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Kategorie:

Kartell

Dienststelle:

OLG Wien (009)

Aktenzeichen:

26 Kt 6/23m


Bekannt gemacht am:

24.09.2024

Entscheidungsdatum:

26.01.2024


 Über die Antragsgegnerinnen wird wegen der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung gegen § 1 KartG und Art 101 AEUV im Zeitraum von 9.6.2008 bis 30.11.2021 in Form von kartellrechtswidrigen Absprachen über Wiederverkaufspreise, Gebietsaufteilung und Wettbewerbsverbote im Rahmen der mit Fronius geschlossenen Vertriebsvereinbarung sowie kartellrechtswidrigen abgestimmten Verhaltensweisen beim Vertrieb von Fronius-Schweißtechnik (Deckangebotspraxis von den Antragsgegnerinnen, Fronius und Zultner) gemäß § 29 Z 1 lit a und d KartGzur ungeteilten Hand eine Geldbuße von EUR 870.000,-- verhängt.
B e g r ü n d u n g :
Außer Streit steht:
Die Erstantragsgegnerinvertreibt technische Produkte, Dienstleistungen, Schmiermittel und Arbeitsschutz für Industrie und Bau. Sie hat ihren Sitz in Wolfurt/Vorarlberg und betreibt Niederlassungen in ganz Österreich. Sie steht jedenfalls seit Ende 2002 zu 100% im Eigentum der Zweitantragsgegnerin. Die Haberkorn-Gruppe erzielte im Geschäftsjahr 2022 einen konsolidierten Gesamtumsatz von ca EUR 749,8 Mio weltweit, davon ca EUR 355,3 Mio in Österreich. Im Geschäftsfeld „Schweißtechnikprodukte“ wurden in Österreich im Geschäftsjahr 2020 Umsätze in Höhe von EUR 1,3 Mio erzielt. Im Geschäftsjahr 2020 erzielte die Haberkorn-Gruppe einen weltweiten Gesamtumsatz von ca EUR 607,9 Mio, im Geschäftsjahr 2021 ca EUR 679,4 Mio.
Die Erstantragsgegnerin ist seit vielen Jahren Händlerin von Schweißtechnik und Schweißzubehör, hergestellt von Fronius International GmbH (in der Folge: Fronius), wobei sie im eigenen Namen, auf eigene Rechnung und eigenes Risiko tätig ist (./B).
Am 9.6.2008 – als die Vertriebsbeziehung mit Fronius schon seit Jahrzehnten bestand - schlossen die Erstantragsgegnerin und Fronius eine „Langfristige Fronius-Vertretungsvereinbarung – Vertragshändler“ (in der Folge: Vertriebsvereinbarung) über den Vertrieb von Fronius-Schweißtechnik und -zubehör (in der Folge: Vertragswaren). Diese Vertriebsvereinbarung stand zwischen den Streitteilen bis 30.11.2021 in Geltung, mit Wirkung 1.12.2021 wurde sie durch einen neuen Vertriebsvertrag (ohne die inkriminierten Regelungen) ersetzt.
Die Vertriebsvereinbarung vom 9.6.2008 enthielt Rege­lungen über Preisabstimmungen, Gebietsaufteilungen und Wettbewerbsverbote. Konkret hieß es im Vertrag (./G):
I. Vertragsgegenstand:
1. FRONIUS überträgt dem VERTRAGSHÄNDLER das Vertriebsrecht für das aktuelle und künftige Lieferprogramm der Sparte Schweißtechnik, VERTRAGSERZEUGNISSE genannt:
[…]
Der Vertragshändler verpflichtet sich, während der Dauer dieser Vereinbarung im Vertragsgebiet keine Erzeugnisse zu vertreiben oder selbst herzustellen, die mit den Vertragserzeugnissen direkt in Wettbewerb stehen. Der Vertragshändler verwendet nur original Fronius Ersatz- und Verschleißteile, sowie kalibrierte Mess- und Prüfmittel und führt Service gemäß den gültigen Einbau- und Serviceanleitungen unter Berücksichtigung der nationalen Vorschriften durch. Von dieser Bestimmung sind Schweißbrenner, Handelswaren wie Schweißzubehör ausgenommen.
[…]
II. Vertragsgebiet:
1. Des Recht zum Vertrieb von Fronius-Anlagen und die Tätigkeit des Vertragshändlers erstrecken sich auf das Gebiet (s Anhang 10), nachfolgend VERTRAGSGEBIET genannt. Ein generelles Recht, Fronius-Geräte zu exportieren, hat der Vertragshändler nicht. Der Vertragshändler wird seine Absatzbemühungen vielmehr auf das Vertragsgebiet konzentrieren.
2. Der Vertragshändler ist bei Lieferungen außerhalb des Vertragsgebietes an die internationalen Fair Play Regelungen gebunden (s Anhang 1).
III. Rechte und Pflichten:
1. Nationale Verkaufspreise sind mit Fronius abzustimmen. (Basis ist die Fronius Bruttopreisliste der Sparte Schweißtechnik.)
[…]
5. Globale Kunden sind sehr wichtig und werden besonders bearbeitet (s Anhang 3). […]
7. Fronius verpflichtet sich im Vertragsgebiet keinen anderen Vertragshändler für die Vertragserzeugnisse zu bestellen. Ausgenommen sind überregionale Fachhändler und OEM-Partner.“
 
Ad Gebiets- und Kundenaufteilung:
In Anhang 10 der Vertriebsvereinbarung wurde „Vorarlberg“ als Verkaufsgebiet festgelegt und weiters für vier bestimmte, in der Schweiz ansässige Kunden eine Ausnahmeregelung, die „sich auf die Betreuung und Belieferung außerhalb des zugeordneten Verkaufsgebiets“ bezieht, vereinbart.
Anhang 1 der Vertriebsvereinbarung enthält die (in Punkt II.2. genannte) „Internationale Fair Play Regelung“. Inhalt dieser Regelung war im Wesentlichen, dass Vertriebspartner beim Verkauf der Vertragswaren deren zukünftigen Einsatzort in Erfahrung bringen mussten. Lag der Einsatzort nicht im zugewiesenen Vertragsgebiet, kam es zu einem finanziellen Ausgleichsmechanismus. Bei Nichteinhaltung der vereinbarten Fair-Play-Vorgehensweise war eine erhöhte „Service Charge“ vorgesehen.
Die Fair Play Regelungen kamen bei der Erstantragsgegnerin auch in den Jahren 2019 und 2020 zur Anwendung (./S). Fronius leitete Kundenanfragen meist beim ersten Kontakt an den gebietszuständigen Vertragshändler weiter; die „Gebietszuständigkeit“ wurde nach Maßgabe der Postleitzahlen – österreichweit - festgelegt und strikt gelebt (./O, ./P).
 
Ad Preisabsprachen und Koordinierung beim Vertrieb:
Für die in Punkt III.5. der Vertriebsvereinbarung genannten Globalen Kunden („Global Player“)wurde in Anhang 3 Folgendes geregelt: „Die Vertriebsleitung International trifft mit definierten Global Playern und der nationalen Geschäfts-/Vertriebsleitung eine Konzernvereinbarung, die für alle Beteiligten verbindlich wirksam ist.“Essollten weltweit gleiche Voraussetzungen“ gelten, nämlich „International vereinbarter Preis + national unterschiedliche Aufschläge (Zölle, Transporte, Zahlungsziele etc)“. Festgehalten wurde weiters: „Wir leben gemeinsam die Konzernvereinbarungen mit allen Konsequenzen“ und „Die Ansprechpartner für Global Player halten uns immer am laufenden Stand. Im Gegenzug informieren wir die Ansprechpartner über lokale Vorkommnisse.“
Diese Regelungen hatten unmittelbar eine Preisbindung zur Konsequenz: Die Erstantragsgegnerin war gemäß Punkt III.5. des Vertrags verpflichtet, bei der Bearbeitung der Globalen Kunden Anhang 3 des Vertrags zu beachten. Aus diesem Anhang wiederum ergab sich, dass Konzernvereinbarungen „für alle Beteiligten verbindlich“ waren. Die Erstantragsgegnerin als Partei der Vertriebsvereinbarung war in dem Sinn Beteiligte und zur Einhaltung der Konzernvereinbarung verpflichtet.
Fronius informierte die Erstantragsgegnerin regelmäßig über die Konditionen des Global-Player-Kunden Liebherr. Bei der Belieferung dieses Kunden durch die Erstantragsgegnerin kam es wiederholt zum Informationsaustausch bzw zur Diskussion von Wiederverkaufspreisen, Rabatten und Margen zwischen der Erstantragsgegnerin und Fronius.
Beispielsweise übermittelte Fronius - jedenfalls von 2016 bis 2021 – jährlich Mitteilungen der Liebherr-Preise samt „Liebherr-Rabattblatt“ an die Erstantragsgegnerin; die Anwendung der Rabatte war akkordiert und es gab zum Thema der Bearbeitung des Kunden Liebherr auch direkte Gespräche mit der Erstantragsgegnerin (./H, ./J). Auch stellte Fronius den Anspruch, dass Preise für Liebherr mit Fronius abzustimmen waren. Die Erstantragsgegnerin entsprach dieser Anforderung. In diesem Kontext kam es bei Fronius wiederholt zu konzerninternen Rückfragen, um klarzustellen, wie sich die Erstantragsgegnerin verhalten dürfe (./I, ./J, ./K). 2018 und 2019 ließ die Erstantragsgegnerin Fronius genaue Informationen über ihre Umsätze und Umsatzrückgänge bei Verkauf von Fronius-Schweißtechnik an den Großkunden Liebherr zukommen. 2021 informierte Fronius die Erstantragsgegnerin über ein Anhebung der Preise von 4% für Liebherr bei unveränderten Rabatten (./L).
Zusammengefasst ergab sich demnach der absolute Gebietsschutz aus der in der Vertriebsvereinbarung enthaltenen Zuweisung des Vertriebsgebietes in Verbindung mit der Fair-Play-Regelung. Er wurde durch ergänzende Vertragspraxis abgesichert. Anhang 3 sah Preisabstimmungen zwischen der Erstantragsgegnerin und Fronius bei den Global Playern vor. Das Wettbewerbsverbotwelches inPunkt I.1. und III.7. der Vertriebsvereinbarungenthalten war - sicherte den Ausschluss des intra-brand-Wettbewerbs zwischen der Erstantragsgegnerin und Fronius ab und förderte aufgrund des hohen Marktanteils der Vertragswaren – in den Jahren 2016 bis 2020 hatte Fronius in Österreich im B2B-Bereich der Elektroschweißgeräte einen Marktanteil von mehr als 50% - die marktverschließende Wirkung der Kooperation.
 
Ad Deckangebote:
Über die Vertriebsvereinbarung hinausgehend kam es zudem zwischen der Erstantragsgegnerin, Fronius und einem weiteren Vertriebspartner von Fronius, nämlich der in Graz ansässigen Zultner Metall GmbH (in der Folge: Zultner), zu folgenden kartellrechtswidrigen Vorgehensweisen:
Zumindest seit 2011 haben sich die drei Unternehmen wiederholt anlässlich der Auftragsanbahnung mit Kunden detailliert über Angebotskonditionen inklusive Preise ausgetauscht und Deckangebote gelegt. Es wurden auch allgemein Informationen über Preise und sensible Geschäftsdaten ausgetauscht und Absprachen über Preise für Geschäfte mit weiteren Kunden (konkret: ÖBB) bzw für den Internetvertrieb getroffen und Vertriebsmaßnahmen akkordiert.
Fronius, Zultner und die Erstantragsgegnerin haben jahrelang bei der Angebotslegung an Kunden mit dem Ziel kooperiert, Preise und Konditionen so abzustimmen, dass der gebietszuständigeVertragshändler das günstigste Angebot legen konnte. Die nicht-zuständigen Vertragshändler haben Angebote nur gelegt, um die Bestbieterposition des gebietszuständigen Vertragshändlers zu decken. Diese Deckangebotspraxis zwischen den drei Beteiligten erfolgte durch folgende Abstimmungsformen:
a) Deckangebots-Anfragen eines der Beteiligten an die anderen Beteiligten mit zeitgleicher Weiterleitung des eigenen Angebots und Informationen zu gewünschten Abweichungen bei den Konditionen sowie zu Kontaktdaten des Kunden;
b) E-Mail-Korrespondenz zwischen den Beteiligten zwecks Kontrolle/Genehmigung konkreter Deckangebote vor Absendung an den Kunden und
c) implizite Abstimmung zwischen den Beteiligten durch Angebot eines Beteiligten außerhalb seines Vertriebsgebiets, das alle Kriterien eines Deckangebots erfüllt (gleicher Zeitpunkt, gleiche Produkte, gleiche Ansprechperson, etwas höhere Preise).
Anfragen zur Abgabe von Deckangeboten gingen wechselseitig sowohl von Fronius als auch Zultner und der Erstantragsgegnerin aus, weshalb horizontale Elemente der Absprachen nicht ausgeschlossen werden können, es jedoch nur um den Ausschluss des (in vertikalen Vertriebsverhältnissen möglichen) intra-brand-Wettbewerbs ging (./M, ./N).
Deckangebote mit Beteiligung der Erstantragsgegnerin gab es in folgenden Fällen:
 
Deckangebote, welche für die Erstantragsgegnerin angefordert wurden:
Kunde Datum
Landesberufsschule, Bludenz 09.05.2008
BSBZ, Hochenems 15.03.2010
Wifi, Dornbirn 01.06.2011
Landesberufsschule, Bregenz 22.06.2011
Carcoustics Austria GmbH 26.07.2011
Landesberufsschule, Bregenz 27.09.2011
Wifi, Dornbirn 03.01.2012
Künz Hans GmbH 20.04.2012
Landesberufsschule, Lochau 08.03.2012
Wifi, Dornbirn 16.05.2013
Asfinag Hohenems 24.07.2013
Wifi, Dornbirn 02.10.2014
Wifi Vorarlberg 17.11.2014
Wifi, Dornbirn 12.12.2014
Landesberufsschule, Bregenz 12.03.2015
FH Vorarlberg 29.10.2015
Landesberufsschule Bregenz 27.04.2016
Wifi, Dornbirn 15.02.2018
Wifi, Dornbirn 15.02.2018
Landesvermögen-Verwaltungsges, Bregenz 12.03.2018
BSBZ, Hochenems 22.03.2018
Landesberufsschule, Bregenz 21.06.2018
Landesberufsschule II, Bregenz 21.06.2018
Wifi, Dornbirn 10.12.2018
Wifi, Dornbirn 18.02.2019
Landesberufsschule, Bregenz 09.03.2020
Landesberufsschule II, Bregenz 10.03.2020
Deckangebote, welche von der Erstantragsgegnerin angefordert wurden:
Stadt Innsbruck 23.08.2000
Zech Kies GmbH 22.11.2002
Landesberufsschule, Bregenz 13.01.2010
HTL Fulpmes 20.12.2010
Bertsch Foodtech GmbH 08.03.2012
Berglandmilch eGen 22.12.2011
Bertsch Foodtech GmbH 08.02.2012
Pachler Metalltechnik, Kirchberg 29.08.2012
Bertsch Foodtech GmbH 24.01.2014
Amt LR Vbg Straßenbau 01.12.2014
Landw Fachschule Bruck 22.09.2014
Felbertauernstr AG 22.02.2016
Heereslogistikzentrum 30.06.2016
Courtyard Linz Marriot Hotel 21.10.2016
HTL Wolfsberg 06.03.2017
Jugend am Werk Berufsausb 03.04.2017
SZL Seniorenzentrum Linz 06.11.2017
BFI Oberösterreich Linz 10.11.2017
Wifi, Kärnten 22.01.2019
Wifi, Salzburg 31.01.2019
Tiroler Fachberufsschule Lienz 21.03.2019
ÖBB Wolfurt 08.10.2019
Techn Ausbildungszentrum Mitterberghütten 16.07.2019
Asfinag 03.03.2020
Huppenkothen GmbH 30.03.2020
Landesberufsschule, Mistelbach 06.04.2020
 
Weiters wurden zwischen der Erstantragsgegnerin und Fronius bei der Bearbeitung anderer Kunden Preise abgesprochen und dazu sensible Informationen ausgetauscht. Für die Umsetzung einer BBG[= Bundesbeschaffungsgesellschaft]-Rahmenvereinbarung sowie bei der Belieferung der ÖBB nahm Fronius die Erstantragsgegnerin als „Subunternehmerin“ dazu, um das Bundesgebiet entsprechend abdecken zu können. Da in diesem Kontext sodann einheitliche Konditionen erforderlich waren, kam es – jedenfalls im Zusammenhang mit der Belieferung der ÖBB - zu Abstimmungen zwischen der Erstantragsgegnerin und Fronius, dies betreffend Preise, Rabatte und Konditionen (./O, ./P).
Die Erstantragsgegnerin und Fronius erstellten (nach Punkt III.3. der Vertriebsvereinbarung) jährlich Marketing- und Aktionspläne sowie Umsatzziele, welche wettbewerbssensible Informationen zu Umsätzen und Kunden, strategischen Zielen und Vertriebsschwerpunkten enthielten (./Q). Im Kontext von Punkt III.1. der Vertriebsvereinbarung kam es regelmäßig zur Übermittlung von Fronius-Bruttopreislisten, ohne dass dabei klar kommuniziert worden wäre, dass es sich um unverbindliche Preisempfehlungen handelte. Vielmehr gingen Fronius und die Vertriebspartner davon aus, dass diese Preislisten auch an Kunden verteilt würden. Auch gab es anlässlich von mehrmals jährlich stattfindenden Tagungen einen Austausch von Informationen über Konditionen und Rabatte (./O, ./P).
 
Ad Ermittlungsverfahren:
Die Vertriebsvereinbarung wurde der Antragstellerin am 7.8.2020 über das Whistleblowing-System übermittelt. Es erging ein BWB-Auskunftsverlangen und am 15.3.2022 eine Mitteilung der Beschwerdepunkte an die Antragsgegnerinnen (./D). Diese hatten daher Gelegenheit, zu den Ermittlungsergebnissen und deren rechtlichen Bewertung durch die Antragsstellerin eine Stellungnahme abzugeben. Sie äußerten sich am 11.4.2022, insbesondere dahin, in Settlement-Gespräche eintreten zu wollen (./E).
Am 9.8.2023 gaben die Antragsgegnerinnen freiwillig ein Anerkenntnis ab, in dem sie zusammengefasst den von der Antragstellerin vorgebrachten Sachverhalt außer Streit stellen und die Rechtsauffassung, wonach das beschriebene Verhalten als einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung gegen § 1 Abs 1 KartG und Art 101 Abs 1 AEUV zu werten sei und kein Rechtfertigungsgrund vorliege, anerkennen sowie die in Aussicht gestellte Geldbuße als angemessen akzeptieren (./F).
Die Antragstellerin beantragte die Verhängung einer Geldbuße gemäß § 29 Z 1 lit a und d KartG in Höhe von EUR 870.000,-- über die Antragsgegnerinnen.
Unter Darstellung des außer Streit stehenden Sachverhalts brachte sie vor, die dargestellten Beweise und die Vertriebsvereinbarung sprächen für die Absicht der Antragsgegnerinnen, gemeinsam mit Fronius Vertriebsgebiete aufzuteilen und Verkaufspreise sowie Vertriebsstrategien (zumindest teilweise) abzustimmen. Die von den Antragsgegnerinnen ins Treffen geführten wirtschaftlichen Vorteile der Beschränkung böten keine überzeugenden Nachweise für deren Verhältnismäßigkeit. Die mit den neuen Vertriebsverträgen seit 1.12.2021 eingeleitete Umstellung auf einen selektiven Vertrieb sowie der Vertrieb einer Fronius-fremden Marke belege, dass weder absoluter Gebietsschutz noch Wettbewerbsverbote für die Marktbearbeitung unabdingbar seien. Dies gelte insbesondere im Hinblick auf die starke Marktposition von Fronius-Schweißtechnikprodukten in Österreich. Auch die Erbringung von Dienstleistungen im Kontext von Gewährleistungen und Service/Wartung könnten die Wettbewerbsbeschränkungen beim Vertrieb nicht rechtfertigen. Fair-Play-Gutschriften seien ohne konkrete Leistung des Empfängers erfolgt und hätten als pauschale Abgeltung für Benachteiligung gebietsfremder Verkäufe gedient. Der weitreichende Informationsaustausch über Bruttovertriebspreise und die gelebte Abstimmung bei Preisen, Konditionen und Rabatten bei Deckangeboten und für bestimmte Kunden sowie im Bereich der Internetvermarktung würden Preisabsprachen belegen.
Die dargestellten Vereinbarungen und Handlungen betreffend die Festsetzung von Verkaufspreisen, die Aufteilung von Märkten (absoluter Gebietsschutz) sowie die Beschränkung des Absatzes (Wettbewerbsverbote) verwirklichten mehrere Tatbestände des § 1 KartG sowie Art 101 AEUV. Es lägen unmittelbar schwerwiegende wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen vor.
Dass die Zweitantragsgegnerin 100% der Geschäftsanteile der Erstantragsgegnerin halte, begründe die widerlegbare Vermutung, dass die Zweitantragsgegnerin bestimmenden Einfluss auf das Verhalten der Erstantragsgegnerin ausgeübt habe und daher für Geldbußen infolge dieses Verfahrens zur ungeteilten Hand hafte.
Da das Kriterium der Zwischenstaatlichkeit gemäß Art 3 Abs 1 der VO 1/2003 erfüllt sei, sei von der parallelen Anwendbarkeit des Art 101 AEUV auszugehen. Das gegenständliche Vertriebssystem decke ganz Österreich ab, Praktiken wie der absolute Gebietsschutz würden den Markt auch gegen den Zugang von Wettbewerbern aus angrenzenden Märkten in anderen Mitgliedsstaaten abschotten. Die Spürbarkeit und die Eignung zur Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels als auch der Beschränkung des Wettbewerbs seien gegeben.
Gegenständlich seien vorwiegend vertikale Vertriebskooperationen. Soweit die Deckangebotspraxis als eigenständige horizontale Praxis zu werten sei, werde sie als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung unmittelbar Art 101 AEUV unterstellt. Die Voraussetzungen einer Freistellung nach der (hier anwendbaren) Vertikal-Gruppenfreistellungsverordung 2010 seien nicht erfüllt; dies im Hinblick auf die deutliche Überschreitung der Marktanteilsschwelle iHv 30% gemäß Art 3 Vertikal-GVO und weil die zu beurteilenden Vereinbarungen und Vertriebspraktiken mehrere Kernbeschränkungen – nämlich Art 4 Abs 1 lit a Vertikal-GVO (Beschränkung des Abnehmers, seinen Verkaufspreis selbst festzusetzen), Art 4 Abs 1 lit b Vertikal-GVO (Beschränkung des Gebiets oder der Kundengruppe, in das bzw an die der Abnehmer verkaufen darf) - verwirklichen würden. Diese würden unter Art 101 AEUV fallen.
Die Vertriebsvereinbarung enthalte mit den Regeln zum Fair Play (Pkt II.1. u Anhang 1) sowie zur Bearbeitung der Globalkunden (Pkt III.5. und Anhang 3) zwei Vereinbarungen, die aus sich selbst eine hinreichende Beeinträchtigung des Wettbewerbs erkennen ließen. Außerdem würden durch die vertraglichen Wettbewerbsverbote (Pkt III.7. und I.1.) diese Wettbewerbsbeschränkungen abgesichert und verstärkt. Bei der Beurteilung der Dauer der Zuwiderhandlung sei daher auf die Gültigkeitsdauer der Vertriebsvereinbarung abzustellen, ohne dass Nachweise der Umsetzung und Auswirkungen dieser Vereinbarungen erforderlich seien. Gleichwohl sei belegt, dass die vertraglich bedingten Wettbewerbsbeschränkungen tatsächlich gelebt und darüber hinausgehende Beschränkungen praktiziert worden seien.
Aus der Gesamtheit der Umstände und dem Zusammenspiel der einzelnen Elemente der Kartellverstöße zeige sich zudem, dass es sich nicht bloß um eine Mehrzahl isolierter Verstöße handle, sondern vielmehr eine einheitliche und fortgesetzte Gesamtzuwiderhandlung vorliege. Diese sei eingebettet in den bereits in der Vertriebsvereinbarung zum Ausdruck kommenden Gesamtplan, den markeninternen Wettbewerb auszuschalten.
Zur Höhe der Geldbuße berief sich die Antragstellerin auf die Heranziehung der in § 30 KartG enthaltenen Kriterien. Berücksichtigt worden seien der Umsatz der Antragsgegnerinnen im von der Zuwiderhandlung betroffenen Bereich im Jahr 2020, die Schwere der Rechtsverletzung (Kernbeschränkung), das Verschulden der Erstantragsgegnerin sowie die Dauer des Verstoßes von 14 Jahren. Unter Gewährung eines Settlementabschlages erscheine aus general- und spezialpräventiven Erwägungen ein Geldbußenbetrag von EUR 870.000,-- als angemessen.
Der Bundeskartellanwalt schloss sich dem Vorbringen der Antragstellerin an.
Die Antragsgegnerinnen stellten das Tatsachenvorbringen der Antragstellerin außer Streit und akzeptierten die darauf basierende rechtliche Beurteilung sowie die vorgenommene Geldbußenberechnung. Sie verwiesen auf das abgegebene Anerkenntnis.
Rechtlich folgt daraus:
Da gegen die Richtigkeit der Anerkenntniserklärung der Antragsgegnerinnen und des außer Streit gestellten Sachverhalts, der mit den vorgelegten Unterlagen im Einklang steht, keine Bedenken bestehen, waren iSd § 33 Abs 1 AußStrG iVm § 38 KartG keine weiteren Erhebungen durchzuführen.
 
1) Anwendbarkeit von Unionsrecht:
Gemäß § 1 Abs 1 KartG sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmern, Beschlüsse von Unternehmervereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken (Kartelle), verboten. Nach § 1 Abs 2 KartG sind insbesondere verboten
1. die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der An- oder Verkaufspreise oder sonstige Geschäftsbedingungen,
3. die Aufteilung der Märkte oder Versorgungsquellen.
Nach Art 101 Abs 1 AEUV sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten, die den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken. Dazu gehören insbesondere
a) die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der An- oder Verkaufspreise oder sonstiger Geschäftsbedingungen;
c) die Aufteilung der Märkte oder Versorgungsquellen
Die Anwendung von Art 101 und 102 AEUV fällt in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten (Art 5 VO 1/2003).
Beim Kriterium der Zwischenstaatlichkeit handelt es sich um eine Kollisionsnorm, die keine wettbewerbsrechtliche Bewertung der Absprache trifft, sondern die Frage beantworten soll, ob es angemessen ist, den Sachverhalt nach Unionsrecht zu beurteilen. Art 101 Abs 1 AEUV erfordert, dass die wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung oder der Missbrauch der beherrschenden Stellung geeignet ist, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Diese Voraussetzung ist – was schon durch Abstellen auf die „Eignung“ angelegt ist – weit zu verstehen (16 Ok 7/15p mwN). Maßnahmen, deren wettbewerbsbeschränkende Wirkungen sich auf das gesamte Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erstrecken, sind idR zur Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten geeignet, weil sie schon ihrem Wesen nach die Abschottung nationaler Märkte verfestigen und die gewünschte Marktintegration verhindern können. Daher können auch Maßnahmen von Unternehmen, die sich nur auf den Wettbewerb innerhalb eines einzelnen Mitgliedstaats auswirken, den innergemeinschaftlichen Handel beeinflussen (16 Ok 4/13; 16 Ok 2/15b; 16 Ok 8/16m; RS0120478).
Bei den festgestellten Zuwiderhandlungen der Antragsgegnerinnen ist allein schon aufgrund ihrer Dimension und Dauer sowie aufgrund der Marktanteile der Antragsgegnerinnen die Zwischenstaatlichkeit zu bejahen und Unionsrecht anzuwenden.
 
2) Vereinbarung oder abgestimmte Verhaltensweise:
Das Kartellverbot des Art 101 Abs 1 AEUV erfasst – wie jenes des § 1 Abs 1 KartG – insbesondere den Wettbewerb beeinträchtigende Vereinbarungen zwischen Unternehmern und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen. Beiden Tatbeständen ist gemeinsam, dass sie geeignet sein müssen, zwischen den beteiligten Unternehmern die Unsicherheiten über ihr zukünftiges Verhalten im Wettbewerb auszuschließen oder zu vermindern. In der Praxis ist eine Abgrenzung dieser Begriffe von geringer Relevanz, weil diese Formen wettbewerbsbeschränkenden Zusammenwirkens gleichrangig sind (Lager/Petsche in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG2 § 1 Rz 14 ff).
Erfasst ist jede unmittelbare oder mittelbare Koordination zwischen Unternehmen, die bezweckt oder bewirkt, das Marktverhalten zu beeinflussen oder einen Mitbewerber über das Marktverhalten ins Bild zu setzen, das man selbst an den Tag zu legen entschlossen ist oder in Erwägung zieht (Lager/Petsche aaO § 1 Rz 31).
Dass dieses Tatbestandsmerkmal hier erfüllt ist, kann nicht bezweifelt werden, schloss die Erstantragsgegnerin mit Fronius doch eine – beiderseits verbindliche – Vereinbarung, die – zumindest im Wesentlichen – auch umgesetzt wurde. Soweit eine darüber hinausgehende Koordination stattfand, lag jedenfalls eine abgestimmte Verhaltensweise vor.
 
3) „Bezwecken“ und „Bewirken“:
Vereinbarungen fallen nur dann unter das Verbot des Art 101 Abs 1 AEUV, wenn sie eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder (alternativ) bewirken. Wenn fest steht, dass eine Vereinbarung einen wettbewerbswidrigen Zweck verfolgt, brauchen ihre Auswirkungen auf den Wettbewerb nicht geprüft zu werden. Die Unterscheidung zwischen „bezweckten“ und „bewirkten“ Verstößen liegt darin begründet, dass bestimmte Formen der Kollusion zwischen Unternehmen schon ihrer Natur nach als schädlich für das gute Funktionieren des normalen Wettbewerbs angesehen werden können.
Sogenannte Kernbeschränkungen, namentlich die ersten drei Regelbeispiele des Art 101 Abs 1 AEUV, darunter Preisabsprachen und die Aufteilung von Märkten, sind als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen grundsätzlich verboten (Bechtold/Bosch/Brinker, EU-Kartellrecht³ Art 101 AEUV Rz 78 ff; Braun in Langen/Bunte, Kartellrecht13, Nach Art 101 AEUV, Rz 20; zu § 1 KartG: Lager/Petsche aaO § 1 Rz 57 u 104; uva). Sie sind auch von der De‑Minimis‑Bekanntmachung der Europäischen Kommission (ABl 2014/C 291/01) durch deren Pkt II.12 ausgenommen.
Preisabsprachen und koordinierte Aufteilungen der Märkte sind bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen (vgl RS0120917). Hier steht die Abschwächung des Wettbewerbs zwischen den Marktteilnehmern im Vordergrund (Lager/Petsche aaO § 1 Rz 70 f). Die tatsächlichen Auswirkungen der Vereinbarung brauchen daher nicht berücksichtigt zu werden, zumal diese Form der Kollusion zwischen Unternehmen schon ihrer Natur nach als schädlich für das gute Funktionieren des normalen Wettbewerbs angesehen werden kann (vgl Lager/Petsche aaO § 1 Rz 62 f).
In diesem Sinn sind die zwischen derErstantragsgegnerin und Fronius im Zeitraum Juni 2008 bis November 2021aufgrund der bestehenden Vertriebsvereinbarung vorgenommenen Preisabsprachen unddie Marktaufteilung sowie weiters die zwischen diesen beiden Unternehmen und Zultner geübte Deckangebotspraxis, welche wiederum zu einer Preisabstimmung und Marktaufteilung führte, als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen iSd Art 101 Abs 1 lit a undc AEUV und § 1 Abs 2 Z 1 und 3 KartG zu betrachten, deren unmittelbare Auswirkung auf den Markt nicht geprüft zu werden braucht.
Das in der Vertriebsvereinbarung in den Punkten I.1. und III.7. enthaltene Wettbewerbsverbot sicherte den Ausschluss des intra-brand-Wettbewerbs zwischen der Erstantragsgegnerin und Froniusab. Dass eine marktverschließende Wirkung tatsächlich eintrat, stellen die Antragsgegnerinnen auch nicht in Abrede. Ein Wettbewerbsverbot stellt im Vertikalverhältnis die Verpflichtung des Abnehmers dar, keine Waren oder Dienstleistungen herzustellen, zu beziehen, zu verkaufen oder weiterzuverkaufen, die mit Vertragswaren oder -dienst­leistungen im Wettbewerb stehen (Art 1 Abs 1 lit d Vertikal-GVO). Solche Verbote sind nach der Vertikal-GVO freigestellt, wenn ihre Dauer fünf Jahre nicht übersteigt (Art 5 Abs 1 lit a Vertikal-GVO). Für eine Freistellung ist zudem Voraussetzung, dass die Marktanteilsschwelle von 30% (gemäß Art 3 Abs 1 Vertikal-GVO) weder vom Anbieter noch vom Abnehmer überschritten wird (Hiersche/Mertel in Egger/Harsdorf-Borsch, Kartellrecht § 1 KartG Rz 192).
Somit stellt auch das vereinbarte Wettbewerbsverbot eine Zuwiderhandlung gegen Art 101 AEUV und § 1 KartG dar.
 
4)Einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung (Gesamtzuwiderhandlung):
Verstöße gegen Art 101 Abs 1 AEUV und § 1 Abs 2 Z 1 und 3 KartG können nicht nur aus einer isolierten Handlung, sondern auch aus einer Reihe von Handlungen oder einem kontinuierlichen Verhalten bestehen, wenn sich die verschiedenen Handlungen wegen ihres identischen Zwecks der Verfälschung des Wettbewerbs in einen Gesamtplan einfügen. Demzufolge kann ein Unternehmen, wenn es sich an einer solchen einheitlichen und komplexen Zuwiderhandlung beteiligt hat, für die gesamte Zeit seiner Beteiligung auch für das Verhalten anderer Unternehmenverantwortliche sein (Schwarz in Egger/Harsdorf-Borsch, aaO § 33 KartG Rz 8 mwN).
Die dargelegten und unstrittigen Umstände zeigen einen Gesamtplan der beteiligten Unternehmen, den Wettbewerb zu beschränken. Es handelt sich nicht um eine Mehrzahl isolierter Verstöße, sondern um ein kollusives Zusammenwirken der Beteiligten im Rahmen eines Gesamtsystems. Wie von den Antragsgegnerinnen zugestanden, sind die festgestellten Verhaltensweisen daher als eine einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung zu qualifizieren.
 
5) Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkung:
Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH müssen die Wettbewerbsbeschränkung und die Handelsbeeinträchtigung auch spürbar sein, um vom Kartellverbot erfasst zu sein. Das Vorliegen einer spürbaren Beschränkung des Wettbewerbs auf dem Binnenmarkt ist anhand des tatsächlichen Rahmens einer solchen Vereinbarung zu beurteilen. Vereinbarungen, die geeignet sind, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen und die einen wettbewerbswidrigen Zweck haben, sind ihrer Natur nach und unabhängig von ihren konkreten Auswirkungen eine spürbare Beschränkung des Wettbewerbs (EuGH C-226/11 - Expedia, Rz 16f, 21 und 37). Dies ist im vorliegenden Fall gegeben.
 
6) Verschulden:
§ 29 KartG stellt klar, dass Geldbußen nur bei Verschulden zu verhängen sind. Der Unternehmer muss den Tatbestand vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführt haben. Gleiches gilt zufolge Art 23 VO 1/2003 im Unionsrecht. Das KartG definiert nicht näher, was unter Vorsatz und Fahrlässigkeit zu verstehen ist. Einschlägige Definitionen enthalten aber die strafrechtlichen Bestimmungen der §§ 5 f StGB und § 3 VbVG (16 Ok 2/11).
Dass vorliegend die Erstantragsgegnerin schuldhaft gehandelt hat, ist unzweifelhaft und wurde von ihr zugestanden. Der Abschluss und die Umsetzung einer wettbewerbsbeschränkende Klauseln enthaltenden Vertriebsvereinbarung sowie die Abgabe von Deckangeboten müssen jedenfalls mit bedingtem Vorsatz (dolus eventualis) der handelnden Mitarbeiter der Antragsgegnerinnen erfolgt sein.
 
7) Rechtfertigungsgründe nach § 2 KartG und Art 101 Abs 3 AEUV wurden nicht behauptet und sind nicht erkennbar.
Es sind somit alle Tatbestandsvoraussetzungen für die Verhängung einer Geldbuße erfüllt. Gemäß § 29 Abs 3 KartG konnte die Geldbuße nicht nur wider die unmittelbar beteiligte Erstantragsgegnerin, sondern auch über die Zweitantragsgegnerin als Muttergesellschaft verhängt werden (vgl Koprivnikar/Mertel in Egger/Harsdorf-Borsch, aaO § 29 KartG Rz 53).
 
8) Höhe der Geldbuße:
Gemäß § 29 Z 1 lit a und d KartG ist bei einem vorsätzlichen oder fahrlässigen Verstoß gegen § 1 KartG bzw gegen Art 101 AEUV eine Geldbuße bis zu einem Höchstbetrag von 10% des im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes zu verhängen. Darunter ist der weltweite Umsatz des jeweils am Wettbewerbsverstoß beteiligten Unternehmers zu verstehen, wobei die Berechnungsbestimmung des § 22 KartG heranzuziehen ist.
Für die Bemessung der Geldbuße gilt § 30 KartG. Nähere Prüfungen zur Höhe der Geldbuße erübrigen sich allerdings im Hinblick darauf, dass das Kartellgericht nach § 36 Abs 2 letzter Satz KartG keine höhere Geldbuße verhängen darf als beantragt.
Es liegen keinerlei Anhaltspunkte vor, dass die beantragte Geldbuße überhöht wäre. Eine niedrigere Geldbuße als die beantragte Summe kommt angesichts der Schwere und Dauer des Verstoßesaus spezial- und generalpräventiven Erwägungennicht in Betracht, dies zumal die Antragsgegnerinnen den beantragten Betrag als angemessen bestätigten.“

Ausdruck vom: 26.05.2025 06:38:19 MESZ