zur Navigation
Berichtigte Fassung
Kategorie:

Kartell

Dienststelle:

OLG Wien (009)

Aktenzeichen:

26 Kt 3/23w


Bekannt gemacht am:

06.10.2023

Letzte Änderung:

29.11.2023

Entscheidungsdatum:

09.05.2023


 Über die Antragsgegnerin wird wegen der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung gegen § 1 Abs 1 KartG und Art 101 Abs 1 AEUV in Form von kartellrechtswidrigen Preisabsprachen, Marktaufteilungen und Informationsaustausch mit Mitbewerbern in Bezug auf öffentliche und private Ausschreibungen im Bereich Hoch- und Tiefbau in Österreich im Zeitraum von zumindest Juli 2002 bis Oktober 2017 gemäß § 29 Z 1 lit a und d KartG eine Geldbuße von EUR 4,81 Mio verhängt.

Begründung:

Vorbringen:

Die Antragstellerin beantragte die Verhängung einer Geldbuße gemäß § 29 Z 1 lit a und d KartG in Höhe von EUR 4,81 Mio über die Antragsgegnerin. Zusammengefasst wurde vorgebracht, die Antragsgegnerin hätte sich an einheitlichen und fortgesetzten kartellrechtswidrigen Vereinbarungen sowie aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen in Bezug auf öffentliche und private Ausschreibungen im Bereich Hoch- und Tiefbau beteiligt. Die an dieser Gesamtzuwiderhandlung beteiligten Unternehmen - wobei beinahe sämtliche Sparten der Bauwirtschaft im Bereich Hoch- und Tiefbau betroffen seien - hätten jahrelang und systematisch den Wettbewerb in der Bauwirtschaft ausgeschaltet und sich gegenseitig in einem kontinuierlichen System kartellrechtswidriger bi- und multilateraler Kontakte zu Aufträgen verholfen, ohne befürchten zu müssen, von einem günstigeren Angebot unterboten zu werden. Dabei hätten sie das gemeinsame Ziel verfolgt, den Wettbewerb bei Ausschreibungen zu minimieren oder auszuschließen, um sich so unter anderem Marktanteile bzw eine kontinuierliche Auslastung zu sichern. Das etablierte System, die große Anzahl betroffener Bauvorhaben, die lange Dauer und die Selbstverständlichkeit, mit der es zu den wettbewerbsbeschränkenden Handlungen gekommen sei, würden einen hohen Unrechtsgehalt aufweisen, zumal Ausschreibungen gerade dem Zweck dienten, faire und transparente Wettbewerbsbedingungen zu schaffen. Die zahlreichen Preisabsprachen und Aufteilungen von Bauvorhaben hätten den Wettbewerb in der Bauwirtschaft – zum Schaden der öffentlichen und privaten Hand - grundlegend verfälscht und das zentrale Ziel, Auftraggebern eine unabhängige und unbeeinflusste Wahl zu ermöglichen, vereitelt.

Die Antragsgegnerin sei an der Gesamtzuwiderhandlung im Rahmen ihrer Tätigkeit beteiligt gewesen. Sie habe – entsprechend ihrer Geschäftstätigkeiten und Tätigkeitsschwerpunkte - an zahlreichen kartellrechtswidrigen bi- und multilateralen Kontakten teilgenommen. Sie sei unmittelbar an Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen, insbesondere in NÖ, Wien und dem Burgenland, sowie betreffend einzelner bestimmter Projekte auch in Kärnten und der Steiermark, beteiligt gewesen. Aufgrund ihrer wesentlichen Beteiligung und ihrer gewichtigen Rolle bei Umsetzungshandlungen in NÖ und Wien sei die Antragsgegnerin als Hauptbeteiligte anzusehen.

Die Zuwiderhandlung habe Preisabsprachen, Marktaufteilungen, sonstige wettbewerbsbeschränkende Absprachen zwischen Bietern, den Austausch wettbewerbssensibler Informationen und vereinzelt die Bildung kartellrechtswidriger ARGE und BIEGE umfasst (wobei die Antragsgegnerin an kartellrechtswidrigen ARGE/Biege bzw internen Submissionen nicht unmittelbar beteiligt gewesen sei). In Umsetzung der Zuwiderhandlung sei zwischen der Antragsgegnerin und ihren Mitbewerbern schriftlich, telefonisch oder im Rahmen persönlicher Treffen abgestimmt worden, wer den Zuschlag für ein bestimmtes Bauvorhaben erhalten oder wie die Zuschlagserteilung für mehrere Bauvorhaben erfolgen solle. Hiezu sei es zu regelmäßigen oder anlassbezogenen Gesprächsrunden, zu bilateralen Kontaktaufnahmen und dem Versenden von Deckangeboten gekommen. Die Gesamtzuwiderhandlung („single and continuous infringement“) sei bei einer großen Anzahl von Bauvorhaben mit Ausschreibungen in unterschiedlichen Bereichen (etwa Tief-, Hoch- und Ingenieursbau wie Tunnel- und Brückenbau) gesetzt worden und habe Bauvorhaben ausgehend von kleineren Bauprojekten bis hin zu Großbauprojekten umfasst. Die Antragsgegnerin sei im Rahmen ihres zeitlichen, regionalen und sachlichen Tätigkeitsbereiches beteiligt gewesen.

Zwischen den beteiligten Unternehmen habe ein Grundverständnis bestanden, sich vor der Angebotsabgabe wechselseitig über das jeweilige Angebotsverhalten abzustimmen bzw informieren zu können, um das oa gemeinsame Ziel zu erreichen. So hätten die beteiligten Unternehmen bewusst auf die Abgabe wettbewerbsfähiger Angebote verzichtet, indem sie entweder kein Angebot (sog. „Zurückstehen“) oder ein bewusst überhöhtes Angebot („Deckangebot“ oder auch „Fahne“) abgegeben hätten. Teilweise sei es ihnen auch schlicht um die bessere Planbarkeit und Verteilung der Kapazitäten gegangen. Dieses Verhalten habe auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit beruht, in der Erwartung, dass der Zurückstehende bei späteren Aufträgen selbst durch entsprechendes Verhalten der anderen Bauunternehmen zum Auftrag gelange und so im Ergebnis alle beteiligten Unternehmen davon profitierten. Dieses im Zeitraum von zumindest Juli 2002 bis Oktober 2017 gewachsene, allgemein etablierte Kollusionssystem, wonach man sich über das jeweilige Angebots- und Marktverhalten abstimmen und informieren habe können, um in weiterer Folge das eigene Marktverhalten anzupassen, sei durch die Mitarbeiter der beteiligten Unternehmen an ihre jeweiligen Nachfolger weitergegeben („vererbt“) worden, bei Arbeitsplatzwechsel von einem Unternehmen zum nächsten mitgenommen und unter vorwerfbarer Unkenntnis oder gar Duldung der Unternehmensleitung vorgenommen worden.

An der Zuwiderhandlung seien über 40 Bauunternehmen in unterschiedlichem Ausmaß beteiligt gewesen, wobei neben der Antragsgegnerin neun weitere Bauunternehmen als Hauptbeteiligte zu qualifizieren seien (diese Einordnung bedeute nach Auffassung der Antrag­stellerin nicht, dass die genannten Unternehmen an sämtlichen Absprachen, aus denen sich die Gesamtzuwiderhandlung ergibt, unmittelbar beteiligt gewesen seien; das konkrete Ausmaß der Involvierung sei im Zeitverlauf, regional und sachlich zum Teil unterschiedlich gewesen).

Die Antragsgegnerin sei bei rund 3.500 Bauvorhaben unmittelbar beteiligt gewesen, wobei der Großteil den Straßenbau in NÖ betreffe. Diesbezüglich seien bei der Umsetzung der Gesamtzuwiderhandlung Kontakte zwischen Wettbewerbern im Rahmen der Zusammenarbeit in Asphaltmischwerken, die aufgrund ihrer Zulieferfunktion eine zentrale Rolle im Straßenbau spielen, wesentlich gewesen.

Die Antragstellerin führe im Bereich Bauwirtschaft umfangreiche Ermittlungen wegen wettbewerbsbeschränkender horizontaler Absprachen durch. Nachdem 2017 Hausdurchsuchungen auch bei der Antragsgegnerin durchgeführt worden seien, habe es bei jener Bestrebungen einer Auf­arbeitung und einvernehmlichen Verfahrensbeendigung gegeben. Schließlich habe die Antragsgegnerin am 1.2.2023 ein Anerkenntnis abgegeben, in dem sie zusammengefasst den von der Antrag­stellerin vorgebrachten Sachverhalt außer Streit gestellt, die rechtliche Qualifikation als Zuwiderhandlung anerkannt und die in Aussicht gestellte Geldbuße akzeptiert habe. Dazu habe die Antragsgegnerin eine exemplarische Aufzählung vom 272 Bauvorhaben, die mit Mitbewerbern abgestimmte und kartellrechtswidrige Zuwiderhandlungen darstellten, vorgelegt.

In rechtlicher Hinsicht sei davon auszugehen, dass die Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen als einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung zu qualifizieren seien, welche die Einschränkung des Wettbewerbs iSd § 1 Abs 1 KartG und Art 101 Abs 1 AEUV bezweckt hätten und damit eine Kernbeschränkung darstellten. Diese Würdigung habe bereits zur Verhängung rechtskräftiger Geldbußen gegen die Unternehmensgruppen Strabag, Porr und Habau geführt. Das Kriterium der Zwischenstaatlichkeit sei erfüllt, da sich die Gesamtzuwiderhandlung auf ganz Österreich erstreckt habe und betroffene Projekte regelmäßig EU-weit bekannt gemacht und ausgeschrieben worden seien. Damit sei neben innerstaatlichem Recht auch Unionsrecht anzuwenden. Der Begriff „Vereinbarung“ laut § 1 KartG und Art 101 AEUV sei weit auszulegen. Die getroffenen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen seien als einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung zu qualifizieren, da sich die Unternehmen durch bi- und multilaterale Kontakte gegenseitig zur Erteilung von Aufträgen verholfen hätten (Identität der Modalitäten), welche die Bauwirtschaft im Bereich Hoch- und Tiefbau betroffen hätten (Identität der betroffenen Waren und Dienstleistungen), wobei in der überwiegenden Mehrzahl dieselben Unternehmen involviert gewesen seien (Identität der beteiligten Unternehmen); zudem liege ein gemeinsames Ziel vor, welches darin bestanden habe, durch bi- und multilaterale Kontakte das Risiko des Wettbewerbs zu minimieren oder auszuschließen, um sich gegenseitig zur Erteilung von Aufträgen zu verhelfen und sich so Marktanteile bzw eine kontinuierliche Auslastung zu sichern.

Auch wenn ein Unternehmen nicht direkt an allen Bestandteilen der Gesamtzuwiderhandlung beteiligt gewesen sei oder es im Rahmen seiner Beteiligung nur eine untergeordnete Rolle gespielt habe, könne es für die Handlungen der übrigen Unternehmen zur Verantwortung gezogen werden; dies zumal die Antragsgegnerin im Rahmen der Gesamtzuwiderhandlung an einer Vielzahl kartellrechtswidriger Handlungen aktiv und maßgeblich beteiligt und in der Lage gewesen sei, die wesentlichen Umstände der Zuwiderhandlung mitzuprägen. Sie habe vorsätzlich zu dem gemeinsamen Ziel beigetragen und es sei ihr das Verhalten bewusst gewesen, das die anderen Unternehmen zur Verfolgung dieses gemeinsamen Zieles beabsichtigten oder an den Tag gelegt hätten oder sie hätte dieses Verhalten vernftigerweise vorhersehen können und sei bereit gewesen, das entsprechende Risiko auf sich zu nehmen.

Die Gesamtzuwiderhandlung habe

- Vereinbarungen über die in Ausschreibungen abzugebenden Preise durch Festlegung oder Vorgabe von Abgabepreisen, Kartellaufschlägen oder die Abstimmung des Preisniveaus,

- Aufteilungen von Gebieten sowie Kunden bzw Bauvorhaben durch Zuteilung einzelner Bauvorhaben an Unternehmen und Beeinflussung der Ausschreibungsverfahren für diese Bauvorhaben,

- den Austausch von wettbewerbssensiblen und strategischen Informationen wie zB Kapazitäten, das Interesse an einer bestimmten Ausschreibung oder die Erfüllung von Ausschreibungskriterien

umfasst und damit wettbewerbliche Unsicherheit reduziert oder ausgeschlossen, die Beschränkung der autonomen Preisfestsetzung durch Mitbewerber und damit des Preiswettbewerbs bezweckt und die Auswahlmöglichkeiten der Auftraggeber beeinträchtigt, was insbesondere zahlreiche positive Wirkungen des Wettbewerbs, wie zB dessen Ordnungs- und Antriebsfunktion, verhindere. Es lägen demnach bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen vor.

Am Verschulden der beteiligten Unternehmen bestehe kein Zweifel; dies umso mehr, als derartige Verhaltensweisen auch von strafrechtlicher Relevanz sein könnten (§ 168b StGB). Die beteiligten natürlichen Personen seien vertretungsbefugt gewesen. Ihre Handlungen seien den jeweils beteiligten Unternehmen zuzurechnen.

Für die Bemessung der Geldbuße sei der im Jahr 2016 in Österreich erzielte Umsatz der Antragsgegnerin im Geschäftsbereich Straßenbau, welcher die Mehrzahl der betroffenen Bauvorhaben betreffe, in Höhe von rund EUR 39,82 Mio als Ausgangspunkt geeignet. Ausgehend von einem Grundbetrag, der die konkreten Merkmale der Gesamtzuwiderhandlung widerspiegle, und unter Anwendung eines Multiplikators für die Dauer der Zuwiderhandlung von 2002 bis 2017 ergebe sich ein Betrag von EUR 6,6 Mio. Die Antragstellerin habe einen Abschlag für die einvernehmliche Verfahrensbeendigung und das in diesem Zusammenhang abgegebene umfassende Anerkenntnis gewährt. Ebenfalls mildernd sei die Einführung eines zertifizierten Compliance Management Systems eingeflossen. Unter Berücksichtigung dieser Faktoren und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit werde eine Geldbuße in der beantragten Höhe aus general- und spezialpräventiven Erwägungen als ausreichend eingeschätzt.

Der Bundeskartellanwalt schloss sich dem Antrag und dem Vorbringen der Antragstellerin an.

Die Antragsgegnerin bestritt das Tatsachenvorbringen der Antragstellerin nicht und verwies auf ihr Anerkenntnis. Sie akzeptierte die von der Antragstellerin vorgenommene rechtliche Qualifikation sowie die Geldbußenbemessung als angemessen.

Ein ergänzendes Vorbringen erstattete sie insoweit, als sie betreffend die im Antrag enthaltene Bezeichnung als „Hauptbeteiligte“ bestritt, eine „gewichtige Rolle“ bei der Umsetzung der Gesamtzuwiderhandlung eingenommen zu haben. Die Antragsgegnerin stehe wesentlich größeren, marktmächtigeren Wettbewerbern gegenüber und könne aufgrund ihrer Eigenschaft als mittelständiges Familienunternehmen, ihres Umsatzes und ihres räumlich eingeschränkten Tätigkeitsbereiches lediglich eine untergeordnete Rolle einnehmen. Jedenfalls müsste eine „gewichtige Rolle bei Umsetzungshandlungen“ in Ansehung der Liste der der Antragsgegnerin vorgeworfenen Bauvorhaben (nämlich Beilage xxx) eingeschränkt werden, nämlich auf eine „gewichtige Rolle von Pittel bei Umsetzungshandlungen in Niederösterreich“, weil rund 3000 der rund 3500 Bauvorhaben Niederösterreich betreffen würden.

Zu der von der Antragstellerin eingeräumten unmittelbaren Teilnahme der Antragsgegnerin in „sachlich, regional und zeitlich unterschiedlicher Intensität“ sei zu erläutern, dass sich die Zuwiderhandlungen in sachlicher Hinsicht im Wesentlichen auf den Asphaltmischgut-Straßenbau bezogen hätten; gelegentlich seien andere Bereiche wie zB Hochbau betroffen gewesen. In räumlicher Hinsicht sei die Antragsgegnerin nicht in allen Bundesländern tätig gewesen, sondern ganz überwiegend in Niederösterreich und Wien, punktuell etwa im Burgenland und der Steiermark. Zeitlich habe die Antragsgegnerin das kartellrechtswidrige Verhalten unverzüglich nach der Hausdurchsuchung im Mai 2017 grundsätzlich eingestellt und umfangreiche Compliance-Maßnahmen gesetzt; vereinzelte weitere Zuwiderhandlungen bis Oktober 2017 seien nicht ausgeschlossen und würden somit anerkannt.

Die Bauvorhaben, die außer den in der Beilage zum Anerkenntnis aufgezählten Bauvorhaben genannt würden, würden nicht ausdrücklich bestritten, jedoch seien diese noch nicht untersucht oder sonst eine Beteiligung der Antragsgegnerin festgestellt worden; deren Beteiligung könne daher derzeit nicht bestätigt werden.

Weiters verwies die Antragsgegnerin darauf, dass die Kontaktaufnahme zwischen Mitbewerbern auch deshalb erfolgt sei, um die Teilnahme an zukünftigen Vergabeverfahren sicherzustellen. Durch Angebotslegung, auch wenn an der Umsetzung eines Bauvorhabens (zB mangels Kapazität) kein Interesse bestanden habe, sollte eine Einladung des Auftraggebers auch bei künftigen Ausschreibungen sichergestellt werden. Die Antragsgegnerin habe nie beabsichtigt, Auftraggeber zu schädigen. Nach ihrer Ansicht sei ein Schaden auch nicht entstanden. Schließlich hätten die Absprachen zumindest teilweise auch schlicht die bessere Planbarkeit und Verteilung der Kapazitäten zwischen den beteiligten Unternehmen zum Ziel gehabt.

Feststellungen:

Auf Grund der Urkunden Beilagen ./A - ./I2 und der Außerstreitstellungen steht folgender Sachverhalt fest:

1. Antragsgegnerin

Die Antragsgegnerin ist eine zu FN 228135v im Firmenbuch eingetragene GmbH mit Sitz in 1040 Wien. Sie steht zu 100% im Eigentum der (nicht operativ tätigen) Pittel + Brausewetter Holding GmbH. „Pittel“ ist als österreichisches Familienunternehmen seit mehr als 150 Jahren in der Baubranche tätig und bietet nahezu sämtliche Bausparten an. Der Konzernumsatz belief sich im Geschäftsjahr 2016/2017 auf rund EUR 143 Mio, im Geschäftsjahr 2021/2022 rund EUR 186 Mio. Der Haupttätigkeitsbereich liegt in Niederösterreich und Wien.

2. Ermittlungsverfahren

Ausgangspunkt der Ermittlungen war ein bei der K*** GesmbH sichergestellter roter Aktenordner. Nach Hausdurchsuchungen der Antragstellerin gemäß § 12 Abs 1 WettbG im Frühjahr 2017 sowie der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft an Standorten der Antragsgegnerin ergingen im April 2019 Auskunftsverlangen nach § 11a Abs 1 WettbG, mit denen im Rahmen der laufenden Ermittlungen Informationen zu den Wirtschaftszweigen Asphaltmischgut und Straßenbau abgefragt wurden. Der Antragsgegnerin wurde am 12.9.2022 die Mitteilung der Beschwerdepunkte einschließlich Beilagen gemäß § 13 Abs 2 WettbG übermittelt. Nach ersten Gesprächen führte die Antragsgegnerin in einer schriftlichen Stellungnahme aus bestrebt zu sein, die im Raum stehenden Vorwürfe rasch und solide aufzuarbeiten. Sie bekräftigte ihr Interesse an einer einvernehmlichen Verfahrensbeendigung.

Mehrere der größten Bauunternehmen Österreichs kooperierten mit der Antragstellerin, welche die Ermittlungen und die Aufarbeitung der etablierten Praxis ergänzten. Aufgrund von Geldbußenanträgen der Bundeswettbewerbsbehörde kam es bereits zu rechtskräftigen Entscheidungen des Kartellgerichts (27 Kt 12/21y [Strabag], 26 Kt 5/21m [Porr], 28 Kt 6/20x [Habau]).

Am 1.2.2023 gab die Antragsgegnerin schließlich freiwillig und im Interesse einer Kooperation zur Aufklärung des Sachverhalts ein Anerkenntnis ab, in dem sie zusammengefasst den von der Antragstellerin vorgebrachten Sachverhalt außer Streit stellt und die Rechtsauffassung, wonach das beschriebene Verhalten als einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung gegen § 1 Abs 1 KartG und Art 101 Abs 1 AEUV zu werten sei und kein Rechtfertigungsgrund vorliege, anerkennt sowie die in Aussicht gestellte Geldbuße akzeptiert. Dazu legte die Antragsgegnerin eine (exemplarische) Liste mit 272 Bauvorhaben vor, bei denen sie an kartellrechtswidrigen Absprachen beteiligt war (Beilage xxx).

3. Zuwiderhandlung allgemein

Die Zuwiderhandlung betraf den Wirtschaftszweig der Bauwirtschaft, wobei nahezu sämtliche Sparten im Bereich Hoch- und Tiefbau umfasst waren, wobei insbesondere der Bereich Straßenbau (als Teil des Tiefbaus) eine besondere Rolle spielte, zumal dieser Bereich aufgrund des in Österreich bestehenden vergleichsweise dichten Autobahn- und Schnellstraßennetzes einen hohen Stellenwert einnimmt. Es handelt sich um ein nahezu das gesamte österreichische Bundesgebiet und eine sehr hohe Anzahl an Bauvorhaben betreffendes Kartell, an dem über 40 Bauunternehmen in unterschiedlichem Ausmaß beteiligt waren. Der Grad der Beteiligung variierte je nach Region und Art des Bauvorhabens, wobei jedes einzelne Unternehmen im Rahmen ihres jeweiligen zeitlichen, regionalen und sachlichen Tätigkeitsbereichs zur Aufrechterhaltung und Funktionsfähigkeit der Gesamtzuwiderhandlung beitrug. Neben der Antragsgegnerin – zu deren Beteiligung siehe sogleich - waren neun Bauunternehmen als Hauptbeteiligte an der Zuwiderhandlung beteiligt, (zumindest) 22 weitere Bauunternehmen nahmen (aus derzeitiger Sicht) mit geringerer Intensität teil.

Die Antragsgegnerin war im Zeitraum von Juli 2002 bis Oktober 2017 insofern in einem nicht unerheblichen Ausmaß beteiligt, als deren Zuwiderhandlungen in örtlicher und sachlicher Hinsicht zwar nicht uneingeschränkt - sondern ganz überwiegend in Niederösterreich und Wien und im Wesentlichen bezogen auf den Asphaltmischgut-Straßenbau, gelegentlich auch den Hochbau - stattfanden, in dieser örtlichen und sachlichen Hinsicht nahm die Antragsgegnerin aber eine gewichtige Rolle an den Umsetzungshandlungen ein. Eine unmittelbare Beteiligung der Antragsgegnerin kam im genannten Zeitraum bei rund 3.500 Bauvorhaben hervor, wobei der Großteil den Straßenbau in Niederösterreich betrifft.

Im Rahmen des Kartells kam es zu Preisabsprachen, Marktaufteilungen, sonstigen wettbewerbsbeschränkenden Absprachen zwischen Bietern und kartellrechtswidrigem Informationsaustausch sowie vereinzelt zur Bildung kartellrechtswidriger Arbeitsgemeinschaften und Bietergemeinschaften. Die konkrete Umsetzung der Zuwiderhandlung erfolgte durch bi- und multilaterale Kontakte, wobei typischerweise zwischen der Antragsgenerin und ihren Mitbewerbern schriftlich, telefonisch oder im Rahmen von persönlichen Treffen abgestimmt wurde, wer den Zuschlag für ein bestimmtes Bauvorhaben erhalten oder wie die Zuschlagserteilung für mehrere Bauvorhaben erfolgen solle. Dazu kamen regelmäßige oder anlassbezogene Gesprächsrunden.

Zwischen den beteiligten Unternehmen bestand ein Grundverständnis, sich vor der Angebotsabgabe für ein Bauvorhaben wechselseitig über das jeweilige Angebotsverhalten abzustimmen bzw informieren zu können. Im Wege dieser Abstimmungen - vor allem in Ausschreibungsverfahren nach dem Billigstbieterprinzip – konnten sich die beteiligten Unternehmen wechsel- und gegenseitig zur Auftragserteilung verhelfen, ohne befürchten zu müssen, von einem günstigeren Angebot im freien Wettbewerb unterboten zu werden. Es ging ihnen darum, den Wettbewerb zu minimieren oder auszuschließen, um sich gegenseitig zur Erteilung von Aufträgen zu verhelfen und so ua Marktanteile bzw eine kontinuierliche Auslastung zu sichern. Um dieses gemeinsame Ziel zu erreichen, stimmten sie bei einer Vielzahl von Bauvorhaben ihre Preise und ihr Verhalten bei Angebotsabgaben ab. So verzichteten die beteiligten Unternehmen bewusst auf die Abgabe wettbewerbsfähiger Angebote, indem sie entweder kein Angebot („Zurückstehen“) oder ein bewusst überhöhtes Angebot („Deckangebot“, „Fahne“) abgaben. Teilweise ging es den Unternehmen – so auch der Antragsgegnerin - auch schlicht um die bessere Planbarkeit und Verteilung der Kapazitäten.

Die Handlungen basierten auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit in der Erwartung, dass der Zurückstehende bei späteren Aufträgen selbst durch entsprechendes Verhalten der anderen Unternehmen zum Auftrag gelangen werde und so insgesamt alle beteiligten Bauunternehmen von dem mangelnden Wettbewerb profitierten.

Diese etablierte Praxis wurde innerhalb eines Unternehmens von Vorgängern an nachfolgende Mitarbeiter weitergegeben („vererbt“), bei Arbeitsplatzwechsel von einem Unternehmen zum nächsten mitgenommen und in vorwerfbarer Unkenntnis oder gar Duldung der Unternehmensleitung vorgenommen.

So entstand ein nahezu österreichweites, gewachsenes, allgemein etabliertes Kollusionssystem, in dem sich die Unternehmen über das jeweilige Angebots- und Marktverhalten abstimmten und informierten, um in weiterer Folge das eigene Marktverhalten daran anzupassen. Die beteiligten Bauunternehmen verhalfen sich gegenseitig zu Aufträgen, ohne befürchten zu müssen oder zumindest nur in geringerem Ausmaß befürchten zu müssen, von einem günstigeren Angebot unterboten zu werden. Damit wurde über weite Strecken der Wettbewerb zwischen den beteiligten Unternehmen von vornherein ausgeschaltet und der Zweck von Ausschreibungen unterwandert.

4. Zuwiderhandlung im Detail

a) Preisabsprachen:

Zwischen den beteiligten Unternehmen wurden die in Ausschreibungen abzugebenden Preise vereinbart oder abgestimmt. Es wurde auch besprochen, dass ein Mitbewerber überhaupt kein Angebot legen wird. So kamen die beteiligten Unternehmen überein, zu welcher Angebotssumme der designierte Auftragsempfänger anbietet. Oftmals kalkulierte jener Mitbewerber, welcher den Zuschlag erhalten sollte, den Angebotspreis für die zurückstehenden Mitbewerber. Diese boten in der Folge entweder zu einem höheren Preis oder gar nicht an (Beilagen xxx).

b) Deckangebote:

Die Übermittlung von Deckangeboten spielte bei der Umsetzung von Preisabsprachen eine wichtige Rolle. Sie zielte darauf ab, die Auftragserteilung an einen zuvor bestimmten Mitbewerber so weit wie möglich zu gewährleisten und das Risiko des Wettbewerbs zu minimieren oder auszuschließen. Der Initiator der Preisabsprache (jenes Bauunternehmen, das in Übereinstimmung mit den weiteren beteiligten Unternehmen zum Zug kommen sollte) kontaktierte dabei die zurückstehenden Mitbewerber und ließ ihnen fertige höhere Leistungsverzeichnisse bzw vorausgefüllte Angebotsunterlagen („Deckangebote“, „Fahne“, „Ente“ oder „0-Lauf“) in Form eines Datenträgers per E-Mail/Fax oder auch persönlich zukommen, um den zeitlichen und finanziellen Aufwand für die Angebotserstellung zu reduzieren. Die zurückstehenden Mitbewerber gaben sodann diese Deckangebote zum Schein als von ihnen selbst kalkulierte Angebote ab (./Q, ./R).

In handschriftlichen Aufzeichnungen wurde immer wieder ein Fahnensymbol oder das Wort „Fahne“ als Kennzeichen für die Übermittlung eines Deckangebots verwendet, wodurch die handelnden Personen unmittelbar wussten, worum es ging (./X1, ./Y1).

c) Marktaufteilungen:

Zwischen den beteiligten Unternehmen wurde auch die Aufteilung von Märkten bzw Bauvorhaben besprochen. Teilweise erfolgte eine Aufteilung der Bauvorhaben auf der Grundlage von Quoten (sog „fixer Schlüssel“), die den (historischen) Marktanteilen der jeweiligen beteiligten Unternehmen entsprachen. Darüber hinaus herrschte - neben solchen Kundenaufteilungen - in manchen Regionen Einigkeit darüber, welches Bauunternehmen für Ausschreibungen in welchem Gebiet zuständig war. Die anderen beteiligten Unternehmen standen bei diesen Ausschreibungen zurück (xx, xx, ./G, xx).

d) Austausch von wettbewerbssensiblen Informationen:

Begleitend kam es zu einem laufenden Austausch wettbewerbssensibler Informationen, wie etwa über das zukünftige Verhalten bei Angebotsabgaben für Bauvorhaben oder Kostenschätzungen von Mitbewerbern (xx).

e) Kartellrechtswidrige ARGEs:

Fallweise wurden Arbeitsgemeinschaften als Deckmantel für kartellrechtswidrige Handlungen (nämlich als Schnittstelle für die Festsetzung eines gemeinsamen Angebotspreises und die Aufteilung des Auftrags, wobei zum Teil die Höchstzahl der zugelassenen ARGE-Partner durch stille Partner umgangen wurde) genutzt (xxxx). Die Antragsgegnerin war an solchen Handlungen aber nicht unmittelbar beteiligt.

f) Gesprächsrunden:

Abhängig vom Zeitpunkt der Ausschreibungen wurden je nach Bedarf ein- oder mehrmals im Jahr Gesprächsrunden zwischen den beteiligten Unternehmen organisiert. Diese fanden zumeist in einer der Niederlassungen der an den Absprachen beteiligten Unternehmen statt. Im Rahmen der Gesprächsrunden wurden das Unternehmen, das den Auftrag für ein bestimmtes Bauvorhaben erhalten sollte, und dessen Abgabepreis festgelegt. Zum Teil wurden auch die Abgabepreise der zurückstehenden Mitbewerber vom designierten Auftragsempfänger vorgegeben (sog „Preisvorgabe“) (xxx, ./G, xxx).

g) Bilaterale Kontakte:

Ergänzend zu den größeren Gesprächsrunden, aber auch unabhängig davon wurden bilaterale Gespräche zu wettbewerbssensiblen Themen geführt. Bilaterale persönliche Treffen fanden in Räumlichkeiten der Niederlassungen der beteiligten Unternehmen oder außerhalb dieser (zB auf Autobahnraststationen, Tankstellen, in Lokalen oder auf Baustellen) statt. Diese Kontakte wurden ua dazu genutzt, sich über die Interessenlage hinsichtlich bestimmter Bauvorhaben zu informieren, konkrete Vorgangsweisen zu vereinbaren. Dabei wurden zum Teil auch weitere Mitbewerber kontaktiert und einbezogen, indem man sie etwa zum Zurückstehen aufforderte. Zu solchen bilateralen Kontakten kam es auch im Rahmen von notwendigen Kontakten bei laufenden ARGE oder sonstigen Kooperationen wie zB Asphaltmischwerken, aber auch am Rande von Veranstaltungen der Bauwirtschaft (xxx, ./P ).

h) Kontakte im Rahmen der Zusammenarbeit in Asphaltmischwerken:

Asphaltmischwerke spielen auf Grund ihrer Zulieferfunktion eine zentrale Rolle im Straßenbau. Kartellrechtswidrige Handlungen, die den Straßenbau betrafen, erfolgten daher auch im Rahmen der Zusammenarbeit von Mitbewerbern in Asphaltmischwerken, die oft als Gemeinschaftsanlagen geführt werden. In der Regel trafen die an den wettbewerbsbeschränkenden Handlungen beteiligten Unternehmen entsprechend des in Prozent festgelegten Marktanteils am Mischgutverbrauch (angegeben in Mischguttonnen) eine Einigung darüber, welcher Mitbewerber für welche Bauvorhaben die Auftragserteilung erhalten sollte (xxxx).

j) Bieterrotation und „Schutzmechanismen“:

Ein Instrument zur Aufteilung von Bauaufträgen war die Organisation mittels Bieterrotation. Dabei kamen die beteiligten Unternehmen überein, dass sie hinsichtlich bestimmter Bauvorhaben wechselseitig zum Zug kommen und sich dabei gegenseitig durch die Abgabe höherer Deckangebote oder den gänzlichen Verzicht auf eine Angebotslegung unterstützen. Bieterrotationen kamen dabei auch im Sinne eines von den beteiligten Unternehmen so bezeichneten „Kampfschutzes“ oder „Vollschutzes“ zur Anwendung.

Im Fall eines „Vollschutzes“ wurden nach Möglichkeit alle für eine Ausschreibung relevanten Mitbewerber in die Kartellabsprache eingebunden. Der „Kampfschutz“ be­schränkte sich demgegenüber auf einen kleineren Kreis von Mitbewerbern (idR vier oder fünf), die in Bezug auf bestimmte Projekte ihre Angebote abstimmten (xx, ./S, ./T, ./U ./V).

k) Interne Submission:

Im Vorfeld von Angebotsabgaben kam es auch zu sog „internen Angebotsöffnungen“ (auch „interne Submissionen“ genannt), bei denen die Mitbewerber vor der offiziellen Angebotsabgabe ihre internen Angebotspreise untereinander offenlegten. Dieses Vorgehen diente als Mittel der Entscheidungsfindung, welches der beteiligten Unternehmen den Auftrag bei der tatsächlichen Ausschreibung erhalten soll (xxx).

l) Fixer Schlüssel:

Für die Aufteilung von Aufträgen wurde zum Teil auch ein sog „fixer Schlüssel“, dh eine Quote vereinbart, die jedem beteiligten Unternehmen zustand. Der „fixe Schlüssel“ richtete sich dabei in der Regel nach den geschätzten Marktanteilen oder orientierte sich insb im Straßenbau an der geschätzten Gesamtmenge des zu verbauenden Asphaltmischguts pro Jahr (xxx). In einigen Fällen wurde mit der Verwaltung der Quoten ein bestimmtes Bauunternehmen betraut (./X).

m) Kartellstabilisierende Maßnahmen:

Die Umsetzung der Zuwiderhandlung wurde regelmäßig durch kartellstabilisierende Mechanismen ergänzt:

aa) Punktesystem:

Einer dieser Mechanismen war die Abrechnung anhand eines sog „Punktesystems“: Da ein größerer Teil der beteiligten Unternehmen regelmäßig in verschiedenen Ausschreibungsverfahren aufeinander traf, wurde mithilfe der Vergabe von „Punkten“/„Anteilen“/„Prozenten“ sichergestellt, dass die Zuschlagserteilung nach einem „fairen Schlüssel“ unter den Mitbewerbern (oft anhand der bestehenden Marktanteile) erfolgte. Einige der beteiligten Unternehmen führten Aufzeichnungen über die sich aus diesem Punktesystem ergebenden „Forderungen und Verbindlichkeiten“ gegenüber den anderen Beteiligten (auch als „Kontokorrentverhältnis“ bezeichnet). Die erworbenen „Punkte“ bzw Verbindlichkeiten wurden zwischen den Mitbewerbern aufgerechnet (saldiert) und zumeist vom Kreis der beteiligten Bauunternehmen durch die Verteilung von Aufträgen abgegolten (sogenannter „Arbeitsaustausch“). Vereinzelt wurden die Verbindlichkeiten auch monetär ausgeglichen.

bb) Ausgleichsleistungen:

Zurückstehende Mitbewerber wurden zum Teil auch mit „Ausgleichsleistungen“ entlohnt, insbes mit Subaufträgen (zB im Sinne einer „Beteiligung“ am Bauvorhaben), Arbeitsabtausch, der Bildung einer (offenen oder stillen) ARGE, der Lieferung oder Abnahme von Leistungen unter bevorzugten Konditionen (beispielsweise Asphaltmischgut, sonstiges Material, Personal oder Geräte), dem Bezug von größeren Abnahmemengen von Asphaltmischgut oder Beton. In den meisten Fällen erfolgte die Ausgleichsleistung durch den Abtausch gegen andere Bauvorhaben („Arbeitsabtausch“) (xx, ./W).

cc) Fallweise wurde die Gesamtzuwiderhandlung durch Gebietsschutzvereinbarungen abgesichert. So wurden Gemeinden oder Regionen einem Bauunternehmen pauschal „zugeteilt“ oder bestimmte Arten von Bauleistungen unter den Mitbewerbern aufgeteilt (xxx, ./X).

5. Beteiligung der Antragsgegnerin

Die Antragsgegnerin beteiligte sich an Absprachen und/oder Abstimmungen im oben dargelegten Sinn zumindest bei 272 Bauvorhaben im Zeitraum von zumindest Juli 2002 bis Oktober 2017. Im Rahmen ihres zeitlichen, räumlichen und sachlichen Tätigkeitsbereiches war sie an der Gesamtzuwiderhandlung insbesondere im Hinblick auf Bauvorhaben in Niederösterreich, Wien und dem Burgenland sowie vereinzelt auch in Kärnten und der Steiermark beteiligt. Bei weiteren Bauvorhaben ist eine Beteiligung an solchen Handlungen keineswegs ausgeschlossen, allerdings können konkrete Bauvorhaben - mangels abschließender Prüfung seitens der Antragsgegnerin – nicht festgestellt werden.

Laut ihrer dem Anerkenntnis angeschlossenen Liste waren ua konkret folgende Auftraggeber von den Zuwiderhandlungen der Antragsgegnerin betroffen: (in den ganz überwiegenden Fällen) Land Niederösterreich, (weiters) Beitragsgemeinschaft Pelleritzer, Güterweggemeinschaft Holler, Marktgemeinde Lichtenwörth, ARGE R.O.P. Lanzendorf – Wr Neustadt, Zusammenlegungsgemeinschaft Matzendorf, Marktgemeinde Enzersdorf/Fischa, „NE“, Neue Eisenstädter Gemeinnützige Bau- Wohn- und Siedlungsgesellschaft mbH (Liste bei xx).

Die unmittelbare Beteiligung wird im Folgenden anhand konkreter Handlungen und ausgewählter Bauvorhaben exemplarisch dargestellt:

Bei zahlreichen wettbewerbswidrigen Kontakten wurden Preise abgestimmt, Kunden und Gebiete aufgeteilt und sensible Informationen ausgetauscht, um sich bei verschiedenen Bauvorhaben zur Auftragserteilung zu verhelfen und damit den Wettbewerb zu beschränken oder gänzlich auszuschließen. Aus dem hohen Organisationsaufwand, der ausgeklügelten Systematik, der Häufigkeit der Kontakte und der räumlichen Ausdehnung ergibt sich ein etabliertes Kollusionssystem.

Wie festgestellt betrifft der Großteil der Bauvorhaben den Straßenbau in Niederösterreich, wobei das Amt der Niederösterreichischen Landesregierung als Auftraggeber fungierte. Die Antragsgegnerin nahm an der langjährigen, historisch gewachsenen Praxis von Preisabsprachen, Marktaufteilungen und dem Austausch über zukünftiges Abgabeverhalten teil. Die Praxis wurde von den jeweiligen Vorgängern übernommen und neu eintretende Wettbewerber wurden in die etablierten Handlungen aufgenommen.

In der Regel erfolgte die Umsetzung durch die verschiedenen mischgutproduzierenden Unternehmen, wobei jene Mitbewerber teilnahmen, welche (i) Mischgutanlagen im räumlichen Zuständigkeitsbereich der jeweiligen Bauabteilung (mit-)betrieben, (ii) in die Region, für die die Bauabteilung zuständig war, Mischgut liefern konnten, oder (iii) in der betroffenen oder angrenzenden Region selbst keine Mischanlage betrieben, aber aufgrund expliziter Bezugsrechte bei Fremdanlagen Mischgut liefern konnten (xx, ./G, xxxx). Betroffen waren nahezu sämtliche Ausschreibungen der (regional organisierten) Bauabteilungen 1 (Hollabrunn), 2 (Tulln), 3 (Wolkersdorf), 4 (Wiener Neustadt), 5 (St. Pölten), 7 (Krems) und 8 (Waidhofen an der Thaya) des Amtes der Niederösterreichischen Landesregierung, insbesondere bezüglich der Lieferung und des Einbaus von Asphaltmischgut (xxx).

Je nach Region bzw Bauabteilung organisierten die beteiligten Unternehmen regelmäßig Gesprächsrunden, die mit bilateralen (persönlichen und telefonischen) Kontakten sowie E-Mails ergänzt wurden. Die Gesprächsrunden variierten je nach Tätigkeitsbereichen, regionalen Schwerpunkten sowie Kapazitäten und fanden häufig in den Niederlassungen der beteiligten Unternehmen – ua auch bei der Antragsgegnerin – statt. Es nahmen dabei nicht alle beteiligten Unternehmen teil, abwesende Unternehmen wurden vom Ergebnis der Gespräche informiert (xxx, ./G, xxx).

Im Allgemeinen erfolgte die Festsetzung eines „fixen Schlüssels“ oder von „Punkten“ anhand von (zT historischen) Marktanteilen bei der Aufteilung von Baulosen. Bei Marktveränderungen - etwa dem Eintritt neuer Mitbewerber in den Markt, durch den Zusammenschluss von Unternehmen, durch Erwerb bestehender oder Aufbau neuer Mischanlagen - wurden die Quoten der Beteiligten angepasst. Teilweise lag das Ziel der Handlungen auch in der besseren Planbarkeit und Verteilung der Kapazitäten (xxxx). Zurückgehend bis 2002 waren von diesen Handlungen etwa 3.000 Bauvorhaben mit einem Gesamtvolumen von mehr als EUR 300 Mio betroffen, wobei die Antragsgegnerin bei einem Großteil unmittelbar beteiligt war (xx, ./G, xxxx).

Bei den Ausschreibungen der Jahresbauverträge der Stadtgemeinde Wiener Neustadt nahm die Antragsgegnerin an langjährigen Preisabsprachen und dem Austausch über zukünftiges Abgabeverhalten teil. Betroffen waren zumindest seit 2004 Verträge mit einem jährlichen Volumen von rund EUR 1 Mio (xxx). Die Gespräche unter den beteiligten Unternehmen erfolgten meist persönlich oder bilateral. Von 2004 bis 2016 fragten die beteiligten Unternehmen meist beim Mitbewerber Strabag nach, welche Angebotspreise sie für die Jahresbauverträge abgeben sollten. Im Gegenzug für das Zurückstehen der Mitbewerber hielt sich Strabag, die schlussendlich den Großteil der Ausschreibungen der Jahresbauverträge der Stadtgemeinde Wiener Neustadt gewann, bei anderen Gemeindeausschreibungen zurück (xxx, ./B1, xxx).

Daneben fanden in Niederösterreich anlassbezogen auch bei anderen Bauvorhaben – wie zB Brückenbau, Straßenbau, „Sonderlose und Spezialgewerke“ – wettbewerbsbeschränkende Handlungen statt, an denen die Antragsgegnerin im Zeitraum von zumindest 2011 bis 2017 unmittelbar beteiligt war (xxxx).

Im Rahmen von Ausschreibungen der MA 28, der Magistratsabteilung 28 für Straßenverwaltung und Straßenbau der Stadt Wien, kam es unter Beteiligung der Antragsgegnerin zu langjährigen, zum Teil historisch gewachsenen Preisabsprachen, Marktaufteilungen sowie zum Austausch über zukünftiges Abgabeverhalten. Diese Zuwiderhandlungen erfolgten anlass- und projektbezogen über einen „Arbeitsabtausch“ oder einen Austausch über „Interessensbekundungen“, zum Teil auch als Ausgleichsleistung für einen Subauftrag. In Bezug auf Mehrjahresbauverträge der MA 28 gab es überdies eine fixe Gebietsaufteilung nach Bezirken. Diese Handlungen wurden, neben begleitenden bilateralen Gesprächen, im Rahmen von regelmäßigen Gesprächsrunden, der sogenannten „großen Runde“, zwischen den fünf beteiligten Bauunternehmen, darunter der Antragsgegnerin, zwei bis vier Mal im Jahr organisiert. Bei den dabei teilweise besprochenen ARGE-Gründungen war die Antragsgegnerin selbst nicht beteiligt (xxx, ./X, xx). Von den kartellrechtswidrigen Handlungen war etwa rund die Hälfte der jährlichen Ausschreibungen der MA 28 betroffen. Umfasst waren etwa 370 Bauvorhaben mit einem Gesamtausschreibungsvolumen in Höhe von mehr als EUR 268 Mio (xxx).

Im Burgenland kam es bei Ausschreibungen von Hochbauprojekten bei einer Vielzahl von Bauvorhaben zu Zuwiderhandlungen, wobei die Antragsgegnerin – nach eigenen Angaben – ausschließlich passiv beteiligt war. Betroffen waren überwiegend Ausschreibungen gemeinnütziger Wohnungs- und Siedlungsbaugenossenschaften sowie Gemeinden, und zwar zumindest 146 Hochbauprojekte im Zeitraum 2010 bis 2017 (./Q, ./R). Die Umsetzungshandlungen erfolgten anlassbezogen und telefonisch, oftmals auf Initiative jenes Bauunternehmens, das den Auftrag erhalten wollte. Sobald eine neue Ausschreibung bekannt gemacht wurde, nahmen die Bauunternehmen zueinander Kontakt auf. Dabei vereinbarten sie, welches Unternehmen zurückstehen und welches den Auftrag erhalten sollte. Letzteres übermittelte sodann Deckangebote in Form eines Datenträgers an die Mitbewerber, welche diese beim jeweiligen Auftraggeber im eigenen Namen abgaben. In manchen Fällen wurde den Mitbewerbern nur die von ihnen abzugebende Angebotssumme (telefonisch oder per E-Mail) genannt und die Mitbewerber erstellten die Deckangebot selbst (./Q).

Daneben kam es im Burgenland zu weiteren Umsetzungshandlungen unter unmittelbarer Beteiligung der Antragsgegnerin, die insbesondere Ausschreibungen zu Sonderlosen sowie den Verkehrswegebau betrafen (xxxx, ./T1).

Bei den Ausschreibungen der OMV AG sowie ihrer Tochtergesellschaften Gas Connect Austria GmbH und Trans Austria Gasleitung GmbH betreffend unterschiedliche „Sonderprojekte“ im Bereich Hoch- und Tiefbau in der Steiermark, Kärnten und Niederösterreich nahm die Antragsgegnerin an Preisabsprachen, Marktaufteilungen und dem Austausch über zukünftiges Abgabeverhalten teil. Dabei erfolgten Kontaktaufnahmen zwischen den Mitbewerbern vorwiegend per Telefon, zT um vorab abzuklären, welche Bauunternehmen bei einer Ausschreibung überhaupt eingeladen waren. Ergänzend fanden auch persönliche Treffen statt, wie zB auf Raststationen oder in Niederlassungen der beteiligten Unternehmen (xxx, ./H1). Den beteiligten Unternehmen wurde in weiterer Folge ein Deckangebot (zur Tarnung zT auch als „Subangebot“ bezeichnet) übermittelt oder eine Angebotssumme genannt (./I1). Jenes Bauunternehmen, das besonderes Interesse an einem Bauvorhaben zeigte, organisierte die Absprache, indem es andere Wettbewerber kontaktierte und diese aufforderte, im Tausch gegen ein anderes Bauvorhaben oder für die Vergabe von „Punkten“ oder die Auszahlung eines Ausgleiches oder für einen Subauftrag zurückzustehen und ein Deckangebot abzugeben (xxx, ./J1, ./H1).

Beweiswürdigung:

Von der Antragsgegnerin wurde der von der Antrag­stellerin vorgebrachte Sachverhalt im Wesentlichen außer Streit gestellt. Darüber hinaus wird er durch die jeweils in Klammer angeführten Urkunden untermauert.

Aufgrund der Vielzahl der betroffenen Bauvorhaben und der Beteiligungshandlungen der Antragsgegnerin – welche etwa auch Gesprächsrunden in ihren Geschäftsräumlichkeiten durchführte und aktiv an zahlreichen Handlungen beteiligt war – war nicht festzustellen, dass die Antragsgegnerin generell „keine gewichtige Rolle“ bei der Umsetzung der Gesamtzuwiderhandlung eingenommen hat. Die Involvierung der Antragsgegnerin stellte sich vielmehr so dar, dass sie in zeitlicher, regionaler und sachlicher Hinsicht zwar unterschiedlich beteiligt war, im Rahmen ihres Betätigungsfeldes aber nicht unerheblich und in einer durchaus gewichtigen Rolle an den kartellrechtswidrigen Handlungen teilnahm.

Rechtliche Beurteilung:

Da gegen die Richtigkeit der Außerstreitstellungen, die mit den von der Antragstellerin vorgelegten Urkunden Beilagen ./A - ./I2 in Einklang stehen, keine Bedenken bestehen, waren iSd § 33 Abs 1 AußStrG iVm § 38 KartG keine weiteren Erhebungen durchzuführen.

1.) Zur Anwendbarkeit von Unionsrecht:

Gemäß § 1 Abs 1 KartG sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmern, Beschlüsse von Unternehmervereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken (Kartelle), verboten. Insbesondere sind nach § 1 Abs 2 Z 1 KartG die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der An- oder Verkaufspreise oder sonstige Geschäftsbedingungen sowie nach Z 3 leg cit die Aufteilung der Märkte oder Versorgungsquellen verboten.

Nach Art 101 Abs 1 AEUV sind alle jene Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten, die den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken. Dazu gehören insbesondere die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der An- und Verkaufspreise oder sonstiger Geschäftsbedingungen (lit a) sowie die Aufteilung der Märkte oder Versorgungsquellen (lit c). Die Anwendung von Art 101 und 102 AEUV fällt in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten (Art 5 VO [EG] 1/2003).

Beim Kriterium der Zwischenstaatlichkeit handelt es sich um eine Kollisionsnorm, die keine wettbewerbsrechtliche Bewertung der Absprache trifft, sondern die Frage beantworten soll, ob es angemessen ist, den Sachverhalt nach Unionsrecht zu beurteilen. Art 101 Abs 1 AEUV erfordert, dass die wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung oder der Missbrauch der beherrschenden Stellung geeignet ist, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Diese Voraussetzung ist – was schon durch Abstellen auf die „Eignung“ angelegt ist – weit zu verstehen (16 Ok 7/15p mwN).

Maßnahmen, deren wettbewerbsbeschränkende Wirkungen sich auf das gesamte Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erstrecken, sind idR zur Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten geeignet, weil sie schon ihrem Wesen nach die Abschottung nationaler Märkte verfestigen und die gewünschte Marktintegration verhindern können. Ein Kartell, das sich auf das gesamte Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erstreckt, hat nämlich schon seinem Wesen nach die Wirkung, die Abschottung der Märkte auf nationaler Ebene zu verfestigen, indem es die in der Europäischen Union angestrebte wirtschaftliche Verflechtung behindert (Leitlinien zum Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels, ABl 2004/C 101/07, Rn 77 ff). Daher können auch Maßnahmen von Unternehmen, die sich nur auf den Wettbewerb innerhalb eines einzelnen Mitgliedstaats auswirken, den innergemeinschaftlichen Handel beeinflussen (16 Ok 4/13; 16 Ok 2/15b; 16 Ok 7/15p; 16 Ok 8/16m; RS0120478).

Bei den festgestellten Zuwiderhandlungen der Antragsgegnerin ist allein schon aufgrund ihrer Dimension und Dauer sowie aufgrund der Marktanteile der Antragsgegnerin jedenfalls die Zwischenstaatlichkeit zu bejahen und Unionsrecht anzuwenden.

2.) Zum Vorliegen einer Vereinbarung oder abgestimmten Verhaltensweise:

Das Kartellverbot des Art 101 Abs 1 AEUV erfasst – wie jenes des § 1 Abs 1 KartG – insbesondere den Wettbewerb beeinträchtigende Vereinbarungen zwischen Unternehmern und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen. Beiden Tatbeständen ist gemeinsam, dass sie geeignet sein müssen, zwischen den beteiligten Unternehmern die Unsicherheiten über ihr zukünftiges Verhalten im Wettbewerb auszuschließen oder zu vermindern. In der Praxis ist eine Abgrenzung dieser Begriffe von geringer Relevanz, weil diese Formen wettbewerbsbeschränkenden Zusammenwirkens gleichrangig sind (Lager/Petsche in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG2 § 1 Rz 14 ff).

Der Begriff „Vereinbarung“ wird in diesem Zusammenhang weit ausgelegt: Nicht notwendig ist, dass es sich dabei um einen rechtlich verbindlichen Vertrag handelt; eine Vereinbarung liegt vielmehr schon dann vor, wenn die betreffenden Unternehmen ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck gebracht haben, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten. Folglich ist der Begriff der Vereinbarung durch das Vorliegen einer Willensübereinstimmung zwischen mindestens zwei Parteien gekennzeichnet, deren Ausdrucksform unerheblich ist, sofern sie den Willen der Parteien getreu wiedergibt. Bei einer Vereinbarung zwischen Unternehmern kommt es daher weder auf die Form der Vereinbarung (diese kann schriftlich, mündlich oder schlüssig getroffen werden) noch darauf an, ob sie auch tatsächlich umgesetzt wird (Lager/Petsche aaO § 1 Rz 18 f mwN).

Neben Vereinbarungen (und Beschlüssen von Unternehmervereinigungen) sind auch aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen vom Kartellverbot erfasst. Dabei handelt es sich nach ständiger Rechtsprechung des EuGH um jede Form der Koordinierung des Verhaltens zwischen Unternehmern, die zwar nicht bis zum Abschluss eines Vertrags im eigentlichen Sinn gediehen ist, aber bewusst eine praktische Zusammenarbeit an die Stelle des mit Risiken verbundenen Wettbewerbs treten lässt. Unter einer Verhaltensabstimmung ist also eine „Fühlungnahme“ zwischen den Unternehmern zu verstehen, die geeignet und bestimmt ist, deren Wettbewerbsrisiko abzuschwächen (Lager/Petsche aaO § 1 Rz 25 ff mwN).

Erfasst ist jede unmittelbare oder mittelbare Koordination zwischen Unternehmen, die bezweckt oder bewirkt, das Marktverhalten zu beeinflussen oder einen Mitbewerber über das Marktverhalten ins Bild zu setzen, das man selbst an den Tag zu legen entschlossen ist oder in Erwägung zieht (Lager/Petsche aaO § 1 Rz 31).

3.) Zum „Bezwecken“ und „Bewirken“:

Vereinbarungen fallen nur dann unter das Verbot des Art 101 Abs 1 AEUV, wenn sie eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH sind diese Voraussetzungen – wie die Konjunktion „oder“ erkennen lässt – alternativ zu verstehen, sodass sich die Notwendigkeit ergibt, zunächst den eigentlichen Zweck der Vereinbarung in Betracht zu ziehen, wobei die wirtschaftlichen Begleitumstände ihrer Durchführung zu berücksichtigen sind.

Wenn fest steht, dass eine Vereinbarung einen wettbewerbswidrigen Zweck verfolgt, brauchen ihre Auswirkungen auf den Wettbewerb nicht geprüft zu werden. Lässt jedoch die Prüfung des Inhalts der Vereinbarung keine hinreichende Beeinträchtigung des Wettbewerbs erkennen, sind ihre Auswirkungen zu untersuchen. Damit sie vom Verbot erfasst wird, müssen Umstände vorliegen, aus denen sich insgesamt ergibt, dass der Wettbewerb tatsächlich spürbar verhindert, eingeschränkt oder verfälscht worden ist.

Die Unterscheidung zwischen „bezweckten“ und „bewirkten“ Verstößen liegt darin begründet, dass bestimmte Formen der Kollusion zwischen Unternehmen schon ihrer Natur nach als schädlich für das gute Funktionieren des normalen Wettbewerbs angesehen werden können.

Bei der Prüfung der Frage, ob eine Vereinbarung eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung enthält, ist auf den Inhalt ihrer Bestimmungen und die mit ihr verfolgten Ziele sowie auf den wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhang, in dem sie steht, abzustellen. Im Rahmen der Beurteilung dieses Zusammenhangs sind auch die Natur der betroffenen Waren und Dienstleistungen, die auf dem betreffenden Markt oder den betreffenden Märkten bestehenden tatsächlichen Bedingungen und die Struktur dieses Markts oder dieser Märkte zu berücksichtigen. Für einen wettbewerbswidrigen Zweck reicht es bereits aus, wenn die Vereinbarung das Potenzial hat, negative Auswirkungen auf den Wettbewerb zu entfalten, dh wenn sie konkret geeignet ist, zu einer Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Markts zu führen (EuGH C-32/11 - Allianz Hungária, mwN). Das wesentliche Kriterium ist, dass eine solche Handlung in sich selbst eine hinreichende Beeinträchtigung des Wettbewerbs erkennen lässt (EuGH C-67/13 P - Groupement des cartes bancaires, mwN).

Sogenannte Kernbeschränkungen, namentlich die ersten drei Regelbeispiele des Art 101 Abs 1 AEUV, darunter auch Preisabsprachen und die Aufteilung von Märkten, sind als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen grundsätzlich verboten (Bechtold/Bosch/Brinker, EU-Kartellrecht³ Art 101 AEUV Rz 78 ff; Braun in Langen/Bunte, Kartellrecht13, Nach Art 101 AEUV, Rz 20; Füller in Kölner Kommentar zum Kartellrecht, Art 101 AEUV, Rz 205ff; zu § 1 KartG: Lager/Petsche aaO § 1 Rz 57 u 104; uva). Sie sind auch von der De‑Minimis‑Bekanntmachung der Europäischen Kommission, ABl 2014/C 291/01, durch deren Pkt II.12 ausgenommen. Preisabsprachen und koordinierte Aufteilungen der Märkte oder Versorgungsquellen sind bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen.

Das zwischen den Antragsgegnerin und ihren Mitbewerbern im Zeitraum Juli 2002 bis Oktober 2017 etablierte System von Preisabsprachen, Marktaufteilungen und des Informationsaustausches stellt Verstöße gegen die Bestimmungen des Art 101 Abs 1 lit a und c AEUV und § 1 Abs 2 Z 1 und 3 KartG dar. Hiebei handelt es sich um Kernbeschränkungen, deren unmittelbare Auswirkung auf den Markt nicht geprüft werden braucht. Die Verhaltensweisen der Antragsgegnerin widersprechen den Zielsetzungen, die hinter der Einleitung eines Vergabeverfahrens oder einer Ausschreibung stehen. So sind nach § 19 BVergG Vergabeverfahren ua entsprechend den Grundsätzen des freien und lauteren Wettbewerbs durchzuführen. Dafür ist die Einhaltung des Grundsatzes des geheimen Wettbewerbs unverzichtbare Voraussetzung.

4. Zum Vorliegen einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung (Gesamtzuwiderhandlung):

Innerhalb komplexer Organisationen zu dem gleichen Zweck getroffene Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen sind für ihre gesamte Dauer als einheitliche Zuwiderhandlung zu beurteilen. Die Zerlegung eines durch ein einziges wirtschaftliches Ziel gekennzeichneten kontinuierlichen Verhaltens wäre gekünstelt. Die Verantwortlichkeit mehrerer an einer einheitlichen Zuwiderhandlung beteiligter Unternehmen erstreckt sich auf die gesamte Dauer der Zuwiderhandlung und umfasst auch Verhaltensweisen anderer Kartellmitglieder, an denen das betroffene Unternehmen selbst nicht beteiligt ist, sofern sie im Rahmen des Gesamtkartells (der „Grundvereinbarung") erfolgen. Voraussetzung dafür ist, dass das Unternehmen wusste oder wissen musste, dass es sich an einem auf Wettbewerbsverfälschung abzielenden Gesamtkartell beteiligte und vom Verhalten der anderen Kartellmitglieder wusste, wissen musste oder es hätte voraussehen müssen und bereit war, das Risiko auf sich zu nehmen (vgl EuGH, 8. 7. 1999, Rs C-49/92 P - Komm/Anic, Rn 82, 83; EuGH, 7. 1. 2004, Rechtssachen C-204/00 P, C-205/00 P, C-211/00 P, C-213/00 P, C-217/00 P und C-219/00 P - Komm/Aalborg Portland, Rn 258; Bunte in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht II10 Art 81 EGV Rn 36a mit weiteren Nachweisen zur europäischen Rechtsprechung; 16 Ok 5/08).

Ein Verstoß gegen Art 101 Abs 1 AEUV und § 1 Abs 2 Z 1 und 3 KartG kann sich somit nicht nur aus einer isolierten Handlung, sondern auch aus einer Reihe von Handlungen oder einem kontinuierlichen Verhalten ergeben. Bei der Einstufung unterschiedlicher Handlungen als einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung ist zu prüfen, ob zwischen ihnen insoweit ein Komplementaritätsverhältnis besteht, als jede von ihnen eine oder mehrere Folgen des normalen Wettbewerbs beseitigen soll und durch Interaktion zur Verwirklichung sämtlicher wettbewerbswidriger Wirkungen beiträgt, die ihre Urheber im Rahmen eines auf eine einheitliche Zielsetzung gerichteten Gesamtplans anstreben. Insoweit sind alle Umstände zu berücksichtigen, die dieses Verhältnis belegen oder in Frage stellen können, wie der Anwendungszeitraum, der Inhalt einschließlich der verwendeten Methoden und im Zusammenhang damit die Zielsetzung der verschiedenen fraglichen Handlungen (EuG T-27/10 - AC-Treuhand/Kommission).

Die oben im Einzelnen beschriebenen Zuwiderhandlungen, an denen sich auch die Antragsgegnerin beteiligte, beruhten auf einem über einen langen Zeitraum hinweg aufgebauten Gesamtsystem mit dem Grundverständnis der teilnehmenden Unternehmen, sich betreffend einzelne Bauvorhaben jederzeit kontaktieren zu können, um Preisabsprachen zu treffen, Marktaufteilungen vorzunehmen, das künftige Verhalten bei Angebotsabgaben zu erfragen oder dieses überhaupt aufeinander abzustimmen oder kartellrechtswidrige ARGE zu bilden, und dadurch den Wettbewerb im Bereich Hoch- und Tiefbau systematisch einzuschränken bzw überhaupt auszuschließen, sodass sie sich Marktanteile und Margen sichern können. Die festgestellten Verhaltensweisen sind daher als eine einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung zu qualifizieren.

Die Beteiligung der Antragsgegnerin an einer solchen Zuwiderhandlung führt dazu, dass sie für die gesamte Zeit ihrer Beteiligung auch für das von anderen Mitbewerbern im Rahmen der Zuwiderhandlung an den Tag gelegte Verhalten verantwortlich ist, zumal sie nach den Feststellungen durch ihr eigenes Verhalten zur Erreichung der von allen Beteiligten verfolgten gemeinsamen Ziele beitragen wollte und von dem von anderen Unternehmen in Verfolgung dieser Ziele beabsichtigten oder an den Tag gelegten rechtswidrigen Verhalten zumindest wissen musste und bereit war, die daraus erwachsende Gefahr auf sich zu nehmen (EuGH 26.9.2018, C-99/17 P, Infineon Technologies Rn 172; EuGH 26.1.2017, C 644/13P, Villeroy & Boch Rn 48; EuG, 12.7.2007, T-101/05 ua, BASF ua Rn 160; EuGH 8.7.1999, C-49/92, Komm/Anic Rn 83; Bunte in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht10, Band 2, Art 81 Rn 36a).

5.) Zur Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkung:

Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH müssen die Wettbewerbsbeschränkung und die Handelsbeeinträchtigung auch spürbar sein, um vom Kartellverbot erfasst zu sein. Das Vorliegen einer spürbaren Beschränkung des Wettbewerbs auf dem Binnenmarkt ist anhand des tatsächlichen Rahmens einer solchen Vereinbarung zu beurteilen. Vereinbarungen, die geeignet sind, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen und die einen wettbewerbswidrigen Zweck haben, sind ihrer Natur nach und unabhängig von ihren konkreten Auswirkungen eine spürbare Beschränkung des Wettbewerbs (EuGH C-226/11 - Expedia, Rz 16f, 21 und 37). Dies ist im vorliegenden Fall gegeben.

6.) Zum Verschulden:

§ 29 KartG stellt klar, dass Geldbußen nur bei Verschulden zu verhängen sind. Der Unternehmer muss den Tatbestand vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführt haben. Gleiches gilt zufolge Art 23 VO 1/2003 im Unionsrecht. Das KartG definiert nicht näher, was unter Vorsatz und Fahrlässigkeit zu verstehen ist. Einschlägige Definitionen enthalten aber die strafrechtlichen Bestimmungen der §§ 5 f StGB und § 3 VbVG (16 Ok 2/11).

Vorsätzlich handelt gemäß § 5 Abs 1 StGB, wer einen Sachverhalt verwirklichen will, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht; dazu genügt es, dass der Täter diese Verwirklichung ernstlich für möglich hält und sich mit ihr abfindet. Demgegenüber handelt fahrlässig, wer die Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den Umständen verpflichtet und nach seinen geistigen und körperlichen Verhältnissen befähigt ist und die ihm zuzumuten ist, und deshalb nicht erkennt, dass er einen Sachverhalt verwirklichen könne, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht (§ 6 Abs 1 StGB), und wer es für möglich hält, dass er einen solchen Sachverhalt verwirkliche, ihn aber nicht herbeiführen will (§ 6 Abs 2 StGB).

Gemäß § 3 Abs 1 VbVG ist ein Verband – ein solcher ist nach der Legaldefinition des § 1 Abs 2 leg.cit. insbesondere eine juristische Person – unter den weiteren Voraussetzungen des Abs 2 oder des Abs 3 für eine Straftat verantwortlich, wenn 1. die Tat zu seinen Gunsten begangen worden ist oder 2. durch die Tat Pflichten verletzt worden sind, die den Verband treffen.

Die Voraussetzungen des § 3 Abs 1 VbVG sind hier erfüllt, weil durch die festgestellten Verhaltensweisen Pflichten der Antragsgegnerin verletzt wurden.

Für Straftaten eines Entscheidungsträgers ist gemäß § 3 Abs 2 VbVG der Verband verantwortlich, wenn der Entscheidungsträger als solcher die Tat rechtswidrig und schuldhaft begangen hat. Entscheidungsträger iSd VbVG ist nach dessen § 2 Abs 1, wer 1. Geschäftsführer, Vorstandsmitglied oder Prokurist ist oder aufgrund organschaftlicher oder rechtsgeschäftlicher Vertretungsmacht in vergleichbarer Weise dazu befugt ist, den Verband nach außen zu vertreten, 2. Mitglied des Aufsichtsrates oder des Verwaltungsrates ist oder sonst Kontrollbefugnisse in leitender Stellung ausübt, oder 3. sonst maßgeblichen Einfluss auf die Geschäftsführung des Verbandes ausübt.

Für Straftaten von Mitarbeitern ist gemäß § 3 Abs 3 VbVG der Verband verantwortlich, wenn

1. Mitarbeiter den Sachverhalt, der dem gesetzlichen Tatbild entspricht, rechtswidrig verwirklicht haben; der Verband ist für eine Straftat, die vorsätzliches Handeln voraussetzt, nur verantwortlich, wenn ein Mitarbeiter vorsätzlich gehandelt hat; für eine Straftat, die fahrlässiges Handeln voraussetzt, nur, wenn Mitarbeiter die nach den Umständen gebotene Sorgfalt außer Acht gelassen haben; und

2. die Begehung der Tat dadurch ermöglicht oder wesentlich erleichtert wurde, dass Entscheidungsträger die nach den Umständen gebotene und zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben, insbesondere indem sie wesentliche technische, organisatorische oder personelle Maßnahmen zur Verhinderung solcher Taten unterlassen haben.

Mitarbeiter iSd VbVG ist gemäß § 2 Abs 2 leg cit, wer (unter anderem) aufgrund eines Arbeitsverhältnisses Arbeitsleistungen für den Verband erbringt.

Nach dem festgestellten Sachverhalt wurden die Kartellrechtsverstöße von Mitarbeitern der Antragsgegnerin gesetzt. Diese haben jedenfalls zumindest mit bedingtem Vorsatz (dolus eventualis) gehandelt, was sich schon daraus ergibt, dass ihnen bewusst war, dass es sich hiebei nicht um ein „Kavaliersdelikt“ handelt. Das Verschulden ist daher zu bejahen.

7.) Zur Verjährung:

Das kartellrechtswidrige Verhalten der Antragsgegnerin umfasste einen Zeitraum von Juli 2002 bis Oktober 2017. Von der Antragsgegnerin wurde kein Verjährungseinwand erhoben. Aus einem solchen wäre für sie auch nichts zu gewinnen gewesen:

§ 33 KartG idF BGBl I Nr. 176/2021 ist nach § 86 Abs 12 KartG auf Rechtsverletzungen anzuwenden, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes (10.9.2021) noch nicht verjährt sind. Gemäß § 33 Abs 1 1. Satz KartG darf eine Geldbuße nur verhängt werden, wenn der Antrag binnen fünf Jahren ab Beendigung der Rechtsverletzung gestellt wurde. Diese Frist wird unterbrochen, sobald mindestens einem an der Rechtsverletzung beteiligten Unternehmer oder einer beteiligten Unternehmervereinigung eine auf Ermittlung oder Verfolgung der Rechtsverletzung gerichtete Handlung der Bundeswettbewerbsbehörde bekanntgegeben wird. Mit jeder Unterbrechung beginnt die Frist neu zu laufen.

Anders als Art 25 der VO 1/2003 differenziert § 33 KartG nicht zwischen einmaligen, dauernden und fortgesetzten Zuwiderhandlungen bzw Zustands- und Dauerdelikten. Nach dem Gesetzeswortlaut muss das Verhalten insgesamt beendet sein, um den Beginn der Verjährungsfrist auszulösen.

Bei den Dauerdelikten ist zwischen dauernden und fortgesetzten Zuwiderhandlungen zu unterscheiden. Eine dauernde Zuwiderhandlung besteht aus einer andauernden, eine fortgesetzte aus mehreren Handlungen, die jede für sich die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllen. Somit handelt es sich bei einer dauernden Zuwiderhandlung um ein abgrenzbares rechtswidriges Verhalten, das ohne Unterbrechung über einen längeren Zeitraum gesetzt wird. Eine fortgesetzte Zuwiderhandlung liegt demgegenüber immer dann vor, wenn eine zu einer rechtlichen Einheit zusammengefasste Vielzahl rechtswidriger aufeinander folgender Verhaltensweisen oder mehrere abgrenzbare Handlungen, die auf die Durchführung einer einzigen Zuwiderhandlung gerichtet sind, erfolgen (Traugott in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG2 § 33 Rz 6 und 7).

Der Begriff der fortgesetzten Zuwiderhandlung umfasst eine Mehrzahl von rechtswidrigen Verhaltensweisen oder von Handlungen zur Durchführung einer einzigen Zuwiderhandlung, die durch ein gemeinsames subjektives Element zu einer Einheit verbunden sind (EuGH C-235/92 P - Montecatini/Kommission).

Wie bereits oben zu Punkt 4) dargestellt, liegt hier eine einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung der Antragsgegnerin gegen das Kartellrecht vor, da alle Einzelverstöße auf einem einheitlichen Gesamtplan und Gesamtsystem beruhen. In einem solchen Fall beginnt die Verjährungsfrist erst mit Beendigung des letzten Teilakts zu laufen (16 Ok 2/15b; 16 Ok 8/15k mwN). Da die Zuwiderhandlungen weniger als fünf Jahre vor der Einbringung des Geldbußenantrags beendet waren, ist keine Verjährung eingetreten.

8.) Zur Rechtfertigung:

Ein Freistellungs- bzw Rechtfertigungsgrund nach § 2 Abs 1 KartG und Art 101 Abs 3 AEUV wurde nicht behauptet und ist nicht erkennbar.

9.) Zur Höhe der Geldbuße:

Gemäß § 29 Z 1 lit a und d KartG ist bei einem vorsätzlichen oder fahrlässigen Verstoß gegen § 1 KartG bzw gegen Art 101 AEUV eine Geldbuße bis zu einem Höchstbetrag von 10% des im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes zu verhängen. Darunter ist der weltweite Umsatz des jeweils am Wettbewerbsverstoß beteiligten Unternehmers zu verstehen, wobei die Berechnungsbestimmung des § 22 KartG heranzuziehen ist.

Bei der Bemessung der Geldbuße ist gemäß § 30 Abs 1 KartG insbesondere auf die Schwere und die Dauer der Rechtsverletzung, auf die durch die Rechtsverletzung erzielte Bereicherung, auf den Grad des Verschuldens und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Bedacht zu nehmen.

Ein Erschwerungsgrund ist es gemäß § 30 Abs 2 KartG insbesondere, wenn

1. das Kartellgericht gegen den Unternehmer oder die Unternehmervereinigung schon wegen einer gleichartigen oder ähnlichen Zuwiderhandlung eine Geldbuße verhängt oder eine solche Zuwiderhandlung festgestellt hat oder

2. der Unternehmer oder die Unternehmervereinigung als Urheber oder Anstifter einer von mehreren begangenen Rechtsverletzung oder an einer solchen Rechtsverletzung führend beteiligt war.

Ein Milderungsgrund ist es gemäß § 30 Abs 3 KartG insbesondere, wenn der Unternehmer oder die Unternehmervereinigung

1. an einer von mehreren begangenen Rechtsverletzung nur in untergeordneter Weise beteiligt war,

2. die Rechtsverletzung aus eigenem beendet hat,

3. wesentlich zur Aufklärung der Rechtsverletzung beigetragen hat oder

4. den aus der Rechtsverletzung entstandenen Schaden ganz oder teilweise gutgemacht hat.

Bei der Ermittlung der Höhe der beantragten Geldbuße ging die Antragstellerin von folgenden Überlegungen aus:

Da die Mehrzahl der betroffenen Bauvorhaben den Straßenbau betrifft, zog sie den im Jahr 2016 in diesem Geschäftsbereich in Österreich erzielten Umsatz der Antragsgegnerin in Höhe von rund EUR 39,82 Mio als Ausgangspunkt der Bemessung heran. Ausgehend von einem Grundbetrag, der regionale und zeitliche Ausprägung und persönliche Involvierung an der Gesamtzuwiderhandlung widerspiegle, und unter Anwendung eines Multiplikators für die Dauer der Zuwiderhandlung errechnete sie einen Betrag in Höhe von EUR 6,6 Mio. In weiterer Folge berücksichtige die Antragstellerin einen Abschlag für die einvernehmliche Verfahrensbeendigung. Als mildernd wertete sie die Einführung eines zertifizierten Compliance-Management-Systems. Unter Berücksichtigung dieser Faktoren und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Antragsgegnerin beantragte die Antragstellerin eine Geldbuße von EUR 4,81 Mio.

Ob eine höhere als diese beantragte Geldbuße in Frage käme, ist im Hinblick darauf, dass das Kartellgericht nach § 36 Abs 2 letzter Satz KartG keine höhere Geldbuße verhängen darf als beantragt, nicht zu prüfen.

Eine niedrigere Geldbuße als die beantragte Summe, die bei einem weltweiten Konzernumsatz der Antragsgegnerin im Geschäftsjahr 2016/17 (als dem letzten Jahr des Zuwiderhandelns, vgl 16 Ok 2/22p) in Höhe von rund EUR 143 Mio rund 33,6% des Höchstbetrags nach § 29 Z 1 KartG entspricht (bei Heranziehung des im Geschäftsjahr 2021/22 erzielten Umsatzes von EUR 186 Mio wären es rund 25,8%), kommt angesichts der Schwere und Dauer des Verstoßes, die durch die Rechtsverletzung zwangsläufig erzielte Bereicherung, das vorsätzliche Handeln und die erhebliche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Antragsgegnerin aus spezial- und generalpräventiven Erwägungen nicht in Betracht.“



Bekannt gemacht am 29.11.2023

Änderung

Entscheidungsdatum von 10.08.2023 auf 09.05.2023 geändert.
Text geändert. Alte Fassung:

 Über die Antragsgegnerin wird wegen der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung gegen § 1 Abs 1 KartG und Art 101 Abs 1 AEUV in Form von kartellrechtswidrigen Preisabsprachen, Marktaufteilungen und Informationsaustausch mit Mitbewerbern in Bezug auf öffentliche und private Ausschreibungen im Bereich Hoch- und Tiefbau in Österreich im Zeitraum von zumindest Juli 2002 bis Oktober 2017 gemäß § 29 Z 1 lit a und d KartG eine Geldbuße von EUR 4,81 Mio verhängt.

Begründung:

Vorbringen:

Die Antragstellerin beantragte die Verhängung einer Geldbuße gemäß § 29 Z 1 lit a und d KartG in Höhe von EUR 4,81 Mio über die Antragsgegnerin. Zusammengefasst wurde vorgebracht, die Antragsgegnerin hätte sich an einheitlichen und fortgesetzten kartellrechtswidrigen Vereinbarungen sowie aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen in Bezug auf öffentliche und private Ausschreibungen im Bereich Hoch- und Tiefbau beteiligt. Die an dieser Gesamtzuwiderhandlung beteiligten Unternehmen - wobei beinahe sämtliche Sparten der Bauwirtschaft im Bereich Hoch- und Tiefbau betroffen seien - hätten jahrelang und systematisch den Wettbewerb in der Bauwirtschaft ausgeschaltet und sich gegenseitig in einem kontinuierlichen System kartellrechtswidriger bi- und multilateraler Kontakte zu Aufträgen verholfen, ohne befürchten zu müssen, von einem günstigeren Angebot unterboten zu werden. Dabei hätten sie das gemeinsame Ziel verfolgt, den Wettbewerb bei Ausschreibungen zu minimieren oder auszuschließen, um sich so unter anderem Marktanteile bzw eine kontinuierliche Auslastung zu sichern. Das etablierte System, die große Anzahl betroffener Bauvorhaben, die lange Dauer und die Selbstverständlichkeit, mit der es zu den wettbewerbsbeschränkenden Handlungen gekommen sei, würden einen hohen Unrechtsgehalt aufweisen, zumal Ausschreibungen gerade dem Zweck dienten, faire und transparente Wettbewerbsbedingungen zu schaffen. Die zahlreichen Preisabsprachen und Aufteilungen von Bauvorhaben hätten den Wettbewerb in der Bauwirtschaft – zum Schaden der öffentlichen und privaten Hand - grundlegend verfälscht und das zentrale Ziel, Auftraggebern eine unabhängige und unbeeinflusste Wahl zu ermöglichen, vereitelt.

Die Antragsgegnerin sei an der Gesamtzuwiderhandlung im Rahmen ihrer Tätigkeit beteiligt gewesen. Sie habe – entsprechend ihrer Geschäftstätigkeiten und Tätigkeitsschwerpunkte - an zahlreichen kartellrechtswidrigen bi- und multilateralen Kontakten teilgenommen. Sie sei unmittelbar an Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen, insbesondere in NÖ, Wien und dem Burgenland, sowie betreffend einzelner bestimmter Projekte auch in Kärnten und der Steiermark, beteiligt gewesen. Aufgrund ihrer wesentlichen Beteiligung und ihrer gewichtigen Rolle bei Umsetzungshandlungen in NÖ und Wien sei die Antragsgegnerin als Hauptbeteiligte anzusehen.

Die Zuwiderhandlung habe Preisabsprachen, Marktaufteilungen, sonstige wettbewerbsbeschränkende Absprachen zwischen Bietern, den Austausch wettbewerbssensibler Informationen und vereinzelt die Bildung kartellrechtswidriger ARGE und BIEGE umfasst (wobei die Antragsgegnerin an kartellrechtswidrigen ARGE/Biege bzw internen Submissionen nicht unmittelbar beteiligt gewesen sei). In Umsetzung der Zuwiderhandlung sei zwischen der Antragsgegnerin und ihren Mitbewerbern schriftlich, telefonisch oder im Rahmen persönlicher Treffen abgestimmt worden, wer den Zuschlag für ein bestimmtes Bauvorhaben erhalten oder wie die Zuschlagserteilung für mehrere Bauvorhaben erfolgen solle. Hiezu sei es zu regelmäßigen oder anlassbezogenen Gesprächsrunden, zu bilateralen Kontaktaufnahmen und dem Versenden von Deckangeboten gekommen. Die Gesamtzuwiderhandlung („single and continuous infringement“) sei bei einer großen Anzahl von Bauvorhaben mit Ausschreibungen in unterschiedlichen Bereichen (etwa Tief-, Hoch- und Ingenieursbau wie Tunnel- und Brückenbau) gesetzt worden und habe Bauvorhaben ausgehend von kleineren Bauprojekten bis hin zu Großbauprojekten umfasst. Die Antragsgegnerin sei im Rahmen ihres zeitlichen, regionalen und sachlichen Tätigkeitsbereiches beteiligt gewesen.

Zwischen den beteiligten Unternehmen habe ein Grundverständnis bestanden, sich vor der Angebotsabgabe wechselseitig über das jeweilige Angebotsverhalten abzustimmen bzw informieren zu können, um das oa gemeinsame Ziel zu erreichen. So hätten die beteiligten Unternehmen bewusst auf die Abgabe wettbewerbsfähiger Angebote verzichtet, indem sie entweder kein Angebot (sog. „Zurückstehen“) oder ein bewusst überhöhtes Angebot („Deckangebot“ oder auch „Fahne“) abgegeben hätten. Teilweise sei es ihnen auch schlicht um die bessere Planbarkeit und Verteilung der Kapazitäten gegangen. Dieses Verhalten habe auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit beruht, in der Erwartung, dass der Zurückstehende bei späteren Aufträgen selbst durch entsprechendes Verhalten der anderen Bauunternehmen zum Auftrag gelange und so im Ergebnis alle beteiligten Unternehmen davon profitierten. Dieses im Zeitraum von zumindest Juli 2002 bis Oktober 2017 gewachsene, allgemein etablierte Kollusionssystem, wonach man sich über das jeweilige Angebots- und Marktverhalten abstimmen und informieren habe können, um in weiterer Folge das eigene Marktverhalten anzupassen, sei durch die Mitarbeiter der beteiligten Unternehmen an ihre jeweiligen Nachfolger weitergegeben („vererbt“) worden, bei Arbeitsplatzwechsel von einem Unternehmen zum nächsten mitgenommen und unter vorwerfbarer Unkenntnis oder gar Duldung der Unternehmensleitung vorgenommen worden.

An der Zuwiderhandlung seien über 40 Bauunternehmen in unterschiedlichem Ausmaß beteiligt gewesen, wobei neben der Antragsgegnerin neun weitere Bauunternehmen als Hauptbeteiligte zu qualifizieren seien (diese Einordnung bedeute nach Auffassung der Antrag­stellerin nicht, dass die genannten Unternehmen an sämtlichen Absprachen, aus denen sich die Gesamtzuwiderhandlung ergibt, unmittelbar beteiligt gewesen seien; das konkrete Ausmaß der Involvierung sei im Zeitverlauf, regional und sachlich zum Teil unterschiedlich gewesen).

Die Antragsgegnerin sei bei rund 3.500 Bauvorhaben unmittelbar beteiligt gewesen, wobei der Großteil den Straßenbau in NÖ betreffe. Diesbezüglich seien bei der Umsetzung der Gesamtzuwiderhandlung Kontakte zwischen Wettbewerbern im Rahmen der Zusammenarbeit in Asphaltmischwerken, die aufgrund ihrer Zulieferfunktion eine zentrale Rolle im Straßenbau spielen, wesentlich gewesen.

Die Antragstellerin führe im Bereich Bauwirtschaft umfangreiche Ermittlungen wegen wettbewerbsbeschränkender horizontaler Absprachen durch. Nachdem 2017 Hausdurchsuchungen auch bei der Antragsgegnerin durchgeführt worden seien, habe es bei jener Bestrebungen einer Auf­arbeitung und einvernehmlichen Verfahrensbeendigung gegeben. Schließlich habe die Antragsgegnerin am 1.2.2023 ein Anerkenntnis abgegeben, in dem sie zusammengefasst den von der Antrag­stellerin vorgebrachten Sachverhalt außer Streit gestellt, die rechtliche Qualifikation als Zuwiderhandlung anerkannt und die in Aussicht gestellte Geldbuße akzeptiert habe. Dazu habe die Antragsgegnerin eine exemplarische Aufzählung vom 272 Bauvorhaben, die mit Mitbewerbern abgestimmte und kartellrechtswidrige Zuwiderhandlungen darstellten, vorgelegt.

In rechtlicher Hinsicht sei davon auszugehen, dass die Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen als einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung zu qualifizieren seien, welche die Einschränkung des Wettbewerbs iSd § 1 Abs 1 KartG und Art 101 Abs 1 AEUV bezweckt hätten und damit eine Kernbeschränkung darstellten. Diese Würdigung habe bereits zur Verhängung rechtskräftiger Geldbußen gegen die Unternehmensgruppen Strabag, Porr und Habau geführt. Das Kriterium der Zwischenstaatlichkeit sei erfüllt, da sich die Gesamtzuwiderhandlung auf ganz Österreich erstreckt habe und betroffene Projekte regelmäßig EU-weit bekannt gemacht und ausgeschrieben worden seien. Damit sei neben innerstaatlichem Recht auch Unionsrecht anzuwenden. Der Begriff „Vereinbarung“ laut § 1 KartG und Art 101 AEUV sei weit auszulegen. Die getroffenen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen seien als einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung zu qualifizieren, da sich die Unternehmen durch bi- und multilaterale Kontakte gegenseitig zur Erteilung von Aufträgen verholfen hätten (Identität der Modalitäten), welche die Bauwirtschaft im Bereich Hoch- und Tiefbau betroffen hätten (Identität der betroffenen Waren und Dienstleistungen), wobei in der überwiegenden Mehrzahl dieselben Unternehmen involviert gewesen seien (Identität der beteiligten Unternehmen); zudem liege ein gemeinsames Ziel vor, welches darin bestanden habe, durch bi- und multilaterale Kontakte das Risiko des Wettbewerbs zu minimieren oder auszuschließen, um sich gegenseitig zur Erteilung von Aufträgen zu verhelfen und sich so Marktanteile bzw eine kontinuierliche Auslastung zu sichern.

Auch wenn ein Unternehmen nicht direkt an allen Bestandteilen der Gesamtzuwiderhandlung beteiligt gewesen sei oder es im Rahmen seiner Beteiligung nur eine untergeordnete Rolle gespielt habe, könne es für die Handlungen der übrigen Unternehmen zur Verantwortung gezogen werden; dies zumal die Antragsgegnerin im Rahmen der Gesamtzuwiderhandlung an einer Vielzahl kartellrechtswidriger Handlungen aktiv und maßgeblich beteiligt und in der Lage gewesen sei, die wesentlichen Umstände der Zuwiderhandlung mitzuprägen. Sie habe vorsätzlich zu dem gemeinsamen Ziel beigetragen und es sei ihr das Verhalten bewusst gewesen, das die anderen Unternehmen zur Verfolgung dieses gemeinsamen Zieles beabsichtigten oder an den Tag gelegt hätten oder sie hätte dieses Verhalten vernftigerweise vorhersehen können und sei bereit gewesen, das entsprechende Risiko auf sich zu nehmen.

Die Gesamtzuwiderhandlung habe

- Vereinbarungen über die in Ausschreibungen abzugebenden Preise durch Festlegung oder Vorgabe von Abgabepreisen, Kartellaufschlägen oder die Abstimmung des Preisniveaus,

- Aufteilungen von Gebieten sowie Kunden bzw Bauvorhaben durch Zuteilung einzelner Bauvorhaben an Unternehmen und Beeinflussung der Ausschreibungsverfahren für diese Bauvorhaben,

- den Austausch von wettbewerbssensiblen und strategischen Informationen wie zB Kapazitäten, das Interesse an einer bestimmten Ausschreibung oder die Erfüllung von Ausschreibungskriterien

umfasst und damit wettbewerbliche Unsicherheit reduziert oder ausgeschlossen, die Beschränkung der autonomen Preisfestsetzung durch Mitbewerber und damit des Preiswettbewerbs bezweckt und die Auswahlmöglichkeiten der Auftraggeber beeinträchtigt, was insbesondere zahlreiche positive Wirkungen des Wettbewerbs, wie zB dessen Ordnungs- und Antriebsfunktion, verhindere. Es lägen demnach bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen vor.

Am Verschulden der beteiligten Unternehmen bestehe kein Zweifel; dies umso mehr, als derartige Verhaltensweisen auch von strafrechtlicher Relevanz sein könnten (§ 168b StGB). Die beteiligten natürlichen Personen seien vertretungsbefugt gewesen. Ihre Handlungen seien den jeweils beteiligten Unternehmen zuzurechnen.

Für die Bemessung der Geldbuße sei der im Jahr 2016 in Österreich erzielte Umsatz der Antragsgegnerin im Geschäftsbereich Straßenbau, welcher die Mehrzahl der betroffenen Bauvorhaben betreffe, in Höhe von rund EUR 39,82 Mio als Ausgangspunkt geeignet. Ausgehend von einem Grundbetrag, der die konkreten Merkmale der Gesamtzuwiderhandlung widerspiegle, und unter Anwendung eines Multiplikators für die Dauer der Zuwiderhandlung von 2002 bis 2017 ergebe sich ein Betrag von EUR 6,6 Mio. Die Antragstellerin habe einen Abschlag für die einvernehmliche Verfahrensbeendigung und das in diesem Zusammenhang abgegebene umfassende Anerkenntnis gewährt. Ebenfalls mildernd sei die Einführung eines zertifizierten Compliance Management Systems eingeflossen. Unter Berücksichtigung dieser Faktoren und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit werde eine Geldbuße in der beantragten Höhe aus general- und spezialpräventiven Erwägungen als ausreichend eingeschätzt.

Der Bundeskartellanwalt schloss sich dem Antrag und dem Vorbringen der Antragstellerin an.

Die Antragsgegnerin bestritt das Tatsachenvorbringen der Antragstellerin nicht und verwies auf ihr Anerkenntnis. Sie akzeptierte die von der Antragstellerin vorgenommene rechtliche Qualifikation sowie die Geldbußenbemessung als angemessen.

Ein ergänzendes Vorbringen erstattete sie insoweit, als sie betreffend die im Antrag enthaltene Bezeichnung als „Hauptbeteiligte“ bestritt, eine „gewichtige Rolle“ bei der Umsetzung der Gesamtzuwiderhandlung eingenommen zu haben. Die Antragsgegnerin stehe wesentlich größeren, marktmächtigeren Wettbewerbern gegenüber und könne aufgrund ihrer Eigenschaft als mittelständiges Familienunternehmen, ihres Umsatzes und ihres räumlich eingeschränkten Tätigkeitsbereiches lediglich eine untergeordnete Rolle einnehmen. Jedenfalls müsste eine „gewichtige Rolle bei Umsetzungshandlungen“ in Ansehung der Liste der der Antragsgegnerin vorgeworfenen Bauvorhaben (nämlich Beilage xxx) eingeschränkt werden, nämlich auf eine „gewichtige Rolle von Pittel bei Umsetzungshandlungen in Niederösterreich“, weil rund 3000 der rund 3500 Bauvorhaben Niederösterreich betreffen würden.

Zu der von der Antragstellerin eingeräumten unmittelbaren Teilnahme der Antragsgegnerin in „sachlich, regional und zeitlich unterschiedlicher Intensität“ sei zu erläutern, dass sich die Zuwiderhandlungen in sachlicher Hinsicht im Wesentlichen auf den Asphaltmischgut-Straßenbau bezogen hätten; gelegentlich seien andere Bereiche wie zB Hochbau betroffen gewesen. In räumlicher Hinsicht sei die Antragsgegnerin nicht in allen Bundesländern tätig gewesen, sondern ganz überwiegend in Niederösterreich und Wien, punktuell etwa im Burgenland und der Steiermark. Zeitlich habe die Antragsgegnerin das kartellrechtswidrige Verhalten unverzüglich nach der Hausdurchsuchung im Mai 2017 grundsätzlich eingestellt und umfangreiche Compliance-Maßnahmen gesetzt; vereinzelte weitere Zuwiderhandlungen bis Oktober 2017 seien nicht ausgeschlossen und würden somit anerkannt.

Die Bauvorhaben, die außer den in der Beilage zum Anerkenntnis aufgezählten Bauvorhaben genannt würden, würden nicht ausdrücklich bestritten, jedoch seien diese noch nicht untersucht oder sonst eine Beteiligung der Antragsgegnerin festgestellt worden; deren Beteiligung könne daher derzeit nicht bestätigt werden.

Weiters verwies die Antragsgegnerin darauf, dass die Kontaktaufnahme zwischen Mitbewerbern auch deshalb erfolgt sei, um die Teilnahme an zukünftigen Vergabeverfahren sicherzustellen. Durch Angebotslegung, auch wenn an der Umsetzung eines Bauvorhabens (zB mangels Kapazität) kein Interesse bestanden habe, sollte eine Einladung des Auftraggebers auch bei künftigen Ausschreibungen sichergestellt werden. Die Antragsgegnerin habe nie beabsichtigt, Auftraggeber zu schädigen. Nach ihrer Ansicht sei ein Schaden auch nicht entstanden. Schließlich hätten die Absprachen zumindest teilweise auch schlicht die bessere Planbarkeit und Verteilung der Kapazitäten zwischen den beteiligten Unternehmen zum Ziel gehabt.

Feststellungen:

Auf Grund der Urkunden Beilagen ./A - ./I2 und der Außerstreitstellungen steht folgender Sachverhalt fest:

1. Antragsgegnerin

Die Antragsgegnerin ist eine zu FN 228135v im Firmenbuch eingetragene GmbH mit Sitz in 1040 Wien. Sie steht zu 100% im Eigentum der (nicht operativ tätigen) Pittel + Brausewetter Holding GmbH. „Pittel“ ist als österreichisches Familienunternehmen seit mehr als 150 Jahren in der Baubranche tätig und bietet nahezu sämtliche Bausparten an. Der Konzernumsatz belief sich im Geschäftsjahr 2016/2017 auf rund EUR 143 Mio, im Geschäftsjahr 2021/2022 rund EUR 186 Mio. Der Haupttätigkeitsbereich liegt in Niederösterreich und Wien.

2. Ermittlungsverfahren

Ausgangspunkt der Ermittlungen war ein bei der K*** GesmbH sichergestellter roter Aktenordner. Nach Hausdurchsuchungen der Antragstellerin gemäß § 12 Abs 1 WettbG im Frühjahr 2017 sowie der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft an Standorten der Antragsgegnerin ergingen im April 2019 Auskunftsverlangen nach § 11a Abs 1 WettbG, mit denen im Rahmen der laufenden Ermittlungen Informationen zu den Wirtschaftszweigen Asphaltmischgut und Straßenbau abgefragt wurden. Der Antragsgegnerin wurde am 12.9.2022 die Mitteilung der Beschwerdepunkte einschließlich Beilagen gemäß § 13 Abs 2 WettbG übermittelt. Nach ersten Gesprächen führte die Antragsgegnerin in einer schriftlichen Stellungnahme aus bestrebt zu sein, die im Raum stehenden Vorwürfe rasch und solide aufzuarbeiten. Sie bekräftigte ihr Interesse an einer einvernehmlichen Verfahrensbeendigung.

Mehrere der größten Bauunternehmen Österreichs kooperierten mit der Antragstellerin, welche die Ermittlungen und die Aufarbeitung der etablierten Praxis ergänzten. Aufgrund von Geldbußenanträgen der Bundeswettbewerbsbehörde kam es bereits zu rechtskräftigen Entscheidungen des Kartellgerichts (27 Kt 12/21y [Strabag], 26 Kt 5/21m [Porr], 28 Kt 6/20x [Habau]).

Am 1.2.2023 gab die Antragsgegnerin schließlich freiwillig und im Interesse einer Kooperation zur Aufklärung des Sachverhalts ein Anerkenntnis ab, in dem sie zusammengefasst den von der Antragstellerin vorgebrachten Sachverhalt außer Streit stellt und die Rechtsauffassung, wonach das beschriebene Verhalten als einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung gegen § 1 Abs 1 KartG und Art 101 Abs 1 AEUV zu werten sei und kein Rechtfertigungsgrund vorliege, anerkennt sowie die in Aussicht gestellte Geldbuße akzeptiert. Dazu legte die Antragsgegnerin eine (exemplarische) Liste mit 272 Bauvorhaben vor, bei denen sie an kartellrechtswidrigen Absprachen beteiligt war (Beilage xxx).

3. Zuwiderhandlung allgemein

Die Zuwiderhandlung betraf den Wirtschaftszweig der Bauwirtschaft, wobei nahezu sämtliche Sparten im Bereich Hoch- und Tiefbau umfasst waren, wobei insbesondere der Bereich Straßenbau (als Teil des Tiefbaus) eine besondere Rolle spielte, zumal dieser Bereich aufgrund des in Österreich bestehenden vergleichsweise dichten Autobahn- und Schnellstraßennetzes einen hohen Stellenwert einnimmt. Es handelt sich um ein nahezu das gesamte österreichische Bundesgebiet und eine sehr hohe Anzahl an Bauvorhaben betreffendes Kartell, an dem über 40 Bauunternehmen in unterschiedlichem Ausmaß beteiligt waren. Der Grad der Beteiligung variierte je nach Region und Art des Bauvorhabens, wobei jedes einzelne Unternehmen im Rahmen ihres jeweiligen zeitlichen, regionalen und sachlichen Tätigkeitsbereichs zur Aufrechterhaltung und Funktionsfähigkeit der Gesamtzuwiderhandlung beitrug. Neben der Antragsgegnerin – zu deren Beteiligung siehe sogleich - waren neun Bauunternehmen als Hauptbeteiligte an der Zuwiderhandlung beteiligt, (zumindest) 22 weitere Bauunternehmen nahmen (aus derzeitiger Sicht) mit geringerer Intensität teil.

Die Antragsgegnerin war im Zeitraum von Juli 2002 bis Oktober 2017 insofern in einem nicht unerheblichen Ausmaß beteiligt, als deren Zuwiderhandlungen in örtlicher und sachlicher Hinsicht zwar nicht uneingeschränkt - sondern ganz überwiegend in Niederösterreich und Wien und im Wesentlichen bezogen auf den Asphaltmischgut-Straßenbau, gelegentlich auch den Hochbau - stattfanden, in dieser örtlichen und sachlichen Hinsicht nahm die Antragsgegnerin aber eine gewichtige Rolle an den Umsetzungshandlungen ein. Eine unmittelbare Beteiligung der Antragsgegnerin kam im genannten Zeitraum bei rund 3.500 Bauvorhaben hervor, wobei der Großteil den Straßenbau in Niederösterreich betrifft.

Im Rahmen des Kartells kam es zu Preisabsprachen, Marktaufteilungen, sonstigen wettbewerbsbeschränkenden Absprachen zwischen Bietern und kartellrechtswidrigem Informationsaustausch sowie vereinzelt zur Bildung kartellrechtswidriger Arbeitsgemeinschaften und Bietergemeinschaften. Die konkrete Umsetzung der Zuwiderhandlung erfolgte durch bi- und multilaterale Kontakte, wobei typischerweise zwischen der Antragsgenerin und ihren Mitbewerbern schriftlich, telefonisch oder im Rahmen von persönlichen Treffen abgestimmt wurde, wer den Zuschlag für ein bestimmtes Bauvorhaben erhalten oder wie die Zuschlagserteilung für mehrere Bauvorhaben erfolgen solle. Dazu kamen regelmäßige oder anlassbezogene Gesprächsrunden.

Zwischen den beteiligten Unternehmen bestand ein Grundverständnis, sich vor der Angebotsabgabe für ein Bauvorhaben wechselseitig über das jeweilige Angebotsverhalten abzustimmen bzw informieren zu können. Im Wege dieser Abstimmungen - vor allem in Ausschreibungsverfahren nach dem Billigstbieterprinzip – konnten sich die beteiligten Unternehmen wechsel- und gegenseitig zur Auftragserteilung verhelfen, ohne befürchten zu müssen, von einem günstigeren Angebot im freien Wettbewerb unterboten zu werden. Es ging ihnen darum, den Wettbewerb zu minimieren oder auszuschließen, um sich gegenseitig zur Erteilung von Aufträgen zu verhelfen und so ua Marktanteile bzw eine kontinuierliche Auslastung zu sichern. Um dieses gemeinsame Ziel zu erreichen, stimmten sie bei einer Vielzahl von Bauvorhaben ihre Preise und ihr Verhalten bei Angebotsabgaben ab. So verzichteten die beteiligten Unternehmen bewusst auf die Abgabe wettbewerbsfähiger Angebote, indem sie entweder kein Angebot („Zurückstehen“) oder ein bewusst überhöhtes Angebot („Deckangebot“, „Fahne“) abgaben. Teilweise ging es den Unternehmen – so auch der Antragsgegnerin - auch schlicht um die bessere Planbarkeit und Verteilung der Kapazitäten.

Die Handlungen basierten auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit in der Erwartung, dass der Zurückstehende bei späteren Aufträgen selbst durch entsprechendes Verhalten der anderen Unternehmen zum Auftrag gelangen werde und so insgesamt alle beteiligten Bauunternehmen von dem mangelnden Wettbewerb profitierten.

Diese etablierte Praxis wurde innerhalb eines Unternehmens von Vorgängern an nachfolgende Mitarbeiter weitergegeben („vererbt“), bei Arbeitsplatzwechsel von einem Unternehmen zum nächsten mitgenommen und in vorwerfbarer Unkenntnis oder gar Duldung der Unternehmensleitung vorgenommen.

So entstand ein nahezu österreichweites, gewachsenes, allgemein etabliertes Kollusionssystem, in dem sich die Unternehmen über das jeweilige Angebots- und Marktverhalten abstimmten und informierten, um in weiterer Folge das eigene Marktverhalten daran anzupassen. Die beteiligten Bauunternehmen verhalfen sich gegenseitig zu Aufträgen, ohne befürchten zu müssen oder zumindest nur in geringerem Ausmaß befürchten zu müssen, von einem günstigeren Angebot unterboten zu werden. Damit wurde über weite Strecken der Wettbewerb zwischen den beteiligten Unternehmen von vornherein ausgeschaltet und der Zweck von Ausschreibungen unterwandert.

4. Zuwiderhandlung im Detail

a) Preisabsprachen:

Zwischen den beteiligten Unternehmen wurden die in Ausschreibungen abzugebenden Preise vereinbart oder abgestimmt. Es wurde auch besprochen, dass ein Mitbewerber überhaupt kein Angebot legen wird. So kamen die beteiligten Unternehmen überein, zu welcher Angebotssumme der designierte Auftragsempfänger anbietet. Oftmals kalkulierte jener Mitbewerber, welcher den Zuschlag erhalten sollte, den Angebotspreis für die zurückstehenden Mitbewerber. Diese boten in der Folge entweder zu einem höheren Preis oder gar nicht an (Beilagen xxx).

b) Deckangebote:

Die Übermittlung von Deckangeboten spielte bei der Umsetzung von Preisabsprachen eine wichtige Rolle. Sie zielte darauf ab, die Auftragserteilung an einen zuvor bestimmten Mitbewerber so weit wie möglich zu gewährleisten und das Risiko des Wettbewerbs zu minimieren oder auszuschließen. Der Initiator der Preisabsprache (jenes Bauunternehmen, das in Übereinstimmung mit den weiteren beteiligten Unternehmen zum Zug kommen sollte) kontaktierte dabei die zurückstehenden Mitbewerber und ließ ihnen fertige höhere Leistungsverzeichnisse bzw vorausgefüllte Angebotsunterlagen („Deckangebote“, „Fahne“, „Ente“ oder „0-Lauf“) in Form eines Datenträgers per E-Mail/Fax oder auch persönlich zukommen, um den zeitlichen und finanziellen Aufwand für die Angebotserstellung zu reduzieren. Die zurückstehenden Mitbewerber gaben sodann diese Deckangebote zum Schein als von ihnen selbst kalkulierte Angebote ab (./Q, ./R).

In handschriftlichen Aufzeichnungen wurde immer wieder ein Fahnensymbol oder das Wort „Fahne“ als Kennzeichen für die Übermittlung eines Deckangebots verwendet, wodurch die handelnden Personen unmittelbar wussten, worum es ging (./X1, ./Y1).

c) Marktaufteilungen:

Zwischen den beteiligten Unternehmen wurde auch die Aufteilung von Märkten bzw Bauvorhaben besprochen. Teilweise erfolgte eine Aufteilung der Bauvorhaben auf der Grundlage von Quoten (sog „fixer Schlüssel“), die den (historischen) Marktanteilen der jeweiligen beteiligten Unternehmen entsprachen. Darüber hinaus herrschte - neben solchen Kundenaufteilungen - in manchen Regionen Einigkeit darüber, welches Bauunternehmen für Ausschreibungen in welchem Gebiet zuständig war. Die anderen beteiligten Unternehmen standen bei diesen Ausschreibungen zurück (xx, xx, ./G, xx).

d) Austausch von wettbewerbssensiblen Informationen:

Begleitend kam es zu einem laufenden Austausch wettbewerbssensibler Informationen, wie etwa über das zukünftige Verhalten bei Angebotsabgaben für Bauvorhaben oder Kostenschätzungen von Mitbewerbern (xx).

e) Kartellrechtswidrige ARGEs:

Fallweise wurden Arbeitsgemeinschaften als Deckmantel für kartellrechtswidrige Handlungen (nämlich als Schnittstelle für die Festsetzung eines gemeinsamen Angebotspreises und die Aufteilung des Auftrags, wobei zum Teil die Höchstzahl der zugelassenen ARGE-Partner durch stille Partner umgangen wurde) genutzt (xxxx). Die Antragsgegnerin war an solchen Handlungen aber nicht unmittelbar beteiligt.

f) Gesprächsrunden:

Abhängig vom Zeitpunkt der Ausschreibungen wurden je nach Bedarf ein- oder mehrmals im Jahr Gesprächsrunden zwischen den beteiligten Unternehmen organisiert. Diese fanden zumeist in einer der Niederlassungen der an den Absprachen beteiligten Unternehmen statt. Im Rahmen der Gesprächsrunden wurden das Unternehmen, das den Auftrag für ein bestimmtes Bauvorhaben erhalten sollte, und dessen Abgabepreis festgelegt. Zum Teil wurden auch die Abgabepreise der zurückstehenden Mitbewerber vom designierten Auftragsempfänger vorgegeben (sog „Preisvorgabe“) (xxx, ./G, xxx).

g) Bilaterale Kontakte:

Ergänzend zu den größeren Gesprächsrunden, aber auch unabhängig davon wurden bilaterale Gespräche zu wettbewerbssensiblen Themen geführt. Bilaterale persönliche Treffen fanden in Räumlichkeiten der Niederlassungen der beteiligten Unternehmen oder außerhalb dieser (zB auf Autobahnraststationen, Tankstellen, in Lokalen oder auf Baustellen) statt. Diese Kontakte wurden ua dazu genutzt, sich über die Interessenlage hinsichtlich bestimmter Bauvorhaben zu informieren, konkrete Vorgangsweisen zu vereinbaren. Dabei wurden zum Teil auch weitere Mitbewerber kontaktiert und einbezogen, indem man sie etwa zum Zurückstehen aufforderte. Zu solchen bilateralen Kontakten kam es auch im Rahmen von notwendigen Kontakten bei laufenden ARGE oder sonstigen Kooperationen wie zB Asphaltmischwerken, aber auch am Rande von Veranstaltungen der Bauwirtschaft (xxx, ./P ).

h) Kontakte im Rahmen der Zusammenarbeit in Asphaltmischwerken:

Asphaltmischwerke spielen auf Grund ihrer Zulieferfunktion eine zentrale Rolle im Straßenbau. Kartellrechtswidrige Handlungen, die den Straßenbau betrafen, erfolgten daher auch im Rahmen der Zusammenarbeit von Mitbewerbern in Asphaltmischwerken, die oft als Gemeinschaftsanlagen geführt werden. In der Regel trafen die an den wettbewerbsbeschränkenden Handlungen beteiligten Unternehmen entsprechend des in Prozent festgelegten Marktanteils am Mischgutverbrauch (angegeben in Mischguttonnen) eine Einigung darüber, welcher Mitbewerber für welche Bauvorhaben die Auftragserteilung erhalten sollte (xxxx).

j) Bieterrotation und „Schutzmechanismen“:

Ein Instrument zur Aufteilung von Bauaufträgen war die Organisation mittels Bieterrotation. Dabei kamen die beteiligten Unternehmen überein, dass sie hinsichtlich bestimmter Bauvorhaben wechselseitig zum Zug kommen und sich dabei gegenseitig durch die Abgabe höherer Deckangebote oder den gänzlichen Verzicht auf eine Angebotslegung unterstützen. Bieterrotationen kamen dabei auch im Sinne eines von den beteiligten Unternehmen so bezeichneten „Kampfschutzes“ oder „Vollschutzes“ zur Anwendung.

Im Fall eines „Vollschutzes“ wurden nach Möglichkeit alle für eine Ausschreibung relevanten Mitbewerber in die Kartellabsprache eingebunden. Der „Kampfschutz“ be­schränkte sich demgegenüber auf einen kleineren Kreis von Mitbewerbern (idR vier oder fünf), die in Bezug auf bestimmte Projekte ihre Angebote abstimmten (xx, ./S, ./T, ./U ./V).

k) Interne Submission:

Im Vorfeld von Angebotsabgaben kam es auch zu sog „internen Angebotsöffnungen“ (auch „interne Submissionen“ genannt), bei denen die Mitbewerber vor der offiziellen Angebotsabgabe ihre internen Angebotspreise untereinander offenlegten. Dieses Vorgehen diente als Mittel der Entscheidungsfindung, welches der beteiligten Unternehmen den Auftrag bei der tatsächlichen Ausschreibung erhalten soll (xxx).

l) Fixer Schlüssel:

Für die Aufteilung von Aufträgen wurde zum Teil auch ein sog „fixer Schlüssel“, dh eine Quote vereinbart, die jedem beteiligten Unternehmen zustand. Der „fixe Schlüssel“ richtete sich dabei in der Regel nach den geschätzten Marktanteilen oder orientierte sich insb im Straßenbau an der geschätzten Gesamtmenge des zu verbauenden Asphaltmischguts pro Jahr (xxx). In einigen Fällen wurde mit der Verwaltung der Quoten ein bestimmtes Bauunternehmen betraut (./X).

m) Kartellstabilisierende Maßnahmen:

Die Umsetzung der Zuwiderhandlung wurde regelmäßig durch kartellstabilisierende Mechanismen ergänzt:

aa) Punktesystem:

Einer dieser Mechanismen war die Abrechnung anhand eines sog „Punktesystems“: Da ein größerer Teil der beteiligten Unternehmen regelmäßig in verschiedenen Ausschreibungsverfahren aufeinander traf, wurde mithilfe der Vergabe von „Punkten“/„Anteilen“/„Prozenten“ sichergestellt, dass die Zuschlagserteilung nach einem „fairen Schlüssel“ unter den Mitbewerbern (oft anhand der bestehenden Marktanteile) erfolgte. Einige der beteiligten Unternehmen führten Aufzeichnungen über die sich aus diesem Punktesystem ergebenden „Forderungen und Verbindlichkeiten“ gegenüber den anderen Beteiligten (auch als „Kontokorrentverhältnis“ bezeichnet). Die erworbenen „Punkte“ bzw Verbindlichkeiten wurden zwischen den Mitbewerbern aufgerechnet (saldiert) und zumeist vom Kreis der beteiligten Bauunternehmen durch die Verteilung von Aufträgen abgegolten (sogenannter „Arbeitsaustausch“). Vereinzelt wurden die Verbindlichkeiten auch monetär ausgeglichen.

bb) Ausgleichsleistungen:

Zurückstehende Mitbewerber wurden zum Teil auch mit „Ausgleichsleistungen“ entlohnt, insbes mit Subaufträgen (zB im Sinne einer „Beteiligung“ am Bauvorhaben), Arbeitsabtausch, der Bildung einer (offenen oder stillen) ARGE, der Lieferung oder Abnahme von Leistungen unter bevorzugten Konditionen (beispielsweise Asphaltmischgut, sonstiges Material, Personal oder Geräte), dem Bezug von größeren Abnahmemengen von Asphaltmischgut oder Beton. In den meisten Fällen erfolgte die Ausgleichsleistung durch den Abtausch gegen andere Bauvorhaben („Arbeitsabtausch“) (xx, ./W).

cc) Fallweise wurde die Gesamtzuwiderhandlung durch Gebietsschutzvereinbarungen abgesichert. So wurden Gemeinden oder Regionen einem Bauunternehmen pauschal „zugeteilt“ oder bestimmte Arten von Bauleistungen unter den Mitbewerbern aufgeteilt (xxx, ./X).

5. Beteiligung der Antragsgegnerin

Die Antragsgegnerin beteiligte sich an Absprachen und/oder Abstimmungen im oben dargelegten Sinn zumindest bei 272 Bauvorhaben im Zeitraum von zumindest Juli 2002 bis Oktober 2017. Im Rahmen ihres zeitlichen, räumlichen und sachlichen Tätigkeitsbereiches war sie an der Gesamtzuwiderhandlung insbesondere im Hinblick auf Bauvorhaben in Niederösterreich, Wien und dem Burgenland sowie vereinzelt auch in Kärnten und der Steiermark beteiligt. Bei weiteren Bauvorhaben ist eine Beteiligung an solchen Handlungen keineswegs ausgeschlossen, allerdings können konkrete Bauvorhaben - mangels abschließender Prüfung seitens der Antragsgegnerin – nicht festgestellt werden.

Laut ihrer dem Anerkenntnis angeschlossenen Liste waren ua konkret folgende Auftraggeber von den Zuwiderhandlungen der Antragsgegnerin betroffen: (in den ganz überwiegenden Fällen) Land Niederösterreich, (weiters) Beitragsgemeinschaft Pelleritzer, Güterweggemeinschaft Holler, Marktgemeinde Lichtenwörth, ARGE R.O.P. Lanzendorf – Wr Neustadt, Zusammenlegungsgemeinschaft Matzendorf, Marktgemeinde Enzersdorf/Fischa, „NE“, Neue Eisenstädter Gemeinnützige Bau- Wohn- und Siedlungsgesellschaft mbH (Liste bei xx).

Die unmittelbare Beteiligung wird im Folgenden anhand konkreter Handlungen und ausgewählter Bauvorhaben exemplarisch dargestellt:

Bei zahlreichen wettbewerbswidrigen Kontakten wurden Preise abgestimmt, Kunden und Gebiete aufgeteilt und sensible Informationen ausgetauscht, um sich bei verschiedenen Bauvorhaben zur Auftragserteilung zu verhelfen und damit den Wettbewerb zu beschränken oder gänzlich auszuschließen. Aus dem hohen Organisationsaufwand, der ausgeklügelten Systematik, der Häufigkeit der Kontakte und der räumlichen Ausdehnung ergibt sich ein etabliertes Kollusionssystem.

Wie festgestellt betrifft der Großteil der Bauvorhaben den Straßenbau in Niederösterreich, wobei das Amt der Niederösterreichischen Landesregierung als Auftraggeber fungierte. Die Antragsgegnerin nahm an der langjährigen, historisch gewachsenen Praxis von Preisabsprachen, Marktaufteilungen und dem Austausch über zukünftiges Abgabeverhalten teil. Die Praxis wurde von den jeweiligen Vorgängern übernommen und neu eintretende Wettbewerber wurden in die etablierten Handlungen aufgenommen.

In der Regel erfolgte die Umsetzung durch die verschiedenen mischgutproduzierenden Unternehmen, wobei jene Mitbewerber teilnahmen, welche (i) Mischgutanlagen im räumlichen Zuständigkeitsbereich der jeweiligen Bauabteilung (mit-)betrieben, (ii) in die Region, für die die Bauabteilung zuständig war, Mischgut liefern konnten, oder (iii) in der betroffenen oder angrenzenden Region selbst keine Mischanlage betrieben, aber aufgrund expliziter Bezugsrechte bei Fremdanlagen Mischgut liefern konnten (xx, ./G, xxxx). Betroffen waren nahezu sämtliche Ausschreibungen der (regional organisierten) Bauabteilungen 1 (Hollabrunn), 2 (Tulln), 3 (Wolkersdorf), 4 (Wiener Neustadt), 5 (St. Pölten), 7 (Krems) und 8 (Waidhofen an der Thaya) des Amtes der Niederösterreichischen Landesregierung, insbesondere bezüglich der Lieferung und des Einbaus von Asphaltmischgut (xxx).

Je nach Region bzw Bauabteilung organisierten die beteiligten Unternehmen regelmäßig Gesprächsrunden, die mit bilateralen (persönlichen und telefonischen) Kontakten sowie E-Mails ergänzt wurden. Die Gesprächsrunden variierten je nach Tätigkeitsbereichen, regionalen Schwerpunkten sowie Kapazitäten und fanden häufig in den Niederlassungen der beteiligten Unternehmen – ua auch bei der Antragsgegnerin – statt. Es nahmen dabei nicht alle beteiligten Unternehmen teil, abwesende Unternehmen wurden vom Ergebnis der Gespräche informiert (xxx, ./G, xxx).

Im Allgemeinen erfolgte die Festsetzung eines „fixen Schlüssels“ oder von „Punkten“ anhand von (zT historischen) Marktanteilen bei der Aufteilung von Baulosen. Bei Marktveränderungen - etwa dem Eintritt neuer Mitbewerber in den Markt, durch den Zusammenschluss von Unternehmen, durch Erwerb bestehender oder Aufbau neuer Mischanlagen - wurden die Quoten der Beteiligten angepasst. Teilweise lag das Ziel der Handlungen auch in der besseren Planbarkeit und Verteilung der Kapazitäten (xxxx). Zurückgehend bis 2002 waren von diesen Handlungen etwa 3.000 Bauvorhaben mit einem Gesamtvolumen von mehr als EUR 300 Mio betroffen, wobei die Antragsgegnerin bei einem Großteil unmittelbar beteiligt war (xx, ./G, xxxx).

Bei den Ausschreibungen der Jahresbauverträge der Stadtgemeinde Wiener Neustadt nahm die Antragsgegnerin an langjährigen Preisabsprachen und dem Austausch über zukünftiges Abgabeverhalten teil. Betroffen waren zumindest seit 2004 Verträge mit einem jährlichen Volumen von rund EUR 1 Mio (xxx). Die Gespräche unter den beteiligten Unternehmen erfolgten meist persönlich oder bilateral. Von 2004 bis 2016 fragten die beteiligten Unternehmen meist beim Mitbewerber Strabag nach, welche Angebotspreise sie für die Jahresbauverträge abgeben sollten. Im Gegenzug für das Zurückstehen der Mitbewerber hielt sich Strabag, die schlussendlich den Großteil der Ausschreibungen der Jahresbauverträge der Stadtgemeinde Wiener Neustadt gewann, bei anderen Gemeindeausschreibungen zurück (xxx, ./B1, xxx).

Daneben fanden in Niederösterreich anlassbezogen auch bei anderen Bauvorhaben – wie zB Brückenbau, Straßenbau, „Sonderlose und Spezialgewerke“ – wettbewerbsbeschränkende Handlungen statt, an denen die Antragsgegnerin im Zeitraum von zumindest 2011 bis 2017 unmittelbar beteiligt war (xxxx).

Im Rahmen von Ausschreibungen der MA 28, der Magistratsabteilung 28 für Straßenverwaltung und Straßenbau der Stadt Wien, kam es unter Beteiligung der Antragsgegnerin zu langjährigen, zum Teil historisch gewachsenen Preisabsprachen, Marktaufteilungen sowie zum Austausch über zukünftiges Abgabeverhalten. Diese Zuwiderhandlungen erfolgten anlass- und projektbezogen über einen „Arbeitsabtausch“ oder einen Austausch über „Interessensbekundungen“, zum Teil auch als Ausgleichsleistung für einen Subauftrag. In Bezug auf Mehrjahresbauverträge der MA 28 gab es überdies eine fixe Gebietsaufteilung nach Bezirken. Diese Handlungen wurden, neben begleitenden bilateralen Gesprächen, im Rahmen von regelmäßigen Gesprächsrunden, der sogenannten „großen Runde“, zwischen den fünf beteiligten Bauunternehmen, darunter der Antragsgegnerin, zwei bis vier Mal im Jahr organisiert. Bei den dabei teilweise besprochenen ARGE-Gründungen war die Antragsgegnerin selbst nicht beteiligt (xxx, ./X, xx). Von den kartellrechtswidrigen Handlungen war etwa rund die Hälfte der jährlichen Ausschreibungen der MA 28 betroffen. Umfasst waren etwa 370 Bauvorhaben mit einem Gesamtausschreibungsvolumen in Höhe von mehr als EUR 268 Mio (xxx).

Im Burgenland kam es bei Ausschreibungen von Hochbauprojekten bei einer Vielzahl von Bauvorhaben zu Zuwiderhandlungen, wobei die Antragsgegnerin – nach eigenen Angaben – ausschließlich passiv beteiligt war. Betroffen waren überwiegend Ausschreibungen gemeinnütziger Wohnungs- und Siedlungsbaugenossenschaften sowie Gemeinden, und zwar zumindest 146 Hochbauprojekte im Zeitraum 2010 bis 2017 (./Q, ./R). Die Umsetzungshandlungen erfolgten anlassbezogen und telefonisch, oftmals auf Initiative jenes Bauunternehmens, das den Auftrag erhalten wollte. Sobald eine neue Ausschreibung bekannt gemacht wurde, nahmen die Bauunternehmen zueinander Kontakt auf. Dabei vereinbarten sie, welches Unternehmen zurückstehen und welches den Auftrag erhalten sollte. Letzteres übermittelte sodann Deckangebote in Form eines Datenträgers an die Mitbewerber, welche diese beim jeweiligen Auftraggeber im eigenen Namen abgaben. In manchen Fällen wurde den Mitbewerbern nur die von ihnen abzugebende Angebotssumme (telefonisch oder per E-Mail) genannt und die Mitbewerber erstellten die Deckangebot selbst (./Q).

Daneben kam es im Burgenland zu weiteren Umsetzungshandlungen unter unmittelbarer Beteiligung der Antragsgegnerin, die insbesondere Ausschreibungen zu Sonderlosen sowie den Verkehrswegebau betrafen (xxxx, ./T1).

Bei den Ausschreibungen der OMV AG sowie ihrer Tochtergesellschaften Gas Connect Austria GmbH und Trans Austria Gasleitung GmbH betreffend unterschiedliche „Sonderprojekte“ im Bereich Hoch- und Tiefbau in der Steiermark, Kärnten und Niederösterreich nahm die Antragsgegnerin an Preisabsprachen, Marktaufteilungen und dem Austausch über zukünftiges Abgabeverhalten teil. Dabei erfolgten Kontaktaufnahmen zwischen den Mitbewerbern vorwiegend per Telefon, zT um vorab abzuklären, welche Bauunternehmen bei einer Ausschreibung überhaupt eingeladen waren. Ergänzend fanden auch persönliche Treffen statt, wie zB auf Raststationen oder in Niederlassungen der beteiligten Unternehmen (xxx, ./H1). Den beteiligten Unternehmen wurde in weiterer Folge ein Deckangebot (zur Tarnung zT auch als „Subangebot“ bezeichnet) übermittelt oder eine Angebotssumme genannt (./I1). Jenes Bauunternehmen, das besonderes Interesse an einem Bauvorhaben zeigte, organisierte die Absprache, indem es andere Wettbewerber kontaktierte und diese aufforderte, im Tausch gegen ein anderes Bauvorhaben oder für die Vergabe von „Punkten“ oder die Auszahlung eines Ausgleiches oder für einen Subauftrag zurückzustehen und ein Deckangebot abzugeben (xxx, ./J1, ./H1).

Beweiswürdigung:

Von der Antragsgegnerin wurde der von der Antrag­stellerin vorgebrachte Sachverhalt im Wesentlichen außer Streit gestellt. Darüber hinaus wird er durch die jeweils in Klammer angeführten Urkunden untermauert.

Aufgrund der Vielzahl der betroffenen Bauvorhaben und der Beteiligungshandlungen der Antragsgegnerin – welche etwa auch Gesprächsrunden in ihren Geschäftsräumlichkeiten durchführte und aktiv an zahlreichen Handlungen beteiligt war – war nicht festzustellen, dass die Antragsgegnerin generell „keine gewichtige Rolle“ bei der Umsetzung der Gesamtzuwiderhandlung eingenommen hat. Die Involvierung der Antragsgegnerin stellte sich vielmehr so dar, dass sie in zeitlicher, regionaler und sachlicher Hinsicht zwar unterschiedlich beteiligt war, im Rahmen ihres Betätigungsfeldes aber nicht unerheblich und in einer durchaus gewichtigen Rolle an den kartellrechtswidrigen Handlungen teilnahm.

Rechtliche Beurteilung:

Da gegen die Richtigkeit der Außerstreitstellungen, die mit den von der Antragstellerin vorgelegten Urkunden Beilagen ./A - ./I2 in Einklang stehen, keine Bedenken bestehen, waren iSd § 33 Abs 1 AußStrG iVm § 38 KartG keine weiteren Erhebungen durchzuführen.

1.) Zur Anwendbarkeit von Unionsrecht:

Gemäß § 1 Abs 1 KartG sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmern, Beschlüsse von Unternehmervereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken (Kartelle), verboten. Insbesondere sind nach § 1 Abs 2 Z 1 KartG die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der An- oder Verkaufspreise oder sonstige Geschäftsbedingungen sowie nach Z 3 leg cit die Aufteilung der Märkte oder Versorgungsquellen verboten.

Nach Art 101 Abs 1 AEUV sind alle jene Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten, die den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken. Dazu gehören insbesondere die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der An- und Verkaufspreise oder sonstiger Geschäftsbedingungen (lit a) sowie die Aufteilung der Märkte oder Versorgungsquellen (lit c). Die Anwendung von Art 101 und 102 AEUV fällt in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten (Art 5 VO [EG] 1/2003).

Beim Kriterium der Zwischenstaatlichkeit handelt es sich um eine Kollisionsnorm, die keine wettbewerbsrechtliche Bewertung der Absprache trifft, sondern die Frage beantworten soll, ob es angemessen ist, den Sachverhalt nach Unionsrecht zu beurteilen. Art 101 Abs 1 AEUV erfordert, dass die wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung oder der Missbrauch der beherrschenden Stellung geeignet ist, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Diese Voraussetzung ist – was schon durch Abstellen auf die „Eignung“ angelegt ist – weit zu verstehen (16 Ok 7/15p mwN).

Maßnahmen, deren wettbewerbsbeschränkende Wirkungen sich auf das gesamte Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erstrecken, sind idR zur Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten geeignet, weil sie schon ihrem Wesen nach die Abschottung nationaler Märkte verfestigen und die gewünschte Marktintegration verhindern können. Ein Kartell, das sich auf das gesamte Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erstreckt, hat nämlich schon seinem Wesen nach die Wirkung, die Abschottung der Märkte auf nationaler Ebene zu verfestigen, indem es die in der Europäischen Union angestrebte wirtschaftliche Verflechtung behindert (Leitlinien zum Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels, ABl 2004/C 101/07, Rn 77 ff). Daher können auch Maßnahmen von Unternehmen, die sich nur auf den Wettbewerb innerhalb eines einzelnen Mitgliedstaats auswirken, den innergemeinschaftlichen Handel beeinflussen (16 Ok 4/13; 16 Ok 2/15b; 16 Ok 7/15p; 16 Ok 8/16m; RS0120478).

Bei den festgestellten Zuwiderhandlungen der Antragsgegnerin ist allein schon aufgrund ihrer Dimension und Dauer sowie aufgrund der Marktanteile der Antragsgegnerin jedenfalls die Zwischenstaatlichkeit zu bejahen und Unionsrecht anzuwenden.

2.) Zum Vorliegen einer Vereinbarung oder abgestimmten Verhaltensweise:

Das Kartellverbot des Art 101 Abs 1 AEUV erfasst – wie jenes des § 1 Abs 1 KartG – insbesondere den Wettbewerb beeinträchtigende Vereinbarungen zwischen Unternehmern und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen. Beiden Tatbeständen ist gemeinsam, dass sie geeignet sein müssen, zwischen den beteiligten Unternehmern die Unsicherheiten über ihr zukünftiges Verhalten im Wettbewerb auszuschließen oder zu vermindern. In der Praxis ist eine Abgrenzung dieser Begriffe von geringer Relevanz, weil diese Formen wettbewerbsbeschränkenden Zusammenwirkens gleichrangig sind (Lager/Petsche in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG2 § 1 Rz 14 ff).

Der Begriff „Vereinbarung“ wird in diesem Zusammenhang weit ausgelegt: Nicht notwendig ist, dass es sich dabei um einen rechtlich verbindlichen Vertrag handelt; eine Vereinbarung liegt vielmehr schon dann vor, wenn die betreffenden Unternehmen ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck gebracht haben, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten. Folglich ist der Begriff der Vereinbarung durch das Vorliegen einer Willensübereinstimmung zwischen mindestens zwei Parteien gekennzeichnet, deren Ausdrucksform unerheblich ist, sofern sie den Willen der Parteien getreu wiedergibt. Bei einer Vereinbarung zwischen Unternehmern kommt es daher weder auf die Form der Vereinbarung (diese kann schriftlich, mündlich oder schlüssig getroffen werden) noch darauf an, ob sie auch tatsächlich umgesetzt wird (Lager/Petsche aaO § 1 Rz 18 f mwN).

Neben Vereinbarungen (und Beschlüssen von Unternehmervereinigungen) sind auch aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen vom Kartellverbot erfasst. Dabei handelt es sich nach ständiger Rechtsprechung des EuGH um jede Form der Koordinierung des Verhaltens zwischen Unternehmern, die zwar nicht bis zum Abschluss eines Vertrags im eigentlichen Sinn gediehen ist, aber bewusst eine praktische Zusammenarbeit an die Stelle des mit Risiken verbundenen Wettbewerbs treten lässt. Unter einer Verhaltensabstimmung ist also eine „Fühlungnahme“ zwischen den Unternehmern zu verstehen, die geeignet und bestimmt ist, deren Wettbewerbsrisiko abzuschwächen (Lager/Petsche aaO § 1 Rz 25 ff mwN).

Erfasst ist jede unmittelbare oder mittelbare Koordination zwischen Unternehmen, die bezweckt oder bewirkt, das Marktverhalten zu beeinflussen oder einen Mitbewerber über das Marktverhalten ins Bild zu setzen, das man selbst an den Tag zu legen entschlossen ist oder in Erwägung zieht (Lager/Petsche aaO § 1 Rz 31).

3.) Zum „Bezwecken“ und „Bewirken“:

Vereinbarungen fallen nur dann unter das Verbot des Art 101 Abs 1 AEUV, wenn sie eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH sind diese Voraussetzungen – wie die Konjunktion „oder“ erkennen lässt – alternativ zu verstehen, sodass sich die Notwendigkeit ergibt, zunächst den eigentlichen Zweck der Vereinbarung in Betracht zu ziehen, wobei die wirtschaftlichen Begleitumstände ihrer Durchführung zu berücksichtigen sind.

Wenn fest steht, dass eine Vereinbarung einen wettbewerbswidrigen Zweck verfolgt, brauchen ihre Auswirkungen auf den Wettbewerb nicht geprüft zu werden. Lässt jedoch die Prüfung des Inhalts der Vereinbarung keine hinreichende Beeinträchtigung des Wettbewerbs erkennen, sind ihre Auswirkungen zu untersuchen. Damit sie vom Verbot erfasst wird, müssen Umstände vorliegen, aus denen sich insgesamt ergibt, dass der Wettbewerb tatsächlich spürbar verhindert, eingeschränkt oder verfälscht worden ist.

Die Unterscheidung zwischen „bezweckten“ und „bewirkten“ Verstößen liegt darin begründet, dass bestimmte Formen der Kollusion zwischen Unternehmen schon ihrer Natur nach als schädlich für das gute Funktionieren des normalen Wettbewerbs angesehen werden können.

Bei der Prüfung der Frage, ob eine Vereinbarung eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung enthält, ist auf den Inhalt ihrer Bestimmungen und die mit ihr verfolgten Ziele sowie auf den wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhang, in dem sie steht, abzustellen. Im Rahmen der Beurteilung dieses Zusammenhangs sind auch die Natur der betroffenen Waren und Dienstleistungen, die auf dem betreffenden Markt oder den betreffenden Märkten bestehenden tatsächlichen Bedingungen und die Struktur dieses Markts oder dieser Märkte zu berücksichtigen. Für einen wettbewerbswidrigen Zweck reicht es bereits aus, wenn die Vereinbarung das Potenzial hat, negative Auswirkungen auf den Wettbewerb zu entfalten, dh wenn sie konkret geeignet ist, zu einer Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Markts zu führen (EuGH C-32/11 - Allianz Hungária, mwN). Das wesentliche Kriterium ist, dass eine solche Handlung in sich selbst eine hinreichende Beeinträchtigung des Wettbewerbs erkennen lässt (EuGH C-67/13 P - Groupement des cartes bancaires, mwN).

Sogenannte Kernbeschränkungen, namentlich die ersten drei Regelbeispiele des Art 101 Abs 1 AEUV, darunter auch Preisabsprachen und die Aufteilung von Märkten, sind als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen grundsätzlich verboten (Bechtold/Bosch/Brinker, EU-Kartellrecht³ Art 101 AEUV Rz 78 ff; Braun in Langen/Bunte, Kartellrecht13, Nach Art 101 AEUV, Rz 20; Füller in Kölner Kommentar zum Kartellrecht, Art 101 AEUV, Rz 205ff; zu § 1 KartG: Lager/Petsche aaO § 1 Rz 57 u 104; uva). Sie sind auch von der De‑Minimis‑Bekanntmachung der Europäischen Kommission, ABl 2014/C 291/01, durch deren Pkt II.12 ausgenommen. Preisabsprachen und koordinierte Aufteilungen der Märkte oder Versorgungsquellen sind bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen.

Das zwischen den Antragsgegnerin und ihren Mitbewerbern im Zeitraum Juli 2002 bis Oktober 2017 etablierte System von Preisabsprachen, Marktaufteilungen und des Informationsaustausches stellt Verstöße gegen die Bestimmungen des Art 101 Abs 1 lit a und c AEUV und § 1 Abs 2 Z 1 und 3 KartG dar. Hiebei handelt es sich um Kernbeschränkungen, deren unmittelbare Auswirkung auf den Markt nicht geprüft werden braucht. Die Verhaltensweisen der Antragsgegnerin widersprechen den Zielsetzungen, die hinter der Einleitung eines Vergabeverfahrens oder einer Ausschreibung stehen. So sind nach § 19 BVergG Vergabeverfahren ua entsprechend den Grundsätzen des freien und lauteren Wettbewerbs durchzuführen. Dafür ist die Einhaltung des Grundsatzes des geheimen Wettbewerbs unverzichtbare Voraussetzung.

4. Zum Vorliegen einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung (Gesamtzuwiderhandlung):

Innerhalb komplexer Organisationen zu dem gleichen Zweck getroffene Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen sind für ihre gesamte Dauer als einheitliche Zuwiderhandlung zu beurteilen. Die Zerlegung eines durch ein einziges wirtschaftliches Ziel gekennzeichneten kontinuierlichen Verhaltens wäre gekünstelt. Die Verantwortlichkeit mehrerer an einer einheitlichen Zuwiderhandlung beteiligter Unternehmen erstreckt sich auf die gesamte Dauer der Zuwiderhandlung und umfasst auch Verhaltensweisen anderer Kartellmitglieder, an denen das betroffene Unternehmen selbst nicht beteiligt ist, sofern sie im Rahmen des Gesamtkartells (der „Grundvereinbarung") erfolgen. Voraussetzung dafür ist, dass das Unternehmen wusste oder wissen musste, dass es sich an einem auf Wettbewerbsverfälschung abzielenden Gesamtkartell beteiligte und vom Verhalten der anderen Kartellmitglieder wusste, wissen musste oder es hätte voraussehen müssen und bereit war, das Risiko auf sich zu nehmen (vgl EuGH, 8. 7. 1999, Rs C-49/92 P - Komm/Anic, Rn 82, 83; EuGH, 7. 1. 2004, Rechtssachen C-204/00 P, C-205/00 P, C-211/00 P, C-213/00 P, C-217/00 P und C-219/00 P - Komm/Aalborg Portland, Rn 258; Bunte in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht II10 Art 81 EGV Rn 36a mit weiteren Nachweisen zur europäischen Rechtsprechung; 16 Ok 5/08).

Ein Verstoß gegen Art 101 Abs 1 AEUV und § 1 Abs 2 Z 1 und 3 KartG kann sich somit nicht nur aus einer isolierten Handlung, sondern auch aus einer Reihe von Handlungen oder einem kontinuierlichen Verhalten ergeben. Bei der Einstufung unterschiedlicher Handlungen als einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung ist zu prüfen, ob zwischen ihnen insoweit ein Komplementaritätsverhältnis besteht, als jede von ihnen eine oder mehrere Folgen des normalen Wettbewerbs beseitigen soll und durch Interaktion zur Verwirklichung sämtlicher wettbewerbswidriger Wirkungen beiträgt, die ihre Urheber im Rahmen eines auf eine einheitliche Zielsetzung gerichteten Gesamtplans anstreben. Insoweit sind alle Umstände zu berücksichtigen, die dieses Verhältnis belegen oder in Frage stellen können, wie der Anwendungszeitraum, der Inhalt einschließlich der verwendeten Methoden und im Zusammenhang damit die Zielsetzung der verschiedenen fraglichen Handlungen (EuG T-27/10 - AC-Treuhand/Kommission).

Die oben im Einzelnen beschriebenen Zuwiderhandlungen, an denen sich auch die Antragsgegnerin beteiligte, beruhten auf einem über einen langen Zeitraum hinweg aufgebauten Gesamtsystem mit dem Grundverständnis der teilnehmenden Unternehmen, sich betreffend einzelne Bauvorhaben jederzeit kontaktieren zu können, um Preisabsprachen zu treffen, Marktaufteilungen vorzunehmen, das künftige Verhalten bei Angebotsabgaben zu erfragen oder dieses überhaupt aufeinander abzustimmen oder kartellrechtswidrige ARGE zu bilden, und dadurch den Wettbewerb im Bereich Hoch- und Tiefbau systematisch einzuschränken bzw überhaupt auszuschließen, sodass sie sich Marktanteile und Margen sichern können. Die festgestellten Verhaltensweisen sind daher als eine einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung zu qualifizieren.

Die Beteiligung der Antragsgegnerin an einer solchen Zuwiderhandlung führt dazu, dass sie für die gesamte Zeit ihrer Beteiligung auch für das von anderen Mitbewerbern im Rahmen der Zuwiderhandlung an den Tag gelegte Verhalten verantwortlich ist, zumal sie nach den Feststellungen durch ihr eigenes Verhalten zur Erreichung der von allen Beteiligten verfolgten gemeinsamen Ziele beitragen wollte und von dem von anderen Unternehmen in Verfolgung dieser Ziele beabsichtigten oder an den Tag gelegten rechtswidrigen Verhalten zumindest wissen musste und bereit war, die daraus erwachsende Gefahr auf sich zu nehmen (EuGH 26.9.2018, C-99/17 P, Infineon Technologies Rn 172; EuGH 26.1.2017, C 644/13P, Villeroy & Boch Rn 48; EuG, 12.7.2007, T-101/05 ua, BASF ua Rn 160; EuGH 8.7.1999, C-49/92, Komm/Anic Rn 83; Bunte in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht10, Band 2, Art 81 Rn 36a).

5.) Zur Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkung:

Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH müssen die Wettbewerbsbeschränkung und die Handelsbeeinträchtigung auch spürbar sein, um vom Kartellverbot erfasst zu sein. Das Vorliegen einer spürbaren Beschränkung des Wettbewerbs auf dem Binnenmarkt ist anhand des tatsächlichen Rahmens einer solchen Vereinbarung zu beurteilen. Vereinbarungen, die geeignet sind, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen und die einen wettbewerbswidrigen Zweck haben, sind ihrer Natur nach und unabhängig von ihren konkreten Auswirkungen eine spürbare Beschränkung des Wettbewerbs (EuGH C-226/11 - Expedia, Rz 16f, 21 und 37). Dies ist im vorliegenden Fall gegeben.

6.) Zum Verschulden:

§ 29 KartG stellt klar, dass Geldbußen nur bei Verschulden zu verhängen sind. Der Unternehmer muss den Tatbestand vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführt haben. Gleiches gilt zufolge Art 23 VO 1/2003 im Unionsrecht. Das KartG definiert nicht näher, was unter Vorsatz und Fahrlässigkeit zu verstehen ist. Einschlägige Definitionen enthalten aber die strafrechtlichen Bestimmungen der §§ 5 f StGB und § 3 VbVG (16 Ok 2/11).

Vorsätzlich handelt gemäß § 5 Abs 1 StGB, wer einen Sachverhalt verwirklichen will, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht; dazu genügt es, dass der Täter diese Verwirklichung ernstlich für möglich hält und sich mit ihr abfindet. Demgegenüber handelt fahrlässig, wer die Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den Umständen verpflichtet und nach seinen geistigen und körperlichen Verhältnissen befähigt ist und die ihm zuzumuten ist, und deshalb nicht erkennt, dass er einen Sachverhalt verwirklichen könne, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht (§ 6 Abs 1 StGB), und wer es für möglich hält, dass er einen solchen Sachverhalt verwirkliche, ihn aber nicht herbeiführen will (§ 6 Abs 2 StGB).

Gemäß § 3 Abs 1 VbVG ist ein Verband – ein solcher ist nach der Legaldefinition des § 1 Abs 2 leg.cit. insbesondere eine juristische Person – unter den weiteren Voraussetzungen des Abs 2 oder des Abs 3 für eine Straftat verantwortlich, wenn 1. die Tat zu seinen Gunsten begangen worden ist oder 2. durch die Tat Pflichten verletzt worden sind, die den Verband treffen.

Die Voraussetzungen des § 3 Abs 1 VbVG sind hier erfüllt, weil durch die festgestellten Verhaltensweisen Pflichten der Antragsgegnerin verletzt wurden.

Für Straftaten eines Entscheidungsträgers ist gemäß § 3 Abs 2 VbVG der Verband verantwortlich, wenn der Entscheidungsträger als solcher die Tat rechtswidrig und schuldhaft begangen hat. Entscheidungsträger iSd VbVG ist nach dessen § 2 Abs 1, wer 1. Geschäftsführer, Vorstandsmitglied oder Prokurist ist oder aufgrund organschaftlicher oder rechtsgeschäftlicher Vertretungsmacht in vergleichbarer Weise dazu befugt ist, den Verband nach außen zu vertreten, 2. Mitglied des Aufsichtsrates oder des Verwaltungsrates ist oder sonst Kontrollbefugnisse in leitender Stellung ausübt, oder 3. sonst maßgeblichen Einfluss auf die Geschäftsführung des Verbandes ausübt.

Für Straftaten von Mitarbeitern ist gemäß § 3 Abs 3 VbVG der Verband verantwortlich, wenn

1. Mitarbeiter den Sachverhalt, der dem gesetzlichen Tatbild entspricht, rechtswidrig verwirklicht haben; der Verband ist für eine Straftat, die vorsätzliches Handeln voraussetzt, nur verantwortlich, wenn ein Mitarbeiter vorsätzlich gehandelt hat; für eine Straftat, die fahrlässiges Handeln voraussetzt, nur, wenn Mitarbeiter die nach den Umständen gebotene Sorgfalt außer Acht gelassen haben; und

2. die Begehung der Tat dadurch ermöglicht oder wesentlich erleichtert wurde, dass Entscheidungsträger die nach den Umständen gebotene und zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben, insbesondere indem sie wesentliche technische, organisatorische oder personelle Maßnahmen zur Verhinderung solcher Taten unterlassen haben.

Mitarbeiter iSd VbVG ist gemäß § 2 Abs 2 leg cit, wer (unter anderem) aufgrund eines Arbeitsverhältnisses Arbeitsleistungen für den Verband erbringt.

Nach dem festgestellten Sachverhalt wurden die Kartellrechtsverstöße von Mitarbeitern der Antragsgegnerin gesetzt. Diese haben jedenfalls zumindest mit bedingtem Vorsatz (dolus eventualis) gehandelt, was sich schon daraus ergibt, dass ihnen bewusst war, dass es sich hiebei nicht um ein „Kavaliersdelikt“ handelt. Das Verschulden ist daher zu bejahen.

7.) Zur Verjährung:

Das kartellrechtswidrige Verhalten der Antragsgegnerin umfasste einen Zeitraum von Juli 2002 bis Oktober 2017. Von der Antragsgegnerin wurde kein Verjährungseinwand erhoben. Aus einem solchen wäre für sie auch nichts zu gewinnen gewesen:

§ 33 KartG idF BGBl I Nr. 176/2021 ist nach § 86 Abs 12 KartG auf Rechtsverletzungen anzuwenden, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes (10.9.2021) noch nicht verjährt sind. Gemäß § 33 Abs 1 1. Satz KartG darf eine Geldbuße nur verhängt werden, wenn der Antrag binnen fünf Jahren ab Beendigung der Rechtsverletzung gestellt wurde. Diese Frist wird unterbrochen, sobald mindestens einem an der Rechtsverletzung beteiligten Unternehmer oder einer beteiligten Unternehmervereinigung eine auf Ermittlung oder Verfolgung der Rechtsverletzung gerichtete Handlung der Bundeswettbewerbsbehörde bekanntgegeben wird. Mit jeder Unterbrechung beginnt die Frist neu zu laufen.

Anders als Art 25 der VO 1/2003 differenziert § 33 KartG nicht zwischen einmaligen, dauernden und fortgesetzten Zuwiderhandlungen bzw Zustands- und Dauerdelikten. Nach dem Gesetzeswortlaut muss das Verhalten insgesamt beendet sein, um den Beginn der Verjährungsfrist auszulösen.

Bei den Dauerdelikten ist zwischen dauernden und fortgesetzten Zuwiderhandlungen zu unterscheiden. Eine dauernde Zuwiderhandlung besteht aus einer andauernden, eine fortgesetzte aus mehreren Handlungen, die jede für sich die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllen. Somit handelt es sich bei einer dauernden Zuwiderhandlung um ein abgrenzbares rechtswidriges Verhalten, das ohne Unterbrechung über einen längeren Zeitraum gesetzt wird. Eine fortgesetzte Zuwiderhandlung liegt demgegenüber immer dann vor, wenn eine zu einer rechtlichen Einheit zusammengefasste Vielzahl rechtswidriger aufeinander folgender Verhaltensweisen oder mehrere abgrenzbare Handlungen, die auf die Durchführung einer einzigen Zuwiderhandlung gerichtet sind, erfolgen (Traugott in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG2 § 33 Rz 6 und 7).

Der Begriff der fortgesetzten Zuwiderhandlung umfasst eine Mehrzahl von rechtswidrigen Verhaltensweisen oder von Handlungen zur Durchführung einer einzigen Zuwiderhandlung, die durch ein gemeinsames subjektives Element zu einer Einheit verbunden sind (EuGH C-235/92 P - Montecatini/Kommission).

Wie bereits oben zu Punkt 4) dargestellt, liegt hier eine einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung der Antragsgegnerin gegen das Kartellrecht vor, da alle Einzelverstöße auf einem einheitlichen Gesamtplan und Gesamtsystem beruhen. In einem solchen Fall beginnt die Verjährungsfrist erst mit Beendigung des letzten Teilakts zu laufen (16 Ok 2/15b; 16 Ok 8/15k mwN). Da die Zuwiderhandlungen weniger als fünf Jahre vor der Einbringung des Geldbußenantrags beendet waren, ist keine Verjährung eingetreten.

8.) Zur Rechtfertigung:

Ein Freistellungs- bzw Rechtfertigungsgrund nach § 2 Abs 1 KartG und Art 101 Abs 3 AEUV wurde nicht behauptet und ist nicht erkennbar.

9.) Zur Höhe der Geldbuße:

Gemäß § 29 Z 1 lit a und d KartG ist bei einem vorsätzlichen oder fahrlässigen Verstoß gegen § 1 KartG bzw gegen Art 101 AEUV eine Geldbuße bis zu einem Höchstbetrag von 10% des im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes zu verhängen. Darunter ist der weltweite Umsatz des jeweils am Wettbewerbsverstoß beteiligten Unternehmers zu verstehen, wobei die Berechnungsbestimmung des § 22 KartG heranzuziehen ist.

Bei der Bemessung der Geldbuße ist gemäß § 30 Abs 1 KartG insbesondere auf die Schwere und die Dauer der Rechtsverletzung, auf die durch die Rechtsverletzung erzielte Bereicherung, auf den Grad des Verschuldens und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Bedacht zu nehmen.

Ein Erschwerungsgrund ist es gemäß § 30 Abs 2 KartG insbesondere, wenn

1. das Kartellgericht gegen den Unternehmer oder die Unternehmervereinigung schon wegen einer gleichartigen oder ähnlichen Zuwiderhandlung eine Geldbuße verhängt oder eine solche Zuwiderhandlung festgestellt hat oder

2. der Unternehmer oder die Unternehmervereinigung als Urheber oder Anstifter einer von mehreren begangenen Rechtsverletzung oder an einer solchen Rechtsverletzung führend beteiligt war.

Ein Milderungsgrund ist es gemäß § 30 Abs 3 KartG insbesondere, wenn der Unternehmer oder die Unternehmervereinigung

1. an einer von mehreren begangenen Rechtsverletzung nur in untergeordneter Weise beteiligt war,

2. die Rechtsverletzung aus eigenem beendet hat,

3. wesentlich zur Aufklärung der Rechtsverletzung beigetragen hat oder

4. den aus der Rechtsverletzung entstandenen Schaden ganz oder teilweise gutgemacht hat.

Bei der Ermittlung der Höhe der beantragten Geldbuße ging die Antragstellerin von folgenden Überlegungen aus:

Da die Mehrzahl der betroffenen Bauvorhaben den Straßenbau betrifft, zog sie den im Jahr 2016 in diesem Geschäftsbereich in Österreich erzielten Umsatz der Antragsgegnerin in Höhe von rund EUR 39,82 Mio als Ausgangspunkt der Bemessung heran. Ausgehend von einem Grundbetrag, der regionale und zeitliche Ausprägung und persönliche Involvierung an der Gesamtzuwiderhandlung widerspiegle, und unter Anwendung eines Multiplikators für die Dauer der Zuwiderhandlung errechnete sie einen Betrag in Höhe von EUR 6,6 Mio. In weiterer Folge berücksichtige die Antragstellerin einen Abschlag für die einvernehmliche Verfahrensbeendigung. Als mildernd wertete sie die Einführung eines zertifizierten Compliance-Management-Systems. Unter Berücksichtigung dieser Faktoren und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Antragsgegnerin beantragte die Antragstellerin eine Geldbuße von EUR 4,81 Mio.

Ob eine höhere als diese beantragte Geldbuße in Frage käme, ist im Hinblick darauf, dass das Kartellgericht nach § 36 Abs 2 letzter Satz KartG keine höhere Geldbuße verhängen darf als beantragt, nicht zu prüfen.

Eine niedrigere Geldbuße als die beantragte Summe, die bei einem weltweiten Konzernumsatz der Antragsgegnerin im Geschäftsjahr 2016/17 (als dem letzten Jahr des Zuwiderhandelns, vgl 16 Ok 2/22p) in Höhe von rund EUR 143 Mio rund 33,6% des Höchstbetrags nach § 29 Z 1 KartG entspricht (bei Heranziehung des im Geschäftsjahr 2021/22 erzielten Umsatzes von EUR 186 Mio wären es rund 25,8%), kommt angesichts der Schwere und Dauer des Verstoßes, die durch die Rechtsverletzung zwangsläufig erzielte Bereicherung, das vorsätzliche Handeln und die erhebliche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Antragsgegnerin aus spezial- und generalpräventiven Erwägungen nicht in Betracht.“



Ausdruck vom: 27.04.2024 20:52:48 MESZ