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Kategorie:

Zusammenschluss

Dienststelle:

OLG Wien (009)

Aktenzeichen:

28 Kt 6/21y


Bekannt gemacht am:

10.11.2021

Entscheidungsdatum:

22.07.2021


Über die Antragsgegnerin wird wegen der verbotenen Durchführung eines Zusammenschlusses durch den am 15.5.2020 vollzogenen unmittelbaren Erwerb der alleinigen Kontrolle (§ 7 Abs 1 Z 3 KartG) an GIPHY Inc., 416 West 13th Street, Suite 207, New York, NY 10014, Vereinigte Staaten von Amerika, ohne Anmeldung im Zeitraum 15.5.2020 bis 19.7.2021 und darüber hinaus vom Zeitpunkt der Anmeldung am 20.7.2021 (BWB/Z-5549) bis zum Tag der Entscheidung (22.7.2021) gemäß § 29 Z 1 lit a iVm § 17 Abs 1 KartG eine Geldbuße von EUR 9.600.000,-- verhängt.

Begründung:

Die Bundeswettbewerbsbehörde stellte den Antrag, über die Antragsgegnerin wegen Verstoßes gegen das Durchführungsverbot nach § 17 Abs 1 KartG eine Geldbuße von EUR 9.600.000,-- zu verhängen, und begründete den Antrag damit, dass die Antragsgegnerin im Wege eines unmittelbaren Anteilskaufs die alleinige Kontrolle an GIPHY Inc., 416 West 13th Street, Suite 207, New York, NY 10014, Vereinigte Staaten von Amerika (idF „Giphy“), erwarb und diesen Zusammenschluss trotz Anmeldebedürftigkeit nach der Transaktionswertschwelle des § 9 Abs 4 KartG ohne vorherige Anmeldung und Freigabe am 15.5.2020 vollzog.

Die beteiligten Unternehmen hätten im Geschäftsjahr 2019 weltweit gemeinsam mehr als EUR 63 Mrd Umsatzerlöse erzielt, wovon rund *** [Anm: mehr als EUR 15 Mio] auf Österreich entfallen seien. Der Wert der Gegenleistung habe USD 315 Mio (etwa EUR 285 Mio) betragen, sodass die Schwellen gemäß § 9 Abs 4 Z 1-3 KartG überschritten seien. Darüber hinaus sei das Zielunternehmen (Giphy) im erheblichen Umfang im Inland tätig, weil bereits die mittelbare Nutzung durch die österreichischen konsumierenden Nutzerinnen und Nutzer von zumindest *** [Anm: 0,5-1 Mio], die im Mai 2020 zumindest ein Giphy-GIF versendet hätten, die Schwelle marginaler Aktivitäten deutlich überschreite. Da die Antragsgegnerin und Giphy den Zusammenschluss am 15.5.2020 durch Übertragung der Geschäftsanteile einschließlich der damit verbundenen Rechte vollzogen hätten und bislang (mangels Anmeldung) keine Freigabe des Zusammenschluss vorgelegen habe, liege ein Verstoß gegen das Durchführungsverbot des § 17 Abs 1 KartG vor, der noch nicht beendet sei.

Bei der Höhe der beantragten Geldbuße sei berücksichtigt worden, dass keine Selbstanzeige erfolgt sei, der Zusammenschluss ein Erwerb der alleinigen Kontrolle sei (den das absolute Durchführungsverbot vor einer abschließenden wettbewerblichen Prüfung gerade verhindern wolle), der Verstoß noch andauere, eine Bereicherung nicht ersichtlich sei, es sich um ein großes, grenzüberschreitend tätiges Unternehmen handle, wobei es sich bei der Bestimmung des § 9 Abs 4 KartG um eine (noch relativ) neue Regelung in der österreichischen Zusammenschlusskontrolle handle und es sich prima facie um einen nicht untersagungsfernen Zusammenschluss handle. Ein Erschwerungsgrund iSd § 30 Abs 2 KartG sei nicht festzustellen, als Milderungsgrund sei hingegen anzuführen, dass die Antragsgegnerin durch das Anerkenntnis zur Rationalisierung des Verfahrens beigetragen habe und umfangreiche interne Dokumente zur Verfügung gestellt habe. Mildernd seien zudem die außerordentlichen Umstände des Falles berücksichtigt worden. Der Jahresumsatz der Antragsgegnerin im Geschäftsjahr 2020 habe ca EUR 73 Mrd betragen.

Der Bundeskartellanwalt schloss sich dem Vorbringen der Antragstellerin an und beantragte wie diese.

Die Antragsgegnerin stellte in ihrer Stellungnahme das oben zusammengefasste Vorbringen der Bundeswettbewerbsbehörde außer Streit, trat deren rechtlichen Einschätzungen, dass die Transaktion vor ihrer Durchführung bei den österreichischen Wettbewerbsbehörden hätte angemeldet werden müssen und der Verstoß gegen das österreichische Durchführungsverbot gemäß § 17 Abs 1 KartG seit dem 15.5.2020 bestehe und weiterhin andauere, nicht entgegen.

Da gegen die Richtigkeit der außer Streit gestellten Tatsachen keine Bedenken bestehen, waren gemäß § 33 Abs 1 AußStrG iVm § 38 KartG keine weiteren Erhebungen durchzuführen.

Folgender Sachverhalt steht außer Streit:

Die Antragsgegnerin bietet Nutzerinnen und Nutzern eine Plattform zum Vernetzen, Kommunizieren, Finden und Teilen von Informationen an. Insbesondere bietet sie neben der Facebook-Webseite und der Facebook-App auch die Dienste „Messenger“, „WhatsApp“ sowie „Instagram“ an. Die meisten Dienste von Facebook sind für die Nutzerinnen und Nutzer weltweit (und somit auch in Österreich) kostenlos. Die Antragsgegnerin monetarisiert den Nutzerverkehr, indem das Unternehmen Dritten Werbeflächen anbietet. Im letzten abgeschlossenem Geschäftsjahr vor dem Zusammenschluss erzielte die Antragsgegnerin folgende Umsatzerlöse:


 

Räumlich

Umsatzerlöse*

weltweit

EUR 63,2 Mrd

Österreich

***

* USD umgerechnet in EUR zum EZB-Jahresdurchschnittswechselkurs 2019: USD 1 = EUR 0,893409


 

Giphy betreibt eine Bibliothek und Suchmaschine für GIFs (GIF steht für das Grafikformat „Graphics Interchange Format“, in dem mehrere Einzelbilder abgespeichert werden können, um filmähnliche sich ständig wiederholende Animationen oder als Kachelgrafik nebeneinander aufgebaute Echtfarbenbilder zu ermöglichen) und Sticker (beides zusammen idF „GIFs“). Neben GIFs beinhaltet die Bibliothek von Giphy auch Kurzvideos mit Ton. Giphys Bibliothek und Suchmaschine für GIFs ist als Plattform für mehrere Nutzergruppen organisiert. Über eine eigene Webseite oder die Giphy-App können registrierte Nutzerinnen und Nutzer GIFs erstellen, sie in die Giphy-Datenbank hochladen und als Favoriten markieren. Registrierte und nicht-registrierte Nutzerinnen und Nutzer können zudem auf der Giphy-Webseite Suchanfragen für GIFs stellen, diese konsumieren und herunterladen oder die jeweilige URL kopieren (unmittelbare Nutzung). Alleine über die Giphy-App oder Giphy-Webseite ist der Versand und Empfang von Giphy-GIFs nicht möglich. Beide Funktionen sind ausschließlich unter Verwendung von Diensten Dritter möglich. Durch die Integration von Programmierschnittstellen („API“ für Application Programming Interface) und Software-Bestandteilen („SDK“ für Software Development Kits) können Drittanbieter (zusammen idF „API-Partnerlnnen“) ihren Nutzerinnen und Nutzern einen Zugang zur Giphy-Plattform ermöglichen. Dabei handelt es sich um eine mittelbare Nutzung durch diese Nutzerinnen und Nutzer. API-Partnerlnnen können uneingeschränkt und entgeltfrei über das Giphy-API den Zugang zur Giphy-Plattform in ihren Apps integrieren.

Sowohl die unmittelbare als auch die mittelbare Nutzung sind von Bedeutung für Giphys Geschäftsmodell. Grundlage der Monetarisierungsstrategie von Giphys Geschäftsmodell war der Vertrieb von Werbedienstleistungen, was insbesondere durch die offene API-Politik zu erreichen versucht wurde, wonach Giphy mittelbar über API-PartnerInnen genutzt wird. Zwischen den Plattformseiten von Giphy werden positive indirekte Netwerkeffekte realisiert, wodurch wechselseitige Anreize zur Nutzung von Giphy geschaffen werden. Zusammen mit Giphys offener API-Politik hat die Realisierung von indirekten Netzwerkeffekten ein Wachstum der Anzahl der direkten und indirekten Nutzerinnen und Nutzern ermöglicht, wodurch in Österreich eine signifikante Anzahl von zumindest *** [Anm: 0,5-1 Mio] (mittelbare und unmittelbare) monatliche aktive Nutzerinnen und Nutzer („MAU“ für Monthly Acitve Users) Giphy nutzt.

Im letzten abgeschlossenem Geschäftsjahr vor dem Zusammenschluss erzielte Giphy folgende Umsatzerlöse:


 

Räumlich

Umsatzerlöse

weltweit

***

Österreich

***


 

Die Antragsgegnerin erwarb Giphy am 15.5.2020 durch unmittelbare Übertragung sämtlicher Geschäftsanteile einschließlich der damit verbundenen Rechte. Der Wert der Gegenleistung betrug rund EUR 285 Mio. Dieser Zustand dauert bis heute unverändert an und es erfolgte bis 19.7.2021 keine Anmeldung bzw nach der am 20.7.2021 erfolgten Anmeldung des Zusammenschlusses keine Freigabe (iSd §§ 11 Abs 4, 12 KartG).

In rechtlicher Hinsicht stellt der vorliegende Erwerbsvorgang (sämtlicher Geschäftsanteile an Giphy) einen Zusammenschluss nach § 7 Abs 1 Z 3 KartG dar. Die Umsatzschwellen des § 9 Abs 1 KartG sind zwar erfüllt, jedoch sind solche Zusammenschlüsse nach § 9 Abs 2 KartG ausgenommen, wenn im letzten Geschäftsjahr vor dem Zusammenschluss nur eines der beteiligten Unternehmen im Inland mehr als fünf Millionen Euro und die übrigen beteiligten Unternehmen weltweit insgesamt nicht mehr als 30 Millionen Euro Umsatzerlöse erzielten. Da die Antragsgegnerin in Österreich im Jahr 2019 *** und Giphy im selben Jahr weltweit (nur) *** erwirtschafteten, ist § 9 Abs 1 KartG auf diesen Zusammenschluss daher nicht anwendbar. Da Giphy weltweit nur *** an Umsätzen erzielte, werden auch die Umsatzschwellen des Art 1 Abs 2 lit b und Abs 3 lit d (von gemeinschaftsweit mehr als 250 Millionen Euro bzw 100 Millionen Euro) der EG-Fusionskontrollverordnung nicht erreicht, sodass der Zusammenschluss mangels gemeinschaftsweiter Bedeutung nicht in den Anwendungsbereich der EG-Fusionskontrollverordnung fällt.

Zusammenschlüsse bedürfen jedoch nach § 9 Abs 4 KartG der Anmeldung, wenn

  1. die beteiligten Unternehmen im letzten Geschäftsjahr vor dem Zusammenschluss Umsatzerlöse von weltweit insgesamt mehr als 300 Millionen Euro erzielten,

  2. die beteiligten Unternehmen im letzten Geschäftsjahr vor dem Zusammenschluss im Inland Umsatzerlöse von insgesamt mehr als 15 Millionen Euro erzielten,

  3. der Wert der Gegenleistung für den Zusammenschluss mehr als 200 Millionen Euro beträgt und

  4. das zu erwerbende Unternehmen in erheblichem Umfang im Inland tätig ist.

Aufgrund der Umsatzerlöse im Jahr 2019 von insgesamt mehr als EUR 63,2 Mrd weltweit bzw *** [Anm: mehr als EUR 15 Mio] im Inland und des Transaktionswerts von rund EUR 285 Mio sind die Voraussetzungen des § 9 Abs 4 Z 1 bis 3 KartG erfüllt. Zu prüfen bleibt daher, ob Giphy als zu erwerbendes Unternehmen in erheblichem Umfang im Inland tätig ist (§ 9 Abs 4 Z 4 KartG).

Hintergrund dieser Regelung war, dass der Wert digitaler Unternehmen überwiegend nicht mehr im Umsatz liegt, sondern vielmehr in Daten, an denen vor allem große Unternehmen interessiert sind, und daher Zusammenschlüsse, bei denen Unternehmen zu einem hohen Preis gekauft werden, die nur geringe Umsätze erzielen, von der Zusammenschlusskontrolle erfasst werden sollten (RV 1522 BlgNR 25. GP 3). Das Kriterium der erheblichen Inlandstätigkeit nach § 9 Abs 4 Z 4 KartG kann daher zwar, muss aber nicht durch erzielte Umsätze im Inland nachgewiesen werden. Eine erhebliche Inlandstätigkeit ist etwa bei einem Standort des zu erwerbenden Unternehmens im Inland oder sonst bei Erfüllung anerkannter Maßzahlen der jeweiligen Branche zu bejahen; im digitalen Bereich kann dies beispielsweise in Form von Nutzerzahlen („Monthly Active Users“) oder der Zugriffshäufigkeit einer Website („unique visits“) erfolgen (RV 1522 BlgNR 25. GP 3). Dabei zählt auch im digitalen Bereich der Ort, an dem sich die Kundin oder der Kunde befindet (RV 1522 BlgNR 25. GP 4). Angesichts der (unmittelbaren und mittelbaren) Nutzung durch österreichische Kundinnen und Kunden ist die Inlandstätigkeit von Giphy daher zu bejahen. Das weitere Kriterium der Erheblichkeit soll Unternehmen mit marginalen Aktivitäten in Österreich vom Zusammenschlusstatbestand ausnehmen (RV 1522 BlgNR 25. GP 3); von einer marginalen Aktivität Giphys in Österreich kann bei einer Zahl von *** [Anm: 0,5-1 Mio] österreichischer MAU aber nicht die Rede sein, sodass Giphy als in einem erheblichen Umfang in Österreich tätig anzusehen ist. Dies wird von der Antragsgegnerin im Übrigen auch nicht bestritten.

Daher sind alle Tatbestandsvoraussetzungen für die Verhängung einer Geldbuße erfüllt. Dabei war den Erwägungen der Antragstellerin zur Höhe der Geldbuße zu folgen und iSd § 30 Abs 3 KartG als mildernd zu berücksichtigen, dass die Antragsgegnerin wesentlich zur Aufklärung des Sachverhalts beitrug, indem sie mit den Amtsparteien kooperierte und ein Anerkenntnis abgab. Erschwerungsgründe iSd § 30 Abs 2 KartG sind nicht gegeben.

Ob allenfalls eine höhere als die beantragte Geldbuße in Frage käme, ist im Hinblick darauf, dass das Kartellgericht nach § 36 Abs 2 letzter Satz KartG keine höhere als die beantragte Geldbuße verhängen darf, nicht zu prüfen. Eine niedrigere Geldbuße als die beantragte Summe kommt angesichts der Schwere und Dauer des Verstoßes aus spezial- und generalpräventiven Erwägungen nicht in Betracht.“


Ausdruck vom: 24.04.2024 06:50:24 MESZ