OStA Wien (038), 11 OStA 161/24g
Veröffentlichung gemäß § 35a Staatsanwaltschaftsgesetz
StA Wien (037), 29 St 109/24v
24.09.2024
14.06.2024
§ 190 Z 1 StPO
Aufgrund von Medienberichten erstatteten unbeteiligte Medienkonsumenten Anzeige gegen X (Spitzenkandidatin für die Partei Y zur Wahl Z), wobei – unter Bezugnahme auf die seinerzeit vorherrschende Medienberichterstattung – der Vorwurf erhoben wurde, B verleumde OP1 und den Redakteur OP2, indem sie herumerzähle, der Erstgenannte würde seine Ehefrau schlagen, die infolge von gewalttätigen Übergriffen außerdem eine Fehlgeburt erlitten habe, und OP2 habe sie belästigt.
Gegen X bestand daher der Verdacht, sie habe OP1 und OP2 der Gefahr einer behördlichen Verfolgung ausgesetzt, wobei sie jeweils gewusst habe, dass die Verdächtigungen falsch sind, und derart die Verbrechen der Verleumdung nach § 297 Abs 1 erster und zweiter Fall StGB begangen.
Von einem Anfangsverdacht ist nur dann auszugehen, wenn auf Grund bestimmter Anhaltspunkte angenommen werden kann, dass eine Straftat begangen wurde (§ 1 Abs 3 StPO), welcher Verdacht nur auf Grund konkreter Anhaltspunkte angenommen werden darf. Alleine Vermutungen, lediglich vage Hinweise oder Spekulationen (auf bloße Annahmen oder Mutmaßungen beruhende Erwartungen) genügen nicht. Bestimmte Anhaltspunkte setzen voraus, dass zumindest nach der sich bietenden Sachlage die Annahme einer verfolgbaren Tat indiziert sein und es im Gesamtbild aller Faktoren nach kriminalistischer Erfahrung als möglich erscheinen muss, dass eine verfolgbare Straftat vorliegt (Markel, WK StPO § 1 Rz 26). Jenseits des Anfangsverdachts ist eine Strafverfolgung unzulässig (Pilnacek/Świderski, WK² StGB § 297 Rz 17), bei (leicht) ausschließbarem Verdacht ist daher kein Strafverfahren zu führen (RIS-Justiz RS0133968).
Eine Verleumdung iSd § 297 Abs 1 StGB erfordert als Tathandlung eine falsche Verdächtigung, die eine konkrete Gefahr behördlicher Verfolgung bewirken muss. Für die Beurteilung ist vor allem der Inhalt (die behaupteten Tatumstände) und die objektive Eignung der Beschuldigung, die vom Täter angestrebte behördliche Verfolgung des fälschlich Bezichtigten in den Bereich naher Wahrscheinlichkeit zu rücken, wesentlich. Dabei muss eine Verfolgung als regelmäßige Folge unmittelbar zu erwarten sein (Pilnacek/Świderski, aaO), die bloße Möglichkeit genügt nicht (Tipold, Salzburger Kommentar zum Strafgesetzbuch § 297 Rz 43; 15 Os 88/96; 13 Os 137/81; 9 Os 174/81; 11 Os 96/80 uva). Neben dem Erfordernis, dass die Verdächtigung ihrem Inhalt nach überhaupt einen Anfangsverdacht begründen kann (neuerlich Pilnacek/Świderski aaO; 14 Os 1/21k), muss es nach Lage des Falles somit wenigstens (konkret) wahrscheinlich sein, dass irgendeine Behörde den Verdächtigen verfolgen wird (RIS-Justiz RS0096788 insbesondere [T8]), wovon stets dann auszugehen ist, wenn gegen eine bestimmte Person der substanziierte Vorwurf der Begehung einer mit (gerichtlicher) Strafe bedrohten Handlung gegenüber einer zur Strafverfolgung zuständigen (und verpflichteten) oder zumindest zur Anzeige verpflichteten Behörde geäußert wird (RIS-Justiz RS0096788 [T6] und [T11], RS0096807, RS0096535 und 14 Os 15/17p). Wird die Verdächtigung aber bloß gegenüber einer Privatperson geäußert, besteht die konkrete Gefahr nur dann, wenn (konkret) anzunehmen ist, dass diese sich an die Polizei wenden wird, wie es bei Verdächtigungen gegenüber dem Opfer oder zB gegenüber dem Ehepartner für gewöhnlich nicht der Fall ist (so auch Schwaighofer, Praxiskommentar zum StGB § 297 Rz 6, K/Schm StudB III zu §§ 297–298 und H/R BT II 6 § 297 Rz 12; aM ohne jedoch weiterführende Judikaturzitate nur Fabrizy/Michel-Kwapinski/Oshidari, StGB14 § 297 Rz 4).
Fallbezogen wurden nach der hier maßgeblichen, die Verdachtslage begründenden Medienberichterstattung die Vorwürfe gegen OP1 in diversen Chat-Nachrichten von X lediglich gegenüber ihrem Freund (in den Medienberichten als „Politiker-Kollege“ bezeichnet) erhoben, die dieser nach der Trennung von X der Ehefrau des OP1 vorgezeigt haben soll, woraufhin im Verfahren AZ CC des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien ein prätorischer Vergleich, enthaltend eine Unterlassungserklärung, abgeschlossen wurde. Insofern auch keine Hinweise dahingehend vorliegen, dass die den Gegenstand der medialen Berichterstattung einnehmenden Vorwürfe auf eine weitere Verbreitung durch X selbst zurückzuführen wären, wie auch substanziierte Anzeigen der von den Vorwürfen unmittelbar betroffenen Personen selbst gar nicht vorliegen, sind – nach der vorliegenden, den maßgeblichen Gegenstand der Beurteilung bildenden und ausschließlich auf Anzeigen von unbeteiligten Medienkonsumenten zurückzuführenden Verdachtslage – die etwaigen Falschbezichtigungen bereits objektiv nicht geeignet, die erforderliche konkrete Gefahr behördlicher Verfolgung unmittelbar herbeizuführen. In gleicher Weise verhält es sich auch mit dem betreffend den Journalisten eines Fernsehsenders, OP2, neuerlich bloß gegenüber „Freunden und Bekannten“ lancierten Vorwurf der „Belästigung“, der schon für sich genommen mangels konkreter Bezugnahme auf ein damit einhergehendes strafbares Verhalten (etwa in Richtung §§ 107a oder 218 StGB) keinen Anfangsverdacht gerichtlich strafbaren Verhaltens begründen würde.
Indem die von der Staatsanwaltschaft Wien veranlasste Beischaffung des Aktes AZ CC des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien zur Einsichtnahme in den prätorischer Vergleich nach der rezenten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs aber bereits eine Ermittlungshandlung darstellte (zur Problematik der – wie hier – unter Inanspruchnahme Dritter veranlassten Aktenbeischaffung siehe verstärkte Senatsentscheidung 12 Os 92/21b), war das derart gegen X eingeleitete Ermittlungsverfahren mangels substanziierten Anfangsverdachts gemäß § 190 Z 1 StPO einzustellen.