OStA Wien (038), 7 OStA 202/24g
Veröffentlichung gemäß § 35a Staatsanwaltschaftsgesetz
Zentrale Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption (WKStA) (020), 30 St 11/24i
18.09.2024
03.09.2024
§ 35c StAG
1. Inhalt der Anzeigen
Laut mehreren Anzeigen habe die Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie, L*** G***, BA, am 17. Juni 2024 in Brüssel/Belgien durch ihre Zustimmung als Vertreterin der österreichischen Bundesregierung im Rat der Europäischen Union zur Beschlussvorlage betreffend die Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Wiederherstellung der Natur, KOM (2022) 304 endg 2022/0195 (COD) (im Folgenden: Renaturierungsverordnung) gegen Art 23d B-VG und § 5 Abs 2 Z 2 und Abs 3 erster Fall BMG verstoßen, weil die österreichischen Bundesländer eine ablehnende einheitliche Stellungnahme gegen die geplante Verordnung abgegeben hätten und sie zuvor kein Einvernehmen mit dem Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft hergestellt habe und dadurch das Verbrechen des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB begangen.
Laut einer weiteren Anzeige hätten K*** N***, MSc und Dr. C*** S*** als Verantwortliche der Österreichischen Volkspartei, Bundesministerin L*** G***, BA dadurch der Gefahr einer behördlichen Verfolgung ausgesetzt, dass sie eine Strafanzeige gegen die Genannte wegen des Verdachts des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 StGB initiierten, obwohl ihnen bewusst gewesen sei, dass die Verdächtigung falsch ist.
2. Darstellung des Sachverhalts
Am 2. November 2022 übermittelte die Verbindungsstelle der Bundesländer beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung eine einheitliche Länderstellungnahme an das Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (im Folgenden: BMK), in der der Entwurf der Renaturierungsverordnung abgelehnt wurde.
Im April 2023 erstattete Univ.-Prof. Dr. K*** W*** im Auftrag des BMK ein Rechtsgutachten zu Fragen der Anwendbarkeit des Art 23d Abs 2 B-VG bei Vorliegen einer einheitlichen Stellungnahme der österreichischen Bundesländer zum Entwurf der Renaturierungsverordnung. Darin vertritt er die Meinung, dass Stellungnahmen der Bundesländer einheitlich, unzweideutig und bestimmt sein müssen. Weiters würden Stellungnahmen nur bezüglich jener Teile des Vorhabens der Europäischen Union Verbindlichkeit erlangen, die in die Gesetzgebungskompetenz der Länder fallen. Beziehe sich die Stellungnahme undifferenziert auf Bundes- und Landeskompetenzen, so entfalte sie insgesamt keine Verbindlichkeit. Sei ein Vorhaben der Europäischen Union kompetenzrechtlich so verflochten, dass eine Trennung der Bundes- und Landeskompetenzen nicht sinnvoll möglich ist, komme die Bindungswirkung der Stellungnahme ebenfalls nicht zustande. Eine Bindungswirkung für die Teile des Vorhabens, die klar in die Gesetzgebungskompetenz der Länder fallen, komme nur zum Tragen, wenn über diese Teile im Rat der Europäischen Union getrennt abgestimmt werden könne. Fallkonkret erfülle die einheitliche Stellungnahme der Bundesländer zur Renaturierungsverordnung diese Kriterien nicht, zumal sie keineswegs unzweideutig und bestimmt sei. Auch würden sich die Ausführungen nicht kompetenzrechtlich den Landeskompetenzen zuordnen lassen. Insgesamt entfalte die Stellungnahme daher keine inhaltliche Bindungswirkung.
Am 15. Mai 2023 übermittelte die Verbindungsstelle der Bundesländer beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung eine aktualisierte einheitliche Länderstellungnahme an das BMK, in der der Entwurf der Renaturierungsverordnung neuerlich abgelehnt wurde.
Im März 2024 legte Univ.-Prof. Dr. K*** W*** im Auftrag des BMK ein ergänzendes Gutachten zu der Frage vor, ob im konkreten Fall zwingende integrations- und außenpolitische Gründe iSd Art 23d Abs 2 B-VG vorliegen, die es der Bundesministerin ermöglichen, von der einheitlichen Stellungnahme der Länder abzuweichen. In seinem Ergänzungsgutachten kommt Univ.-Prof. Dr. K*** W*** zu dem Schluss, dass ein Abweichen von der einheitlichen Stellungnahme der Länder zur Renaturierungsverordnung bei der Abstimmung im Rat der Europäischen Union rechtskonform und im rechtspolitischen Ermessen des Bundes gelegen sei. Rechtswidrig würde ein solches Abweichen nur im Falle eines Ermessensexzesses sein, der fallkonkret zweifellos nicht gegeben sei.
Am 24. Mai 2024 erstellte die Sektion V im Bundeskanzleramt (Verfassungsdienst) eine Information für den Bundeskanzler, in der Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Renaturierungsverordnung erörtert wurden. Darin vertritt der Verfassungsdienst die Rechtsansicht, dass eine einheitliche Länderstellungnahme solange Wirksamkeit entfalte und den Bund binde, als von dieser nicht durch eine neue einheitliche Stellungnahme abgegangen werde. § 5 Abs 1 Z 1 BMG normiere für den Fall, dass ein zu besorgendes Verwaltungsgeschäft Sachgebiete umfasst, die in die Wirkungsbereiche verschiedener Bundesministerien fallen, ein einvernehmliches Vorgehen der betreffenden Bundesministerien. Gleiches gelte gemäß § 5 Abs 1 Z 2 BMG für den Fall, dass das Verwaltungsgeschäft Sachgebiete anderer Bundesministerien nur berührt, jedoch konkrete Maßnahmen (etwa Gesetzesentwürfe oder die Erlassung von Verordnungen) der beteiligten Bundesministerien notwendig macht. Einzig wenn Sachgebiete anderer Bundesministerien nur berührt werden und sich der Einfluss des Verwaltungsgeschäfts auf Sachgebiete der beteiligten Bundesministerien im rein Tatsächlichen erschöpft, reiche es aus, dass den beteiligten Bundesministerien lediglich Gelegenheit zur Äußerung gegeben werde. Sofern der Inhalt der Renaturierungsverordnung somit Sachgebiete umfasst, die auch in den Wirkungsbereich des BML fallen oder konkrete Maßnahmen des BML erforderlich macht, habe die Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie im Rat der Europäischen Union nur im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft zu handeln.
Daraufhin beauftragten das BMK Univ.-Prof. Dr. D*** E***, die N*** & Partner Rechtsanwälte GmbH und die L***, G***, G*** & Partner Rechtsanwälte GmbH mit der Erstellung von Gutachten zu Rechtsfragen iZm der Renaturierungsverordnung. Das Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft ersuchte wiederum Univ.-Prof. Dr. C*** B***, BA, LL.M um eine gutachterliche Stellungnahme zu diesem Thema.
Am 13. Juni 2024 übermittelte Univ.-Prof. Dr. D*** E***, LL.M. dem BMK seine verfassungsrechtliche Bewertung des Informationsschreibens des Verfassungsdienstes vom 24. Mai 2024. Laut dieser Bewertung orientiere sich die bisherige Vollzugspraxis der österreichischen Bundesregierung am Rundschreiben „Rechtliche und organisatorische Fragen der EU-Mitgliedschaft“ des Verfassungsdienstes vom 7. März 2013. Diesem Rundschreiben zufolge habe der für die Stimmabgabe zuständige Bundesminister vor Ratstagungen, deren Tagesordnungspunkt den Wirkungsbereich mehrerer Bundesministerien betreffen, (nur) auf eine vorab koordinierte Position aller betroffenen Bundesministerien hinzuwirken. Im Informationsschreiben vom 24. Mai 2024 weiche der Verfassungsdienst durch seine nunmehrige Ansicht, die Bestimmung des § 5 BMG sei auf das Abstimmungsverhalten im Rat der Europäischen Union anwendbar, von der bisherigen Praxis ab, ohne dies zu begründen oder sich mit seiner bisherigen Auslegungslinie auseinanderzusetzen. Wenngleich die nunmehrige Auslegung des § 5 BMG durch den Verfassungsdienst vertretbar sei, unterstelle sie dem BMG einen unionsrechtswidrigen Inhalt, zumal im Lichte des erwähnten unionsrechtlichen Loyalitätsgebots (vgl Art 4 Abs 3 EUV) den jeweiligen Bundesministern ein ausreichender politischer Handlungsspielraum belassen werden müsse. Weiters sei das Abstimmungsverhalten von Bundesministern im Rat der Europäischen Union abschließend in den Artikeln 23d und 23e B-VG geregelt, weshalb fallkonkret kein Platz für die Anwendung des § 5 BMG bestehe. Es bestünden im vorliegenden Fall somit die besseren Argumente dafür, dass die Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie nicht an eine Einvernehmsherstellung mit dem Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft gebunden sei.
Am 14. Juni 2024 legte die N*** & Partner Rechtsanwälte GmbH dem BMK ihr Rechtsgutachten zur Bindungswirkung der Länderstellungnahmen betreffend die Renaturierungsverordnung vor. Laut diesem sprächen sehr gute Argumente dafür, der einheitlichen Stellungnahmen der Bundesländer vom November 2022 und vom Mai 2023 keine Bindungswirkung zuzuerkennen, weil sie nicht von dem gesetzlich vorgesehenen Organ (Integrationskonferenz der Länder) erlassen worden sei und sich danach im Zuge des europäischen Gesetzgebungsverfahrens die sachliche Grundlage wesentlich geändert habe. Weiters könne mit guten Argumenten vertreten werden, dass die Zustimmung zur Renaturierungsverordnung aus zwingenden integrations- und außenpolitischen Gründen iSd Art 23d Abs 2 B-VG erforderlich sei und die Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie daher bei der Abstimmung zur Renaturierungsverordnung von den Länderstellungnahmen abweichen dürfe.
Ebenfalls im Juni 2024 übermittelte die L***, G***, G*** & Partner Rechtsanwälte GmbH ihr Rechtsgutachten betreffend die Frage, ob sich Änderungen des Textes der Renaturierungsverordnung auf die Verbindlichkeit der zuvor abgegebenen einheitliche Stellungnahme der Bundesländer auswirken können an das BMK. Laut diesem Gutachten gebe es Gründe, die dazu führen, dass einheitliche Stellungnahmen ihre Verbindlichkeit zur Gänze oder zum Teil verlieren; zu diesen Gründen würden auch Textänderungen im Zuge des gesetzgeberischen Verhandlungsprozesses gehören. Insgesamt würden gute Gründe dafür sprechen, dass die Stellungnahme betreffend die Renaturierungsverordnung ihre Verbindlichkeit verloren habe oder mangels hinreichender Bestimmtheit der Zustimmung zur Renaturierungsverordnung im Rat der Europäischen Union nicht (mehr) entgegenstehe oder ihr teilweise entsprochen worden sei und ihr teilweise im Zuge des Abstimmungsprozesses und im Vollzug entsprochen werden könne.
Am 15. Juni 2024 legte Univ.-Prof. Dr. C*** B***, BA, LL.M. dem BML seine gutachterliche Stellungnahme zu ausgewählten Fragen der Auslegung von § 5 Abs 1 BMG vor dem Hintergrund der Beschlussfassung zur Renaturierungsverordnung vor. Laut dieser Stellungnahme würden mit Blick auf Gegenstand und Reichweite der Renaturierungsverordnung gewichtige Gründe dafür sprechen, dass die Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie im Zuge der Beschlussfassung im Rat der Europäischen Union gemeinsam mit dem Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft iSv § 5 Abs 1 Z 1 BMG vorzugehen habe. Im Mindesten habe sie das Einvernehmen mit diesem Bundesminister iSv § 5 Abs 1 Z 2 iVm Abs 3 BMG herzustellen.
Am 17. Juni 2024 stimmte Bundesministerin L*** G***, BA im Rat der Europäischen Union der Beschlussvorlage betreffend die Renaturierungsverordnung zu.
Mit Schriftsatz vom 20. Juni 2024 brachte die Österreichische Volkspartei bei der Staatsanwaltschaft Strafanzeige gegen Bundesministerin L*** G***, BA wegen des Verdachts des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 StGB ein.
3. Rechtliche Beurteilung:
Das Verbrechen des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB begeht, wer als Beamter, mit dem Vorsatz, dadurch einen anderen an seinen Rechten zu schädigen, seine Befugnis, im Namen des Bundes, eines Landes, eines Gemeindeverbandes, einer Gemeinde oder einer anderen Person des öffentlichen Rechtes als deren Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbraucht.
Beamter iSd § 302 StGB ist der Legaldefinition des § 74 Abs 1 Z 4 StGB zufolge insbesondere jeder, der bestellt ist, im Namen des Bundes, eines Landes, eines Gemeindeverbandes, einer Gemeinde oder einer anderen Person des öffentlichen Rechtes, als deren Organ Rechtshandlungen vorzunehmen, oder sonst mit Aufgaben der Bundes-, Landes- oder Gemeindeverwaltung betraut ist.
Der Beamtenbegriff ist funktional zu verstehen (RIS-Justiz RS0092043). Auf die dienstrechtliche Stellung, also ein (öffentlich-rechtliches oder [bei Vertragsbediensteten] privatrechtliches) Dienstverhältnis zum vertretenen Rechtsträger, kommt es ebenso wenig an wie auf die Einbindung in dessen Organisationsstruktur. Maßgeblich ist allein die Ausübung einer Funktion im Namen und mit Willen des Rechtsträgers. Weichen organisatorische und funktionelle Beamtenstellung voneinander ab, ist ausschließlich letztere maßgeblich (Nordmeyer in WK2 StGB § 302 Rz 14). Mitglieder eines Gesetzgebungsorgans sind keine Beamten. Bekleidet allerdings ein Angehöriger eines Gesetzgebungsorgans auch eine Funktion in der öffentlichen Verwaltung, etwa ein Abgeordneter zum Nationalrat das Amt eines Bürgermeisters, ist er (nur) in dieser Funktion Beamter (Marek/Jerabek Korruption, Amtsmissbrauch und Untreue16 § 302 Rz 9).
Nur Amtsgeschäfte „in Vollziehung der Gesetze“ kommen als Tathandlung des Missbrauchs der Amtsgewalt in Betracht. Diese Wendung stellt klar, dass ausschließlich im Rahmen von Hoheitsverwaltung oder Gerichtsbarkeit gesetztes Fehlverhalten von Beamten tatbildlich sein kann (RIS-Justiz RS0096211). Maßgeblich für die Beurteilung, ob ein Beamter „in Vollziehung der Gesetze“ gehandelt hat, ist nicht dessen grundsätzliche Befugnis, auch Hoheitsakte zu setzen, sondern das inkriminierte Verhalten im Einzelfall (RIS-Justiz RS0134047).
Tätigkeiten im Rahmen der Gesetzgebung sind vom Tatbestand nicht erfasst. Auch die (vorbereitende) legistische Tätigkeit (in Ministerien) erfolgt nicht „in Vollziehung der Gesetze“, sondern soll diese vorbereiten. Maßgeblich für die Beurteilung ist nicht die organisatorische Eingliederung der Beamten in den Verwaltungsapparat, sondern die funktionelle Zuordnung dieser Tätigkeit zur Staatsfunktion Gesetzgebung (Nordmeyer in WK2 StGB § 302 Rz 103; vgl Marek/Jerabek Korruption, Amtsmissbrauch und Untreue16 § 302 Rz 25; vgl auch RIS-Justiz RS0119330).
Die Europäische Union übt – im Rahmen der ihr übertragenen Kompetenzen – eigenständige Gesetzgebung aus. Das Verfahren zur Erzeugung des (Sekundär-)Rechts ergibt sich insbesondere aus den Vorgaben des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Das ordentliche Gesetzgebungsverfahren besteht in der gemeinsamen Annahme einer Verordnung, einer Richtlinie oder eines Beschlusses durch das Europäische Parlament und den Rat der Europäischen Union auf Vorschlag der Kommission (Art 289 Abs 1 AEUV). Kennzeichnend für das ordentliche Gesetzgebungsverfahren ist die gleichberechtigte Annahme der Rechtsakte durch das Europäische Parlament und den Rat der Europäischen Union. Auf Unionsebene sind somit mehrere EU‑Organe maßgeblich an der Gesetzgebung beteiligt.
Vor diesem Hintergrund ergibt sich, dass die Zustimmung von Bundesministerin L*** G***, BA am 17. Juni 2024 im Rat der Europäischen Union zur Beschlussvorlage betreffend die Renaturierungsverordnung im Rahmen der Gesetzgebung der Europäischen Union erfolgte und daher als Tathandlung des Missbrauchs der Amtsgewalt nicht in Betracht kommt. Darüber hinaus war sie zufolge des funktionalen Beamtenbegriffs in Ausübung ihres Stimmrechts im Rate der Europäischen Union Mitglied eines Gesetzgebungsorgans und somit keine Beamtin iSd § 74 Abs 1 Z 4 StGB.
Im Übrigen scheidet eine Strafbarkeit wegen § 302 StGB auch mangels Vorsatzes aus. Wissentlichkeit als spezielle Form des Vorsatzes (§ 5 Abs 3 StGB) bedeutet zweifelsfreie Kenntnis, bezogen auf den Befugnismissbrauch. Nicht das Wollen des Missbrauchs, sondern die Wissenskomponente steht im Vordergrund (Marek/Jerabek Korruption, Amtsmissbrauch und Untreue16 § 302 Rz 43).
Wie aus den vom BMK, dem Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft und dem Bundeskanzler eingeholten Rechtsgutachten erhellt, ist die Frage, ob Bundesministerin L*** G***, BA im Rat der Europäischen Union ihre Zustimmung zur Beschlussvorlage betreffend die Renaturierungsverordnung ohne zuvor diesbezüglich Einvernehmen mit dem Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft hergestellt zu haben, erteilen durfte, ebenso umstritten und nicht abschließend geklärt, wie die Frage, ob die ablehnende einheitliche Stellungnahme der österreichischen Bundesländer inhaltliche Bindungswirkung entfaltete. Insofern ist nach wie vor unklar, ob Bundesministerin L*** G***, BA durch die Abstimmung im Rat der Europäischen Union ihre Befugnis iSd § 302 StGB missbrauchte. Daraus folgt denklogisch, dass Bundesministerin L*** G***, BA im präsumtiven Tatzeitpunkt keine zweifelsfreie Kenntnis von dem allfälligen Befugnismissbrauch haben konnte.
Es liegt somit kein Anfangsverdacht gegen Bundesministerin L*** G***, BA wegen § 302 Abs 1 StGB vor.
Das Verbrechen der Verleumdung nach § 297 Abs 1 zweiter Fall StGB begeht, wer einen anderen dadurch der Gefahr einer behördlichen Verfolgung aussetzt, dass er ihn einer von Amts wegen zu verfolgenden mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedrohten Handlung falsch verdächtigt, wenn er weiß (§ 5 Abs 3 StGB), dass die Verdächtigung falsch ist.
Die Tathandlung besteht in der falschen Verdächtigung, die eine konkrete Gefahr einer behördlichen Verfolgung bewirken muss. Falsch ist eine Verdächtigung, wenn sie der Wahrheit nicht entspricht, dh die angezeigte Tat überhaupt nicht oder von einem anderen als dem Verdächtigen begangen wurde. Da nur die Tatsachen wahr oder unwahr sein können, fallen bloße Werturteile, Schlussfolgerungen oder Auffassungen nicht unter die tatbildliche Handlung des § 297 StGB. Für die Tatbestandsmäßigkeit ist die objektive Eignung der Beschuldigung wesentlich, die vom Täter angestrebte behördliche Verfolgung des fälschlich Bezichtigten in den Bereich naher Wahrscheinlichkeit zu rücken. Dabei muss eine Verfolgung nicht bloß möglich, sondern als regelmäßige Folge unmittelbar zu erwarten sein. Da es jenseits des Anfangsverdachts keine Strafverfolgung gibt, muss die Verdächtigung ihrem Inhalt nach einen Anfangsverdacht begründen können. Der Sachverhalt muss in Richtung eines Geschehens deuten, das – als erwiesen angenommen – (zumindest) einem Tatbestand des materiellen Strafrechts subsumierbar ist (Pilnacek/Swiderski in WK2 StGB § 297 Rz 17).
Vor diesem Hintergrund ist festzuhalten, dass der von der Österreichischen Volkspartei angezeigte Sachverhalt auf wahren Tatsachen beruht und daher nicht falsch ist. Darüber hinaus ist er – wie dargelegt – nicht unter einen Tatbestand des materiellen Strafrechts subsumierbar, weshalb die Anzeige objektiv nicht geeignet ist, eine behördliche Verfolgung von Bundesministerin L*** G***, BA zu initiieren. Die Anzeigeerstattung durch die Österreichische Volkspartei scheidet daher als Tathandlung der Verleumdung aus, weshalb kein Anfangsverdacht gegen K*** N***, MSc und Dr. C*** S*** wegen § 297 Abs 1 StGB besteht.