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Kategorie:

Kartell

Dienststelle:

OLG Wien (009)

Aktenzeichen:

27 Kt 7/17g


Bekannt gemacht am:

05.02.2018

Entscheidungsdatum:

09.11.2017


Über die Antragsgegnerin wird wegen der einheitlichen komplexen und fortgesetzten Zuwiderhandlung gegen § 1 Abs 1 KartG, nämlich kartellrechtswidrigen Preisabsprachen und Kundenaufteilungen und/oder kartellrechtswidrigem horizontalen Informationsaustausch mit Mitbewerbern in Bezug auf beschränkte private und öffentliche Ausschreibungen im Bereich Trockenbau in Wien und Niederösterreich sowie punktuell in der Steiermark im Zeitraum Juni 2011 bis Juni 2014 gemäß § 29 Z 1 lit a KartG 2005 eine Geldbuße von EUR 48.000,-- verhängt.

Begründung:

Die Antragstellerin begehrte die Verhängung einer Geldbuße von EUR 48.000,-- über die Antragsgegnerin wegen einheitlicher, komplexer und fortgesetzter Zuwiderhandlungen gegen § 1 Abs 1 KartG in Form von Preisabsprachen und Kundenaufteilungen und/oder kartellrechtswidrigem horizontalen Informationsaustausch mit Mitbewerbern in Bezug auf beschränkte private und öffentliche Ausschreibungen im Bereich Trockenbau in Wien und Niederösterreich sowie punktuell in der Steiermark im Zeitraum Juni 2011 bis Juni 2014.

Sie brachte im Wesentlichen vor, dass der Trockenbau einen Teilbereich des Bauwesens darstelle, der raumbegrenzende und bauteilbekleidende Konstruktionen im Bereich des Ausbaus von Wand, Decke und Boden umfasse. Dabei würden vor allem vorgefertigte Gipskartonplatten in trockener Bauweise montiert.

Zwischen der Antragsgegnerin und den Mitbewerbern Akustik Blasch Schall- und Wärmedämmung GmbH & Co KG, Wagner & Jüptner GmbH, 3P Trockenbau GmbH, KAEFER Isoliertechnik GmbH und Tüchler Ausbau GmbH habe im Zeitraum Juni 2011 bis Juni 2014 ein Grundverständnis dahingehend bestanden, sich bei beschränkten Ausschreibungen vor Angebotsabgabe wechselseitig über das jeweilige Angebotsverhalten zu informieren bzw. abzustimmen. Ein Mitbewerber habe der Antragsgegnerin eine fertige Angebotskalkulation für ein bestimmtes Bauvorhaben übermittelt, die preislich über jenem Angebot gelegen sei, das der Mitbewerber selbst abzugeben beabsichtigt habe. Durch die Abgabe eines derartigen Deckangebots durch die Antragsgegnerin sollte dem Mitbewerber vor allem in Verfahren nach dem Billigstbieterprinzip zur Auftragserteilung verholfen werden. In wenigen Fällen habe dieser Vorgang auch umgekehrt stattgefunden. Von dieser Vorgangsweise seien Aufträge von privaten und von öffentlichen Auftraggebern bei Vergabeverfahren betreffend Bauaufträge im Unterschwellenbereich, also für Auftragsvergaben mit einem geschätzten Auftragswert von unter EUR 5,225 Mio, betroffen gewesen. In diesem Bereich seien nach dem BVergG Direktvergaben oder Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung bis zu einem geschätzten Auftragswert von EUR 100.000,--, Direktvergaben mit vorheriger Bekanntmachung bis zu einem geschätzten Auftragswert von EUR 500.000,-- und nicht offene Verfahren ohne öffentliche Bekanntmachung bis zu einem geschätzten Auftragswert von EUR 1 Mio möglich. In der Praxis würden derartige Ausschreibungen als „beschränkte Ausschreibungen“ bezeichnet. Sie seien dadurch charakterisiert, dass nur zur Angebotslegung durch den Auftraggeber eingeladene Unternehmen teilnehmen könnten, eine Verpflichtung zur öffentlichen Bekanntmachung fehle und ein großer Ermessensspielraum seitens des Auftraggebers bestehe, ob er ein Unternehmen direkt beauftrage oder nur wenige – idR 3 bis 5 – Vergleichsangebote vor Auftragserteilung einhole. Nach dem Branchengebrauch fielen die Direktvergabe, das Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung sowie das nicht offene Verfahren ohne vorherige Bekanntmachung jedenfalls unter den Begriff der „beschränkten Ausschreibung“, weiters auch Ausschreibungen von privaten Auftraggebern, die diese in Form von Einladungsverfahren organisierten.

Bei folgenden Bauvorhaben seien derartige Absprachen erfolgt:

1. Dachgeschossausbau Schönbrunner Schloss Straße 28 und 30, 1120 Wien;

2. Umbau Volksschule Weikersdorf, Radetzkystraße, 2500 Baden;

3. Koppstraße 86, 1160 Wien;

4. Universität Wien, Leitwarte, Universitätsring 1, 1010 Wien;

5. Feuerwehr Mariahilf, Gumpendorfer Gürtel 2, 1060 Wien;

6. Schule Kolonitzgasse 15, 1030 Wien;

7. Schule 23, Kirchenplatz 2-3, 1230 Wien;

8. Naschmarktgebäude Wien 6;

9. Otto Wagner Spital, Bereich West, Wien;

10. Wasagasse 22, 1090 Wien;

11. Raiffeisen Ware Austria, Projekt E, Korneuburg;

12. BORG Deutsch Wagram;

13. Bürozubau Gutscher Mühle, 3133 Traismauer;

14. Kindertagesheim Waldeckgasse 5-7, 1180 Wien;

15. Muthgasse 62, 1190 Wien;

16. Neubau Kirche Penzing;

17. Europeum Mariazell;

18. Kahlenbergstraße 26, Wien;

19. Bezirksbauernkammer Hollabrunn;

20. Bezirksmuseum, Karmelitergasse 9, 1090 Wien;

21. Bürogebäude Firma Berndorf, 2560 Berndorf;

22. Bezirksgericht Schwechat, Schlossstraße 7, 2320 Schwechat;

23. Landespolizeidirektion, Schottenring 7-9, 1010 Wien;

24. BRG Waltergasse 7, 1040 Wien.

Aus den Unterlagen, insbesondere den Texten und der Kürze der E-Mails, ergebe sich, dass zwischen der Antragsgegnerin und den einzelnen Mitbewerbern ein Grundverständnis bestanden habe, sich bei beschränkten Ausschreibungen vor Angebotsabgabe wechselseitig über das jeweilige Angebotsverhalten zu informieren und abzustimmen. Zu diesem Zweck habe die Antragsgegnerin konzertiert Angebotskalkulationen für Mitbewerber erstellt und übermittelt bzw von diesen erhalten, auf deren Basis die Deckangebote bei den ausschreibenden Stellen abgegeben worden seien. In den meisten Fällen könne die erfolgreiche Umsetzung der Absprache auch belegt werden. In einzelnen Fällen habe die Absprache ihr Ziel verfehlt, da eines der daran beteiligten Unternehmen nicht zur Angebotsabgabe eingeladen worden sei oder im Falle einer Einladung kein Angebot gelegt habe. Auch in diesen Fällen sei bereits durch die Versendung der vorgefertigten Angebotskalkulationen ein selbständiges und kompetitives Bieterverhalten der beteiligten Unternehmen verhindert worden. Auch durch die Nichtlegung eines kompetitiven Angebots könne das gleiche Ergebnis wie durch die Legung eines Deckangebots erreicht werden, da in beiden Fällen die Möglichkeit des Auftraggebers, zwischen auf Wettbewerb gerichteten Angeboten wählen zu können, eingeschränkt werde.

Bei diesen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen handle es sich um fortgesetzte Zuwiderhandlungen, die auf einem Gesamtplan beruhten und als Kernbeschränkungen unter den Katalog der bezweckten Wettbewerbsbeschränkungen fielen. Die Verjährungsfrist habe frühestens mit der Beendigung der Zuwiderhandlung im Juni 2014 zu laufen begonnen. Gemäß § 33 KartG sei noch keine Verjährung eingetreten.

Kernbeschränkungen in Form von Preisfestsetzung und Marktaufteilung seien explizit von der Bagatellkartellausnahme nach § 2 Abs 2 Z 1 KartG 2005 idgF ausgeschlossen. Dies gelte auch für die Bagatellausnahme nach § 2 Abs 2 Z 1 KartG 2005 idF vor dem KaWeRÄG 2012, da der relevante Markt durch das jeweilige Vergabeverfahren gebildet und bei beschränkten Ausschreibungen nur eine eng begrenzte Anzahl von Unternehmen zur Angebotslegung eingeladen werde. Damit entsprächen die Teilnehmer an den jeweiligen Zuwiderhandlungen jeweils einem Anteil von mehr als 5% der zu den Ausschreibungen eingeladenen Unternehmen.

Im Hinblick auf den Jahresumsatz der Antragsgegnerin im Bereich Trockenbau im Unterschwellenbereich, den Umsatz, der von der Antragsgegnerin mit den von den Zuwiderhandlungen betroffenen Bauvorhaben erzielt worden sei, die Schwere der Rechtsverletzung, die Anzahl der betroffenen Bauvorhaben, den Umstand, dass die Antragsgegnerin in besonders wenigen Fällen die Zuwiderhandlung durch die Übermittlung von Angebotskalkulationen initiiert habe, und die Tatsache, dass die Antragsgegnerin durch die Zuwiderhandlung lediglich den Zuschlag für ein Bauvorhaben mit einer Auftragssumme von weniger als EUR 10.000,-- erhalten habe, sei eine Geldbuße von EUR 60.000,-- angemessen. Da die Antragsgegnerin die wesentlichen Sachverhaltselemente des Kartellverstoßes außer Streit gestellt habe, sei ein Nachlass von 20% für die Reduktion des Verfahrensaufwands durch die einvernehmliche Verfahrensbeendigung zu gewähren. Daher werde beantragt, eine Geldbuße in Höhe von EUR 48.000,-- zu verhängen.

Der Bundeskartellanwalt trat dem Vorbringen und dem Antrag der BWB bei.

Die Antragsgegnerin stellte den von der Antragstellerin vorgebrachten Sachverhalt außer Streit und sprach sich nicht gegen die Höhe der beantragten Geldbuße aus.

Da gegen die Richtigkeit der Außerstreitstellungen, die mit den von der BWB vorgelegten Urkunden Beilagen. /A bis ./Q2 im Einklang stehen, keine Bedenken bestehen, waren iSd § 33 Abs 1 AußStrG iVm § 38 KartG keine weiteren Erhebungen durchzuführen.

Rechtlich ergibt sich daraus Folgendes:

Der BWB ist beizupflichten, dass das zwischen der Antragsgegnerin und ihren Mitbewerbern im Zeitraum Juni 2011 bis Juni 2014 etablierte System eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung darstellt. Der Antragsgegnerin wurden von Mitbewerbern per E-Mail fertige Angebotskalkulationen für bestimmte Bauvorhaben übermittelt, die preislich über jenem Angebot lagen, das der Mitbewerber selbst an die ausschreibende Stelle abzugeben beabsichtigte. Durch die Abgabe des höheren Angebots durch die Antragsgegnerin sollte dem Mitbewerber zur Auftragserteilung verholfen werden. In wenigen Fällen übermittelte die Antragsgegnerin Angebotskalkulationen an Mitbewerber, damit diese der Antragsgegnerin durch Abgabe eines Deckangebots zur Auftragserteilung verhelfen.

Durch diese Koordinierung des Angebotverhaltens bei Vergabeverfahren mit Wettbewerbern erreichte die Antragsgegnerin eine Reduktion des Bieterwettbewerbs. Dies stellt als Preisabsprache und Aufteilung von Märkten bzw Kunden einen Verstoß gegen die Bestimmungen des § 1 Abs 2 Z 1 und Z 3 KartG dar.

Hiebei handelt es sich um Kernbeschränkungen, deren unmittelbare Auswirkung auf den Markt nicht geprüft werden braucht. Die Verhaltensweisen der Antragsgegnerin widersprechen auch den Zielsetzungen, die hinter der Einleitung eines Vergabeverfahrens oder einer Ausschreibung stehen. So sind nach § 19 BVergG Vergabeverfahren ua „entsprechend den Grundsätzen des freien und lauteren Wettbewerbs“ durchzuführen. Dafür ist die Einhaltung des Grundsatzes des geheimen Wettbewerbs unverzichtbare Voraussetzung.

Ein Freistellungs- bzw. Rechtfertigungsgrund nach § 2 KartG wurde nicht behauptet und ist nicht erkennbar.

Ein Bagatellkartell liegt nicht vor. Dies ergibt sich für jene Sachverhalte, die sich nach dem 1.3.2013 ereignet haben, bereits aus § 2 Abs 2 Z 1 KartG idF KaWeRÄG 2012. Nach dieser Bestimmung sind Kernbeschränkungen, so auch Preisfestsetzungen und Marktaufteilungen, explizit von der Bagatellausnahme ausgeschlossen.

Für die den Zeitraum vor dem 1.3.2013 betreffenden Verhaltensweisen ist davon auszugehen, dass im Hinblick auf den geringen Kreis der Teilnehmer an beschränkten Ausschreibungen diesen ein Marktanteil von mehr als 5% bzw. 25% zukommt. Da bei beschränkten Ausschreibungen nur eine bestimmte und begrenzte Anzahl von Unternehmen zur Legung eines Angebots eingeladen wird, stellen nicht eingeladene Unternehmen keine alternativen Anbieter dar und stehen mit den eingeladenen Unternehmen nicht im Wettbewerbsverhältnis. Die Marktabgrenzung hat daher in diesem Fall nicht wie bei einem offenen Vergabeverfahren zu erfolgen, wo auf den Kreis jener Unternehmer abzustellen ist, die in der Lage sind, die ausgeschriebenen Leistungen zu erbringen, unabhängig davon, ob sie sich bei einer konkreten Ausschreibung beworben haben oder nicht (16 Ok 6/12). Vielmehr besteht bei beschränkten Ausschreibungen der Markt aus denjenigen Unternehmen, die durch die ausschreibende Stelle zur Angebotslegung eingeladen wurden. Die Bagatellregelung des § 2 Abs 2 Z 1 KartG idF vor dem KaWeRÄG 2012 ist daher ebenfalls nicht anwendbar.

Eine Verjährung wurde von der Antragsgegnerin nicht eingewendet und liegt im Hinblick auf § 33 KartG nicht vor, da die Verjährungsfrist ab dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, an dem die Rechtsverletzung insgesamt beendet wurde (16 Ok 2/15b).

Ob allenfalls eine höhere als die von der BWB beantragte Geldbuße in Frage käme, ist im Hinblick darauf, dass das Kartellgericht nach § 36 Abs 2 letzter Satz KartG keine höhere Geldbuße verhängen darf als beantragt, nicht zu prüfen.

Eine niedrigere Geldbuße als die von der BWB beantragte Summe, die bei einem Umsatz der gesamten Perchtold Gruppe im vorangegangenen Geschäftsjahr in Höhe von EUR 24,3 Mio rund 0,2% des Höchstbetrags nach § 29 Z 1 KartG 2005 entspricht, kommt angesichts der Schwere und Dauer des Verstoßes aus spezial- und generalpräventiven Erwägungen nicht in Betracht.“


Ausdruck vom: 16.04.2024 11:22:36 MESZ