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Kategorie:

Kartell

Dienststelle:

OLG Wien (009)

Aktenzeichen:

25 Kt 6/16


Bekannt gemacht am:

17.02.2017

Entscheidungsdatum:

14.11.2016


Beschluss

1. Über die Antragsgegnerin wird wegen von Jänner 2006 bis September 2015 erfolgten Zuwiderhandlungen gegen Art 101 AEUV und § 1 KartG, nämlich im Produktbereich Kaffeemaschinen wegen vertikaler Preisabsprachen mit verschiedenen Händlern im Sinne der Festsetzung von Mindestpreisen, die den Zweck verfolgten, ein stabiles und lineares Mindestverkaufspreisniveau auf horizontaler Händlerebene zu erreichen, sowie wegen Absprachen mit Händlern über Beschränkungen des grenzüberschreitenden Handels sowie wegen mit Händlern erfolgten Absprachen über ein generelles Internetverkaufsverbot für bestimmte Kaffeemaschinen eine Geldbuße in der Höhe von EUR 650.000,-- verhängt.

2. Es wird festgestellt, dass die Antragsgegnerin von Jänner 2006 bis September 2015 gegen Artikel 101 AEUV und § 1 KartG zuwider handelte, und zwar dadurch, dass sie im Produktbereich anderer Küchenmaschinen sowie Haushalts- und Elektrogeräte an vertikalen Preisabsprachen mit verschiedenen Händlern im Sinne der Festsetzung von Mindestpreisen, die den Zweck verfolgten, ein stabiles und lineares Mindestverkaufspreisniveau auf horizontaler Händlerebene zu erreichen sowie an Absprachen mit Händlern über Beschränkungen des grenzüberschreitenden Handels teilnahm, sowie dadurch, dass sie mit Händlern ein generelles Internetverkaufsverbot für bestimmte Produkte absprach.

Begründung

I. Die Bundeswettbewerbsbehörde beantragte die Verhängung einer Geldbuße gemäß § 29 Z 1 lit a und d KartG in der Höhe von EUR 650.000,-- für Kartellrechtsverstöße im Produktbereich Kaffeemaschinen und beantragte die Feststellung der Zuwiderhandlung gegen das Kartellrecht im Produktbereich der Küchenmaschinen (soweit es sich nicht um Kaffeemaschinen handelt) sowie Haushalts- und Elektrogeräte, und brachte dazu im Wesentlichen vor, dass die Antragsgegnerin einerseits und verschiedene Händler andererseits über den Zeitraum von Jänner 2006 bis September 2015 vertikale Preisabstimmungen über Wiederverkaufspreise durchgeführt haben. Die Antragsgegnerin und die Wiederverkäufer bekundeten ihre gemeinsame Absicht, sich auf dem relevanten Markt in wettbewerbsbeschränkender Weise hinsichtlich der Weiterverkaufspreise zu verhalten, was in ihrer Korrespondenz als „europäisches Minimum-Preis-System“ bezeichnet worden sei. Weiters habe eine Behinderung des grenzüberschreitenden Handels für die genannten Produktbereiche bestanden, womit eine Marktaufteilung zwischen den Mitgliedstaaten bezweckt gewesen sei. Schließlich habe es Beschränkungen des Internetverkaufs dadurch gegeben, dass ein generelles Verbot des Internetverkaufs für bestimmte Produkte abgesprochen war.

Die Wettbewerbsbeschränkungen seien als bezweckte im Sinne des Artikel 101 AEUV bzw. § 1 KartG zu qualifizieren und seien geeignet gewesen, den Handel zwischen den Mitgliedsstaaten zu beeinträchtigen.

Von den Kartellrechtsverstößen seien der Produktbereich der Kaffeemaschinen, Küchenmaschinen sowie Haushalts- und Elektrogeräte betroffen gewesen.

Ein Rechtsfertigungsgrund im Sinne des § 101 Abs 3 AEUV liege nicht vor.

Hinsichtlich des Produktbereiches Kaffeemaschinen beantragte die Bundeswettbewerbsbehörde die Verhängung einer Geldbuße in der Höhe von EUR 650.000,--.

Zur Ausmittlung der beantragten Geldbuße brachte die Bundeswettbewerbsbehörde vor: Als Berechnungsbasis sei für den Produktbereich Kaffeemaschinen ein durchschnittlicher jährlicher Umsatz von EUR xx Millionen heranzuziehen. Aufgrund der Art der Zuwiderhandlung, der Marktstellung der Antragsgegnerin, des Umfangs des von der Zuwiderhandlung betroffenen räumlichen Marktes und der erfolgten Umsetzung, sei für die Schwere der Zuwiderhandlungen ein Grundbetrag in der Höhe von xx% des betroffenen Produktgruppenumsatzes angemessen. Aus der Multiplikation des Grundbetrages mit der Dauer der Zuwiderhandlung von 9,5 Jahren betrage die Geldbuße vor Abzug mildernder Faktoren EUR 1,62 Millionen. Unter Berücksichtigung eines 40%igen Nachlasses für die Aufklärung als Kronzeuge und eines weiteren zusätzlichen Nachlasses für die Kooperation durch das Anerkenntnis werde eine Geldbuße in der Höhe von EUR 650.000,-- beantragt, wobei die Höhe dieses Betrages als ausreichend general- und spezialpräventiv eingeschätzt werde, insbesondere auch im Hinblick darauf, dass die Antragsgegnerin bereits Schritte eingeleitet habe, um zukünftige Verstöße hintanzuhalten.

Noch während der Hausdurchsuchung am 22.9.2015, die wegen des begründeten Verdachtes, dass es zwischen der Antragsgegnerin und Wiederverkäufern zu kartellrechtswidrigen Preisvereinbarungen im Bereich Kaffeemaschinen gekommen sei, stellte die Antragsgegnerin einen Kronzeugenantrag betreffend weiterer Produktbereiche, nämlich anderer Küchenmaschinen - soweit es sich dabei nicht um Kaffeemaschinen handelt -, sowie Haushalts- und Elektrogeräte.

In Anerkennung des Kronzeugenstatus für diese Produktbereiche stellte die Bundeswettbewerbsbehörde lediglich den Antrag auf Feststellung der Kartellrechtsverstöße im Produktbereich (anderer) Küchenmaschinen, sowie Haushalts- und Elektrogeräte.

Die Antragsgegnerin verwies auf das von ihr am 8.4.2016 abgegebene Anerkenntnis.

II. Folgender Sachverhalt steht fest:

Die Antragsgegnerin handelt mit Kaffeemaschinen, sonstigen Küchen-, Haushalts- und Elektrogeräten, wie Klimageräten, Dampfbügeleisen/-stationen, Dampfreiniger, Entsafter, Food-Prozessor, Fleischwolfmaschinen, Stabmixer, Mixgeräte, Griller, Toaster, die sie an Händler verkauft. Die Antragsgegnerin ist Generalimporteur dieser Waren aus Asien, Italien und Rumänien, wo die Produkte von Konzernunternehmen des De´Longhi-Kenwood-Konzerns produziert werden. Die Antragsgegnerin handelt ausschließlich mit Eigenprodukten des Konzerns.

Der weltweite Gesamtumsatz der De´Longhi-Gruppe im Jahr 2014 betrug EUR xxx,-. Die Umsätze im Jahr 2015 lagen etwas darüber.

1. Preisabsprachen:

Die Antragsgegnerin traf im Zeitraum von Jänner 2006 bis September 2015 mit Händlern einheitliche vertikale Preisabsprachen, in denen die Wiederverkaufspreise im Sinne von Festsetzung von Mindestpreisen vereinbart wurden. Mitarbeiter der Antragsgegnerin beobachteten die Einhaltung dieser Mindestpreise mehrmals wöchentlich und schritten im Falle des Unterschreitens des vereinbarten Mindestpreises beim Händler derart ein, dass sofort persönlich (per Telefon oder E-Mail) Kontakt aufgenommen wurde, um rasch die Preisangleichung mit den anderen Händlern zu erreichen. Zur Absicherung dieses von der Antragsgegnerin als „europäisches Minimum-Preis-System“ bezeichneten Preiskartell wurden verschiedene Methoden angewandt. So wurde teilweise den Händlern ein Verbot auferlegt, auf Preissuchmaschinen aufrufbar zu sein, teilweise wurden die Händler nicht mehr beliefert, solange die Preisvereinbarungen nicht eingehalten wurden, teilweise wurde angedroht, dass die von der Antragsgegnerin zugesagte Werbekostenbeteiligung nicht mehr bezahlt werde. Um die Preisstabilität auch außerhalb der österreichischen Grenzen zu erreichen, kam es vor, dass Mitarbeiter von Schwesterunternehmen der Antragsgegnerin in Nachbarländern kontaktiert wurden, um über deren Intervention Händler, die nicht die für die Produkte vereinbarten Mindestpreise einhielten, zur Preisdisziplin zu bringen. Die Preisabsprachen erfolgten durch Festlegung eines einheitlichen Mindestverkaufspreises auf horizontaler Händlerebene.

Die Antragsgegnerin beschreibt in einem Mail vom 30.5.2015 (./GGGGGG), das an einen Händler gerichtet ist, mit dem Betreff „Preise für Händler“ folgendes „Minimum-Preis-System“: „Wir […] arbeiten seit einigen Monaten mit einem europäischen Minimum-Preis-System, wo […] vorgeschriebene Mindest Purchase Preise an Kunden nicht unterschritten werden dürfen. Dies ist die einzige Möglichkeit die katastrophale Situation zu verbessern. Bei einigen Produkten greift dieses System bereits, doch wird es noch eine Weile dauern bis europaweit die Wirkung auf alle Produkte übergreift [...].“

Teilweise kontaktierten Händler die Antragsgegnerin mit dem Ersuchen bei Mitbewerbern, die sich nicht an die Mindestpreise halten, zu intervenieren.

So lautete beispielsweise eine E-Mail-Kommunikation vom 22.7.2014 (./TTTTT) zwischen einem Händler und der Antragsgegnerin wie folgt: „Jemand soll bitte den XX anrufen, der soll den Preis raufgeben.“ Die Antragsgegnerin antwortete: „Habe ich heute noch erledigt! Müsste morgen auf mindestens EUR 999,-- sein!.“

Über erfolgreiche Preisabstimmungsmaßnahmen wurde intern bei der Antragsgegnerin regelmäßig berichtet. So lautet ein E-Mail eines Mitarbeiters der Antragsgegnerin vom 3.11.2008 (./M) mit dem Betreff „Internetpreise“ wie folgt: „Dank Eurer tollen Unterstützung und den Einsatz von allen ist es uns gelungen die Preise […] im Großen und Ganzen in Ordnung zu bringen. Die einzigen Problemkinder sind bei mir in Wien. Ich habe jetzt allen, die noch nicht richtig sind, nochmal ein E-Mail gesandt, bitte seht Euch die Liste an und kontaktiert die Händler in Eurem Gebiet zusätzlich. Mit Y wisst ihr, hatten wir ein halbes Jahre keine Gesprächsbasis, ich hoffe dass wir das in dieser Woche dank unserem „Chefe“ auch erledigt haben. Die weitere Vorgangsweise ist so: Frau R. wird einmal pro Woche die Liste aktualisieren, am Besten Monatag oder Dienstag. Jeder Ausreißer muss dann sofort kontaktiert werden. Bittet Eure Händler um Unterstützung, falls sie zwischendurch einen Preisverreißer sehen, sollen sie ihn an uns melden und nicht den Preis annehmen – wir Armen können ja leider nicht den ganzen Tag am Computer sitzen, hat bei meinen Händlern noch immer gewirkt.“

2. Internetverbot:

Hinsichtlich bestimmter Produkte einigte sich die Antragsgegnerin mit Händlern, dass für diese Produkte ein generelles Internetverkaufsverbot gilt. So lautet beispielsweise ein E-Mail der Antragsgegnerin an einen Händler wie folgt: „Bitte diese Maschine nicht online verkaufen, weder schwarz noch silber. Ist im Fachhandelskompetenzprogramm. Dank dir!!“ Der Händler antwortet: „Habe ich schon veranlasst. Du siehst auf mich ist Verlass.“ (Beilage ./CCCCC)

3. Beschränkungen des grenzüberschreitenden Handels:

Weiters traf die Antragsgegnerin Absprachen mit Händlern, mit denen der grenzüberschreitende Handel im Sinne eines Exportverbotes beschränkt wurde.

4. Betroffene Produkte:

Die Antragsgegnerin gestand in ihrem Anerkenntnisschreiben vom 8.4.2016 (./A)gegenüber der Bundeswettbewerbsbehörde ein, dass die Verhaltensweisen im Zusammenhang mit den Abstimmungen über Wiederverkaufspreise zwischen der Antragsgegnerin und einzelnen Unternehmen des Handels, insbesondere die Produkte im Bereich Kaffeevollautomaten und im eingeschränkten Ausmaß auch Kapselmaschinen betrafen, ebenso wie bestimmte Produkte, zumeist Premium-Produkte im Bereich Küchenmaschinen sowie bestimmte Haushalts- bzw. Elektrogeräte, wie Klimageräte, Dampfbügeleisen/-stationen, Dampfreiniger, Entsafter, Food-Prozessor, Fleischwolfmaschinen, Stabmixer, Mixgeräte, Griller und Toaster.

Die Antragsgegnerin stellte außer Streit, dass kein Rechtfertigungsgrund im Sinne des Artikel 101 Abs 3 AEUV bzw. § 2 KartG dafür vorgelegen ist.

III. Beweiswürdigung:

Die getroffenen Feststellungen beruhen auf den unbedenklichen Urkunden Beilage ./A bis Beilage ./MMMMMM, deren Echtheit von der Antragsgegnerin zugestanden wurde und die in einer unmissverständlichen Deutlichkeit die vertikalen Preisabsprachen, die den Zweck verfolgten, auf horizontale Händlerebene einen einheitlichen Mindestverkaufspreis zu erreichen, dokumentieren. Ebenso konnten dem Schriftverkehr die verschiedenen, von der Antragsgegnerin gewählten Mechanismen zur Absicherung der einheitlichen Mindestwiederverkaufspreise entnommen werden sowie die weiteren Kartellrechtsverstöße, nämlich die Beschränkung des grenzüberschreitenden Handels im Sinne eines Exportverbotes sowie die mit Händlern getroffenen Vereinbarungen über ein generelles Internetverkaufsverbot für bestimmte Produkte.

IV. Rechtliche Beurteilung:

1.Unionsrechtliches Kartellverbot:

 Nach Art 101 AEUV (vormals Art 81 EG) sind mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken, insbesondere (lit a) die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der An- oder Verkaufspreise oder sonstiger Geschäftsbedingungen. Die Anwendung von Art 101 und 102 AEUV fällt in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten (Art 5 VO [EG] 1/2003).

Beim Kriterium der Zwischenstaatlichkeit handelt es sich um eine Kollisionsnorm, die die Frage beantworten soll, ob es angemessen ist, den Sachverhalt nach Unionsrecht zu beurteilen (16 Ok 10/09 mwN; 16 Ok 2/15b). Art 101 Abs 1 AEUV erfordert, dass die wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung geeignet ist, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Diese Voraussetzung ist - was schon durch Abstellen auf die „Eignung“ angelegt ist - weit zu verstehen (Zimmer in Immenga/Mestmäcker EU Wettbewerbsrecht5 Art 101 AEUV Rz 196 mwN).

 Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass Maßnahmen, deren wettbewerbs-
beschränkende Wirkung sich auf das gesamte Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erstrecken, in der Regel zur Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten geeignet sind, weil sie schon ihrem Wesen nach die Abschottung nationaler Märkte verfestigen und die gewünschte Marktintegration verhindern können. Ein Kartell, das sich auf das gesamte Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erstreckt, hat nämlich schon seinem Wesen nach die Wirkung, die Abschottung der Märkte auf nationaler Ebene zu verfestigen, indem es die in der Europäischen Union angestrebte wirtschaftliche Verflechtung behindert. Daher können auch Maßnahmen von Unternehmen, die sich nur auf den Wettbewerb innerhalb eines einzelnen Mitgliedstaats auswirken, den innergemeinschaftlichen Handel beeinflussen (16 Ok10/09 mwN, 16 Ok 2/15b).

Im Anlassfall ist einerseits das gesamte Hoheitsgebiet Österreichs betroffen, andererseits erstreckten sich die vertikalen einheitlichen Preisabstimmungen mithilfe von Schwesterunternehmen in Nachbarländern über die österreichischen Grenzen hinaus, sodass Art 101 AEUV zur Anwendung gelangt.

2. Gemäß Art 3 VO (EG) Nr. 1/2003 haben die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten auf Vereinbarungen zwischen Unternehmen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die geeignet sind, den zwischenstaatlichen Handel zu beeinträchtigen, Art 101 AEUV parallel zum nationalen Wettbewerbsrecht anzuwenden.

3.1. Preisabsprachen

Kartellrechtswidrige Preisabsprachen können Absprachen über Mindestpreise, Preisintervalle, Preisaufschläge und -abzüge oder die Koordination der Höhe und des Zeitpunkts einer Preissteigerung sein (Schroeder in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union[54. Ergänzungslieferung 2014] Art 101 AEUV Rz 776).

Auch vertikale Preisabsprachen sind offenkundige Wettbewerbsbeschränkungen, weil sie ein hohes Potential negativer Auswirkungen auf den Wettbewerb haben, und zwar nicht zuletzt auf den Wettbewerb zwischen Unternehmen auf Handelsebene (16 Ok 2/15b). Dem entspricht, dass auch vertikale Preisbindungen („Preisbindungen der zweiten Hand“) in Art 4 lit a) VO 330/2010 (Gruppenfreistellung für Vertikalvereinbarungen) als grundsätzlich unzulässige Kernbeschränkungen eingestuft werden (vgl Kuhn, Die Abgrenzung zwischen bezweckten und bewirkten Wettbewerbsbeschränkungen nach Art 101 AEUV, ZWeR 2014/2, 148).

 Die Europäische Kommission legt in ihren Leitlinien für vertikale Vereinbarungen, ABl 2010/C 130/01, ausführlich dar, in welcher Hinsicht vertikale Preisbindungen eine Gefahr für den funktionierenden Wettbewerb bewirken, und dass vertikale Verkaufspreisabsprachen auch auf indirektem Weg durchgesetzt werden können, zB über Abmachungen über Absatzspannen. Als sogar besonders schädlich im Hinblick auf die Gefahr des erhöhten Preisniveaus auf Verbraucherebene beurteilt wurde auch die weitere Gefahr, dass wettbewerbsschädliche Wirkungen von vertikalen Preisbindungen auch in der Begünstigung von Kollusionsergebnissen zwischen Abnehmern, das heißt Unternehmen auf Handelsebene, bestehen (VLL Rz 224).

 Vertikale Preisbindungen sind als Kernbeschränkung vom Rechtsvorteil der gruppenweisen Freistellung ausgeschlossen. Die mit den tatbestandsmäßigen Verhaltensweisen (Vereinbarung, Beschluss, abgestimmtes Verhalten) verbundenen horizontalen oder vertikalen Preisregulierungen sind als „bezweckte“ Wettbewerbsbeschränkung anzusehen, sodass es auf weitere Umsetzungshandlungen und Markt­auswirkungen nicht mehr ankommt (Stockenhuber in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union [54. Ergänzungslieferung 2014] Art 101 AEUV Rz 179).

3.2. Sternverträge:

 Eine besondere Form der Vereinbarungen sind sogenannte Sternverträge („hub and spoke“), die nicht durch Vertrag zwischen den Beteiligten, sondern durch eine Mehrzahl von Vereinbarungen der Beteiligten mit einem identischen Partner abgeschlossen werden. Bei Sternverträgen ist nicht problematisch, ob überhaupt eine Vereinbarung getroffen wurde, denn zwischen dem Partner und den einzelnen Beteiligten wurden offensichtlich Vereinbarungen geschlossen (16 Ok 2/15b). Fraglich ist vielmehr, ob durch das Bündel koordinierter Vertikalverträge eine (horizontale) Vereinbarung zwischen den Beteiligten bewirkt wurde (Langen/Bunte I12 § 1 GWB Rz 81 mwN).

Der Hauptzweck der Vertikalverträge muss dabei nicht in der horizontalen Abstimmung liegen; es reicht bereits aus, wenn die Vertikalverträge so gestaltet sind, dass man das vertikale Vertragsverhältnis gar nicht eingehen kann, ohne einer horizontal wirkenden Abstimmung zuzustimmen (Langen/Bunte aaO Rz 82 aE). Auch zu Art 101 Abs 1 AEUV ist anerkannt, dass ein „Bündel“ vertikaler Vereinbarungen einen vertraglichen Rahmen schaffen kann, der eine horizontale Vereinbarung darstellt (Langen/Bunte I12 § 1 GWB Rz 83; 16 Ok 2/15b).

Im Anlassfall wurden die vertikalen Preisabstimmungsmaßnahmen im Sinne der „hub-and-spoke“ Methode dadurch verstärkt, dass die Antragsgegnerin auf horizontaler Händlerebene einheitliche Mindestverkaufspreise vorgab und koordinierte und die Händler im Wissen über die horizontale Vereinheitlichung des Preisniveaus bei dem von der Antragsgegnerin dafür geschaffenen Überwachungssystem eingebunden waren und mitwirkten, sodass ein bezwecktes, verschiedene Richtungen berührendes Hardcore-Sternkartell vorlag.

4. Gebietsbeschränkungen:

Auch Exportverbote in Mitgliedsländer stellen bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen dar, die ihrer Natur nach geeignet sind, schädliche Wirkungen auf das Funktionieren des Wettbewerbs zu entfalten. Als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen werden diejenigen Formen der Abstimmungen und Absprachen zwischen Unternehmen qualifiziert, die aufgrund ihrer Wirkungsweise als typischerweise schädlich für das gute Funktionieren des normalen Wettbewerbs gelten, sodass eine Prüfung oder der Nachweis ihrer konkreten Auswirkungen unterbleiben kann (EuGH 14.3.2013, Rs C-32/11; ebenso EuGH vom 11.9.2014, Rs C-67/13 Groupement des cartes bancaires/Kommission; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht3 § 11 Rz 35).

Dass es sich bei einem Exportverbot um einen Kernverstoß handelt, ergibt sich ua auch aus Art 4 der VertGVO, in dem bezweckte „hardcore restictions“ normiert werden (Mestmäcker/Schweitzer aaO § 15 Rz 35). In Art 4 lit b der VertGVO wird festgelegt, dass die Freistellung nach Art 2 cit leg nicht für vertikale Vereinbarungen gilt, die unmittelbar oder mittelbar für sich allein oder in Verbindung mit anderen Umständen unter der Kontrolle der Vertragsparteien die Beschränkung des Gebiets oder der Kundengruppe, in das oder an die ein an die Vereinbarung beteiligter Abnehmer vorbehaltlich einer etwaigen Beschränkung im Bezug auf den Ort seiner Niederlassung Vertragswaren oder –dienstleistungen verkaufen darf, bezweckt. Dass die im Anlassfall vereinbarten Exportverbote unter die in Art 4 lit b der VertGVO genannten Ausnahmen fällt, wurde weder behauptet noch gibt es dafür einen Hinweis in den Urkunden.

Aber selbst der Schutz individuell zugewiesener Gebiete oder Kundengruppen – die hier gar nicht behauptet werden - rechtfertigt keine Beschränkungen des passiven Vertriebs. Unter passivem Vertrieb versteht man die Erfüllung unaufgeforderter Bestellungen von individuellen Kunden. Der stets zu gewährleistende passive Vertrieb dient dem Schutz von Restwertwettbewerb neben zugelassenen vertikalen Beschränkungen (Rs.C-260/09; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht³ § 15 Rz 42)

Die Gebietsbeschränkung im Sinne eines Exportverbotes nach Deutschland stellt daher ebenfalls eine verbotene bezweckte Wettbewerbsbeschränkung im Sinne des Art 101 AEUV dar.

5. Internetverkaufsverbot für bestimmte Produkte:

Dass das generelle Verbot, bestimmte Produkte im Internet an den Endkunden zu verkaufen gegen Art 101 AEUV verstößt, hat der EuGH in der Entscheidung Pierre Fabre Dermo-Cosmétique (RS C-439/09) mit folgender Begründung bejaht:

In Bezug auf die Möglichkeit, dass die selektive Vertriebsvereinbarung in den Genuss der Gruppenfreistellung der Verordnung Nr. 2790/1999 kommt, ist festzustellen, dass die Gruppen vertikaler Vereinbarungen, die in ihren Genuss kommen können, von der Kommission in der genannten Verordnung auf der Grundlage der Ermächtigung des Rates in der Verordnung Nr. 19/65/EWG des Rates vom 2. März 1965 über die Anwendung von Artikel [81] Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen (ABl. 1965, Nr. 36, S. 533) definiert wurden.

Nach den Art. 2 und 3 der Verordnung Nr. 2790/1999 kann ein Lieferant im Rahmen eines selektiven Vertriebssystems grundsätzlich in den Genuss einer Freistellung kommen, wenn sein Marktanteil 30 % nicht überschreitet. Jedoch wurden in dieser Verordnung bestimmte Arten schwerwiegender wettbewerbsschädigender Beschränkungen unabhängig vom Marktanteil der betreffenden Unternehmen ausgeschlossen.

So geht aus Art. 4 Buchst. c der Verordnung Nr. 2790/1999 hervor, dass die Freistellung nicht für vertikale Vereinbarungen gilt, die unmittelbar oder mittelbar, für sich allein oder in Verbindung mit anderen Umständen unter der Kontrolle der Vertragsparteien Beschränkungen des aktiven oder passiven Verkaufs an Endverbraucher bezwecken, soweit diese Beschränkungen Mitgliedern eines selektiven Vertriebssystems auferlegt werden, die auf der Einzelhandelsstufe tätig sind; dies gilt unbeschadet der Möglichkeit, Mitgliedern des Systems zu verbieten, Geschäfte von nicht zugelassenen Niederlassungen aus zu betreiben.

Eine Vertragsklausel wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die de facto das Internet als Vertriebsform verbietet, bezweckt zumindest die Beschränkung des passiven Verkaufs an Endverbraucher, die über das Internet kaufen möchten und außerhalb des physischen Einzugsgebiets des betreffenden Mitglieds des selektiven Vertriebssystems ansässig sind.

Nach Ansicht von Pierre Fabre Dermo-Cosmétique kommt das Verbot, die Vertragsprodukte über das Internet zu verkaufen, jedoch einem Verbot gleich, Geschäfte von einer nicht zugelassenen Niederlassung aus zu betreiben. Da somit die am Ende von Art. 4 Buchst. c der Verordnung Nr. 2790/1999 vorgesehenen Voraussetzungen der Freistellung erfüllt seien, sei dieser Artikel auf sie nicht anwendbar.

Hierzu ist festzustellen, dass Art. 4 Buchst. c der Verordnung Nr. 2790/1999 mit der Erwähnung von „nicht zugelassenen Niederlassungen“ nur auf Verkaufsstellen abzielt, in denen Direktverkäufe vorgenommen werden. Fraglich ist, ob dieser Begriff durch eine weite Auslegung auf den Ort erstreckt werden kann, an dem die Dienstleistungen des Verkaufs über das Internet erbracht werden.

Da ein Unternehmen stets die Möglichkeit hat, individuell die Anwendbarkeit der Legalausnahme in Art. 101 Abs. 3 AEUV geltend zu machen, und seine Rechte somit geschützt werden können, besteht kein Anlass, die Bestimmungen, mit denen die Vereinbarungen oder Verhaltensweisen in die Gruppenfreistellung einbezogen werden, weit auszulegen.

Daher kann eine Vertragsklausel wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die de facto das Internet als Vertriebsform verbietet, nicht als Klausel angesehen werden, die den Mitgliedern des betreffenden selektiven Vertriebssystems verbietet, im Sinne von Art. 4 Buchst. c der Verordnung Nr. 2790/1999 Geschäfte von nicht zugelassenen Niederlassungen aus zu betreiben.“

Im Anlassfall ist die VertGVO 330/2010, die mit 1.6.2010 in Kraft trat, anzuwenden.

Da diese VertGVO mit der für den Anlassfall wesentlichen Norm des Art 4 lit c mit der im Fall Pierre Fabre Dermo-Cosmétique ausgelegten Vorschrift der VorgängerVO Nr. 2790/1999 übereinstimmt, ist die vom EuGH im dortigen Fall gegebene Antwort auf die Vorlagefrage, nämlich dass ein generelles Verbot der Nutzung des Internets für Verkäufe eine bezweckte Beschränkung im Sinne des Art. 101 Abs. AEUV darstellt, wenn die konkrete Prüfung des rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhangs, in dem das Verbot steht, ergibt, dass dieses Verbot in Anbetracht der Eigenschaften der in Rede stehenden Produkte nicht objektiv gerechtfertigt ist, hier zu beachten und bindend (Mestmäcker/Schweitzer aaO, § 15 Rz 44).

Nach den getroffenen Feststellungen wurde zwischen der Antragsgegnerin und den Einzelhändlern abgesprochen, dass bei bestimmten Produkten das Internet als Vertriebsform verboten ist, womit die Beschränkung des passiven Verkaufs an Endverbraucher bezweckt wurde. Da die Eigenschaften der in Rede stehenden Produkte dieses Verbot nicht rechtfertigen, liegt eine kartellrechtlich verbotene bezweckte Kundenbeschränkung vor.

6. Die Bemessung der verhängten Geldbuße beruht auf der von der Antragsgegnerin nicht bestrittenen Berechnung durch die Antragstellerin.

Gemäß § 36 Abs 3 KartG darf das Kartellgericht über die beantragte Geldbuße nicht hinausgehen. Die Antragstellerin hat die von ihr dargelegten Milderungsgründe im Sinne des § 30 Abs 3 KartG angemessen berücksichtigt. Erschwerungsgründe sind ebensowenig ersichtlich wie weitere Milderungsgründe. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.“


Ausdruck vom: 29.03.2024 07:18:38 MEZ