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Kategorie:

Kartell

Dienststelle:

OLG Wien (009)

Aktenzeichen:

24 Kt 7/15


Bekannt gemacht am:

27.06.2019

Entscheidungsdatum:

09.09.2015


Über die Antragsgegnerin wird gemäß § 29 Z 1 lit a und lit d KartG 2005 eine Geldbuße von EUR 170.000,-- wegen kartellrechtswidriger Preisabstimmungsmaßnahmen mit Wiederverkäufern im Produktbereich Kameras im „Einsteiger“-Segment (Entry) und „Style Performance“-Segment (SP-Serie), die von Jänner 2009 bis Dezember 2013 andauerten und einen Verstoß gegen § 1 KartG sowie Art 101 AEUV begründen, verhängt.

Begründung:
 

Die Antragstellerin beantragte wie aus dem Spruch ersichtlich und brachte im Wesentlichen vor, dass die Antragsgegnerin Produkte der Marke NIKON (insbesondere Kameras und Zubehör) an Vertriebshändler in Österreich verkaufe. Im Verhältnis zwischen der Antragsgegnerin und ihren österreichischen Vertriebshändlern sei es über einen längeren Zeitraum (darunter insbesondere im Zeitraum 2009 bis 2013) neben Verhandlungen hinsichtlich des Einkaufspreises der Vertriebshändler auch zu Fällen vertikaler Abstimmungsmaßnahmen sowie über bloß unverbindliche Preisempfehlungen hinausgehende einseitige Verhaltensweisen der Antragsgegnerin, jeweils hinsichtlich der Verkaufspreise der Vertriebshändler („Preisabstimmungsmaßnahmen“) gekommen. Dies habe vor allem Aktionsverkaufspreise im Rahmen von Aktionen, die seitens der Antragsgegnerin mittels vergünstigter Einkaufspreise gestützt worden seien, und zwar insbesondere im Jahr 2009 betroffen. Derartige Aktionen seien in erster Linie mit der xxx, xxx und xxx durchgeführt worden. Von solchen Aktionen seien hauptsächlich die meistverkauften NIKON-Produkte betroffen gewesen, nämlich Kameras des „Einsteiger“-Segments (Entry) bei den Spiegelreflexkameras und solche des „Style Performance“-Segments (SP-Serie) bei den Kompaktkameras.

Die Antragsgegnerin hat gegenüber der Bundeswettbewerbsbehörde ein Anerkenntnis abgegeben.

Auf Grundlage des Beschlusses des Kartellgerichts 27 Kt 36/14-2 vom 17.4.2014 sei am 27.5.2014 die Durchsuchung der Antragsgegnerin vollzogen worden. Im Zuge der Durchsuchung seien Asservate sichergestellt worden. Aus diesen Unterlagen ergebe sich, dass die Antragsgegnerin mit einer Reihe von Händlern hinsichtlich des Vertriebes von Elektronikprodukten Preisabstimmungsmaßnahmen umgesetzt hätten, die den Tatbestand des Art 101 Abs 1 AEUV erfüllten. Es gebe keine Anhaltspunkte, dass im vorliegenden Fall die Ausnahmevoraussetzungen des Art 101 Abs 3 AEUV erfüllt seien. Preisabstimmungsmaßnahmen seien grundsätzlich nicht im Interesse der Verbraucher. In der Regel erfolge auch keine Weitergabe von etwaigen Gewinnen an Verbraucher. Der zwischenstaatliche Handel sei beeinträchtigt worden. Die antragsgegenständlichen Verhaltensweisen hätten sich auf das gesamte österreichische Hoheitsgebiet erstreckt. Nach Ansicht der BWB liege zudem ein schwerwiegender Verstoß vor, weil im Zusammenhang mit Preisabstimmungsmaßnahmen das Risiko der Behinderung eines Absatzkanals (online) geschaffen werde.

Die Grenzen zwischen Vereinbarung und abgestimmter Verhaltensweise sei fließend; selbst der EuGH sehe kein Bedürfnis, die beiden ohnehin gleichermaßen verbotenen Verhaltensformen voneinander abzugrenzen. Im vorliegenden Fall sei es schlussendlich nicht erforderlich, die Zuwiderhandlung ausschließlich der einen oder der anderen Erscheinungsform rechtswidrigen Verhaltens zuzuordnen, weil die Konzepte „Vereinbarung“ und „abgestimmte Verhaltensweise“ nicht fest umrissen seien und ineinander übergehen und die Rechtsfolgen zudem dieselben seien.

Die von der Antragsgegnerin umgesetzten Preisabstimmungsmaßnahmen – die zu einem wesentlichen Teil in beweisstarken Schriftstücken festgehalten und durch das Anerkenntnis eingestanden worden seien – erfüllten den Tatbestand der Vereinbarung bzw. jedenfalls zumindest den Tatbestand der abgestimmten Verhaltensweise. Die BWB sei der Ansicht, dass die beschriebene Vorgehensweise eine kartellrechtlich relevante Vereinbarung und/oder abgestimmte Verhaltensweise sei, sobald die Antragsgegnerin und die Händler ihre gemeinsame Absicht bekundet hätten, sich hinsichtlich der Gestaltung der Wiederverkaufspreise auf den Märkten für Elektro-/Elektronikprodukte wettbewerbsschädigend zu verhalten. In diesem Sinne hätten die Verhaltensweisen im Wesentlichen Preisabstimmungsmaßnahmen umfasst. Nach Auffassung der BWB seien die sichergestellten Dokumente nicht isoliert voneinander zu betrachten, sondern seien vielmehr Gegenstand einer wiederkehrenden Absicht der Antragsgegnerin gewesen, auf Preise am Endkundenmarkt Einfluss zu nehmen.

Es habe sich antragsgegenständlich um eine bezweckte Beschränkung des Wettbewerbs gehandelt, weil durch die von der Antragsgegnerin umgesetzten Preisabstimmungsmaßnahmen eine Beschränkung des Preiswettbewerbs über die von den Händlern abgesetzten Produkte der Elektronik-/Elektroindustrie bezweckt worden sei. Eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung liege vor, wenn die Beschränkung ihrem Wesen nach geeignet sei, den Wettbewerb iSd Art 101 Abs 1 AEUV zu beschränken. Die vorliegenden Preisabstimmungsmaßnahmen hätten eine Wettbewerbsbeschränkung bezweckt, weil sie darauf gerichtet seien – durch Preisvereinbarungen bzw. abgestimmte Verhaltensweisen – in die Preisfestsetzung der Händler einzugreifen, um den preislichen Intrabrand-Wettbewerb zu beschränken und dadurch bestimmte Preise zu sichern.

Vereinbarungen über den Weiterverkaufspreis zählten als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen zu den gemäß Art 101 AEUV bzw. § 1 KartG verbotenen Kernbeschränkungen. Ganz generell seien Wettbewerbsbeschränkungen mit direktem Einfluss auf den Preiswettbewerb als besonders bedenklich anzusehen.

Die Europäische Kommission sehe als negative Folge für den Wettbewerb zum einen die Verringerung des markeninternen Preiswettbewerbs (und damit potenziell höhere Preise) und zum anderen eine erhöhte Transparenz der (zukünftig geplanten) Preise, die in weiterer Folge eine horizontale Kollusion auf Händlerebene erleichtern könnte. Im Falle von Mindest- oder Fixpreisen könne es nach Ansicht der Europäischen Kommission zu einer Reduktion bzw. - im Fall von besonders erfolgreichen Abstimmungen – sogar zur Ausschaltung des markeninternen Preiswettbewerbs kommen.

Die vorliegenden Preisabstimmungsmaßnahmen zwischen der Antragsgegnerin und einzelnen Händlern seien als für die Wettbewerbsstruktur problematische Kernverstöße gegen das Kartellrecht einzustufen. Es sei sowohl nach österreichischem als auch nach europäischem Wettbewerbsrecht bereits aus grundsätzlichen Überlegungen unzulässig, dass der Anbieter mit seinen Abnehmern vereinbart, dass diese vom Endkunden einen bestimmten Preis für die Vertragswaren verlangen. Eine Rechtfertigung über Art 101 Abs 3 AEUV bzw. § 2 KartG komme nicht in Betracht. Die Ausnahmebestimmungen müssten kumulativ erfüllt sein und wären von der Antragsgegnerin nachzuweisen gewesen. Das Vorliegen der vier Freistellungsvoraussetzungen sei von der Antragsgegnerin im Anerkenntnis nicht behauptet worden.

Auf Grund der direkten Beteiligung der Antragsgegnerin an den Kartellabsprachen sei der Bußgeldantrag gegen diese zu richten.

Die BWB habe im vorliegenden Fall bei der Berechnung der Höhe der Geldbuße die in § 30 KartG 2005 enthaltenen Kriterien berücksichtigt und die beantragte Geldbuße folgendermaßen errechnet. Bei der Höhe der Geldbuße sei insbesondere auch maßgeblich, dass die Antragsgegnerin den prozessualen Aufwand der BWB erheblich reduziert habe, indem sie vor Einbringung des Bußgeldantrages die entscheidungsrelevanten Sachverhaltselemente des Kartellverstoßes außer Streit gestellt habe. Der betroffene Produktgruppenumsatz des vergangenen Jahres 2013 für die Produktgruppen 1. Spiegelreflexkameras (Entry) und 2. Kompaktkameras (SP-Serie) betrage EUR xxx. Auf Grund der Art der Zuwiderhandlung (Preisabstimmungsmaßnahmen), der Marktstellung der Antragsgegnerin, dem Umfang des von der Zuwiderhandlung betroffenen räumlichen Marktes (Österreich) und der teilweise tatsächlich erfolgten Umsetzung der Preisabstimmungsmaßnahmen sei aus Sicht der BWB für die Schwere der Zuwiderhandlung ein Betrag in Höhe von 10% dieses betroffenen Umsatzes angemessen. Für die Dauer der Zuwiderhandlung werde ein Aufschlag von 50% berücksichtigt. Ein Nachlass von 30% würde sich für die Kooperation bei der Aufklärung ergeben. Die Aufklärung des Sachverhalts enthalte die Auswertung und Aufarbeitung der elektronisch sichergestellten Daten sowie ergänzende Recherchen, insbesondere zum Zeitraum der Zuwiderhandlung. Ein Nachlass von 20% sei für die Reduktion des Verfahrensaufwands durch die einvernehmliche Verfahrensbeendigung gewährt worden; in diesem Zusammenhang habe die Antragsgegnerin ein umfassendes Anerkenntnis abgegeben. Die BWB sei der Auffassung, dass zusätzlich zum Nachlass für eine Kooperation ein weiterer Nachlass zulässig sei, soweit das Unternehmen den ihr von der BWB zur Last gelegten Sachverhalt außer Streit stelle. Eine solche Außerstreitstellung reduziere den Verfahrensaufwand erheblich, weil sich in diesem Fall eine eigene Beweisaufnahme durch das Kartellgericht erübrige bzw. diese in einem deutlich eingeschränkten Ausmaß stattfinden könne. Die BWB beantragte daher ein Bußgeld in Höhe von EUR 170.000,--, weil dieses Bußgeld von ihr als ausreichend general- und spezialpräventiv eingeschätzt werde; nicht zuletzt, weil die Antragsgegnerin nach eigenen Angaben bereits geeignete Schritte eingeleitet habe, um zukünftige Verstöße hintanzuhalten.

Von der Antragsgegnerin wurde außergerichtlich folgendes Anerkenntnis abgegeben:

xxx

In ihrer Stellungnahme ON 5 verwies die Antragsgegnerin hinsichtlich des Tatsachen- und Rechtsvorbringens der BWB auf das Anerkenntnis vom 18.11.2014.

Zum Vorbringen der BWB machte die Antragsgegnerin folgende Anmerkungen:

Im Zuge der im Mai 2014 durchgeführten Hausdurchsuchung bei der Antragsgegnerin habe die BWB diverse E-Mail-Korrespondenz sichergestellt. Die im Zuge der anschließenden internen Datenanalyse von der Antragsgegnerin gesicherten E-Mails hätten sich auf einen längeren Zeitraum bezogen (insbesondere die Kalenderjahre 2009 bis 2013), wobei die als relevant identifizierten E-Mails hauptsächlich aus den frühen Jahren dieser Periode gestammt hätten. Die als relevante identifizierten E-Mails hätten sich vor allem auf Aktionen bezogen. Unter einer „Aktion“ sei zu verstehen, wenn ein Produkt mittels eines von der Antragsgegnerin gestützten Einkaufspreises für einen begrenzten Zeitraum zu einem besonders attraktiven Verkaufspreis angeboten werde. Da der Fotohandel sehr kompetitiv sei, stünden derartige Aktionen an der Tagesordnung. Die Initiative für solche Aktionen gehe dabei sowohl vom Handel als auch von der Antragsgegnerin selbst aus. Derartige Aktionen würden von der Antragsgegnerin finanziell unterstützt, sodass sich daraus für den Endkunden ein Preisvorteil von durchschnittlich etwa xxx % ergebe. Die Durchführung solcher Aktionen erfordere eine rechtzeitige Vorbereitung und Kommunikation mit dem Handel, um die Verfügbarkeit der Aktionsprodukte zu gewährleisten. Da sich die Marge der Antragsgegnerin nur nach dem Einkaufspreis des Händlers richte, spiele der seitens des Händlers vom Endkunden verlangte Verkaufspreis für die Antragsgegnerin keine Rolle. Allerdings würden Händler traditionell in der Kategorie ihres Verkaufspreises denken. In der Praxis sei die Antragsgegnerin daher vorab von Händlern über die von ihnen geplanten Verkaufspreise informiert und gefragt worden, ob die Antragsgegnerin ihnen einen entsprechend niedrigen Einkaufspreis gewähren könne. Derartige Aktionen seien in erster Linie mit den drei Händlern (xxx, xxx und xxx) vereinbart worden, diese hätten wiederum insbesondere das Kalenderjahr 2009 betroffen. Von solchen Aktionen seien hauptsächlich die verkaufsstärksten Produkte betroffen, nämlich Kameras des Einsteiger-Segments (Entry) bei den Spiegelreflexkameras und des Style-Performance-Segments (SP-Serie) bei den Kompaktkameras. Festzuhalten sei aus Sicht der Antragsgegnerin, dass den Verbrauchern im Zusammenhang mit den beschriebenen Aktionen keinerlei Nachteile entstanden seien – vielmehr habe erst die Stützung der Einkaufspreise durch die Antragsgegnerin den Händlern Verkaufspreise ermöglicht, die erheblich unter den regulären unverbindlichen Preisempfehlungen gelegen seien.

Ungeachtet einer möglichen Rechtfertigung der hier maßgeblichen Verhaltensweisen strebte die Antragsgegnerin aber eine rasche Erledigung des gegenständlichen Verfahrens im Vergleichswege an, um weiteren Verfahrensaufwand zu vermeiden. Zuletzt wies die Antragsgegnerin auch darauf hin, dass sie ihre Bemühungen zur Sicherstellung der Einhaltung der geltenden kartellrechtlichen Bestimmungen weiter verstärkt habe, insbesondere durch regelmäßige Compliance-Schulungen, mit denen die Mitarbeiter für kartellrechtliche Themen sensibilisiert würden. Die Antragsgegnerin brachte ausdrücklich vor, keine Einwendungen gegen die von der BWB vorgenommene rechtliche Beurteilung und die Höhe der beantragten Geldbuße zu erheben.

Mit Brief vom 8. Mai 2015 haben sich die Dienststellen der Generaldirektion Wettbewerb der Europäischen Kommission im Rahmen der Konsultationen nach Artikel 11 Abs 4 VO 1/2003 ins Verfahren eingebracht.

Der Bundeskartellanwalt hat sich am Verfahren nicht beteiligt.

Da gegen die Richtigkeit des nicht bestrittenen Sachverhalts auch im Hinblick auf die vorgelegten Urkunden Beilagen ./A bis ./K keine Bedenken bestehen, waren iSd § 33 Abs 1 AußStrG iVm § 38 KartG 2005 keine weiteren Erhebungen durchzuführen.

Die von der BWB inkriminierten und im Anerkenntnis zugestandenen vertikalen Abstimmungsmaßnahmen hinsichtlich der Verkaufspreise der Vertriebshändler der Antragsgegnerin, die ganz Österreich betrafen, sind – wie die BWB aufgezeigt hat – als Zuwiderhandlungen gegen Art 101 AEUV und § 1 KartG zu werten. Trotz ihrer Darstellung im Schriftsatz der Antragsgegnerin ON 5 sind im vorliegenden Fall keine Rechtfertigungsgründe im Sinn des Art 101 Abs 3 AEUV bzw. 2 KartG ersichtlich.

Nach § 29 Z 1 lit a hat das Kartellgericht Geldbußen bis zu einem Höchstbetrag von 10% des im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes gegen einen Unternehmer oder eine Unternehmervereinigung, der oder die vorsätzlich oder fahrlässig dem Kartellverbot (§ 1) zuwider handelt, zu verhängen. Dass der von der BWB begründet beantragte (siehe § 36 Abs 1a und Abs 2 KartG 2005) Geldbußbetrag im Rahmen der Grenzen des § 29 Z 1 lit a KartG 2005 normierten Höchstgrenze liegt, kann angesichts der anwaltlichen Vertretung der Antragsgegnerin und auch aufgrund der amtsbekannten Größe von NIKON nicht in Zweifel gezogen werden. Da auch die hinreichende Begründung der Höhe der beantragten Geldbuße durch die BWB nachvollziehbar erscheint, war insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.“


 


Ausdruck vom: 28.04.2024 01:56:02 MESZ