Veröffentlichung gemäß § 37 Kartellgesetz
Entscheidung des Kartellgerichts
Zusammenschluss
27 Kt 9/21g
Bundeswettbewerbsbehörde
Salesforce.com Inc
Zusammenschluss
verbotene Durchführung
Erwerb sämtlicher Anteile
Modern Business Intelligence ("BI") Platforms
21.09.2021
22.04.2021
„Über die Antragsgegnerin wird wegen der verbotenen Durchführung des am 24.9.2020 bei der Bundeswettbewerbsbehörde zu BWB/Z-5027 angemeldeten Zusammenschlusses betreffend den am 1.8.2019 erfolgten Erwerb sämtlicher Anteile der Tableau Software, Inc., USA, und den dadurch erlangten Erwerb der alleinigen Kontrolle im Zeitraum vom 1.8.2019 bis 22.10.2020 gemäß § 29 Z 1 lit a iVm § 17 Abs 1 KartG eine Geldbuße von EUR 100.000,-- verhängt.
Begründung:
Folgender Sachverhalt ist unstrittig:
Beteiligte Unternehmen:
Die Antragsgegnerin ist ein weltweiter Anbieter von Customer-Relationship-Management-Produkten und -Technologien, die es Unternehmen ermöglichen, Kundenbeziehung zu managen und zu verbessern.
(7) Das Zielunternehmen Tableau ist ein Anbieter von Business-Analytics-Softwarelösungen, die es geschäftlichen Anwendern ermöglichen, mit ihren Daten zu arbeiten, Fragen zu stellen, Probleme zu lösen und Werte zu schaffen. Sämtliche Produkte des Zielunternehmens sind dem Bereich Modern Business Intelligence ("BI") Platforms ("Moderne BI Plattformen") zuzuordnen:
Abbildung 1 - Tätigkeit der beteiligten Unternehmen
(Gelb = horizontale Überschneidungen; Blau = nur Tätigkeit der Antragsgegnerin; Beilage ./C S 6)
Zusammenschluss:
Am 1.8.2019 erwarb die Antragsgegnerin sämtliche Anteile der Tableau Software, Inc. (im Folgenden: „Zielgesellschaft“), womit der Erwerb der alleinigen Kontrolle über die Zielgesellschaft verbunden war.
Ein Zusammenschluss von unionsweiter Bedeutung lag nicht vor, da die Umsatzschwellen des Art 1 Abs 2 und 3 FKVO nicht erreicht wurden.
Eine Zusammenschlussanmeldung in Österreich erfolgte zunächst nicht.
Im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr vor der Transaktion (1.2.2018 – 31.1.2019 für die Antragsgegnerin, 1.1. bis 31.12.2018 für die Zielgesellschaft) erzielten die beteiligten Unternehmen zusammen einen weltweiten Umsatz von ca. EUR 12,7 Mrd und einen Umsatz in Österreich von ca. EUR XX Mio Der Wert der Gegenleistung des Zusammenschlusses betrug ca. EUR 14,2 Mrd.
Die Antragstellerin erlangte Mitte 2019 Kenntnis vom durchgeführten Zusammenschluss und verlangte von der Antragsgegnerin ergänzende Informationen in Form von mehreren Auskunftsverlangen nach § 11 Abs 1 WettbG.
Am 16.7.2020 übermittelte die Antragstellerin der Antragsgegnerin die Mitteilung der Beschwerdepunkte gemäß § 13 Abs 1 WettbG, wonach ein Verstoß gegen das Durchführungsverbot gemäß § 17 Abs 1 KartG vorliege (Beilage ./C).
Am 23.9.2020 meldete die Antragsgegnerin den durchgeführten Zusammenschluss nachträglich zu BWB/Z-5027 bei der BWB an. Die Amtsparteien stellten keinen Prüfungsantrag, sodass das Durchführungsverbot mit Wirkung vom 23.10.2020 wegfiel.
Im Geschäftsjahr 2019 (1.2.2019 - 31.1.2020) erwirtschaftete die Antragsgegnerin einen konsolidierten Gruppenumsatz von EUR 14,97 Mrd weltweit, jener für das Geschäftsjahr 2020 (1.2.2020 – 31.1.2021) liegt nicht vor.
Die Antragstellerin beantragte mit ihrem am 28.1.2021 beim Kartellgericht eingelangten Antrag die Verhängung einer Geldbuße von EUR 100.000,-- über die Antragsgegnerin gemäß § 29 Z 1 lit a iVm § 17 Abs 1 KartG.
Sie brachte im Wesentlichen vor, die Antragsgegnerin habe mit ihrem Vorgehen im Zeitraum 1.8.2019 bis 22.10.2020 gegen das Durchführungsverbot verstoßen. Die Schwellenwerte des § 9 Abs 1 KartG seien zwar nicht erreicht, da die beteiligten Unternehmen im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr vor dem durchgeführten Zusammenschluss Umsätze von weniger als EUR 30 Mio in Österreich erzielt hätten. Allerdings erfülle der Zusammenschluss die Schwellenwerte nach § 9 Abs 4 KartG, da sowohl die Umsatzschwellen des § 9 Abs 4 Z 1 und 2 als auch der Transaktionswert des § 9 Abs 4 Z 3 KartG überschritten werde. Die erhebliche Inlandstätigkeit des Zielunternehmens iSd § 9 Abs 4 Z 4 KartG sei gegeben, da das Zielunternehmen einer der wesentlichsten Anbieter im Bereich Moderne BI-Plattformen sei und einen vom Marktforschungsunternehmen Gartner geschätzten Inlandsanteil von 5-10% im Software-Segment der Modernen BI Plattformen erreicht habe. Der Umfang dieser Tätigkeit übersteige die Aufgriffsschwelle des § 9 Abs 4 KartG, da sie nicht nur als marginale Aktivität angesehen werden könne. Daher liege ein Verstoß gegen das Durchführungsverbot gemäß § 17 Abs 1 KartG für den Zeitraum 1.8.2019 bis 22.10.2020 vor.
Grundlage für die Bemessung der Geldbuße sei § 30 KartG. Zu berücksichtigen sei, dass die beteiligten Unternehmen keine Selbstanzeige erstattet hätten; der Erwerb der alleinigen Kontrolle über das Zielunternehmen entsprechende Auswirkungen auf die Marktstruktur gehabt habe; es sich um ein großes, grenzüberschreitend tätiges Unternehmen handle, das wegen der großen wettbewerbsrechtlichen Relevanz strenger zu beurteilen sei; andererseits eine noch relativ neuartige Regelung in der österreichischen Zusammenschlusskontrolle zum Tragen gekommen sei und der Antragsgegnerin zumindest leichte Fahrlässigkeit vorzuwerfen sei.
Ein Erschwerungsgrund iSd § 30 Abs 2 KartG liege nicht vor. Als Milderungsgrund sei anzuführen, dass die Antragsgegnerin insbesondere durch das Anerkenntnis zur Aufklärung der Rechtsverletzung beigetragen habe.
Die Antragsgegnerin habe die Schuld- und Tatangemessenheit einer Geldbuße von EUR 100.000,-- anerkannt.
Der Bundeskartellanwalt schloss sich dem Vorbringen und dem Antrag der Antragstellerin an.
Die Antragsgegnerin bestritt das Antragsvorbringen und den Antrag nicht und erhob letztlich keine Einwendungen gegen die rechtliche Beurteilung der Antragstellerin sowie die Höhe der beantragten Geldbuße. Sie verwies auf ihr Anerkenntnis und stellte das Tatsachenvorbringen der Antragstellerin außer Streit.
Rechtlich ergibt sich Folgendes:
Da gegen die Richtigkeit des vorgebrachten Sachverhalts, der mit den vorgelegten Unterlagen im Einklang steht, keine Bedenken bestehen, waren im Sinne des § 33 Abs 1 AußStrG iVm § 38 KartG keine weiteren Erhebungen durchzuführen.
Gemäß § 29 Z 1 lit a KartG hat das Kartellgericht gegen einen Unternehmer oder eine Unternehmervereinigung, der oder die vorsätzlich oder fahrlässig (ua) dem Durchführungsverbot (§ 17 KartG) zuwiderhandelt, eine Geldbuße bis zu einem Höchstbetrag von 10% des im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes zu verhängen.
Das Durchführungsverbot des § 17 Abs 1 KartG bestimmt, dass ein anmeldebedürftiger Zusammenschluss erst durchgeführt werden darf, wenn die Amtsparteien auf die Stellung eines Prüfungsantrags verzichtet oder innerhalb der Antragsfrist keinen Prüfungsantrag gestellt haben.
Der gegenständliche Erwerbsvorgang stellte einen Zusammenschluss nach § 7 KartG dar. Der beschriebene Erwerb der Anteile an der Zielgesellschaft durch die Antragsgegnerin erfüllt den Tatbestand des § 7 Abs 1 Z 3 KartG. Weiters fand dadurch unstrittig der Erwerb der alleinigen Kontrolle iSd § 7 Abs 1 Z 5 KartG statt.
Ein solcher Zusammenschluss nach § 7 KartG bedarf der Anmeldung bei der Bundeswettbewerbsbehörde und darf iSd § 17 KartG vor Freigabe nicht durchgeführt werden, wenn kumulativ
- kein Zusammenschluss von gemeinschaftsweiter Bedeutung vorliegt, der bei der Europäischen Kommission anmeldepflichtig ist (Art 21 FKVO),
- alle drei Umsatzschwellen des § 9 Abs 1 KartG erfüllt sind,
- die Ausnahme des § 9 Abs 2 KartG unanwendbar ist,
- oder bei Nichtanwendbarkeit von § 9 Abs 1 KartG die Schwellenwerte nach § 9 Abs 4 KartG erreicht und die dort normierten Voraussetzungen erfüllt werden,
und der Zusammenschluss eine hinreichende Inlandsauswirkung gemäß § 24 Abs 2 KartG hat (Urlesberger in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG2 § 9 Rz 4; Hoffer/Barbist, Das neue Kartellrecht3 47ff).
Hier liegt kein Zusammenschluss von unionsweiter Bedeutung vor, da die Umsatzschwellen des Art 1 Abs 2 und 3 FKVO nicht erreicht werden.
Gemäß § 9 Abs 1 KartG bedürfen Zusammenschlüsse der Anmeldung bei der Bundeswettbewerbsbehörde, wenn die beteiligten Unternehmen im letzten Geschäftsjahr vor dem Zusammenschluss Umsatzerlöse von (1.) weltweit insgesamt mehr als EUR 300 Mio, (2.) im Inland insgesamt mehr als EUR 30 Mio und (3.) mindestens zwei Unternehmen weltweit jeweils mehr als EUR 5 Mio erzielten.
Da die beteiligten Unternehmen im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr vor dem durchgeführten Zusammenschluss Umsätze von weniger als EUR 30 Mio in Österreich erzielten, sind die Aufgriffsschwellen des § 9 Abs 1 KartG nicht erreicht.
Allerdings erfüllt der durchgeführte Zusammenschluss die durch das KaWeRÄG 2017 eingeführte Aufgriffsschwelle des § 9 Abs 4 KartG. Nach dieser Bestimmung bedürfen Zusammenschlüsse, auf die § 9 Abs 1 KartG nicht anwendbar ist, auch der Anmeldung bei der Bundeswettbewerbsbehörde, wenn
1. die beteiligten Unternehmen im letzten Geschäftsjahr vor dem Zusammenschluss Umsatzerlöse von weltweit insgesamt mehr als EUR 300 Mio erzielten,
2. die beteiligten Unternehmen im letzten Geschäftsjahr vor dem Zusammenschluss im Inland Umsatzerlöse von insgesamt mehr als EUR 15 Mio erzielten,
3. der Wert der Gegenleistung für den Zusammenschluss mehr als EUR 200 Mio beträgt und
4. das zu erwerbende Unternehmen in erheblichen Umfang im Inland tätig ist.
Im Hinblick auf die im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr vor dem Zusammenschluss von den beteiligten Unternehmen erzielten Umsatzerlöse von weltweit ca. EUR 12,7 Mrd, wovon rund EUR XX Mio auf Österreich entfielen, und den Wert der Gegenleistung von zumindest EUR 14,02 Mrd werden die Umsatzschwellen des § 9 Abs 4 Z 1 und 2 KartG sowie der Transaktionswert des § 9 Abs 4 Z 3 KartG daher überschritten.
Auch die Voraussetzung des § 9 Abs 4 Z 4 KartG, wonach das zu erwerbende Unternehmen in erheblichem Umfang im Inland tätig sein muss, ist bei einem Inlandsanteil des Zielunternehmens von 5-10% im Software-Segment der Modernen BI Plattformen gegeben. Dies wurde von der Antragsgegnerin anerkannt.
Somit ist auch eine hinreichende Inlandsauswirkung des Zusammenschlusses gemäß § 24 Abs 2 KartG gegeben (vgl. dazu Urlesberger in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG2 § 9 Rz 10 ff).
Aus diesen Gründen lagen die Voraussetzungen für eine Anmeldepflicht des Zusammenschlusses vor. Die Antragsgegnerin hat in dem im Antrag genannten Zeitraum, also für mehr als 14 Monate, gegen das Durchführungsverbot des § 17 KartG verstoßen. Daher war über sie gemäß § 17 Abs 1 iVm § 29 Z 1 lit a KartG eine Geldbuße zu verhängen.
Kriterien für die Bemessung der Geldbuße sind nach § 30 KartG insbesondere die Schwere und die Dauer der Rechtsverletzung, die daraus erzielte Bereicherung, der Grad des Verschuldens und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des betroffenen Unternehmens.
Zuwiderhandlungen gegen das Durchführungsverbot sind in aller Regel als schwerer Verstoß zu beurteilen, weil die Wirksamkeit der Bestimmungen über die Anmeldung von Zusammenschlüssen auch dann untergraben wird, wenn der Zusammenschluss nach wettbewerblichen Kriterien grundsätzlich unbedenklich wäre.
Die Dauer des Verstoßes belief sich auf rund 14 Monate.
Eine feststellbare Bereicherung wurde nicht erzielt.
Zum Grad des Verschuldens ist auf die Erwägungen der Antragstellerin zu verweisen, denen zuzustimmen ist (vgl RIS-Justiz RS0128930; 16 Ok 2/13). Die Entscheidung muss einerseits zum Ausdruck bringen, dass die Unterlassung von Zusammenschlussanmeldungen in Österreich kein "Kavaliersdelikt" ist (16 Ok 2/13). Bei der Antragsgegnerin handelt es sich um ein großes, grenzüberschreitend tätiges Unternehmen, das wegen der großen wettbewerbsrechtlichen Relevanz strenger zu beurteilen ist. Gerade zur Vermeidung von Monopolbildungen im sensiblen digitalen Wirtschaftsbereich wurde die Aufgriffsschwelle des § 9 Abs 4 KartG eingeführt. Andererseits stellt § 9 Abs 4 KartG eine relativ neue Bestimmung dar, deren Nichtanwendung der Antragsgegnerin im vorliegenden Fall nicht als grob fahrlässig anzulasten ist. Insgesamt ist das Verhalten der Antragsgegnerin als leicht fahrlässig zu qualifizieren.
Ein Erschwerungsgrund iSd § 30 Abs 2 KartG liegt nicht vor. Mildernd wirkt sich aus, dass die Antragsgegnerin zwar nicht durch eine Selbstanzeige, jedoch durch das von ihr abgegebene Anerkenntnis zur Aufklärung der Rechtsverletzung beigetragen hat.
Zusammengefasst ist – unter Beachtung der general- und spezialpräventiven Aspekte der Sicherstellung der Einhaltung der Anmeldepflicht - die Verhängung einer geringeren Geldbuße als von der Antragstellerin beantragt keinesfalls angezeigt. Die Verhängung einer höheren Geldbuße ist nicht möglich, da das Kartellgericht gemäß § 36 Abs 2 letzter Satz KartG keine höhere Geldbuße verhängen darf als beantragt. Die 10%-ige Obergrenze des § 29 Z 1 KartG für die Geldbuße wird unstrittig nicht erreicht.“
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Abbildung | 830859 KB |