonto der Antragstellerin „völlig unwirtschaftlich“ sein soll, wie der Zeuge meint, ist hingegen nicht ersichtlich. Die Unmöglichkeit zur Erbringung dieser Services ohne Kundenkonto folgt aus der technischen Verknüpfung dieser Services mit einem bestehenden Kundenkonto seitens der Antragsgegnerin.
[BW2] Dass die Antragsgegnerin auch IP-Adressen bzw Zahlungsmittel der Antragsstellerin sperrte, wird von der Antragsgegnerin bestritten und basiert letztlich auf einer Vermutung ihres Geschäftsführers, die nicht näher begründet wurde. Insofern konnte der Angabe des Zeugen M*** gefolgt werden, der eine solche Sperre dezidiert in Abrede stellte (ON 12 Seite 13). Dass es technisch möglich wäre, IP-Adressen oder Zahlungsmittel für die Verwendung im Webshop zu sperren, mag sein, kann aber offen bleiben, weil selbst aus einer von der Antragstellerin behaupteten faktischen Möglichkeit einer Sperre nicht abzuleiten ist, dass die Antragsgegnerin eine solche auch veranlasste. Der Zugang zum Webshop wird offensichtlich bereits durch die Sperre der E-Mail-Adresse verhindert, sodass nicht nachvollziehbar ist, woraus der Geschäftsführer der Antragstellerin eine über diese zugestandene Sperre hinausgehende Maßnahme der Antragsgegnerin ableitet.
[BW3a]: Dass die Antragstellerin durch die Sperre ihrer E-Mail-Adressen gezwungen war, ihr Geschäftsmodell einzustellen, ergibt sich aus der glaubwürdigen Aussage ihres Geschäftsführers (ON 12, Seite 6 ff), wonach der Zugang zum Webshop bzw das Kundenkonto für ihr Geschäftsmodell zwingend erforderlich sei, damit sie auch die weiteren Services anbieten könne (wie etwa jene bei Kennzeichenänderungen); und die Sperre den Zugang der Antragsgegnerin mit ihren E-Mail-Adressen auch als Gast ohne Kundenkonto verhindert habe. Zudem führte er aus, er wäre zwar nicht daran gehindert gewesen, ein neues Kundenkonto anzulegen, betonte aber, dass er auch dann wahrscheinlich durch eine neuerliche Sperre an der Weiterführung des Geschäftsmodells gehindert worden wäre. Denkbar wäre hier überhaupt nur die Verwendung von E-Mail-Adressen außerhalb der von der Antragsgegnerin verwendeten Domain. Auch das Kartellgericht geht aber davon aus, dass in diesem Fall - aufgrund der Vehemenz, mit der die Antragsgegnerin das Geschäftsmodell der Antragstellerin mittels technischer Möglichkeiten zu stoppen versuchte – eine Sperre der neuen E-Mail-Adresse erfolgt wäre, sodass das Geschäftsmodell wieder nicht umgesetzt hätte werden können. In diesem Zusammenhang ist auf die Aussage des Zeugen M*** (ON 12, Seite 10) zu verweisen, wonach die Antragsgegnerin einen anderen Online-Bezug von digitalen Mautprodukten bewusst nicht zulasse.
[BW3b]: Dass es technisch nur möglich sei, der Antragstellerin vollen Zugang zum Webshop (und nicht etwa nur zum Erwerb von digitalen Mautprodukten für den eigenen Bedarf oder für den Weiterverkauf an Verbraucher mit einem Gültigkeitsbeginn von weniger als 18 Tagen ab Kaufdatum) zu ermöglichen, bestritt die Antragstellerin – wenn auch pauschal - in ihrem Vorbringen in der Tagsatzung vom 9.6.2022 (ON 40). Ein Beweisanbot für ihre dahingehende Behauptung erstattete die Antragsgegnerin im Verfahren nicht. Dem Erstgericht fehlt jedenfalls die erforderliche technische Expertise, um zu diesem Tatsachenkomplex ohne weitere Beweisergebnisse eine abschließende – positive – Feststellung treffen zu können.
[BW 4]: Sofern die Antragstellerin mit ihrem pauschalen Vorbringen, den geänderten AGB der Antragsgegnerin nie zugestimmt zu haben, darauf abstellt, diese geänderten AGB nicht akzeptiert zu haben, stehen dem die von ihr selbst vorgelegten Screenshots zum Zweck der Dokumentation des Bestellvorgangs im Webshop der Antragsgegnerin (siehe etwa Beilagen ./D, Seite 8, ./AA, Seite 15 und ./AC, Seite 7) entgegen. Dort ist jeweils ersichtlich, dass die Antragsgegnerin im Bestellprozess zum Online-Erwerb von digitalen Mautprodukten in ihrem Webshop die Annahme ihrer AGB voraussetzt, um die Transaktion durchführen zu können. Nachdem die Antragstellerin selbst behauptet, auch nach der Änderung der AGB per 3.2.2022 weiterhin digitale Mautprodukte über die Antragsgegnerin bezogen zu haben, muss sie daher diese geänderten Vertragsbedingungen auch bei jedem einzelnen Erwerb tatsächlich akzeptiert haben.
[BW5a]: Dass die Antragstellerin nach Aufhebung der technischen Sperre ihr Geschäftsmodell wieder anbot, war ebenso unstrittig wie die Grundzüge dieses Modells.
Aus der Beilage ./13, Seite 1 geht klar hervor, dass die Antragstellerin auf der Homepage mit den Domains m***.at und mautpilot.de digitale Vignetten entweder mit Gültigkeit „Ab sofort“ oder „ab Wunschdatum“ anbot. Eine Einschränkung danach, ob der Kunde Verbraucher oder Unternehmer ist, wird nicht vorgenommen. Daraus folgt aber, dass Verbraucher bei der Antragstellerin digitale Mautprodukte auch mit einem Gültigkeitsdatum ab 18 Tagen ab Kauf und Unternehmer solche mit einem Gültigkeitsdatum von weniger als 18 Tagen ab Kauf erwerben können. Der Testkauf Beilage ./27 dokumentiert dabei den Kauf einer erst nach 18 Tagen ab Kauf gültigen digitalen Vignette durch einen Kunden, wobei im Bestellprozess seitens der Antragstellerin gar nicht erhoben wird, ob es sich bei dem Kunden um einen Unternehmer oder Verbraucher handelt.
[BW5b]: Dass sie nach dem Öffnen des Webshops durch die Antragsgegnerin digitale Mautprodukte auch für Kunden mit Sitz in Österreich und/oder für Fahrzeuge mit österreichischen Kennzeichen vertrieb, hat die Antragstellerin im Verfahren nicht bestritten. Ganz im Gegenteil vertrat sie doch sogar den Standpunkt, dazu berechtigt zu sein (vgl etwa ON 46, Seite 7).
[BW6a]: Die Veröffentlichung der Tabelle mit den Mautgebühren und den entsprechenden Servicegebühren für sämtliche digitalen Mautprodukte wird durch die von der Antragsgegnerin selbst vorgelegten Screenshots Beilage ./13 und die vom Vorsitzenden amtswegig angefertigten Screenshots Beilagen ./I und ./II dokumentiert. Die zu setzenden Schritte, um die Tabelle bei einer aktiven Suche aufzufinden, ergeben sich aus diesen Beilagen in Verbindung mit einem vom Vorsitzenden durchgeführten Augenschein, dessen wesentliches Ergebnis den Parteien in der Tagsatzung vom 9.6.2022 (ON 40) mitgeteilt und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde.
[BW6b]: Die Angaben der Antragstellerin im Bestellprozess betreffend das von den Kunden zu entrichtende Entgelt ergibt sich anschaulich aus den vorgelegten Dokumentationen Beilagen ./Y, ./13, ./20 und ./27. Auch wenn die Beilage ./13 einerseits und die Beilagen ./20 und ./27 andererseits zwar zwei in zeitlicher Hinsicht unterschiedliche Versionen des Bestellvorgangs darstellen, so ist ihnen dennoch gemeinsam, dass das Entgelt stets nur als „Gesamtbetrag“ oder „Gesamtpreis“ bezeichnet wird und der daneben angeführte Betrag nicht in seine Bestandteile (Mautgebühr; Servicegebühr) aufgeschlüsselt wird. Es findet sich kein Verweis und keine Verlinkung auf die (an anderer Stelle platzierte) tabellarische Übersicht der Maut- und Servicegebühren, sodass ein Kunde allein aus dem Bestellvorgang heraus die konkrete Höhe der Servicegebühr für ein Produkt nicht nachvollziehen kann. Dies ist nur möglich, wenn er durch aktive Suche die Tabelle auffindet. Entgegen der Behauptung der Antragstellerin ergibt sich auch aus der von ihr vorgelegten Beilage ./Y (bei der es sich ohnehin nur um die Wiedergabe der Seiten 1 bis 12 aus der Beilage ./13 handelt) nichts anderes: Ein Link mit der Bezeichnung „Preise“, der sich im Bestellprozess in räumlicher Nähe zum angegebenen Preis befinden würde (und der allenfalls auf die bereits erwähnte Tabelle weiterleitet), findet sich in keiner der vorgelegten Urkunden.
[BW7a]: Der Bestellprozess von digitalen Mautprodukten bei der Antragsgegnerin über ein Kundenkonto als Unternehmer wurde im Verfahren ausführlich dokumentiert. Anschaulich wird dies etwa in den entsprechenden Screenshots in den Beilagen ./D und ./AA dargestellt. Daraus lassen sich die nach den Feststellungen für eine Bestellung (verpflichtend oder optional) einzugebenden Daten ablesen. Ebenso ergibt sich daraus, dass hinsichtlich jener Personen, für die das digitale Mautprodukt bezogen werden soll (also den Begünstigten), keine weiteren Daten einzugeben sind. Es ist demnach also weder die Identität dieser Person anzugeben, noch, ob es sich um einen Unternehmer oder einen Verbraucher handelt.
[BW7b]: Dass die Antragstellerin ihre Bestellungen bei der Antragsgegnerin vollautomatisiert über ihr Kundenkonto als Unternehmerin tätigt, ist nicht weiter strittig. Die dabei im Bestellprozess einzugebenden Daten decken sich naturgemäß mit den bei jeder Bestellung über ein Unternehmer-Kundenkonto der Antragsgegnerin anzuführenden Daten. Daher sind von ihr bei diesen Bestellungen auch keine Daten ihrer Kunden (wie die Identität oder die Eigenschaft als Konsument/Unternehmer) anzuführen. Die Angaben des Geschäftsführers der Antragstellerin (ON 53, Seite 18) stehen damit im Einklang. Aus den allein abgefragten Daten kann für die Antragsgegnerin somit nicht einmal hervorgehen, wer Begünstigter des bei ihr erworbenen digitalen Mautprodukts sein soll. Aus der Gestaltung des Bestellvorgangs über den Webshop der Antragsgegnerin ergibt sich, dass jene Person, die das Kundenkonto erstellt hat, den Kaufvertrag betreffend das digitale Mautprodukt im eigenen Namen abschließt; eine entsprechende Auswahlmöglichkeit, den Kaufvertrag nur als Stellvertreter für jemand anderen abzuschließen, bietet die Antragsgegnerin auch gar nicht. Da die Antragstellerin keinerlei Daten ihrer Kunden (mit Ausnahme des KFZ-Kennzeichens) an die Antragsgegnerin weiterleitet, kann auch keine Rede davon sein, dass sie ihre Kunden gegenüber der Antragsgegnerin als Unternehmer „deklariere“.
[BW7c]: Da das Geschäftsmodell der Antragstellerin darauf basiert, selbst Kundenkonten anzulegen und über diese die digitalen Mautprodukte bei der Antragsgegnerin zu erwerben, verfügen ihre Kunden technisch über keine Möglichkeit, die mit einem solchen Kundenkonto persönlich verknüpften Services unmittelbar zu nutzen. Nur die Antragstellerin als Inhaberin jenes Kundenkontos, über das das jeweilige Produkt bezogen wurde, könnte für sie bei der Antragsgegnerin die gewünschte Serviceleistung in Anspruch nehmen. Das wird im Wesentlichen auch vom Geschäftsführer der Antragstellerin bestätigt (ON 12, Seite 9). Dieser führte in seiner Einvernahme am 20.1.2021 auch aus, dass man ein solches Service seitens der Antragstellerin zwar künftig über ihren Webshop anbieten wolle, es aber noch nicht eingerichtet worden sei. Dass sich dies im Laufe des Verfahrens geändert hätte, hat die Antragstellerin nicht mehr behauptet. Es ist daher davon auszugehen, dass nach wie vor ein solches Angebot seitens der Antragstellerin an ihre Kunden nicht vorhanden ist.
[BW7d]: Für das Gericht ist nicht ersichtlich, weshalb die Antragstellerin in ihrer Geschäftstätigkeit darauf Rücksicht nehmen sollte, ob bzw wie ihre Kunden aufgrund der von ihnen an sie übermittelten Urkunden den Vorsteuerabzug geltend machen können. Die steuerliche Gebarung ihrer Kunden ist nicht Sache der Antragstellerin. Die Behauptung des Geschäftsführers der Antragstellerin, die Weißungen auf den Bestellbestätigungen würden daher nur erfolgen, um damit auch die dort angegebene Mehrwertsteuer unkenntlich zu machen, sodass ihre Kunden nicht über zwei Urkunden verfügen würden, mit denen sie den Vorsteuerabzug geltend machen könnten, kann daher nur als Schutzbehauptung gewertet werden.
[BW8]: Dass die beschriebene Mautreduktion auch der Antragstellerin zukommt, wird durch den Testkauf in Beilage ./20, Seite 10 dokumentiert: Hier ist auf der abgebildeten Bestellbestätigung der Antragsgegnerin sogar ersichtlich, dass die (über die Antragstellerin) bezogene Jahreskarte ermäßigt ist. Dass die Antragstellerin die von ihr in Anspruch genommene Mautreduktion nicht an ihre Kunden weitergibt, folgt aus der glaubwürdigen Aussage des Zeugen M***, der mehrere Testkäufe in diesem Zusammenhang durchführte und eine Auswertung vornahm, wonach sich aus der Datenbank die Weitergabe einer Reduktion nicht feststellen ließ (ON 53, Seite 13). Zudem wird dies auch durch den Testkauf Beilage ./20, Seite 10 belegt: Dem Kunden werden für die Jahreskarte EUR 116,50 verrechnet, was dem (ungekürzten) Preis entspricht, der sich aus Beilage ./13, Seite 6 entnehmen lässt.
Dass die Nicht-Weitergabe der Mautreduktion nur einmal im Rahmen des in der Beilage ./20 dokumentierten Testkaufs am 5.5.2022 erfolgte (wie die Antragstellerin vorbrachte), ist nicht lebensnah: Das Geschäftsmodell der Antragstellerin beruht auf einer Vollautomatisierung des Bestellvorgangs bei der Antragsgegnerin für ihre Kunden. Dies beinhaltet aber auch, dass die Frage der (Nicht-)Weitergabe einer von der Antragsgegnerin gewährten Mautreduktion vollautomatisiert gelöst sein muss.
Dass durch den genannten Testkauf die Nicht-Weitergabe dokumentiert wird, stellt vor diesem Hintergrund also keinen Einzelfall dar, sondern kann nur die Regel sein. Gegenteilige Beweisergebnisse bestehen nicht. Abgesehen davon wies auch der Zeuge M*** nachvollziehbar darauf hin, dass er mehrere Testkäufe vornahm, bei denen die Mautreduktion nicht weitergegeben wurde (ON 53, Seite 13).
[BW9]: Die Gestaltung des Bestellprozesses im Zusammenhang mit der Annahme der AGB, der Widerrufsbelehrung und der Verbraucherinformation wird durch die Beilagen ./13, ./20 und ./27 dokumentiert. Die Änderung des Bestellprozesses ergibt sich dabei eindeutig aus dem Vergleich der Screenshots Beilagen ./13 einerseits und Beilagen ./20 und ./27 andererseits. Aus der von der Antragstellerin zu diesem Beweisthema vorgelegten Beilage ./AB lässt sich nichts gewinnen, ist der relevante Abschnitt der Urkunde doch durch ein gelbes Feld verdeckt.
Weder lässt sich aber aus den Beilagen eine exakte zeitliche Einordnung dieser Änderung vornehmen, noch konnte der Geschäftsführer der Antragstellerin dazu Angaben machen (ON 53, Seite 18f). Allerdings kann aus der unbedenklichen Beilage ./20 entnommen werden, dass der dort dokumentierte Testkauf am 5.5.2022 durchgeführt wurde. Daraus folgt, dass die Änderung jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt vorgenommen worden sein muss.
Die zwingende Verknüpfung zwischen Annahme von AGB, Widerrufsbelehrung und Verbraucherinformation mit dem Verlangen auf vorzeitige Vertragserfüllung durch den Kunden wird nicht nur durch die Beilage ./13 dokumentiert, sondern auch ausdrücklich vom Geschäftsführer der Antragstellerin bestätigt (ON 53, Seite 19). Dass diese Verknüpfung mit der Änderung des Bestellprozesses wegfiel, ergibt sich aus den Beilagen ./20 und ./27 sowie aus der Aussage des Geschäftsführers der Antragstellerin (ON 53, Seite 19). Auch wenn dieser nicht wusste, ob der Kunde an einer anderen Stelle im Bestellprozess eine vorzeitige Vertragserfüllung durch die Antragstellerin verlangen kann, musste er doch einräumen, dass ihm keine andere denkbare Lokalisation als im Zusammenhang mit dem Akzeptieren der AGB etc vorstellbar sei (ON 53, Seite 19). Die durchgehende Dokumentation des Bestellprozesses sieht keine andere Möglichkeit für ein solches Verlangen des Kunden vor.
Dass man beim Klicken auf die entsprechenden Buttons zum Download der AGB und der Widerrufsbelehrung weitergeleitet wird, ergibt sich ebenso aus den glaubwürdigen Angaben des Geschäftsführers der Antragstellerin (ON 53, Seite 19f).
[BW10a]: Der Zeuge A*** (ON 53, Seite 10f) und der Geschäftsführer der Antragstellerin (ON 53, Seite 23) gaben die Zahl der Mitbewerber der Antragstellerin betreffend den Vertrieb digitaler Mautprodukte über eigene Webshops übereinstimmend mit in etwa 20 an. Dass die Antragstellerin und die Antragsgegnerin bis dato keine Vertriebsvereinbarung abgeschlossen haben, ist ebenso unstrittig wie der Umstand, dass die Antragsgegnerin dritten Anbietern – wie auch der Antragstellerin – derzeit uneingeschränkten Zugang zu ihrem Webshop gewährt. Ein behauptetes tatsächliches Kontrahieren der Antragsgegnerin mit dritten Anbietern im Sinne einer solchen Vertriebsvereinbarung hat das Beweisverfahren aber nicht ergeben. Allein die Tatsache der Öffnung des Webshops ist dafür kein ausreichender Anhaltspunkt.
Dafür, dass die Antragsgegnerin weiterhin auch dritte Anbieter abmahnt, sprechen die vorgelegten exemplarischen Abmahnungen Beilage ./23 und die Angaben des Zeugen A*** (ON 53, Seite 11). Dass die Antragsgegnerin dritte Anbieter digitaler Mautprodukte vom Zugang zu ihrem Webshop nicht mehr sperrt und auch rechtlich nicht gegen sie vorgeht, hat sie in ihrem Schreiben an die Antragstellerin vom 12.10.2021 (Beilage ./AE) selbst zugestanden. Dies deckt sich auch mit der Eidesstattlichen Erklärung des Antragstellervertreters Dr. H***, der darüber berichtet, im Kontakt mit Mitbewerbern der Antragstellerin zuletzt keine Hinweise auf rechtliche Schritte der Antragsgegnerin gegen diese erhalten zu haben (Beilage ./AD). Dabei stellt sich das Motiv der Antragsgegnerin für das erkennende Gericht so dar, dass sie bis zur rechtskräftigen Klärung der Frage, ob sie der Antragstellerin aus kartellrechtlicher Sicht Zugang zum Webshop gewähren muss, allen Anbietern – so wie der Antragstellerin – unter gleichen Bedingungen Zugang gewähren will, um sich einstweilen keinen Diskriminierungsvorwürfen auszusetzen. Dies ist umso naheliegender, als die Antragsgegnerin auch im Provisorialverfahren zur Gewährung eines (wenn auch beschränkten) Zugangs verhalten wurde. Es erscheint nur lebensnah, dass sich die Antragsgegnerin vor dem Hintergrund einer noch nicht eindeutig gelösten Rechtsfrage, deren Beantwortung in hohem Maße von sich ständig ändernden tatsächlichen Umständen abhängt, auf keine weitere rechtliche Konfrontation mit anderen Anbietern einlassen möchte.
[BW10b]: Zur Preisauszeichnung der USt seitens der Antragsgegnerin führt die Antragstellerin die Beilage ./22 an. In dieser Urkunde findet sich aber gar keine Stelle, an der eine Preisauszeichnung durch die Antragsgegnerin erfolgen würde. Aus dieser Urkunde lässt sich die Behauptung einer Auszeichnung der USt in einer zu kleinen Schriftgröße keinesfalls ableiten. Soweit in anderen vorgelegten Urkunden eine Preisauszeichnung der Antragsgegnerin ersichtlich ist, wird diese zwar kleiner als der Gesamtpreis dargestellt. Die verwendete Textgröße ist nach dem Dafürhalten des Gerichts aber durchaus üblich und ist auch für Verbraucher jedenfalls ausreichend wahrnehmbar.
Die Antragstellerin behauptet, die Antragsgegnerin täusche eine gesetzliche Regelung zum Schutz von Verbrauchern im Zusammenhang mit dem Zweck der 18-tägigen Wartefrist beim Online-Kauf von digitalen Mautprodukten durch Verbraucher vor. Sie bezieht sich dabei auf die Verwendung des Terminus „Verbraucherschutzfrist“. Wo und wann die Antragsgegnerin diesen Begriff gegenüber ihren (potenziellen) Kunden verwendet haben soll, legt sie jedoch nicht offen. Sie führt dazu auch kein konkretes Beweismittel an. Den von ihr vorgelegten Beilagen ./AA und ./AC, die jeweils Screenshots von der Webseite der Antragsgegnerin bzw aus dem dortigen Bestellprozess zeigen, kann jedenfalls weder die Verwendung des Begriffs „Verbraucherschutzfrist“ entnommen werden, noch dass die Antragsgegnerin überhaupt einen mit der 18-tägigen Wartefrist verbundenen bestimmten Zweck vermitteln würde.
Aus der in Beilage ./AC dokumentierten einmaligen Verweigerung, die Stornierung einer Bestellung vorzunehmen, nachdem ein Testkäufer nachträglich per E-Mail erklärt, gar kein Unternehmer (sondern Verbraucher) gewesen zu sein, kann nicht gefolgert werden, dass die Antragsgegnerin generell einen Widerruf von Bestellungen durch Verbraucher ignorieren würde, die ein digitales Mautprodukt irrtümlich als Unternehmer erwarben. Schon die E-Mail des „Kunden“ in der Beilage ./AC ist im Wesentlichen nichtssagend, enthält sie doch keinerlei Begründung, warum der „Kunde“ unrichtig bei der Bestellung angab, Unternehmer zu sein. Davon, dass dies irrtümlich geschehen sei, spricht die E-Mail jedenfalls nicht. Dass die Antragsgegnerin darauf in ihrer (offenbar ersten) Antwort die Stornierung nicht sofort akzeptiert, sondern dem Ansuchen des „Kunden“ unter Verweis darauf, dass bei einem Erwerb der Produkte im Mautshop als Unternehmer kein Rücktrittsrecht besteht, nicht nachkommt, ist dabei nicht weiter verwunderlich. Ansonsten wäre der Missbrauchsmöglichkeit im Zusammenhang mit der (bewusst) falschen Angabe, das Produkt als Unternehmer zu erwerben, und dann zu behaupten, eigentlich Verbraucher zu sein, um so ein Rücktrittsrecht geltend machen zu können, Tür und Tor geöffnet. Dass die Antragsgegnerin im Falle einer ausreichend plausiblen Begründung, weshalb – irrtümlich – im Bestellvorgang eine Bestellung als Unternehmer ausgewählt wurde, einen Widerruf von echten Verbrauchern ignorieren würde, stellt die Beilage ./AC dagegen nicht unter Beweis.
[BW10c]: Dass die Antragsgegnerin das UWG-Verfahren vor dem Handelsgericht Wien gegen die Antragstellerin nur aus Anlass des gegen sie geführten gegenständlichen Verfahrens – und daher als Vergeltungsmaßnahme dafür – eingeleitet habe, stellt eine bloße, durch nichts belegte Vermutung dar. Abgesehen davon, dass die Antragstellerin dafür keine konkreten Beweismittel genannt hat, zeigt das im vorliegenden Verfahren objektivierte Verhalten der Antragstellerin ausreichenden Anlass, um gegen sie zivilgerichtlich vorzugehen.
[BW11]: Dass die Antragstellerin die digitalen Mautprodukte weiterhin über verschiedene Länderdomains (unter anderem mautpilot.de) vertreibt, wird durch die von ihr selbst vorgelegte Beilage ./AF belegt. Die Antragstellerin hat durch Beilage ./AH nachgewiesen, dass derzeit auf die Domain m***.at nicht mehr zugegriffen werden kann und dass auf mautpilot.de keine österreichischen Kennzeichen und keine österreichischen Rechnungsadressen mehr angeführt werden können (die jeweiligen Drop-Down-Menüs für die Länder sind vollständig auf den Screenshots abgebildet; Österreich wird dort jeweils nicht angeführt). Aus den Beilagen ./AG und ./AH ergibt sich aber nicht, dass man als Österreicher nicht auch über die anderen länderspezifischen Webshops digitale Mautprodukte weiterhin bei der Antragstellerin beziehen kann, sofern keine österreichische Anschrift verwendet wird und das Produkt nicht für ein österreichisches Kennzeichen bestellt wird. Dies wird vor allem im Ausland lebende Österreicher betreffen, die für ein nicht in Österreich zugelassenes Kraftfahrzeug ein digitales Mautprodukt erwerben wollen. Dabei spielt es auch keine Rolle, ob auf einen Österreicher mit Wohnsitz im Ausland ein Kraftfahrzeug im Ausland überhaupt zugelassen werden kann, weil der Bezug eines digitalen Mautprodukts bei der Antragstellerin ja nicht dessen Verwendung bei einem auf den Kunden selbst zugelassenen Kraftfahrzeug voraussetzt. Das Produkt kann vom Kunden vielmehr auch für Dritte bezogen werden, wie die Antragstellerin ja auch gegenüber der Antragsgegnerin argumentiert.
Zum genauen Zeitpunkt, ab wann diese Maßnahmen umgesetzt wurden, war eine Negativfeststellung zu treffen, weil dafür keine Beweisergebnisse vorliegen. Aufgrund des in Beilage ./27 dokumentierten Testkaufs ist aber klar, dass jedenfalls am 9.11.2022 ein Kunde mit österreichischer Adresse über mautpilot.de noch ein digitales Mautprodukt bei der Antragstellerin erwerben konnte. Ob der Name bzw die verwendete Adresse dabei tatsächlich existierten ist – entgegen der Argumentation der Antragsgegnerin – irrelevant: Es ist nämlich nicht davon auszugehen, dass das von ihr verwendete System nur tatsächlich existente Namen und (österreichische) Adressen vom weiteren Bestellvorgang blockiert. Derartiges hat die Antragstellerin auch gar nicht vorgebracht. Dass über die verbleibenden länderspezifischen Domains die Servicegebühr weiterhin nicht betraglich ausgewiesen wird, hat die Antragstellerin gar nicht bestritten. Ebenso hat sie gar nicht vorgebracht, dass sich der Bestellprozess oder die Belehrung über das Widerrufsrecht seit Inkrafttreten der Einstweiligen Verfügung im UWG-Verfahren gegenüber dem zuvor festgestellten Zustand verändert hätten.
[BW12] Das Ausmaß der Kundenanfragen insgesamt sowie das Ausmaß der Beschwerden von Kunden, die ein digitales Mautprodukt bei einem Webshop eines dritten Anbieters erworben haben, konnte der Zeuge A*** glaubwürdig darstellen (ON 53, Seite 9). Das Beweisverfahren hat somit gezeigt, dass die Antragsgegnerin tatsächlich bis zu einem gewissen Grad auch Anlaufstelle für Beschwerden von Personen ist, die ihre digitalen Mautprodukte bei dritten Anbietern gekauft haben.
Zu den Themen dieser Beschwerden kann auf die Angaben der Zeugen A*** (ON 53, Seite 8) und M*** (ON 12, Seite 12) sowie auf die beispielhafte Dokumentation von Kundenbeschwerden in den Beilagen ./22 und ./28 verwiesen werden. Auch nach dem durchgeführten Beweisverfahren blieb offen, wie viele Anfragen auf die Nutzung von Services über die Antragsgegnerin entfielen.
Hinsichtlich des mit der Bearbeitung solcher Kundenbeschwerden verbundenen Aufwands führte der Zeuge A*** aus, der Aufwand sei mit etwa 4 E-Mails aufwärts pro Anfrage höher als bei der Erledigung einer sonstigen Kundenanfrage mit etwa 2 E-Mails pro Anfrage (ON 53, Seite 9f). Diesen Ausführungen konnte jedoch nicht gefolgt werden: Zum einen räumte er über Nachfragen des Gerichts selbst ein, dass die Bearbeitung solcher Anfragen seitens der Antragsgegnerin im Wesentlichen durch das Versenden von standardisierten E-Mails erfolgt (ON 53, Seite 9). Ein derart hoher Aufwand von 4 E-Mails aufwärts lässt sich daraus im Durchschnitt gerade nicht ableiten und erscheint dem Gericht auch nicht lebensnahe, bedenkt man die hohe Anzahl an Kundenanfragen, die vom Service-Center der Antragsgegnerin abzuarbeiten sind. Sie wird daher ihre Ressourcen entsprechend schonend einsetzen müssen, um eine hohe Qualität im Kundenservice aufrecht erhalten zu können, und wird sich daher nicht unverhältnismäßig stark auf die Beantwortung von Beschwerden konzentrieren können, die rechtlich gar nicht von ihren eigentlichen Vertragspartnern stammen. Zum anderen dokumentiert auch die vorgelegte Korrespondenz in den Beilagen ./22 und ./28 keinen derart hohen Aufwand in der Bearbeitung der Beschwerden, wie ihn der Zeuge A*** zunächst beschrieben hat. Auch die Angaben des Zeugen M*** in ON 12 legen keine anderen Schlüsse nahe. Damit war davon auszugehen, dass auch diese Beschwerdebearbeitung keinen besonderen Aufwand hervorruft.
Dass auch die Antragstellerin von einem Teil dieser Beschwerden betreffend den Erwerb von digitalen Mautprodukten bei dritten Anbietern betroffen ist, zeigen die Beilagen ./22 und ./28 und wird auch vom Zeugen A*** bestätigt (ON 53, Seite 8ff). Wie groß der Anteil der sie betreffenden Beschwerden an der Gesamtzahl solcher Beschwerden ist, konnten aber weder die Zeugen A*** (ON 53, Seite 9) und M*** (ON 12, Seite 12) sagen, noch ergibt sich dies aus den vorgelegten Urkunden. Daher war eine Negativfeststellung zu treffen. Einen tatsächlichen Mehrwaufwand in der Bearbeitung von Kundenbeschwerden durch das Zulassen der Antragstellerin zu ihrem Webshop konnte die Antragsgegnerin im Verfahren nicht unter Beweis stellen. Gerade zur Behauptung, es verursache einen hohen Aufwand, um abzuklären, ob eine Person, die Serviceleistungen der Antragsgegnerin in Anspruch nehmen wolle, tatsächlich die rechtmäßige Bezieherin sei, hat das Beweisverfahren keine Ergebnisse gebracht. Zwar ist auch für das erkennende Gericht nachvollziehbar, dass derartige Erhebungen im Einzelfall aufwändig sein können. Vor dem Hintergrund, dass die Anzahl solcher auf die Nutzung von Serviceleistungen gerichteten Anfragen bzw Beschwerden aber nicht festgestellt werden konnte, bleibt der damit tatsächlich verbundene Aufwand letztlich offen, weshalb eine Negativfeststellung zu treffen war.
Auch für die Behauptung der Antragstellerin, dass sich allenfalls ihre Kunden bei der Antragsgegnerin darüber beschwert hätten, dass sie bei der Antragstellerin nach der von der Antragsgegnerin verhängten Sperre keine digitalen Mautprodukte mehr beziehen konnten, fehlte im Verfahren jeglicher Anhaltspunkt.
[BW13]: Die Feststellungen zu den allgemeinen technischen Vorgängen beim Zugriff auf den Webshop der Antragsgegnerin, zur Vorgehensweise bei den automatisierten Zugriffen der Antragstellerin (und deren Anzahl) und ihrer Mitbewerber auf den Webshop und den Auswirkungen derselben auf das Sicherheitssystem der Antragsgegnerin sowie den dadurch ausgelösten Rückfragen der Zahlungsmittel-Provider gründen sich auf die anschauliche und nachvollziehbare Schilderung des Zeugen M*** (ON 53, Seite 14ff). Glaubwürdig erachtete das Gericht auch seine Darstellung, dass durch diese Fehlermeldungen des eigenen Sicherheitssystems und die Rückmeldungen der Provider ein Mehraufwand insofern verursacht wird, als diese Probleme aufgeklärt und analysiert werden müssen. Beweisergebnisse zum Ausmaß eines solchen Mehraufwandes brachte das Beweisverfahren jedoch nicht. Der Zeuge M*** konnte auch keine Angaben dazu machen, inwiefern ein flächendeckender Mehraufwand für die gesamte IT der Antragsgegnerin durch die automatisierten Zugriffe der Antragstellerin entsteht (ON 53, Seite 17). Auch aus den von der Antragsgegnerin vorgelegten Urkunden lassen sich für die von ihr dazu im Verfahren erhobenen Behauptung keine Anhaltspunkte gewinnen. Es war daher eine Negativfeststellung zu treffen.
Auch für die von der Antragsgegnerin behauptete Notwendigkeit, in IT-Infrastruktur und IT-Sicherheit zu investieren, um die Probleme im Zusammenhang mit den automatisierten Zugriffen der Antragstellerin zu beheben, brachte das Beweisverfahren keine Anhaltspunkte. Dabei sei darauf verwiesen, dass zur Frage eines flächendeckenden (generellen) Mehraufwands für die IT der Antragsgegnerin ebenfalls eine Negativfeststellung getroffen werden musste. Im Übrigen überzeugt bereits die Begründung der Antragsgegnerin zur Höhe der behaupteten Vorhaltekosten (ON 51) nicht: Selbst wenn man ihr zugesteht, dass die Systeme der Antragstellerin etwa ¼ des „Traffic“ in ihrem Webshop verursachen würden, kann aus diesem Umstand nicht abgeleitet werden, dass die Antragsgegnerin auch ¼ ihrer Ausgaben für die Webshop-Infrastruktur zur Behebung von durch die Antragstellerin verursachten Problemen aufwenden muss. Wofür diese Aufwendungen konkret eingesetzt werden müssen, brachte die Antragsgegnerin gar nicht vor. Auch zum Vorhandensein von Vorhaltekosten konnte daher keine positive Feststellung getroffen werden.
Der Aussage des Zeugen M*** zur Notwendigkeit, sich als Antragsgegnerin aufgrund der Häufigkeit der automatisierten Zugriffe seitens der Antragstellerin auf den Webshop in technischer Hinsicht zu schützen (ON 53, Seite 15f), stehen die Angaben des Geschäftsführers der Antragstellerin entgegen, wonach es für einen Website-Betreiber erst bei Zugriffen in einem Ausmaß von mehreren tausend Anfragen pro Sekunde erforderlich sei, sich technisch zu schützen (ON 53, Seite 21f). Der Zeuge M*** erklärte, dass es für das Sicherheitssystem nicht möglich sei, die Zugriffe der Antragstellerin von potenziell schädlichen Abfragen zu trennen. Dem hielt der Geschäftsführer der Antragstellerin wiederum entgegen, die Antragsgegnerin könne die Antragstellerin von der betreffenden Sicherheitsregelung ausnehmen und dennoch ein hohes Sicherheitslevel erreichen. Zwar hat auch das Gericht Zweifel daran, dass (bloß) 60 (bzw zu Spitzenzeiten 120) automatisierte Zugriffe pro Stunde die vom Zeugen M*** beschriebenen Sicherheitsprobleme auslösen. Allerdings verfügt das Gericht über kein technisches Spezialwissen, das es ihm erlauben würde, die konträren Behauptungen näher auf ihre Richtigkeit oder bloß Plausibilität zu überprüfen. Ein Sachverständigengutachten wurde von der Antragsgegnerin nicht beantragt. Damit konnte nur eine Negativfeststellung getroffen werden. Offen blieb letztlich nach dem durchgeführten Beweisverfahren auch, ob durch die automatisierten Anfragen der Antragstellerin darüber hinaus auch Performance-Probleme oder eine Überlastung des Loggings und der Sicherheitssysteme der Antragsgegnerin auftraten oder gar ein „Crash/Shutdown“ des Webshops verursacht werden könnte. Anhaltspunkte dafür haben die von ihr beantragten und aufgenommenen Beweismittel jedenfalls nicht gebracht.
[BW14]: Auch eine neuerliche Sperre der Antragstellerin vom Zugang zum Webshop der Antragsgegnerin hätte für ihr Geschäftsmodell und für die Möglichkeit zum Erwerb von digitalen Mautprodukten zum eigenen Bedarf dieselben Auswirkungen wie zuvor. Dass hinsichtlich dieser Folgen eine Änderung eingetreten wäre, ist für das Gericht nicht ersichtlich.
[BW15]: Die Beilage ./29 listet - für das erkennende Gericht unbedenklich – die von der Antragstellerin im Zeitraum Februar 2021 bis November 2022 bei der Antragsgegnerin bezogenen digitalen Mautprodukte samt den dafür an sie geleisteten Entgelten und die von der Antragstellerin für den Verkauf derselben an ihre Kunden verlangten Preise auf. Daraus lässt sich der Umsatz aus dem Verkauf der digitalen Mautprodukte mit EUR xxx für einen Zeitraum von insgesamt 22 Monaten (bzw etwa EUR xxx pro Monat) errechnen. Ausgehend von diesen Werten kann bei lebensnaher Betrachtung davon ausgegangen werden, dass die Antragstellerin einen entsprechenden Umsatz bei Aufrechterhaltung ihres Geschäftsmodells auch weiterhin erzielen könnte, sodass sie im Falle einer Einstellung des Geschäftsmodells mit Umsatzeinbußen von EUR xxx monatlich rechnen müsste. Zutreffend wies sie aber darauf hin, dass für die Ermittlung des Gewinns noch weitere Kosten, wie etwa Personalkosten, Werbekosten, Kosten für die Rechtsberatung, Raummieten, etc abzuziehen seien. Da zu diesen weiteren Kosten die Aufnahme von Beweismitteln gar nicht beantragt wurde, blieben diese Positionen letztlich offen. Damit ist aber im Ergebnis auch unklar, wie hoch der Gewinn der Antragstellerin im Zeitraum Februar 2021 bis November 2022 war bzw wie hoch der entgangene Gewinn im Falle der Einstellung des Geschäftsmodells künftig wäre.
In rechtlicher Hinsicht folgt daraus:
1. Rechtliche Rahmenbedingungen:
1.1. Die Benützung der Bundesautobahnen und der Bundesschnellstraßen mit einspurigen Kraftfahrzeugen und mit mehrspurigen Kraftfahrzeugen, deren höchstes zulässiges Gesamtgewicht nicht mehr als 3,5 Tonnen beträgt, unterliegt in Österreich (mit gesetzlichen Ausnahmen) der zeitabhängigen Maut (§ 10 Abs 1 BStMG) bzw der Streckenmaut (§ 32 Abs 1 BStMG). Dabei handelt es sich nicht um eine Abgabe, sondern um ein privatrechtliches Entgelt für die Benützung von Straßen (RS0114743; ErläutRV 1139 BlgNR 21. GP 13, 15). Mautgläubiger ist – soweit es vom Fruchtgenussrecht der Antragsgegnerin erfasste Bundesstraßen betrifft – die Antragsgegnerin (§ 3 BStMG). Mautschuldner sind der Kraftfahrzeuglenker und der Zulassungsbesitzer zur ungeteilten Hand (§ 4 BStMG). Dabei handelt es sich um ein (privatrechtliches) gesetzliches Schuldverhältnis und (mangels Willensübereinkunft zwischen den Beteiligten) nicht um einen Vertrag (ErläutRV 1139 BlgNR 21. GP 13, 15; 1587 BlgNR 25. GP 4; vgl 10 Ob 78/15s [privatrechtlicher Straßenbenutzungsvertrag]).
1.2. Die zeitabhängige Maut ist vor der Benützung von Mautstrecken durch Anbringen einer Klebevignette am Fahrzeug oder durch Registrierung des Kennzeichens des Fahrzeugs im Mautsystem der Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft (digitale Vignette) zu entrichten (§ 11 Abs 1 BStMG). Die Vignetten gibt es gemäß § 11 Abs 2 BStMG in Form von Jahresvignetten (mit einer Gültigkeit von einem Kalenderjahr und einer Benützungsberechtigung vom Dezember des Vorjahres bis zum Jänner des Folgejahres), von Zweimonatsvignetten (mit einer Gültigkeit von zwei Monaten) und einer Zehntagesvignette (mit einer Gültigkeit von zehn Tagen).
1.3. Die Streckenmaut ist ohne Verwendung elektronischer Einrichtungen oder durch Registrierung des Kennzeichens im Mautsystem der Antragsgegnerin zu entrichten (vgl § 32 Abs 2 BStMG). Die Streckenmaut wird als Einzelfahrt, Jahreskarte (mit unterschiedlichen Kostenvarianten) und Monatskarte (in verschiedenen Varianten) vertrieben (s Teil A II Pkt 3.2 Mautordnung).
1.4. Die näheren Bestimmungen über die Registrierung des Kennzeichens des Fahrzeugs im Mautsystem und über die Vertriebswege sind in der von der Antragsgegnerin zu erlassenden Mautordnung zu treffen (§§ 11 Abs 6 S 1 und 15 Abs 1 Z 19 BstMG). Die Mautordnung kann auch Bestimmungen über den Rücktritt vom Erwerb digitaler Vignetten und Bestimmungen enthalten, dass bei ihrem Erwerb im Fernabsatz der erste Tag ihrer Gültigkeit frühestens der achtzehnte Tag nach dem Tag des Erwerbs ist (§ 15 Abs 2 Z 8 BStMG). Die näheren Bestimmungen über die Art und Bedingungen der Streckenmaut sind ebenfalls in der Mautordnung zu treffen (§ 32 Abs 2 BStMG).
1.5. Die (in der Version 71 mit Gültigkeit ab 1.1.2023 vorliegende) Mautordnung der Antragsgegnerin bestimmt als Vertriebswege für den Bezug der digitalen Vignette bzw der digitalen Streckenmaut den Bezug über den Webshop und die ASFINAG App (Teil A I Pkt 3.2.1 und Teil A II Pkt 4.2.1 f Mautordnung), über Automaten (Teil A I Pkt 3.2.2 und Teil A II Pkt 4.2.3 Mautordnung) und über ausgewählte Vertriebsstellen (Teil A I Pkt 3.2.3 und Teil A II Pkt 4.2.4 Mautordnung). Beim Bezug digitaler Mautprodukte über einen Automaten und über ausgewählte Vertriebsstellen handelt es sich um einen stationären Vertrieb, sodass die physische Anwesenheit des Erwerbers (unmittelbar am Automaten bzw in einer Verkaufsräumlichkeit einer Vertriebsstelle oder eines Vertriebspartners) erforderlich ist. In diesen Fällen ist eine digitale Vignette bzw die digitale Streckenmaut sofort nach Bezug gültig (Teil A I Pkt 3.2.2.1 und 3.2.3.1 sowie Teil A II Pkt 4.2.3 und 4.2.4 Mautordnung). Ein Bezug (am „Primär-Vertriebsmarkt“) über das Internet (online) kann (nur) über den Webshop oder die App der Antragsgegnerin erfolgen. Über den hier gegenständlichen „Sekundär-Vertriebsmarkt“ wird in der Mautordnung keine Regelung getroffen. Der erste Tag der Gültigkeit ist bei Bezug durch Verbraucher dann frühestens der 18. Tag nach dem Bezug (Teil A I Pkt 3.2.1.1 und Teil A II Pkt 4.2.1 Mautordnung). Gleichzeitig besteht (nach der Mautordnung nur im Online-Vertrieb) ein 14-tägiges Rücktrittsrecht (Teil A I Pkt 3.3 und Teil A II Pkt 4.5 Mautordnung). Beim Bezug einer digitalen Vignette oder einer digitalen Streckenmaut durch einen Unternehmer im Rahmen seiner Tätigkeit als Unternehmer besteht kein Rücktrittsrecht und kann als erster Tag der Gültigkeit schon der Tag des Bezugs gewählt werden (Teil A I Pkt 3.4 und Teil A II Pkt 4.6 Mautordnung). Für den Erwerb einer digitalen Vignette oder einer digitalen Streckenmaut über das Internet ist die Bekanntgabe des Kennzeichens und des Zulassungsstaats des Fahrzeugs, für das das digitale Mautprodukt erworben wird, der für den unbaren Zahlungsverkehr notwendigen Daten sowie einer E-Mail-Adresse erforderlich (§ 11 Abs 7 S 1 BStMG; Teil A I Pkt 3.2.1.2 und Teil A II Pkt 4.2.1 Mautordnung).
2. Allgemeines zum Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung:
2.1. Die Antragstellerin wirft der Antragsgegnerin den Missbrauch ihrer marktbeherrschenden Stellung vor und begehrt dessen Abstellung. Darauf sind sowohl der Hauptantrag als auch der Eventualantrag gerichtet, wobei letzterer nur für den Fall gestellt wird, dass es sich bei den von der Antragstellerin angebotenen Dienstleistungen um eine Weiterveräußerung digitaler Mautprodukte der Antragsgegnerin handelt. Im Unterschied zum Hauptantrag erfasst der Eventualantrag aber nur die Verpflichtung zur Unterlassung der Sperre der Kundenkonten der Antragstellerin bzw zur Gewährung des Zugangs zum Webshop der Antragsgegnerin in Bezug auf Kunden mit Sitz außerhalb von Österreich und Fahrzeugen mit nicht-österreichischen Kennzeichen.
2.2. Die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem Binnenmarkt oder auf einem wesentlichen Teil desselben durch ein oder mehrere Unternehmen, soweit dies dazu führen kann, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, ist verboten (§ 5 Abs 1 S 1 KartG; Art 102 AEUV). Dem Kartellrecht liegt – schon aufgrund der nach § 20 KartG gebotenen wirtschaftlichen Betrachtung – ein eigenständiger Unternehmensbegriff zugrunde. Die Rechtsprechung geht hier in Anlehnung an vom EuGH entwickelte Kriterien von einem funktionalen Unternehmensbegriff aus, wonach der Begriff des Unternehmens aus dem Sinn und Zweck der Wettbewerbsregeln und somit weit auszulegen ist. Der Begriff des Unternehmens im kartellrechtlichen Sinn erfasst daher jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung, wobei die wirtschaftliche Betätigung entscheidend ist (RIS-Justiz RS0124391). Die Maut nach dem BStMG ist keine Abgabe, sondern ein privatrechtliches Entgelt für die Benützung von Straßen (RIS-Justiz RS0114743; ErläutRV 1139 BlgNR 21. GP 13, 15). Der Antragsgegnerin kommt ihre Einhebung aufgrund des Rechts der Fruchtnießung (§§ 509 ff ABGB) an den Mautstrecken zu (vgl § 6 ASFINAG-Ermächtigungsgesetz 1997). Dass die Antragsgegnerin daher beim Betrieb des Webshops und dem Vertrieb der digitalen Mautprodukte im Fernabsatz (und dem Ausschluss anderer Unternehmer davon) nicht hoheitlich handelt, sondern vielmehr eine Dienstleistung am Markt anbietet und damit wirtschaftlich tätig wird (in diesem Sinn wohl auch 4 Ob 96/19z Pkt 1.1.4), war nicht strittig. Die Antragsgegnerin ist kartellrechtlich daher Unternehmerin.
2.3. Marktbeherrschung liegt vor, wenn ein Unternehmen in der Lage ist, die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs auf dem relevanten Markt zu verhindern, indem es die Möglichkeit hat, sich seinen Wettbewerbern, seinen Abnehmern und letztlich den Verbrauchern gegenüber in einem nennenswerten Umfang unabhängig zu verhalten (RIS-Justiz RS0110205). Die Feststellung einer marktbeherrschenden Stellung setzt daher die Abgrenzung des relevanten Markts voraus, die stets nach sachlichen und geografischen, ausnahmsweise auch nach zeitlichen Kriterien vorzunehmen ist (Vartian/Schuhmacher in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG 2005² § 4 KartG Rz 17).
2.3.1. Bei der sachlichen Abgrenzung ist auf Austauschbarkeitsrelationen aus Sicht der Bedarfsträger abzustellen. Es kommt in erster Linie auf die funktionelle Austauschbarkeit der fraglichen Güter oder Dienstleistungen aus der Sicht des verständigen Abnehmers an. Zu einem Markt werden sämtliche Produkte oder Leistungen gerechnet, die aus der Sicht der Marktgegenseite wegen ihrer Eigenschaften zur Befriedigung des gleichen Bedarfs im selben Maße geeignet sind, während ihre Austauschbarkeit mit anderen Erzeugnissen oder Leistungen gering ist (RIS-Justiz RS0063539). Die Beurteilung des sachlich betroffenen Marktes erfolgt also nach dem Bedarfsmarktkonzept (RIS-Justiz RS0124671), wobei auch Nebenumstände, wie die Bequemlichkeit, wie sie sich bei einer typischen Betrachtungsweise objektiv darstellt (RIS-Justiz RS0063820; Vartian/Schuhmacher in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG 20052 § 4 Rz 27), oder unterschiedliche Vertriebsformen (Gruber, Kartellrecht3 § 4 KartG E 181) zur Annahme von getrennten Märkten führen können. Danach liegt der sachlich relevante Markt im vorliegenden Fall im Vertrieb der digitalen Mautprodukte über das Internet, jedenfalls aber im Vertrieb von Mautprodukten (betreffend österreichischer Mautstrecken) schlechthin.
2.3.2. Der dermaßen sachlich abgegrenzte Markt kann hinsichtlich der räumlichen Abgrenzung nicht problematisch sein, weil die Antragsgegnerin jeden Wettbewerb am sachlich relevanten Markt des Online-Vertriebs der digitalen Mautprodukte unterbindet und sich die Parteien auch unzweifelhaft auf demselben, sich zumindest überschneidenden geographischen Gebiet gegenüberstehen.
2.3.3. Aufgrund der gesetzlichen Stellung der Antragsgegnerin als einzige Mautgläubigerin und dem Umstand, dass ein Bezug von digitalen Mautprodukten nach der Mautordnung am Primär-Vertriebsmrakt über das Internet (online) nur über den Webshop oder die App der Antragsgegnerin erfolgen kann, kommt ihr hinsichtlich des Vertriebs von Mautprodukten jedenfalls eine marktbeherrschende Stellung zu. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob der sachlich relevante Markt im vorliegenden Fall nur den Vertrieb der digitalen Mautprodukte über das Internet oder den Vertrieb von Mautprodukten generell umfasst. Im Übrigen hat die Antragsgegnerin auch im Hauptverfahren ihre marktbeherrschende Stellung nicht bestritten (vgl 16 Ok 1/21i Rz 36).
3. Internationale Zuständigkeit und Anwendung des KartG auf den vorliegenden Sachverhalt:
3.1. Nach § 24 Abs 2 KartG ist dieses Bundesgesetz nur anzuwenden, soweit sich ein Sachverhalt auf den inländischen Markt auswirkt, unabhängig davon, ob er im Inland oder im Ausland verwirklicht worden ist. Dem österreichischen Kartellrecht liegt somit das - auch im europäischen Kartellrecht (Art 101 und 102 AEUV) geltende – Auswirkungsprinzip zugrunde, nach dem das KartG auf alle Sachverhalte Anwendung findet, die sich auf den österreichischen Markt auswirken (16 Ok 3/08; 16 Ok 10/16f; Urlesberger in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG 20052 § 24 Rz 1).
3.2. Zur internationale Zuständigkeit:
Die Antragsgegnerin hat ausdrücklich die Unzuständigkeit des Kartellgerichts im Hinblick auf § 24 Abs 2 KartG eingewendet, weil sich das Verhalten, dessen Abstellung begehrt werde, nicht auf Österreich auswirke. Für die (internationale) Zuständigkeit des Kartellgerichts kommt es aber nicht auf die (möglichen) Auswirkungen eines Verhaltens von Unternehmen auf Österreich an. Das Auswirkungsprinzip ist vielmehr ein Grundsatz des (materiellen) Kollisionsrechts; seine (unmittelbare) Gültigkeit für das Verfahrensrecht wird heute überwiegend abgelehnt. (Internationale) Zuständigkeit und anwendbares Recht sind als zwei verschiedene Aspekte somit auseinanderzuhalten. Die internationale Zuständigkeit des Kartellgerichts richtet sich vielmehr jedenfalls im Fall einer „zivilrechtlichen Kartellsache“ (worunter auch der gegenständliche Abstellungsantrag fällt) nach der EuGVVO (16 Ok 3/08 mwN aus der Literatur). Da die Antragsgegnerin ihren Sitz in Österreich hat, ist das Kartellgericht nach Art 4 Abs 1 EuGVVO für das gegenständliche Verfahren international zuständig. Die Einrede der sachlichen Unzuständigkeit war daher – soweit sie als formelle Unzuständigkeitseinrede zu verstehen ist – zurückzuweisen.
3.3. Zur Anwendung des KartG:
3.3.1. Sofern die Antragsgegnerin mit ihren Ausführungen (auch= die Anwendbarkeit des KartG auf den vorliegenden Sachverhalt bestreitet, ist sie auf die Ausführungen des Kartellobergerichts im Provisorialverfahren zu verweisen: Eine Wettbewerbsbeschränkung mit Auslandsbezug, aber inländischer Beteiligung wirkt sich dann im Inland aus, wenn der Tatbestand der jeweiligen Sachnorm in Bezug auf den Inlandsmarkt verwirklicht ist; dabei muss die Wettbewerbsbeschränkung geeignet sein, den inländischen freien Wettbewerb spürbar zu beeinträchtigen (16 Ok 3/08 [4.6.]). Der hier zu beurteilende Sachverhalt wirkt sich unzweifelhaft auf den inländischen Markt aus, weil ein inländischer Monopolist einem deutschen Unternehmer die Aufnahme einer Geschäftsbeziehung zum Bezug eines (zur Durchführung dessen eigenen Geschäftsmodells zwingend erforderlichen) Vorprodukts verweigert, das allein im Inland verwertet werden kann und mit den vom inländischen Monopolisten angebotenen Produkten (digitale Mautprodukte für Verbraucher) in Wettbewerb steht (16 Ok 1/21i [6.2., 6.3.]).
3.3.2. Die für diese Beurteilung maßgebenden Sachverhaltsannahmen blieben auch im Hauptverfahren aufrecht. Daran ändert es auch nichts, dass die Antragstellerin in Umsetzung der Einstweiligen Verfügung des Handelsgericht Wien im UWG-Verfahren den Zugang zu ihrem Webshop für Kunden mit österreichischer Anschrift sowie für Kunden, die ein digitales Mautprodukt für ein österreichisches Kennzeichen beziehen möchten, eingestellt hat. Zum einen ist es nach den Feststellungen für österreichische Kunden nämlich weiterhin möglich, über ihren Webshop digitale Mautprodukte zu beziehen (solange keine österreichische Anschrift verwendet wird und das Produkt nicht für österreichische Kennzeichen bestimmt ist). Zum anderen handelt es sich bei den gesetzten Maßnahmen um solche, die bloß aufgrund der Einstweiligen Verfügung und darüber hinaus nur für die Dauer ihrer Gültigkeit von der Antragstellerin ergriffen wurden. Dies tut der unter 3.3.1. beschriebenen Auswirkung der von der Antragsgegnerin zu vertretenden Beeinträchtigung des Wettbewerbs auf den Inlandsmarkt aber keinen Abbruch.
3.3.3. Auch die Ausnahmebestimmung des § 24 Abs 3 Z 2 KartG kommt nicht zur Anwendung. Demnach ist das KartG auf staatliche Monopolunternehmen nicht anzuwenden, soweit sie in Ausübung der ihnen gesetzlich übertragenen Monopolbefugnisse tätig werden. Solche Monopolbefugnisse werden hier in Bezug auf digitale Mautprodukte nicht angesprochen, weil das BStMG nur die Einhebung von Maut durch die Antragsgegnerin als (einziger) Mautgläubigerin vorsieht (§ 3 BStMG); dasselbe gilt nach den jeweiligen Straßensonderfinanzierungsgesetzen (s § 32 Abs 1 BStMG) für die von der digitalen Streckenmaut betroffenen Mautstrecken. Eine Bestimmung, die den (Weiter-)Verkauf von Mautprodukten durch Unternehmer an Endkunden verbieten oder generell allein der Antragsgegnerin vorbehalten würde, lässt sich dem Gesetz jedoch nicht entnehmen.
4. Marktmissbrauch durch Liefer- bzw Abschlussverweigerung/Kontrahierungszwang:
4.1. Die Antragstellerin wirft der Antragsgegnerin zusammengefasst vor, sie missbrauche ihre Marktmacht dadurch, dass sie ihren Zugang zum Webshop technisch blockiere und ihr damit – sachlich nicht gerechtfertigt – die Belieferung mit digitalen Mautprodukten verweigere, die zur Umsetzung ihres Geschäftsmodells erforderlich seien.
4.2. Ein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung liegt dann vor, wenn ein den anderen Marktteilnehmern wirtschaftlich überlegener Unternehmer auf das Marktgeschehen in einer Weise Einfluss nimmt, die geeignet ist, negative Auswirkungen auf die Markt- und Wettbewerbsverhältnisse zu entfalten (16 Ok 6/08 mwN). Bei der Prüfung, ob eine missbräuchliche Ausnützung einer marktbeherrschenden Stellung vorliegt, ist stets eine sorgfältige Abwägung der einander widerstreitenden Interessen vorzunehmen (16 Ok 14/04 mwN; 16 Ok 1/12). Angesichts des übereinstimmenden Wortlauts sowie des identen Normzwecks geht die Rechtsprechung davon aus, dass für die Beurteilung der Missbrauchstatbestände nach dem KartG auch Art 102 AEUV und die dazu ergangenen Entscheidungen heranzuziehen sind (Hoffer/Barbist, Das neue Kartellrecht3 35; Vartian/Schuhmacher in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG 20052 § 5 Rz 22).
4.3. Nach der „essential-facilities-Doktrin“ kann ein marktbeherrschendes Unternehmen dazu verpflichtet sein, seine Anlagen und Einrichtungen für Wettbewerber zu öffnen, wenn der Mitbewerber ohne Nutzung dieser Anlagen nicht in der Lage wäre, auf dem Markt in Erscheinung zu treten. Die Zugangsverweigerung ist aber nur dann missbräuchlich, wenn dieses Verhalten dazu geeignet ist, jeglichen Wettbewerb auf dem sachlich relevanten Markt auszuschalten, und wenn dies nicht gerechtfertigt ist (RIS-Justiz RS0126128).
4.3.1. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin ist der vorliegende Fall nicht unter diesem Aspekt zu prüfen, setzt die Anwendung der „essential-facilities-Doktrin“ doch voraus, dass das marktbeherrschende Unternehmen hinsichtlich der begehrten Leistung noch keinen Wettbewerb eröffnet hat (16 Ok 1/12 mwN = RIS-Justiz RS0126128 [T2]; vgl Brand in Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Art 102 AEUV Rz 378). Die Antragstellerin begehrt von der Antragsgegnerin lediglich den Zugang zu deren Online-Shop zum Zweck des Online-Erwerbs („Lieferung“) digitaler Mautprodukte. Hinsichtlich dieser konkret begehrten Leistung (Bezug digitaler Mautprodukte über den Webshop der Antragsgegnerin) hat die Antragsgegnerin den Wettbewerb aber bereits eröffnet, weil sie den Online-Bezug digitaler Mautprodukte bereits grundsätzlich im Geschäftsverkehr anbietet. Ob Dritte dabei diesen Online-Bezug tatsächlich bloß zur Deckung des Eigenbedarfs an digitalen Mautprodukten oder zum Zweck der Weiterveräußerung verwenden, ist mit Blick auf die begehrte Leistung nicht relevant.
4.3.2. Ob die Antragsgegnerin unter der „essential-facilities-Dokrin“ verpflichtet wäre, die Antragstellerin mit ihren digitalen Mautprodukten über ihren Webshop zu beliefern, ist somit im vorliegenden Fall nicht zu prüfen.
4.4. Besteht aber zum Zeitpunkt der Weigerung, eine Geschäftsbeziehung aufzunehmen, für den Gegenstand des Geschäfts ein Markt, hat also das marktbeherrschende Unternehmen – wie im vorliegenden Fall die Antragsgegnerin hinsichtlich des Zugangs zu ihrem Webshop - bereits mit anderen kontrahiert, kommt bei der Verweigerung einer Geschäftsbeziehung mit geeigneten Dritten im Einzelfall ein Verstoß gegen die Generalklausel des Art 102 Satz 1 AEUV in Betracht (vgl 16 Ok 1/12 [4.3., 5.3.] mwN; 16 Ok 1/21i Rz 41).
4.5. Die Liefer- bzw Abschlussverweigerung kann dabei entweder den Abbruch oder die Verweigerung von Geschäftsbeziehungen mit Handelspartnern betreffen. Missbräuchlich ist dieses Verhalten, da den aktuellen oder potenziellen Vertragspartnern des marktbeherrschenden Unternehmens aufgrund der marktbeherrschenden Position auf dem sachlich relevanten Produktmarkt keine oder nur geringe Ausweichmöglichkeiten zur Verfügung stehen und daher eine Leistungsbeschränkung bzw Leistungsverweigerung das betreffende Unternehmen im Wettbewerb massiv beeinträchtigen kann. Beim Abbruch bestehender Geschäftsbeziehungen werden aktuelle Handelspartner des Marktbeherrschers benachteiligt, bei der Verweigerung der Aufnahme neuer Geschäftsbeziehungen werden wiederum potenzielle Handelspartner beeinträchtigt (vgl 16 Ok 1/12 [4.3.]; Vartian/Schuhmacher in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG 20052 § 5 Rz 76 f).
4.5.1. Der Abbruch laufender Geschäftsbeziehungen ist nur in Ausnahmefällen, insbesondere aus zwingenden wirtschaftlichen oder technischen Gründen (wie zB der finanziellen Unzuverlässigkeit des Handelspartners oder der mangelnden Qualität seiner Produkte) gerechtfertigt. Hingegen ist die Verweigerung der Aufnahme von Geschäftsbeziehungen mit Handelspartnern, die weder aktuelle noch potentielle Kunden des marktbeherrschenden Unternehmens sind, nur dann missbräuchlich, wenn der Marktbeherrscher einem Kontrahierungszwang unterliegt und keine sachliche Rechtfertigung für sein Verhalten vorliegt (16 Ok 1/21i Rz 40; Vartian/Schuhmacher in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG2 § 5 Rz 78 f).
4.5.2. Auch wenn die Antragstellerin ursprünglich im Webshop der Antragsgegnerin Kundenkonten erstellen konnte, hat die Antragsgegnerin diese doch sogleich gesperrt, nachdem sie festgestellt hatte, dass die Antragstellerin diese Konten nicht für ihren Eigenbedarf, sondern – entgegen den ANB der Antragsgegnerin – zur gewerblichen Weiterveräußerung der digitalen Mautprodukte nutzte. Vor diesem Hintergrund ist dieser Sachverhalt nicht als Abbruch einer laufenden Geschäftsbeziehung, sondern vielmehr als Verweigerung der Aufnahme einer Geschäftsbeziehung zu beurteilen (16 Ok 1/21i Rz 39).
4.6. Für die Frage, ob das Verhalten der Antragsgegnerin einen Marktmissbrauch darstellt, ist daher wesentlich, (a) ob sie ein Kontrahierungszwang gegenüber der Antragstellerin betreffend den Zugang zum Webshop zum Zweck des Erwerbs digitaler Mautprodukte trifft; und (b) ob sachliche Gründe die Verweigerung des Zugangs zu rechtfertigen vermögen.
4.6.1. Wirtschaftsteilnehmer sind in der Auswahl ihrer Vertriebswege grundsätzlich frei (16 Ok 12/13). Soweit das Kartellrecht marktbeherrschenden Unternehmen nicht besondere Verhaltenspflichten auferlegt, steht diesen grundsätzlich derselbe Verhaltensspielraum offen wie den übrigen Marktteilnehmern (4 Ob 23/08y = RIS-Justiz RS0123263). Daher steht auch einem marktbeherrschenden Unternehmen grundsätzlich frei zu entscheiden, mit wem und auf welcher Grundlage kontrahiert wird, welche „Vertriebswege“ gewählt und welche Preise für die eigenen Produkte bzw Dienstleistungen berechnet werden (Bulst in Langen/Bunte, Kartellrecht Band 2, Europäisches Kartellrecht14 [2022] Art 102 AEUV Rz 252; 16 Ok 1/18k [9.]).
4.6.2. Ein Kontrahierungszwang trifft aber vor allem Inhaber gesetzlicher oder faktischer Monopole sowie Unternehmen mit beherrschender Verfügungsmacht über Einrichtungen, die für die Geschäftstätigkeit anderer Teilnehmer notwendig sind: Zwar besteht auch für diese kein Zwang, jeden von einem Dritten gewünschten Vertrag abzuschließen; sie können vielmehr aus sachlich gerechtfertigten Gründen einen Vertragsabschluss ablehnen (16 Ok 1/03 mwN; RIS-Justiz RS0016745 [T18]). Missbräuchliches Unterlassen, insbesondere in Form einer Lieferungsverweigerung, wird aber dann zugerechnet, wenn das Verhalten des marktbeherrschenden Unternehmens durch keine objektiven Gründe gerechtfertigt wird (16 Ok 1/03; 16 Ok 20/04 [3.2.]; 16 Ok 23/04; 16 Ok 1/12 [5.3.]; 16 Ok 1/21i [3.1., 3.5.]; RIS-Justiz RS0016745; RS0117542; vgl Vartian/Schuhmacher in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG2 § 5 Rz 80). Auch bei nicht monopolistischen marktbeherrschenden Unternehmen besteht demnach tendenziell eine Pflicht zur Geschäftsaufnahme, wenn diese keine sachlichen Gründe für ihr Weigerung anführen können (Brand in Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Art 102 AEUV Rz 377; vgl Brinker in Schwarze, EU-Kommentar4 Art 102 Rz 35; 16 Ok 1/12 [5.3.]).
4.7. Für das Vorliegen einer Kontrahierungspflicht im vorliegenden Fall bedeutet dies Folgendes:
4.7.1. Die Antragsgegnerin muss der Antragstellerin nicht ganz allgemein den Zugang zu ihrem Webshop zum Zweck der gewerblichen Weiterveräußerung ihrer digitalen Mautprodukte auch im Sinn eines „schlichten Weitervertriebs“ gewähren, weil sie als Monopolistin die Gestaltung ihres Vertriebsnetzes grundsätzlich autonom bestimmen darf (16 Ok 1/21i Rz 44). Soweit sie der Antragstellerin also (nur) den Zugang zu ihrem Webshop zum Zweck der bloßen Weiterveräußerung der auch bereits von ihr selbst vertriebenen digitalen Mautprodukte verweigert, liegt – mangels Kontrahierungspflicht diesbezüglich - kein Marktmissbrauch vor.
4.7.2. Allerdings will die Antragstellerin in ihrem Webshop auch ein neues (von der Antragsgegnerin bislang nicht angebotenes) Produkt, nämlich den online-Vertrieb „sofort“ – dh innerhalb von weniger als 18 Tagen ab Kaufdatum – gültiger digitaler Mautprodukte an Verbraucher anbieten. (Nur) in diesem Umfang unterscheidet sich ihr Geschäftsmodell grundlegend vom Angebot der Antragsgegnerin, die ausschließlich Unternehmern sofort gültige digitale Mautprodukte anbietet. Für das Anbieten dieses neuen Produkts der Antragstellerin ist der Online-Bezug digitaler Mautprodukte auch zwingend erforderlich; ein solcher ist ausschließlich über den Webshop der Antragsgegnerin vorgesehen. Insofern verglich das Kartellobergericht im Provisorialverfahren den vorliegenden Sachverhalt mit jenem, der der Entscheidung des EuGH vom 6. April 1995 in den verbundenen Rechtssachen C-241/91 P und C-242/91 P, Magill, zugrunde lag, und stellte klar, dass die dort formulierten Grundsätze auch im vorliegenden Fall anzuwenden sind (16 Ok 1/21i Rz 47): Sofern die Antragsgegnerin durch die Verweigerung des Zugangs zu ihrem Webshop das Auftreten eines neuen Produkts der Antragstellerin, nämlich „sofort“ gültiger digitaler Mautprodukte, die die Antragsgegnerin selbst nicht anbietet und nach denen eine potentielle Nachfrage der Verbraucher besteht, verhindert, ist diese Verweigerung missbräuchlich, wenn sie unter den konkreten Umständen nicht sachlich gerechtfertigt werden kann.
4.7.3. Die Antragsgegnerin stellte bereits im Provisorialverfahren in Abrede, dass die von der Antragstellerin vertriebenen, für Verbraucher innerhalb von weniger als 18 Tagen ab Kaufdatum gültigen digitalen Mautprodukte ein „neues Produkt“ iSd zuvor zitierten Rsp seien. Dieses Vorbringen übernahm sie – ohne weitere Ergänzungen – auch im Hauptverfahren. Damit vermag sie aber keine Umstände aufzuzeigen, weshalb für das Hauptverfahren von der – gegenteiligen - rechtlichen Beurteilung des Kartellobergerichts abzugehen wäre:
(a) Sofern sie sich im Verfahren darauf stützte, dass sie selbst auch sofort gültige Mautprodukte für Verbraucher (über Verkaufsstellen bzw Vertriebspartner) anbiete, blendet sie aus, dass diese gerade nicht online bezogen werden können.
(b) Wenn sie unterstellt, der Erwerb sofort gültiger digitaler Mautprodukte mitsamt einem Rücktrittsrecht sei bei redlicher Betrachtung nicht als neuartiges Produkt im legitimen Verbraucherinteresse zu betrachten, ist ihr entgegenzuhalten, dass die „Neuartigkeit“ für den Verbraucher gerade in der Kombination aus sofortiger Gültigkeit und der Möglichkeit zum Online-Bezug besteht, was jedenfalls ein legitimes Interesse darstellt.
(c) Die Argumentation, das Produkt der Antragstellerin sei in jeglicher Hinsicht mit den bereits bestehenden Produkten identisch und werde auch nicht von dieser hergestellt, sondern werde nur von der Antragsgegnerin als bestehender Produzentin bezogen, wobei der einzige Unterschied in einer etwas früheren Verfügbarkeit des Produkts über einen bestimmten Vertriebskanal liege, hat schon das Kartellobergericht im Provisorialverfahren nicht dazu veranlasst, sich der Rechtsauffassung der Antragsgegnerin anzuschließen.
(d) Weitere Argumente gegen das Vorliegen eines neuen Produkts hat die Antragsgegnerin im Hauptverfahren nicht ins Treffen geführt.
4.7.4. Die Antragstellerin vertritt, dass die Antragsgegnerin durch ihr Verhalten den Markt für den digitalen Weitervertrieb von digitalen Mautprodukten auch für Dritte geöffnet habe, weshalb sie nun „schon ganz grundsätzlich“ gemäß der Generalklausel des Art 102 Satz 1 AEUV verpflichtet sei, ihr Produkt diskriminierungsfrei anzubieten. Es komme auf das Vorliegen eines neuen Produkts für den Kontrahierungszwang der Antragsgegnerin daher nicht mehr an.
(a) Dem stehen schon die Sachverhaltsfeststellungen entgegen: Zwar gewährt die Antragsgegnerin nunmehr auch anderen Unternehmen, die über eigene Webshops digitale Mautprodukte anbieten, ebenso wie der Antragstellerin technisch vollen Zugang zu ihrem Webshop. Sie tut dies aber nur, um sich vor etwaigen Diskriminierungsvorwürfen dritter Unternehmer zu schützen. Zugleich untersagt sie aber in ihren ANB ihren Vertragspartnern ausdrücklich die Weiterveräußerung von digitalen Mautprodukten mit einem Gültigkeitsbeginn von weniger als 18 Tagen ab Kaufdatum. Damit wirkt sie aktiv einer schlichten Weiterveräußerung der ohnehin bereits von ihr vertriebenen Produkte entgegen. Die von der Antragstellerin behauptete „Marktöffnung“ im Hinblick auf den schlichten Weitervertrieb digitaler Mautprodukte durch Dritte liegt damit nicht vor.
(b) Selbst wenn, wäre für die Antragstellerin damit aber nichts gewonnen, weil die „Marktöffnung“ allein noch nicht dazu führt, dass die Verweigerung des Zugangs zum Webshop missbräuchlich wäre, sondern nur, dass zu prüfen ist, ob die Verweigerung der Belieferung seitens der Antragsgegnerin unter die Generalklausel des Art 102 Satz 1 AEUV zu subsumieren ist. Dafür ist aber weiterhin entscheidend, ob die Antragsgegnerin eine Kontrahierungspflicht trifft und sie diese ohne sachliche Rechtfertigung verletzt. Eine solche hat das Kartellobergericht im vorliegenden Fall - wie bereits oben unter 4.7.1. und 4.7.2. ausgeführt – (abgesehen vom Verkauf zum Eigenbedarf) nur für die gewerbliche Weiterveräußerung eines „neuen Produkts“ durch die Antragstellerin bejaht. Es ist daher auch im Hauptverfahren zwischen einem „schlichten Weitervertrieb“ und dem Vertrieb eines „neuen Produkts“ zu unterscheiden.
4.8. Als Zwischenergebnis ist hinsichtlich des Bestehens eines Kontrahierungszwangs der Antragsgegnerin somit auch im Hauptverfahren Folgendes festzuhalten: Zum Zweck der gewerblichen Weiterveräußerung ihrer digitalen Mautprodukte im Sinn eines „schlichten Weitervertriebs“ besteht für die Antragsgegnerin gegenüber der Antragstellerin keine Kontrahierungspflicht. Für den Erwerb von digitalen Mautprodukten zum Eigenbedarf und für deren gewerbliche Weiterveräußerung mit einem Gültigkeitsbeginn von weniger als 18 Tagen ab Kauf an Verbraucher trifft sie dagegen grundsätzlich ein Kontrahierungszwang. Nur soweit ein solcher Kontrahierungszwang besteht, ist nachfolgend zu prüfen, ob die Antragsgegnerin ausreichende sachliche Gründe vorweisen kann, um der Antragstellerin den Zugang zu ihrem Webshop zu verweigern.
5. Sachliche Rechtfertigung der Lieferverweigerung im Allgemeinen:
5.1. Es ist nach den besonderen Umständen des jeweiligen Einzelfalls zu beurteilen, ob der marktbeherrschende Unternehmer, der bereits mit anderen Nachfragern kontrahiert hat, dies auch mit neuen Nachfragern tun muss, die als geeignete Vertragspartner erscheinen. Eine Grenze der Kontrahierungspflicht ergibt sich aus der Eignung des Geschäftsanbahnenden zur Durchführung des Geschäfts und aus den vorhandenen Kapazitäten des Marktbeherrschers (16 Ok 1/12 [5.3.]; 16 Ok 1/21i Rz 41).
5.2. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine Lieferverweigerung sowohl durch Abbruch laufender Geschäftsbeziehungen als auch durch Nichtaufnahme von Geschäftsbeziehungen insbesondere auch durch in der Person des Gesperrten liegende Gründe sachlich gerechtfertigt sein kann. Dafür kommen neben Zahlungsunfähigkeit, Zahlungsmoral, Haftungsverhältnisse etc schwerwiegende Verletzungen vertraglicher Verpflichtungen des Gesperrten oder geschäftsschädigendes Verhalten, verbunden mit einer Zerstörung der Vertrauensbasis, in Betracht. In einem solchen Fall darf der marktbeherrschende Unternehmer die zur Wahrung seiner geschäftlichen Interessen für erforderlich gehaltenen Maßnahmen ergreifen. Diese Maßnahmen müssen fair und in einem angemessenen Verhältnis zur Bedrohung stehen (16 Ok 22/97; 16 Ok 12/03; 16 Ok 23/04; Vartian/Schuhmacher in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG2 § 5 Rz 78, 83).
6. Beurteilung der einzelnen Rechtfertigungsgründe:
Nachstehend sind die von der Antragsgegnerin im Hauptverfahren ins Treffen geführten Beweggründe für die Sperre der Antragsgegnerin zum Zugang ihres Webshops auf ihre Tauglichkeit als Rechtfertigungsgrund zu prüfen:
6.1. Rechtswidrigkeit des Geschäftsmodells; unrichtiges Ausgeben von Kunden als Unternehmer gegenüber der Antragsgegnerin; „Werthaltigkeit“ der Leistung der Antragstellerin:
6.1.1. Die Antragstellerin bietet den Online-Bezug digitaler Mautprodukte – und dabei auch solcher, die Verbrauchern online von der Antragsgegnerin selbst nicht angeboten werden – an. Soweit sie generell die Rechtswidrigkeit des geplanten (und letztlich auch umgesetzten) Geschäftsmodells der Antragstellerin behauptet, ist der Antragsgegnerin entgegenzuhalten, dass sie dieses bzw die Leistungen der Antragstellerin im Verfahren unrichtig darstellt: Die Antragstellerin gibt gegenüber der Antragsgegnerin nicht Verbraucher als Unternehmer aus, sondern handelt im eigenen Namen als Unternehmerin gegenüber der Antragsgegnerin und bezieht derartig selbst die digitalen Mautprodukte von dieser (für die jeweiligen Fahrzeuge ihrer Kunden). Die Antragstellerin übernimmt damit auch das Risiko, dass die Verbraucher das von ihr der Antragsgegnerin bereits für den jeweiligen Bezug gezahlte Entgelt nicht oder nicht rechtzeitig zahlen (vgl Pkt 5.2 der AGB der Antragstellerin) oder ihr gegenüber einen Rücktritt erklären und sie das von ihr vereinnahmte Entgelt (anteilig) zurückzahlen muss, während sie von der Antragsgegnerin nichts zurück erhält.
6.1.2. Damit unterscheidet sich das Geschäftsmodell eindeutig von dem der Entscheidung 4 Ob 96/19z (vignette-sofort.at) zugrundeliegenden Sachverhalt, wonach die Abwicklung des „Erwerbs“ der digitalen Mautprodukte über die Webseite des Anbieters derart erfolgte, dass dieser die von den Erwerbern eingegebenen (Kennzeichen-)Daten und Produktauswahl seinerseits in den Webshop der Antragsgegnerin eingab, dabei aber stets – also unabhängig davon, ob der Erwerber über die Webseite des Anbieters tatsächlich die entsprechenden Voraussetzungen erfüllte – die Option „Ich bin Unternehmer“ wählte. Während der dortige Anbieter also tatsächlich Verbraucher gegenüber der Antragsgegnerin tatsachenwidrig als Unternehmer deklarierte, ohne ihre Kunden darüber zu informieren, trifft das auf die Antragstellerin im vorliegenden Fall nicht zu. Ihr Auftreten gegenüber der Antragsgegnerin in deren Webshop als Unternehmerin erfüllt daher auch nicht den Tatbestand des UWG Anh Z 18.
6.1.3. Entgegen der Behauptung der Antragsgegnerin ist das Geschäftsmodell der Antragstellerin also nicht per se rechtswidrig. Hält sie dabei die den Verbrauchern gegenüber bestehenden Rechtsvorschriften ein und führt sie die Verbraucher insbesondere nicht über die Art ihrer Leistung oder über ihre Rechte (wie zB Rücktrittsrechte) in die Irre, insbesondere darüber, dass ihre Entgelte höher sind als im Webshop der Antragsgegnerin, begegnet dies schon grundsätzlich keinen Bedenken, weil es dann die informierte Entscheidung des Verbrauchers ist, von wem er welche Leistung beziehen will.
6.1.4. Auch die Entscheidung, ob die Leistung nach Ansicht der Antragsgegnerin „werthaltig“ oder die Antragstellerin „bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise“ „ungerechtfertigt bereichert“ ist, steht im Rahmen des anzustrebenden Leistungswettbewerbs den (informierten) Kunden zu, nicht jedoch der Antragsgegnerin.
6.2. Nichteinhaltung der Unterlassungserklärung durch die Antragstellerin:
6.2.1. Die Antragsgegnerin wirft der Antragstellerin weiters vor, sich nicht mehr an die ihr gegenüber in der Unterlassungserklärung vom 29.5.2020 gemachten Zusagen zu halten. Dazu wurde erwogen:
6.2.2. Entgegen der Rechtsansicht der Antragstellerin handelte es sich bei der Erklärung vom 29.5.2020 nicht bloß um ein „Anbot“ einer Unterlassungserklärung, sondern um die Abgabe einer verbindlichen Unterlassungserklärung:
(a) Die Bedeutung einer Willenserklärung richtet sich nach der herrschenden Vertrauenstheorie danach, wie sie unter Berücksichtigung aller Umstände objektiv verstanden werden muss. Maßgebend ist also weder allein der Wille des Erklärenden noch die subjektive Auslegung des Erklärungsempfängers (vgl RS0014160; RS0014205). Zu berücksichtigen sind nicht nur der bloße Wortlaut der Verzichtserklärung, sondern auch jene Umstände, unter denen die Verzichtserklärung abgegeben worden ist. Dieser Grundsatz gilt nicht nur für Verträge, sondern auch für empfangsbedürftige Willenserklärungen bzw einseitige Rechtsgeschäfte (RIS-Justiz RS0014205 [T4, T7, T15]).
(b) Schon dem Wortlaut der Beilage ./B ist zu entnehmen, dass darin eine Unterlassungserklärung abgegeben wird, ohne dass sich darin der Hinweis darauf findet, dass es sich dabei bloß um ein „Angebot“ handle oder die Antragsgegnerin zur Annahme aufgefordert würde. Bereits dies spricht gegen das Vorliegen einer annahmebedürftigen Willenserklärung. Insbesondere die Aufforderung am Ende der Erklärung, den Unternehmensaccount der Antragstellerin „vor diesem Hintergrund“ bis zum 2.6.2020 wieder freizuschalten, lässt für einen objektiven Betrachter keinen Zweifel daran zu, dass sich die Antragstellerin mit der Erklärung in der Beilage ./B hinsichtlich der übernommenen Unterlassungen bereits binden wollte, ohne dass noch eine Annahme durch die Antragsgegnerin erforderlich sein sollte. Der Zweck der Erklärung lag offensichtlich darin, die Sperre der Antragsgegnerin durch eigenes Entgegenkommen ehestmöglich zu beenden.
(c) Das entspricht auch ihrem zunächst in der ON 1 erstatteten Vorbringen. Erst nach Vorliegen der Entscheidung des Kartellobergerichts im Provisorialverfahren deutete die Antragsgegnerin diese Erklärung als bloßes „Angebot“ einer Unterlassungserklärung, das – mangels Annahme durch die Antragstellerin – wieder zurückgezogen werden könne.
6.2.3. Die Antragstellerin verletzte nach den Feststellungen die von ihr abgegebene Unterlassungserklärung und die darin gemachten Zusagen, indem sie digitale Mautprodukte der Antragsgegnerin auch für Kunden mit österreichischer Anschrift und für österreichische Kennzeichen vertrieb. Erst infolge der Einstweiligen Verfügung des Handelsgerichts Wien im UWG-Verfahren traf sie entsprechende technische Vorkehrungen. Durch das Abgehen von einer zuvor ausdrücklich eingegangenen Unterlassungsverpflichtung hat die Antragstellerin einerseits eine schwere Vertragsverletzung gegenüber der Antragsgegnerin zu verantworten. Darüber hinaus brachte sie mit dem „Widerruf“ der Unterlassungserklärung aber auch generell zum Ausdruck, dass sie sich künftig nicht mehr an die darin gemachten Zusagen (Verbraucher über ihr gesetzliches Widerrufsrecht zu informieren und dieses zu gewähren sowie Verbraucher über ihre höheren Preise im Vergleich zum Webshop der Antragsgegnerin zu informieren) gebunden fühlte. Andernfalls hätte der „Widerruf“ keine Funktion. Sie zerstört damit auch die Vertrauensbasis zur Antragsgegnerin, zeigt sie doch, dass sie nicht gewillt ist, sich gegenüber der Antragsgegnerin an von ihr zuvor eingegangene Verpflichtungen zu halten. Sie lässt damit erkennen, dass es ihr an einer ausreichenden Verlässlichkeit fehlt, um als Vertragspartner der Antragsgegnerin für den Weitervertrieb digitaler Mautprodukte in Frage zu kommen. Dies stellt grundsätzlich einen geeigneten Rechtfertigungsgrund für eine Lieferverweigerung dar.
6.3. Verstoß gegen Weiterveräußerungsverbot nach den ANB der Antragsgegnerin:
6.3.1. Nach den Feststellungen verstieß die Antragstellerin gegen Punkt 14.1 der mit Stand 3.2.2022 geänderten ANB der Antragsgegnerin: Während dort nämlich bloß die gewerbliche Weiterveräußerung digitaler Mautprodukte mit Verkürzung des Gültigkeitsbeginns der 18 Tage für Verbraucher (ohne ausdrückliche Zustimmung der Antragsgegnerin) erlaubt ist, vertrieb die Antragstellerin ebenso digitale Mautprodukte an Verbraucher mit einem späteren Gültigkeitsbeginn und an Unternehmer mit einem Gültigkeitsbeginn von weniger als 18 Tagen ab Kaufdatum ohne ausdrückliche Zustimmung der Antragsgegnerin. Eine solche Weiterveräußerung ist ihr nach den ANB der Antragsgegnerin aber untersagt.
6.3.2. Dem Einwand der Antragstellerin, Punkt 14.1 der geänderten ANB sei nicht gültig, kommt keine Berechtigung zu:
6.3.2.1. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass das Geschäftsmodell der Antragstellerin – entgegen ihrer Ansicht – von Punkt 14.1 der ANB erfasst wird. Nach Punkt 1.3 der ANB der Antragsgegnerin ist der Erwerb einer digitalen Vignette bzw einer digitalen Streckenmaut möglich, indem das Kennzeichen im Mautsystem registriert wird. Der Weiterverkauf in Punkt 14.1 meint damit nach seinem erkennbaren Sinn und Zweck jeden auf die digitalen Mautprodukte gerichteten und vom Vertragspartner der Antragsgegnerin abgeleiteten weiteren (gewerbsmäßig organisierten) Vertrieb bzw Bezug.
6.3.2.2. Zutreffend ist zwar, dass eine Änderung von AGB während eines laufenden Vertragsverhältnisses nur mit Zustimmung des Vertragspartners wirkt (vgl RIS-Justiz RS0062281; Graf in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.05 § 864a Rz 24; Rummel in Rummel/Lukas, ABGB4 § 864a Rz 13). Daraus kann aber die Ungültigkeit der mit Stand 3.2.2022 geänderten ANB der Antragsgegnerin für die Antragstellerin nicht abgeleitet werden, weil ein solcher Fall hier nicht vorliegt: Denn zwischen der Antragstellerin und der Antragsgegnerin besteht – unstrittig - kein einheitliches durchgehendes Vertragsverhältnis über den Bezug von digitalen Mautprodukten, sondern die Antragstellerin schließt bei jedem Online-Erwerb eines solchen Produkts über den Webshop der Antragsgegnerin mit dieser eine neue (Einzel-)Vereinbarung ab.
6.3.2.3. Die Antragstellerin verweist zudem darauf, dass die Antragsgegnerin sie aufgrund ihrer bereits länger laufenden Geschäftsbeziehung auf die Änderung der ANB hätte hinweisen müssen. Zutreffend ist, dass nach der Rsp im Hinblick auf eine langjährige Geschäftsbeziehung ein Vertragspartner ohne ausdrücklichen Hinweis auf Änderungen in neuen AGB, die eine ungewöhnliche und nicht vorhersehbare Pflichterweiterung des anderen Vertragspartners einführen, mit einer solchen Änderung nicht zu rechnen braucht (RIS-Justiz RS0014601 [T2]; Graf in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.05 § 864a Rz 25; Rummel in Rummel/Lukas, ABGB4 § 864a Rz 26). Unabhängig davon, ob zwischen den Streitteilen überhaupt von einer langjährigen Geschäftsverbindung betreffend den Online-Erwerb von digitalen Mautprodukten gesprochen werden kann, kam es durch die festgestellte Änderung der ANB per 3.2.2022 aber jedenfalls nicht zu einer Pflichtenerweiterung der Antragstellerin gegenüber der Antragsgegnerin: Nach Punkt 14.1 der zuvor geltenden ANB der Antragsgegnerin war nämlich die gewerbliche Weiterveräußerung von digitalen Mautprodukten generell untersagt. Mit der Änderung per 3.2.2022 wurde dieses Verbot tatsächlich bloß – um den Vertrieb von digitalen Mautprodukten mit Verkürzung des Gültigkeitsbeginns der 18 Tage für Verbraucher – eingeschränkt. Punkt 14.1 der geänderten ANB war daher für sämtliche (nachfolgende) Vertragsabschlüsse mit der Antragstellerin gültig.
6.3.2.4. Nach der Entscheidung des Kartellobergerichts im Provisorialverfahren ist die Antragsgegnerin kartellrechtlich nicht verpflichtet, der Antragstellerin Zugang zu ihrem Webshop zum Zweck des schlichten Weitervertriebs von bereits bisher von ihr vertriebenen Produkten zu gewähren. Mit ihrer Änderung der ANB zum Stand 3.2.2022 unter Punkt 14.1 erlaubt die Antragsgegnerin nunmehr in dem Umfang, als sie der Antragstellerin im Provisorialverfahren Zugang zum Webshop gewähren muss (nämlich zum Zweck des Erwerbs „sofort gültiger“ digitaler Mautprodukte), auch die Weiterveräußerung ihrer digitalen Mautprodukte. Da die Antragsgegnerin somit ihre ANB bloß an die Entscheidung des Kartellobergerichts angepasst hat, begründet das aktuelle – beschränkte – Verbot der Weiterveräußerung keine Verletzung von § 5 Abs 1 KartG bzw Art 102 AEUV. Anders als die Vorgängerbestimmung ist Punkt 14.1 der geänderten ANB auch nicht gröblich benachteiligend iSd § 879 Abs 3 ABGB, weil die Antragsgegnerin damit bloß vertraglich die im Provisorialverfahren festgestellte Freiheit betreffend die Gestaltung ihres Vertriebsnetzes für den schlichten Weitervertrieb der von ihr bereits bisher angebotenen digitalen Mautprodukte sicherstellt.
6.3.2.5. Schließlich bildet Punkt 14.1 der geänderten ANB der Antragsgegnerin auch keine Kernbeschränkung nach Art 4 lit b der VO (EU) Nr. 330/2010 (Vertikal-GVO): Eine dafür erforderliche Vereinbarung bzw abgestimmte Verhaltensweise bzw Beschluss einer Unternehmervereinigung liegt gegenständlich nicht vor.
6.3.3. Zusammengefasst verletzt die Antragstellerin daher nach den Feststellungen auch das in den ANB der Antragsgegnerin enthaltene Verbot der Weiterveräußerung hinsichtlich von digitalen Mautprodukten, die keinen Gültigkeitsbeginn von weniger als 18 Tagen ab Kauf bloß an Verbraucher aufweisen. Damit setzt sie sich gerade über jene Bestimmung der ANB der Antragsgegnerin hinweg, mit der diese ihr Vertriebsnetz betreffend ihre digitalen Mautprodukte noch autonom gestalten kann. Dies begründet im konkreten Fall eine schwerwiegende Vertragsverletzung, die grundsätzlich eine Lieferverweigerung gegenüber der Antragstellerin rechtfertigen kann. Zugleich zerstört sie mit diesem Verhalten aber auch jegliche Vertrauensbasis zur Antragsgegnerin, zeigt sie damit doch, dass sie vertragliche Vorgaben ihres Vertragspartners ignoriert, sofern sie sich daraus im Zusammenhang mit der Umsetzung ihres Geschäftsmodells wirtschaftliche Vorteile verspricht. Ob die Antragstellerin dadurch auch gegen das UWG verstößt, kann dahingestellt bleiben.
6.4. Unzureichende Preisauszeichnung (inklusive Retuschierung der Mautpreise auf Bestellbestätigungen und Nicht-Weitergabe von Maut-Reduktionen) sowie unzureichende Aufklärung über den Entfall des Widerrufsrechts durch die Antragstellerin:
6.4.1. Die Antragsgegnerin wirft der Antragstellerin im Zusammenhang mit der Preisauszeichnung und der Aufklärung über den Entfall des Widerrufsrechts UWG-Verstöße vor, die sie zur Verweigerung der Belieferung der Antragstellerin berechtigen würden. Da die Antragsgegnerin dieses Vorbringen ausschließlich im Zusammenhang mit ihrem Prozessstandpunkt im UWG-Verfahren vor dem Handelsgericht Wien erstattet und sie dort von der Antragstellerin nur die Unterlassung mit Wirkung für Österreich verlangt, ist auch ihr Vorbringen im Kartellverfahren dahin zu verstehen, dass sie der Antragstellerin bloß UWG-Verstöße mit Wirksamkeit für Österreich vorwirft.
6.4.1.1. UWG Anh Z 18 verpönt als Geschäftspraktik, die unter allen Umständen als unlauter gilt, unrichtige Informationen über die Marktbedingungen oder die Möglichkeit, das Produkt zu finden, mit dem Ziel, den Umworbenen dazu zu bewegen, das Produkt zu weniger günstigen als den normalen Marktbedingungen zu kaufen.
6.4.1.2. Die Antragstellerin gibt nach den Feststellungen im gesamten Bestellprozess hinsichtlich digitaler Mautprodukte in ihrem Webshop nicht an, welcher Teil des als „Gesamtpreis“ oder „Gesamtbetrag“ ausgewiesenen Entgelts auf die Mautgebühr der Antragsgegnerin und welcher Teil auf die von ihr selbst erhobene Service-Gebühr entfällt. Zwar listet sie die Mautgebühr und das Service-Entgelt für jedes digitale Mautprodukt in einer eigenen Tabelle auf ihrer Webseite auf und weist auch im Bestellprozess grundsätzlich darauf hin, dass ihre Preise sowohl die Mautgebühr sowie eine Service-Gebühr beinhaltet. Abgesehen davon, dass sich letzterer Hinweis aber unter der Auswahl der Zahlungsart (und daher an einer für Verbraucher im Bestellprozess unerwarteten Stelle) findet, fehlt im konkreten Bestellvorgang jeder weitere Hinweis auf diese Tabelle und jegliche Hilfestellung (wie etwa eine Verlinkung), um diese auf der Webseite auffinden zu können. Nur durch aktive Suche auf der Webseite durch die festgestellten Schritte kann – sehr umständlich – die Tabelle von einem Kunden der Antragstellerin eingesehen werden. Dies hat insgesamt zur Folge, dass ihre Kunden die höheren Preise für die digitalen Mautprodukte gegenüber einem Bezug im Webshop der Antragsgegnerin nicht unmittelbar und deutlich erkennen können (vgl zu einem ähnlich gelagerten Fall bereits 4 Ob 96/19z).
6.4.1.3. Nach § 11 Abs 1 FAGG kann der Verbraucher von einem Fernabsatzvertrag oder einem außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag binnen 14 Tagen ohne Angabe von Gründen zurücktreten. Die Frist zum Rücktritt beginnt bei Dienstleistungsverträgen mit dem Tag des Vertragsabschlusses (§ 11 Abs 2 Z 1 FAGG). Der Verbraucher hat jedoch nach § 18 Abs 1 Z 1 lit a FAGG kein Rücktrittsrecht bei Fernabsatz- oder außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen über Dienstleistungen, wenn der Unternehmer die Dienstleistung vollständig erbracht hat, der Unternehmer mit der vorherigen ausdrücklichen Zustimmung des Verbrauchers mit der Vertragserfüllung begonnen hat und wenn der Verbraucher vor Beginn der Dienstleistungserbringung bestätigt hat, zur Kenntnis genommen zu haben, dass er sein Rücktrittsrecht mit vollständiger Vertragserfüllung verliert. Bevor der Verbraucher durch einen Vertrag oder seine Vertragserklärung gebunden ist, muss ihn der Unternehmer in klarer und verständlicher Weise ua – bei Bestehen eines Rücktrittsrechts – über die Bedingungen, die Fristen und die Vorgangsweise für die Ausübung dieses Rechts unter Zurverfügungstellung des Muster-Widerrufsformulars gemäß Anhang I Teil B sowie gegebenenfalls über das Nichtbestehen eines Rücktrittsrechts nach § 18 FAGG oder über die Umstände, unter denen der Verbraucher sein Rücktrittsrecht verliert, informieren (§ 4 Abs 1 Z 8 und 11 FAGG).
(a) Zutreffend ist zwar, dass die Antragstellerin in ihren sowohl vor 17.3.2022 als auch danach geltenden AGB auf das anwendbare deutsche Recht verweist. Inwiefern sie damit ihren Kunden aber unrichtige Informationen über das ihnen zustehende Rücktrittsrecht nach § 11 FAGG oder über dessen Entfall nach § 18 FAGG erteilt oder über diese Umstände nicht im Sinn des österreichischen FAGG informiert, bringt die Antragsgegnerin nicht vor. Insofern ist der Sachverhalt auch nicht mit jenem vergleichbar, der der Entscheidung 4 Ob 96/19z zugrunde lag.
(b) In den vor 17.3.2022 von der Antragstellerin verwendeten AGB fehlte generell eine Belehrung über den Verlust des Rücktrittsrechts für Verbraucher im Sinn des § 4 Abs 1 Z 11 FAGG. Insofern ist der Antragsgegnerin zuzustimmen, dass über den Entfall des Rücktrittsrechts nicht im Sinne des österreichischen FAGG informiert wurde.
(c) In den ab 17.3.2022 verwendeten AGB der Antragstellerin ist dagegen unter Punkt 4 c eine Belehrung über das „Vorzeitige Erlöschen des Widerrufsrechtes“ enthalten. Darin wird darauf abgestellt, dass die Antragstellerin die Dienstleistung vollständig erbracht hat. Zwar hält sie sich damit grundsätzlich an die Formulierung des § 18 Abs 1 Z 1 FAGG. Im Kontext des Erwerbs digitaler Mautprodukte ist die Formulierung aber dennoch irreführend: Ein typischer Durchschnittsverbraucher wird die Dienstleistung von der Antragstellerin nämlich schon dann als „vollständig erbracht“ ansehen, wenn diese das digitale Mautprodukt „erfolgreich vermittelt“ hat. Ausgehend davon suggeriert die Antragstellerin dem Verbraucher daher aber, dass bei den mit ihr geschlossenen Geschäften über die Vermittlung digitaler Mautprodukte ganz generell – wegen bereits vollständiger Erbringung ihrer Dienstleistung - kein Rücktrittsrecht mehr besteht. Tatsächlich ist aber die Leistung der Antragstellerin, die in der Vermittlung von digitalen Mautprodukten der Antragsgegnerin besteht, erst mit Ablauf der Laufzeit des jeweiligen Produkts im Sinne des § 18 Abs 1 Z 1 FAGG vollständig erbracht (4 Ob 96/19z [1.2.5., 1.2.8.]). In Wahrheit kommt eine Ausnahme vom Rücktrittsrecht nach § 18 Abs 1 Z 1 FAGG daher nur bei der 10-Tages-Vignette oder bei Einzelfahrten in der Streckenmaut in Betracht. Ohne die explizite Aufklärung der Antragstellerin, dass die von ihr erbrachte Dienstleistung erst mit dem Ende des Gültigkeitszeitraums des jeweiligen digitalen Mautprodukts endet, laufen die Verbraucher also Gefahr, von einem ihnen noch zustehenden Rücktrittsrecht nach § 11 FAGG keinen Gebrauch zu machen, weil sie – irrtümlich – davon ausgehen, dieses komme ihnen nach § 18 FAGG nicht mehr zu.
(d) Bis zur festgestellten Änderung des Bestellprozesses wurde die Situation für die Verbraucher sogar noch dadurch verschärft, dass diese gemeinsam mit der Annahme der AGB, der Widerrufsbelehrung und der Verbraucherinformation zugleich (zwingend) erklären mussten, von der Antragstellerin zu verlangen, mit der Vertragserfüllung bereits vor Ablauf der Widerrufsfrist zu beginnen. Ein Verbraucher, der diese Erklärung im Zusammenhang mit Punkt 4 c der AGB liest, wird zu dem Ergebnis gelangen, dass die Antragstellerin auf sein Ersuchen ihre Dienstleistung bereits vollständig erbracht hat, weshalb ihm kein Rücktrittsrecht mehr zusteht.
(e) Aber auch ohne das (zwingende) Verlangen auf vorzeitige Vertragserfüllung nach der Änderung des Bestellprozesses wird ein typischer Durchschnittsverbraucher jedenfalls in den Fällen, in denen er ein digitales Mautprodukt mit einem Gültigkeitsbeginn vor Ende der Rücktrittsfrist erwerben möchte, davon ausgehen, dass die unter Punkt 4 c der AGB angesprochene „vollständige Vertragserfüllung“ durch die Antragstellerin bereits durch den Abschluss ihrer Vermittlungstätigkeit verwirklicht ist, und deshalb davon ausgehen, über kein Rücktrittsrecht mehr zu verfügen.
6.4.1.4. Das unter 6.4.1.2. und 6.4.1.3. dargestellte Verhalten erfüllt den Tatbestand des UWG Anh Z 18, der Sachverhalte erfasst, bei denen ein Unternehmer durch unrichtige Informationen ein falsches Bild über die Marktverhältnisse oder die Verfügbarkeit eines Produkts zeichnet, um es schließlich zu für den Kunden nachteiligen Konditionen zu verkaufen (Anderl/Appl in Wiebe/Kodek, UWG² § 2 Anh Rn 188). Unter den Begriff „Produkt“ fallen nicht nur Waren, sondern auch Dienstleistungen (§ 1 Abs 4 Z 1 UWG). „Marktbedingungen“ meint alles, was für das betreffende Produkt charakteristisch oder für den Kunden relevant ist (so auch Anderl/Appl in Wiebe/Kodek, UWG² § 2 Anh Rn 193), hier also die unrichtigen und unvollständigen Informationen über den Umstand, dass die Antragstellerin die digitalen Mautprodukte der Antragsgegnerin um einen Aufpreis verkauft und wie hoch dieser ausfällt, und die Belehrung über das gesetzliche Rücktrittsrecht bzw die Umstände, unter denen dieses wegfällt.
6.4.1.5. Nur wenn gegenüber Kunden auch im Bestellvorgang transparent erklärt wird, wie teuer das von der Antragstellerin vertriebene Produkt im Vergleich zu dem von der Antragsgegnerin angebotenen Produkt ist, verfügt der Kunde über ein korrektes Bild von den Marktverhältnissen, aufgrund dessen es seine informierte Entscheidung ist, ob er bereit ist, für das digitale Mautprodukt – aufgrund der früheren Verfügbarkeit – den ausgewiesenen Aufschlag als „Servicegebühr“ zu zahlen oder nicht. Hinsichtlich der Preisauszeichnung lautet der Vorwurf an die Antragstellerin also, dass sie ihren Kunden im Bestellprozess stets nur den Gesamtpreis (und nicht die einzelnen Komponenten) ausdrücklich mitteilt. Dass ein solches Verhalten unter UWG Anh Z 18 subsumiert werden kann, hat der OGH bereits in einem (insofern) vergleichbaren Fall zu 4 Ob 96/19z bejaht. Ob es sich dabei zugleich auch um eine Irreführung durch Unterlassung nach § 2 Abs 4 UWG handelt (wie die Antragstellerin meint), ist nicht entscheidend, weil gemäß § 2 Abs 2 UWG die im Anhang angeführten Geschäftspraktiken „jedenfalls“ als irreführend gelten und daher eine weitere Prüfung der Anwendbarkeit der Generalklauseln der §§ 1, 2 oder 2a UWG nicht erforderlich ist (Anderl/Appl in Wiebe/Kodek, UWG² § 2 Anh Rn 9 f).
6.4.1.6. Jedenfalls solange die Antragstellerin dieses Verhalten auch gegenüber Kunden mit einer österreichischen Anschrift und für österreichische Kennzeichen setzte, verstieß sie dabei - mit Wirkung für Österreich – gegen das UWG.
6.4.1.7. Dem Einwand der Antragstellerin, sie unterliege aufgrund des in § 20 ECG geregelten Herkunftslandprinzips deutschem Recht, nach dem (a) sie nur den Gesamtpreis auszuweisen habe und (b) ihre Leistung im Zusammenhang mit dem Vertrieb von digitalen Mautprodukten bereits mit der Bestellung durch den Kunden und nicht erst mit dem Ende des Gültigkeitszeitraums des jeweiligen Mautprodukts ende, ist nicht zu folgen. Zur Beurteilung der UWG-Verletzung im vorliegenden Fall ist nämlich aus nachstehenden Gründen österreichisches Recht anzuwenden:
(a) Da nach dem Vorbringen der Antragsgegnerin nur ein Verhalten mit Wirkung für Österreich zu prüfen ist, weist Art 6 Abs 1 Rom II-VO ausschließlich auf österreichisches Recht. Das Problem einer sonst allenfalls erforderlichen „Mosaikbetrachtung“ nach mehreren Rechtsordnungen (17 Ob 6/11y, alcom-international.at) stellt sich daher nicht.
(b) Nach § 20 ECG richten sich die rechtlichen Anforderungen an einen in einem Mitgliedstaat niedergelassenen Diensteanbieter im koordinierten Bereich (§ 3 Z 8 ECG) nach dem Recht dieses Staats. Entgegen dem Standpunkt der Antragstellerin geht es im vorliegenden Fall nicht darum, ob Österreich gemäß Art 3 Abs 4 der RL 2000/31/EG (E-Commerce-RL) zum Schutz konkret aufgezählter Güter nationale Maßnahmen zur Einschränkung des freien Verkehrs von Diensten der Informationsgesellschaft vorsehen und damit das Herkunftslandprinzip beschränken darf. Daher kommt es auch nicht darauf an, ob Österreich eine entsprechende Ausnahme gegenüber der Kommission notifiziert hat (vgl dazu Anderl, Zur Anwendung des Herkunftslandprinzips bei Onlineplattformen, ecolex 2020/396). Vielmehr geht es um die Frage des Verhältnisses von § 20 ECG zur kollisionsrechtlichen Norm des Art 6 Abs 1 Rom II-VO, die zur Anwendbarkeit von unterschiedlichem Recht führen können. Dazu hat der OGH zu 4 Ob 29/13p bereits mit ausführlicher Begründung dargelegt, dass § 20 ECG bei der zivilrechtlichen Beurteilung von Diensten der Informationsgesellschaft im koordinierten Bereich nicht zwingend - also unabhängig von den sonst geltenden unionsrechtlichen Kollisionsnormen - zur Anwendung des Rechts des Herkunftslandes führt. Vielmehr ist diese Bestimmung im Anwendungsbereich des europäischen Kollisionsrechts, insbesondere der Rom II-VO, dahin auszulegen, dass das anwendbare Recht zunächst nach dessen allgemeinen Verweisungsnormen zu bestimmen ist. Das Herkunftslandprinzip der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr ist erst auf der Ebene des materiellen Rechts umzusetzen: Die Anwendung des nach den allgemeinen Regeln ermittelten Rechts darf zu keinen strengeren Anforderungen führen, als sie im Recht des Herkunftslandes vorgesehen sind; geringere Anforderungen des nach den allgemeinen unionsrechtlichen Kollisionsnormen anwendbaren Rechts hätten aber Vorrang (4 Ob 29/13p [1.2.]).
(c) Daher ist auch die Preisauszeichnung der Antragstellerin sowie ihre Belehrung über das Rücktrittsrecht bzw dessen Entfall zunächst nach österreichischem Recht als dem nach Art 6 Abs 1 Rom II-VO maßgebenden Marktortrecht zu beurteilen. Erst in einem zweiten Schritt wäre zu prüfen, ob die Anwendung dieses Rechts zu strengeren Anforderungen führt als jene des deutschen Rechts als dem Recht des Herkunftslandes.
(d) Im vorliegenden Fall ist aber zu beachten, dass die relevanten Normen beider Rechte auf einer gemeinsamen unionsrechtlichen Grundlage beruhen. Denn strittig ist das Vorliegen einer irreführenden Geschäftspraktik im Sinn der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken. Da diese Richtlinie nicht bloß Mindeststandards vorsieht, sondern das verbraucherschützende Lauterkeitsrecht vollständig harmonisiert (EuGH C-261/07 und C-299/07, VTB-VAB; C-304/08, Plus Warenhandelsgesellschaft; C-540/08, Mediaprint), ist im Zweifel nicht anzunehmen, dass das Recht des Herkunftslandes dem Diensteanbieter mehr Freiheiten gestattet als jenes des Marktorts iSv Art 6 Abs 1 Rom II-VO. Daher müsste der Diensteanbieter konkret behaupten, dass die Richtlinie im relevanten Bereich trotz der Vollharmonisierung einen Umsetzungsspielraum aufweist und im Herkunftsland (zulässigerweise) anders umgesetzt wurde als im zunächst zur Anwendung berufenen Recht des Marktorts (4 Ob 29/13p [1.2.f]).
(e) Wie bereits oben aufgezeigt, kann der vorliegende Sachverhalt nach dem Marktortrecht unter Z 18 des Anhangs zum österreichischen UWG subsumiert werden. Eine – erfolgreiche – Berufung auf das Herkunftslandprinzip würde daher jedenfalls voraussetzen, dass die Antragstellerin behauptet und beweist, dass der deutsche Gesetzgeber aufgrund eines ihm zukommenden Umsetzungsspielraums die Richtlinie in Deutschland in Z 19 des Anhangs zum deutschen UWG derart umgesetzt hat, dass sie bei Anwendung dieser Bestimmung weniger strengen Auflagen im Zusammenhang mit der Irreführung von Kunden unterläge. Der allein relevante Bereich, in dem das Herkunftslandprinzip zu einem Vergleich mit dem österreichischen Marktortrecht führt, ist daher die Umsetzung von Z 18 des Anhangs I der Richtlinie. Derartiges Vorbringen erstattet die Antragstellerin aber weder im Zusammenhang mit der Preisauszeichnung noch mit der Belehrung über den Entfall des Widerrufsrechts, sondern vertritt – zu Unrecht – bloß, dass ihr Verhalten gar nicht unter Anh Z 18 des österreichischen UWG falle. Da das Verhalten der Antragstellerin durch die Subsumtion unter UWG Anh Z 18 gemäß § 2 Abs 2 UWG jedenfalls irreführend ist, kommt die allfällige Erfüllung der Generalklausel – insbesondere nach § 2 Abs 4 UWG – als relevanter Bereich für die Beurteilung, ob eine irreführende Geschäftspraktik der Antragstellerin vorliegt, nicht mehr in Betracht. Es ist daher weder zu prüfen, ob sie nach § 2 Abs 4 UWG über den Gesamtpreis aufklären müsste, noch ob sie nach der entsprechenden (Umsetzungs-)Bestimmung in Deutschland (§ 5a Abs 1 iVm § 5b Abs 1 Z 3 dUWG) eine entsprechende Aufklärungspflicht träfe.
6.4.1.8. Auch die dargestellten UWG-Verstöße stellen grundsätzlich einen geeigneten objektiven Grund für eine Lieferverweigerung der Antragsgegnerin gegenüber der Antragstellerin dar. Dass es sich dabei (nur) um solche mit Wirkung gegenüber Österreich handelt, ändert daran nichts. Denn der Antragsgegnerin ist nicht zuzumuten, ein Unternehmen mit ihren Produkten zum Weitervertrieb zu beliefern, von dem sie weiß, dass es (zumindest in einem Land) gegen lauterkeitsrechtliche Vorschriften verstößt und diese Verstöße erst infolge einer gegen sie erlassenen Einstweiligen Verfügung abstellt. Dies bildet einen ausreichenden Anhaltspunkt für die berechtigte Annahme, die Antragstellerin werde auch vor Verstößen gegen das Lauterkeitsrecht in anderen Ländern, in denen sie ihre Services anbietet, nicht zurückschrecken.
6.4.2. Doch auch unabhängig vom Vorliegen eines UWG-Verstoßes stellt die – intransparente – Preisauszeichnung und Belehrung über den Entfall des Widerrufsrechts durch die Antragstellerin einen tauglichen sachlichen Grund dar, diese nicht mit digitalen Mautprodukten zum Weitervertrieb zu beliefern:
Aufgrund der sich im Hauptverfahren herausgestellten tatsächlichen intransparenten Gestaltung der Preisauszeichnung und der Belehrung über den Entfall des Rücktrittsrechts kommt der Antragsgegnerin ein berechtigtes Interesse an der Verhinderung einer unlauteren Geschäftspraktik durch die Antragstellerin zu. Dabei ist weiters zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin auch nach Abschluss des Bestellvorgangs (durch Retuschieren auf der Bestellbestätigung bzw durch bloße Anführung eines Gesamtpreises in der Rechnung) den tatsächlichen Mautpreis gegenüber ihren Kunden verheimlicht, sodass diese – wenn sie nicht selbst im Internet recherchieren – keinen Hinweis erhalten, welchen Aufschlag sie für das Service der Antragstellerin gegenüber dem Preis bei der Antragsgegnerin zu zahlen haben. Außerdem gibt die Antragstellerin von der Antragsgegnerin gewährte Mautreduktionen systematisch an ihre Kunden nicht weiter und behält sich die entsprechenden Beträge selbst ein. Überdies besteht für das Kartellgericht kein Zweifel, dass die Kunden der Antragstellerin die von ihr vertriebenen digitalen Mautprodukte auch mit der Antragsgegnerin in Verbindung bringen werden (immerhin wird ihnen mit der Rechnung sogar die Bestellbestätigung der Antragsgegnerin übermittelt), sodass auch die Gefahr besteht, dass Kunden allfällige negative Erfahrungen, die sie im Bestellprozess mit der Antragstellerin gemacht haben, auch negativ auf die Antragsgegnerin projizieren. Die Antragsgegnerin kann nach Ansicht des erkennenden Senats also nicht sehenden Auges dazu verhalten werden, mit der Antragstellerin zu kontrahieren, wenn diese ihre Kunden – und insbesondere Verbraucher – über wesentliche Umstände im Zusammenhang mit dem Erwerb der digitalen Mautprodukte nicht transparent belehrt, somit darüber täuscht und dabei auch einen Image-Schaden der Antragsgegnerin in Kauf nimmt.
6.5. Kundenbeschwerden und Sicherheitsprobleme:
Inwiefern die im Zusammenhang mit der Tätigkeit der Antragstellerin von der Antragsgegnerin (aufgrund einer allfälligen Vortäuschung eines Naheverhältnisses zu ihr) zu behandelnden Kundenbeschwerden oder die Anzahl der automatischen Zugriffe seitens der Antragstellerin auf den Webshop der Antragsgegnerin und die dadurch ausgelösten Folgen allenfalls sachliche Gründe darstellen, die eine Lieferverweigerung gegenüber der Antragstellerin rechtfertigen können, muss nicht näher untersucht werden, weil – wie sogleich unter 7. behandelt – bereits die oben unter 6.2. bis 6.4. dargestellten Gründe insgesamt die Verweigerung der Belieferung zu rechtfertigen vermögen.
7. Interessenabwägung und zusammenfassende Beurteilung:
7.1. Im Rahmen der Prüfung, ob die Antragsgegnerin insgesamt aufgrund objektiv nachvollziehbarer und von der Rechtsordnung nicht verpönter Gründe zur Verweigerung der Belieferung der Antragstellerin mit digitalen Mautprodukten auch für deren gewerbliche Weiterveräußerung mit einem Gültigkeitsbeginn von weniger als 18 Tagen ab Kauf an Verbraucher berechtigt ist, sind die Interessen der Antragstellerin und jener der Antragsgegnerin sorgfältig gegeneinander abzuwägen (16 Ok 14/04 mwN; 16 Ok 1/12; 1 Ob 39/17t = RIS-Justiz RS0109204 [T6]).
7.2. Der Antragstellerin ist zuzugestehen, dass das von ihr beabsichtigte und umgesetzte Geschäftsmodell nicht grundsätzlich abzulehnen oder verboten ist. Dass ein Bedarf für sofort gültige digitale Mautprodukte besteht, ist nicht von der Hand zu weisen. Unabhängig davon handelt es sich beim Weiterverkauf um eine geschäftliche Tätigkeit, an der Unternehmen ein berechtigtes Interesse haben können. Ob Kunden bereit sind, für den Erwerb digitaler Mautprodukte ein höheres Entgelt zu zahlen als bei der Antragsgegnerin, wenn das Mautprodukt dafür sofort gültig ist, obliegt allein ihrer Entscheidung, die sie aber aufgrund ausreichend transparenter Hinweise auf die Zusammensetzung des Preises (insbesondere der Mehrkosten im Vergleich zu dem von der Antragsgegnerin angebotenen Produkt) und die übrigen Umstände treffen können müssen. Insofern hat auch die Antragsgegnerin hinzunehmen, dass ein Geschäftsmodell, wie es von der Antragstellerin umgesetzt wird, nicht bereits grundsätzlich zu einer Lieferverweigerung berechtigt.
7.3. Allerdings hat die Antragsgegnerin ein berechtigtes Interesse an der Verlässlichkeit und Vertragstreue der Antragstellerin als Unternehmen, das in ihren Vertrieb von digitalen Mautprodukten eingebunden werden soll, damit eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen den beiden sichergestellt werden kann. Durch die Erklärung, sich nicht mehr an jene Unterlassungserklärung gebunden zu fühlen, die sie freiwillig als Zugeständnis gegenüber der Antragsgegnerin gemacht hat, um eine Belieferung durch diese zu erreichen und das nachfolgende Anbieten der digitalen Mautprodukte – entgegen den Zusagen in dieser Unterlassungserklärung – auch an Kunden mit Anschrift in Österreich und/oder mit österreichischen Kennzeichen, zeigte die Antragstellerin aber, dass sie nicht gewillt ist, zum Zweck einer vertrauensvollen Zusammenarbeit mit der Antragsgegnerin von ihr eingegangene Verbindlichkeiten zu befolgen. Ebenso bringt sie durch das Ignorieren des (beschränkten) Weiterveräußerungsverbots in Punkt 14.1 der ANB der Antragsgegnerin zum Ausdruck, dass es ihr an der erforderlichen Verlässlichkeit betreffend die Einhaltung vertraglicher Verpflichtungen fehlt. Darüber hinaus ist generell das Interesse der Antragsgegnerin an der Auswahl geeigneter Partner für den Vertrieb ihrer Produkte (vgl 16 Ok 1/00) schützenswert. Dieses verwirklicht sich einerseits in dem Bestreben der Antragsgegnerin, einen Missbrauch beim Weitervertrieb ihrer digitalen Mautprodukte durch das Lauterkeitsrecht verletzende (aber jedenfalls) intransparente Informationen über die Preisgestaltung der Antragstellerin und deren Belehrung über den Entfall des Rücktrittsrechts zu verhindern; andererseits auch in dem Ziel, das eigene Image vor missbräuchlichem Verhalten der Antragstellerin zu schützen. Die berechtigten Interessen spiegeln sich dabei in den oben unter 6.2. bis 6.4. im Detail behandelten Rechtfertigungsgründen wider. Insofern hat das Beweisverfahren im Hauptverfahren im Vergleich zum Provisorialverfahren zu geänderten Sachverhaltsannahmen geführt.
7.4. Es ist hervorzuheben, dass es bei der Interessenabwägung – entgegen den Überlegungen der Antragstellerin – nicht darum geht, die Rechtmäßigkeit ihres Geschäftsmodells in Zweifel zu ziehen oder das Geschäftsmodell als Ganzes zu untersagen. Entscheidend ist allein, ob sie insgesamt ein Verhalten gesetzt hat, dass es der Antragsgegnerin nach objektiven Gesichtspunkten gestattet, ihr den Zugang zu ihrem Webshop zu versperren. Weiters ist festzuhalten, dass im vorliegenden Verfahren nur die Weigerung der Antragsgegnerin zu beurteilen war, der Antragstellerin Zugang zu ihrem Webshop zu gewähren. Inwiefern sie diesen Zugang auch anderen Unternehmern verweigert oder rechtliche Schritte gegen diese ergreift, ist nicht Gegenstand des Verfahrens und daher auch nicht weiter zu prüfen.
7.5. Im Rahmen der Interessenabwägung ist auch zu berücksichtigen, dass es die Antragstellerin selbst in der Hand gehabt hätte, ohne großen Aufwand ihr Geschäftsmodell in der Praxis konkret so umzusetzen, dass den berechtigten Interessen der Antragsgegnerin entsprochen wird: So hätte sie sich an die von ihr eingegangenen (vertraglichen) Verpflichtungen gegenüber der Antragsgegnerin halten können, ihre Kunden transparent über die konkrete Zusammensetzung ihrer Preise für die digitalen Mautprodukte informieren und ausreichend eindeutig darüber belehren können, wann ihnen ein Rücktrittsrecht von dem mit ihr geschlossenen Vertrag zukommt und wann dieses entfällt, ohne dass damit ein unverhältnismäßiger Mehraufwand für sie entstanden wäre. Die Antragstellerin entschied sich aber offenbar bewusst dagegen. Insofern fällt auch auf, dass sie zur Einhaltung der Einstweiligen Verfügung des Handelsgerichts Wien im UWG-Verfahren nicht die Preisauszeichnung oder die Belehrung über das Rücktrittsrecht bzw dessen Entfall im Sinne der Sicherungsverfügung abänderte (was naheliegend gewesen wäre). Sondern sie verhinderte vielmehr (bloß) technisch den Bezug von digitalen Mautprodukten über ihre Webseiten für Kunden mit österreichischer Anschrift oder für österreichische Kennzeichen, um so der Einstweiligen Verfügung, die nur „mit Wirkung für Österreich“ galt, zu entsprechen.
7.6. Die von ihr behauptete „Selbstbevorzugung“ durch die Antragsgegnerin (Täuschung über den Zweck der 18-tägigen Wartefrist; zu kleine Ausweisung der USt; Ignorieren des Widerrufs von Verbrauchern) konnte die Antragstellerin nicht unter Beweis stellen. Darauf ist im Rahmen der Interessenabwägung also nicht näher einzugehen.
7.7. Bei Abwägung all der genannten Umstände liegen tatsächlich sachliche Gründe vor, die – insgesamt betrachtet – die Antragsgegnerin dazu berechtigen, die Belieferung der Antragstellerin mit ihren digitalen Mautprodukten auch zur gewerblichen Weiterveräußerung mit einem Gültigkeitsbeginn von weniger als 18 Tagen ab Kauf an Verbraucher zu verweigern. Die Antragsgegnerin aufgrund der Umstände des vorliegenden Falls zur Anstrengung von Zivilverfahren gegen die Antragstellerin zu verhalten, erscheint dem Kartellgericht dabei nicht als taugliches gelinderes Mittel gegenüber einer Sperre des Zugangs zum Webshop. Die Antragstellerin hat nämlich bereits gezeigt, dass sie sich auch von der klaren Entscheidung des Kartellobergerichts im Provisorialverfahren, wonach ihr die Antragsgegnerin für den „schlichten Weitervertrieb“ ihrer digitalen Mautprodukte keinen Zugang zum Webshop gewähren muss, und der darauffolgenden konsequenten Umsetzung dieser Entscheidung durch die Anpassung des Weiterveräußerungsverbots in Punkt 14.1 ihrer ANB nicht davon abhalten ließ, dennoch auch einen schlichten Weitervertrieb der digitalen Mautprodukte der Antragsgegnerin vorzunehmen.
7.8. Aus den von der Antragstellerin zitierten höchstgerichtlichen Entscheidungen (ON 46, Seite 25) kann nicht abgeleitet werden, dass die vom erkennenden Senat bejahten sachlichen Gründe nicht für eine Geschäftsverweigerung im konkreten Fall ausreichen würden. Die darin jeweils beurteilten Sachverhalte sind nämlich mit dem vorliegenden Fall nicht ausreichend vergleichbar (16 Ok 20/97 = hohe Zahlungsrückstände; 16 Ok 23/04 = Produktionsengpässe bei der Belieferung; 16 Ok 1/03 = Weigerung zur Stellung von Sicherheiten). Auch die Entscheidung 4 Ob 214/97t, in der festgehalten wurde, dass eine Pönalforderung gegenüber einem anderen Unternehmen keinen ausreichenden sachlichen Grund für eine Lieferverweigerung darstellt, ist mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar. Entscheidend ist vielmehr, dass – wie bereits oben unter 5.2. ausgeführt – wesentliche Vertragsverletzungen und der Verlust einer Vertrauensbasis ausreichende sachliche Gründe für eine Lieferverweigerung darstellen können, die hier auch verwirklicht sind.
7.9. Auch auf das Verbot von Vergeltungsmaßnahmen nach § 6 KartG im Zusammenhang mit der Einleitung des UWG-Verfahrens vor dem Handelsgericht Wien kann sich die Antragstellerin im vorliegenden Fall nicht erfolgreich berufen: Für die Anwendung dieser Bestimmung scheitert es schon daran, dass eine erforderliche Kausalität des Missbrauchsverfahrens für die Einleitung des UWG-Verfahrens nicht festgestellt werden konnte. Abgesehen davon sind jedenfalls einzelne der im UWG-Verfahren behaupteten Verstöße im Ergebnis auch taugliche objektive Gründe, die eine Lieferverweigerung der Antragsgegnerin rechtfertigen, was eine Beurteilung als Vergeltungsmaßnahme ebenfalls ausschließt (Gugerbauer, KartG und WettbG3 § 6 Rz 2; 16 Ok 4/02).
7.10. Für eine Verweigerung des Zugangs der Antragstellerin zu ihrem Webshop für den Erwerb von digitalen Mautprodukten zum Eigenbedarf hat die Antragsgegnerin dagegen keine ausreichenden sachlichen Gründe aufgezeigt. Die soeben behandelten Interessen sind nur im Hinblick auf die gewerbliche Weiterveräußerung ihrer digitalen Mautprodukte schützenswert, rechtfertigen aber nicht auch eine Lieferverweigerung, die es der Antragstellerin verunmöglichen würde, ihren Eigenbedarf an digitalen Mautprodukten über den Online-Bezug zu decken. Zu diesem Zweck hat ihr die Antragsgegnerin daher Zugang zum Webshop zu gewähren. Dass die Gewährung eines - auf den Bezug von digitalen Mautprodukten bloß zum Eigenbedarf - beschränkten Zugangs zum Webshop technisch nicht möglich ist, konnte dabei gerade nicht festgestellt werden.
8. Ergebnis:
8.1. Zusammengefasst hat die Antragsgegnerin der Antragstellerin Zugang zu ihrem Webshop zum Zweck des Erwerbs digitaler Mautprodukte also nur zur Deckung ihres Eigenbedarfs zu gewähren. Darüber hinausgehend – und insbesondere für jegliche gewerbliche Weiterveräußerung der digitalen Mautprodukte – muss sie der Antragstellerin ihren Webshop dagegen nicht öffnen.
8.2. Der Hauptantrag der Antragstellerin war daher – mit Ausnahme der Einräumung eines Zuganges zum Webshop der Antragsgegnerin für den Eigenbedarf – abzuweisen.
8.3. Aus den oben im Detail dargestellten Gründen kann sich die Antragsgegnerin gegenüber der Antragstellerin auch in Bezug auf deren Bereitstellung von digitalen Mautprodukten gegenüber Kunden mit Sitz außerhalb von Österreich und Fahrzeugen mit nicht-österreichischen Kennzeichen auf sachliche Gründe für eine Lieferverweigerung berufen. Insofern spielt es keinen Unterschied, ob es sich bei den von der Antragstellerin angebotenen Dienstleistungen rechtlich um eine „Weiterveräußerung“ der digitalen Mautprodukte der Antragsgegnerin handelt. Für die Frage der Anwendbarkeit von Punkt 14.1 der ANB der Antragsgegnerin wurde dies unter 6.3.2.1. im Übrigen bejaht. Es war daher auch der Eventualantrag der Antragstellerin – mit Ausnahme der Einräumung eines Zuganges zum Webshop der Antragsgegnerin für den Eigenbedarf – abzuweisen.
9. Kosten
Nach § 41 KartG tritt die Pflicht zum Kostenersatz sowohl der Antragstellerin als auch der Antragsgegnerin nur im Fall mutwilliger Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung ein. Mutwillige Rechtsverfolgung liegt vor, wenn der Antragsteller sich der Unrichtigkeit seines Verfahrensstandpunkts bewusst ist und sich in diesem Bewusstsein in das Verfahren einlässt, oder wenn er mit dem Verfahren ausschließlich einen durch die Rechtsordnung nicht geschützten Zweck verfolgt (vgl RIS-Justiz RS0121463 [T1]). Anhaltspunkte für eine Mutwilligkeit sind weder bei der Rechtsverfolgung der Antragstellerin noch bei der Rechtsverteidigung der Antragsgegnerin zu erkennen, sodass sie ihre Kosten des Verfahrens jeweils selbst zu tragen haben.
 

Ausdruck vom: 27.07.2024 16:42:55 MESZ