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Berichtigte Fassung
Kategorie:

Kartell

Dienststelle:

OLG Wien (009)

Aktenzeichen:

26 Kt 5/21m


Bekannt gemacht am:

25.07.2022

Entscheidungsdatum:

17.02.2022


 
Über die Antragsgegnerinnen wird wegen Zuwiderhandlung gegen § 1 Abs 1 KartG und Art 101 Abs 1 AEUV, nämlich wegen einheitlicher und fortgesetzter kartellrechtswidriger Preisabsprachen, Marktaufteilungen und Informationsaustausch mit Mitbewerbern in Bezug auf öffentliche und private Ausschreibungen im Bereich Hoch- und Tiefbau in Österreich im Zeitraum von Juli 2002 bis Oktober 2017, gemäß § 29 Z 1 lit a und d KartG eine Geldbuße von EUR 62,35 Mio verhängt.

Begründung:

Vorbringen:

Die Antragstellerin beantragte zuletzt – nachdem im verfahrenseinleitenden Antrag eine Geldbuße in angemessener Höhe begehrt worden war - die Verhängung einer Geldbuße gemäß § 29 Z 1 lit a und d KartG in Höhe von EUR 62,35 Mio über die Antragsgegnerinnen.

Zusammengefasst wurde vorgebracht, die Antragsgegnerinnen hätten sich jahrzehntelang nahezu im gesamten österreichischen Bundesgebiet an einheitlichen und fortgesetzten kartellrechtswidrigen Vereinbarungen sowie aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Zusammenhang mit Bauvorhaben im Hoch- und Tiefbau beteiligt, wobei beinahe sämtliche Sparten der Bauwirtschaft im Bereich Hoch- und Tiefbau betroffen seien. Die an dieser Gesamtzuwiderhandlung beteiligten Unternehmen hätten jahrelang und systematisch den Wettbewerb in der Bauwirtschaft ausgeschaltet und sich gegenseitig in einem kontinuierlichen System kartellrechtswidriger bi- und multilateraler Kontakte zu Aufträgen verholfen, ohne befürchten zu müssen, von einem günstigeren Angebot unterboten zu werden. Dabei hätten sie das gemeinsame Ziel verfolgt, den Wettbewerb bei Ausschreibungen zu minimieren oder auszuschließen, um sich unter anderem Marktanteile zu sichern. Das etablierte System und die Selbstverständlichkeit, mit der es zu den wettbewerbsbeschränkenden Handlungen gekommen sei, weise einen hohen Unrechtsgehalt auf, zumal Ausschreibungen gerade dem Zweck dienten, faire und transparente Wettbewerbsbedingungen zu schaffen. Die zahlreichen Preisabsprachen und Aufteilungen von Bauvorhaben hätten den Wettbewerb in der Bauwirtschaft – zum Schaden der öffentlichen und privaten Hand - grundlegend verfälscht und das zentrale Ziel, Auftraggebern eine unabhängige und unbeeinflusste Wahl zu ermöglichen, vereitelt.

Die Zuwiderhandlung habe Preisabsprachen, Marktaufteilungen oder den Austausch wettbewerbssensibler Informationen, wie etwa Abstimmungen über zukünftiges Verhalten bei Angebotsabgaben, und teilweise die Bildung kartellrechtswidriger ARGE und BIEGE umfasst. Die Umsetzungshandlungen seien an die regionalen Gegebenheiten und die betroffene Bausparte angepasst worden, hätten aber alle das oa gemeinsame Ziel gehabt. Es sei zu regelmäßigen oder anlassbezogenen Gesprächsrunden, zu bilateralen Kontaktaufnahmen per Telefon, E-Mail oder Fax und dem Versenden von Deckangeboten gekommen. Dabei seien die beteiligten Unternehmen etwa überein gekommen, welche Angebotssumme der designierte Auftragsempfänger anbiete; die restlichen Kartellmitglieder hätten bewusst auf die Abgabe wettbewerbsfähiger Angebote verzichtet, indem sie entweder kein Angebot oder ein bewusst überhöhtes Angebot („Deckangebot“) abgegeben hätten (sog. „Zurückstehen“). Oftmals habe der Initiator der Preisabsprache den zurückstehenden Wettbewerbern eine Angebotssumme – regelmäßig auch in Form der Übermittlung eines fertigen Deckangebotes oder eines vorgefertigten Leistungsverzeichnisses („Fahne“) - vorgegeben. Dieses Verhalten habe auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit beruht, in der Erwartung, dass der Zurückstehende bei späteren Aufträgen selbst durch entsprechendes Verhalten der anderen Bauunternehmen zum Auftrag gelange und so im Ergebnis alle beteiligten Unternehmen davon profitierten. Das Prinzip sei zum Teil durch Vereinbarung von Ausgleichszahlungen oder andere Ausgleichsleistungen verstärkt worden. Es seien sensible Information, etwa über das zukünftige Verhalten bei Angebotsabgaben, ausgetauscht worden. Dieses im Zeitraum von zumindest Juli 2002 bis Oktober 2017 gewachsene, allgemein etablierte Kollusionssystem, wonach man sich über das jeweilige Angebots- und Marktverhalten abstimmen und informieren habe können, um in weiterer Folge das eigene Marktverhalten anzupassen, sei durch die Mitarbeiter der beteiligten Unternehmen von ihren jeweiligen Vorgängern übernommen worden. Neu eintretende Mitarbeiter seien in das bestehende „System“ eingeführt und ihnen seien die Spielregeln erklärt worden.

An der Zuwiderhandlung seien über 40 Bauunternehmen in unterschiedlichem Ausmaß beteiligt gewesen, wobei die Antragsgegnerinnen neben neun weiteren Bauunternehmen als Hauptbeteiligte zu qualifizieren seien. Die Antragsgegnerinnen seien - in ganz erheblichem Ausmaß - österreichweit unmittelbar an kartellrechtswidrigen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen beteiligt gewesen und hätten die Umstände der Gesamtzuwiderhandlung und deren Umsetzung maßgeblich mitgeprägt.

Nachdem 2017 Hausdurchsuchungen auch bei den Antragsgegnerinnen durchgeführt worden seien, hätten diese in der Folge Stellungnahmen abgegeben, es habe zeitweilig Kooperationsbestrebungen gegeben. Am 27.3.2020 sei den Antragsgegnerinnen die Mitteilung der Beschwerdepunkte nach § 13 Abs 1 WettbG einschließlich der Beilagen übermittelt worden. In ihrer Äußerung hätten die Antragsgegnerinnen einzelne Sachverhalte bestritten und viele unkommentiert gelassen, die rechtliche Einordnung als einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung sei abgelehnt worden. Nach Einleitung des Geldbußenverfahrens hätten die Antragsgegnerinnen weitere Stellungnahmen zur Aufklärung des Sachverhalts eingebracht und im Juni 2021 Gespräche mit der Antragstellerin im Sinne einer einvernehmlichen Verfahrensbeendigung initiiert. Es seien insgesamt zwölf eidesstättige Erklärungen von Mitarbeitern der Antragsgegnerinnen, die für weitere Ermittlungen verwendet werden könnten, abgegeben worden. Letztlich hätten die Antragsgegnerinnen am 29.9.2021, korrigiert am 11.10.2021 und ergänzt am 19.11.2021, ein umfassendes Anerkenntnis abgegeben, in dem sie den von der Antrag­stellerin vorgebrachten Sachverhalt außer Streit gestellt und die in Aussicht gestellte Geldbuße akzeptiert hätten. Auch die rechtliche Qualifikation als einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung sei anerkannt worden. Dazu hätten die Antragsgegnerinnen eine Liste mit 1362 Bauvorhaben, die explizit als von kartellrechtswidrigen Absprachen unter Beteiligung der Antragsgegnerinnen betroffen anerkannt und die den gesamten antragsgegenständlichen Zeitraum abdecken würden, vorgelegt. Weiters seien Unterlagen, die die umgesetzten Compliance Maßnahmen der Porr Group belegten, vorgelegt worden. Die eidesstättigen Erklärungen und teilweise die Berichte zu einzelnen Sachverhaltskomplexen hätten – wenn auch außerhalb des Kronzeugenprogrammes – insgesamt zur Aufklärung des Sachverhaltes beigetragen.

In rechtlicher Hinsicht sei davon auszugehen, dass die Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen Einschränkungen des Wettbewerbs iSd § 1 Abs 1 KartG und Art 101 Abs 1 AEUV bezweckt hätten und damit eine Kernbeschränkung darstellten. Der Begriff „Vereinbarung“ laut § 1 KartG und Art 101 AEUV sei weit auszulegen. Die Zwischenstaatlichkeit sei zu bejahen, da sich die Gesamtzuwiderhandlung auf das gesamte österreichische Bundesgebiet erstreckt habe und betroffene Projekte regelmäßig EU-weit bekannt gemacht und ausgeschrieben worden seien. Damit sei neben innerstaatlichem Recht auch Unionsrecht anzuwenden. Die getroffenen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen seien als einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung zu qualifizieren, da im Rahmen eines Gesamtplans eine Vielzahl rechtswidriger aufeinanderfolgender Verhaltensweisen gesetzt worden seien und die beteiligten Unternehmen – in der überwiegenden Mehrzahl seien dieselben Unternehmen involviert gewesen - ein gemeinsames kartellrechtswidriges Ziel – nämlich durch bi- und multilaterale Kontakte das Risiko des Wettbewerbs zu minimieren oder auszuschließen, um sich gegenseitig zu Erteilung von Aufträgen zu verhelfen und sich so Marktanteile zu sichern – hätten erreichen wollen. Die Antragsgegnerinnen seien an weiten Teilen der Gesamtzuwiderhandlung führend beteiligt gewesen und hätten die Umstände wesentlich mitgeprägt. Am Verschulden der beteiligten Unternehmen könne insoweit kein Zweifel bestehen; dies umso mehr, als derartige Verhaltensweisen auch von strafrechtlicher Relevanz sein könnten (§ 168b StGB). Die beteiligten natürlichen Personen seien vertretungsbefugt gewesen. Sämtliche Antragsgegnerinnen würden im Sinne einer wirtschaftlichen Einheit als Hauptbeteiligte an der Gesamtzuwiderhandlung für diese im Gesamten haften.

Für die Bemessung der Geldbuße sei der im Jahr 2016 in Österreich erzielte Umsatz der Antragsgegnerinnen im Geschäftsbereich Straßenbau, welcher eine große Anzahl der Bauvorhaben betreffe, in Höhe von rund EUR 306,1 Mio als Ausgangspunkt geeignet. Ausgehend von einem Grundbetrag, der die konkreten Merkmale der Gesamtzuwiderhandlung widerspiegle, und unter Anwendung eines Multiplikators für die Dauer der Zuwiderhandlung von 2002 bis 2017 ergebe sich ein Betrag von EUR 112,95 Mio. Sodann habe die Antragstellerin Abzüge für die Kooperation der Antragsgegnerinnen außerhalb des Kronzeugenprogrammes (wobei naturgemäß ein geringerer Abschlag zu gewähren sei) sowie für die einvernehmliche Verfahrensbeendigung und das in diesem Zusammenhang abgegebene umfassende Anerkenntnis berücksichtigt. Ebenfalls mildernd hätten sich die Einführung eines umfassenden Compliance-Systems in Kombination mit externem Monitoring, gesellschaftsrechtlichen Entflechtungen im Bereich der Asphaltmischanlagen sowie zusätzlichen internen Prüfungsschritten vor Gründung von ARGEs und der Einrichtung eines Compliance-Lehrgangs ausgewirkt. Unter Berücksichtigung dieser Faktoren werde eine Geldbuße von EUR 62,35 Mio beantragt, die aus general- und spezialpräventiven Erwägungen als ausreichend eingeschätzt werde.

Der Bundeskartellanwalt schloss sich dem Antrag und dem Vorbringen der Antragstellerin an. Verwiesen wurde auf das öffentliche Interesse betreffend das mehr als zehn Jahre dauernde und das gesamte Bundesgebiet erfassende Baukartell und darauf, dass die Antragstellerin ein schlüssiges, von überaus überzeugenden Beweisen unterlegtes Tatsachenvorbringen erstattet habe.

Dazu wurden die rechtlichen Grundlagen dargestellt und insbesondere ausgeführt, dass die Entscheidungspraxis der Organe der Europäischen Union auch zur Auslegung des innerstaatlichen Kartellbegriffs heranzuziehen sei. Bei Anwendung der Maßstäbe der Gerichte der Europäischen Union an das Beweismaß würden die vorgelegten Beweise deutlich höhere als die von der Rechtsprechung geforderte Beweiskraft zeigen. Die vorliegenden langjährigen Verletzungen des Kartellrechts würden als einheitliche, komplexe und fortgesetzte Zuwiderhandlung bezeichnet. Eine solche sei den Antragsgegnerinnen – in Form von Preisabsprachen, Marktaufteilungen und Informationsaustausch mit Wettbewerbern in Bezug auf Ausschreibungen im Bereich Hoch- und Tiefbau und bezogen auf das gesamte Bundesgebiet - zur Last zu legen. Das zentrale Tatbestandsmerkmal des einheitlichen wirtschaftlichen Ziels, den Wettbewerb zu verfälschen, sei erfüllt. Die Verjährung einer einheitlichen, komplexen und fortgesetzten Zuwiderhandlung beginne erst ab der Beendigung der letzten Handlung.

Die Antragsgegnerinnen bestritten das Tatsachenvorbringen der Antragstellerin nicht und stellten es außer Streit. Sie akzeptierten die von der Antragstellerin vorgenommene Geldbußenbemessung als angemessen.

Ein ergänzendes Vorbringen erstatteten sie nur insoweit, als auf die von ihnen vorgenommenen Schritte zur Erreichung einer einvernehmlichen Verfahrensbeendigung, um ua den Verfahrensaufwand zu reduzieren und damit einen raschen und effizienten Abschluss des Verfahrens zu ermöglichen, verwiesen wurde. In diesem Sinne hätten sie insbesondere das Vorliegen eines Kartellrechtsverstoßes außer Streit gestellt und eidesstättige Erklärungen sowie Berichte zu einzelnen Sachverhaltskomplexen nachgereicht. Sie hätten das vorgelegte Anerkenntnis abgegeben.

Das von der Antragstellerin vorgetragene Ziel der in Rede stehenden Absprachen ergänzten sie, indem sie vorbrachten, dass die Absprachen – zumindest teilweise – auch schlicht die bessere Planbarkeit und Verteilung der Kapazitäten zwischen den beteiligten Unternehmen zum Ziel gehabt hätten.

Feststellungen:

Auf Grund der Urkunden Beilagen ./A - ./P12 und der Außerstreitstellungen steht folgender Sachverhalt fest:

1. Antragsgegnerinnen

Die Erstantragsgegnerin ist eine zu FN 34853f im Firmenbuch eingetragene Aktiengesellschaft mit Sitz in 1100 Wien. Ihre Anteile sind im Eigentum eines Syndikats (IGO Ortner/Strauss Gruppe, 53,7%), in Streubesitz (32,13%), der Heitkamp Construction GmbH (5,85%), der Wellington Management Group LLP, USA (4,96%) sowie des PORR-Managements und im firmeneigenen Aktienbesitz (3,36%). Die als internationaler Konzern agierende PORR Group bietet als Full-Service-Provider in der Bauwirtschaft alle Leistungen von Hoch- über Tiefbau bis zu Infrastrukturbau und Umwelttechnik an. Sie ist eines der größten Bauunternehmen in Österreich und zählt auch zu den führenden Anbietern in Europa. In Österreich besteht die PORR Group aus der Erstantragsgegnerin und ihren von ihr kontrollierten Tochterunternehmen. Der Konzern erwirtschaftete im Geschäftsjahr 2020 einen weltweiten Ist-Umsatz von EUR 4,652 Mrd und – laut vorliegender Hochrechnung – im Geschäftsjahr 2021 einen Umsatz von rund xxx.

Die Zweitantragsgegnerin, FN 34160k, steht zu 52,4% im Eigentum der Erstantragsgegnerin und zu 47,5% im Eigentum der PORR Bauindustrie GmbH, die wiederum eine 100%ige Tochtergesellschaft der Erstantragsgegnerin ist. Die Zweitantragsgegnerin ist die operative Einheit der Erstantragsgegnerin und bearbeitet Großprojekte in Österreich und im Ausland. Sie ist im Hoch-, Tief- und im Infrastrukturbau (Straßenbau, Tunnelbau, Leitungsbau, Bahnbau etc) tätig.

Die Drittantragsgegnerin, FN 118596g, wurde mit Hauptversammlungsbeschluss vom 29.6.2018 von einer Aktiengesellschaft in eine GmbH umgewandelt. 52,4% der Anteile sind im Eigentum der Erstantragsgegnerin, 47,5% sind im Eigentum der PORR Bauindustrie GmbH. Die Dritt­antragsgegnerin ist im Baumeister-, Straßenbauer, Asphaltierer- und Pflasterergewerbe tätig.

Die Erstantragsgegnerin ist seit 2012 (direkte und indirekte) Alleineigentümerin der Drittantragsgegnerin und veranlasste 2016 eine Zusammenführung mit der Zweitantragsgegnerin. Seither tritt die Drittantragsgegnerin als PORR Bau GmbH (= Zweitantragsgegnerin) mit dem Spartenzusatz „Tiefbau“ auf. Nach eigenen Angaben ist sie führende Anbieterin im heimischen Straßenbau und bietet ua Erd- und Abbrucharbeiten, Asphaltierungen, Lärmschutzmaßnahmen und Bodenmarkierungen an. Außerdem ist sie im Brücken-, Ingenieur- und Leitungsbau tätig.

Die Viertantragsgegnerin, FN 424061w, mit Sitz in 7551 Stegersbach steht im Alleineigentum der Drittantragsgegnerin. Sie ist im Geschäftszweig des Hochbaus tätig. Laut aktuellen Unternehmensangaben tritt sie unter „Teerag-Asdag powered by Porr“ auf.

Die Fünftantragsgegnerin, FN 439587b, ist eine 100%ige Tochtergesellschaft der Erstantragsgegnerin. Sie ist vor allem im Wohnungs- und Siedlungsbau tätig.

Die Sechstantragsgegnerin, FN 437199s, hat ihren Sitz in 5020 Salzburg. Ihre Anteile stehen zu 99,994% im Eigentum der Hinteregger Holding Gesellschaft m.b.H., welche wiederum im 100%igen Eigentum der Erstantragsgegnerin steht. Die Sechstantragsgegnerin steht seit 2017 im direkten oder indirekten Eigentum der Erstantragsgegnerin. In den Sparten Tunnelbau und Bahnbau bleibt die Sechstantragsgegnerin weiterhin im eigenen Namen aktiv, alle anderen Einheiten wurden in die Zweitantragsgegnerin integriert und treten unter dem Namen „Porr Bau“ auf. Der Stahlschalungsbau wird wie bisher von der Fehberger Stahlbau GmbH angeboten, welche im indirekten Eigentum der Erstantragsgegnerin steht.

Die im verfahrenseinleitenden Antrag als Siebtantragsgegnerin in Anspruch genommene Allgemeine Straßenbau GmbH, pA 1100 Wien, Absberggasse 47, FN 83464t, wurde per 30.9.2021 mit der Zweitantragsgegnerin verschmolzen und aus dem Firmenbuch gelöscht (siehe Beilage ./N12). Ihr kann demnach keine Parteienstellung mehr zukommen.

2. Ermittlungsverfahren

Nach Hausdurchsuchungen der Antragstellerin gemäß § 12 Abs 1 WettbG im Frühjahr 2017 sowie der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft bei den Antragsgegnerinnen kam es zunächst zu Besprechungen und Stellungnahmen der Antragsgegnerinnen, welche auch Kooperationsbestrebungen zeigte. Eine Teilnahme am Kronzeugenprogramm erfolgte aber nicht. Nach Einbringung des vorliegenden Geldbußenantrags fanden weitere Verhandlungen zwischen den Parteien statt.

Am 29.9.2021, korrigiert am 11.20.2021 und ergänzt am 19.11.2021, gaben die Antragsgegnerinnen schließlich ein umfassendes Anerkenntnis ab, in dem sie den von der Antragstellerin vorgebrachten Sachverhalt im Wesentlichen außer Streit stellten und die Rechtsauffassung, wonach die Absprachen als Gesamtzuwiderhandlung zu qualifizieren sei und der Sachverhalt die Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs 1 KartG und Art 101 Abs 1 AEUV erfülle, sowie die in Aussicht gestellte Geldbuße akzeptierten. Dazu legten die Antragsgegnerinnen eine Liste mit 1362 näher definierten Bauvorhaben vor, bei denen sie an kartellrechtswidrigen Absprachen beteiligt waren. Die Liste deckt den gesamten Zeitraum von 2002 bis 2017 ab. Zuvor hatten die Antragsgegnerinnen zwölf eidesstättige Erklärungen von Mitarbeitern abgegeben; dazu gab es weitere Berichte zu einzelnen Sachverhaltskomplexen. Diese Kooperation mit den Wettbewerbsbehörden trug insgesamt zur Aufklärung des Sachverhalts bei.

3. Zuwiderhandlung allgemein

Die Zuwiderhandlung betraf den Wirtschaftszweig der Bauwirtschaft bzw das Baugewerbe, wobei nahezu sämtliche Sparten im Bereich Hoch- und Tiefbau, insbesondere der Bereich Straßenbau, umfasst waren. Es handelt sich um ein das gesamte österreichische Bundesgebiet und eine sehr hohe Anzahl an Bauvorhaben betreffendes Kartell, an dem über 40 Bauunternehmen in unterschiedlichem Ausmaß beteiligt waren. Der Grad der Beteiligung variierte je nach Region und Art des Bauvorhabens, wobei jedes einzelne Unternehmen zur Aufrechterhaltung und Funktionsfähigkeit der Gesamtzuwiderhandlung beitrug. Die Antragsgegnerinnen und neun weitere Bauunternehmen waren Hauptbeteiligte an der Zuwiderhandlung, 44 weitere Bauunternehmen nahmen (aus derzeitiger Sicht) mit geringerer Intensität teil. Die Antragsgegnerinnen waren im Zeitraum von Juli 2002 bis Oktober 2017 in erheblichem Ausmaß beteiligt.

Im Rahmen des Kartells wurde zwischen den beteiligten Unternehmen Absprachen getroffen mit dem Zweck, den Wettbewerb zu minimieren oder auszuschließen, um sich gegenseitig zur Erteilung von Aufträgen zu verhelfen und so Marktanteile zu sichern. Um dieses gemeinsame Ziel zu erreichen, kam es zu Preisabsprachen, Marktaufteilungen, den Austausch wettbewerbssensibler Informationen, wie etwa Abstimmungen über zukünftiges Verhalten bei Angebotsabgaben, sowie teilweise zur Bildung kartellrechtswidriger Arbeitsgemeinschaften und Bietergemeinschaften.

Die Umsetzung wurde an die regionalen Gegebenheiten und die betroffene Bausparte angepasst. Die Umsetzungshandlungen umfassten insbesondere bi- und multilaterale Kontakte in Form von regelmäßigen oder anlassbezogenen Gesprächsrunden, Kontaktaufnahmen per Telefon, E-Mail oder Fax und dem Versenden von Deckangeboten. Hiebei übermittelte jenes Unternehmen, das in Übereinstimmung mit den weiteren beteiligten Unternehmen zum Zug kommen sollte, fertige höhere Leistungsverzeichnisse oder vorausgefüllte Angebotsunterlagen in Form von Deckangeboten an die Mitbewerber. Es wurde vereinbart, dass die zurückstehenden Mitbewerber ein Angebot abgeben, das über dem gemeinsam festgelegten Abgabepreis des designierten Auftragsempfängers liegt. Alternativ gaben zurückstehende Mitbewerber gar kein Angebot ab. Diese Handlungen basierten auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit in der Erwartung, dass das oder die zurückstehenden Unternehmen bei späteren Aufträgen selbst durch entsprechendes Verhalten der anderen an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen zum Auftrag gelangen würden. Im Ergebnis konnten somit alle beteiligten Unternehmen vom mangelnden Wettbewerb profitieren. Dieses Prinzip wurde zum Teil durch die Vereinbarung von Ausgleichszahlungen oder anderen Ausgleichsleistungen verstärkt.

So entstand ein österreichweites gewachsenes, allgemein etabliertes Kollusionssystem, mit dem sich die Unternehmen über das jeweilige Angebots- und Marktverhalten abstimmten und informierten, um in weiterer Folge das eigene Marktverhalten daran anzupassen. Auf diesem Weg verhalfen sich die beteiligten Bauunternehmen gegenseitig zu Aufträgen, ohne befürchten zu müssen oder zumindest nur in geringerem Ausmaß befürchten zu müssen, von einem günstigeren Angebot im Wettbewerb unterboten zu werden.

Mitarbeiter beteiligter Unternehmen übernahmen dieses System von ihren jeweiligen Vorgängern, neu eintretende Mitarbeiter wurden in das bestehende System in Besprechungen eingeführt und ihnen die Spielregeln erklärt (Beilagen xxx).

4. Zuwiderhandlung im Detail

Konkret waren die Antragsgegnerinnen an folgenden Zuwiderhandlungen beteiligt:

a) Preisabsprachen:

Zwischen den beteiligten Unternehmen wurden die in Ausschreibungen abzugebenden Preise vereinbart oder abgestimmt. Es wurde auch besprochen, dass ein Mitbewerber überhaupt kein Angebot legen wird. So kamen die beteiligten Unternehmen überein, zu welcher Angebotssumme der designierte Auftragsempfänger anbietet. Die restlichen beteiligten Unternehmen boten in der Folge entweder zu einem höheren Preis oder gar nicht an. (Beilagen xxx).

b) Deckangebote:

Die Übermittlung von Deckangeboten spielte bei der Umsetzung von Preisabsprachen eine wichtige Rolle. Sie zielte darauf ab, die Auftragserteilung an einen zuvor bestimmten Mitbewerber so weit wie möglich zu gewährleisten und so das Risiko des Wettbewerbs zu minimieren oder auszuschließen. Jenes Bauunternehmen, das in Übereinstimmung mit den weiteren beteiligten Unternehmen zum Zug kommen sollte, übermittelte fertige höhere Leistungsverzeichnisse bzw vorausgefüllte Angebotsunterlagen (als „Deckangebote“, „Fahne“, „Ente“ oder „0-Lauf“ bezeichnet). Dadurch reduzierte sich bei den beteiligten Unternehmen der zeitliche und finanzielle Aufwand für die Angebotserstellung. Der zuvor gemeinsam designierte Auftragsempfänger kalkulierte die Angebotspreise der zurückstehenden Mitbewerber höher und übermittelte diese in Form eines Datenträgers per E-Mail/Fax oder auch persönlich. Die zurückstehenden Mitbewerber gaben sodann diese Deckangebote zum Schein als von ihnen selbst kalkulierte Angebote ab (Beilagen xx, ./J, ./II, ./JJ, ./KK, ./LL, ./MM, ./NN).

In handschriftlichen Aufzeichnungen wurde immer wieder ein Fahnensymbol oder das Wort „Fahne“ als Kennzeichen für die Übermittlung eines Deckangebots verwendet. Dadurch wussten die handelnden Personen unmittelbar, worum es ging (Beilagen ./OO und ./PP). In handschriftlichen Aufzeichnungen ist auch ersichtlich, welche (anderen) Kartellmitglieder Deckangebote erhalten haben (Beilage ./QQ). Bei der Übermittlung von Deckangeboten per E-Mail wurde der Text in aller Regel kurz gehalten, gelegentlich wurde ein unverfänglicher Text verwendet (Beilagen ./RR, ./SS, ./TT, ./UU).

c) Marktaufteilungen:

Zwischen den beteiligten Unternehmen wurde auch die Aufteilung von Märkten besprochen. In zahlreichen Fällen einigten sie sich im Vorhinein, welches Unternehmen den jeweiligen Auftrag erhalten soll. Die übrigen Unternehmen gaben im nachfolgenden Ausschreibungsverfahren der Absprache entsprechende oder keine Angebote ab. Zuweilen erfolgte auch eine Aufteilung der Bauvorhaben auf der Grundlage von Quoten (sog „fixer Schlüssel“), die den (historischen) Marktanteilen der jeweiligen beteiligten Unternehmen entsprachen. Neben solchen Kundenaufteilungen kam es auch zu Aufteilungen von Gebieten. So herrschte in manchen Regionen Einigkeit darüber, welches Bauunternehmen für Ausschreibungen in welchem Gebiet zuständig war. Die anderen beteiligten Unternehmen standen bei diesen Ausschreibungen zurück (Beilagen xxx, ./J, ./K, xxx ./N, ./P).

d) Austausch von wettbewerbssensiblen Informationen:

Begleitend kam es zu einem laufenden Austausch wettbewerbssensibler Informationen, wie etwa über das zukünftige Verhalten bei Angebotsabgaben für Bauvorhaben. So wurde zwischen den Unternehmen das jeweilige Interesse an einzelnen Bauvorhaben „abgeklopft“, also ob jemand überhaupt Interesse an den entsprechenden Vorhaben hat oder plant, ein Angebot abzugeben (Beilagen xxx).

e) Kartellrechtswidrige ARGEs:

Teilweise wurden Arbeitsgemeinschaften als Deckmantel für kartellrechtswidrige Handlungen genutzt. So wurden ARGEs gegründet, die für die Bauunternehmen objektiv nicht notwendig waren, um an der jeweiligen Ausschreibung teilnehmen zu können, sondern nur als Schnittstelle für die Festsetzung eines gemeinsamen Angebotspreises und die Aufteilung des Auftrags dienten (Beilagen xxx, ./V, ./W, ./X). Einzelne Bauunternehmen beteiligten sich an einer derartigen ARGE auch als stille Partner. In diesem Fall traten nicht alle ARGE-Partner als solche nach außen und gegenüber dem Auftraggeber in Erscheinung, waren aber im Innenverhältnis Beteiligte der ARGE. Dies diente insbesondere dazu, die Vorgaben des Auftraggebers in Bezug auf die Höchstzahl der zugelassenen ARGE-Partner zu umgehen (Beilagen xxx, ./Z, ./AA, ./BB).

f) Gesprächsrunden:

Abhängig vom Zeitpunkt der Ausschreibungen wurden je nach Bedarf ein- oder mehrmals im Jahr Gesprächsrunden zwischen den an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen organisiert. Diese fanden zumeist in einer der Niederlassungen der an den Absprachen beteiligten Unternehmen statt. Im Rahmen der Gesprächsrunden wurden das Unternehmen, das den Auftrag für ein bestimmtes Bauvorhaben erhalten sollte, und dessen Abgabepreis festgelegt. Zudem wurde vereinbart, dass die zurückstehenden Mitbewerber ein Angebot abgeben, das über dem gemeinsam festgelegten Abgabepreis des designierten Auftragsempfängers liegt. Zum Teil wurden auch die Abgabepreise der zurückstehenden Mitbewerber vom designierten Auftragsempfänger vorgegeben (sog „Preisvorgabe“) (Beilagen xx, ./N, xxx, ./FF).

g) Bilaterale Kontakte:

Sowohl telefonisch als auch persönlich stattfindende bilaterale Gespräche zu wettbewerbssensiblen Themen wurden ergänzend zu den oben genannten größeren Gesprächsrunden, aber auch unabhängig davon geführt. Bilaterale persönliche Treffen fanden in Räumlichkeiten der Niederlassungen der beteiligten Unternehmen oder außerhalb dieser (zB auf Autobahnraststationen, Tankstellen, in Lokalen oder auf Baustellen) statt. Die kartellrechtswidrigen bilateralen Kontakte unter Mitbewerbern wurden ua dazu genutzt, sich über die Interessenlage hinsichtlich bestimmter Bauvorhaben zu informieren, konkrete Vorgangsweisen zu vereinbaren oder sich über zukünftiges Verhalten bei der Angebotsabgabe auszutauschen. Dabei trat man insbesondere mit jenen Mitbewerbern in Kontakt, die man bereits aus den Gesprächsrunden, von früheren kartellrechtswidrigen Kontakten, von ARGEs oder privat kannte. Oft kam es zu solchen bilateralen Kontakten auch am Rande von notwendigen Kontakten bei laufenden ARGE oder sonstigen Kooperationen wie zB Asphaltmischwerken, aber auch am Rande von Veranstaltungen der Bauwirtschaft.

Nach einer bilateralen Vereinbarung wurden zum Teil auch weitere Mitbewerber kontaktiert und ebenso miteinbezogen, indem diese etwa zum Zurückstehen bei einer bestimmten Ausschreibung aufgefordert wurden (Beilagen xxx, ./KK).

h) Kontakte im Rahmen der Zusammenarbeit in Asphaltmischwerken:

Asphaltmischwerke spielen auf Grund ihrer Zulieferfunktion eine zentrale Rolle im Straßenbau. Kartellrechtswidrige Handlungen, die den Straßenbau betrafen, erfolgten daher auch im Rahmen der Zusammenarbeit von Mitbewerbern in Asphaltmischwerken, die oft als Gemeinschaftsanlagen geführt werden. Zudem waren zahlreiche Bauunternehmen, die eigene Mischanlagen (sog „Eigenanlagen“) betrieben, an kartellrechtswidrigen Handlungen beteiligt.

In der Regel einigten sich die an den wettbewerbsbeschränkenden Handlungen beteiligten Unternehmen entsprechend des in Prozent festgelegten Marktanteils am Mischgutverbrauch (angegeben in Mischguttonnen) darüber, welcher Mitbewerber für welche Bauvorhaben die Auftragserteilung erhalten sollte. Wurde der jeweilige Schlüssel am Jahresende über- oder unterschritten, wurde die Differenz in das nächste Jahr vorgetragen. Diese Aufteilung erfolgte zumeist nach Mischguttonnen, in seltenen Fällen auch nach der Anzahl der Projekte oder nach dem Umsatzvolumen auf dem jeweiligen Straßenbaumarkt.

Die beteiligten Unternehmen legten auch den Preis für Mischgut anhand eines sog „Mittelpreises“, der sich am Vorjahrespreis orientierte, fest. Das Unternehmen, das den Auftrag erhalten sollte, bestimmte dann eine Angebotssumme. Die zurückstehenden Unternehmen gaben hingegen Angebote mit höheren Preisen oder keine Angebote ab (Beilagen xx, ./J, ./WW, ./XX, ./YY, ./B3, ./C3, ./D3, ./JJ).

i) Kontakte mittels E-Mail, Telefon und Fax:

In einer Reihe von Fällen kam es mittels E-Mail, Telefon und/oder Fax zum Austausch von wettbewerbssensiblen Informationen oder auch zu Preisabsprachen und Marktaufteilungen. Diese erfolgten sowohl ergänzend zu den Gesprächsrunden und kartellrechtswidrigen bilateralen Kontakten als auch unabhängig davon. Zumeist wurde auf einen schriftlichen Austausch verzichtet. Kontakte per E-Mail wurden primär aus Praktikabilitätsgründen für das Versenden von Deckangeboten genutzt (Beilage xx). Es wurden auch verschlüsselte Formulierungen verwendet, etwa wurde die als Deckangebot abzugebende Summe als „Haus Nr“ oder als „Kilometer inkl Mautkosten“ bezeichnet (Beilage ./N). Den unmittelbar an den Zuwiderhandlungen beteiligten Mitarbeitern war – zumindest zum Teil - bewusst, dass es sich nicht um ein „Kavaliersdelikt“ handelt. Aufzeichnungen sowie E-Mails wurden daher bewusst vermieden oder nach Abschluss der abgesprochenen Bauvorhaben vernichtet. Aufgrund der Dauer und Intensität der kartellrechtswidrigen Handlungen war es für die beteiligten Unternehmen jedoch organisatorisch nicht möglich, auf jegliche Form von Aufzeichnungen zu verzichten (Beilagen xxx, ./KK, ./E3, xx).

j) Bieterrotation und „Schutzmechanismen“:

Ein Instrument zur Aufteilung von Bauaufträgen war die Organisation mittels Bieterrotation. Dabei kamen die beteiligten Unternehmen überein, dass sie hinsichtlich bestimmter Bauvorhaben wechselseitig zum Zug kommen und sich dabei gegenseitig durch die Abgabe höherer Deckangebote oder den gänzlichen Verzicht auf eine Angebotslegung unterstützen. Bieterrotationen kamen dabei auch im Sinne eines von den beteiligten Unternehmen so bezeichneten „Kampfschutzes“ oder „Vollschutzes“ zur Anwendung.

- Im Fall eines „Vollschutzes“ wurden alle für eine Ausschreibung relevanten Mitbewerber in die Kartellabsprache eingebunden. Die beteiligten Unternehmen können davon ausgehen, dass keine anderen (nicht an der Kartellabsprache beteiligten) Unternehmen ein Angebot legen werden. Der Wettbewerb wird im Rahmen des „Vollschutzes“ gänzlich ausgeschlossen und bietet daher eine sehr hohe Sicherheit für die Umsetzung des gewünschten Ergebnisses.

- Im Fall eines „Kampfschutzes“ wurde nur ein Teil der für eine Ausschreibung relevanten Mitbewerber (zB fünf von insgesamt zehn) in die Kartellabsprache eingebunden. Diese Gruppe einigte sich auf einen designierten Auftragsempfänger und bot folglich so an, dass sich ihre Mitglieder nicht gegenseitig unterboten. Im Unterschied zum „Vollschutz“ nehmen auch Unternehmen außerhalb der am „Kampfschutz“ beteiligten Gruppe an der Ausschreibung teil. Dennoch wurde das Risiko des Wettbewerbs im Rahmen des „Kampfschutzes“ erheblich minimiert (Beilagen xxx, ./II, ./G3, ./H3, ./I3 ./J3).

k) Interne Submission:

Im Vorfeld von Angebotsabgaben kam es in einigen Fällen auch zu sog „internen Angebotsöffnungen“ (auch „interne Submissionen“ genannt), bei denen die Mitbewerber vor der offiziellen Angebotsabgabe ihre Kalkulationsgrundlagen untereinander offenlegten. Das Unternehmen mit dem niedrigsten Wert erhielt den internen „Zuschlag“, die anderen standen zurück. Dieses Vorgehen diente als Mittel der Entscheidungsfindung, welches der beteiligten Unternehmen den Auftrag bei der tatsächlichen Ausschreibung erhalten soll (Beilagen xx, ./J, xxx, ./JJ, ./K3, ./L3, xx).

l) Fixer Schlüssel:

Für die Aufteilung von Aufträgen wurde auch ein sog „fixer Schlüssel“, dh eine Quote vereinbart, die jedem beteiligten Unternehmen zustand. Der „fixe Schlüssel“ richtete sich dabei in der Regel nach den geschätzten Marktanteilen oder orientierte sich insb im Straßenbau an der geschätzten Gesamtmenge des zu verbauenden Asphaltmischguts pro Jahr (Beilagen xxx). In einigen Fällen wurde mit der Verwaltung der Quoten ein bestimmtes Bauunternehmen betraut (Beilage ./N3).

m) Kartellstabilisierende Maßnahmen:

Die Umsetzung der Zuwiderhandlung wurde durch kartellstabilisierende Maßnahmen abgesichert und verstärkt. Damit sollte sichergestellt werden, dass sich die beteiligten Unternehmen an das Vereinbarte auch tatsächlich halten, jedes in einem vorgesehenen Ausmaß zum Zug kommt und somit das Kollusionssystem aufrecht und stabil bleibt:

aa) Punktesystem:

Einer dieser kartellstabilisierenden Mechanismen war die Gegenverrechnung anhand eines sog „Punktesystems“: Da ein größerer Teil der beteiligten Unternehmen regelmäßig in verschiedenen Ausschreibungsverfahren aufeinander traf, wurde mithilfe der Vergabe von „Punkten“/„Anteilen“/„Prozenten“ der Netto-Angebotssumme (typischerweise iHv 0,5-3,5%) ein finanzieller Interessenausgleich unter den Beteiligten sichergestellt. Der durch diesen Prozentsatz errechnete Betrag wurde dem zurückstehenden Bauunternehmen als Forderung gegen den designierten Auftragsempfänger gutgeschrieben. Einige der beteiligten Unternehmen führten Aufzeichnungen über die sich aus diesem Punktesystem ergebenden „Forderungen und Verbindlichkeiten“ gegenüber den anderen Beteiligten (auch als „Kontokorrentverhältnis“ bezeichnet). Diese Verbindlichkeiten wurden immer wieder saldiert oder durch Ausgleichsleistungen ausgeglichen. In manchen Fällen blieben Restforderungen und Verbindlichkeiten jedoch auch über längere Zeit bestehen (Beilagen xx, ./JJ).

Die Kontaktaufnahme für die Aufrechterhaltung des Punktesystems erfolgte zB telefonisch. Das am Auftrag interessierte Bauunternehmen erkundigte sich bei seinen Mitbewerbern, ob diese zurückstehen würden. Für das Zurückstehen verlangte der Mitbewerber sodann Punkte (Beilagen xx, ./PP). In den Aufzeichnungen wurde neben den Bezeichnungen der kontaktierten Mitbewerber (zT mit Kontaktnamen und Telefonnummer) ein „o.k.“ oder „“ als Hinweis vermerkt, dass eine Preisabsprache stattgefunden hat. Weiters wurden Aufzeichnungen über den vereinbarten Ausgleich nach dem Punktesystem gemacht (Beilagen ./D3, ./O3, ./P3).

bb) Ausgleichsleistungen:

Zurückstehende Mitbewerber wurden neben den oben beschriebenen Punkten auch mit sog „Ausgleichsleistungen“ entlohnt, wie etwa mit Ausgleichszahlungen, Subaufträgen (zB im Sinne einer „Beteiligung“ am Bauvorhaben), Arbeitsabtausch, der Bildung einer (offenen oder stillen) ARGE, der Lieferung oder Abnahme von Leistungen unter bevorzugten Konditionen (beispielsweise Asphaltmischgut, sonstiges Material, Personal oder Geräte), dem Bezug von größeren Abnahmemengen von Asphaltmischgut oder Beton. Ausgleichsleistungen standen zurückstehenden Mitbewerbern auch dann zu, wenn der Mitbewerber, zu dessen Gunsten sie zurückstanden, den Zuschlag nicht erhielt (Beilagen ./J, xx, ./JJ, ./LL, xx, ./WW, ./B3, ./Q3, xxx). In den meisten Fällen erfolgte die Ausgleichsleistung durch den Abtausch gegen andere Bauvorhaben („Arbeitsabtausch“ - Beilagen xxx, ./V3, ./W3, xxx ./II). Es kam auch vor, dass Punkte und Ausgleichsleistungen , wie Ausgleichszahlungen und Arbeitsabtausch, gemeinsam vereinbart wurden, je nachdem, was die beteiligten Unternehmen für das Zurückstehen verlangten (Beilagen ./P, ./D3, ./X3, ./Q3, ./Y3, ./Z3, ./A4, ./B4, ./C4). Für die Auszahlung einer Ausgleichsleistung wurden vereinzelt auch Scheinrechnungen erstellt (Beilage ./B4).

5. Beteiligung der Antragsgegnerinnen

Die Antragsgegnerinnen beteiligten sich an Absprachen und/oder Abstimmungen im oben dargelegten Sinn zumindest bei 1362 Bauvorhaben. Bei weiteren Bauvorhaben ist eine Beteiligung an solchen Handlungen keineswegs ausgeschlossen, allerdings können konkrete Bauvorhaben - mangels abschließender Prüfung seitens der Antragsgegnerinnen – nicht festgestellt werden.

Laut ihrer dem Anerkenntnis angeschlossenen Liste waren ua konkret folgende Auftraggeber von den Zuwiderhandlungen der Antragsgegnerinnen betroffen:

Land Niederösterreich, ASFINAG, Forsttechnischer Dienst – Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, OMV Gas GmbH, Amt der Tiroler Landesregierung, Magistrat Klagenfurt, Heeresbauverwaltung Süd (8010 Graz), ARGE Innenverlegung Strabag – Fröschl, STEWEAG-STEG, Gemeinde Puch bei Weiz, Stadtgemeinde Ferlach, OSG, Wilfing Hoch- und Tiefbau GmbH, ÖBB, Marktgemeinde Steinfeld, Gemeinde Dellach im Drautal, Wasserverband Ossiacher See, Marktgemeinde Reichenfels, Abwasserverband Völkermarkt-Jaunfeld, Gemeinde Malta, Marktgemeinde Oberdrauburg, Gemeinde St. Kanzian, Gemeinde Irschen, Gemeinde Rauchwart, Gemeinde Marz, Neue Heimat Tirol Gemeinnützige Wohnungs GmbH, Gemeinde Preitenegg, Franz Rindler, Magistrat Villach, NE, Gemeinde Maria Wörth, Stadtgemeinde St. Andrä im Lavanttal, Gemeinde St. Stefan im Rosental, AWV Wörthersee West, Marktgemeinde Bad Bleiberg, Gemeinde Auersthal, Stadt Oberpullendorf, Verein zur Erhaltung und Erneuerung der Infrastruktur der Marktgemeinde Eberau und Co KG, Straßenbauamt Villach, Gemeinde Kainbach bei Graz, Amt der Kärntner Landesregierung, BELIG, Martina und Martin Hlavacek, Eivita KG, KELAG, Innsbrucker Immobilien GmbH & Co KG, Wasserverband Wörthersee Ost, Verein zur Erhaltung und Erneuerung der Infrastruktur der Gemeinde Inzenhof und Co KG, Marktgemeinde Zurndorf, Thallo Raiffeisen-Immobilien-Leasing-GmbH, Amt der Steiermärkischen Landesregierung, Baubezirksleitung Judenburg, Bundesstraße 3-4, EBSG, Arge Sandoz Bau 542 (Kufstein), TIGEWOSI – Tiroler Gemeinn Wohnungsbau- und Siedlungs GmbH, Tirol Kliniken GmbH, Gemeinde St. Michael, Marktgemeinde Ollersdorf, Marktgemeinde Halbenrain, Wasserverband Leibnitzerfeld Süd, Kulturverein Pannonia Breitenbrunn, Stadtwerke Klagenfurt AG, Gemeinde Kleblach-Lind, Gemeinde Lafnitz, Gemeinde Rangersdorf, AWV Raum Frohnleiten oder Stadt Frohnleiten, Marktgemeinde Prellenkirchen, Gemeinde Trofaiach, ÖWGES, Land Steiermark, Gemeinde Rohrbach a.d. Lafnitz, Frieden Gemeinn Bau- und Siedlungsgenossenschaft reg. GenmbH, Gemeinde Murfeld, Gemeinde Nickelsdorf, Gemeinde Gosdorf und Ratschendorf, Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur, MA 28 (Wien), Hella Fahrzeugteile Austria GmbH, Gemeinde Semriach, Stadtgemeinde Großenzersorf, Pfarre Breitenbrunn, Stmk-Land 16, FA 16, BIG, Stadtgemeinde Leoben, Gemeinde Stainz, Gemeinde Breitenbrunn, Evangelische Pfarrgemeinde Oberwart, GCA (OMV), Bau- Wohn- und Siedlungsgenossenschaft HEIM reg. Gen.m.b.H., Marktgemeinde Grafenstein, Gemeinde Rauchwart, Stadt Mannersdorf, AWV Laßnitz-Wildbach-Gamsbach, Gemeinde Bad Gleichenberg, Gemeinde Laxenburg, Gemeinde Matzendorf-Hölles, Gemeinde Vösendorf, BWS, Verbund, Gemeinde Schattendorf, Gemeinde Wies, Gemeinde Amering, Gemeinde Sittersdorf, Landesschulrat für Burgenland, Wasserverband Grenzland Südost, Jugendherberge Neusiedl am See, Gemeinde Spital am Semmering, Gemeinde Gols, Röm.-Kath. Pfarre Stegersbach, Marktgemeinde St. Peter a.O., PVA, Gemeinde Leithaprodersdorf, Wildbach- und Lawinenverbauung Steiermark Ost, Gemeinde Heiligenkreuz, Gemeinde Leopoldsdorf, Gemeinde Trautmannsdorf, Hörbranz, Gemeinde Feistritz, Stadt Mattersburg, Gas Connect Austria, Wasserverband Mittleres Burgenland – Wasserwerk Lackendorf, Gemeinde Bad Deutsch-Altenburg, Ruster Liegenschaftserwerbs- und Verwaltungs GmbH & Co KG, Plan & Bau GmbH, Gemeinde Otterthal, Ceratizit Austria GmbH, Gemeinde Proleb, Gemeinde Traboch, Horst Szerencsics, GIWOG, Innsbrucker Immobilien GmbH & Co KG, Abwasserverband Grazerfeld, Gemeinde Tobaj, Gemeinde Neudorf, Marktgemeinde Gnas, Gemeinde Groß St. Florian, Rotes Kreuz – Landesverband Burgenland, Prof. Paul Anton Keller Stiftung, Stadt Schwaz, Thermenhotel Radkersburgerhof GesmbH & Co KG, Gemeinde Mönchhof, Gemeinde Zemendorf, Gemeinde Großpetersdorf, Gemeinde Theresienfeld, Austrian Sailing GmbH, Gemeinde Kaltenleutgeben, Gemeinde Horitschon, Marktgemeinde Mogersdorf, Gemeinde Oberloisdorf, Gemeinde Riedlingsdorf, Magistrat der Freistadt Rust, Gemeinde Hundsheim, Gemeinde Sulz, ÖGB oder Arbeiterkammer, AWV Oberes Pinkatal, Gemeinde Bad Tatzmannsdorf, Militärisches Immobilienmanagement, Carisma Immobilien GmbH, Gemeinde Edelstal, AWV Wr. Neustadt Süd, Kärntner Flughafen Betriebs GesmbH, GAV Aspang-Feistritz, Holding Graz, Gemeinde Türnitz, Gemeinde Pama, Lamplhof Betriebs GesmbH, 8561 Söding, Trans Austria Gasleitung GmbH, Gemeinde Ehenbichl, ÖWG Wohnbau, Pioneer Hi-Bred Services GmbH, EGW Erste gemeinn Wohnungsges. Heimstätte Ges.m.b.H., Stadt Eisenerz, Wiener Linien, AUVA UKH Graz, Wasserverband Umland Graz, Allacher Vinum Pannonia GmbH, Gemeinde Edt bei Lambach, APG Autopflegebetriebs GmbH, Franziskanerkloster Güssing, Technologiezentrum Eisenstadt GmbH, Gemeinde Bachmanning, Weingut Wagentristl, Abwasserver band Gleisdorfer Becken, Walter und Liselotte Hechenberger (Liste bei Beilage xx).

Die hauptsächlich betroffenen Auftraggeber werden im Folgenden exemplarisch dargestellt, wobei die Antragsgegnerinnen – zumeist in einer Kombination - an Preisabsprachen, Marktaufteilungen und am Austausch über zukünftiges Abgabeverhalten teilnahmen:

Im Rahmen von Ausschreibungen der ASFINAG in Tirol nahmen die Antragsgegnerinnen an überwiegend bilateralen Gesprächen und Gesprächsrunden in einer der Bürozentralen der beteiligen Unternehmen teil. Zumindest bis einschließlich 2011 wurden fast alle in Tirol ausgeschriebenen ASFINAG Baulose unter den beteiligten Mitbewerbern abgestimmt, die Verhaltensweisen waren insofern historisch gewachsen. Jener Wettbewerber, der ein Bauvorhaben für sich beanspruchte, kontaktierte die übrigen Wettbewerber. Bei gleichzeitiger Ausschreibung mehrerer Bauvorhaben teilten sich die Mitbewerber diese auf, auch durch Bildung kartellrechtswidriger ARGEs. Zurückstehende, nicht an der ARGE beteiligten Mitbewerber hatten als Ausgleichsleistung bei künftigen Ausschreibungen Bauvorhaben gut. Es ist davon auszugehen, dass in den Jahren 2005 bis einschließlich 2011 insgesamt etwa 85 Bauvorhaben mit einem Gesamtvolumen in Höhe von über EUR 52 Mio betroffen waren (Beilagen xxx). Jedenfalls waren Bauvorhaben im Bereich der A13 Patsch, A12 Jenbach-Stans, A12 Kranebitten, A13 Matreiwald, A12 Vomp-Schwaz, A12 Kramsach, S16 Landeck West, A12 Telf, Gschleiersbrücke, A13 Zentralentwässerung, A12 INSB Kirchbichl-Angath betroffen.

Bei Ausschreibungen der ASFINAG in Kärnten kam es bis einschließlich 2014 zu Gesprächsrunden und bilateralen Gesprächen der Antragsgegnerinnen mit verschiedenen Mitbewerbern, in denen vereinbart wurde, welcher Mitbewerber das ausgeschriebenen Bauvorhaben erhalten solle (Beilagen xxx). Betroffen waren jedenfalls die Bauvorhaben A10 Deckenerneuerung Abschnitt Liesertal, A2 Zubringer Schiefling, A2 AST Bad St. Leonhard, A11 Karawankenautobahn Knoten Villach-St. Niklas, A11 LB INS St. Jakob, A2 Wolfberg Süd-St. Andrä (Beilagen xxx).

Im Rahmen von Ausschreibungen der ASFINAG in der Steiermark fanden bis einschließlich 2013 in der Porr-Niederlassung in Unterpremstätten Gesprächsrunden jedenfalls mit drei weiteren Mitbewerbern statt, deren Zweck es war, die Baulose aufzuteilen und die Bildung von ARGEs zu eruieren. Gegebenenfalls kam es zu Telefonaten (Beilage xx). Betroffen waren ua die Bauvorhaben A2 Sinabelkirchen-Arnwiesen und A2 Zubringer Graz Ost.

Im Rahmen von Ausschreibungen der ASFINAG in Oberösterreich kam es bis 2016 mit verschiedenen Wettbewerbern, darunter die Antragsgegnerinnen, zu bilateralen Kontakten und zur Übermittlung von Deckangeboten – etwa betreffend die Bauvorhaben A9 Pyhrn­autobahn Lainberg-Rossleithen und A8 Innkreisautobahn ÜF J-74 - sowie zur Bildung von kartellrechtswidrigen ARGEs (Beilagen ./H5, xxx).

Beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung waren im Zeitraum von 2002 bis 2017 von sieben Straßenbauabteilungen ausgeschriebene Baulose im Straßenbau, und zwar insgesamt nahezu 3000 Bauvorhaben mit einem Gesamtvolumen in Höhe von mehr als EUR 300 Mio betroffen. Es fanden mehrmals im Jahr, und zwar dann, wenn es zu Ausschreibungen des Landes Niederösterreich im Bereich Straßenbau kam, Gesprächsrunden statt, bei denen der Preis sowie der Bestbieter für bestimmte Bauvorhaben festgelegt wurde. Die Verteilung erfolgte nach einem bestimmten Schlüssel, der sich im Wesentlichen an den Marktanteilen der beteiligten Mitbewerber orientierte; es kam zu einem „Arbeitsabtausch“. Neu hinzukommende Mitbewerber wurden in dieses „geregelte“ System eingeführt. Umfasst waren neben dem Verkehrswegebau auch Ausschreibungen über Spezialgewerke wie Brücken (Beilagen xxx). Die Antragsgegnerinnen waren – laut expliziter Außerstreitstellung – bei insgesamt 898 Ausschreibungen des Landes Niederösterreich in der beschriebenen Form beteiligt.

Auch im Rahmen von Ausschreibungen der Steiermärkischen Landesregierung im Verkehrswegebau gab es zurückgehend bis zumindest 2002 Gesprächsrunden und bilaterale Kontakte. 2013 kam es betreffend das Sonderinvestitionsprogramm (32 Bauvorhaben) zu einer Vereinbarung über die Aufteilung nach einem bestimmten System. Die teilnehmenden Mitbewerber legten vorab ein internes Angebot, eruierten dergestalt den Billigstanbieter und ließen diesem den Vortritt. Bei der tatsächlichen Angebotslegung wurde auf die intern gebotenen Preise ein Aufschlag von 5 bis 25% hinzugerechnet, und zwar gestaffelt nach der Reihenfolge laut interner Angebotslegung (Beilagen xxx, ./K3).

Ab 2013 kam es in der nördlichen und der südlichen Steiermark zu punktuellen bilateralen Gesprächen. Die Mitbewerber, darunter die Antragsgegnerinnen, teilten sich die Bauvorhaben entsprechend der Lage der Mischanlagen untereinander auf (Beilagen xxx). Es handelte sich um Bauvorhaben im Bereich der L204, B072, L401, B96, L238, B23, L118, Stützpunkt Wals/Schoberpass.

Bei den Ausschreibungen des Landes Tirol zur Sanierung der Bundes- und Landesstraßen teilten sich die Wettbewerber (neben den Antragsgegnerinnen vier weitere Bauunternehmen) im Zeitraum 2005 bis 2011 die pro Jahr ausgeschriebenen Baulose (ca 40 bis 60) untereinander auf, wobei insbesondere die Standorte der Unternehmen und die Marktposition eine Rolle spielten (Beilagen xxx). Nach der Einigung über die Verteilung besprachen die Mitbewerber – im Rahmen von bilateralen Kontakten - den Angebotspreis des designierten Zuschlaggewinners. Von diesen kartellrechtswidrigen Handlungen waren unter anderem Bauvorhaben im Bereich Hangbrücke Rauschgraben, B105, Belagsanierungen auf diversen Landesstraßen betroffen.

Bei Ausschreibungen der Kärntner Landesregierung im Verkehrswegebau wurde im Zeitraum 2004 bis 2016 vereinbart, welcher Wettbewerber das ausgeschriebene Bauvorhaben erhalten solle. Insbesondere bei asphaltmischgutlastigen Bauvorhaben verteilten sie die Bauvorhaben nach einem bestimmten Schlüssel, je nach Nähe zu den Mischanlagen. Die Gesprächsrunden fanden bis zu zehnmal pro Jahr statt (Beilagen xxx). Betroffen waren 596 Bauvorhaben, insbesondere im Bereich der B78, B91, B70.

Bei Ausschreibungen der Stadt Wien, vorrangig der MA28 (Magistratsabteilung 28 für Straßenverwaltung und Straßenbau der Stadt Wien), kam es unter Beteiligung der Antragsgegnerinnen zu langjährigen Zuwiderhandlungen im Rahmen von regelmäßigen oder anlassbezogenen Gesprächsrunden, teilweise am Rande von Seminaren der Gesellschaft zur Pflege der Straßenbautechnik mit Asphalt (GESTRATA). Die Mitbewerber tauschten sich darüber aus, wer an welchem Bauvorhaben Interesse hatte und welche Preise angeboten werden. Ausschreibungen der Kontrahentenverträge der MA28 teilten sich die Wettbewerber nach Bezirken auf (xxx). Die langjährige Praxis betraf in den Jahren 2002 bis 2017 etwa 370 Bauvorhaben (Beilagen xxx). Jedenfalls betroffen waren Ausschreibungen betreffend HB1 Rechte Wienzeile, HB 227 Obere Donaustraße, Raxstraße, Mariahilfer Straße, Gymnasiumstraße, Kaisermühlen.

Bei den Ausschreibungen des Magistrats Klagenfurt betreffend Jahresbauverträge für Straßenbau und Künetteninstandsetzung bildeten die Antragsgegnerinnen mit drei Mitbewerbern abwechselnd eine kartellrechtswidrige ARGE und vereinbarten mit einigen ihrer Mitbewerber, die nicht Teil der ARGE war, dass diese als Subunternehmer für die ARGE tätig werden und im Gegenzug kein oder ein höheres Angebot abgeben sollen. Alle anderen potentiell interessierten Unternehmen wurden von den ARGE-Partnern kontaktiert und – im Sinne eines „Vollschutzes“ – zum Zurückstehen aufgefordert. Der Ausgleich für das Zurückstehen erfolgte primär über ein Punktesystem und über Arbeitsaustausch, es kam auch zu Ausgleichszahlungen. Die ARGE-Partner teilten sich die zu kontaktierenden Unternehmen auf und stimmten sich auch darüber ab, wer wie viele Punkte erhalten sollte (Beilagen xxx). Die Antragsgegnerinnen waren dergestalt bezüglich der Jahresbauverträge 2005, 2010, 2014 und 2017 beteiligt, weitere wettbewerbsbeschränkende Handlungen gab es bei vier Bauvorhaben (Kanalsanierungen St. Ruprechter Straße und Oktober Straße, Jahresauftrag 2011, Kläranlage Klagenfurt). Aber auch bei anderen Ausschreibungen des Magistrats Klagenfurt kam es zu Absprachen der Antragsgegnerinnen mit Mitbewerbern (Beilagen xxx, ./D7).

Bei den Ausschreibungen der Holding Graz nahmen die Antragsgegnerinnen bei Ausschreibungen in den Jahren 2014 bis 2017 hauptsächlich im Bereich Verkehrswege an Preisabsprachen, Marktaufteilungen und am Austausch über zukünftiges Abgabeverhalten teil. Es gab bilaterale Gespräche zwischen den beteiligten Bauunternehmen, in denen man sich darüber einigte, wer die Ausschreibung gewinnen sollte. Der designierte Auftragsempfänger teilte den zurückstehenden Unternehmen die abzugebenden Preise mit. Seit Ende 2016 bestand eine fixe Gesprächsrunde der fünf unmittelbar beteiligten Unternehmen (sog. Holding Graz-Runde), das erste Treffen und zumindest drei weitere Treffen fanden in den Räumlichkeiten der Porr statt (Beilagen xxx). Betroffen waren 34 Bauvorhaben der Holding Graz (Beilagen xxx), die Antragsgegnerinnen gestanden explizit 19 Bauvorhaben zu.

Weiters gab es betreffend Ausschreibungen der Pensionsversicherungsanstalt im Burgenland (Bauvorhaben „SKA-RZ Bad Tatzmannsdorf“) im Jahr 2014 Absprachen über das zukünftige Abgabeverhalten (samt Zurückstehen zT im Austausch für eine Ausgleichsleistung) und die Übermittlung von Deckangeboten (Beilagen ./S7, ./Q7, xx). In Oberösterreich (Bauvorhaben „SKA-RZ Bad Schallerbach“) organisierte „Porr“ die Preisabsprache. Sie gründete mit einem Mitbewerber eine BIEGE und sie kontaktierten bilateral 17 Mitbewerber, mit denen Abgabepreise und das zukünftige Abgabeverhalten besprochen wurde; zudem wurde auch Ausgleichsleistungen für das Zurückstehen vereinbart (Beilagen ./LL, ./W7, xxx).

Im Rahmen von Ausschreibungen der OMV (einschließlich ihrer Tochtergesellschaften GCA und TAG) im Burgenland, in der Steiermark und Kärnten fanden im Zeitraum von 2006 bis 2016 Absprachen mit Mitbewerbern der Antragsgegnerinnen statt. Überwiegend kam es zu telefonischen Kontakten, es wurden Deckangebote versendet. Das am Bauvorhaben besonders interessierte Unternehmen organisierte die Absprachen, forderte Mitbewerber auf, im Tausch gegen ein anderes Bauvorhaben oder für die Vergabe von „Punkten“ oder die Auszahlung oder für einen Subauftrag zurückzustehen und ein Deckangebot abzugeben (Beilagen xxx, ./Y7). Betroffen waren jedenfalls acht Ausschreibungen der OMV.

In der Bausparte Hochbau im Burgenland beteiligten sich die Antragsgegnerinnen im Zeitraum 2010 bis 2017, gemeinsam mit größeren und auch zahlreichen regional tätigen kleineren Mitbewerbern, an Absprachen über Preise und Abgabeverhalten samt der Übermittlung von Deckangeboten. Bei den Auftraggebern handelte es sich ua um Vereine, Gemeinden, Private, betroffen sind über 140 Ausschreibungen (Beilagen xx, ./MM, ./NN).

Wettbewerbsbeschränkende Handlungen in Form von Abstimmung des Abgabeverhaltens und Deckangeboten setzten die Antragsgegnerinnen überdies im Zusammenhang mit weiteren Ausschreibungen in Wien (Bauvorhaben Himmelstraße 69 und Privatklinik Döbling) sowie der Wiener Linien (U6 Brücke über die Jörgerstraße; Beilagen ./F10, ./E10); ebenso in Oberösterreich betreffend mehrere Bauvorhaben im Zeitraum 2006 bis 2017. Darüber hinaus kam es zu solchen Handlungen bei insgesamt 53 Ausschreibungen in Kärnten, bei 65 Ausschreibungen in der Steiermark, bei 19 Ausschreibungen in Tirol jeweils im Zeitraum 2007 bis 2017, sowie bei 14 Ausschreibungen in Niederösterreich von 2011 bis 2017. 2015 fand eine Absprache bei einer Ausschreibung der ÖBB (Bauvorhaben „Ausbau Terminal 01 Wolfurt“) statt. Im Jahr 2010 erfolgte eine Absprache bei einer Ausschreibung des VERBUND in der Steiermark (Bauvorhaben „Sanierung Kraftwerk Pernegg“; siehe jeweils Beilage xx).

6. Zusammenfassung

Von den beschriebenen Zuwiderhandlungen waren sämtliche österreichische Bundesländer betroffen und sie dauerten jedenfalls von Juli 2002 bis Oktober 2017 an. Die Antragsgegnerinnen waren – wenngleich regional und je nach Bauvorhaben in unterschiedlicher Intensität - an den beschriebenen Zuwiderhandlungen führend beteiligt und in der Lage, deren wesentliche Umstände und das gemeinsame Ziel mitzuprägen. Damit wuchs unter Beteiligung der Antragsgegnerinnen ein das gesamte österreichische Bundesgebiet betreffendes Kollusionssystem, das als ein einheitliches Gesamtsystem zu betrachten ist. Dieses hatte den Zweck, den Wettbewerb zu minimieren oder auszuschließen, um sich gegenseitig zur Erteilung von Aufträgen zu verhelfen und so Marktanteile zu sichern.

Beweiswürdigung:

Von den Antragsgegnerinnen wurde der von der Antragstellerin vorgebrachte Sachverhalt außer Streit gestellt. Darüber hinaus wird er durch die jeweils in Klammer angeführten Urkunden untermauert.

Rechtliche Beurteilung:

Aus dem festgestellten Sachverhalt folgt in rechtlicher Hinsicht:

1. Einleitung:

Da gegen die Richtigkeit der Außerstreitstellungen, die mit den von der BWB vorgelegten Urkunden Beilagen ./A - ./P12 in Einklang stehen, keine Bedenken bestehen, waren iSd § 33 Abs 1 AußStrG iVm § 38 KartG keine weiteren Erhebungen durchzuführen.

Die zunächst in Anspruch genommene Siebtantragsgegnerin Allgemeine Straßenbau GmbH wurde mit der Zweitantragsgegnerin verschmolzen. Bei der dadurch eingetretenen Vollbeendigung dieser juristischen Person mit Gesamtrechtsnachfolge sind behängende Verfahren gegen den Universalsukzessor fortzusetzen. Dieser tritt auch in die Prozessverhältnisse ein; die Parteibezeichnung wird auf den (oder die) Gesamtrechtsnachfolger umgestellt (Fink in Fasching/Konecny3 II/3 § 155 ZPO Rz 8f). Somit trat die (bereits als Verfahrenspartei beteiligte) Zweitantragsgegnerin an die Stelle der (ursprünglichen) Siebtantragsgegnerin, welche nicht mehr als Partei zu führen ist.

2.) Zur „Zwischenstaatlichkeit“:

Gemäß § 1 Abs 1 KartG sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmern, Beschlüsse von Unternehmervereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken (Kartelle), verboten. Insbesondere sind nach § 1 Abs 2 Z 1 KartG die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der An- oder Verkaufspreise oder sonstige Geschäftsbedingungen sowie nach Z 3 leg.cit. die Aufteilung der Märkte oder Versorgungsquellen verboten.

Nach Art 101 Abs 1 AEUV sind alle jene Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten, die den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken. Dazu gehören insbesondere die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der An- und Verkaufspreise oder sonstiger Geschäftsbedingungen (lit a) sowie die Aufteilung der Märkte oder Versorgungsquellen (lit c). Die Anwendung von Art 101 und 102 AEUV fällt in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten (Art 5 VO [EG] 1/2003).

Beim Kriterium der Zwischenstaatlichkeit handelt es sich um eine Kollisionsnorm, die keine wettbewerbsrechtliche Bewertung der Absprache trifft, sondern die Frage beantworten soll, ob es angemessen ist, den Sachverhalt nach Unionsrecht zu beurteilen. Art 101 Abs 1 AEUV erfordert, dass die wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung oder der Missbrauch der beherrschenden Stellung geeignet ist, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Diese Voraussetzung ist – was schon durch Abstellen auf die „Eignung“ angelegt ist – weit zu verstehen (16 Ok 7/15p mwN).

Maßnahmen, deren wettbewerbsbeschränkende Wirkungen sich auf das gesamte Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erstrecken, sind idR zur Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten geeignet, weil sie schon ihrem Wesen nach die Abschottung nationaler Märkte verfestigen und die gewünschte Marktintegration verhindern können. Ein Kartell, das sich auf das gesamte Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erstreckt, hat nämlich schon seinem Wesen nach die Wirkung, die Abschottung der Märkte auf nationaler Ebene zu verfestigen, indem es die in der Europäischen Union angestrebte wirtschaftliche Verflechtung behindert (Leitlinien zum Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels, ABl 2004/C 101/07, Rn 77 ff). Daher können auch Maßnahmen von Unternehmen, die sich nur auf den Wettbewerb innerhalb eines einzelnen Mitgliedstaats auswirken, den innergemeinschaftlichen Handel beeinflussen (16 Ok 4/13; 16 Ok 2/15b; 16 Ok 7/15p; 16 Ok 8/16m; RS0120478).

Bei den festgestellten Zuwiderhandlungen der Antragsgegnerinnen ist allein schon aufgrund ihrer Dimension und Dauer sowie aufgrund der Marktanteile der Antragsgegnerinnen jedenfalls die Zwischenstaatlichkeit zu bejahen und Unionsrecht anzuwenden.

3.) Zum Vorliegen einer Vereinbarung oder abgestimmten Verhaltensweise:

Das Kartellverbot des Art 101 Abs 1 AEUV erfasst – wie jenes des § 1 Abs 1 KartG – insbesondere den Wettbewerb beeinträchtigende Vereinbarungen zwischen Unternehmern und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen. Beiden Tatbeständen ist gemeinsam, dass sie geeignet sein müssen, zwischen den beteiligten Unternehmern die Unsicherheiten über ihr zukünftiges Verhalten im Wettbewerb auszuschließen oder zu vermindern. In der Praxis ist eine Abgrenzung dieser Begriffe von geringer Relevanz, weil diese Formen wettbewerbsbeschränkenden Zusammenwirkens gleichrangig sind (Lager/Petsche in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG2 § 1 Rz 14 ff).

Der Begriff „Vereinbarung“ wird in diesem Zusammenhang weit ausgelegt: Nicht notwendig ist, dass es sich dabei um einen rechtlich verbindlichen Vertrag handelt; eine Vereinbarung liegt vielmehr schon dann vor, wenn die betreffenden Unternehmen ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck gebracht haben, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten. Folglich ist der Begriff der Vereinbarung durch das Vorliegen einer Willensübereinstimmung zwischen mindestens zwei Parteien gekennzeichnet, deren Ausdrucksform unerheblich ist, sofern sie den Willen der Parteien getreu wiedergibt. Bei einer Vereinbarung zwischen Unternehmern kommt es daher weder auf die Form der Vereinbarung (diese kann schriftlich, mündlich oder schlüssig getroffen werden) noch darauf an, ob sie auch tatsächlich umgesetzt wird (Lager/Petsche aaO § 1 Rz 18 f mwN).

Neben Vereinbarungen (und Beschlüssen von Unternehmervereinigungen) sind auch aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen vom Kartellverbot erfasst. Dabei handelt es sich nach ständiger Rechtsprechung des EuGH um jede Form der Koordinierung des Verhaltens zwischen Unternehmern, die zwar nicht bis zum Abschluss eines Vertrags im eigentlichen Sinn gediehen ist, aber bewusst eine praktische Zusammenarbeit an die Stelle des mit Risiken verbundenen Wettbewerbs treten lässt. Unter einer Verhaltensabstimmung ist also eine „Fühlungnahme“ zwischen den Unternehmern zu verstehen, die geeignet und bestimmt ist, deren Wettbewerbsrisiko abzuschwächen (Lager/Petsche aaO § 1 Rz 25 ff mwN).

Erfasst ist jede unmittelbare oder mittelbare Koordination zwischen Unternehmen, die bezweckt oder bewirkt, das Marktverhalten zu beeinflussen oder einen Mitbewerber über das Marktverhalten ins Bild zu setzen, das man selbst an den Tag zu legen entschlossen ist oder in Erwägung zieht (Lager/Petsche aaO § 1 Rz 31).

4.) Zum „Bezwecken“ und „Bewirken“:

Vereinbarungen fallen nur dann unter das Verbot des Art 101 Abs 1 AEUV, wenn sie eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH sind diese Voraussetzungen – wie die Konjunktion „oder“ erkennen lässt – alternativ zu verstehen, sodass sich die Notwendigkeit ergibt, zunächst den eigentlichen Zweck der Vereinbarung in Betracht zu ziehen, wobei die wirtschaftlichen Begleitumstände ihrer Durchführung zu berücksichtigen sind.

Wenn fest steht, dass eine Vereinbarung einen wettbewerbswidrigen Zweck verfolgt, brauchen ihre Auswirkungen auf den Wettbewerb nicht geprüft zu werden. Lässt jedoch die Prüfung des Inhalts der Vereinbarung keine hinreichende Beeinträchtigung des Wettbewerbs erkennen, sind ihre Auswirkungen zu untersuchen. Damit sie vom Verbot erfasst wird, müssen Umstände vorliegen, aus denen sich insgesamt ergibt, dass der Wettbewerb tatsächlich spürbar verhindert, eingeschränkt oder verfälscht worden ist.

Die Unterscheidung zwischen „bezweckten“ und „bewirkten“ Verstößen liegt darin begründet, dass bestimmte Formen der Kollusion zwischen Unternehmen schon ihrer Natur nach als schädlich für das gute Funktionieren des normalen Wettbewerbs angesehen werden können.

Bei der Prüfung der Frage, ob eine Vereinbarung eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung enthält, ist auf den Inhalt ihrer Bestimmungen und die mit ihr verfolgten Ziele sowie auf den wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhang, in dem sie steht, abzustellen. Im Rahmen der Beurteilung dieses Zusammenhangs sind auch die Natur der betroffenen Waren und Dienstleistungen, die auf dem betreffenden Markt oder den betreffenden Märkten bestehenden tatsächlichen Bedingungen und die Struktur dieses Markts oder dieser Märkte zu berücksichtigen. Für einen wettbewerbswidrigen Zweck reicht es bereits aus, wenn die Vereinbarung das Potenzial hat, negative Auswirkungen auf den Wettbewerb zu entfalten, dh wenn sie konkret geeignet ist, zu einer Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Markts zu führen (EuGH C-32/11 - Allianz Hungária, mwN). Das wesentliche Kriterium ist, dass eine solche Handlung in sich selbst eine hinreichende Beeinträchtigung des Wettbewerbs erkennen lässt (EuGH C-67/13 P - Groupement des cartes bancaires, mwN).

Sogenannte Kernbeschränkungen, namentlich die ersten drei Regelbeispiele des Art 101 Abs 1 AEUV, darunter auch Preisabsprachen und die Aufteilung von Märkten, sind als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen grundsätzlich verboten (Bechtold/Bosch/Brinker, EU-Kartellrecht³ Art 101 AEUV Rz 78 ff; Braun in Langen/Bunte, Kartellrecht13, Nach Art 101 AEUV, Rz 20; Füller in Kölner Kommentar zum Kartellrecht, Art 101 AEUV, Rz 205ff; zu § 1 KartG: Lager/Petsche aaO § 1 Rz 57 u 104; uva). Sie sind auch von der De‑Minimis‑Bekanntmachung der Europäischen Kommission, ABl 2014/C 291/01, durch deren Pkt II.12 ausgenommen. Preisabsprachen und koordinierte Aufteilungen der Märkte oder Versorgungsquellen sind bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen.

Das zwischen den Antragsgegnerinnen und ihren Mitbewerbern im Zeitraum Juli 2002 bis Oktober 2017 etablierte System von Preisabsprachen, Marktaufteilungen und des Informationsaustausches stellt Verstöße gegen die Bestimmungen des Art 101 Abs 1 lit a und c AEUV und § 1 Abs 2 Z 1 und 3 KartG dar. Hiebei handelt es sich um Kernbeschränkungen, deren unmittelbare Auswirkung auf den Markt nicht geprüft werden braucht.

Die Verhaltensweisen der Antragsgegnerinnen widersprechen den Zielsetzungen, die hinter der Einleitung eines Vergabeverfahrens oder einer Ausschreibung stehen. So sind nach § 19 BVergG Vergabeverfahren ua entsprechend den Grundsätzen des freien und lauteren Wettbewerbs durchzuführen. Dafür ist die Einhaltung des Grundsatzes des geheimen Wettbewerbs unverzichtbare Voraussetzung.

5.) Zur Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkung:

Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH müssen die Wettbewerbsbeschränkung und die Handelsbeeinträchtigung auch spürbar sein, um vom Kartellverbot erfasst zu sein. Das Vorliegen einer spürbaren Beschränkung des Wettbewerbs auf dem Binnenmarkt ist anhand des tatsächlichen Rahmens einer solchen Vereinbarung zu beurteilen. Vereinbarungen, die geeignet sind, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen und die einen wettbewerbswidrigen Zweck haben, sind ihrer Natur nach und unabhängig von ihren konkreten Auswirkungen eine spürbare Beschränkung des Wettbewerbs (EuGH C-226/11 - Expedia, Rz 16f, 21 und 37). Dies ist im vorliegenden Fall gegeben.

6.) Zum Verschulden:

§ 29 KartG stellt klar, dass Geldbußen nur bei Verschulden zu verhängen sind. Der Unternehmer muss den Tatbestand vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführt haben. Gleiches gilt zufolge Art 23 VO 1/2003 im Unionsrecht. Das KartG definiert nicht näher, was unter Vorsatz und Fahrlässigkeit zu verstehen ist. Einschlägige Definitionen enthalten aber die strafrechtlichen Bestimmungen der §§ 5 f StGB und § 3 VbVG (16 Ok 2/11).

Vorsätzlich handelt gemäß § 5 Abs 1 StGB, wer einen Sachverhalt verwirklichen will, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht; dazu genügt es, dass der Täter diese Verwirklichung ernstlich für möglich hält und sich mit ihr abfindet. Demgegenüber handelt fahrlässig, wer die Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den Umständen verpflichtet und nach seinen geistigen und körperlichen Verhältnissen befähigt ist und die ihm zuzumuten ist, und deshalb nicht erkennt, dass er einen Sachverhalt verwirklichen könne, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht (§ 6 Abs 1 StGB), und wer es für möglich hält, dass er einen solchen Sachverhalt verwirkliche, ihn aber nicht herbeiführen will (§ 6 Abs 2 StGB).

Gemäß § 3 Abs 1 VbVG ist ein Verband – ein solcher ist nach der Legaldefinition des § 1 Abs 2 leg.cit. insbesondere eine juristische Person – unter den weiteren Voraussetzungen des Abs 2 oder des Abs 3 für eine Straftat verantwortlich, wenn 1. die Tat zu seinen Gunsten begangen worden ist oder 2. durch die Tat Pflichten verletzt worden sind, die den Verband treffen.

Die Voraussetzungen des § 3 Abs 1 VbVG sind hier erfüllt, weil durch die festgestellten Verhaltensweise Pflichten der Antragsgegnerinnen verletzt wurden.

Für Straftaten eines Entscheidungsträgers ist gemäß § 3 Abs 2 VbVG der Verband verantwortlich, wenn der Entscheidungsträger als solcher die Tat rechtswidrig und schuldhaft begangen hat. Entscheidungsträger iSd VbVG ist nach dessen § 2 Abs 1, wer 1. Geschäftsführer, Vorstandsmitglied oder Prokurist ist oder aufgrund organschaftlicher oder rechtsgeschäftlicher Vertretungsmacht in vergleichbarer Weise dazu befugt ist, den Verband nach außen zu vertreten, 2. Mitglied des Aufsichtsrates oder des Verwaltungsrates ist oder sonst Kontrollbefugnisse in leitender Stellung ausübt, oder 3. sonst maßgeblichen Einfluss auf die Geschäftsführung des Verbandes ausübt.

Für Straftaten von Mitarbeitern ist gemäß § 3 Abs 3 VbVG der Verband verantwortlich, wenn

1. Mitarbeiter den Sachverhalt, der dem gesetzlichen Tatbild entspricht, rechtswidrig verwirklicht haben; der Verband ist für eine Straftat, die vorsätzliches Handeln voraussetzt, nur verantwortlich, wenn ein Mitarbeiter vorsätzlich gehandelt hat; für eine Straftat, die fahrlässiges Handeln voraussetzt, nur, wenn Mitarbeiter die nach den Umständen gebotene Sorgfalt außer Acht gelassen haben; und

2. die Begehung der Tat dadurch ermöglicht oder wesentlich erleichtert wurde, dass Entscheidungsträger die nach den Umständen gebotene und zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben, insbesondere indem sie wesentliche technische, organisatorische oder personelle Maßnahmen zur Verhinderung solcher Taten unterlassen haben.

Mitarbeiter iSd VbVG ist gemäß § 2 Abs 2 leg.cit., wer (unter anderem) aufgrund eines Arbeitsverhältnisses Arbeitsleistungen für den Verband erbringt.

Nach dem festgestellten Sachverhalt wurden die Kartellrechtsverstöße von Mitarbeitern der Antragsgegnerinnen gesetzt. Diese haben jedenfalls zumindest mit bedingtem Vorsatz (dolus eventualis) gehandelt, was sich schon daraus ergibt, dass ihnen bewusst war, dass es sich hiebei nicht um ein „Kavaliersdelikt“ handelt. Das Verschulden ist daher zu bejahen.

7.) Zur Verjährung:

Das kartellrechtswidrige Verhalten der Antragsgegnerinnen umfasste einen Zeitraum von Juli 2002 bis Oktober 2017. Von den Antragsgegnerinnen wurde kein Verjährungseinwand erhoben. Aus einem solchen wäre für sie auch nichts zu gewinnen gewesen:

§ 33 KartG idF BGBl I Nr. 176/2021 ist nach § 86 Abs 12 KartG auf Rechtsverletzungen anzuwenden, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes (10.9.2021) noch nicht verjährt sind.

Gemäß § 33 Abs 1 1. Satz KartG darf eine Geldbuße nur verhängt werden, wenn der Antrag binnen fünf Jahren ab Beendigung der Rechtsverletzung gestellt wurde. Diese Frist wird unterbrochen, sobald mindestens einem an der Rechtsverletzung beteiligten Unternehmer oder einer beteiligten Unternehmervereinigung eine auf Ermittlung oder Verfolgung der Rechtsverletzung gerichtete Handlung der Bundeswettbewerbsbehörde bekanntgegeben wird. Mit jeder Unterbrechung beginnt die Frist neu zu laufen.

Anders als Art 25 der VO 1/2003 differenziert § 33 KartG nicht zwischen einmaligen, dauernden und fortgesetzten Zuwiderhandlungen bzw Zustands- und Dauerdelikten. Nach dem Gesetzeswortlaut muss das Verhalten insgesamt beendet sein, um den Beginn der Verjährungsfrist auszulösen.

Bei den Dauerdelikten ist zwischen dauernden und fortgesetzten Zuwiderhandlungen zu unterscheiden. Eine dauernde Zuwiderhandlung besteht aus einer andauernden, eine fortgesetzte aus mehreren Handlungen, die jede für sich die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllen. Somit handelt es sich bei einer dauernden Zuwiderhandlung um ein abgrenzbares rechtswidriges Verhalten, das ohne Unterbrechung über einen längeren Zeitraum gesetzt wird. Eine fortgesetzte Zuwiderhandlung liegt demgegenüber immer dann vor, wenn eine zu einer rechtlichen Einheit zusammengefasste Vielzahl rechtswidriger aufeinander folgender Verhaltensweisen oder mehrere abgrenzbare Handlungen, die auf die Durchführung einer einzigen Zuwiderhandlung gerichtet sind, erfolgen (Traugott in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG2 § 33 Rz 6 und 7).

Der Begriff der fortgesetzten Zuwiderhandlung umfasst eine Mehrzahl von rechtswidrigen Verhaltensweisen oder von Handlungen zur Durchführung einer einzigen Zuwiderhandlung, die durch ein gemeinsames subjektives Element zu einer Einheit verbunden sind (EuGH C-235/92 P - Montecatini/Kommission).

Ein Verstoß gegen Art 101 Abs 1 AEUV und § 1 Abs 2 Z 1 und 3 KartG kann sich somit nicht nur aus einer isolierten Handlung, sondern auch aus einer Reihe von Handlungen oder einem kontinuierlichen Verhalten ergeben. Bei der Einstufung unterschiedlicher Handlungen als einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung ist zu prüfen, ob zwischen ihnen insoweit ein Komplementaritätsverhältnis besteht, als jede von ihnen eine oder mehrere Folgen des normalen Wettbewerbs beseitigen soll und durch Interaktion zur Verwirklichung sämtlicher wettbewerbswidriger Wirkungen beiträgt, die ihre Urheber im Rahmen eines auf eine einheitliche Zielsetzung gerichteten Gesamtplans anstreben. Insoweit sind alle Umstände zu berücksichtigen, die dieses Verhältnis belegen oder in Frage stellen können, wie der Anwendungszeitraum, der Inhalt einschließlich der verwendeten Methoden und im Zusammenhang damit die Zielsetzung der verschiedenen fraglichen Handlungen (EuG T-27/10 - AC-Treuhand/Kommission). Bei fortgesetzten Delikten, also solchen Verstößen, die aus mehreren Teilhandlungen bestehen, die in ihrer Begehungsweise gleichartig sind, in einem nahen zeitlichen Zusammenhang stehen und von einem Gesamtvorsatz getragen sind, beginnt die Verjährungsfrist erst mit Beendigung des letzten Teilakts zu laufen (16 Ok 2/15b, 8/15k mwN).

Nach den Feststellungen liegt hier eine einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung der Antragsgegnerinnen gegen das Kartellrecht vor, da alle Einzelverstöße auf einen einheitlichen Gesamtplan und Gesamtsystem beruhen. Da die Zuwiderhandlungen weniger als 5 Jahre vor der Einbringung des Geldbußenantrags beendet waren, ist keine Verjährung eingetreten. Auf die strafrechtliche Rechtsprechung zum fortgesetzten Delikt kommt es auf Grund der besonderen Rechtsgrundlagen im Kartellrecht nicht weiter an (16 Ok 2/15b, 8/15k mwN).

8.) Zur Rechtfertigung:

Ein Freistellungs- bzw Rechtfertigungsgrund nach § 2 Abs 1 KartG und Art 101 Abs 3 AEUV wurde nicht behauptet und ist nicht erkennbar.

9.) Zur Höhe der Geldbuße:

Gemäß § 29 Z 1 lit a und d KartG ist bei einem vorsätzlichen oder fahrlässigen Verstoß gegen § 1 KartG bzw gegen Art 101 AEUV eine Geldbuße bis zu einem Höchstbetrag von 10% des im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes zu verhängen. Darunter ist der weltweite Umsatz des jeweils am Wettbewerbsverstoß beteiligten Unternehmers zu verstehen, wobei die Berechnungsbestimmung des § 22 KartG heranzuziehen ist.

Bei der Bemessung der Geldbuße ist gemäß § 30 Abs 1 KartG insbesondere auf die Schwere und die Dauer der Rechtsverletzung, auf die durch die Rechtsverletzung erzielte Bereicherung, auf den Grad des Verschuldens und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Bedacht zu nehmen.

Ein Erschwerungsgrund ist es gemäß § 30 Abs 2 KartG insbesondere, wenn

1. das Kartellgericht gegen den Unternehmer oder die Unternehmervereinigung schon wegen einer gleichartigen oder ähnlichen Zuwiderhandlung eine Geldbuße verhängt oder eine solche Zuwiderhandlung festgestellt hat oder

2. der Unternehmer oder die Unternehmervereinigung als Urheber oder Anstifter einer von mehreren begangenen Rechtsverletzung oder an einer solchen Rechtsverletzung führend beteiligt war.

Ein Milderungsgrund ist es gemäß § 30 Abs 3 KartG insbesondere, wenn der Unternehmer oder die Unternehmervereinigung

1. an einer von mehreren begangenen Rechtsverletzung nur in untergeordneter Weise beteiligt war,

2. die Rechtsverletzung aus eigenem beendet hat,

3. wesentlich zur Aufklärung der Rechtsverletzung beigetragen hat oder

4. den aus der Rechtsverletzung entstandenen Schaden ganz oder teilweise gutgemacht hat.

Dem Erschwerungsgrund der führenden Beteiligung der Antragsgegnerinnen an der Zuwiderhandlung steht als Milderungsgrund gegenüber, dass die Antragsgegnerinnen wesentlich zur Aufklärung der Rechtsverletzung beigetragen und ein Anerkenntnis abgegeben haben.

Bei der Ermittlung der Höhe der beantragten Geldbuße ging die Antragstellerin von folgenden Überlegungen aus:

Da eine große Anzahl der betroffenen Bauvorhaben den Straßenbau betrifft, zog sie den im Jahr 2016 in diesem Geschäftsbereich in Österreich erzielten Umsatz der Antragsgegnerinnen in Höhe von rund EUR 306,1 Mio als Ausgangspunkt der Bemessung heran. Ausgehend von einem Grundbetrag, der die konkreten Merkmale der Gesamtzuwiderhandlung widerspiegle (insbesondere die Art der Zuwiderhandlung), und unter Anwendung eines Multiplikators für die Dauer der Zuwiderhandlung von 2002 bis 2017 errechnete sie einen Betrag in Höhe von EUR 112,95 Mio. In weiterer Folge berücksichtige die Antragstellerin Abschläge für die Kooperation außerhalb des Kronzeugenprogrammes sowie für die einvernehmliche Verfahrensbeendigung. Als mildernd wertete sie die Einführung eines umfassenden Compliance-Systems in Verbindung mit einem externen Monitoring, gesellschaftsrechtlichen Entflechtungen im Bereich der Asphaltmischanlagen und zusätzlichen Prüfungsschritten vor Gründung von ARGEs sowie der Einrichtung eines Compliance-Lehrganges. Unter Berücksichtigung dieser Faktoren beantragte die Antragstellerin eine Geldbuße von EUR 62,35 Mio.

Ob eine höhere als die von der Antragstellerin beantragte Geldbuße in Frage käme, ist im Hinblick darauf, dass das Kartellgericht nach § 36 Abs 2 letzter Satz KartG keine höhere Geldbuße verhängen darf als beantragt, nicht zu prüfen.

Eine niedrigere Geldbuße als die beantragte Summe, die bei einem weltweiten Umsatz des PORR-Konzerns im vorangegangenen Geschäftsjahr von EUR 4,652 Mrd rund 13,4% des Höchstbetrags nach § 29 Z 1 KartG entspricht, kommt angesichts der Schwere und Dauer des Verstoßes, die durch die Rechtsverletzung zwangsläufig erzielte Bereicherung, das vorsätzliche Handeln und die erhebliche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Antragsgegnerinnen aus spezial- und generalpräventiven Erwägungen jedenfalls nicht in Betracht.“

 


Bekannt gemacht am 25.07.2022

Änderung

Entscheidungskategorie von Z auf K geändert.
Text geändert. Alte Fassung:

 
Über die Antragsgegnerinnen wird wegen Zuwiderhandlung gegen § 1 Abs 1 KartG und Art 101 Abs 1 AEUV, nämlich wegen einheitlicher und fortgesetzter kartellrechtswidriger Preisabsprachen, Marktaufteilungen und Informationsaustausch mit Mitbewerbern in Bezug auf öffentliche und private Ausschreibungen im Bereich Hoch- und Tiefbau in Österreich im Zeitraum von Juli 2002 bis Oktober 2017, gemäß § 29 Z 1 lit a und d KartG eine Geldbuße von EUR 62,35 Mio verhängt.

Begründung:

Vorbringen:

Die Antragstellerin beantragte zuletzt – nachdem im verfahrenseinleitenden Antrag eine Geldbuße in angemessener Höhe begehrt worden war - die Verhängung einer Geldbuße gemäß § 29 Z 1 lit a und d KartG in Höhe von EUR 62,35 Mio über die Antragsgegnerinnen.

Zusammengefasst wurde vorgebracht, die Antragsgegnerinnen hätten sich jahrzehntelang nahezu im gesamten österreichischen Bundesgebiet an einheitlichen und fortgesetzten kartellrechtswidrigen Vereinbarungen sowie aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Zusammenhang mit Bauvorhaben im Hoch- und Tiefbau beteiligt, wobei beinahe sämtliche Sparten der Bauwirtschaft im Bereich Hoch- und Tiefbau betroffen seien. Die an dieser Gesamtzuwiderhandlung beteiligten Unternehmen hätten jahrelang und systematisch den Wettbewerb in der Bauwirtschaft ausgeschaltet und sich gegenseitig in einem kontinuierlichen System kartellrechtswidriger bi- und multilateraler Kontakte zu Aufträgen verholfen, ohne befürchten zu müssen, von einem günstigeren Angebot unterboten zu werden. Dabei hätten sie das gemeinsame Ziel verfolgt, den Wettbewerb bei Ausschreibungen zu minimieren oder auszuschließen, um sich unter anderem Marktanteile zu sichern. Das etablierte System und die Selbstverständlichkeit, mit der es zu den wettbewerbsbeschränkenden Handlungen gekommen sei, weise einen hohen Unrechtsgehalt auf, zumal Ausschreibungen gerade dem Zweck dienten, faire und transparente Wettbewerbsbedingungen zu schaffen. Die zahlreichen Preisabsprachen und Aufteilungen von Bauvorhaben hätten den Wettbewerb in der Bauwirtschaft – zum Schaden der öffentlichen und privaten Hand - grundlegend verfälscht und das zentrale Ziel, Auftraggebern eine unabhängige und unbeeinflusste Wahl zu ermöglichen, vereitelt.

Die Zuwiderhandlung habe Preisabsprachen, Marktaufteilungen oder den Austausch wettbewerbssensibler Informationen, wie etwa Abstimmungen über zukünftiges Verhalten bei Angebotsabgaben, und teilweise die Bildung kartellrechtswidriger ARGE und BIEGE umfasst. Die Umsetzungshandlungen seien an die regionalen Gegebenheiten und die betroffene Bausparte angepasst worden, hätten aber alle das oa gemeinsame Ziel gehabt. Es sei zu regelmäßigen oder anlassbezogenen Gesprächsrunden, zu bilateralen Kontaktaufnahmen per Telefon, E-Mail oder Fax und dem Versenden von Deckangeboten gekommen. Dabei seien die beteiligten Unternehmen etwa überein gekommen, welche Angebotssumme der designierte Auftragsempfänger anbiete; die restlichen Kartellmitglieder hätten bewusst auf die Abgabe wettbewerbsfähiger Angebote verzichtet, indem sie entweder kein Angebot oder ein bewusst überhöhtes Angebot („Deckangebot“) abgegeben hätten (sog. „Zurückstehen“). Oftmals habe der Initiator der Preisabsprache den zurückstehenden Wettbewerbern eine Angebotssumme – regelmäßig auch in Form der Übermittlung eines fertigen Deckangebotes oder eines vorgefertigten Leistungsverzeichnisses („Fahne“) - vorgegeben. Dieses Verhalten habe auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit beruht, in der Erwartung, dass der Zurückstehende bei späteren Aufträgen selbst durch entsprechendes Verhalten der anderen Bauunternehmen zum Auftrag gelange und so im Ergebnis alle beteiligten Unternehmen davon profitierten. Das Prinzip sei zum Teil durch Vereinbarung von Ausgleichszahlungen oder andere Ausgleichsleistungen verstärkt worden. Es seien sensible Information, etwa über das zukünftige Verhalten bei Angebotsabgaben, ausgetauscht worden. Dieses im Zeitraum von zumindest Juli 2002 bis Oktober 2017 gewachsene, allgemein etablierte Kollusionssystem, wonach man sich über das jeweilige Angebots- und Marktverhalten abstimmen und informieren habe können, um in weiterer Folge das eigene Marktverhalten anzupassen, sei durch die Mitarbeiter der beteiligten Unternehmen von ihren jeweiligen Vorgängern übernommen worden. Neu eintretende Mitarbeiter seien in das bestehende „System“ eingeführt und ihnen seien die Spielregeln erklärt worden.

An der Zuwiderhandlung seien über 40 Bauunternehmen in unterschiedlichem Ausmaß beteiligt gewesen, wobei die Antragsgegnerinnen neben neun weiteren Bauunternehmen als Hauptbeteiligte zu qualifizieren seien. Die Antragsgegnerinnen seien - in ganz erheblichem Ausmaß - österreichweit unmittelbar an kartellrechtswidrigen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen beteiligt gewesen und hätten die Umstände der Gesamtzuwiderhandlung und deren Umsetzung maßgeblich mitgeprägt.

Nachdem 2017 Hausdurchsuchungen auch bei den Antragsgegnerinnen durchgeführt worden seien, hätten diese in der Folge Stellungnahmen abgegeben, es habe zeitweilig Kooperationsbestrebungen gegeben. Am 27.3.2020 sei den Antragsgegnerinnen die Mitteilung der Beschwerdepunkte nach § 13 Abs 1 WettbG einschließlich der Beilagen übermittelt worden. In ihrer Äußerung hätten die Antragsgegnerinnen einzelne Sachverhalte bestritten und viele unkommentiert gelassen, die rechtliche Einordnung als einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung sei abgelehnt worden. Nach Einleitung des Geldbußenverfahrens hätten die Antragsgegnerinnen weitere Stellungnahmen zur Aufklärung des Sachverhalts eingebracht und im Juni 2021 Gespräche mit der Antragstellerin im Sinne einer einvernehmlichen Verfahrensbeendigung initiiert. Es seien insgesamt zwölf eidesstättige Erklärungen von Mitarbeitern der Antragsgegnerinnen, die für weitere Ermittlungen verwendet werden könnten, abgegeben worden. Letztlich hätten die Antragsgegnerinnen am 29.9.2021, korrigiert am 11.10.2021 und ergänzt am 19.11.2021, ein umfassendes Anerkenntnis abgegeben, in dem sie den von der Antrag­stellerin vorgebrachten Sachverhalt außer Streit gestellt und die in Aussicht gestellte Geldbuße akzeptiert hätten. Auch die rechtliche Qualifikation als einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung sei anerkannt worden. Dazu hätten die Antragsgegnerinnen eine Liste mit 1362 Bauvorhaben, die explizit als von kartellrechtswidrigen Absprachen unter Beteiligung der Antragsgegnerinnen betroffen anerkannt und die den gesamten antragsgegenständlichen Zeitraum abdecken würden, vorgelegt. Weiters seien Unterlagen, die die umgesetzten Compliance Maßnahmen der Porr Group belegten, vorgelegt worden. Die eidesstättigen Erklärungen und teilweise die Berichte zu einzelnen Sachverhaltskomplexen hätten – wenn auch außerhalb des Kronzeugenprogrammes – insgesamt zur Aufklärung des Sachverhaltes beigetragen.

In rechtlicher Hinsicht sei davon auszugehen, dass die Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen Einschränkungen des Wettbewerbs iSd § 1 Abs 1 KartG und Art 101 Abs 1 AEUV bezweckt hätten und damit eine Kernbeschränkung darstellten. Der Begriff „Vereinbarung“ laut § 1 KartG und Art 101 AEUV sei weit auszulegen. Die Zwischenstaatlichkeit sei zu bejahen, da sich die Gesamtzuwiderhandlung auf das gesamte österreichische Bundesgebiet erstreckt habe und betroffene Projekte regelmäßig EU-weit bekannt gemacht und ausgeschrieben worden seien. Damit sei neben innerstaatlichem Recht auch Unionsrecht anzuwenden. Die getroffenen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen seien als einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung zu qualifizieren, da im Rahmen eines Gesamtplans eine Vielzahl rechtswidriger aufeinanderfolgender Verhaltensweisen gesetzt worden seien und die beteiligten Unternehmen – in der überwiegenden Mehrzahl seien dieselben Unternehmen involviert gewesen - ein gemeinsames kartellrechtswidriges Ziel – nämlich durch bi- und multilaterale Kontakte das Risiko des Wettbewerbs zu minimieren oder auszuschließen, um sich gegenseitig zu Erteilung von Aufträgen zu verhelfen und sich so Marktanteile zu sichern – hätten erreichen wollen. Die Antragsgegnerinnen seien an weiten Teilen der Gesamtzuwiderhandlung führend beteiligt gewesen und hätten die Umstände wesentlich mitgeprägt. Am Verschulden der beteiligten Unternehmen könne insoweit kein Zweifel bestehen; dies umso mehr, als derartige Verhaltensweisen auch von strafrechtlicher Relevanz sein könnten (§ 168b StGB). Die beteiligten natürlichen Personen seien vertretungsbefugt gewesen. Sämtliche Antragsgegnerinnen würden im Sinne einer wirtschaftlichen Einheit als Hauptbeteiligte an der Gesamtzuwiderhandlung für diese im Gesamten haften.

Für die Bemessung der Geldbuße sei der im Jahr 2016 in Österreich erzielte Umsatz der Antragsgegnerinnen im Geschäftsbereich Straßenbau, welcher eine große Anzahl der Bauvorhaben betreffe, in Höhe von rund EUR 306,1 Mio als Ausgangspunkt geeignet. Ausgehend von einem Grundbetrag, der die konkreten Merkmale der Gesamtzuwiderhandlung widerspiegle, und unter Anwendung eines Multiplikators für die Dauer der Zuwiderhandlung von 2002 bis 2017 ergebe sich ein Betrag von EUR 112,95 Mio. Sodann habe die Antragstellerin Abzüge für die Kooperation der Antragsgegnerinnen außerhalb des Kronzeugenprogrammes (wobei naturgemäß ein geringerer Abschlag zu gewähren sei) sowie für die einvernehmliche Verfahrensbeendigung und das in diesem Zusammenhang abgegebene umfassende Anerkenntnis berücksichtigt. Ebenfalls mildernd hätten sich die Einführung eines umfassenden Compliance-Systems in Kombination mit externem Monitoring, gesellschaftsrechtlichen Entflechtungen im Bereich der Asphaltmischanlagen sowie zusätzlichen internen Prüfungsschritten vor Gründung von ARGEs und der Einrichtung eines Compliance-Lehrgangs ausgewirkt. Unter Berücksichtigung dieser Faktoren werde eine Geldbuße von EUR 62,35 Mio beantragt, die aus general- und spezialpräventiven Erwägungen als ausreichend eingeschätzt werde.

Der Bundeskartellanwalt schloss sich dem Antrag und dem Vorbringen der Antragstellerin an. Verwiesen wurde auf das öffentliche Interesse betreffend das mehr als zehn Jahre dauernde und das gesamte Bundesgebiet erfassende Baukartell und darauf, dass die Antragstellerin ein schlüssiges, von überaus überzeugenden Beweisen unterlegtes Tatsachenvorbringen erstattet habe.

Dazu wurden die rechtlichen Grundlagen dargestellt und insbesondere ausgeführt, dass die Entscheidungspraxis der Organe der Europäischen Union auch zur Auslegung des innerstaatlichen Kartellbegriffs heranzuziehen sei. Bei Anwendung der Maßstäbe der Gerichte der Europäischen Union an das Beweismaß würden die vorgelegten Beweise deutlich höhere als die von der Rechtsprechung geforderte Beweiskraft zeigen. Die vorliegenden langjährigen Verletzungen des Kartellrechts würden als einheitliche, komplexe und fortgesetzte Zuwiderhandlung bezeichnet. Eine solche sei den Antragsgegnerinnen – in Form von Preisabsprachen, Marktaufteilungen und Informationsaustausch mit Wettbewerbern in Bezug auf Ausschreibungen im Bereich Hoch- und Tiefbau und bezogen auf das gesamte Bundesgebiet - zur Last zu legen. Das zentrale Tatbestandsmerkmal des einheitlichen wirtschaftlichen Ziels, den Wettbewerb zu verfälschen, sei erfüllt. Die Verjährung einer einheitlichen, komplexen und fortgesetzten Zuwiderhandlung beginne erst ab der Beendigung der letzten Handlung.

Die Antragsgegnerinnen bestritten das Tatsachenvorbringen der Antragstellerin nicht und stellten es außer Streit. Sie akzeptierten die von der Antragstellerin vorgenommene Geldbußenbemessung als angemessen.

Ein ergänzendes Vorbringen erstatteten sie nur insoweit, als auf die von ihnen vorgenommenen Schritte zur Erreichung einer einvernehmlichen Verfahrensbeendigung, um ua den Verfahrensaufwand zu reduzieren und damit einen raschen und effizienten Abschluss des Verfahrens zu ermöglichen, verwiesen wurde. In diesem Sinne hätten sie insbesondere das Vorliegen eines Kartellrechtsverstoßes außer Streit gestellt und eidesstättige Erklärungen sowie Berichte zu einzelnen Sachverhaltskomplexen nachgereicht. Sie hätten das vorgelegte Anerkenntnis abgegeben.

Das von der Antragstellerin vorgetragene Ziel der in Rede stehenden Absprachen ergänzten sie, indem sie vorbrachten, dass die Absprachen – zumindest teilweise – auch schlicht die bessere Planbarkeit und Verteilung der Kapazitäten zwischen den beteiligten Unternehmen zum Ziel gehabt hätten.

Feststellungen:

Auf Grund der Urkunden Beilagen ./A - ./P12 und der Außerstreitstellungen steht folgender Sachverhalt fest:

1. Antragsgegnerinnen

Die Erstantragsgegnerin ist eine zu FN 34853f im Firmenbuch eingetragene Aktiengesellschaft mit Sitz in 1100 Wien. Ihre Anteile sind im Eigentum eines Syndikats (IGO Ortner/Strauss Gruppe, 53,7%), in Streubesitz (32,13%), der Heitkamp Construction GmbH (5,85%), der Wellington Management Group LLP, USA (4,96%) sowie des PORR-Managements und im firmeneigenen Aktienbesitz (3,36%). Die als internationaler Konzern agierende PORR Group bietet als Full-Service-Provider in der Bauwirtschaft alle Leistungen von Hoch- über Tiefbau bis zu Infrastrukturbau und Umwelttechnik an. Sie ist eines der größten Bauunternehmen in Österreich und zählt auch zu den führenden Anbietern in Europa. In Österreich besteht die PORR Group aus der Erstantragsgegnerin und ihren von ihr kontrollierten Tochterunternehmen. Der Konzern erwirtschaftete im Geschäftsjahr 2020 einen weltweiten Ist-Umsatz von EUR 4,652 Mrd und – laut vorliegender Hochrechnung – im Geschäftsjahr 2021 einen Umsatz von rund xxx.

Die Zweitantragsgegnerin, FN 34160k, steht zu 52,4% im Eigentum der Erstantragsgegnerin und zu 47,5% im Eigentum der PORR Bauindustrie GmbH, die wiederum eine 100%ige Tochtergesellschaft der Erstantragsgegnerin ist. Die Zweitantragsgegnerin ist die operative Einheit der Erstantragsgegnerin und bearbeitet Großprojekte in Österreich und im Ausland. Sie ist im Hoch-, Tief- und im Infrastrukturbau (Straßenbau, Tunnelbau, Leitungsbau, Bahnbau etc) tätig.

Die Drittantragsgegnerin, FN 118596g, wurde mit Hauptversammlungsbeschluss vom 29.6.2018 von einer Aktiengesellschaft in eine GmbH umgewandelt. 52,4% der Anteile sind im Eigentum der Erstantragsgegnerin, 47,5% sind im Eigentum der PORR Bauindustrie GmbH. Die Dritt­antragsgegnerin ist im Baumeister-, Straßenbauer, Asphaltierer- und Pflasterergewerbe tätig.

Die Erstantragsgegnerin ist seit 2012 (direkte und indirekte) Alleineigentümerin der Drittantragsgegnerin und veranlasste 2016 eine Zusammenführung mit der Zweitantragsgegnerin. Seither tritt die Drittantragsgegnerin als PORR Bau GmbH (= Zweitantragsgegnerin) mit dem Spartenzusatz „Tiefbau“ auf. Nach eigenen Angaben ist sie führende Anbieterin im heimischen Straßenbau und bietet ua Erd- und Abbrucharbeiten, Asphaltierungen, Lärmschutzmaßnahmen und Bodenmarkierungen an. Außerdem ist sie im Brücken-, Ingenieur- und Leitungsbau tätig.

Die Viertantragsgegnerin, FN 424061w, mit Sitz in 7551 Stegersbach steht im Alleineigentum der Drittantragsgegnerin. Sie ist im Geschäftszweig des Hochbaus tätig. Laut aktuellen Unternehmensangaben tritt sie unter „Teerag-Asdag powered by Porr“ auf.

Die Fünftantragsgegnerin, FN 439587b, ist eine 100%ige Tochtergesellschaft der Erstantragsgegnerin. Sie ist vor allem im Wohnungs- und Siedlungsbau tätig.

Die Sechstantragsgegnerin, FN 437199s, hat ihren Sitz in 5020 Salzburg. Ihre Anteile stehen zu 99,994% im Eigentum der Hinteregger Holding Gesellschaft m.b.H., welche wiederum im 100%igen Eigentum der Erstantragsgegnerin steht. Die Sechstantragsgegnerin steht seit 2017 im direkten oder indirekten Eigentum der Erstantragsgegnerin. In den Sparten Tunnelbau und Bahnbau bleibt die Sechstantragsgegnerin weiterhin im eigenen Namen aktiv, alle anderen Einheiten wurden in die Zweitantragsgegnerin integriert und treten unter dem Namen „Porr Bau“ auf. Der Stahlschalungsbau wird wie bisher von der Fehberger Stahlbau GmbH angeboten, welche im indirekten Eigentum der Erstantragsgegnerin steht.

Die im verfahrenseinleitenden Antrag als Siebtantragsgegnerin in Anspruch genommene Allgemeine Straßenbau GmbH, pA 1100 Wien, Absberggasse 47, FN 83464t, wurde per 30.9.2021 mit der Zweitantragsgegnerin verschmolzen und aus dem Firmenbuch gelöscht (siehe Beilage ./N12). Ihr kann demnach keine Parteienstellung mehr zukommen.

2. Ermittlungsverfahren

Nach Hausdurchsuchungen der Antragstellerin gemäß § 12 Abs 1 WettbG im Frühjahr 2017 sowie der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft bei den Antragsgegnerinnen kam es zunächst zu Besprechungen und Stellungnahmen der Antragsgegnerinnen, welche auch Kooperationsbestrebungen zeigte. Eine Teilnahme am Kronzeugenprogramm erfolgte aber nicht. Nach Einbringung des vorliegenden Geldbußenantrags fanden weitere Verhandlungen zwischen den Parteien statt.

Am 29.9.2021, korrigiert am 11.20.2021 und ergänzt am 19.11.2021, gaben die Antragsgegnerinnen schließlich ein umfassendes Anerkenntnis ab, in dem sie den von der Antragstellerin vorgebrachten Sachverhalt im Wesentlichen außer Streit stellten und die Rechtsauffassung, wonach die Absprachen als Gesamtzuwiderhandlung zu qualifizieren sei und der Sachverhalt die Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs 1 KartG und Art 101 Abs 1 AEUV erfülle, sowie die in Aussicht gestellte Geldbuße akzeptierten. Dazu legten die Antragsgegnerinnen eine Liste mit 1362 näher definierten Bauvorhaben vor, bei denen sie an kartellrechtswidrigen Absprachen beteiligt waren. Die Liste deckt den gesamten Zeitraum von 2002 bis 2017 ab. Zuvor hatten die Antragsgegnerinnen zwölf eidesstättige Erklärungen von Mitarbeitern abgegeben; dazu gab es weitere Berichte zu einzelnen Sachverhaltskomplexen. Diese Kooperation mit den Wettbewerbsbehörden trug insgesamt zur Aufklärung des Sachverhalts bei.

3. Zuwiderhandlung allgemein

Die Zuwiderhandlung betraf den Wirtschaftszweig der Bauwirtschaft bzw das Baugewerbe, wobei nahezu sämtliche Sparten im Bereich Hoch- und Tiefbau, insbesondere der Bereich Straßenbau, umfasst waren. Es handelt sich um ein das gesamte österreichische Bundesgebiet und eine sehr hohe Anzahl an Bauvorhaben betreffendes Kartell, an dem über 40 Bauunternehmen in unterschiedlichem Ausmaß beteiligt waren. Der Grad der Beteiligung variierte je nach Region und Art des Bauvorhabens, wobei jedes einzelne Unternehmen zur Aufrechterhaltung und Funktionsfähigkeit der Gesamtzuwiderhandlung beitrug. Die Antragsgegnerinnen und neun weitere Bauunternehmen waren Hauptbeteiligte an der Zuwiderhandlung, 44 weitere Bauunternehmen nahmen (aus derzeitiger Sicht) mit geringerer Intensität teil. Die Antragsgegnerinnen waren im Zeitraum von Juli 2002 bis Oktober 2017 in erheblichem Ausmaß beteiligt.

Im Rahmen des Kartells wurde zwischen den beteiligten Unternehmen Absprachen getroffen mit dem Zweck, den Wettbewerb zu minimieren oder auszuschließen, um sich gegenseitig zur Erteilung von Aufträgen zu verhelfen und so Marktanteile zu sichern. Um dieses gemeinsame Ziel zu erreichen, kam es zu Preisabsprachen, Marktaufteilungen, den Austausch wettbewerbssensibler Informationen, wie etwa Abstimmungen über zukünftiges Verhalten bei Angebotsabgaben, sowie teilweise zur Bildung kartellrechtswidriger Arbeitsgemeinschaften und Bietergemeinschaften.

Die Umsetzung wurde an die regionalen Gegebenheiten und die betroffene Bausparte angepasst. Die Umsetzungshandlungen umfassten insbesondere bi- und multilaterale Kontakte in Form von regelmäßigen oder anlassbezogenen Gesprächsrunden, Kontaktaufnahmen per Telefon, E-Mail oder Fax und dem Versenden von Deckangeboten. Hiebei übermittelte jenes Unternehmen, das in Übereinstimmung mit den weiteren beteiligten Unternehmen zum Zug kommen sollte, fertige höhere Leistungsverzeichnisse oder vorausgefüllte Angebotsunterlagen in Form von Deckangeboten an die Mitbewerber. Es wurde vereinbart, dass die zurückstehenden Mitbewerber ein Angebot abgeben, das über dem gemeinsam festgelegten Abgabepreis des designierten Auftragsempfängers liegt. Alternativ gaben zurückstehende Mitbewerber gar kein Angebot ab. Diese Handlungen basierten auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit in der Erwartung, dass das oder die zurückstehenden Unternehmen bei späteren Aufträgen selbst durch entsprechendes Verhalten der anderen an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen zum Auftrag gelangen würden. Im Ergebnis konnten somit alle beteiligten Unternehmen vom mangelnden Wettbewerb profitieren. Dieses Prinzip wurde zum Teil durch die Vereinbarung von Ausgleichszahlungen oder anderen Ausgleichsleistungen verstärkt.

So entstand ein österreichweites gewachsenes, allgemein etabliertes Kollusionssystem, mit dem sich die Unternehmen über das jeweilige Angebots- und Marktverhalten abstimmten und informierten, um in weiterer Folge das eigene Marktverhalten daran anzupassen. Auf diesem Weg verhalfen sich die beteiligten Bauunternehmen gegenseitig zu Aufträgen, ohne befürchten zu müssen oder zumindest nur in geringerem Ausmaß befürchten zu müssen, von einem günstigeren Angebot im Wettbewerb unterboten zu werden.

Mitarbeiter beteiligter Unternehmen übernahmen dieses System von ihren jeweiligen Vorgängern, neu eintretende Mitarbeiter wurden in das bestehende System in Besprechungen eingeführt und ihnen die Spielregeln erklärt (Beilagen xxx).

4. Zuwiderhandlung im Detail

Konkret waren die Antragsgegnerinnen an folgenden Zuwiderhandlungen beteiligt:

a) Preisabsprachen:

Zwischen den beteiligten Unternehmen wurden die in Ausschreibungen abzugebenden Preise vereinbart oder abgestimmt. Es wurde auch besprochen, dass ein Mitbewerber überhaupt kein Angebot legen wird. So kamen die beteiligten Unternehmen überein, zu welcher Angebotssumme der designierte Auftragsempfänger anbietet. Die restlichen beteiligten Unternehmen boten in der Folge entweder zu einem höheren Preis oder gar nicht an. (Beilagen xxx).

b) Deckangebote:

Die Übermittlung von Deckangeboten spielte bei der Umsetzung von Preisabsprachen eine wichtige Rolle. Sie zielte darauf ab, die Auftragserteilung an einen zuvor bestimmten Mitbewerber so weit wie möglich zu gewährleisten und so das Risiko des Wettbewerbs zu minimieren oder auszuschließen. Jenes Bauunternehmen, das in Übereinstimmung mit den weiteren beteiligten Unternehmen zum Zug kommen sollte, übermittelte fertige höhere Leistungsverzeichnisse bzw vorausgefüllte Angebotsunterlagen (als „Deckangebote“, „Fahne“, „Ente“ oder „0-Lauf“ bezeichnet). Dadurch reduzierte sich bei den beteiligten Unternehmen der zeitliche und finanzielle Aufwand für die Angebotserstellung. Der zuvor gemeinsam designierte Auftragsempfänger kalkulierte die Angebotspreise der zurückstehenden Mitbewerber höher und übermittelte diese in Form eines Datenträgers per E-Mail/Fax oder auch persönlich. Die zurückstehenden Mitbewerber gaben sodann diese Deckangebote zum Schein als von ihnen selbst kalkulierte Angebote ab (Beilagen xx, ./J, ./II, ./JJ, ./KK, ./LL, ./MM, ./NN).

In handschriftlichen Aufzeichnungen wurde immer wieder ein Fahnensymbol oder das Wort „Fahne“ als Kennzeichen für die Übermittlung eines Deckangebots verwendet. Dadurch wussten die handelnden Personen unmittelbar, worum es ging (Beilagen ./OO und ./PP). In handschriftlichen Aufzeichnungen ist auch ersichtlich, welche (anderen) Kartellmitglieder Deckangebote erhalten haben (Beilage ./QQ). Bei der Übermittlung von Deckangeboten per E-Mail wurde der Text in aller Regel kurz gehalten, gelegentlich wurde ein unverfänglicher Text verwendet (Beilagen ./RR, ./SS, ./TT, ./UU).

c) Marktaufteilungen:

Zwischen den beteiligten Unternehmen wurde auch die Aufteilung von Märkten besprochen. In zahlreichen Fällen einigten sie sich im Vorhinein, welches Unternehmen den jeweiligen Auftrag erhalten soll. Die übrigen Unternehmen gaben im nachfolgenden Ausschreibungsverfahren der Absprache entsprechende oder keine Angebote ab. Zuweilen erfolgte auch eine Aufteilung der Bauvorhaben auf der Grundlage von Quoten (sog „fixer Schlüssel“), die den (historischen) Marktanteilen der jeweiligen beteiligten Unternehmen entsprachen. Neben solchen Kundenaufteilungen kam es auch zu Aufteilungen von Gebieten. So herrschte in manchen Regionen Einigkeit darüber, welches Bauunternehmen für Ausschreibungen in welchem Gebiet zuständig war. Die anderen beteiligten Unternehmen standen bei diesen Ausschreibungen zurück (Beilagen xxx, ./J, ./K, xxx ./N, ./P).

d) Austausch von wettbewerbssensiblen Informationen:

Begleitend kam es zu einem laufenden Austausch wettbewerbssensibler Informationen, wie etwa über das zukünftige Verhalten bei Angebotsabgaben für Bauvorhaben. So wurde zwischen den Unternehmen das jeweilige Interesse an einzelnen Bauvorhaben „abgeklopft“, also ob jemand überhaupt Interesse an den entsprechenden Vorhaben hat oder plant, ein Angebot abzugeben (Beilagen xxx).

e) Kartellrechtswidrige ARGEs:

Teilweise wurden Arbeitsgemeinschaften als Deckmantel für kartellrechtswidrige Handlungen genutzt. So wurden ARGEs gegründet, die für die Bauunternehmen objektiv nicht notwendig waren, um an der jeweiligen Ausschreibung teilnehmen zu können, sondern nur als Schnittstelle für die Festsetzung eines gemeinsamen Angebotspreises und die Aufteilung des Auftrags dienten (Beilagen xxx, ./V, ./W, ./X). Einzelne Bauunternehmen beteiligten sich an einer derartigen ARGE auch als stille Partner. In diesem Fall traten nicht alle ARGE-Partner als solche nach außen und gegenüber dem Auftraggeber in Erscheinung, waren aber im Innenverhältnis Beteiligte der ARGE. Dies diente insbesondere dazu, die Vorgaben des Auftraggebers in Bezug auf die Höchstzahl der zugelassenen ARGE-Partner zu umgehen (Beilagen xxx, ./Z, ./AA, ./BB).

f) Gesprächsrunden:

Abhängig vom Zeitpunkt der Ausschreibungen wurden je nach Bedarf ein- oder mehrmals im Jahr Gesprächsrunden zwischen den an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen organisiert. Diese fanden zumeist in einer der Niederlassungen der an den Absprachen beteiligten Unternehmen statt. Im Rahmen der Gesprächsrunden wurden das Unternehmen, das den Auftrag für ein bestimmtes Bauvorhaben erhalten sollte, und dessen Abgabepreis festgelegt. Zudem wurde vereinbart, dass die zurückstehenden Mitbewerber ein Angebot abgeben, das über dem gemeinsam festgelegten Abgabepreis des designierten Auftragsempfängers liegt. Zum Teil wurden auch die Abgabepreise der zurückstehenden Mitbewerber vom designierten Auftragsempfänger vorgegeben (sog „Preisvorgabe“) (Beilagen xx, ./N, xxx, ./FF).

g) Bilaterale Kontakte:

Sowohl telefonisch als auch persönlich stattfindende bilaterale Gespräche zu wettbewerbssensiblen Themen wurden ergänzend zu den oben genannten größeren Gesprächsrunden, aber auch unabhängig davon geführt. Bilaterale persönliche Treffen fanden in Räumlichkeiten der Niederlassungen der beteiligten Unternehmen oder außerhalb dieser (zB auf Autobahnraststationen, Tankstellen, in Lokalen oder auf Baustellen) statt. Die kartellrechtswidrigen bilateralen Kontakte unter Mitbewerbern wurden ua dazu genutzt, sich über die Interessenlage hinsichtlich bestimmter Bauvorhaben zu informieren, konkrete Vorgangsweisen zu vereinbaren oder sich über zukünftiges Verhalten bei der Angebotsabgabe auszutauschen. Dabei trat man insbesondere mit jenen Mitbewerbern in Kontakt, die man bereits aus den Gesprächsrunden, von früheren kartellrechtswidrigen Kontakten, von ARGEs oder privat kannte. Oft kam es zu solchen bilateralen Kontakten auch am Rande von notwendigen Kontakten bei laufenden ARGE oder sonstigen Kooperationen wie zB Asphaltmischwerken, aber auch am Rande von Veranstaltungen der Bauwirtschaft.

Nach einer bilateralen Vereinbarung wurden zum Teil auch weitere Mitbewerber kontaktiert und ebenso miteinbezogen, indem diese etwa zum Zurückstehen bei einer bestimmten Ausschreibung aufgefordert wurden (Beilagen xxx, ./KK).

h) Kontakte im Rahmen der Zusammenarbeit in Asphaltmischwerken:

Asphaltmischwerke spielen auf Grund ihrer Zulieferfunktion eine zentrale Rolle im Straßenbau. Kartellrechtswidrige Handlungen, die den Straßenbau betrafen, erfolgten daher auch im Rahmen der Zusammenarbeit von Mitbewerbern in Asphaltmischwerken, die oft als Gemeinschaftsanlagen geführt werden. Zudem waren zahlreiche Bauunternehmen, die eigene Mischanlagen (sog „Eigenanlagen“) betrieben, an kartellrechtswidrigen Handlungen beteiligt.

In der Regel einigten sich die an den wettbewerbsbeschränkenden Handlungen beteiligten Unternehmen entsprechend des in Prozent festgelegten Marktanteils am Mischgutverbrauch (angegeben in Mischguttonnen) darüber, welcher Mitbewerber für welche Bauvorhaben die Auftragserteilung erhalten sollte. Wurde der jeweilige Schlüssel am Jahresende über- oder unterschritten, wurde die Differenz in das nächste Jahr vorgetragen. Diese Aufteilung erfolgte zumeist nach Mischguttonnen, in seltenen Fällen auch nach der Anzahl der Projekte oder nach dem Umsatzvolumen auf dem jeweiligen Straßenbaumarkt.

Die beteiligten Unternehmen legten auch den Preis für Mischgut anhand eines sog „Mittelpreises“, der sich am Vorjahrespreis orientierte, fest. Das Unternehmen, das den Auftrag erhalten sollte, bestimmte dann eine Angebotssumme. Die zurückstehenden Unternehmen gaben hingegen Angebote mit höheren Preisen oder keine Angebote ab (Beilagen xx, ./J, ./WW, ./XX, ./YY, ./B3, ./C3, ./D3, ./JJ).

i) Kontakte mittels E-Mail, Telefon und Fax:

In einer Reihe von Fällen kam es mittels E-Mail, Telefon und/oder Fax zum Austausch von wettbewerbssensiblen Informationen oder auch zu Preisabsprachen und Marktaufteilungen. Diese erfolgten sowohl ergänzend zu den Gesprächsrunden und kartellrechtswidrigen bilateralen Kontakten als auch unabhängig davon. Zumeist wurde auf einen schriftlichen Austausch verzichtet. Kontakte per E-Mail wurden primär aus Praktikabilitätsgründen für das Versenden von Deckangeboten genutzt (Beilage xx). Es wurden auch verschlüsselte Formulierungen verwendet, etwa wurde die als Deckangebot abzugebende Summe als „Haus Nr“ oder als „Kilometer inkl Mautkosten“ bezeichnet (Beilage ./N). Den unmittelbar an den Zuwiderhandlungen beteiligten Mitarbeitern war – zumindest zum Teil - bewusst, dass es sich nicht um ein „Kavaliersdelikt“ handelt. Aufzeichnungen sowie E-Mails wurden daher bewusst vermieden oder nach Abschluss der abgesprochenen Bauvorhaben vernichtet. Aufgrund der Dauer und Intensität der kartellrechtswidrigen Handlungen war es für die beteiligten Unternehmen jedoch organisatorisch nicht möglich, auf jegliche Form von Aufzeichnungen zu verzichten (Beilagen xxx, ./KK, ./E3, xx).

j) Bieterrotation und „Schutzmechanismen“:

Ein Instrument zur Aufteilung von Bauaufträgen war die Organisation mittels Bieterrotation. Dabei kamen die beteiligten Unternehmen überein, dass sie hinsichtlich bestimmter Bauvorhaben wechselseitig zum Zug kommen und sich dabei gegenseitig durch die Abgabe höherer Deckangebote oder den gänzlichen Verzicht auf eine Angebotslegung unterstützen. Bieterrotationen kamen dabei auch im Sinne eines von den beteiligten Unternehmen so bezeichneten „Kampfschutzes“ oder „Vollschutzes“ zur Anwendung.

- Im Fall eines „Vollschutzes“ wurden alle für eine Ausschreibung relevanten Mitbewerber in die Kartellabsprache eingebunden. Die beteiligten Unternehmen können davon ausgehen, dass keine anderen (nicht an der Kartellabsprache beteiligten) Unternehmen ein Angebot legen werden. Der Wettbewerb wird im Rahmen des „Vollschutzes“ gänzlich ausgeschlossen und bietet daher eine sehr hohe Sicherheit für die Umsetzung des gewünschten Ergebnisses.

- Im Fall eines „Kampfschutzes“ wurde nur ein Teil der für eine Ausschreibung relevanten Mitbewerber (zB fünf von insgesamt zehn) in die Kartellabsprache eingebunden. Diese Gruppe einigte sich auf einen designierten Auftragsempfänger und bot folglich so an, dass sich ihre Mitglieder nicht gegenseitig unterboten. Im Unterschied zum „Vollschutz“ nehmen auch Unternehmen außerhalb der am „Kampfschutz“ beteiligten Gruppe an der Ausschreibung teil. Dennoch wurde das Risiko des Wettbewerbs im Rahmen des „Kampfschutzes“ erheblich minimiert (Beilagen xxx, ./II, ./G3, ./H3, ./I3 ./J3).

k) Interne Submission:

Im Vorfeld von Angebotsabgaben kam es in einigen Fällen auch zu sog „internen Angebotsöffnungen“ (auch „interne Submissionen“ genannt), bei denen die Mitbewerber vor der offiziellen Angebotsabgabe ihre Kalkulationsgrundlagen untereinander offenlegten. Das Unternehmen mit dem niedrigsten Wert erhielt den internen „Zuschlag“, die anderen standen zurück. Dieses Vorgehen diente als Mittel der Entscheidungsfindung, welches der beteiligten Unternehmen den Auftrag bei der tatsächlichen Ausschreibung erhalten soll (Beilagen xx, ./J, xxx, ./JJ, ./K3, ./L3, xx).

l) Fixer Schlüssel:

Für die Aufteilung von Aufträgen wurde auch ein sog „fixer Schlüssel“, dh eine Quote vereinbart, die jedem beteiligten Unternehmen zustand. Der „fixe Schlüssel“ richtete sich dabei in der Regel nach den geschätzten Marktanteilen oder orientierte sich insb im Straßenbau an der geschätzten Gesamtmenge des zu verbauenden Asphaltmischguts pro Jahr (Beilagen xxx). In einigen Fällen wurde mit der Verwaltung der Quoten ein bestimmtes Bauunternehmen betraut (Beilage ./N3).

m) Kartellstabilisierende Maßnahmen:

Die Umsetzung der Zuwiderhandlung wurde durch kartellstabilisierende Maßnahmen abgesichert und verstärkt. Damit sollte sichergestellt werden, dass sich die beteiligten Unternehmen an das Vereinbarte auch tatsächlich halten, jedes in einem vorgesehenen Ausmaß zum Zug kommt und somit das Kollusionssystem aufrecht und stabil bleibt:

aa) Punktesystem:

Einer dieser kartellstabilisierenden Mechanismen war die Gegenverrechnung anhand eines sog „Punktesystems“: Da ein größerer Teil der beteiligten Unternehmen regelmäßig in verschiedenen Ausschreibungsverfahren aufeinander traf, wurde mithilfe der Vergabe von „Punkten“/„Anteilen“/„Prozenten“ der Netto-Angebotssumme (typischerweise iHv 0,5-3,5%) ein finanzieller Interessenausgleich unter den Beteiligten sichergestellt. Der durch diesen Prozentsatz errechnete Betrag wurde dem zurückstehenden Bauunternehmen als Forderung gegen den designierten Auftragsempfänger gutgeschrieben. Einige der beteiligten Unternehmen führten Aufzeichnungen über die sich aus diesem Punktesystem ergebenden „Forderungen und Verbindlichkeiten“ gegenüber den anderen Beteiligten (auch als „Kontokorrentverhältnis“ bezeichnet). Diese Verbindlichkeiten wurden immer wieder saldiert oder durch Ausgleichsleistungen ausgeglichen. In manchen Fällen blieben Restforderungen und Verbindlichkeiten jedoch auch über längere Zeit bestehen (Beilagen xx, ./JJ).

Die Kontaktaufnahme für die Aufrechterhaltung des Punktesystems erfolgte zB telefonisch. Das am Auftrag interessierte Bauunternehmen erkundigte sich bei seinen Mitbewerbern, ob diese zurückstehen würden. Für das Zurückstehen verlangte der Mitbewerber sodann Punkte (Beilagen xx, ./PP). In den Aufzeichnungen wurde neben den Bezeichnungen der kontaktierten Mitbewerber (zT mit Kontaktnamen und Telefonnummer) ein „o.k.“ oder „“ als Hinweis vermerkt, dass eine Preisabsprache stattgefunden hat. Weiters wurden Aufzeichnungen über den vereinbarten Ausgleich nach dem Punktesystem gemacht (Beilagen ./D3, ./O3, ./P3).

bb) Ausgleichsleistungen:

Zurückstehende Mitbewerber wurden neben den oben beschriebenen Punkten auch mit sog „Ausgleichsleistungen“ entlohnt, wie etwa mit Ausgleichszahlungen, Subaufträgen (zB im Sinne einer „Beteiligung“ am Bauvorhaben), Arbeitsabtausch, der Bildung einer (offenen oder stillen) ARGE, der Lieferung oder Abnahme von Leistungen unter bevorzugten Konditionen (beispielsweise Asphaltmischgut, sonstiges Material, Personal oder Geräte), dem Bezug von größeren Abnahmemengen von Asphaltmischgut oder Beton. Ausgleichsleistungen standen zurückstehenden Mitbewerbern auch dann zu, wenn der Mitbewerber, zu dessen Gunsten sie zurückstanden, den Zuschlag nicht erhielt (Beilagen ./J, xx, ./JJ, ./LL, xx, ./WW, ./B3, ./Q3, xxx). In den meisten Fällen erfolgte die Ausgleichsleistung durch den Abtausch gegen andere Bauvorhaben („Arbeitsabtausch“ - Beilagen xxx, ./V3, ./W3, xxx ./II). Es kam auch vor, dass Punkte und Ausgleichsleistungen , wie Ausgleichszahlungen und Arbeitsabtausch, gemeinsam vereinbart wurden, je nachdem, was die beteiligten Unternehmen für das Zurückstehen verlangten (Beilagen ./P, ./D3, ./X3, ./Q3, ./Y3, ./Z3, ./A4, ./B4, ./C4). Für die Auszahlung einer Ausgleichsleistung wurden vereinzelt auch Scheinrechnungen erstellt (Beilage ./B4).

5. Beteiligung der Antragsgegnerinnen

Die Antragsgegnerinnen beteiligten sich an Absprachen und/oder Abstimmungen im oben dargelegten Sinn zumindest bei 1362 Bauvorhaben. Bei weiteren Bauvorhaben ist eine Beteiligung an solchen Handlungen keineswegs ausgeschlossen, allerdings können konkrete Bauvorhaben - mangels abschließender Prüfung seitens der Antragsgegnerinnen – nicht festgestellt werden.

Laut ihrer dem Anerkenntnis angeschlossenen Liste waren ua konkret folgende Auftraggeber von den Zuwiderhandlungen der Antragsgegnerinnen betroffen:

Land Niederösterreich, ASFINAG, Forsttechnischer Dienst – Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, OMV Gas GmbH, Amt der Tiroler Landesregierung, Magistrat Klagenfurt, Heeresbauverwaltung Süd (8010 Graz), ARGE Innenverlegung Strabag – Fröschl, STEWEAG-STEG, Gemeinde Puch bei Weiz, Stadtgemeinde Ferlach, OSG, Wilfing Hoch- und Tiefbau GmbH, ÖBB, Marktgemeinde Steinfeld, Gemeinde Dellach im Drautal, Wasserverband Ossiacher See, Marktgemeinde Reichenfels, Abwasserverband Völkermarkt-Jaunfeld, Gemeinde Malta, Marktgemeinde Oberdrauburg, Gemeinde St. Kanzian, Gemeinde Irschen, Gemeinde Rauchwart, Gemeinde Marz, Neue Heimat Tirol Gemeinnützige Wohnungs GmbH, Gemeinde Preitenegg, Franz Rindler, Magistrat Villach, NE, Gemeinde Maria Wörth, Stadtgemeinde St. Andrä im Lavanttal, Gemeinde St. Stefan im Rosental, AWV Wörthersee West, Marktgemeinde Bad Bleiberg, Gemeinde Auersthal, Stadt Oberpullendorf, Verein zur Erhaltung und Erneuerung der Infrastruktur der Marktgemeinde Eberau und Co KG, Straßenbauamt Villach, Gemeinde Kainbach bei Graz, Amt der Kärntner Landesregierung, BELIG, Martina und Martin Hlavacek, Eivita KG, KELAG, Innsbrucker Immobilien GmbH & Co KG, Wasserverband Wörthersee Ost, Verein zur Erhaltung und Erneuerung der Infrastruktur der Gemeinde Inzenhof und Co KG, Marktgemeinde Zurndorf, Thallo Raiffeisen-Immobilien-Leasing-GmbH, Amt der Steiermärkischen Landesregierung, Baubezirksleitung Judenburg, Bundesstraße 3-4, EBSG, Arge Sandoz Bau 542 (Kufstein), TIGEWOSI – Tiroler Gemeinn Wohnungsbau- und Siedlungs GmbH, Tirol Kliniken GmbH, Gemeinde St. Michael, Marktgemeinde Ollersdorf, Marktgemeinde Halbenrain, Wasserverband Leibnitzerfeld Süd, Kulturverein Pannonia Breitenbrunn, Stadtwerke Klagenfurt AG, Gemeinde Kleblach-Lind, Gemeinde Lafnitz, Gemeinde Rangersdorf, AWV Raum Frohnleiten oder Stadt Frohnleiten, Marktgemeinde Prellenkirchen, Gemeinde Trofaiach, ÖWGES, Land Steiermark, Gemeinde Rohrbach a.d. Lafnitz, Frieden Gemeinn Bau- und Siedlungsgenossenschaft reg. GenmbH, Gemeinde Murfeld, Gemeinde Nickelsdorf, Gemeinde Gosdorf und Ratschendorf, Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur, MA 28 (Wien), Hella Fahrzeugteile Austria GmbH, Gemeinde Semriach, Stadtgemeinde Großenzersorf, Pfarre Breitenbrunn, Stmk-Land 16, FA 16, BIG, Stadtgemeinde Leoben, Gemeinde Stainz, Gemeinde Breitenbrunn, Evangelische Pfarrgemeinde Oberwart, GCA (OMV), Bau- Wohn- und Siedlungsgenossenschaft HEIM reg. Gen.m.b.H., Marktgemeinde Grafenstein, Gemeinde Rauchwart, Stadt Mannersdorf, AWV Laßnitz-Wildbach-Gamsbach, Gemeinde Bad Gleichenberg, Gemeinde Laxenburg, Gemeinde Matzendorf-Hölles, Gemeinde Vösendorf, BWS, Verbund, Gemeinde Schattendorf, Gemeinde Wies, Gemeinde Amering, Gemeinde Sittersdorf, Landesschulrat für Burgenland, Wasserverband Grenzland Südost, Jugendherberge Neusiedl am See, Gemeinde Spital am Semmering, Gemeinde Gols, Röm.-Kath. Pfarre Stegersbach, Marktgemeinde St. Peter a.O., PVA, Gemeinde Leithaprodersdorf, Wildbach- und Lawinenverbauung Steiermark Ost, Gemeinde Heiligenkreuz, Gemeinde Leopoldsdorf, Gemeinde Trautmannsdorf, Hörbranz, Gemeinde Feistritz, Stadt Mattersburg, Gas Connect Austria, Wasserverband Mittleres Burgenland – Wasserwerk Lackendorf, Gemeinde Bad Deutsch-Altenburg, Ruster Liegenschaftserwerbs- und Verwaltungs GmbH & Co KG, Plan & Bau GmbH, Gemeinde Otterthal, Ceratizit Austria GmbH, Gemeinde Proleb, Gemeinde Traboch, Horst Szerencsics, GIWOG, Innsbrucker Immobilien GmbH & Co KG, Abwasserverband Grazerfeld, Gemeinde Tobaj, Gemeinde Neudorf, Marktgemeinde Gnas, Gemeinde Groß St. Florian, Rotes Kreuz – Landesverband Burgenland, Prof. Paul Anton Keller Stiftung, Stadt Schwaz, Thermenhotel Radkersburgerhof GesmbH & Co KG, Gemeinde Mönchhof, Gemeinde Zemendorf, Gemeinde Großpetersdorf, Gemeinde Theresienfeld, Austrian Sailing GmbH, Gemeinde Kaltenleutgeben, Gemeinde Horitschon, Marktgemeinde Mogersdorf, Gemeinde Oberloisdorf, Gemeinde Riedlingsdorf, Magistrat der Freistadt Rust, Gemeinde Hundsheim, Gemeinde Sulz, ÖGB oder Arbeiterkammer, AWV Oberes Pinkatal, Gemeinde Bad Tatzmannsdorf, Militärisches Immobilienmanagement, Carisma Immobilien GmbH, Gemeinde Edelstal, AWV Wr. Neustadt Süd, Kärntner Flughafen Betriebs GesmbH, GAV Aspang-Feistritz, Holding Graz, Gemeinde Türnitz, Gemeinde Pama, Lamplhof Betriebs GesmbH, 8561 Söding, Trans Austria Gasleitung GmbH, Gemeinde Ehenbichl, ÖWG Wohnbau, Pioneer Hi-Bred Services GmbH, EGW Erste gemeinn Wohnungsges. Heimstätte Ges.m.b.H., Stadt Eisenerz, Wiener Linien, AUVA UKH Graz, Wasserverband Umland Graz, Allacher Vinum Pannonia GmbH, Gemeinde Edt bei Lambach, APG Autopflegebetriebs GmbH, Franziskanerkloster Güssing, Technologiezentrum Eisenstadt GmbH, Gemeinde Bachmanning, Weingut Wagentristl, Abwasserver band Gleisdorfer Becken, Walter und Liselotte Hechenberger (Liste bei Beilage xx).

Die hauptsächlich betroffenen Auftraggeber werden im Folgenden exemplarisch dargestellt, wobei die Antragsgegnerinnen – zumeist in einer Kombination - an Preisabsprachen, Marktaufteilungen und am Austausch über zukünftiges Abgabeverhalten teilnahmen:

Im Rahmen von Ausschreibungen der ASFINAG in Tirol nahmen die Antragsgegnerinnen an überwiegend bilateralen Gesprächen und Gesprächsrunden in einer der Bürozentralen der beteiligen Unternehmen teil. Zumindest bis einschließlich 2011 wurden fast alle in Tirol ausgeschriebenen ASFINAG Baulose unter den beteiligten Mitbewerbern abgestimmt, die Verhaltensweisen waren insofern historisch gewachsen. Jener Wettbewerber, der ein Bauvorhaben für sich beanspruchte, kontaktierte die übrigen Wettbewerber. Bei gleichzeitiger Ausschreibung mehrerer Bauvorhaben teilten sich die Mitbewerber diese auf, auch durch Bildung kartellrechtswidriger ARGEs. Zurückstehende, nicht an der ARGE beteiligten Mitbewerber hatten als Ausgleichsleistung bei künftigen Ausschreibungen Bauvorhaben gut. Es ist davon auszugehen, dass in den Jahren 2005 bis einschließlich 2011 insgesamt etwa 85 Bauvorhaben mit einem Gesamtvolumen in Höhe von über EUR 52 Mio betroffen waren (Beilagen xxx). Jedenfalls waren Bauvorhaben im Bereich der A13 Patsch, A12 Jenbach-Stans, A12 Kranebitten, A13 Matreiwald, A12 Vomp-Schwaz, A12 Kramsach, S16 Landeck West, A12 Telf, Gschleiersbrücke, A13 Zentralentwässerung, A12 INSB Kirchbichl-Angath betroffen.

Bei Ausschreibungen der ASFINAG in Kärnten kam es bis einschließlich 2014 zu Gesprächsrunden und bilateralen Gesprächen der Antragsgegnerinnen mit verschiedenen Mitbewerbern, in denen vereinbart wurde, welcher Mitbewerber das ausgeschriebenen Bauvorhaben erhalten solle (Beilagen xxx). Betroffen waren jedenfalls die Bauvorhaben A10 Deckenerneuerung Abschnitt Liesertal, A2 Zubringer Schiefling, A2 AST Bad St. Leonhard, A11 Karawankenautobahn Knoten Villach-St. Niklas, A11 LB INS St. Jakob, A2 Wolfberg Süd-St. Andrä (Beilagen xxx).

Im Rahmen von Ausschreibungen der ASFINAG in der Steiermark fanden bis einschließlich 2013 in der Porr-Niederlassung in Unterpremstätten Gesprächsrunden jedenfalls mit drei weiteren Mitbewerbern statt, deren Zweck es war, die Baulose aufzuteilen und die Bildung von ARGEs zu eruieren. Gegebenenfalls kam es zu Telefonaten (Beilage xx). Betroffen waren ua die Bauvorhaben A2 Sinabelkirchen-Arnwiesen und A2 Zubringer Graz Ost.

Im Rahmen von Ausschreibungen der ASFINAG in Oberösterreich kam es bis 2016 mit verschiedenen Wettbewerbern, darunter die Antragsgegnerinnen, zu bilateralen Kontakten und zur Übermittlung von Deckangeboten – etwa betreffend die Bauvorhaben A9 Pyhrn­autobahn Lainberg-Rossleithen und A8 Innkreisautobahn ÜF J-74 - sowie zur Bildung von kartellrechtswidrigen ARGEs (Beilagen ./H5, xxx).

Beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung waren im Zeitraum von 2002 bis 2017 von sieben Straßenbauabteilungen ausgeschriebene Baulose im Straßenbau, und zwar insgesamt nahezu 3000 Bauvorhaben mit einem Gesamtvolumen in Höhe von mehr als EUR 300 Mio betroffen. Es fanden mehrmals im Jahr, und zwar dann, wenn es zu Ausschreibungen des Landes Niederösterreich im Bereich Straßenbau kam, Gesprächsrunden statt, bei denen der Preis sowie der Bestbieter für bestimmte Bauvorhaben festgelegt wurde. Die Verteilung erfolgte nach einem bestimmten Schlüssel, der sich im Wesentlichen an den Marktanteilen der beteiligten Mitbewerber orientierte; es kam zu einem „Arbeitsabtausch“. Neu hinzukommende Mitbewerber wurden in dieses „geregelte“ System eingeführt. Umfasst waren neben dem Verkehrswegebau auch Ausschreibungen über Spezialgewerke wie Brücken (Beilagen xxx). Die Antragsgegnerinnen waren – laut expliziter Außerstreitstellung – bei insgesamt 898 Ausschreibungen des Landes Niederösterreich in der beschriebenen Form beteiligt.

Auch im Rahmen von Ausschreibungen der Steiermärkischen Landesregierung im Verkehrswegebau gab es zurückgehend bis zumindest 2002 Gesprächsrunden und bilaterale Kontakte. 2013 kam es betreffend das Sonderinvestitionsprogramm (32 Bauvorhaben) zu einer Vereinbarung über die Aufteilung nach einem bestimmten System. Die teilnehmenden Mitbewerber legten vorab ein internes Angebot, eruierten dergestalt den Billigstanbieter und ließen diesem den Vortritt. Bei der tatsächlichen Angebotslegung wurde auf die intern gebotenen Preise ein Aufschlag von 5 bis 25% hinzugerechnet, und zwar gestaffelt nach der Reihenfolge laut interner Angebotslegung (Beilagen xxx, ./K3).

Ab 2013 kam es in der nördlichen und der südlichen Steiermark zu punktuellen bilateralen Gesprächen. Die Mitbewerber, darunter die Antragsgegnerinnen, teilten sich die Bauvorhaben entsprechend der Lage der Mischanlagen untereinander auf (Beilagen xxx). Es handelte sich um Bauvorhaben im Bereich der L204, B072, L401, B96, L238, B23, L118, Stützpunkt Wals/Schoberpass.

Bei den Ausschreibungen des Landes Tirol zur Sanierung der Bundes- und Landesstraßen teilten sich die Wettbewerber (neben den Antragsgegnerinnen vier weitere Bauunternehmen) im Zeitraum 2005 bis 2011 die pro Jahr ausgeschriebenen Baulose (ca 40 bis 60) untereinander auf, wobei insbesondere die Standorte der Unternehmen und die Marktposition eine Rolle spielten (Beilagen xxx). Nach der Einigung über die Verteilung besprachen die Mitbewerber – im Rahmen von bilateralen Kontakten - den Angebotspreis des designierten Zuschlaggewinners. Von diesen kartellrechtswidrigen Handlungen waren unter anderem Bauvorhaben im Bereich Hangbrücke Rauschgraben, B105, Belagsanierungen auf diversen Landesstraßen betroffen.

Bei Ausschreibungen der Kärntner Landesregierung im Verkehrswegebau wurde im Zeitraum 2004 bis 2016 vereinbart, welcher Wettbewerber das ausgeschriebene Bauvorhaben erhalten solle. Insbesondere bei asphaltmischgutlastigen Bauvorhaben verteilten sie die Bauvorhaben nach einem bestimmten Schlüssel, je nach Nähe zu den Mischanlagen. Die Gesprächsrunden fanden bis zu zehnmal pro Jahr statt (Beilagen xxx). Betroffen waren 596 Bauvorhaben, insbesondere im Bereich der B78, B91, B70.

Bei Ausschreibungen der Stadt Wien, vorrangig der MA28 (Magistratsabteilung 28 für Straßenverwaltung und Straßenbau der Stadt Wien), kam es unter Beteiligung der Antragsgegnerinnen zu langjährigen Zuwiderhandlungen im Rahmen von regelmäßigen oder anlassbezogenen Gesprächsrunden, teilweise am Rande von Seminaren der Gesellschaft zur Pflege der Straßenbautechnik mit Asphalt (GESTRATA). Die Mitbewerber tauschten sich darüber aus, wer an welchem Bauvorhaben Interesse hatte und welche Preise angeboten werden. Ausschreibungen der Kontrahentenverträge der MA28 teilten sich die Wettbewerber nach Bezirken auf (xxx). Die langjährige Praxis betraf in den Jahren 2002 bis 2017 etwa 370 Bauvorhaben (Beilagen xxx). Jedenfalls betroffen waren Ausschreibungen betreffend HB1 Rechte Wienzeile, HB 227 Obere Donaustraße, Raxstraße, Mariahilfer Straße, Gymnasiumstraße, Kaisermühlen.

Bei den Ausschreibungen des Magistrats Klagenfurt betreffend Jahresbauverträge für Straßenbau und Künetteninstandsetzung bildeten die Antragsgegnerinnen mit drei Mitbewerbern abwechselnd eine kartellrechtswidrige ARGE und vereinbarten mit einigen ihrer Mitbewerber, die nicht Teil der ARGE war, dass diese als Subunternehmer für die ARGE tätig werden und im Gegenzug kein oder ein höheres Angebot abgeben sollen. Alle anderen potentiell interessierten Unternehmen wurden von den ARGE-Partnern kontaktiert und – im Sinne eines „Vollschutzes“ – zum Zurückstehen aufgefordert. Der Ausgleich für das Zurückstehen erfolgte primär über ein Punktesystem und über Arbeitsaustausch, es kam auch zu Ausgleichszahlungen. Die ARGE-Partner teilten sich die zu kontaktierenden Unternehmen auf und stimmten sich auch darüber ab, wer wie viele Punkte erhalten sollte (Beilagen xxx). Die Antragsgegnerinnen waren dergestalt bezüglich der Jahresbauverträge 2005, 2010, 2014 und 2017 beteiligt, weitere wettbewerbsbeschränkende Handlungen gab es bei vier Bauvorhaben (Kanalsanierungen St. Ruprechter Straße und Oktober Straße, Jahresauftrag 2011, Kläranlage Klagenfurt). Aber auch bei anderen Ausschreibungen des Magistrats Klagenfurt kam es zu Absprachen der Antragsgegnerinnen mit Mitbewerbern (Beilagen xxx, ./D7).

Bei den Ausschreibungen der Holding Graz nahmen die Antragsgegnerinnen bei Ausschreibungen in den Jahren 2014 bis 2017 hauptsächlich im Bereich Verkehrswege an Preisabsprachen, Marktaufteilungen und am Austausch über zukünftiges Abgabeverhalten teil. Es gab bilaterale Gespräche zwischen den beteiligten Bauunternehmen, in denen man sich darüber einigte, wer die Ausschreibung gewinnen sollte. Der designierte Auftragsempfänger teilte den zurückstehenden Unternehmen die abzugebenden Preise mit. Seit Ende 2016 bestand eine fixe Gesprächsrunde der fünf unmittelbar beteiligten Unternehmen (sog. Holding Graz-Runde), das erste Treffen und zumindest drei weitere Treffen fanden in den Räumlichkeiten der Porr statt (Beilagen xxx). Betroffen waren 34 Bauvorhaben der Holding Graz (Beilagen xxx), die Antragsgegnerinnen gestanden explizit 19 Bauvorhaben zu.

Weiters gab es betreffend Ausschreibungen der Pensionsversicherungsanstalt im Burgenland (Bauvorhaben „SKA-RZ Bad Tatzmannsdorf“) im Jahr 2014 Absprachen über das zukünftige Abgabeverhalten (samt Zurückstehen zT im Austausch für eine Ausgleichsleistung) und die Übermittlung von Deckangeboten (Beilagen ./S7, ./Q7, xx). In Oberösterreich (Bauvorhaben „SKA-RZ Bad Schallerbach“) organisierte „Porr“ die Preisabsprache. Sie gründete mit einem Mitbewerber eine BIEGE und sie kontaktierten bilateral 17 Mitbewerber, mit denen Abgabepreise und das zukünftige Abgabeverhalten besprochen wurde; zudem wurde auch Ausgleichsleistungen für das Zurückstehen vereinbart (Beilagen ./LL, ./W7, xxx).

Im Rahmen von Ausschreibungen der OMV (einschließlich ihrer Tochtergesellschaften GCA und TAG) im Burgenland, in der Steiermark und Kärnten fanden im Zeitraum von 2006 bis 2016 Absprachen mit Mitbewerbern der Antragsgegnerinnen statt. Überwiegend kam es zu telefonischen Kontakten, es wurden Deckangebote versendet. Das am Bauvorhaben besonders interessierte Unternehmen organisierte die Absprachen, forderte Mitbewerber auf, im Tausch gegen ein anderes Bauvorhaben oder für die Vergabe von „Punkten“ oder die Auszahlung oder für einen Subauftrag zurückzustehen und ein Deckangebot abzugeben (Beilagen xxx, ./Y7). Betroffen waren jedenfalls acht Ausschreibungen der OMV.

In der Bausparte Hochbau im Burgenland beteiligten sich die Antragsgegnerinnen im Zeitraum 2010 bis 2017, gemeinsam mit größeren und auch zahlreichen regional tätigen kleineren Mitbewerbern, an Absprachen über Preise und Abgabeverhalten samt der Übermittlung von Deckangeboten. Bei den Auftraggebern handelte es sich ua um Vereine, Gemeinden, Private, betroffen sind über 140 Ausschreibungen (Beilagen xx, ./MM, ./NN).

Wettbewerbsbeschränkende Handlungen in Form von Abstimmung des Abgabeverhaltens und Deckangeboten setzten die Antragsgegnerinnen überdies im Zusammenhang mit weiteren Ausschreibungen in Wien (Bauvorhaben Himmelstraße 69 und Privatklinik Döbling) sowie der Wiener Linien (U6 Brücke über die Jörgerstraße; Beilagen ./F10, ./E10); ebenso in Oberösterreich betreffend mehrere Bauvorhaben im Zeitraum 2006 bis 2017. Darüber hinaus kam es zu solchen Handlungen bei insgesamt 53 Ausschreibungen in Kärnten, bei 65 Ausschreibungen in der Steiermark, bei 19 Ausschreibungen in Tirol jeweils im Zeitraum 2007 bis 2017, sowie bei 14 Ausschreibungen in Niederösterreich von 2011 bis 2017. 2015 fand eine Absprache bei einer Ausschreibung der ÖBB (Bauvorhaben „Ausbau Terminal 01 Wolfurt“) statt. Im Jahr 2010 erfolgte eine Absprache bei einer Ausschreibung des VERBUND in der Steiermark (Bauvorhaben „Sanierung Kraftwerk Pernegg“; siehe jeweils Beilage xx).

6. Zusammenfassung

Von den beschriebenen Zuwiderhandlungen waren sämtliche österreichische Bundesländer betroffen und sie dauerten jedenfalls von Juli 2002 bis Oktober 2017 an. Die Antragsgegnerinnen waren – wenngleich regional und je nach Bauvorhaben in unterschiedlicher Intensität - an den beschriebenen Zuwiderhandlungen führend beteiligt und in der Lage, deren wesentliche Umstände und das gemeinsame Ziel mitzuprägen. Damit wuchs unter Beteiligung der Antragsgegnerinnen ein das gesamte österreichische Bundesgebiet betreffendes Kollusionssystem, das als ein einheitliches Gesamtsystem zu betrachten ist. Dieses hatte den Zweck, den Wettbewerb zu minimieren oder auszuschließen, um sich gegenseitig zur Erteilung von Aufträgen zu verhelfen und so Marktanteile zu sichern.

Beweiswürdigung:

Von den Antragsgegnerinnen wurde der von der Antragstellerin vorgebrachte Sachverhalt außer Streit gestellt. Darüber hinaus wird er durch die jeweils in Klammer angeführten Urkunden untermauert.

Rechtliche Beurteilung:

Aus dem festgestellten Sachverhalt folgt in rechtlicher Hinsicht:

1. Einleitung:

Da gegen die Richtigkeit der Außerstreitstellungen, die mit den von der BWB vorgelegten Urkunden Beilagen ./A - ./P12 in Einklang stehen, keine Bedenken bestehen, waren iSd § 33 Abs 1 AußStrG iVm § 38 KartG keine weiteren Erhebungen durchzuführen.

Die zunächst in Anspruch genommene Siebtantragsgegnerin Allgemeine Straßenbau GmbH wurde mit der Zweitantragsgegnerin verschmolzen. Bei der dadurch eingetretenen Vollbeendigung dieser juristischen Person mit Gesamtrechtsnachfolge sind behängende Verfahren gegen den Universalsukzessor fortzusetzen. Dieser tritt auch in die Prozessverhältnisse ein; die Parteibezeichnung wird auf den (oder die) Gesamtrechtsnachfolger umgestellt (Fink in Fasching/Konecny3 II/3 § 155 ZPO Rz 8f). Somit trat die (bereits als Verfahrenspartei beteiligte) Zweitantragsgegnerin an die Stelle der (ursprünglichen) Siebtantragsgegnerin, welche nicht mehr als Partei zu führen ist.

2.) Zur „Zwischenstaatlichkeit“:

Gemäß § 1 Abs 1 KartG sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmern, Beschlüsse von Unternehmervereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken (Kartelle), verboten. Insbesondere sind nach § 1 Abs 2 Z 1 KartG die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der An- oder Verkaufspreise oder sonstige Geschäftsbedingungen sowie nach Z 3 leg.cit. die Aufteilung der Märkte oder Versorgungsquellen verboten.

Nach Art 101 Abs 1 AEUV sind alle jene Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten, die den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken. Dazu gehören insbesondere die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der An- und Verkaufspreise oder sonstiger Geschäftsbedingungen (lit a) sowie die Aufteilung der Märkte oder Versorgungsquellen (lit c). Die Anwendung von Art 101 und 102 AEUV fällt in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten (Art 5 VO [EG] 1/2003).

Beim Kriterium der Zwischenstaatlichkeit handelt es sich um eine Kollisionsnorm, die keine wettbewerbsrechtliche Bewertung der Absprache trifft, sondern die Frage beantworten soll, ob es angemessen ist, den Sachverhalt nach Unionsrecht zu beurteilen. Art 101 Abs 1 AEUV erfordert, dass die wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung oder der Missbrauch der beherrschenden Stellung geeignet ist, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Diese Voraussetzung ist – was schon durch Abstellen auf die „Eignung“ angelegt ist – weit zu verstehen (16 Ok 7/15p mwN).

Maßnahmen, deren wettbewerbsbeschränkende Wirkungen sich auf das gesamte Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erstrecken, sind idR zur Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten geeignet, weil sie schon ihrem Wesen nach die Abschottung nationaler Märkte verfestigen und die gewünschte Marktintegration verhindern können. Ein Kartell, das sich auf das gesamte Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erstreckt, hat nämlich schon seinem Wesen nach die Wirkung, die Abschottung der Märkte auf nationaler Ebene zu verfestigen, indem es die in der Europäischen Union angestrebte wirtschaftliche Verflechtung behindert (Leitlinien zum Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels, ABl 2004/C 101/07, Rn 77 ff). Daher können auch Maßnahmen von Unternehmen, die sich nur auf den Wettbewerb innerhalb eines einzelnen Mitgliedstaats auswirken, den innergemeinschaftlichen Handel beeinflussen (16 Ok 4/13; 16 Ok 2/15b; 16 Ok 7/15p; 16 Ok 8/16m; RS0120478).

Bei den festgestellten Zuwiderhandlungen der Antragsgegnerinnen ist allein schon aufgrund ihrer Dimension und Dauer sowie aufgrund der Marktanteile der Antragsgegnerinnen jedenfalls die Zwischenstaatlichkeit zu bejahen und Unionsrecht anzuwenden.

3.) Zum Vorliegen einer Vereinbarung oder abgestimmten Verhaltensweise:

Das Kartellverbot des Art 101 Abs 1 AEUV erfasst – wie jenes des § 1 Abs 1 KartG – insbesondere den Wettbewerb beeinträchtigende Vereinbarungen zwischen Unternehmern und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen. Beiden Tatbeständen ist gemeinsam, dass sie geeignet sein müssen, zwischen den beteiligten Unternehmern die Unsicherheiten über ihr zukünftiges Verhalten im Wettbewerb auszuschließen oder zu vermindern. In der Praxis ist eine Abgrenzung dieser Begriffe von geringer Relevanz, weil diese Formen wettbewerbsbeschränkenden Zusammenwirkens gleichrangig sind (Lager/Petsche in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG2 § 1 Rz 14 ff).

Der Begriff „Vereinbarung“ wird in diesem Zusammenhang weit ausgelegt: Nicht notwendig ist, dass es sich dabei um einen rechtlich verbindlichen Vertrag handelt; eine Vereinbarung liegt vielmehr schon dann vor, wenn die betreffenden Unternehmen ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck gebracht haben, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten. Folglich ist der Begriff der Vereinbarung durch das Vorliegen einer Willensübereinstimmung zwischen mindestens zwei Parteien gekennzeichnet, deren Ausdrucksform unerheblich ist, sofern sie den Willen der Parteien getreu wiedergibt. Bei einer Vereinbarung zwischen Unternehmern kommt es daher weder auf die Form der Vereinbarung (diese kann schriftlich, mündlich oder schlüssig getroffen werden) noch darauf an, ob sie auch tatsächlich umgesetzt wird (Lager/Petsche aaO § 1 Rz 18 f mwN).

Neben Vereinbarungen (und Beschlüssen von Unternehmervereinigungen) sind auch aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen vom Kartellverbot erfasst. Dabei handelt es sich nach ständiger Rechtsprechung des EuGH um jede Form der Koordinierung des Verhaltens zwischen Unternehmern, die zwar nicht bis zum Abschluss eines Vertrags im eigentlichen Sinn gediehen ist, aber bewusst eine praktische Zusammenarbeit an die Stelle des mit Risiken verbundenen Wettbewerbs treten lässt. Unter einer Verhaltensabstimmung ist also eine „Fühlungnahme“ zwischen den Unternehmern zu verstehen, die geeignet und bestimmt ist, deren Wettbewerbsrisiko abzuschwächen (Lager/Petsche aaO § 1 Rz 25 ff mwN).

Erfasst ist jede unmittelbare oder mittelbare Koordination zwischen Unternehmen, die bezweckt oder bewirkt, das Marktverhalten zu beeinflussen oder einen Mitbewerber über das Marktverhalten ins Bild zu setzen, das man selbst an den Tag zu legen entschlossen ist oder in Erwägung zieht (Lager/Petsche aaO § 1 Rz 31).

4.) Zum „Bezwecken“ und „Bewirken“:

Vereinbarungen fallen nur dann unter das Verbot des Art 101 Abs 1 AEUV, wenn sie eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH sind diese Voraussetzungen – wie die Konjunktion „oder“ erkennen lässt – alternativ zu verstehen, sodass sich die Notwendigkeit ergibt, zunächst den eigentlichen Zweck der Vereinbarung in Betracht zu ziehen, wobei die wirtschaftlichen Begleitumstände ihrer Durchführung zu berücksichtigen sind.

Wenn fest steht, dass eine Vereinbarung einen wettbewerbswidrigen Zweck verfolgt, brauchen ihre Auswirkungen auf den Wettbewerb nicht geprüft zu werden. Lässt jedoch die Prüfung des Inhalts der Vereinbarung keine hinreichende Beeinträchtigung des Wettbewerbs erkennen, sind ihre Auswirkungen zu untersuchen. Damit sie vom Verbot erfasst wird, müssen Umstände vorliegen, aus denen sich insgesamt ergibt, dass der Wettbewerb tatsächlich spürbar verhindert, eingeschränkt oder verfälscht worden ist.

Die Unterscheidung zwischen „bezweckten“ und „bewirkten“ Verstößen liegt darin begründet, dass bestimmte Formen der Kollusion zwischen Unternehmen schon ihrer Natur nach als schädlich für das gute Funktionieren des normalen Wettbewerbs angesehen werden können.

Bei der Prüfung der Frage, ob eine Vereinbarung eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung enthält, ist auf den Inhalt ihrer Bestimmungen und die mit ihr verfolgten Ziele sowie auf den wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhang, in dem sie steht, abzustellen. Im Rahmen der Beurteilung dieses Zusammenhangs sind auch die Natur der betroffenen Waren und Dienstleistungen, die auf dem betreffenden Markt oder den betreffenden Märkten bestehenden tatsächlichen Bedingungen und die Struktur dieses Markts oder dieser Märkte zu berücksichtigen. Für einen wettbewerbswidrigen Zweck reicht es bereits aus, wenn die Vereinbarung das Potenzial hat, negative Auswirkungen auf den Wettbewerb zu entfalten, dh wenn sie konkret geeignet ist, zu einer Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Markts zu führen (EuGH C-32/11 - Allianz Hungária, mwN). Das wesentliche Kriterium ist, dass eine solche Handlung in sich selbst eine hinreichende Beeinträchtigung des Wettbewerbs erkennen lässt (EuGH C-67/13 P - Groupement des cartes bancaires, mwN).

Sogenannte Kernbeschränkungen, namentlich die ersten drei Regelbeispiele des Art 101 Abs 1 AEUV, darunter auch Preisabsprachen und die Aufteilung von Märkten, sind als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen grundsätzlich verboten (Bechtold/Bosch/Brinker, EU-Kartellrecht³ Art 101 AEUV Rz 78 ff; Braun in Langen/Bunte, Kartellrecht13, Nach Art 101 AEUV, Rz 20; Füller in Kölner Kommentar zum Kartellrecht, Art 101 AEUV, Rz 205ff; zu § 1 KartG: Lager/Petsche aaO § 1 Rz 57 u 104; uva). Sie sind auch von der De‑Minimis‑Bekanntmachung der Europäischen Kommission, ABl 2014/C 291/01, durch deren Pkt II.12 ausgenommen. Preisabsprachen und koordinierte Aufteilungen der Märkte oder Versorgungsquellen sind bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen.

Das zwischen den Antragsgegnerinnen und ihren Mitbewerbern im Zeitraum Juli 2002 bis Oktober 2017 etablierte System von Preisabsprachen, Marktaufteilungen und des Informationsaustausches stellt Verstöße gegen die Bestimmungen des Art 101 Abs 1 lit a und c AEUV und § 1 Abs 2 Z 1 und 3 KartG dar. Hiebei handelt es sich um Kernbeschränkungen, deren unmittelbare Auswirkung auf den Markt nicht geprüft werden braucht.

Die Verhaltensweisen der Antragsgegnerinnen widersprechen den Zielsetzungen, die hinter der Einleitung eines Vergabeverfahrens oder einer Ausschreibung stehen. So sind nach § 19 BVergG Vergabeverfahren ua entsprechend den Grundsätzen des freien und lauteren Wettbewerbs durchzuführen. Dafür ist die Einhaltung des Grundsatzes des geheimen Wettbewerbs unverzichtbare Voraussetzung.

5.) Zur Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkung:

Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH müssen die Wettbewerbsbeschränkung und die Handelsbeeinträchtigung auch spürbar sein, um vom Kartellverbot erfasst zu sein. Das Vorliegen einer spürbaren Beschränkung des Wettbewerbs auf dem Binnenmarkt ist anhand des tatsächlichen Rahmens einer solchen Vereinbarung zu beurteilen. Vereinbarungen, die geeignet sind, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen und die einen wettbewerbswidrigen Zweck haben, sind ihrer Natur nach und unabhängig von ihren konkreten Auswirkungen eine spürbare Beschränkung des Wettbewerbs (EuGH C-226/11 - Expedia, Rz 16f, 21 und 37). Dies ist im vorliegenden Fall gegeben.

6.) Zum Verschulden:

§ 29 KartG stellt klar, dass Geldbußen nur bei Verschulden zu verhängen sind. Der Unternehmer muss den Tatbestand vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführt haben. Gleiches gilt zufolge Art 23 VO 1/2003 im Unionsrecht. Das KartG definiert nicht näher, was unter Vorsatz und Fahrlässigkeit zu verstehen ist. Einschlägige Definitionen enthalten aber die strafrechtlichen Bestimmungen der §§ 5 f StGB und § 3 VbVG (16 Ok 2/11).

Vorsätzlich handelt gemäß § 5 Abs 1 StGB, wer einen Sachverhalt verwirklichen will, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht; dazu genügt es, dass der Täter diese Verwirklichung ernstlich für möglich hält und sich mit ihr abfindet. Demgegenüber handelt fahrlässig, wer die Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den Umständen verpflichtet und nach seinen geistigen und körperlichen Verhältnissen befähigt ist und die ihm zuzumuten ist, und deshalb nicht erkennt, dass er einen Sachverhalt verwirklichen könne, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht (§ 6 Abs 1 StGB), und wer es für möglich hält, dass er einen solchen Sachverhalt verwirkliche, ihn aber nicht herbeiführen will (§ 6 Abs 2 StGB).

Gemäß § 3 Abs 1 VbVG ist ein Verband – ein solcher ist nach der Legaldefinition des § 1 Abs 2 leg.cit. insbesondere eine juristische Person – unter den weiteren Voraussetzungen des Abs 2 oder des Abs 3 für eine Straftat verantwortlich, wenn 1. die Tat zu seinen Gunsten begangen worden ist oder 2. durch die Tat Pflichten verletzt worden sind, die den Verband treffen.

Die Voraussetzungen des § 3 Abs 1 VbVG sind hier erfüllt, weil durch die festgestellten Verhaltensweise Pflichten der Antragsgegnerinnen verletzt wurden.

Für Straftaten eines Entscheidungsträgers ist gemäß § 3 Abs 2 VbVG der Verband verantwortlich, wenn der Entscheidungsträger als solcher die Tat rechtswidrig und schuldhaft begangen hat. Entscheidungsträger iSd VbVG ist nach dessen § 2 Abs 1, wer 1. Geschäftsführer, Vorstandsmitglied oder Prokurist ist oder aufgrund organschaftlicher oder rechtsgeschäftlicher Vertretungsmacht in vergleichbarer Weise dazu befugt ist, den Verband nach außen zu vertreten, 2. Mitglied des Aufsichtsrates oder des Verwaltungsrates ist oder sonst Kontrollbefugnisse in leitender Stellung ausübt, oder 3. sonst maßgeblichen Einfluss auf die Geschäftsführung des Verbandes ausübt.

Für Straftaten von Mitarbeitern ist gemäß § 3 Abs 3 VbVG der Verband verantwortlich, wenn

1. Mitarbeiter den Sachverhalt, der dem gesetzlichen Tatbild entspricht, rechtswidrig verwirklicht haben; der Verband ist für eine Straftat, die vorsätzliches Handeln voraussetzt, nur verantwortlich, wenn ein Mitarbeiter vorsätzlich gehandelt hat; für eine Straftat, die fahrlässiges Handeln voraussetzt, nur, wenn Mitarbeiter die nach den Umständen gebotene Sorgfalt außer Acht gelassen haben; und

2. die Begehung der Tat dadurch ermöglicht oder wesentlich erleichtert wurde, dass Entscheidungsträger die nach den Umständen gebotene und zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben, insbesondere indem sie wesentliche technische, organisatorische oder personelle Maßnahmen zur Verhinderung solcher Taten unterlassen haben.

Mitarbeiter iSd VbVG ist gemäß § 2 Abs 2 leg.cit., wer (unter anderem) aufgrund eines Arbeitsverhältnisses Arbeitsleistungen für den Verband erbringt.

Nach dem festgestellten Sachverhalt wurden die Kartellrechtsverstöße von Mitarbeitern der Antragsgegnerinnen gesetzt. Diese haben jedenfalls zumindest mit bedingtem Vorsatz (dolus eventualis) gehandelt, was sich schon daraus ergibt, dass ihnen bewusst war, dass es sich hiebei nicht um ein „Kavaliersdelikt“ handelt. Das Verschulden ist daher zu bejahen.

7.) Zur Verjährung:

Das kartellrechtswidrige Verhalten der Antragsgegnerinnen umfasste einen Zeitraum von Juli 2002 bis Oktober 2017. Von den Antragsgegnerinnen wurde kein Verjährungseinwand erhoben. Aus einem solchen wäre für sie auch nichts zu gewinnen gewesen:

§ 33 KartG idF BGBl I Nr. 176/2021 ist nach § 86 Abs 12 KartG auf Rechtsverletzungen anzuwenden, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes (10.9.2021) noch nicht verjährt sind.

Gemäß § 33 Abs 1 1. Satz KartG darf eine Geldbuße nur verhängt werden, wenn der Antrag binnen fünf Jahren ab Beendigung der Rechtsverletzung gestellt wurde. Diese Frist wird unterbrochen, sobald mindestens einem an der Rechtsverletzung beteiligten Unternehmer oder einer beteiligten Unternehmervereinigung eine auf Ermittlung oder Verfolgung der Rechtsverletzung gerichtete Handlung der Bundeswettbewerbsbehörde bekanntgegeben wird. Mit jeder Unterbrechung beginnt die Frist neu zu laufen.

Anders als Art 25 der VO 1/2003 differenziert § 33 KartG nicht zwischen einmaligen, dauernden und fortgesetzten Zuwiderhandlungen bzw Zustands- und Dauerdelikten. Nach dem Gesetzeswortlaut muss das Verhalten insgesamt beendet sein, um den Beginn der Verjährungsfrist auszulösen.

Bei den Dauerdelikten ist zwischen dauernden und fortgesetzten Zuwiderhandlungen zu unterscheiden. Eine dauernde Zuwiderhandlung besteht aus einer andauernden, eine fortgesetzte aus mehreren Handlungen, die jede für sich die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllen. Somit handelt es sich bei einer dauernden Zuwiderhandlung um ein abgrenzbares rechtswidriges Verhalten, das ohne Unterbrechung über einen längeren Zeitraum gesetzt wird. Eine fortgesetzte Zuwiderhandlung liegt demgegenüber immer dann vor, wenn eine zu einer rechtlichen Einheit zusammengefasste Vielzahl rechtswidriger aufeinander folgender Verhaltensweisen oder mehrere abgrenzbare Handlungen, die auf die Durchführung einer einzigen Zuwiderhandlung gerichtet sind, erfolgen (Traugott in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG2 § 33 Rz 6 und 7).

Der Begriff der fortgesetzten Zuwiderhandlung umfasst eine Mehrzahl von rechtswidrigen Verhaltensweisen oder von Handlungen zur Durchführung einer einzigen Zuwiderhandlung, die durch ein gemeinsames subjektives Element zu einer Einheit verbunden sind (EuGH C-235/92 P - Montecatini/Kommission).

Ein Verstoß gegen Art 101 Abs 1 AEUV und § 1 Abs 2 Z 1 und 3 KartG kann sich somit nicht nur aus einer isolierten Handlung, sondern auch aus einer Reihe von Handlungen oder einem kontinuierlichen Verhalten ergeben. Bei der Einstufung unterschiedlicher Handlungen als einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung ist zu prüfen, ob zwischen ihnen insoweit ein Komplementaritätsverhältnis besteht, als jede von ihnen eine oder mehrere Folgen des normalen Wettbewerbs beseitigen soll und durch Interaktion zur Verwirklichung sämtlicher wettbewerbswidriger Wirkungen beiträgt, die ihre Urheber im Rahmen eines auf eine einheitliche Zielsetzung gerichteten Gesamtplans anstreben. Insoweit sind alle Umstände zu berücksichtigen, die dieses Verhältnis belegen oder in Frage stellen können, wie der Anwendungszeitraum, der Inhalt einschließlich der verwendeten Methoden und im Zusammenhang damit die Zielsetzung der verschiedenen fraglichen Handlungen (EuG T-27/10 - AC-Treuhand/Kommission). Bei fortgesetzten Delikten, also solchen Verstößen, die aus mehreren Teilhandlungen bestehen, die in ihrer Begehungsweise gleichartig sind, in einem nahen zeitlichen Zusammenhang stehen und von einem Gesamtvorsatz getragen sind, beginnt die Verjährungsfrist erst mit Beendigung des letzten Teilakts zu laufen (16 Ok 2/15b, 8/15k mwN).

Nach den Feststellungen liegt hier eine einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung der Antragsgegnerinnen gegen das Kartellrecht vor, da alle Einzelverstöße auf einen einheitlichen Gesamtplan und Gesamtsystem beruhen. Da die Zuwiderhandlungen weniger als 5 Jahre vor der Einbringung des Geldbußenantrags beendet waren, ist keine Verjährung eingetreten. Auf die strafrechtliche Rechtsprechung zum fortgesetzten Delikt kommt es auf Grund der besonderen Rechtsgrundlagen im Kartellrecht nicht weiter an (16 Ok 2/15b, 8/15k mwN).

8.) Zur Rechtfertigung:

Ein Freistellungs- bzw Rechtfertigungsgrund nach § 2 Abs 1 KartG und Art 101 Abs 3 AEUV wurde nicht behauptet und ist nicht erkennbar.

9.) Zur Höhe der Geldbuße:

Gemäß § 29 Z 1 lit a und d KartG ist bei einem vorsätzlichen oder fahrlässigen Verstoß gegen § 1 KartG bzw gegen Art 101 AEUV eine Geldbuße bis zu einem Höchstbetrag von 10% des im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes zu verhängen. Darunter ist der weltweite Umsatz des jeweils am Wettbewerbsverstoß beteiligten Unternehmers zu verstehen, wobei die Berechnungsbestimmung des § 22 KartG heranzuziehen ist.

Bei der Bemessung der Geldbuße ist gemäß § 30 Abs 1 KartG insbesondere auf die Schwere und die Dauer der Rechtsverletzung, auf die durch die Rechtsverletzung erzielte Bereicherung, auf den Grad des Verschuldens und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Bedacht zu nehmen.

Ein Erschwerungsgrund ist es gemäß § 30 Abs 2 KartG insbesondere, wenn

1. das Kartellgericht gegen den Unternehmer oder die Unternehmervereinigung schon wegen einer gleichartigen oder ähnlichen Zuwiderhandlung eine Geldbuße verhängt oder eine solche Zuwiderhandlung festgestellt hat oder

2. der Unternehmer oder die Unternehmervereinigung als Urheber oder Anstifter einer von mehreren begangenen Rechtsverletzung oder an einer solchen Rechtsverletzung führend beteiligt war.

Ein Milderungsgrund ist es gemäß § 30 Abs 3 KartG insbesondere, wenn der Unternehmer oder die Unternehmervereinigung

1. an einer von mehreren begangenen Rechtsverletzung nur in untergeordneter Weise beteiligt war,

2. die Rechtsverletzung aus eigenem beendet hat,

3. wesentlich zur Aufklärung der Rechtsverletzung beigetragen hat oder

4. den aus der Rechtsverletzung entstandenen Schaden ganz oder teilweise gutgemacht hat.

Dem Erschwerungsgrund der führenden Beteiligung der Antragsgegnerinnen an der Zuwiderhandlung steht als Milderungsgrund gegenüber, dass die Antragsgegnerinnen wesentlich zur Aufklärung der Rechtsverletzung beigetragen und ein Anerkenntnis abgegeben haben.

Bei der Ermittlung der Höhe der beantragten Geldbuße ging die Antragstellerin von folgenden Überlegungen aus:

Da eine große Anzahl der betroffenen Bauvorhaben den Straßenbau betrifft, zog sie den im Jahr 2016 in diesem Geschäftsbereich in Österreich erzielten Umsatz der Antragsgegnerinnen in Höhe von rund EUR 306,1 Mio als Ausgangspunkt der Bemessung heran. Ausgehend von einem Grundbetrag, der die konkreten Merkmale der Gesamtzuwiderhandlung widerspiegle (insbesondere die Art der Zuwiderhandlung), und unter Anwendung eines Multiplikators für die Dauer der Zuwiderhandlung von 2002 bis 2017 errechnete sie einen Betrag in Höhe von EUR 112,95 Mio. In weiterer Folge berücksichtige die Antragstellerin Abschläge für die Kooperation außerhalb des Kronzeugenprogrammes sowie für die einvernehmliche Verfahrensbeendigung. Als mildernd wertete sie die Einführung eines umfassenden Compliance-Systems in Verbindung mit einem externen Monitoring, gesellschaftsrechtlichen Entflechtungen im Bereich der Asphaltmischanlagen und zusätzlichen Prüfungsschritten vor Gründung von ARGEs sowie der Einrichtung eines Compliance-Lehrganges. Unter Berücksichtigung dieser Faktoren beantragte die Antragstellerin eine Geldbuße von EUR 62,35 Mio.

Ob eine höhere als die von der Antragstellerin beantragte Geldbuße in Frage käme, ist im Hinblick darauf, dass das Kartellgericht nach § 36 Abs 2 letzter Satz KartG keine höhere Geldbuße verhängen darf als beantragt, nicht zu prüfen.

Eine niedrigere Geldbuße als die beantragte Summe, die bei einem weltweiten Umsatz des PORR-Konzerns im vorangegangenen Geschäftsjahr von EUR 4,652 Mrd rund 13,4% des Höchstbetrags nach § 29 Z 1 KartG entspricht, kommt angesichts der Schwere und Dauer des Verstoßes, die durch die Rechtsverletzung zwangsläufig erzielte Bereicherung, das vorsätzliche Handeln und die erhebliche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Antragsgegnerinnen aus spezial- und generalpräventiven Erwägungen jedenfalls nicht in Betracht.“

 


Ausdruck vom: 26.04.2024 19:50:47 MESZ