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Aktenzeichen:

StA Ried im Innkreis (468), 5 St 84/19a

Veröffentlicht durch:

OStA Linz (457), 5 OStA 172/19f

Bekannt gemacht am:

03.09.2019


Entscheidungsdatum:

03.09.2019

Einstellungsgrund

§ 190 Z 1 StPO


 

Im April 2019 wurde in der mittels Postwurfsendung an alle Haushalte in der Stadtgemeinde B*** verteilten Zeitschrift „B*** Dialog“ ein Gedicht mit dem Titel „… die Stadtratte (Nagetier mit Kanalisationshintergrund)“ veröffentlicht. Verfasser des Gedichts ist der Erstbeschuldigte und ehemalige Vizebürgermeister der Stadtgemeinde B*** Christian S***. Im Impressum des Druckwerkes scheint als zuständiger Verantwortlicher der Herausgeberin F*** B*** der Zweitbeschuldigte Hubert E*** auf.

Das gegenständliche Gedicht wurde vom Erstbeschuldigten in der Ich-Form verfasst, wobei er sich selbst als Ratte darstellt, die mit ihresgleichen („wir Ratten“, „Rattenvater, Rattenkind“, „Rattenmutter“) in der B*** Kanalisation lebt und von dort aus das Leben der Menschen in der Stadt beobachtet bzw. kommentiert. Zunächst spricht der Ich-Erzähler bezogen auf sein eigenes Habitat davon, dass all jene („… and‘re Ratten eben, die als Gäst‘ oder Migranten ...“), die „hier unten“ (gemeint: in der Kanalisation) leben wollen, sich entscheiden müssten, entweder „die Art zu leben mit uns (gemeint: mit den in der Kanalisation bereits ansässigen Ratten) zu teilen“, „die Regeln und Gesetze“ zu befolgen oder „rasch von dannen zu eilen“, sich also einen anderen Aufenthaltsort zu suchen. In der Folge wird – aus Sicht der beobachtenden Ratte – der Bogen zu den in B*** lebenden Menschen gespannt und kritisiert, dass es unter diesen – neben „Guten“, die die Befolgung der geltenden „Regeln“ einmahnten - auch „Leute“ gebe, die sich für die eigene Kultur schämten, diese („Kultur und Bräuche von daham“) zugunsten „fremder“ Einflüsse „sehr angeekelt in die Tonne“ werfen und statt dessen „das Neue in die Sonne stellen“ würden. Als Beispiel wird in diesem Zusammenhang ein Integrationszwecken dienendes Begegnungszentrum in B*** genannt, für dessen geplante Sanierung nach Ansicht des Erzählers leichtfertig („wird das Budget schnell aufgebläht“) unverhältnismäßig hohe Mittel aufgebracht würden, die den „eig`nen Leute“ nicht ohne Weiteres („hat man tausend blöde Fragen“) zur Verfügung stünden. Die darin zum Ausdruck kommende „Gastkultur“ vergesse dabei allerdings, „dass wenn man zwei Kulturen mischt, es ist, als ob man sie zerstört“. Er (gemeint: die beobachtende Ratte) finde das „ganz unerhört“. Nachdem Parallelen zur Vermischung von Sprachen und zur als konfliktträchtig erachteten („das Andere ist stets verkehrt“) Unterschiedlichkeit religiöser Werthaltungen gezogen wurden, bringt der Gedichtverfasser seine Missachtung für jene zum Ausdruck, die „das eig`ne Volk“ schlechter behandelten („nur zum eig‘nen Volke hart“) als „die Fremden“ („den Fremden will entgegenkommen“) und postuliert schließlich, dass „die Regeln“ von jenen „aufzustellen“ seien, die „hier seit -zig Generationen lieben, leben und wohnen“.

Im gesamten Gedicht finden sich keine nationalsozialistisches Gedankengut propagierende Äußerungen, sodass das Vorliegen eines Anfangsverdachtes (§ 1 Abs 3 StPO) in Richtung eines der Tatbestände nach dem Verbotsgesetz auszuschließen ist. Vielmehr waren auf Grundlage des dargestellten Textinhaltes die Verwirklichung der Vergehen der Verhetzung nach § 283 Abs 1 Z 1 und 2, Abs 2 StGB und der Herabwürdigung religiöser Lehren nach § 188 StGB zu prüfen.

Zum Verdacht des Vergehens der Verhetzung nach § 283 Abs 1 Z 1 und 2, Abs 2 StGB:

Wenngleich das in Rede stehende Gedicht – abgesehen von erheblichen sprachlichen Unzulänglichkeiten – ohne Zweifel einen unsachlichen, ideologisch gefärbten sowie (wohl) bewusst polarisierenden Inhalt aufweist und sich einer polemischen, teils aggressiven Diktion bedient, ist es auch und gerade in Zusammenschau mit den beigeschafften vierzehn weiteren in der Vergangenheit von Christian S*** verfassten „Stadtratten-Texten“ nicht geeignet, eine der Tatbegehungsvarianten des § 283 Abs 1 Z 1 und 2 StGB zu verwirklichen.

Weder wird nämlich iSd § 283 Abs 1 Z 1 erster Fall StGB zu Gewalt gegen eine der dort genannten Personengruppen, insbesondere jene der Migranten, Asylwerber, Ausländer oder Andersgläubigen, aufgefordert noch nach § 283 Abs 1 Z 1 zweiter Fall StGB zu Hass gegen solche aufgestachelt. Letzteres setzt – analog dem Begriff des Hetzens gemäß § 283 Abs 2 StGB idF BGBl I 2011/103 – eine in einem Appell an Gefühle und Leidenschaften bestehende tendenziöse Aufreizung zu Hass und Verachtung voraus, wobei unter Hass im gegebenen Zusammenhang eine menschliche Emotion scharfer und anhaltender Antipathie zu verstehen ist. Bloß abfällige Herabsetzungen, aber auch beleidigende und verletzende Äußerungen, die nicht auf die Erweckung von Hassgefühlen gegen andere abzielen, genügen nicht (15 Os 33/18v mwN). Fraglos ist der hier interessierende Text auch darauf gerichtet, Ressentiments gegen Migranten und sich nicht dem christlichen Glauben zugehörig fühlende Menschen zu bedienen bzw. zu begründen, er erreicht seinem Wortlaut nach aber nicht jene Schärfe und Vehemenz, die als tendenziöse Aufreizung zu Hass und Verachtung im dargestellten Sinn gegen eine der in § 283 Abs 1 Z 1 StGB bezeichneten Schutzobjekte qualifiziert werden kann. Dabei darf insbesondere nicht übersehen werden, dass bei der gebotenen gesamthaften Betrachtung des Textes klar wird, dass primäres Ziel der Angriffe des Gedichtverfassers nicht die genannten Personengruppen, sondern vielmehr jene sind, die diesen Wohlwollen, Hilfe und Verständnis entgegenbringen.

Bei der gegebenen Sachlage kann aber auch nicht unterstellt werden, die Beschuldigten hätten eine der in § 283 Abs 1 Z 1 StGB bezeichneten Gruppen im Sinne des § 283 Abs 1 Z 2 StGB in der Absicht, die Menschenwürde anderer zu verletzen, in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, diese in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen. Die Menschenwürde wird nur durch eine qualifizierte Beschimpfung verletzt, etwa wenn durch die Tathandlung den Angehörigen der angegriffenen Gruppe unmittelbar oder mittelbar das Recht auf Menschsein schlechthin abgesprochen wird, indem ihnen beispielsweise das Lebensrecht als gleichwertige Bürger abgestritten wird oder sie als minderwertige oder wertlose Teile der Gesamtbevölkerung dargestellt werden. Maßgebend ist, dass die angesprochenen Menschen im unverzichtbaren Kernbereich ihrer Persönlichkeit getroffen werden, was etwa dann zutrifft, wenn sie als ethnisch, kulturell oder moralisch schlechthin minderwertig abqualifiziert werden (15 Os 33/18v mwN). Zwar erfüllt die Gleichstellung mit als minderwertig geltenden Tieren, sohin auch mit Ratten, diese Voraussetzungen (Plöchl in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 283 Rz 18), doch lässt der Wortlaut des inkriminierten Gedichtes keinen Zweifel daran übrig, dass dessen Verfasser sich selbst (bzw. ihm sozial und ideologisch nahestehende Personen) als Ratte(n) bezeichnet, nicht aber Angehörige der durch § 283 StGB geschützten Gruppen. Wenngleich die mancherorts angestellte Vermutung, der Erstbeschuldigte habe Assoziationen zwischen diesen und Ratten durchaus beabsichtigt, nicht ohne Weiteres von der Hand zu weisen ist, kann mit Blick auch auf die bereits in der Vergangenheit unter dem Titel „… die Stadtratte“ veröffentlichten Gedichte (ON 12, AS 29 ff), in denen Christian S*** jeweils aus der Sicht einer in der B*** Kanalisation lebenden Ratte lokal- und bundespolitische Themen kommentiert, nicht von einer Verwirklichung des Tatbestandes nach § 283 Abs 1 Z 2 StGB ausgegangen werden.

Hinzuweisen ist im gegebenen Zusammenhang freilich darauf, dass in einem dieser älteren Gedichte (ON 12, AS 32) auch Menschen, die für den Abbruch des Geburtshauses Adolf Hitlers in B*** demonstrierten, explizit als Ratten bezeichnet werden. Damit ist aber keine der durch § 283 StGB geschützten Personengruppen angesprochen, weshalb diesbezüglich ein Anfangsverdacht (§ 1 Abs 3 StPO) in Richtung § 283 Abs 1 Z 2 StGB zu verneinen ist.

Insgesamt hat Christian S*** schon in objektiver Hinsicht keine Tatbestandsverwirklichung nach § 283 StGB zu verantworten. Damit kommt bei der gegebenen Sachlage aber auch eine strafrechtlich relevante Bestimmungs- oder Beitragshandlung (§ 12 zweiter und dritter Fall StGB) Hubert E***s nicht in Betracht. Darüber hinaus wurde dessen Verantwortung (ON 12, AS 11 f), er habe auf den Inhalt der im „B*** Dialog“ veröffentlichten Stadtratten-Gedichte keinen Einfluss genommen bzw. nehmen können, durch den Erstbeschuldigten bestätigt (ON 11). Im Umfang des Verdachtes in Richtung § 283 StGB ist daher das Verfahren gegen beide Beschuldigten nach § 190 Z 1 StPO einzustellen.

Zum Verdacht des Vergehens der Herabwürdigung religiöser Lehren nach § 188 StGB:

Wie der Erstbeschuldigte selbst zugestand (ON 12, AS 17), bezieht sich die im verfahrensgegenständlichen Gedicht enthaltene Textzeile „… ein weit‘rer Gott ist so ein Feister! ...“ auf Buddha, sohin also auf den indischen Religionsstifter Siddhartha Gautama und damit auf eine den Gegenstand der Verehrung einer im Inland bestehenden Kirche oder Religionsgesellschaft bildende Person gemäß § 188 StGB (Bachner-Foregger, WK² StGB § 188 Rz 2 und 6). Freilich stellt deren Bezeichnung als „Feister“ keine Herabwürdigung oder Verspottung unter Umständen, unter denen dieses Verhalten geeignet ist, berechtigtes Ärgernis zu erregen, im Sinne des in Rede stehenden Tatbestandes dar. Jedenfalls aber ist Christian S*** ein diesbezüglicher Vorsatz nicht nachweisbar.

Während unter Herabwürdigen jede grobe, beleidigende Bekundung von Missachtung durch Worte, Zeichen, Gebärden und Handlungen sowie jede andere Kundgebung, die das Schutzobjekt als unwert oder als der Achtung der Menschen unwürdig darstellt, zu verstehen ist, meint Verspotten ein Verhöhnen bzw. ein als minderwertig Darstellen des Schutzobjektes (vgl. Bachner-Foregger, WK² StGB § 188 Rz 8 ff; E. Mayer/Tipold, SbgK § 188 Rz 49 ff). Der (meist) umgangssprachlich als Synonym für „dick“, „dicklich“ oder „fett“ verwendete Begriff „feist“ mag zwar häufig negativ gemeint sein, stellt aber schon objektiv keine grobe Insultierung im angesprochenen, nach § 188 StGB tatbildlichen Sinn dar. Abgesehen davon, dass in der buddhistischen Glaubenslehre eine Vielzahl von Darstellungen Buddhas, die diesen mit erheblicher Leibesfülle zeigen, existiert, ist die Bezeichnung einer Person als dick bzw. dicklich allein nicht geeignet, diese als der Achtung ihrer Mitmenschen unwürdig oder als minderwertig darzustellen. Dies gilt auch dann, wenn – wie vorliegend ein zwar regelmäßig negativ konnotiertes, umgangssprachlich aber durchaus gebräuchliches Synonym Verwendung findet.

Darüber hinaus ist aber auch in subjektiver Hinsicht ein Schuldbeweis nicht zu erbringen. Die Verantwortung des Erstbeschuldigten, eine „geringe Wertschätzung“ Buddhas nicht intendiert zu haben (ON 12, AS 17), ist bei der gegebenen Sachlage nicht zu widerlegen, zumal die Argumentation, die Verwendung des Wortes „Feister“ sei auch darauf zurückzuführen, dass sich dieses auf den in der vorangehenden Textzeile („… wieder and‘re glaub‘n an Geister, ...“) verwendeten Begriff „Geister“ reime, vor dem Hintergrund des Anspruchs, ein Gedicht in Reimform zu verfassen, durchaus nachvollziehbar erscheint (zum auch in Ansehung des dilettierenden Künstlers beachtlichen Gebot der zurückhaltenden Auslegung der Tathandlung unter Aspekten des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Freiheit der Kunst nach Art 17a StGG vgl. Bachner-Foregger, WK² StGB § 188 Rz 17; E. Mayer/Tipold, SbgK § 188 Rz 58 f mwN).

Letztlich wurde die Tat aber auch nicht unter Umständen begangen, die gemessen am Maßstab des normal empfindenden Durchschnittsmenschen geeignet wären, ein berechtigtes Ärgernis im Sinne einer als tiefgreifend empfundenen Verletzung eines Wertgefühles zu erregen (Bachner-Foregger, WK² StGB § 188 Rz 13; E. Mayer/Tipold, SbgK § 188 Rz 64 ff mwN).

Auch betreffend das Vergehen der Herabwürdigung religiöser Lehren kommt eine strafrechtlich relevante Bestimmungs- oder Beitragshandlung (§ 12 zweiter und dritter Fall StGB) Hubert E***s schon mangels Verwirklichung der objektiven Tatseite des § 188 StGB durch Christian S*** nicht in Betracht. Zudem schlägt der bereits hinsichtlich des Vergehens der Verhetzung maßgebliche Umstand, dass eine Einflussnahme bzw. Einflussnahmemöglichkeit des Zweitbeschuldigten auf den Inhalt der im „B*** Dialog“ veröffentlichten Gedichte nicht nachweisbar ist, auch in Bezug auf den Vorwurf in Richtung § 188 StGB zugunsten einer Einstellung des gegen den Genannten geführten Ermittlungsverfahrens aus.

Insgesamt ist daher auch im Umfang des Verdachtes des Vergehens der Herabwürdigung religiöser Lehren die Einstellung des gegen die beiden Beschuldigten geführten Ermittlungsverfahrens geboten (§ 190 Z 1 und 2 StPO).

 

Ausdruck vom: 19.04.2024 04:21:19 MESZ