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Aktenzeichen:

StA Eisenstadt (308), 8 St 3/24y

Veröffentlicht durch:

OStA Wien (038), 8 OStA 61/24d

Bekannt gemacht am:

13.11.2024


Entscheidungsdatum:

31.07.2024

Einstellungsgrund

§ 190 Z 1 StPO


 

1. Einleitung und erhobene Vorwürfe

Am 5. Januar 2024 kam es auf dem Grundstück des Einfamilienhauses von G*** K*** und E*** O***-K*** in S*** zu einem lebensgefährlichen Schusswaffengebrauch im Zuge eines Polizeieinsatzes, wobei E*** O***-K*** aufgrund der von S*** abgefeuerten Schüsse trotz sofort eingeleiteter Erste Hilfe Maßnahmen und hinzugerufenen Rettungsdienstes noch vor Ort verstarb.

Aufgrund des tödlichen Schusswaffengebrauchs durch S*** wurde in der Folge wegen des Verdachts der grob fahrlässigen Tötung sowie der Gefährdung der körperlichen Sicherheit von Amts wegen ein Ermittlungsverfahren gegen die beiden am Polizeieinsatz beteiligten Polizeibeamten D*** und S*** eingeleitet.

2. Sachverhalt

2.1. Vorgeschichte

Am 5. Januar 2024 rief E*** O***-K*** um 14:37 Uhr über Notruf die Landesleitzentrale an und teilte im offensichtlich aufgebrachten Zustand, aber im ruhigen Ton mit, es habe eine häusliche Auseinandersetzung gegeben und seine Frau habe nunmehr Angst vor körperlichen Übergriffen. Er selbst sei nie gegen Frauen gewalttätig geworden, jedoch habe er Männer bluten lassen, ihnen die Gesichter eingeschlagen und es sei keine große Sache für ihn, wenn Blut fließe. Nachdem seine Frau bislang nie die Polizei verständigt habe, wolle er ihr diesen Wunsch erfüllen und wenn es ihn das Leben koste, was sicherlich der Fall sein werde. Die Beamten mögen bewaffnet kommen und sich auf einen wütenden Affen, der Holz hackt, im Garten arbeitet und jede Menge Werkzeuge hat, vorbereiten. Außerdem sei er hochgefährlich, militant und ein rationales Gespräch mit ihm nicht möglich. Seine Frau sage ihm seit zwanzig Jahren, er sei komplett wahnsinnig und jetzt wolle er das bewiesen haben, bevor er aus dem Leben scheide.

Um 14.40 Uhr wurde eine Streife mit den Polizeibeamten S*** und S*** besetzt und dem Einsatzgrund „Streit unter Eheleuten, der Mann hat angerufen“ zur Adresse in S*** beordert, wobei die Adresse weder als „Gewalt in der Privatsphäre“ bekannt war noch sonstige Anzeichen erhöhter Gefährdung vorlagen.

Der Tatort gestaltet sich derart, dass sich straßenseitig lediglich die Garageneinfahrt und ein Gittertor befinden, von wo aus eine gewendelte Treppe mit Anstieg zum Eingang des Hauses führt.

2.2. Geschehnisablauf am Tatort und Schussabgabe

Nachdem beim Eintreffen der Polizeibeamten am Tatort auf deren Läuten am versperrten Gittertor nicht reagiert wurde nahm S*** fernmündlichen Kontakt mit E*** O***-K*** auf, wobei dieser nicht verstanden wurde. Kurz darauf wurde die G*** K*** am Grundstück wahrgenommen und aufgefordert, das Gittertor zu öffnen. Diese teilte mit, sie habe keinen Schlüssel bei sich, begab sich jedoch über Ersuchen der Polizeibeamten zum versperrten Gittertor und gab an, ihr Ehemann drehe durch, gehöre in die „Psych“ und werde sich heute von den beiden Polizeibeamten erschießen lassen. Während des Gesprächs kam E*** O***-K*** zielstrebig die Treppen herunter, wobei er in der linken Hand ein Gurkenglas und in der Rechten einen Gegenstand, der sich wenig später als Machete mit einer Gesamtlänge von 75 Zentimeter herausstellte, hielt und legte hinter seiner Frau stehend die Machete auf deren Schulter. S***, der in einigem Abstand vor dem Gittertor stand, legte seine Hand auf die Dienstwaffe und forderte E*** O***-K*** auf, die Machete wegzulegen und sich zu beruhigen, worauf dieser das Gurkenglas in Richtung des S*** warf, jedoch nicht traf, und mit der nunmehr freien linken Hand auf die Schulter seine Frau griff. Während S***, der etwas weiter entfernt vor dem Garagentor stand, über Funk mit den Worten „Waffe, Waffe“ Unterstützung anforderte, begab er sich links seitlich neben der Garage auf das Nachbargrundstück und in der Folge auf das Dach der Garage, um sich einen besseren Überblick zu verschaffen. E*** O***-K*** bemerkte dies, lief einige Stiegen hinauf und sprang ebenfalls – auf der von S*** gegenüberliegenden Seite – auf die Garage, wo er mit erhobener Machete auf diesen losging. S*** zog den Pfefferspray und besprühte den Angreifer, wobei er von S***, der zwischenzeitig ebenfalls auf die Garage geklettert war, unterstützt wurde.

Zwischenzeitig ging G*** K*** die Treppe hinauf zum Haus; auch E*** O***-K*** zog sich laut schreiend in Richtung des Hauses zurück. Nachdem ein Angriff aufgrund des emotionalen Zustandes des Angreifers auf dessen Ehefrau für die beiden Polizeibeamten zu befürchten war, nahmen S*** voran und D*** folgend, letzterer mit gezogener Dienstwaffe, die Verfolgung auf. Sie konnten E*** O***-K*** in der Nähe des Hauseinganges mit der Machete wahrnehmen. Als sich die Polizeibeamten in der Mitte des Gartens mit einem Abstand von vier Metern zueinander befanden, ergriff E*** O***-K*** eine zusammengeklappte Heurigenbank, warf diese von sich in Richtung des S*** und lief auf diesen mit erhobener Machete zu. Dieser zog seine Dienstwaffe und gab sodann Warnschüsse ins Erdreich ab, um den Angreifer zum Stehenbleiben zu zwingen, was jedoch keine Reaktion zeitigte, sodass E*** O***-K*** den noch immer Schüsse abgebenden S*** erreichte und mit der Machete von oben auf dessen Rücken zuschlug, wodurch S*** sich rückwärts Richtung Gartenzaun im Bereich der Treppe bewegte. D*** konnte seine Dienstwaffe ohne Gefährdung seines Kollegen nicht einsetzen und wich in Richtung Treppe zurück. Als E*** O***-K*** blutend am Boden lag, setzte D*** einen weiteren Notruf ab. Der in diesem Moment eintreffende Hundeführer begann unmittelbar Erste-Hilfe Maßnahmen an E*** O***-K*** vorzunehmen, während sich D*** zu der im Haus befindlichen G*** K*** begab.

S***, der eine Stichschutzweste trug, erlitt aufgrund des Angriffes des E*** O***-K*** Prellungen im Rücken- und Halsbereich.

3. Beweislage

Der Sachverhalt gründet auf den Angaben der Polizeibeamten D*** und S***, die diesen bei ihren Einvernahmen im Wesentlichen übereinstimmend schildern. G*** K*** (ON 4.8) gab an, dass sie mit dem Verstorbenen seit 2005 eine Beziehung gehabt habe und bei diesem mehrere psychische Erkrankungen diagnostiziert worden seien. Die Medikamente habe er nicht regelmäßig eingenommen bzw 2021 zur Gänze abgesetzt. Wegen der Thematisierung seiner Behandlung sei es immer wieder zu Spannungen gekommen und sei dies auch am 4. Januar 2024 Auslöser des Streites zwischen ihnen gewesen. Am 5. Januar 2024 sei es dann zu Ausbrüchen des E*** O***-K*** gekommen, wobei sie ihn aufgefordert habe, sich zu beruhigen, ansonsten sie die Polizei rufen werde. Er habe sich in Rage geredet und schließlich gesagt, er lasse sich nicht mehr mit der Polizei drohen, er werde sie nunmehr selbst anrufen. Dann habe er den oben angeführten Notruf abgesetzt. Sie sei zu den Beamten beim Gartentor gegangen und habe diesen mitgeteilt, sie würde eigentlich keine Polizei, sondern einen psychiatrischen Notdienst benötigen. Schließlich sei ihr Mann mit einer Machete hinzugekommen, wobei er auf das Tor geklopft und die Beamten aufgefordert habe, vorsichtig zu sein, weil er sich wehren würde. Als sich ein Beamter entfernt und auf das Garagendach begeben habe, habe ihr Mann dies bemerkt und sei auf das Dach gesprungen. Als dann auch der zweite Beamte auf das Dach gestiegen sei, hätten diese den Pfefferspray benutzt, wodurch sie sich bedroht gefühlt habe und ins Haus gelaufen sei. Als sie beim Haus angelangt gewesen sei, habe sie vier Schüsse gehört. Dann habe sie ihren Mann blutend am Boden liegen sehen. Ein Beamter habe sie abgehalten zu ihrem Mann zu gehen und hätten die Beamten auch nicht die entsprechende Erste Hilfe geleistet.

P***, Vermieterin und Nachbarin des E*** O***-K*** und der G*** K***, gab an, es sei kurz nach dem Mietbeginn im November 2022 zu Unstimmigkeiten mit den Mietern gekommen und wäre das Mietverhältnis mit Ende Februar 2024 beendet worden. Sie habe nicht nur aufgrund ihrer Ausbildung und langjährigen Berufserfahrung als Psychotherapeutin den Eindruck, dass E*** O***-K*** überaus aggressiv sei und ein defizitäre Aggressionsregulationsproblematik habe. Dies habe sich insbesondere bei einem direkten Gespräch im Sommer 2023 gezeigt, bei dem ihm aufgrund der Gestik sichtlich anzumerken gewesen sei, dass er kurz davor gewesen sei, körperlich auszuagieren. Sie habe damals Angst bekommen und ab diesem Zeitpunkt keinerlei Kontakt mit E*** O***-K*** gehabt und ihren Gatten ersucht, bei Gesprächen mit ihm immer eine andere Person als Zeugen mitzunehmen. Hinsichtlich G*** K*** habe sie den Eindruck gehabt, sie sei emotional hoch belastet und habe diese selbst angegeben, sie wisse, dass ihr Mann ein Aggressionsproblem habe. Hinsichtlich des Tattages habe sie lediglich einen dumpfen Knall bzw Schlag wahrnehmen können.

B*** gab an, er habe über das Handfunkgerät gehört, dass ein Kollege um Verstärkung bei einem Familienstreit in S*** ersucht habe. Er sei dann zur Einsatzörtlichkeit gefahren und habe S*** über die Garteneinfriedung gesehen. Dieser habe ihm mitgeteilt, er könne links neben der Garage auf das Grundstück gelangen. Als er dann das letzte Treppenplateau erreicht habe, habe er die beiden Beamten und eine Frau wahrnehmen können.

Er sei von diesen informiert worden, dass S*** mit einer Machete attackiert worden sei, was für ihn im Einklang mit dem Streifen auf der Schutzweste stand. Erst dann habe er E*** O***-K*** regungslos in der Wiese liegen sehen und sich diesem genähert. Zu diesem Zeitpunkt sei der Notarzt bereits verständigt gewesen. Der Mann habe nicht reagiert; es sei jedoch ein großer Blutverlust im Brust- und Rückenbereich erkennbar gewesen. Einen Puls habe er nicht mehr wahrnehmen können.

Im Zuge der durchgeführten Durchsuchung wurden bei S*** die Dienstwaffe mit angesteckten Magazin und sieben Stück Restmunition sowie ein Reservemagazin mit 16 Stück Munition sichergestellt. Weiters wurden die Pfefferspraydosen von D*** und S***, acht Patronenhülsen Kaliber 9x19 DAG20, die Machete mit einer Gesamtlänge von 75cm und Klingenlänge von 61cm und die Bekleidung des E*** O***-K*** sichergestellt.

In weiterer Folge wurde die Obduktion vom Zentrum für Gerichtsmedizin Wien durchgeführt, welche als vorläufiges Obduktionsergebnis einen Durchschuss und einen Steckschuss des Brustkorbs, wobei der Herzbeutel, das Herz, die Körperhauptschlagader, beide Lungen und eine Rippe beschädigt waren und zum Tod durch Verbluten führte, ein weiterer Durchschuss des kleinen Beckens sowie zwei oberflächliche Beschädigungen am linken Unterarm

und am rechten Oberarm ergab . In einem Telefonat am 8. Januar 2024 teilte die Obduzentin dem zuständigen Sachbearbeiter der Staatsanwaltschaft mit, dass aufgrund der Verletzungen von zumindest drei Schussabgaben auf den Körper auszugehen ist, wenn man bei der oberflächlichen Beschädigung des rechten Oberarms von einem Streifschuss ausgehe, ansonsten von vier Schüssen. Im Rahmen der Obduktion konnten ein deformiertes Projektil und ein Projektilbestandteil sichergestellt werden.

Bei einer weiteren Durchsuchung konnte schließlich die neunte Patronenhülse aufgefunden werden. Weitere Projektile wurden trotz Einsatz von Metalldetektoren nicht gefunden.

Im Rahmen der durchgeführten Tatrekonstruktion machten die beiden Polizeibeamten gleichlautende und nachvollziehbare Angaben, die im Einklang mit ihren jeweils ersten Einvernahmen standen. D*** gab wie bei seiner ersten Einvernahme an, dass er keinerlei Schüsse gehört habe. Der Boden sei damals trocken gewesen und er habe gesehen, wie es beim Erdreich beim Busch staubt. Er könne nur sagen, dass es eine kurze, zielstrebige, sehr dynamische Situation gewesen sei. S*** gab an, dass er die Waffe erst dann gezogen habe, als E*** O***-K*** die Heurigenbank nach ihm geworfen habe und mit der Machete auf ihn losgegangen sei. Er habe dann Warnschüsse in den Boden abgeben und E*** O***-K*** sei in die Schüsse „reingelaufen“. Wie viele Schüsse er abgegeben habe, habe er nicht registriert.

G*** K*** gab hinsichtlich der Situation beim Eingangstor an, dass die beiden Beamten – einer auf dem Dach der Garage und der andere auf dem Tor stehend – den Angriff mit dem Pfefferspray starteten, sodass dies für sie eine extreme Bedrohung dargestellt habe. Sie sei dann zurück zum Haus und habe dann auf Höhe des „Carports“ (ein überdachter Bereich vorm Haus) ihren Mann hinter sich bemerkt. Für sie sei es ein gewaltsames Eindringen der Beamten gewesen. Sie sei weiter ins Haus gegangen und ihr Mann ins „Carport“. Ihrer Wahrnehmung nach sei ihr Mann noch im Carport gewesen als sie vier Schüsse gehört habe. Dann sei sie nach draußen und habe ihren Mann in der Ecke am Boden liegend gesehen.

Das Obduktionsgutachten ergab unter Berücksichtigung der Ergebnisse des Lokalaugenscheins, dass der 55jährige E*** O***- K*** nach einem Brustdurch- sowie ‑steckschuss mit Beschädigung des Herzens, beider Lungen, der Körperhauptschlagader sowie zweier Herzkranzgefäße infolge Verblutens eines gewaltsamen Todes gestorben ist. Ein weiterer Durchschuss des kleinen Beckens hat die Harnblase durchsetzt.

Eine chronologische Zuordnung der Schussverletzungen allein anhand der Obduktionsbefunde sei nicht möglich, doch sei aufgrund der Tatrekonstruktion und des ballistischen Gutachtens davon auszugehen, dass – nach Abgabe der sechs Warnschüsse in den Boden – der erste Schuss, der das Opfer getroffen hat, sein Becken durchdrungen habe. Die beiden Schussverletzungen in der Brustregion seien danach und sehr schnell hintereinander entstanden. Die oberflächliche Abschürfung am linken Unterarm könne als Streifschuss angesprochen werden, durch den das Geschoss instabil geworden sei, einen ovalen Einschussdefekt an der linken Brustkorbvorderseite hervorgerufen habe und letztlich im Weichgewebe der rechten Brustwandaußenseite zu liegen gekommen sei.

In den einbestellten Krankenunterlagen der Allgemeinmedizinerin waren ein hohes Aggressionspotential, ein Cannabis- sowie ein hoher Alkoholkonsum des E*** O***-K*** dokumentiert. Weiters gab die Gerichtsmedizinerin an, dass E*** O***-K*** zum Zeitpunkt des Todes unter Cannabiseinfluss gestanden ist.

Die Stellungnahme zu den Obduktionsergebnissen und Anregung ergänzender Ermittlungen des Rechtsvertreters von G*** K*** vermag an der Beurteilung der gerichtsmedizinischen Sachverständigen nichts zu verändern, zumal diese selbst angab, dass eine chronologische Zuordnung der Schussverletzungen anhand der Obduktionsbefunde nicht möglich sei.

Das Ermittlungsverfahren ergab zusammengefasst, dass D*** und S*** nach der Auseinandersetzung am Tor bzw auf dem Dach der Garage mit E*** O***-K*** zunächst zur Verhinderung eines möglichen Angriffes auf dessen Ehefrau die Verfolgung auf das höher gelegene Plateau aufnahmen, wobei E*** O***-K*** auf S*** losging, sodass alleine schon aufgrund des aggressiven Verhaltens gegenüber seiner Ehegattin als auch den Beamten am Eingangstor in Zusammenhang mit dem Wegwerfen der Heurigenbank in Richtung des Beamten als auch des Zulaufens mit der erhobenen Machete von einem Angriff auf S*** auszugehen ist. Aufgrund der sichergestellten Projektile als auch der restlichen Munition in seiner Dienstwaffe kann festgestellt werden, dass S*** nachfolgend insgesamt neun Schüsse abgegeben hat. Das gerichtsmedizinische Sachverständigengutachten ergab, dass E*** O***-K*** von drei Schüssen getroffen wurde. Laut Schusssachverständigem könne eine sichere Beurteilung der Reihenfolge der Schussabgabe aus schießtechnischer Sicht aufgrund der Spuren nicht getroffen werden. Als plausible Schussabgabe wäre als erster Schuss der Durchschuss im Bereich des Beckens möglich, wobei sich das Opfer nach rechts dreht und den Durch- und den Steckschuss im Bereich der linken Brust erhielt, möglich.

Es kann daher nicht festgestellt werden, in welcher Reihenfolge Schüsse von S*** abgegeben wurden. Für die Annahme, dass die ersten sechs in den Boden abgegeben und die letzten drei dann das Opfer trafen, spricht die Aussage von S*** im Zuge der Tatrekonstruktion, wonach er – nachdem der Verstorbene die Bank weggeworfen und mit erhobenen Machete auf ihn zugelaufen sei – Schüsse in den Boden abgegeben habe, damit er diesen zum Stehen bleiben bringe, wobei dieser in die Schüsse hineingelaufen sei.

4. Rechtliche Beurteilung

Aus den Richtlinien für das Einsatztraining des Bundesministeriums für Inneres, insbesondere dem Anhang „M“, ergibt sich, dass Praxistests gezeigt haben, dass je nach Dynamik des lebensgefährlichen Angriffs mit Hieb- und Stichwaffen von einer letalen Nahdistanz bis sieben Metern ausgegangen wird. Innerhalb dieser Distanz muss daher versucht werden, einen solchen Angriff so rasch wie möglich abzuwehren bzw zu beenden.

Die Schusswaffe ist grundsätzlich dazu geeignet, einen Angriff mit einer Hieb- oder Stichwaffe zu beenden. Da ein gegenwärtiger Messerangriff grundsätzlich mit Lebensgefahr verbunden ist, kann prinzipiell davon ausgegangen werden, dass ein lebensgefährdender Waffengebrauch mit einer Schusswaffe gerechtfertigt ist (Notwehrsituation).

Trotz Einsatz der Schusswaffe dürfen einschreitende Einsatzbeamte jedoch nicht von einer sofortigen Wirkung ausgehen. Wie Einsatzerfahrungen belegen, kommt es immer wieder vor, dass Angriffe trotz mehrerer Schusswunden, für zumindest eine kurze Zeit, fortgesetzt werden können. Jede Verteidigungshandlung sollte deshalb nach Möglichkeit auch mit einer Ausweichbewegung, wenn es der vorhandene Platz zulässt nach seitlich-rückwärts, verbunden sein. Situationsbezogen kann es im Einzelfall erforderlich sein, dass ein angegriffener Exekutivbediensteter mehrere, rasch aufeinander folgende Einzelschüsse abgeben muss, bis eine Waffenwirkung ersichtlich ist. Dies wird insbesondere von der Dynamik und Massivität des vorgetragenen Angriffes, der Trefferlage und dem Schusskanalverlauf sowie vom physischen und psychischen Zustand des Angreifers selbst (mentale Einstellung, mögliche Beeinträchtigungen, Schmerzempfinden, etc) abhängig sein. Ist die Angriffsunfähigkeit eingetreten, ist ein Waffengebrauch zu beenden. Ob diese Unfähigkeit eingetreten ist, ist nach der ex-ante Betrachtung zu beurteilen. Dabei darf nicht übersehen werden, dass gerade bei Schusswaffengebräuchen die Wirkung regelmäßig nicht sofort eintritt und damit für das Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes nicht sofort feststellbar ist (Praxiskommentar zum WaffGG, 8. Auflage 2019, Keplinger/Nedwed).

Ein Waffengebrauch im Rahmen polizeilicher Zwangsbefugnisse unterliegt den Bestimmungen des Waffengebrauchsgesetzes 1969 (WaffGG). Dabei hat sich die Zulässigkeit des Waffengebrauchs an § 2 WaffGG in Verbindung mit § 4 leg cit zu orientieren. Die Wahl der Waffe (§ 3) und die Grenzen der Zulässigkeit des Waffengebrauchs richten sich nach den §§ 5 und 6 WaffGG. Der lebensgefährdende Waffengebrauch als Ultima Ratio unterliegt den Bestimmungen der §§ 7 und 8 WaffGG.

Aufgrund der Schilderungen der beiden Beamten, die in Übereinstimmung mit den Angaben der Ehefrau des Opfers sowie des gerichtsmedizinischen Sachverständigengutachtens stehen, ist von einer Notwehrsituation bei S*** auszugehen.

Die ersten sechs Schüsse durch S***, welche den Tatbestand der Gefährdung der körperlichen Sicherheit gemäß dem § 89 StGB erfüllen, ist nach dem § 7 Z 1 und 3 WaffGG gerechtfertigt, weil eine gerechte Notwehrsituation im Sinne des § 7 Z 1 leg cit vorlag, was den Entfall der Waffengebrauchsandrohung des § 8 leg cit legitimierte.

Die weiteren drei Schüsse, die (zumindest) die objektiven Tatbestände der fahrlässigen Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen nach dem § 81 Abs 1 Z 1 StGB erfüllen, sind aus den gleichen Gründen nach § 7 Z 1 WaffGG gerechtfertigt, weil er die Schüsse abgab, um einen unmittelbar drohenden rechtswidrigen Angriff auf sich zu verhindern.

5. Conclusio

Zusammenfassend war daher der Waffengebrauch von S*** aus der Situation geboten und gerechtfertigt, der daraus resultierende Tod des E*** O***-K*** ein zwangsläufiges Ergebnis aus der Dynamik des Geschehnisablaufes. Das Ermittlungsverfahren gegen S*** war daher wegen der §§ 81 Abs 1 und 89 erster Fall StGB gemäß § 190 Z 1 StPO aus dem Grund des § 7 Z 1 und 3 WaffG einzustellen.

Aufgrund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens ergab sich eindeutig, dass keinerlei Schuss von D*** abgegeben wurde und auch sonst keinerlei strafrechtlich relevantes Verhalten gesetzt wurde, sodass hinsichtlich D*** das Ermittlungsverfahren wegen der §§ 81 Abs 1 und 89 erster Fall StGB gemäß § 190 Z 1 StPO einzustellen war.

 

Anmerkung der Oberstaatsanwaltschaft Wien: Einen von der Witwe des Opfers gestellten Antrag auf Fortführung des Ermittlungsverfahrens hat das Landesgericht Eisenstadt mit Beschluss vom 8. November 2024, AZ48 Bl 27/24s, abgewiesen. 

Ausdruck vom: 25.06.2025 07:43:08 MESZ