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Kategorie:

Kartell

Dienststelle:

OLG Wien (009)

Aktenzeichen:

25 Kt 1/19p


Bekannt gemacht am:

10.07.2019

Entscheidungsdatum:

11.04.2019


Über die Antragsgegnerin wird gemäß § 29 Z 1 lit a und d KartG eine Geldbuße in der Höhe von EUR 210.000,-- wegen Zuwiderhandlung gegen § 1 Abs 1 KartG in Form von vertikalen Abstimmungsmaßnahmen über Wiederverkaufspreise im Sinne von Fest- und Mindestpreisen mit Franchisenehmern in Bezug auf die von diesen vertriebenen Produkte, insbesondere Backwaren, Imbisse und Getränke inklusive Kaffee, durch die zentrale Steuerung des von ihren Franchisenehmern verwendeten Kassensystems durch die Antragsgegnerin im Zeitraum Jänner 2006 bis August 2017, verhängt.

Begründung

Die Antragstellerin begehrt die Verhängung einer Geldbuße von EUR 210.000,-- über die Antragsgegnerin und brachte dazu im Wesentlichen vor, dass es im Zeitraum Jänner 2006 bis August 2017 zu einer kartellrechtswidrigen vertikalen Preisbindung der Anker Brot Franchisenehmer (im Folgenden: Franchisenehmer) durch ihre Franchisegeberin, die Antragsgegnerin, gekommen sei. Die Preisbindung sei dadurch erfolgt, dass die Antragsgegnerin in einem elektronischen, zentral gesteuerten ERP-System für alle Filialen (das heißt Eigenfilialen und Franchise-Filialen) die Verkaufspreise für die gesamte Produktpalette eingegeben habe. Vom ERP-System seien die Verkaufspreise automatisch in das Kassasystem eingespeist worden. Das Kassasystem sei so programmiert gewesen, dass die Franchisenehmer technisch nicht in der Lage gewesen seien, ihre Verkaufspreise ohne Mitwirkung der Antragsgegnerin abzuändern.

Bei den Franchisenehmern der Antragsgegnerin handle es sich um selbstständige Unternehmen, die nicht Teil des Konzerns der Antragsgegnerin seien, das Konzernprivileg sei daher nicht anwendbar. Die betroffenen Franchisenehmer trügen ein substanzielles wirtschaftliches Risiko. So sehe der Franchisevertrag vor, dass die Franchisenehmer wirtschaftlich und rechtlich selbstständige Unternehmer seien und die Waren im eigenen Namen und auf eigene Rechnung verkaufen. Zudem hafte der Franchisenehmer gemäß Punkt 15.1. des Franchisevertrags „für sämtliche von Dritten im Zusammenhang mit dem Standort gegenüber dem Franchise-Geber geltend gemachten Ansprüche“. Die Haftung des Franchisegebers hinsichtlich etwaiger Schlecht- oder Minderlieferungen, allfälliger durch vom Franchisegeber genehmigter und/oder namhaft gemachter Lieferanten sei hingegen ausgeschlossen. Weiters sei vom Franchisenehmer laut Franchisevertrag ein wesentlicher Teil der Kosten der Anker spezifischen Ausbildung zu tragen.

In den Verträgen der Antragsgegnerin mit ihren Franchisenehmern sei vorgesehen, dass der Pächter vom Verpächter hinsichtlich der von diesem oder in seinem Namen gelieferten Waren unverbindliche Preisempfehlungen erhalte. Durch das Kassensystem seien diese Preise jedoch nicht nur empfohlen, sondern automatisch im System eingespeist, und damit für die Franchisenehmer unmittelbar bindend gewesen. Den Franchisenehmern sei es technisch nicht möglich gewesen, die von der Antragsgegnerin eingespeisten Preise selbstständig zu verändern. Änderungen der Verkaufspreise seien nur über die Antragsgegnerin möglich gewesen. Im Franchise-Handbuch sei unter dem Titel „In der Praxis“ hierzu ausgeführt: „Um den Verkaufspreis zu ändern, ist der zuständige Partner-Manager zu informieren. Spätestens eine Woche danach ist der gewünschte Preis im Kassasystem eingespielt.

Im Jänner 2006 sei das Kassasystem der Antragsgegnerin angepasst und erweitert worden, um den Franchisenehmern zu ermöglichen, eigene Produkte und Preise in den Kassasystemen zu bestimmen. Die administrative Verwaltung sei bei der Antragsgegnerin verblieben, da es im System nicht möglich gewesen sei, die Preise und Artikel von Eigenfilialen und Franchisenehmern getrennt zu verwalten. Deshalb sei mit den Franchisenehmern die im Franchise-Handbuch beschriebene Vorgangsweise vereinbart worden. Tatsächlich sei eine abweichende eigenständige Preisgestaltung in Form von Rabatten und Sonderaktionen technisch nicht möglich gewesen. Selbst abendliche Aktionen auf übergebliebene Produkte seien bei Verwendung des Kassensystems nicht möglich gewesen. Bei Preisänderungsanfragen durch die Franchisenehmer habe die Franchisegeberin diese Preisänderungswünsche einer inhaltlichen Prüfung unterzogen und zumindest vereinzelt abgelehnt.

Der Bundeskartellanwalt gab keine Stellungnahme ab. Die Antragsgegnerin stellte den von der Antragstellerin vorgebrachten Sachverhalt außer Streit und verwies dazu auf die mit dem Begriff „Anerkenntnis“ titulierte Urkunde Beilage ./A. Die Antragsgegnerin sprach sich auch nicht gegen die Höhe der beantragten Geldbuße aus.

Außer Streit steht weiters, dass der Umsatz des Konzerns, dem die Antragsgegnerin angehört, im Geschäftsjahr 2017 EUR 112.318.705,46 betragen hat, und dass die betroffenen Franchisenehmer-Filialen sich nicht über das gesamte Bundesgebiet von Österreich erstrecken, sondern auf die Bundesländer Salzburg und Wien konzentriert sind.

Da gegen die Richtigkeit der Außerstreitstellungen, die mit den von der BWB vorgelegten Urkunden und eidesstättigen Erklärungen im Einklang stehen, keine Bedenken bestehen, waren im Sinne des § 33 Abs 1 AußStrG iVm § 38 KartG keine weiteren Erhebungen durchzuführen. Das außer Streit gestellte Vorbringen der Antragsgegnerin stellt damit den der rechtlichen Beurteilung zu unterziehenden Sachverhalt dar.

Rechtlich ergibt sich Folgendes:

1. Im Anlassfall ist das Zwischenstaatlichkeitskriterium des Art 101 AEUV zu verneinen, da sich das Franchisesystem der Antragsgegnerin nicht über das gesamte Bundesgebiet erstreckt, sondern die Franchisenehmer nur in einigen Bundesländern vertreten sind. Damit kommt ausschließlich § 1 KartG zur Anwendung.

2. Nach § 1 KartG sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken, verboten.

3. Gemäß Abs 2 leg cit sind insbesondere verboten die unmittelbare und mittelbare Festsetzung der An- und Verkaufspreise oder sonstige Geschäftsbedingungen, die Aufteilung der Märkte oder Versorgungsquellen.

4. Voraussetzung ist damit eine Vereinbarung oder ein abgestimmtes Verhalten zwischen Unternehmen.

4.1. Vereinbarungen mit echten Handelsvertretern werden nach der Rechtssprechung des EuGH und des Obersten Gerichtshofs als unternehmensintern behandelt, und daher weitgehend als nicht von § 1 KartG/Art 101 AEUV umfasst angesehen, soweit der Handelsvertreter in die Absatzorganisation der Geschäftsherren eingegliedert ist (Langer/Petsche in Petsche/Urlsberger/Vartian, KartG², § 1 Rz 48; 16 Ok 6/09; EuGH RS C-217/05).

4.2. Die Rechtfertigung für diese kartellrechtliche Immunisierung der Vorgaben des Geschäftsherrn, die Preise und Geschäftsbedingungen der vermittelten Geschäfte sowie die Auswahl der Vertragspartner betreffend, liegt darin, dass es auch der Geschäftsherr ist, der die wirtschaftlichen Konsequenzen der Gestaltung des Vertragsinhalts und die Auswahl der Kunden zu tragen hat (16 Ok 6/09).

4.3. Für die Anwendung des § 1 KartG kommt es daher darauf an, ob der Handelsvertreter über das Handelsvertreterrisiko hinaus, nämlich bei schlechter Vermittelbarkeit des betreffenden Angebots geringere Provisionseinnahmen zu erzielen, weitere finanzielle und geschäftliche Risiken in Zusammenhang mit seiner Vermittlungstätigkeit tragen muss (16 Ok 6/09 mwN).

4.4. Übernimmt der Handelsvertreter bei der Ausführung seines Auftrags ein weiteres finanzielles und geschäftliches Risiko, wird er im Verhältnis zum Geschäftsherrn wie ein eigenständiges Unternehmen angesehen, sodass der zwischen diesen beiden geschlossene Vertrag unter das Kartellverbot fallen kann (Schröter/Jakob/Klotz/Mederer, Europäisches Wettbewerbsrecht² B. Art 101 AEUV Rz 744).

4.5. Die im Anlassfall außer Streit gestellten Risiken, die der Franchisenehmer zu tragen hat, nämlich die Waren im eigenen Namen und auf eigene Rechnung zu verkaufen, für sämtliche von Dritten in Zusammenhang mit seinem Standort gegenüber dem Franchisegeber geltend gemachten Ansprüche zu haften, der Ausschluss der Haftung des Franchisegebers hinsichtlich etwaiger Schlecht- und Minderlieferungen allfälliger vom Franchisegeber genehmigter und/oder namhaft gemachter Lieferanten sowie die Verpflichtung zur Tragung von Ausbildungskosten bedeuten eine erhebliche finanzielle Belastung, die bei gesamthafter Betrachtung dazu führt, dass der Franchise-Vertrag kein echter, und damit kein privilegierter Handelsvertretervertrag ist.

4.6. Auch der Oberste Gerichtshof orientierte sich in 16 Ok 6/09 für die Unterscheidung eines echten (privilegierten) Handelsvertreters (Absatzmittler) von einem selbstständigen, nicht in die Unternehmensstruktur des Lieferanten eingegliederten Handelsvertreter, an den nach den Leitlinien der Kommission aufgestellten Unterscheidungskriterien, die in TZ 14 zwei Arten finanzieller und geschäftlicher Risiken unterscheidet. Es sind dies einerseits die Risiken, die unmittelbar mit den Verträgen verbunden sind, die der Vertreter für den Geschäftsherrn schließen oder aushandeln soll, und andererseits die Risiken, die geschäftsspezifische Investitionen betreffen, das sind Investitionen, die für die Art der vom Vertreter auszuführenden Tätigkeiten erforderlich sind, und die dieser benötigt, um die betreffenden Verträge aushandeln oder schließen zu können.

4.7. Die von den Franchisenehmern im Anlassfall übernommenen Risiken, die sowohl im Sinne der oben zitierten Unterscheidung Absatzvermittlungsrisiken als auch Investitionsrisiken beinhalten (siehe dazu auch § 4 des Pachtvertrags, Beil ./D, der im Pachtzins auch eine Pauschale für die Bereitstellung der eingerichteten Backwarenverkaufsstände ausweist), führen bei einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise dazu, dass das Bestehen einer wirtschaftlichen Einheit zwischen der Franchisegeberin und dem Franchisenehmer zu verneinen ist, und der Franchisenehmer als eigenständiger Unternehmer zu beurteilen ist. Damit sind die Vereinbarungen, die zwischen den Franchisenehmern und der Antragsgegnerin geschlossen wurden, dem Regime des § 1 Abs 1 KartG zu unterwerfen sind.

5. Kartellrechtsverstoß:

5.1. Nach § 1 Abs 2 KartG sind insbesondere die unmittelbare und mittelbare Festsetzung der An- und Verkaufspreise oder sonstige Geschäftsbedingungen verboten. Nach § 1 Abs 4 KartG stehen einem Kartell im Sinn des Abs 1 Empfehlungen zur Einhaltung bestimmter Preise, Preisgrenzen, Kalkulationsrichtlinien, Handelsspannen oder Rabatte gleich, durch die eine Beschränkung des Wettbewerbs bezweckt oder bewirkt wird (Empfehlungskartelle).

Ausgenommen davon sind nur Empfehlungen, in denen ausdrücklich auf ihre Unverbindlichkeit hingewiesen wird und zu deren Durchsetzung wirtschaftlicher oder gesellschaftlicher Druck weder ausgeübt werden soll noch ausgeübt wird.

5.2. Eine kartellrechtswidrige Festsetzung von Preisen liegt dann vor, wenn es sich um Absprachen über Festpreise, die Erhöhung von Preisen (einen bestimmten Betrag oder Prozentsatz), die Einhaltung von Mindestpreisen, Preisbestandteile, Richtpreise, Zielpreise sowie Kalkulationsfaktoren wie Handelsspannenrabatte oder Teuerungszuschläge handelt(Langer/Petsche, aaO § 1 Rz 93).

Im Falle von Mindest- oder Fixpreisen können die Vertriebshändler für die betreffende Ware nicht mehr über den Preis konkurrieren, was zu einer vollständigen Ausschaltung des markeninternen Preiswettbewerbs führt (aaO Rz 95).

5.3. Nach einhelliger Lehre und Rechtsprechung sind vom Verbot der Preisabsprachen nach § 1 Abs 2 Z 1 KartG sowohl horizontale als auch vertikale Preisabsprachen (Preisbindung der zweiten Hand) umfasst (aaO Rz 98).

In 16 Ok 2/15b erkannte der Oberste Gerichtshof, dass vertikale Preisabsprachen offenkundige Wettbewerbsbeschränkungen darstellen, weil sie ein hohes Potenzial negativer Auswirkungen auf den Wettbewerb haben, und zwar nicht zuletzt auf den Wettbewerb zwischen Unternehmen auf Handelsebene. Dem entspricht, dass auch vertikale Preisabsprachen in Art 4 lit a VO 330/2010 (Gruppenfreistellung für Vertikalvereinbarungen), als Kernbeschränkungen eingestuft werden.

Die Europäische Kommission legte in ihren Leitlinien für vertikale Vereinbarungen, ABl 2010/C 130/01, ausführlich dar, in welcher Hinsicht vertikale Preisbindungen eine Gefahr für den funktionierenden Wettbewerb bewirken. Als besonders schädlich im Hinblick auf die Gefahr des erhöhten Preisniveaus auf Verbraucherebene beurteilt wurde auch die weitere Gefahr, dass wettbewerbsschädliche Wirkungen von vertikalen Preisbindungen auch in der Begünstigung von Kollusionsergebnissen zwischen Abnehmern, dh Unternehmen auf Handelsebene, bestehen (VLL Rz 224).

5.4. Nach dem außer Streit gestellten Sachverhalt stellen die Vorgaben der Antragsgegnerin über die Mindest- und Festverkaufspreise, die durch das zwingend vom Franchisenehmer zu nutzende Kassasystem abgesichert werden, vertikale Preisabstimmungsmaßnahmen dar.

Da es sich dabei um einen Kernverstoß handelt, der seinem Wesen nach schädlich für den Wettbewerb ist, kommt es auf die Frage der Spürbarkeit dieses Kartellrechtsverstoßes nicht mehr an.

5.5. Die im Anlassfall zu beurteilenden vertikalen Preisabstimmungsmaßnahmen der Antragsgegnerin sind als fortgesetztes Delikt zu beurteilen, somit als einheitliches Delikt, das aus mehreren Teilhandlungen besteht, die in ihrer Begehungsweise gleichartig sind und in einem nahen zeitlichen Zusammenhang stehen und von einem Gesamtvorsatz der Antragsgegnerin getragen sind.

Nach oberstgerichtlicher Rechtssprechung beginnt die Verjährungsfrist bei fortgesetzten Delikten mit der Beendigung des letzten Teilaktes zu laufen, somit erst ab 2017. Damit ist hinsichtlich sämtlicher Teilhandlungen keine Verjährung gemäß § 33 KartG eingetreten (16 Ok 7/15p).

5.6. Der Ausspruch über den Kartellrechtsverstoß im Sinne von Preisbindungen zweiter Hand hatte demzufolge über den gesamten Deliktszeitraum von 2006 bis 2017 zu erfolgen.

6. Gemäß § 36 Abs 2 letzter Satz KartG darf das Kartellgericht keine höhere Geldbuße verhängen als beantragt wurde. Die Antragstellerin hat die von ihr dargelegten Milderungsgründe im Sinne des § 30 Abs 3 KartG angemessen berücksichtigt. Weitere Milderungsgründe sind nicht ersichtlich, weshalb die Geldbuße in der Höhe des beantragten Betrages zu verhängen war.“


Ausdruck vom: 28.04.2024 10:41:33 MESZ