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Kategorie:

Kartell

Dienststelle:

OLG Wien (009)

Aktenzeichen:

28 Kt 1/22i


Bekannt gemacht am:

18.10.2022

Entscheidungsdatum:

10.06.2021


Gemäß § 28 Abs 1 und Abs 1a Z 1 KartG wird festgestellt, dass die Erstantragsgegnerin und die Zweitantragsgegnerin wegen der Beteiligung an einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung gegen § 1 Abs 1 KartG in Form von kartellrechtswidrigen Preisabsprachen, Marktaufteilungen und Informationsaustausch mit Wettbewerbern insbesondere durch die Einigung über den Zuschlagsempfänger und die daran anschließende Abgabe von Deckangeboten durch die beteiligten Wettbewerber in Bezug auf Ausschreibungen im Bereich Bau- und Möbeltischlereiarbeiten in Wien, Niederösterreich, Oberösterreich, Steiermark und Tirol im Zeitraum von Juli 2002 bis März 2019 verstoßen hat.


Begründung:

Die Bundeswettbewerbsbehörde beantragte die Feststellung einer Zuwiderhandlung der Antragsgegnerinnen gegen § 1 Abs 1 KartG wie im Spruch ersichtlich.

Der Bundeskartellanwalt schloss sich diesem Antrag an.

Die Antragsgegnerinnen traten dem Antrag und dem Vorbringen der Bundeswettbewerbsbehörde nicht entgegen und stellten die von der Antragstellerin gemachten Angaben außer Streit.

Angesichts des Akteninhalts, insbesondere der Urkunden ./xxx bis ./xxx, bestehen gegen diese Außerstreitstellungen keine Bedenken, weshalb von weiteren Erhebungen Abstand zu nehmen war (§ 33 Abs 1 AußStrG iVm § 38 KartG).

Am 27.5.2019 ersuchten die Antragsgegnerinnen gegenüber der Antragstellerin um ein Vorgehen nach § 11b Abs 1 oder Abs 2 WettbG (Kronzeugenregelung). Am 2.3.2021 teilte ihnen die Antragstellerin mit, dass sie vorbehaltlich der weiteren uneingeschränkten und zügigen Kooperation beabsichtige, davon Abstand zu nehmen, die Verhängung einer Geldstrafe zu beantragen.

 

Folgender Sachverhalt steht fest:

Die Erstantragsgegnerin bietet Dienstleistungen im Bereich Bau- und Möbeltischlerei an und ist insbesondere auf Maßmöbel für Großobjekte wie Krankenhäuser, Pflegeheime und Einkaufszentren spezialisiert. Die Zweitantragsgegnerin (vormals FMK Vertriebs GmbH) hält 100% der Anteile der Erstantragsgegnerin und kontrolliert diese. Von den Antragsgegnerinnen ist nur die Erstantragsgegnerin operativ tätig.

Von Juli 2002 bis März 2019 kam es in Wien und Niederösterreich sowie vereinzelt auch in Oberösterreich, der Steiermark und Tirol zwischen der Erstantragsgegnerin und zumindest 20 Mitbewerbern zu Absprachen im Zusammenhang mit Bau- und Möbeltischlerarbeiten, die von kleineren Projekten bis hin zu umfangreicheren Projekten reichten.

Die typische Vorgehensweise war dabei, dass jenes Unternehmen, das von einer bevorstehenden Ausschreibung (in der Regel beschränkte Ausschreibungen) erfuhr, weitere Unternehmen informierte, von denen es annahm, dass diese an einer Angebotslegung interessiert sein könnten oder die häufig vom jeweiligen Auftraggeber eingeladen wurden. Im Zuge von zumeist bilateralen Kontakten einigten sich die Unternehmen, wer den Zuschlag erhalten sollte. Das dafür ausgewählte Unternehmen forderte die übrigen eingeladenen Unternehmen zur Legung von Deckangeboten auf. Dazu wurden von dem für den Erhalt des Zuschlags in Aussicht genommenen Unternehmen entweder fertig ausgefüllte Angebote an die Mitbewerber versendet oder vorab kalkulierte Preislisten übermittelt, die von den weiteren beteiligten Unternehmen, welche Deckangebote legen sollten, selbst in ein Angebot eingefügt wurden. Die Preise für die Deckangebote wurden dabei so kalkuliert, dass sie über den Preisen im Angebot des Unternehmens lagen, welches den Zuschlag erhalten sollte. Durch die Abgabe des höheren Deckangebots der Mitbewerber wurde jenem Unternehmen, welches den Zuschlag erhalten wollte, vor allem in Verfahren nach dem Billigstbieterprinzip zur Auftragserteilung verholfen. Die Erstantragsgegnerin war an dieser Vorgangsweise sowohl aktiv (durch die Aufforderung zum Legen von Deckangeboten) als auch passiv (durch die Abgabe von Deckangeboten) beteiligt.

So wurden Ausschreibungsverfahren, deren eigentlicher Zweck darin liegt, faire und transparente Wettbewerbsbedingungen zu schaffen, von der Erstantragsgegnerin und ihren Mitbewerbern dazu genutzt, um Angebote abzugeben, die gerade nicht im Wettbewerb, sondern durch zwischen den Wettbewerbern gepflogene Absprachen zustande gekommen sind. Die Handlungen der Erstantragsgegnerin und ihrer Mitbewerber waren durch eine beträchtliche Anzahl der betroffenen Projekte, die Dauer von fast 17 Jahren und die Selbstverständlichkeit, mit der es regelmäßig zu Absprachen zwischen der Erstantragsgegnerin und den zumindest zwanzig weiteren beteiligten Unternehmen kam, gekennzeichnet.

Die davon betroffenen Projekte im Bereich Bau- und Möbeltischlerarbeiten beziehen sich sowohl auf Ausschreibungen öffentlicher Auftraggeber (insbesondere im Gesundheitsbereich), als auch auf private Ausschreibungen. Unabhängig vom konkreten Auftraggeber bestand zwischen den beteiligten Unternehmen ein Verständnis, sich vor der Angebotsabgabe für ein Projekt wechselseitig über das jeweilige Angebotsverhalten abzustimmen bzw informieren zu können.

An diesen Absprachen waren zumindest folgende Mitbewerber beteiligt: xxx („xxx“), xxx („xxx“), Norer Tischlereigesellschaft m.b.H. („Norer“), xxx, xxx, xxx, xxx, xxx, xxx, xxx, xxx, xxx, xxx, xxx, xxx, xxx, xxx, xxx, xxx (vormals xxx), xxx.

Derartige Absprachen fanden im Zeitraum Juli 2002 bis März 2019 bei zumindest 131 Projekten statt, wobei die Abstimmungspraxis großteils gleichartig erfolgte wie in nachstehenden beispielhaft herausgegriffenen Projekten:

Im Jahr 2017 wurde für das Donauzentrum die Vergabe von Tischlerarbeiten für die Umgestaltung der Mall sowie die Neugestaltung von Büros ausgeschrieben. Am 24.5.2017 sendete xxx, ein für die Kalkulation zuständiger Mitarbeiter der Erstantragsgegnerin, E-Mails an die Mitbewerberinnen xxx und xxx, an die jeweils PDF-Dateien mit fertig kalkulierten Angeboten für die beiden Projekte angeschlossen waren. Mit diesen E-Mails sollten die Mitbewerber seitens der Erstantragsgegnerin dazu aufgefordert werden, bei den Ausschreibungen für die beiden Projekte m ittels der jeweils übermittelten Angebote, deren Angebotssummen über jenen lagen, die die Erstantragsgegnerin letztlich abgab, Deckangebote für die Erstantragsgegnerin abzugeben. Die Erstantragsgegnerin erhielt letztlich den Zuschlag zu diesen Projekten nicht.

Im Jahr 2016 erfolgte eine Ausschreibung der Wiener Gebietskrankenkasse (nunmehr: Österreichische Gesundheitskasse) für Möbeltischlerarbeiten im Rahmen des Projekts Gesundheitszentrum Mariahilf Umbau Endoskopie. Die Angebotsfrist endete am 10.10.2016. Am 7.10.2016 sendete Norer eine E-Mail an die Erstantragsgegnerin mit folgendem Text: „Hallo […] können sie mir auch dieses Angebot an unterstehende Adresse schicken bis Montag 10.10.2016 12 UHR !!! Unterschreiben und Stempeln !! Aber per Mail bitte an unser Büro […] übermitteln!! … Das andere bekommen sie am Montag (sic)“ Die angehängte PDF-Datei enthielt ein ausgefülltes Leistungsverzeichnis für das Projekt Gesundheitszentrum Mariahilf-Umbau Endoskopie/5.OG. Die Angebotssumme lag dabei über jener, die von Norer bei der Ausschreibung letztlich selbst abgegeben wurde. Mit dem E-Mail wurde die Erstantragsgegnerin von Norer aufgefordert, in der Ausschreibung für dieses Projekt ein Deckangebot zu legen, um Norer zur Auftragserteilung zu verhelfen. Die Erstantragsgegnerin legte auch tatsächlich ein solches Deckangebot unter Verwendung des übermittelten Leistungsverzeichnisses.

Auch in den anderen Projekten übermittelte die Erstantragsgegnerin konzertierte Angebotskalkulationen für Mitbewerber, auf deren Basis Deckangebote bei den ausschreibenden Stellen abgegeben wurden, oder sie gab umgekehrt von Mitbewerbern vorab kalkulierte und an sie übermittelte Deckangebote ab, um diesen wiederum zur Zuschlagserteilung zu verhelfen. Die Umsetzung dieser Absprachen war allerdings nicht in allen diesen Fällen (im Sinne der Auftragserteilung an die Erstantragsgegnerin oder einen an der Absprache teilnehmenden Mitbewerber) auch erfolgreich.

 

Zu diesen Tatsachenfeststellungen gelangte das Kartellgericht aufgrund der vorgelegten Urkunden Beilagen ./xxx bis ./xxx sowie aufgrund der Außerstreitstellung des Vorbringens der Antragstellerin im verfahrenseinleitenden Antrag durch die Antragsgegnerinnen.

 

In rechtlicher Hinsicht folgt daraus:

Nach § 1 Abs 1 KartG sind Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmervereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen verboten, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken (Kartellverbot).

Der Begriff „Vereinbarung“ ist weit auszulegen: Eine Vereinbarung liegt bereits vor, wenn die Parteien ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck gebracht haben, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten, mag die Willensübereinstimmung ausdrücklich oder konkludent, schriftlich oder formlos zustande gekommen sein (RIS-Justiz RS0124670). Voraussetzung und Kernelement für das Vorliegen einer Vereinbarung ist daher die Willensübereinstimmung der beteiligten Unternehmen über die Regelung ihres Marktverhaltens (6 Ob 105/19p).

Eine derartige Willensübereinstimmung der Erstantragsgegnerin mit ihren Mitbewerbern über die Regelung des Marktverhaltens im Zusammenhang mit Ausschreibungen ist dem festgestellten Sachverhalt eindeutig zu entnehmen. Sie beruhte auf einem Gesamtsystem mit dem Grundverständnis, sich bei Ausschreibungen unterschiedlicher Art gegenseitig zu unterstützen, indem Deckangebote gelegt wurden, um den beteiligten Unternehmen zur Zuschlagserteilung zu verhelfen. Die festgestellten Verhaltensweisen sind daher als eine einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung zu qualifizieren (16 Ok 5/08; RIS-Justiz RS0130390).

Als Kernbeschränkungen handelt es sich bei den gegenständlichen Preis- und Marktaufteilungsabsprachen um bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen (RIS-Justiz RS0120917), deren tatsächliche Auswirkungen auf den Markt nicht zu prüfen sind (16 Ok 51/05).

Eine Ausnahme nach § 2 KartG wurde nicht behauptet und ist auch nicht ersichtlich.

Nach der Rechtsprechung des EuGH kann auch der Muttergesellschaft das kartellrechtswidrige Verhalten ihrer Tochtergesellschaft zugerechnet werden, ohne dass ihre persönliche Beteiligung an der Zuwiderhandlung nachzuweisen wäre, wenn die Gesellschaften Teil ein- und derselben wirtschaftlichen Einheit sind und damit ein Unternehmen iSd Art 101 AEUV (vormals Art 81 EG) bilden. Hält die Muttergesellschaft 100 % des Kapitals ihrer Tochtergesellschaft, die einen Verstoß gegen das Kartellverbot begangen hat, besteht die widerlegbare Vermutung, dass die Muttergesellschaft tatsächlich einen bestimmenden Einfluss auf das Verhalten ihrer Tochtergesellschaft ausübt (vgl EuGH C-90/09 P, General Quimica SA, mwN; 16 Ok 2/15b [5.11.1.]). Dies trifft auch auf den vorliegenden Fall zu, in dem die Zweitantragsgegnerin nach den Feststellungen 100% der Anteile an der Erstantragsgegnerin hält und diese kontrolliert. Die Vermutung, dass die Zweitantragsgegnerin einen bestimmenden Einfluss auf die Erstantragsgegnerin ausübt, wurde von ersterer im Verfahren nicht widerlegt.

Durch die festgestellten Preis- und Marktaufteilungsabsprachen haben sohin die Erstantragsgegnerin und – aufgrund ihres bestimmenden Einflusses auf diese auch – die Zweitantragsgegnerin gegen § 1 Abs 1 KartG verstoßen.

Da eine fortgesetzte Zuwiderhandlung vorliegt und der Beginn der Verjährungsfrist nach § 33 KartG mit dem Zeitpunkt anzunehmen ist, an dem die Rechtsverletzung beendet wurde, ist auch eine Verjährung der bis März 2019 stattgefundenen Kartellrechtsverstöße nicht eingetreten.

Wenn die Zuwiderhandlung gegen ein im ersten Hauptstück des KartG enthaltenes Verbot bereits beendet ist, hat das Kartellgericht die Zuwiderhandlung gemäß § 28 Abs 1 KartG festzustellen, soweit daran ein berechtigtes Interesse besteht. Aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt sich, dass die Zuwiderhandlung der Antragsgegnerinnen mittlerweile bereits beendet ist. Im Hinblick auf den den Antragsgegnerinnen seitens der Antragstellerin mit Mitteilung vom 2.3.2021 gemäß § 8 Abs 1 VO Kronzeugen (BGBl II Nr 487/2021) zuerkannten Kronzeugenstatus besteht auch ein berechtigtes Interesse im Sinn des § 28 Abs 1 iVm Abs 1a Z 1 KartG an der beantragten Feststellung.“



Ausdruck vom: 28.04.2024 01:11:28 MESZ