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Kategorie:

Kartell

Dienststelle:

OLG Wien (009)

Aktenzeichen:

27 Kt 6/22t


Bekannt gemacht am:

05.04.2023

Entscheidungsdatum:

18.10.2022


 Über die Antragsgegnerin wird wegen der Beteiligung an einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung gegen § 1 Abs 1 KartG in Form von kartellrechtswidrigen Preisabsprachen, Marktaufteilungen und Informationsaustausch mit Wettbewerbern, insbesondere durch die Einigung über den Zuschlagsempfänger und die daran anschließende Abgabe von Deckanboten in Bezug auf Ausschreibungen im Bereich der Bau- und Möbeltischlereiarbeiten in Niederösterreich und Wien im Zeitraum von Februar 2011 bis einschließlich Mai 2019, gemäß § 29 Abs 1 Z 1 lit a KartG eine Geldbuße in der Höhe von EUR 100.000,-- verhängt.

Begründung:

Die Bundeswettbewerbsbehörde beantragte die Verhängung einer Geldbuße wider die Antragsgegnerin wegen einer Zuwiderhandlung gegen § 1 Abs 1 KartG wie im Spruch ersichtlich.

Der Bundeskartellanwalt schloss sich dem Antrag an.

Die Antragsgegnerin trat dem Antrag und dem Vorbringen der Antragstellerin nicht entgegen und stellte den von jener vorgetragenen Sachverhalt außer Streit.

Folgender Sachverhalt steht demnach fest:

Die Antragsgegnerin (FN 101505y) bietet Dienstleistungen im Bereich Bau- und Möbeltischlerei an. Der Umsatz der Antragsgegnerin im Jahr 2021 betrug EUR 1,951.178,40 , im Jahr 2018 EUR 1.984.499,66.

Alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der Antragsgegnerin ist Dietmar Lechner.

Von zumindest zumindest Februar 2011 bis einschließlich Mai 2019 kam es in Wien und Niederösterreich, zwischen der Antragsgegnerin und Mitbewerbern zu Absprachen im Zusammenhang mit öffentlichen und privaten Ausschreibungen von Dienstleistungen im Bereich Bau- und Möbeltischlerarbeiten, die von kleineren Projekten (ab rund EUR 1.500,--) bis hin zu umfangreicheren Projekten (iHv über EUR 1 Mio) reichten. Die Antragsgegnerin war an über 60 Projekten unmittelbar beteiligt.

Die typische Vorgehensweise war dabei, dass jenes Unternehmen, das in einer Ausschreibung den Zuschlag erhalten wollte, die übrigen beteiligten Unternehmen vor Ablauf der Angebotsfrist über die Ausschreibung informierte und diese zur Legung von Deckangeboten aufforderte. In der Folge übermittelte das am Zuschlag interessierte Unternehmen den Mitbewerbern entweder fertig ausgefüllte Angebote oder vorab kalkulierte Preise, die von den beteiligten Unternehmen, welche Deckangebote legen sollten, selbst in ihre Angebote eingefügt wurden. Die Deckangebote wurden dabei so kalkuliert, dass sie preislich über jenem Angebot lagen, dass das am Zuschlag interessierte Unternehmen (der „aktive Teilnehmer“) legte. Durch die Abgabe von höheren Deckangeboten der Mitbewerber (die „passiven Teilnehmer“) wurde jenem Unternehmen, welches gemäß Absprache bzw. Abstimmung den Zuschlag erhalten sollte - vor allem in Verfahren nach dem Billigstbieterprinzip - zur Auftragserteilung verholfen.

Die Antragsgegnerin war an dieser Vorgangsweise sowohl aktiv (durch Aufforderung von Mitbewerbern zur Legung von Deckangeboten, teils inklusive Übermittlung konzertierter Angebotskalkulationen) als auch passiv (durch die Abgabe von Deckangeboten) beteiligt.

So wurden Ausschreibungen, deren eigentlicher Zweck darin liegt, faire und transparente Wettbewerbsbedingungen zu schaffen, von der Antragsgegnerin und ihren Mitbewerbern dazu genutzt, um Angebote abzugeben, die gerade nicht im Wettbewerb, sondern durch Absprache zwischen Wettbewerbern zustande gekommen sind. Der Sinn und Zweck von Ausschreibungen wurde dadurch unterlaufen, weil die Antragsgegnerin und ihre Mitbewerbern damit das Ziel verfolgten, einen effektiven Preiswettbewerb zu verhindern. Die Handlungen waren von einer Selbstverständlichkeit geprägt, mit der es während der gesamten Dauer (über 8 Jahre) bei über 60 Projekten zu Absprachen zwischen der Antragsgegnerin und den weiteren beteiligten Unternehmen kam.

Die betroffenen Projekte beziehen sich sowohl auf Ausschreibungen öffentlicher Auftraggeber (vor allem bei Krankenanstalten), als auch auf private Auftragsvergaben (unter anderem betreffend Einkaufszentren). Unabhängig vom konkreten Auftraggeber bestand zwischen den beteiligten Unternehmen ein Grundverständnis, sich vor der Angebotsabgabe für ein Projekt wechselseitig über das jeweilige Angebot, sohin über ihr künftiges Marktverhalten, abzustimmen bzw. zu informieren.

An diesen Absprachen waren zumindest die Mitbewerber Fürst Möbel GmbH („Fürst“), Norer Tischlereiges.m.b.H („Norer“), *** („***“), *** („***“), *** („***“) und Krumböck GmbH („Krumböck“) beteiligt.

Die Abstimmungspraxis erfolgte großteils gleichartig. Derartige Absprachen erfolgten zum Beispiel bei folgenden Projekten:

Im Jahr 2015 schrieb der Wiener Krankenanstaltenverbund, KA Rudolfstiftung, Technische Dirketion, Boerhaavegasse 8a, 1030 Wien, Tischlerarbeiten für die Station 10a im Rahmen eines nicht offenen Verfahrens ohne vorherige Bekanntmachung aus. Neben der Antragsgegnerin wurden „Fürst“, „***“, „***“ und „***“ zur Angebotslegung eingeladen. Die Antragsgegnerin vereinbarte mit den anderen Bietern, dass diese im Vergabeverfahren Deckangebote legen werden, sodass die Antragsgegnerin mit dem niedrigsten Angebot den Zuschlag erhalte n wird. Zu diesem Zweck übermittelten jedenfalls die MitbewerberinnenFürst“ und „***“ im Jänner 2014 ein unausgefülltes, aber jeweils mit Firmenstempel und Unterschrift unterzeichnetes Leistungsverzeichnis an die Antragsgegnerin, welche dieses jeweils auspreiste und an die ausschreibende Stelle zur Einreichung brachte. Die Antragsgegnerin preiste die Leistungsverzeichnisse von „Fürst“ und „***“ höher aus als ihr eigenes Angebot, sodass ihr – was dieses Projekt betraf – der Zuschlag erteilt wurde. Diese Vorgehensweise war mit den Mitbewerberinnen „Fürst“ und „***“ so abgesprochen.

Im Jahr 2012 schrieb der Wiener Krankenanstaltenverbund, KH Hietzing, Neurologisches Zentrum Rosenhügel, Wolkersbergenstraße 1, 1130 Wien, Tischlerarbeiten im Bereich der Fenster der neurologischen Abteilung aus. Frau *** (von der Antragsgegnerin) hat am 11.12.2012 an „***“ und „***“ jeweils ein E-Mail mit dem identen Betreff „ANGEBOT, KH-Hietzing, Pav. XVI, HolzFenster.xls“ und identem Text übermittelt: „[…] wir bitten um ein Angebot laut Anhang auf Ihrem Briefpapier und an uns mailen Vielen Dank! […]“. Dieser Aufforderung entsprach „***“ und übermittelte am selben Tag ein Deckanbot mit der von der Antragsgegnerin ausgepreisten Nettosumme von EUR 43.717,80. Auch „***“ entsprach dieser Aufforderung und übermittelte an die Antragsgegnerin ein Angebot für das Projekt über eine Nettosumme von EUR 42.655,20. Die Antragsgegnerin ihrerseits legte ein niedrigeres Anbot als „***“ und „***“, wodurch sie den Zuschlag bei diesem Projekt erhielt.

Das Amt der NÖ Landesregierung, Abteilung Landesklinikum und Landesbetreuungszentren, Landhausplatz 1, 3109 St. Pölten, schrieb im Jahr 2016 Arbeiten hinsichtlich des Landesklinikums Mauer, Hausmenigerstraße 221, 3362 Mauer, in Bezug auf Bettenzimmer 500.004 aus. Bei diesem Projekt übermittelten Mitarbeiter von „Fürst“ per E-Mail ein fertig ausgefülltes Angebot an die Antragsgegnerin, die dieses ohne eigene Kalkulation und Überprüfung der Richtigkeit unterfertigte und an die ausschreibende Stelle übermittelte. Das von der Antragsgegnerin abgegebene, von „Fürst“ vorkalkulierte Angebot belief sich auf netto EUR 1,444.384,--, während „Fürst“ im eigenen Namen ein Angebot über EUR 905.232,30 abgab. Durch diese Vorgehensweise erhielt „Fürst“ bei jenem Projekt den Zuschlag.

Auch in Bezug auf die weiteren 2016 ausgeschriebenen Projekte betreffend das Landesklinikum Mauer, nämlich betreffend Einbaumöbel 500.001 und Wand- und Deckenverkleidung 500.003 kam es zu solchen Absprachen zwischen der Antragsgegnerin und „Fürst“. Die Antragsgegnerin gab auch hier von „Fürst“ kalkulierte (höhere) Deckanbote gegenüber der ausschreibenden Stelle ab, wodurch „Fürst“ zum Zuschlag verholfen wurde. Darüber hinaus kam es im Rahmen der Ausschreibung des Landes NÖ im Jahr 2019 betreffend der Wandverkleidung von Haus 46 und 48 sowie der Generalsanierung von Haus 19 zu Absprachen zwischen der Antragsgegnerin und „Fürst“. „Fürst“ kontaktierte die Antragsgegnerin im Februar 2019 und forderte sie auf, „Fürst“ durch die Legung eines höherpreisigen Angebots zu decken. Die Antragsgegnerin legte sohin wiederholt Deckanbote zu Gunsten von „Fürst“, wodurch dieser jeweils zur Zuschlagserteilung verholfen wurde.

Im Jahr 2017 schrieb der private Auftraggeber Unibail-Rodamco Invest GmbH, Dr.-Adolf-Schärf-Platz 4/4/3, 1220 Wien, Tischlereiarbeiten für die Donauzentrum Betriebs- und Vermietungs-GmbH aus. Auch hier legte die Antragsgegnerin, nach Aufforderung durch „Fürst“, ein Angebot mit dem von „Fürst“ vorkalkulierten Angebotspreis iHv EUR 71.924,68. „Fürst“ gab ein günstigeres Angebot iHv EUR 62,201,70 ab. Sohin hat die Antragsgegnerin ihrem Mitbewerber „Fürst“ durch die Abgabe des abgestimmten Deckangebots erneut zur Zuschlagserteilung verholfen.

Zu einer großteils gleichartig gelagerten Abstimmungspraxis wie bei den vorgenannten Projekten kam es, in den Jahren 2011 bis 2019, unter unmittelbarer Beteiligung der Antragsgegnerin, weiters bei folgenden Projekten: „KH Hietzing Pav 2a 1 OG Möbel“ (Februar 2011); „Bundesimmobilien, BVH Daniel Gran Str“ (November 2011); „Krankenanstalt Rudolfstiftung, RST, Di-Zi. Pathologie, Türen, Heizkörperverkleidung“ (Juli 2012); „Krankenanstalt Rudolfstiftung, RST, Di-Zi. Pathologie, Türen, Stationstüren“ (Juli 2012); „KH-Hietzing, 3.Med., Station B - Männer Sozialraum, II (November 2012); „KH-Rudolfstiftung, Pathologie Mat. Übernahme, Mat. Übernahme“ (Februar 2013); „KH-Rudolfstiftung, Pathologie Mat. Übernahme, Brandschutztüren Ei230 C, Station 14 B“ (Februar 2013); „KH-Rudolfstiftung, Wandschutz, Verkleidungen, Stat. 05A, Compact 4mm, 4A, Chir.Ambulanz“ (Februar 2013); „KH-Hietzing, Pav. XVI, Lichtstation, Holz-Fenster mit Beschattung, strassenseitig“ (Juni 2013); „Semelweis Frauenklinik Pav IV San West-Fenster u Buchhaltung“ (März 2013); „KH-Rudolfstiftung, Stat. 7B, Umbau 3-Bettzimmer“ (Juli 2013); „KAV Semelweis Frauenklinik Haus 4 Fenster san.“ (Oktober 2013); „KH-RST, Wandschutzverkleidungen 4mm Max Compactpl. Gyn 1.OG“ (Jänner 2014), „KH-RST, Müllräume, Sanivent, Fensterbretter mit Lüftungsgitter f. Heizkörperverkl., 27.03“ (März 2014), „KH-RST Wandschutzverkleidung Gangbereich EG Zentralröntgen“ (März 2014); „KH-RST Wandschutzverkleidung K1 Bettenaufbereitung“ (März 2014); „KH-RST Wandschutzverkleidung Raucherraum Südzubau“ (März 2014); „KH-RST, Kühlraumtüre Pathologie“ (März 2014); „KH-RST, Kapelle, 2-flg. Türen“ (März 2014); „Musikhaus Phyra - Innentüren,WC-T rennwände, Kunex Variante“ (Mai 2014); „NÖ Hilfswerk“ (Juni 2014); „KH-RST Wandschutzverkleidung ZOP Instrumente unrein“ (Juni 2014); „KH-RST, Kindergarten, Fenster sanieren“ (Juli 2014); „IG-Immobilien, Oenb I, Garage, Katzbeck, HolzAlu Fenster“ (August 2014); „Innentüren, K1-Endoskopen Waschzentrum (Februar 2015); „KH-RST, PET Kamera Bleitüren(Februar 2015); „KH-RST, Türen, Station 11B, 25.02.“ (März 2015); „KH-RST, Türen, K1- Endoskopen Waschzentrum, 26.3.“ (April 2015); „KH-RST, Türen, Z-Labor, Baktologie“ (April 2015); „KH-RST, Türen, K1- Garderoben Z-Labor“ (April 2015); „KH-RST Station 12A“ (< /font>April 2015); „KH-RST Wandschutzverkleidungen Haus 22 Neurologische Ambulanz“ (April 2015); „KH-RST, Station 9A Sanivent Verkleidungen 30.04.2015, Wandschutzverkleidungen, Station 1A, Kreissaal – Begleitzimmer“ (Mai 2015); „KH-RST, Station 9A Sanivent Verkleidungen 30.04.2015, Wandschutzverkleidungen, Station 6B, Sozialraum“ (Mai 2015); „KH-RST, Station 9A Sanivent Verkleidungen 30.04.2015, Sanivent Verkleidungen Station 9B“ (Mai 2015); „KH-RST, Station 9A Sanivent Verkleidungen 30.04.2015, Zimmereingangstüren Ei230c-Sm, Station 11“ (Mai 2015); „KH-RST, Türen, EG-Röntgen“ (Juni 2015), „BIG - OM Team W6“ (Juli 2015); „IG-Immobilien, Absenkkette Oenb BGN“ (August 2015); „KH-RST, Türen, Leitstelle Kesselhaus, Innentüren, Leitstelle Kesselhaus“ (September 2015); „KH-RST, Türen, K1- Z-Labor, Garderobe“ (September 2015); „KH-RST Wandschutzverkleidung ZRI Röntgen-Station“ (September 2015); „KH-RST Röntgen ZRI Brandschutztüren“ (September 2015); „KH-RST, Türen, Station 11A 3 Bettzimmer“ (September 2015); „Forstner Frankgasse 10, Mobile Trennwand“ (November 2015);“KH-RST, Sanivent, Stat. 15A Dienstzimmer“ (November 2015); „Donauzentrum – Family Entertainment“ (Jänner 2016); „Immobilien St. Pölten Kulturhaus Wagram“ (April 2016); „KH Hietzing, Pav. B, Stat B2) (Mai 2016); „IG-Immobilien, ETS-Umbau“ (Juni 2016); „KH-Hietzing, ROHÜ ; Pav. B1 u B2, Fensterbretter neu nach Fenstertausch“ (Juli 2016); „IG-Immobilien, Oenb II, ETS Umbau“ (August 2016); „IG-Immobilien, Sozialraum“ (Oktober 2016); „SCS-Mux Platzgestaltung“ (Februar 2017); „Donauzentrum Neugestaltung Büro“ (Mai 2017); „DZ BT6 Umgestaltung Mall, Tischlerarbeiten“ (Mai 2017); „ KH-Hietzing Schiebetürschrank“ (Mai 2018); „SCS Infopult“ (Dezember 2018); „KIGA Pyhra“ (Jänner 2019); „LBS Langenlois“ (Februar 2019); „Ambulanz Grüner Kreis“ (April 2019); „N/A“ (Mai 2019). Auch wenn die Umsetzung der Absprachen nicht in allen Fällen erfolgreich war, kam es bei all diesen Projekten im Vorfeld zu einem Austausch von Angebotskalkulationen (in Form von ausgefüllten Leistungsverzeichnissen, Preispositionen, etc.) oder zumindest zu einer Abstimmung der Angebotskalkulationen, was in weiterer Folge dazu führte, dass die Antragsgegnerin und die jeweils beteiligten Mitbewerber ein der Abstimmung entsprechendes Marktverhalten setzen (wie etwa Übernahme der von Mitbewerbern erhaltenen Kalkulation oder bewusstes Überbieten eines Mitbewerbers mit einem Deckangebot).

Beweiswürdigung:

Zu diesen Tatsachenfeststellungen gelangte das Kartellgericht aufgrund des Akteninhalts, insbesondere der Urkunden in Verbindung mit der Außerstreitstellung des Antragsvorbringens durch die Antragsgegnerin. Aufgrund dieser Außerstreitstellung konnte von weiteren Erhebungen Abstand genommen werden (§ 33 Abs 1 AußStrG iVm § 38 KartG).

In rechtlicher Hinsicht folgt daraus:

Nach § 1 Abs 1 KartG sind Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmervereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen verboten, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken (Kartellverbot).

Der Begriff „Vereinbarung“ ist weit auszulegen: Eine Vereinbarung liegt bereits vor, wenn die Parteien ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck gebracht haben, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten, mag die Willensübereinstimmung ausdrücklich oder konkludent, schriftlich oder formlos zustande gekommen sein (RS0124670). Voraussetzung und Kernelement für das Vorliegen einer Vereinbarung ist daher die Willensübereinstimmung der beteiligten Unternehmen über die Regelung ihres Marktverhaltens (6 Ob 105/19p).

Eine derartige Willensübereinstimmung der Antragsgegnerin mit ihren Mitbewerbern über die Regelung des Marktverhaltens im Zusammenhang mit Ausschreibungen ist dem festgestellten Sachverhalt eindeutig zu entnehmen. Sie beruhte auf einem Gesamtsystem mit dem Grundverständnis, sich bei Vergabeverfahren unterschiedlicher Art gegenseitig zu unterstützen, indem Deckangebote gelegt wurden, um den beteiligten Unternehmen zur Zuschlagserteilung zu verhelfen. Die festgestellten Verhaltensweisen sind daher als eine einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung zu qualifizieren (16 Ok 5/08; RS0130390).

Als Kernbeschränkungen handelt es sich bei den gegenständlichen Preis- und Marktaufteilungsabsprachen um bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen (RS0120917), deren tatsächliche Auswirkungen auf den Markt nicht zu prüfen sind (16 Ok 51/05).

Eine Ausnahme nach § 2 KartG wurde nicht behauptet und ist auch nicht ersichtlich. Aus der festgestellten Absicht, den Wettbewerb bei den Ausschreibungen zu beschränken, folgt auch das Verschulden der für die Antragsgegnerin handelnden Entscheidungsträger.

Die Antragsgegnerin hat sohin durch die festgestellten Preis- und Marktaufteilungsabsprachen gegen § 1 Abs 1 KartG verstoßen.

Da eine fortgesetzte Zuwiderhandlung vorliegt und der Beginn der Verjährungsfrist nach § 33 KartG mit dem Zeitpunkt anzunehmen ist, an dem die Rechtsverletzung beendet wurde, ist eine Verjährung der bis Mai 2019 stattgefundenen Kartellrechtsverstöße nicht eingetreten.

Bei der Bemessung der Höhe der Geldbuße iSd § 30 KartG wurden insbesondere der von der Antragsgegnerin erzielte Gesamtumsatz in dem der Zuwiderhandlung vorausgegangenen Geschäftsjahr (im Jahr 2018 EUR 1.984.499,66), die regionale und zeitliche Ausprägung sowie persönliche Involvierung auf Unternehmensebene an der Gesamtzuwiderhandlung, die Schwere der Zuwiderhandlung (Kernbeschränkung), das Verschulden der Antragsgegnerin, die Dauer des Verstoßes von acht Jahren sowie die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Antragsgegnerin berücksichtigt.

Zu beachten war ebenfalls die umfangreiche Kooperation der Antragsgegnerin mit der Antragstellerin außerhalb des Kronzeugenprogramms. Angesichts der einvernehmlichen Verfahrensbeendigung (samt Anerkenntnis, Außerstreitstellung des Sachverhalts und dadurch deutlich reduziertem Verfahrensaufwand) gewährte die Antragstellerin einen Abschlag von 20 %.

Unter Berücksichtigung der genannten Faktoren ist die beantragte und von der Antragsgegnerin akzeptierte Geldbuße iHv EUR 100.000,- angemessen und aus general- und spezialpräventiven Erwägungen nicht überhöht.

Die Geldbußenobergrenze des § 29 KartG ist nicht überschritten. Ob eine höhere als die beantragte Geldbuße in Frage käme, ist im Hinblick darauf, dass das Kartellgericht nach § 36 Abs 2 letzter Satz KartG keine höhere Geldbuße verhängen darf als beantragt, nicht zu prüfen.“


Ausdruck vom: 28.04.2024 19:43:14 MESZ