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Aktenzeichen:

Zentrale Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption (WKStA) (020), 9 St 8/22s

Veröffentlicht durch:

OStA Wien (038), 16 OStA 110/22s

Bekannt gemacht am:

27.01.2023


Entscheidungsdatum:

27.12.2022

Einstellungsgrund

§ 35c StAG


 

Am 27.12.2022 hat die WKStA eine vom Abgeordneten zum niederösterreichischen Landtag, U*** L***, im April 2022 eingebrachte Sachverhaltsdarstellung zum Thema „In Angelegenheit der Aussetzung bzw. Hinausschiebung des Baus des Lobautunnels“ gemäß § 35c StAG zurückgelegt.


In dieser Sachverhaltsdarstellung war der Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität und Technologie, L*** G***, sowie Organen der Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft (ASFINAG) vorgeworfen worden, durch den im Dezember 2021 veranlassten Baustopp in der oben genannten Angelegenheit einen Schaden von mehreren 100 Millionen Euro im Vermögen der ASFINAG verursacht zu haben.



1. Die Bundesstraße S 1 und ihre Evaluierung:


Das Bundesstraßengesetz 1971 (BStG 1971) enthält in seinen Verzeichnissen 1 und 2 jene Straßenzüge, die von Gesetzes wegen zu Bundesstraßen erklärt werden (§ 1 Abs 1 BStG 1971).


Darunter befindet sich der Straßenzug mit der Nummer S 1 und mit der Bezeichnung „Wiener Außenring Schnellstraße“. Im Verzeichnis 2 zum BStG 1971 ist auch der grobe Streckenverlauf beschrieben. Danach hat die S 1 beim Knoten Vösendorf zu beginnen und beim Knoten Korneuburg/West zu enden.


Der konkrete Straßenverlauf ist durch den mit der Vollziehung des BStG 1971 betrauten Bundesminister – aktuell die Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie – durch Bescheid festzulegen (§ 4 Abs 1 BStG 1971).


Während die Abschnitte Vösendorf–Schwechat (sog. Südumfahrung) und Süßenbrunn–Korneuburg (sog. Nordumfahrung) bereits in den Jahren 2006 bzw. 2010 für den Verkehr freigegeben worden sind, wurde für den Mittelabschnitt zwischen Schwechat und Süßenbrunn (auch als Ostumfahrung oder Nordostumfahrung bezeichnet) erst mit Bescheid des damaligen Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie vom 26.03.2015 unter anderem der konkrete Straßenverlauf (gemäß § 4 Abs 1 BStG 1971) bestimmt:


Beginnend vom Knoten Schwechat ist die Straße zunächst als Tunnel unter der Donau, der Neuen Donau und dem Nationalpark Donau-Auen auszuführen. Dieser gemeinhin als Lobautunnel bezeichnete Bauabschnitt soll kurz vor der Anschlussstelle Groß-Enzersdorf enden. Der weitere Straßenverlauf von dieser Anschlussstelle bis zum Knoten Süßenbrunn soll in freier Streckenführung gebaut werden.


Nach dem Bescheid soll der Bauabschnitt Schwechat–Süßenbrunn zeitlich gestaffelt in zwei sogenannten Verwirklichungsabschnitten gebaut bzw. realisiert werden, und zwar zunächst der Abschnitt Groß-Enzerdorf–Süßenbrunn sowie anschließend der Abschnitt Schwechat–Groß-Enzersdorf (der sogenannte Lobautunnel)


Für das von der ASFINAG gemäß § 2 Abs 1 ASFINAG-Gesetz zu errichtende Bauvorhaben war der Baubeginn – zuletzt – für den nördlichen Teil mit Jänner 2022 sowie für den Lobautunnel mit Februar 2023 geplant.


Die gemäß der Anlage zu § 2 Teil 2 lit I Z 11 und 12 des Bundesministeriengesetzes 1986 unter anderem für Angelegenheiten der Bundesstraßen, dabei „insbesondere auch für die Angelegenheiten des Straßenbaues“, sowie für Angelegenheiten der Unternehmungen, die durch Bundesgesetz mit dem Bau von Bundesstraßen betraut sind, darunter insbesondere „die Verwaltung der Anteilsrechte des Bundes an der“ ASFINAG, aktuell zuständige Bundesministerin L*** G*** ließ im Jahr 2021 eine Evaluierung des Bauprogramms der ASFINAG vornehmen.


Getragen war diese Evaluierung vor allem von der sogenannten Klimakrise und der damit einhergehenden Erderwärmung sowie damit in Zusammenhang stehenden internationalen Vorgaben für Klimaziele und -strategien.


Diese Evaluierung umfasste unter anderem auch den noch nicht realisierten Bauabschnitt der Bundesstraße mit der Nummer S 1 und der Bezeichnung „Wiener Außenring Schnellstraße“.


Der Evaluierungsbericht von BM G*** kam dabei hinsichtlich der beiden hier gegenständlichen Bauabschnitte zu folgenden Ergebnissen:


- Für den Abschnitt Groß-Enzersdorf–Knoten Süßenbrunn wären im Zusammenhang mit der Errichtung der Bundesstraße mit der Nummer S 8 („Marchfeld Schnellstraße“ gemäß Verzeichnis 2 zum BStG 1971) Alternativen zu planen.

- Für den Abschnitt Knoten Schwechat–Groß-Enzersdorf, dh für den sogenannten Lobautunnel, wäre die weitere Planung bzw. Umsetzung ruhend zu stellen.


Insgesamt umfasste die im November 2021 abgeschlossene Evaluierung 15 Straßenbauprojekte der ASFINAG. In den jeweiligen Schlussfolgerungen wurde zum Teil empfohlen, das Projekt ruhend zu stellen, zum Teil wurde auch empfohlen, das Projekt fortzusetzen.


2. Neuausrichtung des Bauprogramms durch die ASFINAG und ihre vermögensrechtlichen Auswirkungen auf die ASFINAG:


Die vorher genannte Evaluierung und die darin enthaltenen Schlussfolgerungen wurden vom Vorstand der ASFINAG als Zielvorgaben für das künftige Bauprogramm verstanden.


Die Schlussfolgerung, ein Bauprojekt ruhend zu stellen, verstand der Vorstand der ASFINAG so, dass es sich um ein bloß vorläufiges Ruhen handeln würde. Ein endgültiger Baustopp bzw. eine endgültige Absage eines solchen Projektes sei damit nicht verbunden, da der Bau bestimmter Bundesstraßen durch das BStG 1971 vorgegeben sei. In diesem Zusammenhang wurden und werden auch die noch anhängigen Verfahren zur rechtskräftigen Erlangung aller erforderlichen Genehmigungen fortgeführt.


Das solcherart geänderte Bauprogramm legten die beiden Vorstände der ASFINAG, Dr. J*** F*** und Mag. H*** H***, am 14.12.2021 dem Aufsichtsrat der ASFINAG vor, der dieses mehrheitlich genehmigte.


Insgesamt umfasst die von der ASFINAG im Dezember 2021 beschlossene „Ruhendstellung“ folgende Bundesstraßen:


  • S 1 (Wiener Außenring Schnellstraße): Abschnitt Knoten Schwechat–Groß-Enzersdorf (inklusive Lobautunnel);

  • S 37 (Klagenfurter Schnellstraße): Abschnitt Friesach Nord–St. Veit Nord;

  • A 3 (Südost Autobahn): Abschnitt Knoten Eisenstadt–Staatsgrenze;

  • A 22 (Donauufer Autobahn): Abschnitt Verlängerung Kaisermühlen–Kaiserebersdorf


In einem im Jahr 1997 abgeschlossenen Vertrag hat die Republik Österreich der ASFINAG das Recht eingeräumt, die Bundesstraßen laut BStG 1971 – dh die in den dortigen Verzeichnissen ausgewiesenen Autobahnen und Schnellstraßen – zu betreiben und für deren Benutzung Maut einzuheben. Das damit eingeräumte Recht der Fruchtnießung wird in der Bilanz der ASFINAG als immaterieller Vermögensgegenstand erfasst. Auf Grund einer expliziten gesetzlichen Sonderregelung unterliegt dieses Fruchtgenussrecht keiner planmäßigen Abschreibung.


Investitionen für noch nicht dem Verkehr übergebene Bauvorhaben werden in der Bilanz der ASFINAG als „Anzahlung Fruchtgenussrecht“ ausgewiesen. Wird in den Verzeichnissen des BStG 1971 ein Straßenzug gelöscht, so wird ein Abgang des Fruchtgenussrechtes erfasst.


Auf Grund der im Dezember 2021 von der ASFINAG beschlossenen Neuausrichtung des Bauprogrammes und der damit einhergehenden Ruhendstellung der vorher genannten Straßenbauprojekte hat der Vorstand der ASFINAG eine 100-prozentige Wertminderung dieser Projekte angenommen, da zum Bilanzstichtag 31.12.2021 nicht beurteilt werden konnte, wann und in welcher Form diese Projekte fortgeführt werden würden. Während die Kosten für die Grundeinlösen aufgrund der den Grundstücken beizulegenden Werte nicht korrekturbedürftig erschienen, wurden die im Zusammenhang mit diesen Bauvorhaben aufgewendeten Planungs- und Baukosten sowie etwaige Nebenkosten zu Grundeinlösen als nicht mehr werthaltig eingestuft und zu 100 % – dh zur Gänze – wertgemindert.


Dies wurde im Jahresabschluss 2021 der ASFINAG in Form einer außerplanmäßigen Abschreibung auf die Position „Anzahlungen Fruchtgenussrecht“ in Höhe von rund 81,37 Millionen Euro erfasst.


Bei Wegfall der Gründe für die außerplanmäßige Abschreibung ist eine Zuschreibung der Planungs- und Baukosten möglich.


3. Einflussmöglichkeiten der Republik Österreich auf die ASFINAG aufgrund des Fruchtgenussvertrages:


Der aufgrund des § 2 ASFINAG-Ermächtigungsgesetz 1997 zwischen der Republik Österreich und der ASFINAG abgeschlossene Fruchtgenussvertrag lautete in seiner ursprünglichen Fassung vom 23.06./25.07.1997 auszugsweise wie folgt:


Punkt IV

(1) Der Bund ist berechtigt, eine begleitende Kontrolle der ASFINAG und ihrer Tochtergesellschaften hinsichtlich der Maßnahmen derselben einschließlich der Planungsmaßnahmen durchzuführen und jederzeit Auskünfte über die Tätigkeit der ASFINAG und ihrer Tochtergesellschaften zu verlangen. Die ASFINAG hat für die Durchsetzung dieser Rechte des Bundes gegenüber ihren Tochtergesellschaften Sorge zu tragen.


(2) Der Bund ist berechtigt, der ASFINAG und ihrer Tochtergesellschaften Zielvorgaben hinsichtlich der verkehrs-, sicherheits- und bautechnischen Ausgestaltung zu setzen und eine begleitende Kontrolle hinsichtlich der Maßnahmen der ASFINAG und ihrer Tochtergesellschaften einschließlich der Planungsmaßnahmen durchzuführen. [...]“


In der zuletzt geänderten Fassung des Fruchtgenussvertrages vom 28.03./22.05.2014 lautet Punkt IV Abs 2 auszugsweise wie folgt:


Der Bund ist berechtigt, der ASFINAG und ihren Tochtergesellschaften Zielvorgaben hinsichtlich der verkehrs-, sicherheits- und bautechnischen Ausgestaltung sowie umweltschutzbezogener Maßnahmen zu setzen und eine begleitende Kontrolle hinsichtlich der Maßnahmen der ASFINAG und ihrer Tochtergesellschaften einschließlich der Planungsmaßnahmen durchzuführen. […]. Die ASFINAG hat zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach Artikel II § 2 Abs. 1 ASFINAG-Gesetz einen sechsjährigen Rahmenplan, der die jahresweise geplanten Investitionen samt den für Erhaltung und den Betrieb erforderlichen Ausgaben umfasst, sowie darauf aufbauend Plan-Gewinn- und Verlustrechnungen und Plan-Bilanzen zu erstellen und jeweils bis zum 15. Oktober dem Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie vorzulegen. Diese Plan-Gewinn- und Verlustrechnungen und Plan-Bilanzen gemäß Art. II § 10 ASFINAG-Gesetz, BGBl. Nr. 591/1982, bedürfen der Zustimmung des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen. Der Rahmenplan ist jährlich jeweils um ein Jahr zu ergänzen und auf den neuen sechsjährigen Zeitraum anzupassen. Er hat alle für das Unternehmen entscheidungsrelevanten Informationen zu enthalten, insbesondere eine Beschreibung und einen Zeitplan für die Planung und den Bau der Neubauprojekte mit einer aktuellen Kostenschätzung und einer Wirtschaftlichkeitsbetrachtung. Ebenso sind Konzepte betreffend die Ausbauprojekte und die allgemeine bauliche Erhaltung der Bundesstraßen für diesen Zeitraum vorzulegen.“


4. Rechtliche Beurteilung:


Die nach den Vorgaben des Bundesministeriumgesetzes 1986 über die Verwaltung der Anteilsrechte des Bundes an der ASFINAG aktuell zuständige Bundesministerin L*** G*** ist seit der Änderung des Fruchtgenussvertrages zwischen der Republik Österreich und der ASFINAG im Jahr 2014 explizit berechtigt, diesem Unternehmen Vorgaben in Bezug auf den Schutz der Umwelt zu machen. Aus der Formulierung in Punkt IV Abs 2 erster Satz des Fruchtgenussvertrages lässt sich vertretbar ableiten, dass sich diese spezifischen Vorgaben auch auf alle Planungsmaßnahmen der ASFINAG beziehen können.


Die gesetzliche Deckung dieses spezifischen Vertragsinhaltes findet sich dabei in § 10 ASFINAG-Ermächtigungsgesetz 1997. Dort ist ohne Einschränkung davon die Rede, dass der zuständige Bundesminister der ASFINAG Zielvorgaben machen und sich die begleitende Kontrolle auch auf alle Planungsmaßnahmen erstrecken kann.


Somit können auch bei der Realisierung der in den Verzeichnissen 1 und 2 zum BStG 1971 angeführten Straßenzüge – zumindest seit dem Jahr 2014 – klima- und umweltpolitische Zielsetzungen jedenfalls miteinbezogen werden.


Damit ist aber das dargestellte Abgehen von diversen Straßenbauprojekten durch den Vorstand und den Aufsichtsrat der ASFINAG – und zwar über entsprechendes Ersuchen der zuständigen Bundesministerin G*** – (zumindest seit dem Jahr 2014) normativ gedeckt. Dies vor dem Hintergrund der dargestellten, von einer jedenfalls vertretbaren umweltpolitischen Zielsetzung getragenen Evaluierung diverser Bauprojekte der ASFINAG durch die zuständige Bundesministerin im Jahr 2021.


Mag daher – wie im Fall des hier gegenständlichen sogenannten Lobautunnels als Teil der Bundesstraße S 1 – auch bereits die bescheidmäßige Bewilligung des konkreten Straßenverlaufs durch den (damals) zuständigen Bundesminister vorliegen sowie die Detailplanung des Bauvorhabens samt damit verbundener Aufwendungen bereits begonnen haben, ist die Entscheidung über den tatsächlichen Baubeginn letztlich (auch) eine politische Frage, die unter den Rahmenbedingungen des § 10 ASFINAG-Ermächtigungsgesetz sowie des diese Norm konkretisierenden Fruchtgenussvertrages unterschiedlich beantwortet werden kann.


Daraus folgt, dass die im Dezember 2021 durch den Vorstand und den Aufsichtsrat der ASFINAG vorgenommene Neubewertung des Bauprogramms nicht als unvertretbarer Fehlgebrauch der eingeräumten Befugnis im Sinne des Untreuetatbestandes (§ 153 Abs 2 StGB) qualifiziert werden kann. Damit ist aber auch eine strafrechtliche relevante Bestimmungshandlung der Bundesministerin L*** G*** nicht auszumachen (§ 14 Abs 1 zweiter Satz zweiter Fall StGB; OGH RIS-Justiz RS0116032).


Es wurde daher von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen L*** G***, Dr. J*** F***, Mag. H*** H*** und unbekannte Täter (Verantwortliche des Aufsichtsrates der ASFINAG) wegen § 153 Abs 1 und 3 zweiter Fall, § 12 zweiter Fall StGB gemäß § 35c StAG abgesehen.





Ausdruck vom: 27.07.2024 17:15:50 MESZ