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Aktenzeichen:

StA Graz (635), 27 St 43/24g

Veröffentlicht durch:

OStA Graz (636), 6 OStA 271/24f

Bekannt gemacht am:

30.04.2025


Entscheidungsdatum:

27.02.2025

Einstellungsgrund

§ 190 StPO


Die Staatsanwaltschaft Graz hat das Ermittlungsverfahren gegen M*** A*** und H*** A*** wegen des Verdachts des Verbrechens des gewerbsmäßig schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB, teils § 15 StGB gemäß § 190 StPO eingestellt.


Einstellungsbegründung:

 

Nach der Berichterstattung des S*** G*** vom 26. November 2024 stehen M*** A*** und H*** A*** im Verdacht, sie haben in Graz im Zeitraum von 01.04.1988 bis 04.07.2022 im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit dem Vorsatz, sich oder einen Dritten durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, Verfügungsberechtigte der Pensionsversicherungsanstalt durch Täuschen über Tatsachen zu Handlungen verleitet, teils zu verleiten versucht, welche diese in einem Gesamtbetrag von EUR 253.897,11 an deren Vermögen schädigten bzw. in einem weiteren Betrag von EUR 72.934,98 am Vermögen schädigen hätte sollen, wobei sie ab der dritten Tat in der Absicht handelten, sich durch die wiederkehrende Begehung ein nicht bloß geringfügiges Einkommen zu verschaffen, indem sie 

I. durch wiederholte, rechtsmissbräuchliche Scheidungen eine fortlaufende Witwenpension bezogen, da zum Zeitpunkt der Auflösung der Ehe kein Scheidungswille vorlag und der Scheidungsvergleich nur zum Schein geschlossen wurde, um die Gewährung der Witwenpension an M*** A*** in einer Gesamthöhe von EUR 42.127,91 netto in nachstehenden Zeiträumen zu erlangen, wobei die Anweisung weiterer EUR 72.934,98 netto an Witwenpensionszahlungen aufgrund des Bemerkens der missbräuchlichen Vorgehensweise der Beschuldigten unterblieb, nämlich

1. im Zeitraum von 01.04.1988 bis 30.06.1988 EUR 1.442,24

2. im Zeitraum von 01.07.1988 bis 31.12.1988 EUR 2.582,30

3. im Zeitraum von 01.01.1989 bis 31.08.1989 EUR 3.389,40

4. im Zeitraum von 01.03.1992 bis 30.04.1992 EUR 1.374,60

5. im Zeitraum von 01.12.1994 bis 31.12.1994 EUR 525,96

6. im Zeitraum von 01.01.1995 bis 31.03.1995 EUR 1.622,10

7. im Zeitraum von 01.10.1997 bis 31.12.1997 EUR 1.655,01

8. im Zeitraum von 01.01.1998 bis 18.05.1998 EUR 3.130,57

9. im Zeitraum von 01.12.2000 bis 31.12.2000 EUR 492,41

10. im Zeitraum von 01.01.2001 bis 31.12.2001 EUR 6.948,90

11. im Zeitraum von 01.01.2002 bis 14.06.2002 EUR 3.245,04

12. im Zeitraum von 01.01.2005 bis 02.05.2005 EUR 2.599,65

13. im Zeitraum von 01.12.2007 bis 31.12.2007 EUR 534,33

14. im Zeitraum von 01.01.2008 bis 02.05.2008 EUR 2.748,97

15. im Zeitraum von 01.12.2010 bis 31.12.2010 EUR 569,43

16. im Zeitraum von 01.01.2011 bis 07.04.2011 EUR 1.863,24

17. im Sonderzeitraum 04/2011 EUR 134,46

18. im Zeitraum von 01.11.2013 bis 31.12.2013 EUR 1.204,96

19. im Zeitraum von 01 .01.2014 bis 06.05.2014 EUR 3.183,02

20. im Zeitraum von 01.12.2016 bis 31.12.2016 EUR 381,12

21. im Zeitraum von 01.01.2017 bis 31.01.2017 EUR 385,43

22. im Zeitraum von 01.08.2019 bis 29.11.2019 EUR 1.581,03

23. im Sonderzeitraum 10/2019 EUR 533,74

24. am 04.07.2022 aufgrund eines neuerlichen Antrages EUR 72.934,98, wobei es beim Versuch blieb,

 

II. durch wiederholte, neuerliche Eheschließungen Abfertigungen in Höhe des 35-fachen Monatsbetrages der Witwenpension bezogen, indem sie nach den zu Punkt I. beschriebenen Ehescheidungen insgesamt zwölf mal neuerlich die Ehe schlossen, wodurch es zur Gewährung von Abfertigungsleistungen an M*** A*** in einer Gesamthöhe von EUR 211.769,20 netto kam, und zwar

1. am 25.08.1989 S 186.987.50 / EUR 13.588,91

2. am 06.04.1992 S 212.418,50 / EUR 15.437,05

3. am 03.03.1995 S 232.791,50 / EUR 16.916,89

4. am 20.05.1998 S 241.304,00 / EUR 17.536,25

5. am 14.06.2002 EUR 18.247,60

6. am 02.05.2005 EUR 18.893,35

7. am 02.05.2008 EUR 20.010,20

8. am 04.05.2011 EUR 21.253,05

9. am 25.06.2014 EUR 22.575,70

10. am 06.02.2017 EUR 23.420,95

11. am 30.01.2020 EUR 23.889,25.

Gegen M*** A*** und H*** A*** richtet sich demnach der Verdacht des Verbrechens des gewerbsmäßig schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB, teils § 15 StGB.

Der Tatverdacht gründet auf der Berichterstattung des S*** G*** vom 26. November 2024, dabei insbesondere auf der Sachverhaltsdarstellung der Pensionsversicherungsanstalt sowie der Ergänzung zur Sachverhaltsdarstellung. Der Erstbeschuldigten kam aufgrund ihres am 16.11.1981 verstorbenen Ehemannes A*** H*** ein Anspruch auf Witwenpension zu. Am 29.10.1982 ehelichte die Erstbeschuldigte den Zweitbeschuldigten zum ersten Mal. In der Folge kam es bis zum Jahr 2022 zu zwölf einvernehmlichen Scheidungen gemäß § 55a EheG und zu elf neuerlichen Eheschließungen. Mit jeder Ehescheidung lebte der Anspruch der Erstbeschuldigten auf Gewährung einer Witwenpension wieder auf (vgl die Zahlungen zu Punkt I. des Tatverdachts), während mit jeder neuen Eheschließung ein Anspruch auf Abfertigungsleistungen (vgl die Zahlungen zu Punkt II. des Tatverdachts) bestand.

Die Erstbeschuldigte beantragte nach jeder Ehescheidung vom Zweitbeschuldigten sowie nach Abwarten der die Gewährung voraussetzenden Wartefrist von zweieinhalb Jahren die neuerliche Zuerkennung von Witwenpension, was zur Auszahlung der Beträge zu Punkt I. des Tatverdachts in den dort angeführten Zeiträumen führte, wobei sie den Anträgen jeweils den Scheidungsbeschluss sowie den Scheidungsvergleich beilegte. Nach den wiederum neuerlichen Eheschließungen mit dem Zweitbeschuldigten beantragte die Erstbeschuldigte die Gewährung einer Abfertigung der Witwenpension, woraufhin die Pensionsversicherungsanstalt die zu Punkt II. im Tatverdacht angeführten Abfertigungsbeträge auszahlte. Bei diesen (steuerbegünstigten) Abfertigungen handelt es sich um eine Zahlung der Witwenpension in Höhe des 35-fachen der Witwenpension (dies entspricht [ungeachtet darüberhinausgehender steuerlicher Vorteile] dem Bezug von 30 Monaten an Witwenpension plus fünf Sonde rzahlungen). Auch nach der letzten Scheidung stellte M*** A*** bei der Pensionsversicherungsanstalt am 04.07.2022 den Antrag, ihr die (infolge der Scheidung vom Zweitbeschuldigten) wiederaufgelebte Witwenpension nach ihrem verstorbenen (ersten) Gatten zu gewähren, deren Inanspruchnahme ihr sodann mit Bescheid vom 05.09.2022 erstmals unter Hinweis darauf, dass ihr Verhalten rechtsmissbräuchlich sei, verwehrt wurde.

Sämtliche Scheidungen der Erstbeschuldigten und des Zweitbeschuldigten erfolgten im  Einvernehmen auf Grundlage des § 55a EheG aufgrund unheilbarer Zerrüttung. Es bestand seit der ersten Eheschließung eine Wohn-, Wirtschafts- und Geschlechtsgemeinschaft der Genannten, nach den Scheidungen erfolgte keine Neuaufteilung der Zimmer der gemeinsamen Wohnung, sodass die Ehe der Beschuldigten nie unheilbar zerrüttet und die Lebensgemeinschaft zu keinem Zeitpunkt im Sinne des § 55a EheG aufgehoben war. Diesen Eindruck schilderte auch eine Nachbarin der Beschuldigten, wonach aus ihrer Sicht eine harmonische Ehe bestanden habe und von Ehekrisen oder Scheidungen nichts zu bemerken gewesen sei.

Aus dem Protokoll der zuletzt stattfindenden Ehescheidungsverhandlung zu *** des Bezirksgerichtes G*** ergibt sich, dass die beiden Beschuldigten offenlegten, dass es sich bei der Ehe jeweils um die 13. Ehe handelt und sie auch nach der Scheidung weiterhin gemeinsam in der Ehewohnung wohnen werden, was auch Eingang in den Scheidungsvergleich fand, wobei angemerkt sei, dass die Beschuldigten am 05.06.2024 erneut die Ehe schlossen. Auch aus weiteren von der Pensionsversicherungsanstalt vorgelegten Scheidungsbeschlüssen geht hervor, dass dem jeweils die Ehescheidung durchführenden Gericht bekannt war, dass die Beschuldigten zumindest im Zeitpunkt der Ehescheidung noch an der gleichen Adresse wohnhaft waren und dabei aber trotzdem angaben, dass die Ehe unheilbar zerrüttet ist. Dies steht im Einklang mit den historischen Auszügen aus dem Zentralen Melderegister, aus denen sich keine abweichenden amtlichen Wohnsitze der Beschuldigten ergeben.

Die Beschuldigten nahmen ihr Recht, die Aussage zu verweigern, in Anspruch.

 

Einstellungsgründe:

Vorauszuschicken ist, dass Anspruchsvoraussetzung für den Bezug einer Abfertigung bzw. das Wiederaufleben der Witwenpension nach § 265 ASVG einerseits die Wiederverehelichung (siehe Abs 1 leg. cit), andererseits die Auflösung der neuen Ehe durch den Tod des Ehegatten, durch Scheidung oder durch Aufhebung ist, sofern die Ehe nicht aus dem alleinigen Verschulden oder überwiegenden Verschulden des/der Witwenpensionsbeziehers/in aufgelöst worden ist oder bei Nichtigerklärung der Ehe diese Person als schuldlos anzusehen ist (Abs 2 leg. cit). Auf die wiederaufgelebte Witwen-/Witwerpension sind (unter anderem) laufende Unterhaltsleistungen anzurechnen, die der Witwe/dem Witwer aufgrund aufgelöster oder für nichtig erklärter, vor dem Wiederaufleben der Witwen-/Witwerpension geschlossener Ehen gebühren oder darüber hinaus zufließen. Weitere Anspruchsvoraussetzungen sieht das Gesetz nicht vor.

Nach § 55a Abs 1 EheG können die Ehegatten die Scheidung gemeinsam begehren, wenn die eheliche Lebensgemeinschaft der Ehegatten seit mindestens einem halben Jahr aufgehoben ist, beide die unheilbare Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses zugestehen und zwischen ihnen Einvernehmen über die Scheidung besteht.

Nach stRsp stellt das Zugeständnis der unheilbaren Zerrüttung durch die beiden Eheteile im Scheidungsverfahren nach § 55a EheG eine objektive Rechtsfrage dar, sodass der Richter an dieses Zugeständnis nicht gebunden ist (wenngleich keine gesetzliche Verpflichtung des Richters [mehr] besteht, das entsprechende Vorbringen zu überprüfen). Die Tatsache der Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft ist von Amts wegen zu prüfen. Liegt daher etwa gar keine objektive Zerrüttung in Form einer aufgehobenen ehelichen Lebensgemeinschaft vor, so wäre der Scheidungsantrag abzuweisen. In der Praxis findet eine Überprüfung des Wahrheitsgehalts des Zugeständnisses jedoch in der Regel nicht statt (Stabentheiner/L. Kolbitsch in Rummel/Lukas, ABGB⁴  § 55a EheG Rz 4, 5).

Auch wenn ein Scheidungsvergleich wegen vorliegender Willensmängel oder wegen Sittenwidrigkeit angefochten werden kann, berührt auch die erfolgreiche Anfechtung des Scheidungsvergleichs nicht die Wirksamkeit des rechtskräftigen Scheidungsausspruches (vgl dazu Hopf/Kathrein, Eherecht³ § 55a EheG Rz 12, 13).

Selbst wenn zB ein Unterhaltsvergleich vereinbart wird, der nur dazu dienen soll, einem Ehegatten künftig einen Pensionsanspruch zu sichern, tatsächlich aber eine Leistung des Verpflichteten nicht erfolgen soll, als Scheingeschäft nichtig ist (vgl dazu OGH 3 Ob 7/95; Hopf/Kathrein, Eherecht³ § 55a EheG Rz 12), bleibt der Ausspruch über die Scheidung an sich aufrecht.

Ausgehend von den im Sozialrechtsverfahren getroffenen Feststellungen (Urteil *** zu *** vom 18.01.2023) sowie der obig ersichtlichen Begründung des Tatverdachts ist zunächst ein Verdacht in Richtung §§ 146 ff. StGB zu prüfen. Dazu ist in rechtlicher Hinsicht folgendes auszuführen:

Den Tatbestand des Betruges im Sinne des § 146 StGB erfüllt, wer mit dem Vorsatz durch das Verhalten des Getäuschten sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern, jemanden durch Täuschung über Tatsachen zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung verleitet.

Die Bestimmung des § 146 StGB verlangt demnach ausdrücklich, dass ein anderer durch die Täuschung zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung verleitet wird, mit der er über sein Vermögen oder über das Vermögen eines Dritten verfügt (Vermögensverfügung). Die Verfügung muss sich unmittelbar schädigend auf das Vermögen des Getäuschten oder eines Dritten auswirken (vgl Kert in Hinterhofer (Hrsg), Salzburger Kommentar zum Strafgesetzbuch (26. Lfg 2012) § 146 StGB Rz 159). Getäuschte und verfügende Person müssen daher identisch sein. Denn nur der Getäuschte kann irrtumsbedingt eine Vermögensverfügung vornehmen (Kert in Hinterhofer (Hrsg), Salzburger Kommentar zum Strafgesetzbuch (26. Lfg 2012) § 146 StGB Rz 174). Nur ein Vermögensschaden, der unmittelbare Folge der Vermögensverfügung ist, begründet dabei einen vollendeten Betrug. Tritt der Schaden erst durch eine weitere Handlung des Täters oder eines Dritten ein, fehlt es an der Unmittelbarkeit und es liegt daher kein Betrug vor. Tätigkeiten, die erst eine spätere Schädigung des Vermögens durch den Täter oder einen Dritten ermöglichen oder vorbereiten sollen, stellen keine Vermögensverfügung dar (Kert in Hinterhofer (Hrsg), Salzburger Kommentar zum Strafgesetzbuch (26. Lfg 2012) § 146 StGB Rz 170).

Als „Prozessbetrug“ werden Fälle bezeichnet, in denen eine Partei in einem kontradiktorischen Verfahren, in dem ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde über einen Anspruch einer Partei gegen eine andere zu urteilen hat, falsche Angaben macht (Kert in Hinterhofer (Hrsg), Salzburger Kommentar zum Strafgesetzbuch (26. Lfg 2012) § 146 StGB Rz 99). Rechtsausführungen als Partei bzw Parteienvertreter im Rahmen eines Zivilprozesses stellen bloße Werturteile dar, da die Partei berechtigt ist, das Recht zu ihren Gunsten auszulegen. Gegenüber dem Richter stellen (falsche) Rechtsausführungen niemals täuschungsrelevante Tatsachen dar, da es Aufgabe des Gerichts ist, eigenständig eine rechtliche Beurteilung vorzunehmen (Kert in Hinterhofer (Hrsg), Salzburger Kommentar zum Strafgesetzbuch (26. Lfg 2012) § 146 StGB Rz 61).

Zumal Anspruchsvoraussetzung für den Bezug der Abfertigung „nur“ die Wiederverehelichung sowie für das Wiederaufleben der Witwenpension „nur“ die (schuldlose) Auflösung der (neuen) Ehe etwa durch Scheidung ist, tätigte M*** A*** im vorliegenden Fall gegenüber der Pensionsversicherungsanstalt als Behörde keine falsche Angaben im Sinne einer vom Tatbestand des § 146 StGB geforderten Täuschungshandlung gegenüber der Pensionsversicherungsanstalt, war sie zu den jeweiligen Zeitpunkten der Antragstellung doch tatsächlich jeweils wieder verehelicht bzw. rechtskräftig geschieden.

Die von M*** A*** bzw. ihrem (Ex-)Ehegatten H*** A*** erstatteten falschen Angaben wurden hingegen tatsächlich „nur“ gegenüber dem/der jeweiligen Scheidungsrichter/in erstattet, indem sie in den jeweiligen Verfahren über den gemeinsamen Antrag auf einvernehmliche Scheidung iSd § 55a EheG wahrheits- und tatsachenwidrig vorbrachten, dass die eheliche Gemeinschaft seit mehr als sechs Monaten aufgehoben und ihre Ehe unheilbar zerrüttet sei. Auf Grundlage dieser außer Streit gestellten (Rechts-)Fragen (vgl dazu RIS-Justiz RS0043423) fasste der/die jeweils zuständige Scheidungsrichter/in den (einzig Rechtskraftwirkung entfaltenden) Beschluss, dass die zwischen den Antragstellern jeweils geschlossene Ehe (wobei hier die jeweiligen genauen Daten der jeweiligen Eheschließung angeführt wurden) mit Eintritt der Rechtskraft dieses Beschluss aufgelöst ist. Die von den beiden Parteien vorgebrachten Rechtsausführungen wären durch den/die Richter/in überprüfbar gewesen. Der Umstand, dass die beiden Antragsteller bereits (zuletzt) das zwölfte Mal miteinander verheiratet waren und sie auch nach der Scheidung weiterhin die Ehewohnung bewohnen, war dem Gericht bekannt.

Zu betonen ist, dass die beiden Antragsteller den Ergebnissen des Zivilverfahrens zu Folge auch genau diese Rechtsgestaltungswirkung mit ihrem (falschen) Parteivorbringen bewirken wollten, die Ehe also tatsächlich (rechtsmissbräuchlich immer wieder) geschieden werden sollte und ihre Erklärungen demnach keinen Willensmängeln unterlagen.

Die Antragsteller verzichteten zudem anlässlich ihrer geschlossenen Scheidungsvergleiche jeweils auf wechselseitigen Ehegattenunterhalt, dies auch für den Fall der Not, geänderter Verhältnisse oder geänderter Rechtslage und nahmen diesen Verzicht wechselseitig an. Dieser Unterhaltsverzicht war für sich gesehen, ausgehend von den sich aus dem Zivilverfahren ergebenden finanziellen Verhältnissen der Eheleute, nicht nichtig (M*** A*** hatte ein höheres „Einkommen“ als ihr Ehegatte, sodass ihr kein Unterhaltsanspruch zugestanden wäre), wobei selbst für den Fall der Nichtigkeit der (von der Pensionsversicherungsanstalt nicht vollständig vorgelegten Scheidungsvergleiche) die Wirksamkeit der rechtskräftigen Scheidungsaussprüche unberührt blieb (vgl dazu Hopf/Kathrein, Eherecht³ § 55a EheG Rz 12, 13).

Ungeachtet des Umstandes, dass angesichts ihrer falschen Angaben im Zivilverfahren durch die jeweils zuständigen Richter/innen rechtsmissbräuchlich eine nicht von den gesetzlichen Voraussetzungen gedeckte Entscheidung getroffen wurde, ist in dem Scheidungsbeschluss auch nicht etwa eine Lugurkunde iSe echten Urkunde unwahren Inhalts zu erblicken, durch deren Vorlage gegenüber den Berechtigten der Pensionsversicherungsanstalt Betrug iSd §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 fünfter Fall StGB anzunehmen wäre. In dem einzig Rechtskraftwirkung entfaltenden Spruch des Beschlusses ist nämlich kein unwahrer Inhalt enthalten, da letztlich nur spruchmäßig festgehalten wird, dass die Ehe mit Rechtskraft geschieden wird, was auch dem Willen der beiden Parteien entsprach. Tatsächlich wurde „nur“ unrichtiges Parteivorbringen erstattet, das - mangels Überprüfung durch das Gericht – unter den tatsächlichen Gegebenheiten falsche bzw. nicht vom Gesetz intendierte Rechtsfolgen nach sich gezogen hat. Diesen unwahren schriftlichen Erklärungen der Verfahrensparteien, die nicht über unrichtige Vorbringen oder Behauptungen hinausgingen, kommt jedoch kein eigener Beweiswert zu (vgl dazu Fabrizy/Michel-Kwapinski/Oshidari, StGB14 § 293 Rz 5 (Stand 10.3.2022, rdb.at), sodass auch die auf Grundlage dieser Erklärungen getroffenen gerichtlichen Entscheidungen keine Lugurkunden darstellen können. 

Ausgehend von diesen Prämissen fallen hier die Person des Getäuschten (= Scheidungsrichter/in bzw. Standesbeamte/r) und jene, die die Vermögensverfügung trifft (= Berechtigter der Pensionsversicherungsanstalt) auseinander und stehen diese auch in keiner Beziehung zueinander, sodass der Tatbestand des Betruges im Sinne der §§ 146 ff StGB bereits in objektiver Hinsicht nicht erfüllt ist.

Weiters war das in Betracht kommende Vergehen nach § 228 Abs 2 StGB zu prüfen:

§ 228 StGB dient dem Schutz von echten, aber – bezogen auf den Errichtungsakt – inhaltlich unwahren (unrichtigen) inländischen öffentlichen Urkunden sowie inländischen öffentlichen Beglaubigungszeichen und pönalisiert das Erschleichen einer gutgläubig vorgenommenen unrichtigen Beurkundung oder Beglaubigung der den Zweck der Errichtung bildenden Tatsachen, die den jeweils maßgebenden Vorschriften zu entnehmen sind („errichtungsbezogener Wahrheitsschutz“; Kienapfel/Schroll in WK² StGB § 228 Rz 4 uvm; RIS-Justiz RS0132393). Zu unterscheiden ist dabei zwischen einfachen (schlichten) und qualifizierten Beweisurkunden. Während Erstere nur die Tatsache bestätigen, dass eine bestimmte Person vor einer Urkundsperson bestimmte Angaben gemacht hat, sind qualifizierte Beweisurkunden solche, die die inhaltliche Richtigkeit der in ihnen verkörperten Erklärung bezeugen und damit – im Umfang des Errichtungszwecks – qualifizierte Beweiskraft besitzen (OGH, 12 Os 15/24h). Nur jene Urkunden, die qualifizierte Beweiskraft aufweisen, sind unter den Tatbestand des § 228 StGB zu subsumieren.

Wird in der Urkunde bloß bestätigt, dass ein bestimmtes Vorbringen gemacht, ein Antrag gestellt oder etwas ausgesagt wurde, so ist die Beurkundung nicht unrichtig, wenn sie sich mit dem deckt, was vorgebracht, beantragt oder ausgesagt wurde, ohne dass es auf die inhaltliche Richtigkeit des Vorgebrachten usw ankäme (vgl Roitner in Hinterhofer (Hrsg), Salzburger Kommentar zum Strafgesetzbuch (36. Lfg 2016) § 228 StGB Rz 57).

Grundsätzlich werden sowohl Gerichtsurteile, als auch gerichtliche Vernehmungsprotokolle als qualifizierte Beweisurkunden angesehen. Allerdings ist im Einzelfall zu prüfen, in welchem Umfang diese öffentlichen Urkunden im konkreten Fall der entsprechende inhaltliche Wahrheitsschutz zukommt. Welche Teile der Urkunde von der qualifizierten Beweiskraft erfasst werden, ist jeweils von Fall zu Fall durch Auslegung zu ermitteln und hängt ebenfalls vom Errichtungszweck und den dafür maßgeblichen Rechtsvorschriften ab. Bezüglich jener Angaben, die nicht von der qualifizierten Beweiskraft erfasst werden, stellen auch die angeführten öffentlichen Urkunden nur schlichte Beweisurkunden dar (vgl Roitner in Hinterhofer (Hrsg), Salzburger Kommentar zum Strafgesetzbuch (36. Lfg 2016) § 228 StGB Rz 58).

In diesem Sinne wurde bislang etwa judiziert, dass sich die qualifizierte Beweiskraft eines polizeilichen Vernehmungsprotokolls oder eines Hauptverhandlungsprotokolls „nur“ darauf erstreckt, dass richtig protokolliert und die wesentlichen Förmlichkeiten eingehalten wurden, nicht jedoch auf die Richtigkeit der Angaben zur Person und zur Sache. Wer etwa als Verdächtiger, als Zeuge oder als Auskunftsperson ein polizeiliches oder sonstiges behördliches Protokoll mit falschem Namen unterschreibt, macht sich daher nur gemäß § 223 StGB, nicht aber gemäß § 228 StGB strafbar. Nach stRsp beweisen Eintragungen in die standesamtlichen Bücher und die darauf beruhenden Urkunde n nur die Richtigkeit jener Fakten, zu deren Nachweis sie bestimmungsgemäß errichtet worden sind, die Heiratsurkunde vor allem Tag und Ort der Eheschließung, aber nicht den ernsthaften Ehewillen (vgl Roitner in Hinterhofer (Hrsg), Salzburger Kommentar zum Strafgesetzbuch (36. Lfg 2016) § 228 StGB Rz 59, 61).

Nach einer weiteren Ansicht ist das Erschleichen eines inhaltlich unrichtigen Hoheitsakts (zB eines Urteils oder Bescheids) durch falsche Angaben, Vorlage falscher Beweismittel im Übrigen bereits an sich nicht unter § 228 StGB zu subsumieren, da die Rechtmäßigkeit von Entscheidungen durch § 228 StGB nicht geschützt wird (siehe Schwaighofer in Birklbauer/Hilf/Konopatsch/Messner/Schwaighofer/Seiler/Tipold (Hrsg), StGB -Strafgesetzbuch: Praxiskommentar (1. Lfg 2017) zu § 228 StGB Rz 4).

Ausgehend von diesen Rechtsprechungsgrundsätzen ist das gegenständliche Verhalten der beiden Beschuldigten auch nicht unter den Tatbestand des § 228 StGB zu subsumieren, zumal ein Scheidungsbeschluss nur qualifizierte Beweiskraft betreffend den Umstand, dass die Ehe geschieden wurde, nicht aber zur Frage der unheilbaren Zerrüttung und Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft entfalten kann (vgl insbesondere zur ähnlichen Frage bei der Heiratsurkunde: Kienapfel/Schroll in Höpfel/Ratz, WK² StGB § 228 Rz 20 letzter Satz, sowie RIS-Justiz RS0095553).

Das wenn auch ohne Frage jahrelange rechtsmissbräuchliche Verhalten der beiden Beschuldigten vermag demnach keinen strafrechtlichen Tatbestand zu erfüllen, sodass das Ermittlungsverfahren gemäß § 190 StPO einzustellen war.

Ausdruck vom: 17.07.2025 08:13:20 MESZ