Veröffentlichung gemäß § 37 Kartellgesetz
Entscheidung des Kartellgerichts
Kategorie:
Kartell
Aktenzeichen:
24 Kt 8/22i
Fall:
Bundeswettbewerbsbehörde
Bundeskartellanwalt
Gebrüder Haider Bauunternehmung Gesellschaft m.b.H.
Gebrüder Haider & Co Hoch- und Tiefbau GmbH
Haider & Co Hoch- und Tiefbau GmbH
Bauwirtschaft
horizontale Preis- und Ausschreibungsabsprache
Submissionskartell
Informationsaustausch
Bekannt gemacht am:
02.07.2024
Entscheidungsdatum:
10.11.2023
B e s c h l u s s
Über die Antragsgegnerinnenwird für die im Zeitraum von April 2010 bis Oktober 2017, bei den Erst- undDritt- antragsgegnerinnen darüber hinaus für die im Zeitraum von Juli 2002 bis März 2010erfolgte Teilnahme an einereinheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung gegen § 1 Abs 1 KartG und Art 101 AEUV in Form von kartellrechtswidrigen Preisabsprachen, Marktaufteilungen und Informationsaustausch mit Wettbewerbern in Bezug auf öffentliche und private Ausschreibungen im Bereich Hoch- und Tiefbau in weiten Teilen Österreichs gemäß § 29 Z 1 lit a und d KartG eine Geldbuße von EUR 3,51 Mio verhängt, für die die Erst-, Dritt- und Fünftantragsgegnerinnenzur ungeteilten Hand haften.
Begründung:
Die Antragstellerin zog mit Schriftsatz vom 2.5.2023 den Antrag auf Verhängung einer Geldbuße gegen die Zweit- und Viertantragsgegnerin zurück.
Die verbleibenden Erst-, Dritt- und Fünftantragsgegnerinnen werden in der Folge weitestgehend als „Antragsgegnerinnen“ bezeichnet.
Vorbringen:
Die Bundeswettbewerbsbehörde beantragte eine Geldbuße wie aus dem Spruch ersichtlich. Angesichts der regionalen und zeitlichen Ausprägung sowie der persönlichen Involvierung auf Unternehmensebene an der Gesamtzuwiderhandlung und der letztlich einvernehmlichen Verfahrensbeendigung sei eine Geldbuße von EUR 3,51 Millionen angemessen. Die Höhe der beantragten Geldbuße werde aus general- und spezialpräventiven Gründen als ausreichend eingeschätzt.
Der Bundeskartellanwalt schloss sich dem Antrag an.
Die Antragsgegnerinnen stellten den im Antrag vorgebrachten Sachverhalt außer Streit bzw bestritten ihn nicht und traten der rechtlichen Beurteilung der Bundeswettbewerbsbehörde nicht entgegen. Die Antragsgegnerinnen gestanden ihre unmittelbare Beteiligung an 201 Bauvorhaben zu. Bezüglich anderer Bauvorhaben sei eine Teilnahme nicht auszuschließen, jedoch auch nicht zu bestätigen.
Fest steht:
A. Antragsgegnerinnen und Umsatz:
Die Erstantragsgegnerin ist eine Kapitalgesellschaft mit Sitz in Nr. 40, 4463 Groß Raming. Das angebotene Leistungsspektrum der Erstantragsgegnerin beinhaltet etwa Straßen‑, Beton‑ und Brückenbau, Abbruch‑ und Sprengarbeiten bis hin zur Errichtung von Wasserkraftwerken. 100 % Anteile an der Erstantragsgegnerin werden von natürlichen Personen gehalten.
Die Drittantragsgegnerin ist eine Kapitalgesellschaft mit Sitz in Industriestraße Ost 3, 8605 Kapfenberg. Das angebotene Leistungsspektrum von der Drittantragsgegnerin beinhaltet etwa Industrie‑ und Hallenbau, Kraftwerks‑ und Wasserbau, Kläranlagen und kommunalen Siedlungswasserbau, Brückenbau sowie Tief‑ und Ingenieurbau. 100 % der Anteile an der Drittantragsgegnerin werden seit 2021 von der Gebrüder Haider Beteiligungs‑GmbH gehalten.
Die Fünftantragsgegnerin ist eine Kapitalgesellschaft mit Sitz Im Lichtweg 2, 9251 Wernberg bei Villach. Sie ist im Bereich Hochbau und Revitalisierung, Tiefbau und Ingenieurbau, Dachdecker und Spengler, Fassaden und Denkmalpflege sowie Bauunternehmer und Bauträger tätig. Erst per 1.4.2010 entfaltete die Fünftantragsgegnerin eine operative Tätigkeit im Bereich der Bauwirtschaft.
Der im Geschäftsjahr 2016/2017 im Bereich Straßenbau erzielte Umsatz in Österreich betrug hinsichtlich der Erst‑, Dritt‑ und Fünftantragsgegnerin gemeinsam EUR [..]Mio. Der [] Umsatz im Jahr 2016/2017 betrug EUR [...] Mio. Im abgeschlossenen Geschäftsjahr 2021/2022 erzielten die verbliebenen Antragsgegnerinnen einen Umsatz in Höhe von EUR [...] Mio. Für 2022/2023 können EUR [...] Mio erwartet werden.
B. Betroffener Wirtschaftszweig: Bauwirtschaft bzw Baugewerbe:
Bei dem von der Gesamtzuwiderhandlung betroffenen Wirtschaftszweig handelt es sich um die Bauwirtschaft bzw das Baugewerbe. Dieser Wirtschaftszweig ist eine traditionelle Säule der heimischen Wirtschaft und umfasst die Planungs- und Ausführungsleistungen an Bauwerken. Bauwerke sind Objekte, deren fachgerechte Herstellung ein wesentliches Maß an bautechnischen Kenntnissen erfordert und die mit dem Boden kraftschlüssig verbunden sind. Dazu zählen etwa oberirdische Strukturen wie Gebäude, darunter Wohnbauten, Gesundheitsbauten, Schulbauten oder Verwaltungsbauten. Darüber hinaus werden auch Verkehrsbauwerke wie Gehwege, Fußgängertunnel, Straßenbauwerke oder Bauwerke für den Schienenverkehr unter den Begriff Bauwerk subsumiert.
Der Hochbau als Gegensatz zum Tiefbau ist jener Sektor der Bauwirtschaft, der sich mit der Planung und Errichtung von Bauwerken befasst, die mehrheitlich oberhalb der Geländelinie liegen. Im Hochbau werden grundsätzlich folgende Kategorien an Bauwerken unterschieden: Wohnungsbau, Verwaltungsbau, Gebäude für das Gesundheitswesen, Gebäude für Lehre und Forschung, Stadthallen, Bürgerzentren, Museen, Theater, Sportstätten, Freizeitanlagen, Einkaufszentren, Kaufhäuser und Industrie- und Produktionsgebäude. Damit fallen Wohngebäude, aber auch Büro- und große Industriegebäude sowie Wasserversorgungs-, Kanal- und Entwässerungsanlagen in den Bereich Hochbau. Keller und in den Boden eingelassene Fundamente gehören grundsätzlich nicht mehr zum Hochbau.
Der Tiefbau umfasst jene Bauwerke, die auf oder unter der Geländelinie errichtet werden. Damit sind nicht nur Fundamente bzw die Gründung eines Bauwerks vom Tiefbau erfasst, sondern auch der Straßen-, der Eisenbahn-, Stollen- und Tunnelbau sowie der Erdbau, bei dem Boden abgetragen, bewegt und am Ende wieder verdichtet wird. Auch die Errichtung von Versorgungs- und Entsorgungsnetzen, wie Kanalisationen und Staudämmen ist dem Tiefbau zuzurechnen. Brücken werden auch dem Verkehrswegebau zugerechnet. Zum Tiefbau zählen grundsätzlich folgende Kategorien an Bauwerken: Grundbau bzw Fundamente, Verkehrswegebau, Kanalbau, Erdbau, Brückenbau, Tunnelbau, Wasserbau, Spezialtiefbau und Siedlungswasserwirtschaft.
Der Straßenbau als Teilbereich des Tiefbaus umfasst die Planung, die Herstellung und die Erhaltung von Straßen und Wegen für den Fuß- und Fahrzeugverkehr. Gegenstand des Straßenbaus sind Autobahnen und Schnellstraßen, Gemeinde- und Landesstraßen sowie Fußgänger- und Radwege. Da Österreich insbesondere über ein vergleichsweise dichtes Autobahn- und Schnellstraßennetz verfügt, nimmt der Straßenbau naturgemäß einen besonderen Stellenwert in der Bauwirtschaft ein.
C. Gesamtzuwiderhandlung
1. Allgemeines:
Die Gesamtzuwiderhandlung betraf ein österreichweites Kartell, an dem über 50 Bauunternehmen in unterschiedlichem Ausmaß beteiligt waren. Der Grad der Beteiligung variierte je nach Zeitraum, Region und Art des Bauvorhabens, wobei jedes einzelne der unten genannten Bauunternehmen im Rahmen ihres jeweiligen zeitlichen, regionalen und sachlichen Tätigkeitsbereiches zur Aufrechterhaltung und Funktionsfähigkeit der Gesamtzuwiderhandlung beigetragen hat.
Folgende Bauunternehmen sind als Hauptbeteiligte an der Gesamtzuwiderhandlung zu qualifizieren (die Reihung erfolgt alphabetisch):
1) Alpine Holding GmbH, 5071 Wals bei Salzburg, Alte Bundesstraße 10, und damit verbundene Unternehmen und Vorgängerunternehmen (2013 infolge Konkurs aufgelöst, die Unternehmensteile wurden von verschiedenen Bauunternehmen übernommen; „Alpine“);
2) Bauunternehmung Granit GmbH, 8025 Graz, Feldgasse, 14 („Granit“), einschließlich Klöcher Baugesellschaft m.b.H., 7400 Oberwart, Ing. Thomas Wagnerstraße 10/4 („Klöcher“);
3) HABAU Hoch- und Tiefbaugesellschaft m.b.H., 4320 Perg, Greiner Straße 63, und damit verbundene Unternehmen („Habau“), ua Held & Francke Baugesellschaft („H&F“), ÖSTU-STETTIN Hoch- und Tiefbau GmbH („Östu-Stettin“) und Straka Bau GmbH („Straka“);
4) Kostmann GesmbH, 9433 St. Andrä, Burgstall 44;
5) Pittel+Brausewetter Holding GmbH, 1041 Wien, Gußhausstraße 16 („Pittel“);
7) PORR AG, PORR Bau GmbH, beide 1100 Wien, Absberggasse 47, und damit verbundene Unternehmen („Porr“), ua auch TEERAG-ASDAG GmbH, TEERAG-ASDAG Bau GmbH, TEERAG-ASDAG Hochbau Burgendland GmbH (gemeinsam: „Teerag-Asdag“), G. Hinteregger & Söhne Baugesellschaft m.b.H. („Hinteregger“), Erhard Mörtl Baugesellschaft („Mörtl“) und Prajo & Co GmbH („Prajo“);
7) STRABAG AG, 1220 Wien, Donau-City-Str. 9, und damit verbundene Unternehmen („Strabag“); sowie
8) Swietelsky AG (zuvor Swietelsky Baugesellschaft m.b.H.), 4020 Linz, Edlbacherstraße 10 („Swietelsky“), einschließlich Kontinentale Baugesellschaft m.b.H. („Kontinentale“) und C.PETERS Baugesellschaft m.b.H. („C. Peters“).
Die Antragsgegnerinnen sind aufgrund der geringeren Intensität ihrer Beteiligung nicht als Hauptbeteiligte der Gesamtzuwiderhandlung zu betrachten.
Beinahe sämtliche Sparten der Bauwirtschaft im Bereich Hoch- und Tiefbau waren von der Gesamtzuwiderhandlung betroffen, wobei der Straßenbau als Teil des Tiefbaus eine besondere Rolle spielte. In diesem Zusammenhang ist es etwa zu Preisabsprachen, Marktaufteilungen bzw der Aufteilung von Bauvorhaben, Austausch wettbewerbssensibler Informationen (zB Abstimmungen über zukünftiges Verhalten bei Angebotsabgaben) und der Bildung kartellrechtswidriger Arbeits- und Bietergemeinschaften (ARGE und BIEGE) gekommen. Die Gesamtzuwiderhandlung erstreckte sich von zumindest Juli 2002 bis Oktober 2017 nahezu auf das gesamte österreichische Bundesgebiet und betraf eine hohe Anzahl an Bauvorhaben.
Die Antragsgegnerinnen waren an dieser Gesamtzuwiderhandlung beteiligt, wobei sich die gesetzten unmittelbaren kartellrechtswidrigen Handlungen insbesondere auf die Bundesländer Niederösterreich, Kärnten und Steiermark in einem Zeitraum von April 2010 bis Oktober 2017, bei der Erst‑ und Drittantragsgegnerin darüber hinaus auch auf den Zeitraum 2002 bis März 2010 bezog.
2. Ziel der Gesamtzuwiderhandlung:
Bei den nachstehend aufgezeigten wettbewerbsbeschränkenden Handlungen ging es den beteiligten Bauunternehmen darum, den Wettbewerb zu minimieren oder auszuschließen, um sich gegenseitig zur Erteilung von Aufträgen zu verhelfen und sich so unter anderem Marktanteile bzw eine kontinuierliche Auslastung zu sichern. Um dieses Ziel zu erreichen, stimmten sie bei einer Vielzahl an betroffenen Bauvorhaben ihre Preise und ihr Verhalten bei Angebotsabgaben ab. So verzichteten die Bauunternehmen bei den betroffenen Bauvorhaben bewusst auf die Abgabe wettbewerbsfähiger Angebote, indem sie entweder kein Angebot oder ein bewusst überhöhtes Angebot („Deckangebot“ oder auch „Fahne“) abgaben („Zurückstehen“). Darüber hinaus tauschten sie in Bezug auf betroffene Bauvorhaben wettbewerbssensible Informationen aus, etwa das zukünftige Verhalten bei Angebotsabgaben.
Die wettbewerbsbeschränkenden Handlungen basierten auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit in der Erwartung, dass der Zurückstehende bei späteren Aufträgen selbst durch entsprechendes Verhalten der anderen beteiligten Bauunternehmen zum Auftrag gelangt und so insgesamt alle beteiligten Bauunternehmen vom mangelnden Wettbewerb profitieren. Dieses Prinzip wurde zum Teil durch die Vereinbarung eines Ausgleichs verstärkt (wobei die gegenseitigen Forderungen häufig saldiert bzw durch Arbeitsabtausch ausgeglichen wurden; in Einzelfällen kam es auch zu Ausgleichszahlungen).
So entstand ein nahezu österreichweites, gewachsenes, allgemein etabliertes Kollusionssystem, mit dem sich die Unternehmen über das jeweilige Angebots- und Marktverhalten abstimmten bzw informierten, um in weiterer Folge das eigene Marktverhalten bei den betroffenen Ausschreibungen daran anzupassen.
Dieses Kollusionssystem ist als ein einheitliches Gesamtsystem zu betrachten. Dieses System zeigt sich nicht zuletzt anhand der Häufigkeit und dem Selbstverständnis der Abstimmungspraxis: Die Antragsgegnerinnen und die weiteren an der Gesamtzuwiderhandlung beteiligten Unternehmen stimmten - in unterschiedlichem Ausmaß - über einen langen Zeitraum wiederkehrend und im Grundverständnis, sich jederzeit kontaktieren zu können, ihr Verhalten in Bezug auf eine Vielzahl betroffener Bauvorhaben aufeinander ab und sprachen wesentliche Wettbewerbsparameter ab.
Dabei verfolgten die beteiligten Unternehmen den einheitlichen Zweck, sich gegenseitig zur Erteilung von Aufträgen zu verhelfen, ohne oder zumindest nur in einem geringeren Ausmaß befürchten zu müssen, von einem günstigeren Angebot im Wettbewerb unterboten zu werden. Damit wurde über weite Strecken der Wettbewerb zwischen den beteiligten Bauunternehmen von vornherein ausgeschaltet und der Zweck von Ausschreibungen unterwandert.
Diese Verhaltensweisen wurden innerhalb eines Unternehmens über viele Jahre hinweg an nachfolgende Mitarbeiter weitergegeben („vererbt“) und bei Arbeitsplatzwechsel von einem Unternehmen zum nächsten mitgenommen.
Das Kollusionssystem bestand dabei aus verschiedenen komplexen Elementen, die es den beteiligten Unternehmen ermöglichten, auf regionale Gegebenheiten bzw Unterschiede in den einzelnen Bausparten flexibel einzugehen und damit die Gesamtzuwiderhandlung nahezu österreichweit (in unterschiedlicher Intensität) wirksam umzusetzen. All den Umsetzungshandlungen und Instrumenten ist jedoch ein gemeinsames Ziel immanent, nämlich den Wettbewerb zu minimieren bzw auszuschließen, um die Erteilung von Aufträgen zu beeinflussen und sich so ua Marktanteile bzw eine kontinuierliche Auslastung zu sichern.
3. Elemente der Gesamtzuwiderhandlung:
Im Rahmen dieser Gesamtzuwiderhandlung wurden zwischen den beteiligten Unternehmen vielfach die in Ausschreibungen abzugebenden Preise vereinbart oder abgestimmt. Es wurde auch besprochen, dass ein Wettbewerber überhaupt kein Angebot legen wird. Bei den betroffenen Bauvorhaben kamen die beteiligten Bauunternehmen so etwa überein, welche Angebotssumme der designierte Auftragsempfänger anbietet. Die restlichen beteiligten Unternehmen boten in der Folge entweder zu einem höheren Preis oder gar nicht an. Oftmals kontaktierte der Initiator der Preisabsprache die zurückstehenden Wettbewerber und ließ ihnen fertige, höhere Leistungsverzeichnisse bzw vorausgefüllte Angebotsunterlagen (Deckangebote) zukommen, um den zeitlichen und finanziellen Aufwand der Mitbewerber bei der Angebotserstellung zu reduzieren.
Von den beteiligten Unternehmen wurde auch die Aufteilung von Märkten bzw Bauvorhaben besprochen. Teilweise erfolgte eine Aufteilung von Bauvorhaben auf der Grundlage von Quoten (von manchen beteiligten Unternehmen als „fixer Schlüssel“ bezeichnet), die den (historischen) Marktanteilen der jeweiligen beteiligten Unternehmen entsprachen. Darüber hinaus herrschte in manchen Regionen Einigkeit darüber, welches Bauunternehmen für Ausschreibungen in welchem Gebiet zuständig war. Die anderen beteiligten Bauunternehmen standen bei diesen Ausschreibungen zurück.
Neben den beschriebenen Preisabsprachen und Marktaufteilungen bzw Aufteilung von Bauvorhaben kam es begleitend auch zu einem laufenden Austausch wettbewerbssensibler Informationen, wie zB über das zukünftige Verhalten bei Angebotsabgaben oder Kostenschätzungen von Mitbewerbern.
Im Rahmen der Gesamtzuwiderhandlung wurden fallweise ARGE als Deckmantel für wettbewerbsbeschränkende Handlungen genutzt. So wurden ARGE gegründet, die für die Bauunternehmen objektiv nicht notwendig waren, um an der jeweiligen Ausschreibung teilnehmen zu können, und nur als „Schnittstelle“ für die Festsetzung eines gemeinsamen Angebotspreises und die Aufteilung des Auftrages dienten.
Zur Umgehung der Vorgaben des Auftraggebers in Bezug auf die Höchstzahl der zugelassenen ARGE-Partner kam auch die Beteiligung eines Bauunternehmens an einer ARGE als „stiller Partner“ („stille ARGE“) vor. In diesem Fall traten nicht alle ARGE-Partner als solche nach außen und gegenüber dem Auftraggeber in Erscheinung, waren aber im Innenverhältnis Beteiligte der ARGE.
4. Umsetzung der Gesamtzuwiderhandlung durch wettbewerbswidrige bi- und multilaterale Kontakte:
Typischerweise wurde zwischen den Antragsgegnerinnen und ihren Mitbewerbern schriftlich, telefonisch oder im Rahmen von persönlichen Treffen abgestimmt, wer den Zuschlag für ein bestimmtes Bauvorhaben erhalten oder wie die Zuschlagserteilung für mehrere Bauvorhaben erfolgen soll.
Abhängig vom Zeitpunkt der Ausschreibung und je nach Bedarf wurden etwa ein- oder mehrmals im Jahr zwischen den beteiligten Unternehmen Gesprächsrunden organisiert. Diese fanden zumeist in einer der Niederlassungen der an den konkreten Absprachen beteiligten Unternehmen statt. Im Rahmen dieser Gesprächsrunden wurde das Unternehmen, das den Auftrag für ein bestimmtes Bauvorhaben erhalten sollte, und dessen Abgabepreis festgelegt. Zum Teil wurden auch die Abgabepreise der zurückstehenden Wettbewerber vom designierten Auftragsempfänger vorgegeben („Preisvorgabe“).
Ergänzend zu den genannten größeren Gesprächsrunden, aber auch unabhängig davon, wurden unter den Mitbewerbern auch bilaterale Gespräche zu wettbewerbssensiblen Themen geführt. Bilaterale Kontakte fanden in Räumlichkeiten der Niederlassungen der an der Gesamtzuwiderhandlung beteiligten Unternehmen oder außerhalb dieser (zB auf Autobahnraststationen, Tankstellen, in Lokalen oder auf Baustellen) statt. Die kartellrechtswidrigen bilateralen Kontakte wurden unter anderem dazu genutzt, um sich bei Mitbewerbern über die Interessenslage hinsichtlich bestimmter Bauvorhaben zu informieren bzw konkrete Vorgehensweisen zu vereinbaren.
Nach einer bilateralen Vereinbarung wurden zum Teil auch weitere Wettbewerber kontaktiert und ebenso miteinbezogen, indem diese etwa zum Zurückstehen bei einer bestimmten Ausschreibung aufgefordert wurden.
Zu kartellrechtswidrigen bilateralen Kontakten kam es auch oft im Rahmen von notwendigen Kontakten bei laufenden ARGE oder sonstigen Kooperationen wie zB Asphaltmischwerken, aber auch am Rande von Veranstaltungen der Bauwirtschaft (zB Veranstaltungen der GESTRATA-Gesellschaft zur Pflege der Straßenbautechnik mit Asphalt).
Bei der Umsetzung von Preisabsprachen spielte darüber hinaus die Übermittlung von Deckangeboten eine wichtige Rolle. Jenes Unternehmen, das in Übereinstimmung mit den weiteren konkret beteiligten Unternehmen zum Zug kommen sollte, übermittelte fertige, höhere Leistungsverzeichnisse bzw vorausgefüllte Angebotsunterlagen (Deckangebote, auch als „Fahne“, „Ente“ oder „0-Lauf“ bezeichnet) an die übrigen Mitbewerber in Form eines Datenträgers per E-Mail/Fax oder übergab diese persönlich. Die zurückstehenden Mitbewerber gaben sodann diese Deckangebote zum Schein als von ihnen eigens kalkulierte Angebote ab. Diese Umsetzungshandlung zielte dabei insbesondere darauf ab, die Auftragserteilung an einen zuvor bestimmten Mitbewerber so weit wie möglich zu gewährleisten und so das Risiko des Wettbewerbs zu minimieren oder auszuschließen.
In handschriftlichen Aufzeichnungen wurde immer wieder ein Fahnensymbol oder das Wort „Fahne“ als Kennzeichen für die Übermittlung eines Deckangebotes verwendet.
Wesentlich bei der Umsetzung der Gesamtzuwiderhandlung waren auch Kontakte zwischen Wettbewerbern im Rahmen der Zusammenarbeit in Asphaltmischwerken, die aufgrund ihrer Zulieferfunktion eine zentrale Rolle im Straßenbau spielen. Kartellrechtswidrige Handlungen, die den Straßenbau betrafen, erfolgten daher auch im Rahmen der Zusammenarbeit von Mitbewerbern in Asphaltmischwerken, die oft als Gemeinschaftsanlagen geführt werden. In der Regel trafen die an den wettbewerbsbeschränkenden Handlungen beteiligten Unternehmen entsprechend des in Prozent festgelegten Marktanteils am Mischgutverbrauch (angegeben in Mischguttonnen) eine Einigung darüber, welcher Mitbewerber für welche Bauvorhaben die Auftragserteilung erhalten sollte.
5. Instrumente zur Aufteilung von Bauaufträgen:
Ein Instrument zur Aufteilung von Bauaufträgen war die Organisation mittels Bieterrotation. Dabei kamen Wettbewerber überein, dass sie hinsichtlich bestimmter Bauvorhaben wechselseitig zum Zug kommen und sich dabei gegenseitig durch die Abgabe von höheren Deckangeboten oder gänzliches Verzichten auf eine Angebotslegung unterstützen. Bieterrotationen kamen auch im Sinne eines von den Bauunternehmen so bezeichneten „Kampfschutzes“ oder „Vollschutzes“ zur Anwendung. Beim „Vollschutz“ wurde bei einer Abstimmung für ein Bauvorhaben versucht, eine Abstimmung sämtlicher Bieter zu erreichen. Der „Kampfschutz“ beschränkte sich demgegenüber auf einen kleineren Kreis von Mitbewerbern (in der Regel vier oder fünf), die in Bezug auf bestimmte Projekte ihre Angebote abstimmten.
Ein weiteres Instrument zur Aufteilung von Bauaufträgen waren sog interne Angebotsöffnungen (auch „interne Submissionen“ genannt), bei denen die Mitbewerber vor der offiziellen Angebotsabgabe ihre („internen“) Angebotspreise untereinander offenlegten. Dieses Vorgehen diente als Mittel der Entscheidungsfindung, welches der beteiligten Unternehmen den Auftrag bei der tatsächlichen Ausschreibung erhalten sollte.
Für die Aufteilung von Aufträgen wurde zum Teil auch ein sogenannter „fixer Schlüssel“, dh eine Quote vereinbart, die jedem beteiligten Unternehmen zustand. Der „fixe Schlüssel“ richtete sich dabei in der Regel nach den geschätzten Marktanteilen oder orientierte sich insbesondere im Straßenbau an der geschätzten Gesamtmenge des zu verbauenden Asphaltmischguts pro Jahr.
6. Kartellstabilisierende Maßnahmen:
Die Gesamtzuwiderhandlung wurde regelmäßig durch stabilisierende Mechanismen ergänzt. Dazu zählte etwa die Abrechnung anhand eines „Punktesystems“: War ein größerer Teilnehmerkreis betroffen, der regelmäßig in verschiedenen Ausschreibungsverfahren aufeinandertraf, wurde mithilfe der Zuordnung von „Punkten“/„Anteilen“/„Prozenten“ sichergestellt, dass die Zuschlagserteilung nach einem „fairen Schlüssel“ unter den Mitbewerbern (oft anhand der bestehenden Marktanteile) erfolgte. Einige der beteiligten Unternehmen führten Aufzeichnungen über die sich aus diesem Punktesystem ergebenden „Forderungen und Verbindlichkeiten“ gegenüber den anderen Beteiligten (auch als „Kontokorrentverhältnis“ bezeichnet). Die erworbenen „Punkte“ bzw Verbindlichkeiten wurden zwischen den Mitbewerbern aufgerechnet (saldiert) und zumeist vom Kreis der beteiligten Bauunternehmen durch die Verteilung von Aufträgen abgegolten (sog „Arbeitsaustausch“). Vereinzelt wurden diese Verbindlichkeiten auch monetär ausgeglichen.
Zurückstehende Mitbewerber wurden zum Teil auch mit „Ausgleichsleistungen“ entlohnt, wie etwa mit Subaufträgen (zB im Sinne einer „Beteiligung“ am Bauvorhaben), Arbeitsabtausch, Bildung einer (offenen oder „stillen“) ARGE, der Lieferung oder Abnahme von Leistungen unter bevorzugten Konditionen, beispielsweise Asphaltmischgut, sonstiges Material oder Geräte, oder den Bezug von größeren Abnahmemengen von Asphaltmischgut oder Beton. In den meisten Fällen erfolgte die Ausgleichsleistung durch den Abtausch gegen andere Bauvorhaben („Arbeitsabtausch“).
Es kam auch vor, dass Punkte und Ausgleichsleistungen, wie Ausgleichszahlung und Arbeitsabtausch, gemeinsam vereinbart wurden, je nachdem, was die konkret beteiligten Unternehmen für das Zurückstehen verlangten.
D. Unmittelbare Beteiligung der Antragsgegnerinnen an der Gesamtzuwiderhandlung:
1. Liste abgesprochener Bauvorhaben:
Insgesamt waren die Antragsgegnerinnen bei jedenfalls 201 Bauvorhaben unmittelbar beteiligt, wobei der Großteil dieser Bauvorhaben den Straßenbau in Niederösterreich betraf. Die Beteiligung an weiteren Bauvorhaben ist nicht ausschließ-, jedoch auch nicht feststellbar. Im Anschluss an die aufgelisteten Bauvorhaben werden die konkreten Handlungen unter unmittelbarer Beteiligung der Antragsgegnerinnen dargestellt. Die Handlungen wurden von vertretungsbefugten Personen der Antragsgegnerinnen in dem Bewusstsein, sich unrechtmäßig zu verhalten, vorgenommen. Der Unternehmensleitung war bewusst, dass diese Verhaltensweisen untersagt sind und sie hat die notwendige Vorsicht außer Acht gelassen, für eine Verhinderung zu sorgen.
Niederösterreichische Landesregierung
Straßenbauausschreibungen
Bei den Ausschreibungen der Straßenbauabteilungen des Amtes der Niederösterreichischen Landesregierung ist es in Umsetzung der Gesamtzuwiderhandlung zu langjährigen Preisabsprachen, Marktaufteilungen und Austausch über zukünftiges Abgabeverhalten gekommen. Daran haben sich auch die Antragsgegnerinnen in untergeordneter Rolle in Umsetzung der Gesamtzuwiderhandlung beteiligt. Die Praxis wurde von den jeweiligen Vorgängern übernommen oder neu eintretende Mitbewerber wurden in die etablierten wettbewerbsbeschränkenden Handlungen aufgenommen. Beendet wurde diese Teilnahme frühestens 2017 mit dem Bekanntwerden der Durchsuchungsmaßnahmen der BWB und der WKStA. An diesen Zuwiderhandlungen haben insbesondere folgende Mitbewerber teilgenommen:
TEERAG ASDAG (später PORR); Held & Francke Bau GesmbH (zuvor Alpine), STRABAG AG; Kostmann GesmbH; Pittel+Brausewetter GmbH; Swietelsky AG
Die wettbewerbsbeschränkenden Handlungen betrafen im Allgemeinen die Festsetzung von einem „fixen Schlüssel oder Punkten“ anhand von Marktanteilen. Dieser Schlüssel wurde bei der Aufteilung von Baulosen berücksichtigt. Vereinzelt wurde mit einzelnen Marktteilnehmern auch ein Punktesystem angewandt. Von den wettbewerbsbeschränkenden Handlungen betroffen waren vorrangig Ausschreibungen der Bauabteilungen der NÖ Landesregierung über die Lieferung und den Einbau von Asphaltmischgut sowie Nebentätigkeiten und Erdbauarbeiten. Gegenstand der wettbewerbsbeschränkenden Handlungen war das Jahresvolumen sämtlicher Ausschreibungen der Straßenbauabteilungen. Es fanden mehrmals im Jahr Gesprächsrunden statt, die regelmäßig organisiert wurden. Anlass dieser koordinierten Treffen waren die Ausschreibungen des Landes Niederösterreich im Bereich Straßenbau. Die Treffen richteten sich nach dem Abgabetermin der Angebotslegung. Bei diesen Gesprächsrunden wurden insbesondere der Preis, der Bestbieter für bestimmte Bauvorhaben und das Preisniveau für Mischgut für ein Jahr festgelegt.
Kärntner Landesregierung
Bei öffentlichen Ausschreibungen des Landes Kärnten im Bereich Straßen‑ und Verkehrswege Bau nahmen die Antragsgegnerinnen im Rahmen der Umsetzung der Gesamtzuwiderhandlungen Preisabsprachen, Marktaufteilungen und Austausch über zukünftiges Abgabeverhalten in untergeordneter Rolle teil. Dabei waren die Antragsgegnerinnen im Februar 2011 an der Ausschreibung L29, Guggenbergstraße, Jenig/Nord gemeinsam mit STRABAG, PORR, TEERAG‑ASDAG, Kostmann, Swietelsky, beteiligt. Bei der Ausschreibung im März 2011 Kreisverkehr Launsdorf waren die Antragsgegnerinnen gemeinsam mit STRABAG, PORR, TEERAG‑ASDAG, Kostmann, Swietelsky beteiligt.
Im April 2011 waren die Antragsgegnerinnen bei der Ausschreibung B82 Seeberg Straße Bad Eisenkappel gemeinsam mit STRABAG, Alpine, TEERAG‑ASDAG, Kostmann und Swietelsky beteiligt.
Magistrat Villach
Im Rahmen der Umsetzung der Gesamtzuwiderhandlung fanden auch zu Bauvorhaben des Magistrats Villach Preisabsprachen, Marktaufteilungen und Austausch von wettbewerbssensiblen Informationen (wie Austausch über das zukünftige Abgabeverhalten) statt. Hier waren die Antragsgegnerinnen jedenfalls beim Bauvorhaben B83 Arnoldstein ‑ Tarviserweg ‑ Radweg am 11.9.2013 gemeinsam mit Swietelsky, STRABAG, PORR/TEERAG‑ASDAG beteiligt.
Gemeinde St. Kanzian
Auch betreffend Ausschreibungen weiterer Gemeinden in Kärnten fanden Absprachen statt. Im Zusammenhang mit dem Bauvorhaben ABA St. Kanzian, BA12 war dieses Bauvorhaben abgesprochen. Die Kontaktaufnahme fand dabei telefonisch statt.
Sonstige BAUVORHABEN in Kärnten
Die Antragsgegnerinnen nahmen an der Gesamtzuwiderhandlung im Rahmen des Bauvorhabens L12 R12 Gries Stockbodenbrücke, Radwegbrücken gemeinsam mit STRABAG, HABAU, Swietelsky, Kostmann, TEERAG‑ASDAG am 16.7.2014 teil.
In der Steiermark fand im Rahmen der Umsetzung der Gesamtzuwiderhandlung eine Teilnahme in untergeordneter Rolle der Antragsgegnerinnen beim Bauvorhaben BVH Paulisturz, Oberflächenabdichtung, Auftraggeberin Restmüllverwertungs GmbH gemeinsam mit TEERAG‑ASDAG und HABAU im Jahr 2006 statt.
Stadt Wien
Die Antragsgegnerinnen waren in Wien in untergeordneter Rolle am Bauvorhaben BVH Helmut Zilk‑Park 1100 Wien, gärtnerische Herstellungsarbeiten, Auftraggeberin MA42 im Jahr 2014 beteiligt.
Beweiswürdigung:
Von den Antragsgegnerinnen wurde der festgestellte Sachverhalt außer Streit gestellt. Von den Parteien wurde weiters außer Streit gestellt, dass die Antragsgegnerinnen lediglich in untergeordneter Rolle an den Zuwiderhandlungen beteiligt gewesen waren. Die in der Liste genannten Bauvorhaben wurden ausdrücklich außer Streit gestellt, hinsichtlich weiterer Bauvorhaben konnte kein Geständnis abgegeben werden, weil eine Beteiligung nicht mit Sicherheit zugestanden werden konnte. Da die beantragte Geldbuße für die bereits festgestellten Bauvorhaben als angemessen zu erachten war, konnte aus rechtlichen Gründen von weiteren Feststellungen abgesehen werden.
Rechtliche Beurteilung:
Da gegen die Richtigkeit der Außerstreitstellungen, die mit den von der Antragstellerin vorgelegten Urkunden Beilagen ./A - ./I2 in Einklang stehen, keine Bedenken bestehen, waren iSd § 33 Abs 1 AußStrG iVm § 38 KartG keine weiteren Erhebungen durchzuführen.
1.) Zur Anwendbarkeit von Unionsrecht:
Gemäß § 1 Abs 1 KartG sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmern, Beschlüsse von Unternehmervereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken (Kartelle), verboten. Insbesondere sind nach § 1 Abs 2 Z 1 KartG die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der An- oder Verkaufspreise oder sonstige Geschäftsbedingungen sowie nach Z 3 leg cit die Aufteilung der Märkte oder Versorgungsquellen verboten.
Nach Art 101 Abs 1 AEUV sind alle jene Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten, die den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken. Dazu gehören insbesondere die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der An- und Verkaufspreise oder sonstiger Geschäftsbedingungen (lit a) sowie die Aufteilung der Märkte oder Versorgungsquellen (lit c). Die Anwendung von Art 101 und 102 AEUV fällt in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten (Art 5 VO [EG] 1/2003).
Beim Kriterium der Zwischenstaatlichkeit handelt es sich um eine Kollisionsnorm, die keine wettbewerbsrechtliche Bewertung der Absprache trifft, sondern die Frage beantworten soll, ob es angemessen ist, den Sachverhalt nach Unionsrecht zu beurteilen. Art 101 Abs 1 AEUV erfordert, dass die wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung oder der Missbrauch der beherrschenden Stellung geeignet ist, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Diese Voraussetzung ist – was schon durch Abstellen auf die „Eignung“ angelegt ist – weit zu verstehen (16 Ok 7/15p mwN).
Maßnahmen, deren wettbewerbsbeschränkende Wirkungen sich auf das gesamte Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erstrecken, sind idR zur Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten geeignet, weil sie schon ihrem Wesen nach die Abschottung nationaler Märkte verfestigen und die gewünschte Marktintegration verhindern können. Ein Kartell, das sich auf das gesamte Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erstreckt, hat nämlich schon seinem Wesen nach die Wirkung, die Abschottung der Märkte auf nationaler Ebene zu verfestigen, indem es die in der Europäischen Union angestrebte wirtschaftliche Verflechtung behindert (Leitlinien zum Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels, ABl 2004/C 101/07, Rn 77 ff). Daher können auch Maßnahmen von Unternehmen, die sich nur auf den Wettbewerb innerhalb eines einzelnen Mitgliedstaats auswirken, den innergemeinschaftlichen Handel beeinflussen (16 Ok 4/13; 16 Ok 2/15b; 16 Ok 7/15p; 16 Ok 8/16m; RS0120478).
Bei den festgestellten Zuwiderhandlungen der Antragsgegnerinnenist allein schon aufgrund ihrer Dimension und Dauer sowie aufgrund der Marktanteile der Antragsgegnerinnen jedenfallsdie Zwischenstaatlichkeit zu bejahen und Unionsrecht anzuwenden.
2.) Zum Vorliegen einer Vereinbarung oder abgestimmten Verhaltensweise:
Das Kartellverbot des Art 101 Abs 1 AEUV erfasst – wie jenes des § 1 Abs 1 KartG – insbesondere den Wettbewerb beeinträchtigende Vereinbarungen zwischen Unternehmern und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen. Beiden Tatbeständen ist gemeinsam, dass sie geeignet sein müssen, zwischen den beteiligten Unternehmern die Unsicherheiten über ihr zukünftiges Verhalten im Wettbewerb auszuschließen oder zu vermindern. In der Praxis ist eine Abgrenzung dieser Begriffe von geringer Relevanz, weil diese Formen wettbewerbsbeschränkenden Zusammenwirkens gleichrangig sind (Lager/Petsche in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG2 § 1 Rz 14 ff).
Der Begriff „Vereinbarung“ wird in diesem Zusammenhang weit ausgelegt: Nicht notwendig ist, dass es sich dabei um einen rechtlich verbindlichen Vertrag handelt; eine Vereinbarung liegt vielmehr schon dann vor, wenn die betreffenden Unternehmen ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck gebracht haben, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten. Folglich ist der Begriff der Vereinbarung durch das Vorliegen einer Willensübereinstimmung zwischen mindestens zwei Parteien gekennzeichnet, deren Ausdrucksform unerheblich ist, sofern sie den Willen der Parteien getreu wiedergibt. Bei einer Vereinbarung zwischen Unternehmern kommt es daher weder auf die Form der Vereinbarung (diese kann schriftlich, mündlich oder schlüssig getroffen werden) noch darauf an, ob sie auch tatsächlich umgesetzt wird (Lager/Petsche aaO § 1 Rz 18 f mwN).
Neben Vereinbarungen (und Beschlüssen von Unternehmervereinigungen) sind auch aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen vom Kartellverbot erfasst. Dabei handelt es sich nach ständiger Rechtsprechung des EuGH um jede Form der Koordinierung des Verhaltens zwischen Unternehmern, die zwar nicht bis zum Abschluss eines Vertrags im eigentlichen Sinn gediehen ist, aber bewusst eine praktische Zusammenarbeit an die Stelle des mit Risiken verbundenen Wettbewerbs treten lässt. Unter einer Verhaltensabstimmung ist also eine „Fühlungnahme“ zwischen den Unternehmern zu verstehen, die geeignet und bestimmt ist, deren Wettbewerbsrisiko abzuschwächen (Lager/Petsche aaO § 1 Rz 25 ff mwN).
Erfasst ist jede unmittelbare oder mittelbare Koordination zwischen Unternehmen, die bezweckt oder bewirkt, das Marktverhalten zu beeinflussen oder einen Mitbewerber über das Marktverhalten ins Bild zu setzen, das man selbst an den Tag zu legen entschlossen ist oder in Erwägung zieht (Lager/Petsche aaO § 1 Rz 31).
3.) Zum „Bezwecken“ und „Bewirken“:
Vereinbarungen fallen nur dann unter das Verbot des Art 101 Abs 1 AEUV, wenn sie eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH sind diese Voraussetzungen – wie die Konjunktion „oder“ erkennen lässt – alternativ zu verstehen, sodass sich die Notwendigkeit ergibt, zunächst den eigentlichen Zweck der Vereinbarung in Betracht zu ziehen, wobei die wirtschaftlichen Begleitumstände ihrer Durchführung zu berücksichtigen sind.
Wenn fest steht, dass eine Vereinbarung einen wettbewerbswidrigen Zweck verfolgt, brauchen ihre Auswirkungen auf den Wettbewerb nicht geprüft zu werden. Lässt jedoch die Prüfung des Inhalts der Vereinbarung keine hinreichende Beeinträchtigung des Wettbewerbs erkennen, sind ihre Auswirkungen zu untersuchen. Damit sie vom Verbot erfasst wird, müssen Umstände vorliegen, aus denen sich insgesamt ergibt, dass der Wettbewerb tatsächlich spürbar verhindert, eingeschränkt oder verfälscht worden ist.
Die Unterscheidung zwischen „bezweckten“ und „bewirkten“ Verstößen liegt darin begründet, dass bestimmte Formen der Kollusion zwischen Unternehmen schon ihrer Natur nach als schädlich für das gute Funktionieren des normalen Wettbewerbs angesehen werden können.
Bei der Prüfung der Frage, ob eine Vereinbarung eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung enthält, ist auf den Inhalt ihrer Bestimmungen und die mit ihr verfolgten Ziele sowie auf den wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhang, in dem sie steht, abzustellen. Im Rahmen der Beurteilung dieses Zusammenhangs sind auch die Natur der betroffenen Waren und Dienstleistungen, die auf dem betreffenden Markt oder den betreffenden Märkten bestehenden tatsächlichen Bedingungen und die Struktur dieses Markts oder dieser Märkte zu berücksichtigen. Für einen wettbewerbswidrigen Zweck reicht es bereits aus, wenn die Vereinbarung das Potenzial hat, negative Auswirkungen auf den Wettbewerb zu entfalten, dh wenn sie konkret geeignet ist, zu einer Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Markts zu führen (EuGH C-32/11 - Allianz Hungária, mwN). Das wesentliche Kriterium ist, dass eine solche Handlung in sich selbst eine hinreichende Beeinträchtigung des Wettbewerbs erkennen lässt (EuGH C-67/13 P - Groupement des cartes bancaires, mwN).
Sogenannte Kernbeschränkungen, namentlich die ersten drei Regelbeispiele des Art 101 Abs 1 AEUV, darunter auch Preisabsprachen und die Aufteilung von Märkten, sind als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen grundsätzlich verboten (Bechtold/Bosch/Brinker, EU-Kartellrecht³ Art 101 AEUV Rz 78 ff; Braun in Langen/Bunte, Kartellrecht13, Nach Art 101 AEUV, Rz 20; Füller in Kölner Kommentar zum Kartellrecht, Art 101 AEUV, Rz 205ff; zu § 1 KartG: Lager/PetscheaaO § 1 Rz 57 u 104; uva). Sie sind auch von der De‑Minimis‑Bekanntmachung der Europäischen Kommission, ABl 2014/C 291/01, durch deren Pkt II.12 ausgenommen. Preisabsprachen und koordinierte Aufteilungen der Märkte oder Versorgungsquellen sind bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen.
Das zwischen der Erst- und Drittantragsgegnerin und ihren Mitbewerbern im Zeitraum Juli 2002, bzw. für die Fünfantragsgegnerin ab April 2010 bis Oktober 2017 etablierte System von Preisabsprachen, Marktaufteilungen und des Informationsaustausches stellt Verstöße gegen die Bestimmungen des Art 101 Abs 1 lit a und c AEUV und § 1 Abs 2 Z 1 und 3 KartG dar. Hiebei handelt es sich um Kernbeschränkungen, deren unmittelbare Auswirkung auf den Markt nicht geprüft werden braucht. Die Verhaltensweisen der Antragsgegnerinnen widersprechen den Zielsetzungen, die hinter der Einleitung eines Vergabeverfahrens oder einer Ausschreibung stehen. So sind nach § 19 BVergG Vergabeverfahren ua entsprechend den Grundsätzen des freien und lauteren Wettbewerbs durchzuführen. Dafür ist die Einhaltung des Grundsatzes des geheimen Wettbewerbs unverzichtbare Voraussetzung.
4. Zum Vorliegen einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung (Gesamtzuwiderhandlung):
Innerhalb komplexer Organisationen zu dem gleichen Zweck getroffene Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen sind für ihre gesamte Dauer als einheitliche Zuwiderhandlung zu beurteilen. Die Zerlegung eines durch ein einziges wirtschaftliches Ziel gekennzeichneten kontinuierlichen Verhaltens wäre gekünstelt. Die Verantwortlichkeit mehrerer an einer einheitlichen Zuwiderhandlung beteiligter Unternehmen erstreckt sich auf die gesamte Dauer der Zuwiderhandlung und umfasst auch Verhaltensweisen anderer Kartellmitglieder, an denen das betroffene Unternehmen selbst nicht beteiligt ist, sofern sie im Rahmen des Gesamtkartells (der „Grundvereinbarung") erfolgen. Voraussetzung dafür ist, dass das Unternehmen wusste oder wissen musste, dass es sich an einem auf Wettbewerbsverfälschung abzielenden Gesamtkartell beteiligte und vom Verhalten der anderen Kartellmitglieder wusste, wissen musste oder es hätte voraussehen müssen und bereit war, das Risiko auf sich zu nehmen (vgl EuGH, 8. 7. 1999, Rs C-49/92 P - Komm/Anic, Rn 82, 83; EuGH, 7. 1. 2004, Rechtssachen C-204/00 P, C-205/00 P, C-211/00 P, C-213/00 P, C-217/00 P und C-219/00 P - Komm/Aalborg Portland, Rn 258; Bunte in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht II10 Art 81 EGV Rn 36a mit weiteren Nachweisen zur europäischen Rechtsprechung; 16 Ok 5/08).
Ein Verstoß gegen Art 101 Abs 1 AEUV und § 1 Abs 2 Z 1 und 3 KartG kann sich somit nicht nur aus einer isolierten Handlung, sondern auch aus einer Reihe von Handlungen oder einem kontinuierlichen Verhalten ergeben. Bei der Einstufung unterschiedlicher Handlungen als einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung ist zu prüfen, ob zwischen ihnen insoweit ein Komplementaritätsverhältnis besteht, als jede von ihnen eine oder mehrere Folgen des normalen Wettbewerbs beseitigen soll und durch Interaktion zur Verwirklichung sämtlicher wettbewerbswidriger Wirkungen beiträgt, die ihre Urheber im Rahmen eines auf eine einheitliche Zielsetzung gerichteten Gesamtplans anstreben. Insoweit sind alle Umstände zu berücksichtigen, die dieses Verhältnis belegen oder in Frage stellen können, wie der Anwendungszeitraum, der Inhalt einschließlich der verwendeten Methoden und im Zusammenhang damit die Zielsetzung der verschiedenen fraglichen Handlungen (EuG T-27/10 - AC-Treuhand/Kommission).
Die oben im Einzelnen beschriebenen Zuwiderhandlungen, an denen sich die Antragsgegnerinnen beteiligten, beruhten auf einem über einen langen Zeitraum hinweg aufgebauten Gesamtsystem mit dem Grundverständnis der teilnehmenden Unternehmen, sich betreffend einzelne Bauvorhaben jederzeit kontaktieren zu können, um Preisabsprachen zu treffen, Marktaufteilungen vorzunehmen, das künftige Verhalten bei Angebotsabgaben zu erfragen oder dieses überhaupt aufeinander abzustimmen oder kartellrechtswidrige ARGE zu bilden, und dadurch den Wettbewerb im Bereich Hoch- und Tiefbau systematisch einzuschränken bzw überhaupt auszuschließen, sodass sie sich Marktanteile und Margen sichern können. Die festgestellten Verhaltensweisen sind daher als eine einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung zu qualifizieren.
Die Beteiligung der Antragsgegnerinnen an einer solchen Zuwiderhandlung führt dazu, dass sie für die gesamte Zeit ihrer Beteiligung auch für das von anderen Mitbewerbern im Rahmen der Zuwiderhandlung an den Tag gelegte Verhalten verantwortlich sind, zumal sie nach den Feststellungen durch ihr eigenes Verhalten zur Erreichung der von allen Beteiligten verfolgten gemeinsamen Ziele beitragen wolltenund von dem von anderen Unternehmen in Verfolgung dieser Ziele beabsichtigten oder an den Tag gelegten rechtswidrigen Verhalten zumindest wissen mussten und bereit waren, die daraus erwachsende Gefahr auf sich zu nehmen (EuGH 26.9.2018, C-99/17 P, Infineon Technologies Rn 172; EuGH 26.1.2017, C 644/13P, Villeroy & Boch Rn 48; EuG, 12.7.2007, T-101/05 ua, BASF ua Rn 160; EuGH 8.7.1999, C-49/92, Komm/Anic Rn 83; Bunte in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht10, Band 2, Art 81 Rn 36a).
5.) Zur Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkung:
Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH müssen die Wettbewerbsbeschränkung und die Handelsbeeinträchtigung auch spürbar sein, um vom Kartellverbot erfasst zu sein. Das Vorliegen einer spürbaren Beschränkung des Wettbewerbs auf dem Binnenmarkt ist anhand des tatsächlichen Rahmens einer solchen Vereinbarung zu beurteilen. Vereinbarungen, die geeignet sind, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen und die einen wettbewerbswidrigen Zweck haben, sind ihrer Natur nach und unabhängig von ihren konkreten Auswirkungen eine spürbare Beschränkung des Wettbewerbs (EuGH C-226/11 - Expedia, Rz 16f, 21 und 37). Dies ist im vorliegenden Fall gegeben.
6.) Zum Verschulden:
§ 29 KartG stellt klar, dass Geldbußen nur bei Verschulden zu verhängen sind. Der Unternehmer muss den Tatbestand vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführt haben. Gleiches gilt zufolge Art 23 VO 1/2003 im Unionsrecht. Das KartG definiert nicht näher, was unter Vorsatz und Fahrlässigkeit zu verstehen ist. Einschlägige Definitionen enthalten aber die strafrechtlichen Bestimmungen der §§ 5 f StGB und § 3 VbVG (16 Ok 2/11).
Vorsätzlich handelt gemäß § 5 Abs 1 StGB, wer einen Sachverhalt verwirklichen will, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht; dazu genügt es, dass der Täter diese Verwirklichung ernstlich für möglich hält und sich mit ihr abfindet. Demgegenüber handelt fahrlässig, wer die Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den Umständen verpflichtet und nach seinen geistigen und körperlichen Verhältnissen befähigt ist und die ihm zuzumuten ist, und deshalb nicht erkennt, dass er einen Sachverhalt verwirklichen könne, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht (§ 6 Abs 1 StGB), und wer es für möglich hält, dass er einen solchen Sachverhalt verwirkliche, ihn aber nicht herbeiführen will (§ 6 Abs 2 StGB).
Gemäß § 3 Abs 1 VbVG ist ein Verband – ein solcher ist nach der Legaldefinition des § 1 Abs 2 leg.cit. insbesondere eine juristische Person – unter den weiteren Voraussetzungen des Abs 2 oder des Abs 3 für eine Straftat verantwortlich, wenn 1. die Tat zu seinen Gunsten begangen worden ist oder 2. durch die Tat Pflichten verletzt worden sind, die den Verband treffen.
Die Voraussetzungen des § 3 Abs 1 VbVG sind hier erfüllt, weil durch die festgestellten Verhaltensweisen Pflichten der Antragsgegnerinnen verletzt wurden.
Für Straftaten eines Entscheidungsträgers ist gemäß § 3 Abs 2 VbVG der Verband verantwortlich, wenn der Entscheidungsträger als solcher die Tat rechtswidrig und schuldhaft begangen hat. Entscheidungsträger iSd VbVG ist nach dessen § 2 Abs 1, wer 1. Geschäftsführer, Vorstandsmitglied oder Prokurist ist oder aufgrund organschaftlicher oder rechtsgeschäftlicher Vertretungsmacht in vergleichbarer Weise dazu befugt ist, den Verband nach außen zu vertreten, 2. Mitglied des Aufsichtsrates oder des Verwaltungsrates ist oder sonst Kontrollbefugnisse in leitender Stellung ausübt, oder 3. sonst maßgeblichen Einfluss auf die Geschäftsführung des Verbandes ausübt.
Für Straftaten von Mitarbeitern ist gemäß § 3 Abs 3 VbVG der Verband verantwortlich, wenn
1. Mitarbeiter den Sachverhalt, der dem gesetzlichen Tatbild entspricht, rechtswidrig verwirklicht haben; der Verband ist für eine Straftat, die vorsätzliches Handeln voraussetzt, nur verantwortlich, wenn ein Mitarbeiter vorsätzlich gehandelt hat; für eine Straftat, die fahrlässiges Handeln voraussetzt, nur, wenn Mitarbeiter die nach den Umständen gebotene Sorgfalt außer Acht gelassen haben; und
2. die Begehung der Tat dadurch ermöglicht oder wesentlich erleichtert wurde, dass Entscheidungsträger die nach den Umständen gebotene und zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben, insbesondere indem sie wesentliche technische, organisatorische oder personelle Maßnahmen zur Verhinderung solcher Taten unterlassen haben.
Mitarbeiter iSd VbVG ist gemäß § 2 Abs 2 leg cit, wer (unter anderem) aufgrund eines Arbeitsverhältnisses Arbeitsleistungen für den Verband erbringt.
Nach dem festgestellten Sachverhalt wurden die Kartellrechtsverstöße von vertretungsbefugten Mitarbeitern der Antragsgegnerinnen gesetzt. Diese haben mit Vorsatz gehandelt. Das Verschulden ist daher zu bejahen.
7.) Zur Verjährung:
Das kartellrechtswidrige Verhalten der Antragsgegnerin umfasste einen Zeitraum von Juli 2002 bis Oktober 2017. Von den Antragsgegnerinnen wurde kein Verjährungseinwand erhoben. Aus einem solchen wäre für sie auch nichts zu gewinnen gewesen:
§ 33 KartG idF BGBl I Nr. 176/2021 ist nach § 86 Abs 12 KartG auf Rechtsverletzungen anzuwenden, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes (10.9.2021) noch nicht verjährt sind. Gemäß § 33 Abs 1 1. Satz KartG darf eine Geldbuße nur verhängt werden, wenn der Antrag binnen fünf Jahren ab Beendigung der Rechtsverletzung gestellt wurde. Diese Frist wird unterbrochen, sobald mindestens einem an der Rechtsverletzung beteiligten Unternehmer oder einer beteiligten Unternehmervereinigung eine auf Ermittlung oder Verfolgung der Rechtsverletzung gerichtete Handlung der Bundeswettbewerbsbehörde bekanntgegeben wird. Mit jeder Unterbrechung beginnt die Frist neu zu laufen.
Anders als Art 25 der VO 1/2003 differenziert § 33 KartG nicht zwischen einmaligen, dauernden und fortgesetzten Zuwiderhandlungen bzw Zustands- und Dauerdelikten. Nach dem Gesetzeswortlaut muss das Verhalten insgesamt beendet sein, um den Beginn der Verjährungsfrist auszulösen.
Bei den Dauerdelikten ist zwischen dauernden und fortgesetzten Zuwiderhandlungen zu unterscheiden. Eine dauernde Zuwiderhandlung besteht aus einer andauernden, eine fortgesetzte aus mehreren Handlungen, die jede für sich die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllen. Somit handelt es sich bei einer dauernden Zuwiderhandlung um ein abgrenzbares rechtswidriges Verhalten, das ohne Unterbrechung über einen längeren Zeitraum gesetzt wird. Eine fortgesetzte Zuwiderhandlung liegt demgegenüber immer dann vor, wenn eine zu einer rechtlichen Einheit zusammengefasste Vielzahl rechtswidriger aufeinander folgender Verhaltensweisen oder mehrere abgrenzbare Handlungen, die auf die Durchführung einer einzigen Zuwiderhandlung gerichtet sind, erfolgen (Traugottin Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG2 § 33 Rz 6 und 7).
Der Begriff der fortgesetzten Zuwiderhandlung umfasst eine Mehrzahl von rechtswidrigen Verhaltensweisen oder von Handlungen zur Durchführung einer einzigen Zuwiderhandlung, die durch ein gemeinsames subjektives Element zu einer Einheit verbunden sind (EuGH C-235/92 P - Montecatini/Kommission).
Wie bereits oben zu Punkt 4) dargestellt, liegt hier eine einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung der Antragsgegnerinnen gegen das Kartellrecht vor, da alle Einzelverstöße auf einem einheitlichen Gesamtplan und Gesamtsystem beruhen. In einem solchen Fall beginnt die Verjährungsfristerst mit Beendigung des letzten Teilakts zu laufen (16 Ok 2/15b; 16 Ok 8/15k mwN). Da die Zuwiderhandlungen weniger als fünf Jahre vor der Einbringung des Geldbußenantrags beendet waren, ist keine Verjährung eingetreten.
8.) Zur Rechtfertigung:
Ein Freistellungs- bzw Rechtfertigungsgrund nach § 2 Abs 1 KartG und Art 101 Abs 3 AEUV wurde nicht behauptet und ist nicht erkennbar.
9.) Zur Höhe der Geldbuße:
Gemäß § 29 Z 1 lit a und d KartG ist bei einem vorsätzlichen oder fahrlässigen Verstoß gegen § 1 KartG bzw gegen Art 101 AEUV eine Geldbuße bis zu einem Höchstbetrag von 10% des im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes zu verhängen. Darunter ist der weltweite Umsatz des jeweils am Wettbewerbsverstoß beteiligten Unternehmers zu verstehen, wobei die Berechnungsbestimmung des § 22 KartG heranzuziehen ist.
Bei der Bemessung der Geldbuße ist gemäß § 30 Abs 1 KartG insbesondere auf die Schwere und die Dauer der Rechtsverletzung, auf die durch die Rechtsverletzung erzielte Bereicherung, auf den Grad des Verschuldens und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Bedacht zu nehmen.
Ein Erschwerungsgrund ist es gemäß § 30 Abs 2 KartG insbesondere, wenn
1. das Kartellgericht gegen den Unternehmer oder die Unternehmervereinigung schon wegen einer gleichartigen oder ähnlichen Zuwiderhandlung eine Geldbuße verhängt oder eine solche Zuwiderhandlung festgestellt hat oder
2. der Unternehmer oder die Unternehmervereinigung als Urheber oder Anstifter einer von mehreren begangenen Rechtsverletzung oder an einer solchen Rechtsverletzung führend beteiligt war.
Ein Milderungsgrund ist es gemäß § 30 Abs 3 KartG insbesondere, wenn der Unternehmer oder die Unternehmervereinigung
1. an einer von mehreren begangenen Rechtsverletzung nur in untergeordneter Weise beteiligt war,
2. die Rechtsverletzung aus eigenem beendet hat,
3. wesentlich zur Aufklärung der Rechtsverletzung beigetragen hat oder
4. den aus der Rechtsverletzung entstandenen Schaden ganz oder teilweise gutgemacht hat.
Bei der Ermittlung der Höhe der beantragten Geldbuße gingdie Antragstellerin von folgenden Überlegungen aus:
Da die Mehrzahl der betroffenen Bauvorhaben den Straßenbau betraf, zog sie den im Jahr 2016/2017 in diesem Geschäftsbereich in Österreich erzielten Umsatz der Antragsgegnerinnen in Höhe von rund EUR [..] Mio als Ausgangspunkt der Bemessung heran. Ausgehend von einem Grundbetrag, der die gesamten Merkmale der Gesamtzuwiderhandlung widerspiegelte, insbesondere die Zuwiderhandlung, regionale Betroffenheit, wirtschaftlicher Kontext sowie die individuellen Umstände des Falles und unter Anwendung eines Multiplikators für die Dauer der Zuwiderhandlung ergab sich ein Betrag in Höhe von EUR [.] Mio.
Für die letztlich einvernehmliche Verfahrensbeendigung wurde aufgrund des bereits seit 25.10.2022 beim Kartellgericht anhängigen Verfahren ein deutlich geringerer Abschlag als andernfalls üblich gewährt. Mildernd eingeflossen ist darüber hinaus die Einführung eines zertifizierten konzernweiten Compliance‑Managementsystems.
Die Antragsgegnerinnen stellten außer Streit, dass sie als wirtschaftliche Einheit für die Zuwiderhandlung solidarisch haften.
Im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr 2021/2022 betrug der [] Umsatz der Erst‑, Dritt‑ und Fünftantragsgegnerin EUR [...] Mio. Unter Berücksichtigung der erwähnten Faktoren war eine Geldbuße in Höhe von EUR 3,51 Mio angemessen, die von den Antragsgegnerinnen akzeptiert wurde.
Ob eine höhere als diese beantragte Geldbuße in Frage käme, ist im Hinblick darauf, dass das Kartellgericht nach § 36 Abs 2 letzter Satz KartG keine höhere Geldbuße verhängen darf als beantragt, nicht zu prüfen.
Eine niedrigere Geldbuße als die beantragte Summe, die bei einem weltweiten Umsatz der Antragsgegnerinnenim Geschäftsjahr 2016/17 (als dem letzten Jahr des Zuwiderhandelns, vgl 16 Ok 2/22p) in Höhe von rund EUR [...]Miorund [..]% des Höchstbetrags nach § 29 Z 1 KartG entspricht (bei Heranziehung des im Geschäftsjahr 2021/22 erzielten Umsatzesvon EUR[...] Miow&am
p;am p;au ml;ren es rund [.. %], kommt angesichts der Schwere und Dauer des Verstoßes, die durch die Rechtsverletzung zwangsläufig erzielte Bereicherung, das vorsätzliche Handeln und die erhebliche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Antragsgegnerinnenaus spezial- und generalpräventiven Erwägungennicht in Betracht.
Oberlandesgericht Wien
als Kartellgericht
1011 Wien, Schmerlingplatz 11
Abt. 24, am 10.11.2023
Ausdruck vom: 26.12.2024 12:02:35 MEZ