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Kategorie:

Kartell

Dienststelle:

OLG Wien (009)

Aktenzeichen:

128 Kt 2/19t


Bekannt gemacht am:

16.06.2020

Entscheidungsdatum:

08.04.2020


"Über die Antragsgegnerin wird gemäß § 29 Z 1 lit a und lit d KartG 2005 wegen Zuwiderhandlung gegen Art 101 AEUV und § 1 Abs 1 KartG in Form der Preisbindung der zweiten Hand sowie Beschränkung des Verkaufs und Vertriebs von Produkten über das Internet (Beschränkung des passiven Verkaufs) in Bezug auf den Geschäftsbereich „Bikes“ im Zeitraum von Jänner 2011 bis November 2016 eine Geldbuße von EUR 378.000,-- verhängt.

Begründung:

Die Bundeswettbewerbsbehörde stellte den Antrag auf Verhängung einer Geldbuße von EUR 378.000,-- über die Antragsgegnerin wegen Verstoßes gegen des Kartellverbot des Art 101 AEUV bzw § 1 KartG.

Die Antragsgegnerin sei die europäische Niederlassung der Specialized Bicycle Compononts Inc., eines US-amerikanischen Herstellers von Fahrrädern und Fahrradzubehör.

Gegenstand des vorliegenden Verfahrens seien kartellrechtswidrige Preisbindungen der zweiten Hand sowie Beschränkungen des passiven Verkaufs von Produkten der Antragsgegnerin über das Internet zwischen der Antragsgegnerin und Wiederverkäufern im Zeitraum von Jänner 2011 bis November 2016. Diese Wettbewerberbsbeschränkungen stünden im Zusammenhang mit der damaligen „Internet- und Versandphilosophie“ (sogenannte PIP-Strategie) der Antragsgegnerin, die ua vorgesehen habe, dass Warenpräsentation über externe Internetseiten nicht gestattet sei. Auf der händlereigenen Website dürften Räder nur zum offiziellen VK präsentiert werden, Versand sei nicht erlaubt. Zubehör dürfe auf der händlereigenen Website zum offiziellen VK präsentiert und innerhalb des jeweiligen Landes versendet werden. Bei Verstößen werde jeder Händler vom Außendienstmitarbeiter angesprochen sowie gesperrt, nach dem dritten Verstoß werde die Geschäftsbeziehung beendet. Mitteilungen an den Händler dürften nicht schriftlich kommuniziert werden. Auch in mehreren internen E-Mails sei darauf hingewiesen worden, nie über die PIP-Strategie nach außen zu schreiben, mit Händlern über dieses Thema mündlich und ohne Zeugen zu kommunizieren und alle Verstöße innerhalb von fünf Tagen zu bereinigen.

Zwischen den Preisbindungen und den Beschränkungen des Internetvertriebs bestehe ein enger Zusammenhang. So werde im E-Mail-Verkehr das langfristige Bestehen mit Online-Discountern wie Amazon im Preiswettbewerb bezweifelt, auf den Preiswettbewerb über Online-Kanäle bei anderen Fahrradmarken hingewiesen und geäußert, dass die „Online- und die Nicht-Versenden-Politik“ ein klares Plus und die Preisstabilität ein großer Faktor sei, warum Händler in Specialized investierten.

In einer E-Mail vom 2.2.2011 habe die Antragsgegnerin gegenüber einem Händler von Unterstützungen ihrer Seite wie recht gute Preisstabilität, kein Internet Bike Verkauf und Unterbindung von preisaggressiven Angeboten übers Internet geschrieben. Am 16.3.2011 sei in einer internen E-Mail zwischen Mitarbeitern der Antragsgegnerin festgehalten worden, dass ein bestimmter Händler auf seiner Website Räder mit Rabatt anbiete, was nicht mit den PIP-Regeln vereinbar sei. Am nächsten Tag habe der angesprochene Mitarbeiter mitgeteilt, dass die Preise entfernt seien. Am 29.3.2011 habe ein Mitarbeiter der Antragsgegnerin seinen Kollegen geschrieben, dass Internet-Angebote in UK für die Modelle aus 2010 schmerzten und hier mit Nachdruck etwas unternommen werden müsse. Derselbe Mitarbeiter habe am 15.7.2011 auf Preisangebote in Italien für Modelle aus 2011 mit -30 % hingewiesen und ersucht, der Sache nachzugehen. Am 21.7.2011 habe ein Mitarbeiter der Antragsgegnerin wegen eines Händlers, der versende und bessere Preise mache, um Rückmeldung ersucht, wann die Internetseite sauber sei. Darauf hab er die Antwort erhalten, dass der Händler behaupte, nicht zu verschicken und den Preisen hinterhergegangen werde. In einer internen E-Mail vom 26.7.2011 sei zwischen Mitarbeitern der Antragsgegnerin festgehalten worden, dass Rabatte unverzüglich gestoppt werden müssten. In der „Agenda MM Meeting 2014“ vom September 2013 sei festgehalten, dass der Vertrieb sauber gehalten werden solle, kein Online-Versand möglich sei, Modelljahr 2014 nur zum UVP Preis verkauft werden dürfe und online keine reduzierten Preise dargestellt werden sollten. Am 3.8.2014 habe ein Händler bei der Antragsgegnerin reklamiert, dass ein anderer Händler schon zu Saisonbeginn die Räder verschleudere. Der Mitarbeiter der Antragsgegnerin habe mit der Antwort reagiert, dass es immer irgendwo wen geben werde, der Betreffende aber hunderte Kilometer entfernt sei und nicht versende. Auf eine ähnliche Beschwerde eines Händlers reagierte der Mitarbeiter der Antragsgegnerin mit dem Hinweis, dass das günstige Angebot aus Magdeburg stamme und nur im Shop erhältlich sei.

Am 1.12.2011 habe ein Mitarbeiter der Antragstellerin seinen Kollegen darüber informiert, dass ein Händler über Ebay verkaufe, und um Information über die Vorgehensweise ersucht. Dem habe sich ein weiterer Mitarbeiter mit dem Ersuchen angeschlossen, „B2B“ und den Account zu blockieren. Am 15.12.2011 habe eine Händlerin auf Anfrage eines Kunden mitgeteilt, dass ein bestimmtes Rahmenset nur zum offiziellen Verkaufspreis erhältlich sei und nicht versendet werden dürfe. Auf Anfrage der Händlerin bei der Antragsgegnerin, wonach der Versand wohl gar nicht möglich sei, sei ihr mitgeteilt worden, dass es keinen Versand von Fahrrädern der Antragsgegnerin gebe, egal ob‘s die Post, eine Spedition, ein Paketdienst, der Weihnachtsmann, das Christkind, der Osterhase oder alle sieben Zwerge auf einmal abholen/bringen würden. Am 4.5.2012 habe ein Händler der Antragsgegnerin seine Antwort auf eine Kundenanfrage weitergeleitet, wonach die Fahrräder der Antragsgegnerin nicht online verkauft werden dürften. Preisauskünfte über den Listenpreis hinaus würden weder telefonisch noch per E-Mail, sondern nur im persönlichen Gespräch im Geschäft gegeben. Am 21.3.2013 habe ein Mitarbeiter der Antragsgegnerin einen Händler ersucht, keine Bikes der Antragsgegnerin auf Internet-Drittplattformen anzubieten, und darauf hingewiesen, dass nach wie vor kein Internet-Verkauf und schon gar kein Versand unterstützt werde. Am 13.12.2013 habe ein Mitarbeiter der Antragsgegnerin einen Kollegen auf einen Händler hingewiesen, der eine Jacke über Ebay anbiete und gemeint, dieser solle das Angebot von Ebay nehmen. Im Verkaufsprogramm der Antragsgegnerin 2014 sei klargestellt, dass die Produkte der Antragsgegnerin nicht über Webseiten oder Plattformen Dritter verkauft werden dürften. Dem Kunden werde empfohlen, das Fahrrad im Geschäft abzuholen. Am 24.9.2014 habe ein Mitarbeiter eine Anfrage über Abverkauf und Drittplattformen dahin beantwortet, dass Bikes, die älter als ein Jahr seien und gebrauchte Bikes angeboten werden könnten. Die Antragsgegnerin versuche aber, Drittplattformen einzudämmen. Auf der eigenen Homepage sei das aber machbar. Klar sei, dass der Begriff „gebraucht“ etwas schwammig sei, vor allem wenn „Privatpersonen“ etwas schalteten, könne man nichts machen. Die Antragsgegnerin versuche, die Dinge unter Kontrolle zu halten, aber es werde ihr auch gesetzlich nicht gerade leicht gemacht. Am 14.8.2015 habe eine Händlerin einem Kunden zu einer Bestellung mitgeteilt, dass sie aufgrund der Herstelleranforderungen keine Produkte der Antragsgegnerin im Ausland verkaufe. Auf die Weiterleitung dieser Korrespondenz habe die Antragsgegnerin mit dem Hinweis reagiert, dass die Respektierung der Regionen der Händler und der Endverkaufspreise eine europa- und weltweite Politik sei; wozu sollte man Produkte verschicken, wenn die empfohlenen Endverkaufspreise eingehalten würden. Die Antragsgegnerin habe in den letzten 11 Jahren viel getan, damit die Marke nicht durch ein unkontrollierbares Online-Chaos den Bauch runtergehe.

In Notizen zu einem Konferenz-Anruf vom 5.12.2011 sei vermerkt, dass Kunden, die gegen PIP verstoßen würden, ein bestimmtes Rad nicht so gerne angeboten werde. Weiters sei zur PIP-Politik besprochen worden, dass es zwei gelbe Karten gebe, danach werde die Geschäftsbeziehung beendet. Ebay, Amazon etc seien nicht gestattet; keine Streichpreise; nur mit einem vom Händler gemachten Foto eingestellt; Räder des aktuellen Modelljahrs dürften nicht eingestellt werden. Am 13.12.2011 habe ein Mitarbeiter der Antragstellerin einem Kollegen mitgeteilt, es sei gut, dass Händler bereit seien, der Antragsgegnerin zu helfen, weil es eine Höllenaufgabe sei, die vielen Verkaufsseiten zu checken. Er solle die Händler ermutigen, nicht damit aufzuhören, der Antragsgegnerin zu melden, was sie entdeckten. Am 24.1.2013 habe sich ein Mitarbeiter der Antragsgegnerin bei einem Kollegen erkundigt, welchen Händlern die folgende Rad Seriennummer verkauft worden sei. Die Räder seien in Slowenien aufgetaucht. Am 20.2.2013 erhielt er die Mitteilung, dass alle Bikes aus dem Shop in Slowenien retourgeholt worden seien.

In rechtlicher Hinsicht ging die Bundeswettbewerbsbehörde von der Anwendbarkeit des Art 101 AEUV aus, weil sich die wettbewerbsbeschränkenden Verhaltensweisen auch auf österreichweit tätige und teilweise auch auf in andere Mitgliedstaaten exportierende Wiederverkäufer bezogen hätten. Der Tatbestand des Art 101 Abs 1 AEUV sei erfüllt, ein Rechtfertigungsgrund sei nicht ersichtlich. Die vorliegenden Preisabstimmungsmaßnahmen seien als Vereinbarungen, zumindest aber als abgestimmte Verhaltensweisen zur Abstimmung von Verkaufspreisen zu beurteilen. Auch die Beschränkungen des passiven Verkaufs von Produkten über das Internet erfüllten den Tatbestand des Art 101 Abs 1 AEUV, überdies hätten sie dazu gedient, die Effektivität der Preisbindungen abzusichern und zu verstärken.

Solche Preisbindungen der zweiten Hand, die Festsetzung von Mindestpreisen und Beschränkungen beim passiven Verkauf seien als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen zu qualifizieren. Wegen des direkten Einflusses auf den Preiswettbewerb handle es sich um Kernbeschränkungen und somit um schwere Verstöße gegen das Kartellrecht.

Zwar sei vom EuGH ein Verbot des Vertriebs von Luxusprodukten über nach außen erkennbare Drittplattformen in einem selektiven Vertriebssystem zuletzt nicht als Beschränkung passiver Verkäufe qualifiziert worden. Abgesehen davon, dass es sich bei Fahrrädern nicht pauschal um Luxusprodukte handle, seien die Beschränkungen im vorliegenden Fall weit über das Verbot von Drittplattformen hinausgegangen, weil „Warenkorb für und Versand von“ Rädern nicht erlaubt gewesen seien.

Die Ausnahmekriterien des Art 101 Abs 3 AEUV seien schon deshalb nicht erfüllt, weil die Verbraucher an etwaigen Gewinnen aus den Preisbindungen und den Beschränkungen passiver Verkäufe nicht beteiligt würden.

Zur Höhe der Geldbuße führte die Bundeswettbewerbehörde aus, dabei sei der weltweite Konzernumsatz der Antragsgegnerin von *** [ca EUR 1 Mrd] (2016) und der von der Antragsgegnerin erzielte österreichweite Umsatz in von *** [ca EUR 10 Mio] im Geschäftsbereich Bikes berücksichtigt worden, außerdem die Schwere der Rechtsverletzung als Kernverstoß und die Dauer des Verstoßes. Weiters sei die Kooperation bei der Aufklärung des Sachverhalts durch Vornahme umfangreicher Auswertungen und Vorlage der aufgefundenen Urkunden an die Behörde sowie die Außerstreitstellung der wesentlichen Sachverhaltselemente zur einvernehmlichen Verfahrensbeendigung berücksichtigt worden.

Der Bundeskartellanwalt schloss sich dem Antrag der Bundeswettbewerbsbehörde an.

Die Antragsgegnerin stellte den von der Bundeswettbewerbsbehörde behaupteten Sachverhalt außer Streit und verwies auf ihr gegenüber der Bundeswettbewerbsbehörde abgegebenes Anerkenntnis.

Rechtliche Beurteilung:

Zunächst ist festzuhalten, dass aufgrund des außer Streit stehenden Sachverhalts, gegen dessen Richtigkeit schon deshalb keine Bedenken bestehen, weil er durch die von der Bundeswettbewerbsbehörde vorgelegten Urkunden untermauert ist, von weiteren Beweisaufnahmen abgesehen werden konnte (§ 33 Abs 1 AußStrG iVm § 38 KartG).

Sowohl zur Anwendbarkeit des Art 101 AEUV als auch zur Qualifikation der außer Streit stehenden Verhaltensweisen als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen bzw als sogenannte „Kernverstöße“ gegen das Kartellverbot des Art 101 AEUV bzw § 1 KartG kann auf die zutreffenden Ausführungen der Bundeswettbewerbsbehörde verwiesen werden. Die Auswirkungen der beanstandeten Verhaltensweisen sind daher nicht zu prüfen, die Spürbarkeit ist zu unterstellen. Preisbindungen der zweiten Hand sind von der Freistellung vertikaler Vereinbarungen nach der vGVO ebenso generell ausgenommen wie das Verbot passiver Verkäufe in einem selektiven Vertriebssystem.

Ein Rechtfertigungsgrund oder Ausnahmetatbestand nach Art 101 Abs 3 AEUV bzw § 2 KartG wurde nicht behauptet und ist nicht erkennbar. Der Bundeswettbewerbsbehörde ist zuzustimmen, dass Wettbewerbsbeschränkungen, die explizit auf die Hochhaltung des Preisniveaus abzielen, nicht geeignet sein können, die Verbraucher an etwaigen Effizienzgewinnen zu beteiligen.

Ob allenfalls eine höhere als die von der Bundeswettbewerbsbehörde beantragte Geldbuße in Frage käme, ist im Hinblick darauf, dass das Kartellgericht nach § 36 Abs 2 letzter Satz KartG keine höhere Geldbuße verhängen darf als beantragt, nicht zu prüfen.

Eine niedrigere Geldbuße als die von der Bundeswettbewerbsbehörde beantragte Summe kommt im Hinblick auf die Höhe des Jahresumsatzes des Konzerns der Antragsgegnerin sowie angesichts der Schwere und Dauer der Verstöße aus spezial- und generalpräventiven Erwägungen nicht in Betracht. Die Kooperation der Antragsgegnerin bei der Aufklärung der Verstöße und die Reduktion des Aufwandes der Wettbewerbsbehörden durch die Außerstreitstellung des Sachverhalts ist in der beantragten Summe bereits angemessen berücksichtigt.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden."


Ausdruck vom: 28.04.2024 07:02:00 MESZ