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Kategorie:

Kartell

Dienststelle:

OLG Wien (009)

Aktenzeichen:

27 Kt 9/22h


Bekannt gemacht am:

09.04.2024

Entscheidungsdatum:

13.09.2023


 „Das Oberlandesgericht Wien als Kartellgericht hat durch die Richterinnen des Oberlandesgerichts Mag. Fidler als Vorsitzende sowie Mag. Ingemarssonund die fachkundigen Laienrichter KR Maga Ginner und KR Dr. Taurer in der Kartellrechtssache der Antragstellerin Bundeswettbewerbsbehörde, 1030 Wien Radetzkystraße 2, gegen die Antragsgegnerin Südzucker AG, 68165 Mannheim, Maximilianstraße 10, vertreten durch die Schönherr Rechtsanwälte GmbH, wegenVerhängung einer Geldbuße nach § 29 Abs 1 Z 1 lit a und d KartG nach öffentlicher mündlicher Verhandlung den

Beschluss
gefasst:
 
Über die Südzucker AG, Maximilianstraße 10, 68165 Mannheim, Deutschland, wird gemäß § 29 Z 1 lit a und d KartG 2005 wegen der im Telefongespräch vom 22.2.2006 mit der Nordzucker AG, Küchenstraße 9, 38100 Braunschweig, Deutschland, getroffenen, gegen Art 101 AEUV (ex Art 81 EG) und § 1 KartG 2005 verstoßenden und damit kartellrechtswidrigen Absprache, die die Aufteilung des österreichischen Marktes für Industriezucker für den Zeitraum Februar 2006 bis Oktober 2006 zum Gegenstand hatte, eine Geldbuße in der Höhe von EUR 4,2 Mio verhängt.
 
Begründung:
 
Mit Antrag vom 1.9.2010 begehrte dieBundeswettbewerbsbehördegegenüber der (ursprünglichen) Zweitantragsgegnerin, der Südzucker AG (idF Zweitantragsgegnerin), die Verhängung einer Geldbuße von EUR 12.460.000 für den Zeitraum von 1.1.2005 bis 21.9.2006 sowie gegenüber dieser und der (ursprünglichen) Drittantragsgegnerin, der AGRANA Zucker GmbH (idF Drittantragsgegnerin) als Gesamtschuldnerinnen die Verhängung einer weiteren Geldbuße in der Höhe von EUR 15.390.000 für den Zeitraum von 22.9.2006 bis 31.10.2008. Weiters beantragte sie gegenüber der (ursprünglichen) Erstantragsgegnerin, der Nordzucker AG (idF Erstantragsgegnerin), die Feststellung, dass diese gegen Art 101 AEUV und § 1 KartG 2005 sowie § 9 iVm § 18 KartG zuwidergehandelt habe.
Dazu brachte sie vor, dass aufgrund von Unklarheiten über die zukünftige Zuckermarktordnung sowie der EU-Osterweiterung ein Preisverfall ausgelöst worden sei, der die Erst- und die Zweitantragsgegnerin veranlasst habe, miteinander in Kontakt zu treten. Dabei sei man zum Grundverständnis gelangt, die de facto entstandenen Kernabsatzgebiete des jeweils anderen Wettbewerbers zu respektieren. Dieses Grundverständnis sei in regelmäßigen, etwa halbjährlich stattfindenden Gesprächen bekräftigt worden und habe „implizit“ auch andere Kernmärkte, wie insbesondere Österreich, miteingeschlossen. Am 22.2.2006 sei es zu einem Telefongespräch betreffend den österreichischen Markt (für Industriezucker) gekommen. In der Folge habe es eine Reihe weiterer Treffen im Hinblick auf dem österreichischen Markt gegeben, die im Einklang mit dem Verständnis des der Drittantragsgegnerin zugesicherten Gebietsmonopols gestanden seien. Die einzelnen Kontakte zwischen den Kartellteilnehmern seien in ihrer Gesamtheit zu bewerten. Eine aktive Beteiligung der Drittantragsgegnerin an diesen sei vom 22.9.2006 bis zum 31.10.2008 erfolgt.
Die wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen der Antragsgegnerinnen hätten sowohl gegen österreichisches Kartellrecht als auch gegen Art 101 AEUV verstoßen. Die Bereichsausnahme für landwirtschaftliche Erzeugnisse sei nicht anwendbar. Ein Verstoß gegen das Doppelbestrafungsverbot (ne bis in idem) liege nicht vor, weil das deutsche Bundeskartellamt nur Absprachen abgehandelt habe, die Auswirkungen auf den deutschen Markt gehabt hätten. Im vorliegenden Verfahren seien hingegen nur die Auswirkungen auf den österreichischen Markt zu beurteilen.
Die Zweitantragsgegnerin beantragte (zunächst) den gegen sie gerichteten Antrag abzuweisen; eine faktische Aufteilung der Kernabsatzgebiete sei der jeweiligen Lage der Zuckerwerke bzw den hohen Transportkosten geschuldet gewesen. Angesichts dieser Situation habe sich das „Grundverständnis“ (Aufteilung der Absatzmärkte nach der Lage der Zuckerbetriebe) aus betriebswirtschaftlichen Gründen ergeben, ohne dass es dazu einer Absicherung durch Absprachen bedurft hätte. Eine explizite „Verständigung“ zum deutschen Markt habe sich auch nicht “implizit“ auf Österreich bezogen, für das es keine Absprachen gegeben habe. Anlässlich des Telefonats vom 22.2.2006 habe der Geschäftsführer der Drittantragsgegnerin die Zweitantragsgegnerin (als ihre Muttergesellschaft) nur über Importe aus der Slowakei nach Österreich informiert. Der Geschäftsführer der Drittantragsgegnerin habe den Vertriebsleiter der Zweitantragsgegnerin bloß gefragt, ob er einen Kontakt zu jemandem bei der Erstantragsgegnerin habe, mit dem man darüber reden könne; er habe aber keine Stellung bezogen.
Über die Zweitantragsgegnerin sei bereits mit Bußgeldbescheid des deutschen Bundeskartellamts vom 18.2.2014 eine Geldbuße verhängt worden; Gegenstand dieses Bescheids sei unter anderem auch das Telefongespräch vom 22.2.2006 gewesen. Der Verhängung einer Geldbuße stehe daher das „ne bis in idem“ Prinzip entgegen.
 
Mit Entscheidung vom 15.5.2019 wies das Erstgericht sämtliche Anträge ab. Hinsichtlich der Zweitantragsgegnerin bestünden bis Februar 2006 keine Hinweise darauf, dass Österreich in das „Grundverständnis“ über die gegenseitige Respektierung der angestammten deutschen Kernabsatzgebiete einbezogen worden wäre. Mit dem im Telefonat vom 22.2.2006 vom Vertriebsleiter der Zweitantragsgegnerin sinngemäß erhobenen Verlangen, die Erstantragsgegnerin möge auf Lieferungen durch ihre slowakische Tochtergesellschaft nach Österreich „dämpfend Einfluss“ nehmen, sowie der folgenden Umsetzung dieses Verlangens, sei zwischen der Erst- und der Zweitantragsgegnerin zwar eine wettbewerbswidrige Absprache getroffen worden. Allerdings sei auch im kartellrechtlichen Geldbußenverfahren das Doppelbestrafungsverbot zu berücksichtigen. Sei ein bestimmter Aspekt verbotener Verhaltensweisen – hier die Absprache zwischen der Erst- und der Zweitantragsgegnerin vom 22.2.2006 betreffend die Exporte der slowakischen Tochtergesellschaft der Erstantragsgegnerin nach Österreich – von einer Sanktion umfasst, die bereits eine andere nationale Wettbewerbsbehörde – hier das deutsche Bundeskartellamt – verhängt habe, widerspreche dem eine neuerliche Sanktionierung.
In dem gegen diese Entscheidung erhobenen Rekurs der Antragstellerin, schränkte sie den Antrag gegenüber der Zweitantragsgegnerin dahingehend ein, dass (nur mehr) aufgrund der im Telefongespräch vom 22.2.2006 zwischen der Erst- und der Zweitantragsgegnerin getroffenen Vereinbarung, die gegen Art 101 AEUV und § 1 KartG sowie § 9 KartG iVm § 18 KartG verstoßen habe, eine Geldbuße in angemessener Höhe verhängt werde.
Mit Entscheidung des Kartellobergerichts vom 21.10.2022 zu 16 Ok 2/22p wurde der angefochtene Beschluss des Kartellgericht vom 15.05.2019 teilweise bestätigt, teilweise abgeändert und teilweise aufgehoben, sodass im fortgesetzten Verfahren nur mehr der Geldbußenantrag gegen die Zweitantragsgegnerin gegenständlich ist (der Feststellungsantrag gegen die Erstantragsgegnerin wurde durch den Beschluss des Kartellobergerichts vom 21.10.2022 rechtskräftig erledigt; die erstgerichtliche Abweisung des Geldbußenantrags gegen die Drittantragsgegnerin erwuchs in Rechtskraft).
Das Kartellobergericht ging bei seiner Entscheidung von folgendem Sachverhalt aus:
Die Unternehmensgruppe der Erstantragsgegnerin ist eine der führenden Zuckerproduzentinnen in Europa. Der Konzern der Zweitantragsgegnerin gehört zu den weltweit größten Zuckerproduzenten. Die Drittantragsgegnerin, die von der Zweitantragsgegnerin gesellschaftsrechtlich kontrolliert wird, betreibt zwei Zuckerwerke in Österreich und hat über Tochterunternehmen weitere Zuckerwerke in Ungarn, Tschechien, der Slowakei, Rumänien und Bosnien.
Die Märkte für die Herstellung und den Vertrieb von Zucker können sachlich in einen Markt für Verarbeitungszucker („Industriezucker“) und einen Markt für Haushaltszucker gegliedert werden. Diese unterscheiden sich im Vertriebsweg und in der Größe der Gebinde. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist nur der Vertrieb von Industriezucker.
Die verschiedenen nationalen Regulierungsinstrumente für die Zuckermärkte wurden im Jahr 1968 von der europäischen Zuckermarktordnung abgelöst. Grundlegendes Ziel war es, den europäischen Zuckerrübenanbau und eine autarke Versorgung der europäischen zuckerverarbeitenden Betriebe und der europäischen Konsumenten mit europäischem Zucker zu sichern. Um dieses Ziel zu erfüllen, wurden den Mitgliedstaaten Produktionsquoten zugeteilt, die sie in der Folge auf ihre jeweiligen Produzenten aufteilten. Übermengen wurden gefördert exportiert. 2004 musste die EU aufgrund eines WTO-Schiedsspruchs die Exportförderungen einstellen bzw stark einschränken. Am 24.11.2005 wurde die Zuckermarktordnung 2006 beschlossen, deren Ziel es war, die Zuckerproduktion zu verringern.
In Deutschland wurde der Zuckermarkt seit Jahrzehnten von den Betrieben dreier großer Hersteller dominiert, darunter die Erst- und Zweitantragsgegnerinnen. Da ihre Zuckerwerke historisch aus Zusammenschlüssen benachbarter Zuckerwerke entstanden, sind diese nicht jeweils über das deutsche Bundesgebiet verteilt, sondern bilden (fast) „geschlossene Blöcke“, wobei die Werke der Erstantragsgegnerin im Norden und jene der Zweitantragsgegnerin im Süden liegen. Da Industriezucker ein homogenes Produkt ist, bei dem zumindest in Mitteleuropa keine qualitative Differenzierung möglich ist, und die Transportkosten für die Preisbildung eine erhebliche Rolle spielen, ist es betriebswirtschaftlich nicht sinnvoll, diesen an von der eigenen Produktionsstätte weit entfernte Kunden zu liefern, sodass daraus eine Aufteilung des deutschen Markts in Kernabsatzgebiete der drei großen deutschen Hersteller resultierte, für welche sich in der Branche der Begriff „Heimatmarktprinzip“ bildete.
Der WTO-Schiedsspruch veranlasste einzelne europäische Produzenten, deren Quote über ihrem regionalen Bedarf lag, Kunden außerhalb ihres angestammten Liefergebiets bzw ihres Landes zu gewinnen. Insbesondere ein französisches Unternehmen versuchte mit niedrigen Preisen Industriekunden in den Absatzgebieten der drei großen deutschen Zuckerhersteller zu akquirieren. Auch der am 1.5.2004 erfolgte Beitritt mehrerer ost- und mitteleuropäischer Staaten zur EU führte zu „Unruhe“ auf dem deutschen Markt. Spätestens ab 2004 kam es deshalb zu mehreren Treffen zwischen den damals für Industriezucker zuständigen Vertriebsleitern der Erst- und Zweitantragsgegnerinnen. Dabei wurde die Wichtigkeit betont, dem neu entstandenen Wettbewerbsdruck dadurch zu begegnen, dass die deutschen Unternehmen sich nicht gegenseitig Konkurrenz machen, indem sie in die angestammten Kernabsatzgebiete der anderen Hersteller eindringen. Von Österreich war in den Gesprächen nicht die Rede. Die Drittantragsgegnerin war an diesen nicht beteiligt.
Verantwortliche der Drittantragsgegnerin erfuhren auch nichts von diesen Gesprächen.
Für den hauptsächlich von der Drittantragsgegnerin belieferten österreichischen Markt war die Öffnung der EU-Ostgrenzen von wesentlicher Bedeutung. Während sie bis dahin durch die geografische Lage Österreichs vom Wettbewerb fast zur Gänze abgeschirmt war, musste sie nunmehr erstmals einen Wettbewerb– insbesondere aus der Slowakei und aus Tschechien – befürchten. Etwa um den Jahreswechsel 2005/06 stellte die Drittantragsgegnerin fest, dass einige – bisher exklusiv von ihr belieferte – Industriekunden Zucker aus der Slowakei bezogen. Es war für die Drittantragsgegnerin klar, dass diese slowakischen Lieferungen nur von der Tochtergesellschaft der Erstantragsgegnerin stammen konnten, weil das zweite führende slowakische Unternehmen eine Tochtergesellschaft der Drittantragsgegnerin selbst war. Der Geschäftsführer der Drittantragsgegnerin informierte den Vertriebsleiter der Zweitantragsgegnerin (ihrer Muttergesellschaft) am 22.2.2006 anlässlich eines Telefonats über andere Konzernthemen auch über diese Lieferungen nach Österreich und fragte ihn, ob er jemanden bei der Erstantragsgegnerin kenne, mit dem er darüber reden könne. Der Vertriebsleiter der Zweitantragsgegnerin entschloss sich, „die Sache selbst in die Hand zu nehmen“. Er rief noch am selben Tag (22.2.2006) den Vertriebsleiter der Erstantragsgegnerin an und informierte ihn über die Lieferungen nach Österreich. Er ließ eine gewisse Verärgerung darüber erkennen und deutete mögliche Konsequenzen für den deutschen Markt an. Der Vertriebsleiter der Erstantragsgegnerin gab ihm gegenüber keine Zusage ab, nahm aber das Risiko für den „wettbewerblichen Frieden“ auf dem deutschen Markt ernst. Er berichtete neben einem Kollegen auch seinem Vorstandsvorsitzenden mit E-Mail vom 23.2.2006 über das Gespräch und fragte ihn, wie er darauf reagieren solle. Er wurde von diesem angewiesen, darauf nicht zu reagieren. Dennoch teilte der Vertriebsleiter der Erstantragsgegnerin in weiterer Folge (aus eigenem Antrieb) gegenüber dem Vertriebsverantwortlichen der slowakischen Tochtergesellschaft seinen Wunsch nach einer „Nichtausdehnung“ der Exporte nach Österreich mit. Dieser betrachtete dies als Weisung und war bereit, diese umzusetzen. In der Folge verkaufte die slowakische Tochtergesellschaft deutlich weniger Industriezucker an österreichische Kunden als dies zunächst vorgesehen war (rund 3.000 bis 4.000 Tonnen im Vergleich zu budgetierten 10.000 bis 12.000 Tonnen).
Mit rechtskräftigen Bußgeldbescheiden des deutschen Bundeskartellamts vom 18.2.2014, Aktenzeichen B2-36/09, verhängte dieses über die Erstantragsgegnerin eine Geldbuße von 8.500.000 EUR und über die Zweitantragsgegnerin eine Geldbuße von 195.500.000 EUR. Beiden Bescheiden lag der Vorwurf zugrunde, dass vertretungsbefugte Organe der Erst- und Zweitantragsgegnerinnen, deren Prokuristen bzw sonstige für die Leitung des Betriebs oder des Unternehmens verantwortliche Personen über einen längeren Zeitraum vorsätzlich dem Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen zwischen miteinander im Wettbewerb stehenden Unternehmen zuwiderhandelten, indem sie sowohl für Verarbeitungszucker als auch für Haushaltszucker eine (Grund-)Absprache praktizierten, wonach die jeweiligen deutschen Kernabsatzgebiete der Wettbewerber respektiert werden sollten.
Das Justizministerium der Vereinigten Staaten von Amerika (Antitrust Devision of the U.S. Department of Justice) übermittelte eine Stellungnahme zum vorliegenden Verfahren, in dem es auf die Bedeutung einer umfassenden Sanktionierung von Kartellverstößen mit Auswirkungen auf mehrere nationale Märkte durch sämtliche betroffenen Jurisdiktionen hinwies. Nur durch eine Berücksichtigung sämtlicher internationaler Auswirkungen solcher Wettbewerbsverstöße könne diesen (auch präventiv) effektiv entgegengewirkt werden. Blieben Auswirkungen auf einzelne Märkte unsanktioniert, bestünden weiterhin Anreize für ein wettbewerbswidriges Verhalten. Zum vorliegenden Fall ging das U.S. Justizministerium davon aus, dass das deutsche Bundeskartellamt die Auswirkungen des von ihm sanktionierten Kartells auf den österreichischen Markt nicht berücksichtigt habe.
 
Soweit für dieses Verfahren noch maßgeblich, erwog das Kartellobergericht - nach Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH (EuGH vom 22.3.2022, C – 151/20) –rechtlich, dass das Doppelbestrafungsverbot (der Grundsatz „ne bis in idem“) im vorliegenden Fall nicht zur Anwendung komme.
Im Rechtsmittelverfahren sei nur mehrdas zwischen den Vertriebsleitern der Erst- und Zweitantragsgegnerinnen am 22.2.2006 geführte Telefongespräch auf seine Wettbewerbswidrigkeit zu beurteilen. Das Ansinnen des Vertriebsleiters der Zweitantragsgegnerin könne nur so verstanden werden, dass er von der Erstantragsgegnerin verlangt habe, dass sich ihre Tochtergesellschaft aus dem österreichischen Markt „fernhalte“ und die Erstantragsgegnerin sonst mit „Reaktionen“ auf dem deutschen Markt, auf dem die beiden Antragsgegnerinnen ihre jeweiligen Kernabsatzgebiete bisher „respektierten“, rechnen müsse. Da die Erstantragsgegnerin ihre Tochtergesellschaft in weiterer Folge „angewiesenhabe, ihre Exporte nach Österreich nicht auszudehnen und diese dem insoweit nachgekommen sei, als sie die Exportmengen verringerte, liege zweifellos eine Vereinbarung iSd Art 101 AEUV bzw § 1 Abs 1 KartG über die Aufteilung des österreichischen Markts vor, die unabhängig vom Marktanteil der beteiligten Unternehmen als „spürbar“ gelte. Die Bereichsausnahme für landwirtschaftliche Erzeugnisse sei auf die Antragsgegnerinnen nicht anzuwenden.
Das Erstgericht habe sich aufgrund seiner vom Rekursgericht nicht geteilten Rechtsansicht zur Anwendbarkeit des „ne bis in idem“ Grundsatzes, nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob und in welchem Umfang eine Geldbuße über die Zweitantragsgegnerin wegen des ihr anzulastenden Kartellverstoßes zu verhängen sei, weshalb der angefochtene Beschluss hinsichtlich der Zweitantragsgegnerin zur weiteren Verfahrensergänzung betreffend die Festlegung der Höhe einer zu verhängenden Geldbuße aufzuheben sei. Im fortgesetzten Verfahren seizu beurteilen, ob und in welchem Zeitraum sich die (einmalige) wettbewerbswidrige Abrede vom 22.02.2006 auswirkte, welcher Markt davon betroffen war und in welchem Umfang daher allenfalls konkrete Lieferungen nach Österreich unterblieben.
 
Mit Beschluss vom 21.12.2022 trug das Erstgericht den Parteien auf, allfällig ergänzendes Vorbringen im Sinne der Entscheidung des Kartellobergerichts zu erstatten.
Mit Schriftsatz vom 30.5.2023 (ON 161) beantragte die Bundeswettbewerbsbehörde die Verhängung einer Geldbuße wie aus dem Spruch ersichtlich. Sie habe mit der Zweitantragsgegnerin außergerichtlich Gespräche geführt; die Zweitantragsgegnerin habe ein Anerkenntnis hinsichtlich des entscheidungswesentlichen Sachverhalts und der Angemessenheit der nunmehr beantragten Geldbuße abgegeben.
Der Bundeskartellanwalt schloss sich diesem Antrag an.
Die Zweitantragsgegnerin trat dem modifizierten Antragsbegehren nicht entgegen.
 
Angesichts des Akteninhalts, insbesondere der Urkunden ./A bis ./AH,bestehen gegen diese Außerstreitstellungen keine Bedenken, weshalb von weiteren Erhebungen Abstand zu nehmen war (§ 33 Abs 1 AußStrG iVm § 38 KartG).
 
Demnach steht – abgesehen vom eingangs bereits wiedergegebenen - folgender Sachverhalt fest:
 
Für das Jahresbudget 2005/2006 hatte die slowakische Tochtergesellschaft der Erstantragsgegnerin einen Verkauf von Industriezucker an österreichische Kunden im Ausmaß von 10.000 bis 12.000 Tonnen geplant. Anschließend lag die Verkaufsmenge von Industriezucker in Österreich im ganzen Jahr bei rund 3.000 bis 4.000 Tonnen. Ein Zuckerwirtschaftsjahr wird durch die Rübenkampagne geprägt, dh jene Saison, in der Zuckerrüben geerntet und verarbeitet werden. Es beginnt traditionell am 1. Oktober und endet am 30. September des Folgejahres.
Das Telefongespräch vom 22.2.2006 blieb das einzige Gespräch zwischen dem damaligen Vertriebsleiter der Zweitantragsgegnerin und dem damaligen Vertriebsleiter von Nordzucker, in dem der österreichische Markt erwähnt wurde.
Der Konzernumsatz der Zweitantragsgegnerin betrug im Geschäftsjahr 2006/2007 EUR 5,765 Mrd, im Geschäftsjahr 2004/2005 EUR 4,872 Mrd und im Geschäftsjahr 2021/2022 EUR 7,6 Mrd. Der Konzerngewinn 2021/2022 betrug ca. EUR 123 Mio.
 
Rechtlich folgt:
Zum Kartellverstoß nach Art 101 AEUV (ex Art 81 EG) und § 1 KartG 2005 der Zweitantragsgegnerin aufgrund des Telefongesprächs ihres Vertriebsleiters mit dem Vertriebsleiter der Erstantragsgegnerin vom 22.2.2006 ist auf die überbundene Rechtsansicht des Kartellobergerichts in der Entscheidung vom 21.10.2022 zu verweisen.
Bei der Bemessung der Höhe der Geldbuße iSd § 30 KartG wurde der Gesamtumsatz der Zweitantragsgegnerin in im der Zuwiderhandlung vorausgegangenen Geschäftsjahr, die regionale und zeitliche Ausprägung der Zuwiderhandlung, die Schwere der Zuwiderhandlung (Kernbeschränkung), das Verschulden der Antragsgegnerin – entsprechend der Ausführungen des Kartellobergerichts in der Entscheidung vom 21.10.2022berücksichtigt. Ebenfalls in die Bemessung eingeflossen sind die aktuelle wirtschaftliche Situation der Antragsgegnerin in den letzten beiden Geschäftsjahren sowie die lange Verfahrensdauer.
Unter Berücksichtigung der genannten Faktoren ist die beantragteund von der Antragsgegnerin akzeptierte Geldbuße iHv EUR 4,2 Mio angemessen und aus general- und spezialpräventiven Erwägungen nicht überhöht. Die Geldbußenobergrenze des § 29 KartG ist nicht überschritten.“

Ausdruck vom: 11.05.2024 06:32:32 MESZ