zur Navigation
Kategorie:

Kartell

Dienststelle:

OLG Wien (009)

Aktenzeichen:

29 Kt 34/15


Bekannt gemacht am:

03.03.2016

Entscheidungsdatum:

01.12.2015


"Über die Antragsgegnerin wird wegen Verstoßes gegen Art 101 AEUV bzw § 1 KartG 2005, nämlich vertikaler Verkaufspreisabstimmungen, teilweise im Zusammenhang mit der Behinderung eines Absatzkanals (Online-Verkauf), im Bereich von Elektronikprodukten wie i) Drucker, ii) Multifunktionsgeräte und iii) Notebooks mit österreichischen Wiederverkäufern, wie insbesondere Tochtergesellschaften der Media-Saturn Beteiligungsges.m.b.H., im Zeitraum Juli 2009 bis Mai 2014, gem § 29 Z 1 lit a und lit d KartG 2005 eine Geldbuße von EUR 640.000,-- verhängt.


Begründung:

Die Bundeswettbewerbsbehörde stellte den Antrag, über die Antragsgegnerin wegen Verstoßes gegen des Kartellverbot des Art 101 AEUV bzw § 1 KartG eine Geldbuße von EUR 640.000,-- zu verhängen.

Folgender Sachverhalt steht außer Streit:

Im Zuge des Vertriebs von Elektronikprodukten trafen Mitarbeiter der Antragsgegnerin von zumindest Juli 2009 bis Mai 2014 mit bestimmten Wiederverkäufern in Österreich vertikale Abstimmungsmaßnahmen über Wiederverkaufspreise. Dabei versuchten diese Mitarbeiter, die von den Wiederverkäufern festgesetzten Verkaufspreise direkt oder indirekt vorzugeben und durchzusetzen bzw zu beeinflussen. Dies erfolgte etwa durch eine direkte Verständigung über bestimmte Endverkaufspreise oder durch Ersuchen an Wiederverkäufer, unverbindliche Preisempfehlungen der Antragsgegnerin einzuhalten. In Einzelfällen wurde auch versucht, die Festsetzung bestimmter Wiederverkaufspreise zu erreichen, indem Stützungsmaßnahmen von der Einhaltung bestimmter Wiederverkaufspreise abhängig gemacht wurden. Dabei kam es auch zu Einschränkungen des Online-Vertriebs, etwa mittels Aufforderung der Antragsgegnerin an Online-Händler zur Preiserhöhung bei Unterschreitung eines bestimmten Verkaufspreises. Die Wiederverkäufer sind derartigen Einflussmaßnahmen fallweise nachgekommen und haben die Preisvorstellungen der Antragsgegnerin in ihrer Preispolitik berücksichtigt.

So verständigten sich etwa Mitarbeiter eines Media-Marktes und der Antragsgegnerin im Juli 2009 auf den Mindestverkaufspreis des Druckers HP LaserJetP1005. Im Jänner 2010 erklärte ein Mitarbeiter der Antragsgegnerin einem im Internet-Verkauf tätigen Wiederverkäufer, dass beim Drucker „HP Envy“ keine Stützung gegeben wird, weil der UVP nicht eingehalten wird. Im Februar 2010 intervenierte ein Mitarbeiter über Beschwerde von Media-Markt bei einem Online-Wiederverkäufer, ein günstiges Angebot betreffend das Notebook HP DV3 2390 EG „herauszunehmen“. Im März 2011 machte ein Mitarbeiter der Antragsgegnerin gegenüber Media-Markt die Stützung eines Werbepreises betreffend den Drucker HP Photosmart Premium eAiO Printer davon abhängig, dass ein bestimmter Verkaufspreis nicht unterschritten wird. Im Oktober 2011 forderte eine Mitarbeiterin der Antragsgegnerin ***** [einen Händler] auf, einen angekündigten Verkaufspreis für den Drucker HP Photosmart 6510 e-AiO Printer 211a auf den UVP zu erhöhen. Über Mitteilung, dass der Werbeprospekt bereits erschienen sei und der Preis deshalb nicht mehr geändert werden könne, ersuchte die Mitarbeiterin der Antragsgegnerin ***** [diesen Händler], diesen Preis online nicht umzusetzen. Im Februar 2012 vereinbarten Mitarbeiter der Antragsgegnerin mit ***** [einem anderen Händler] einen bestimmten Endverkaufspreis für das Multifunktionsgerät HP Officejet 6500A eAiO. Im Mai 2012 kamen Mitarbeiter der Antragsgegnerin überein, bei zwei Wiederverkäufern, die den Artikel Compaq Presario CQ57-497SG NB PC billiger anboten als andere Händler, Einfluss zu nehmen, um den Endkundenpreis des Artikels hinaufzusetzen. Im Mai 2012 sagte ein Mitarbeiter der Antragsgegnerin Media-Markt zu, bei einem anderen Händler für eine Preiserhöhung des Druckers HP Photosmart 7510 e-AiO Printer 211a zu sorgen. Im Jänner 2013 berichtete ein Mitarbeiter der Antragsgegnerin über eine erfolgreiche Intervention betreffend die Erhöhung des Verkaufspreises des Artikels Spectre XT Touchsmart bei einem Online-Händler. Im Jänner 2014 berichtete ein Mitarbeiter der Antragsgegnerin über eine erfolgreiche Intervention bei einem Händler über eine Anhebung des Verkaufspreises des Notebook 15-ng083eg NB PC.

In rechtlicher Hinsicht führte die Bundeswettbewerbsbehörde zusammengefasst aus, die zwischen der Antragsgegnerin und Wiederverkäufern umgesetzten Preisbindungs- und Preispflegemaßnahmen erfüllten den Tatbestand des Art 101 Abs 1 AEUV. Da sich die Verhaltensweisen der vertikalen Preisbindungen auf das gesamte österreichische Bundesgebiet erstreckt hätten und außerdem der Onlinehandel behindert worden sei, hätten die Verhaltensweisen spürbare Auswirkungen auf den zwischenstaatlichen Handel. Wegen des fließenden Übergangs und der Identität der Rechtsfolgen sei es nicht notwendig zu prüfen, ob die einzelnen Handlungen Vereinbarungen oder abgestimmte Verhaltensweisen begründeten. Die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der An- und Verkaufspreise sei in Art 101 AEUV ausdrücklich als wettbewerbsbeschränkend genannt. Eine Vorgehensweise im Vertikalverhältnis sei daher als kartellrechtlich relevante Vereinbarung und/oder abgestimmte Verhaltensweise zu qualifizieren, wenn Lieferant und Wiederverkäufer die gemeinsame Absicht bekundeten, sich auf den Märkten in wettbewerbsbeschränkender Weise hinsichtlich der Wiederverkaufspreise zu verhalten. Wie sich auch aus Art 4 lit a der Vertikal-GVO 2010 ergebe, seien im Vertikalverhältnis insbesondere Preisbindungen der zweiten Hand als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung und als besonders schwer wiegender „Kernverstoß“ zu qualifizieren. Da die vorliegenden Preispflegemaßnahmen eine Beschränkung des Preiswettbewerbs bezweckten, sei eine Prüfung der tatsächlichen Wirkungen der Maßnahmen nicht notwendig. Eine Rechtfertigung nach Art 101 Abs 3 AEUV sei ausgeschlossen, weil die Maßnahmen nicht zur Verbesserung der Erzeugung oder Verteilung von Produkten oder zur Förderung des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts beitragen würden und keine Weitergabe von daraus allenfalls erzielten Gewinnen an die Verbraucher erfolge.

Zur Höhe der Geldbuße führte die Bundeswettbewerbsbehörde aus, aufgrund der Schwierigkeiten der Ermittlung eines tatbezogenen Umsatzes sei dieser für die betroffenen Produktgruppen Drucker, Multifunktionsgeräte und Notebooks mit EUR 8,500.000,-- angenommen worden. Dies erscheine insbesondere vor dem Hintergrund angemessen, dass die Antragsgegnerin am konzentrierten österreichischen Händlermarkt einem erheblichen Druck ausgesetzt gewesen sei. Für die sich aus der Art der Zuwiderhandlung, der Marktstellung der Antragsgegnerin, dem Umfang des betroffenen räumlichen Marktes und der erfolgten Umsetzung ergebenden Schwere des Verstoßes sei ein Aufschlag von 10 % angemessen. Für die Dauer der Zuwiderhandlung werde ein Aufschlag von 50 % berücksichtigt. Für die Kooperation bei der Aufklärung, nämlich Auswertung und Aufbereitung der sichergestellten elektronischen Daten und ergänzende Recherchen, insbesondere zum Zeitraum der Zuwiderhandlung, sei ein Nachlass von 30 % zu gewähren. Zusätzlich sei ein weiterer Nachlass von 20 % für die Außerstreitstellung des Sachverhalts und die einvernehmliche Verfahrensbeendigung angemessen. Dies reduziere den Verfahrensaufwand erheblich, weil sich dadurch eigene Beweisaufnahmen durch das Kartellgericht weitgehend erübrigten. Daraus ergebe sich ein Bußgeld von EUR 640.000,--. Dieses stehe auch mit den Kriterien des § 30 KartG im Einklang und werde als ausreichend general- und spezialpräventiv eingeschätzt.

Die Antragsgegnerin, die im Geschäftsjahr 2014 einen Umsatz von etwa EUR 194 Mio erzielte, stellte den von der Bundeswettbewerbsbehörde vorgeworfenen Sachverhalt außer Streit und verwies dabei auf ihr gegenüber der Bundeswettbewerbsbehörde abgegebenes Anerkenntnis.

Diese Außerstreitstellung und das Anerkenntnis stehen mit den von der Bundeswettbewerbsbehörde vorgelegten Unterlagen im Einklang. Da somit gegen die Richtigkeit des außer Streit stehenden Sachverhalts keine Bedenken bestehen, waren iSd § 33 Abs 1 AußStrG iVm § 38 KartG keine weiteren Erhebungen durchzuführen.

In rechtlicher Hinsicht ist der Bundeswettbewerbsbehörde zuzustimmen, das die hier in Rede stehenden Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen – als Festsetzung von Verkaufspreisen – sogenannte "Kernverstöße" gegen Art 101 AEUV bzw § 1 KartG darstellen. Auch wenn der EuGH in seiner neuesten Judikatur betont, dass der Begriff der bezweckten Wettbewerbsbeschränkung eng auszulegen ist (Urteil vom 11.9.2014, C-67/13-“CB“, Rn 57; Urteil vom 26.11.2015, C-345/14-“Maxima Latvija“, Rn 18), kann bei kollusiven Verhaltensweisen, wie etwa der horizontalen Festsetzung von Preisen, die ihrem Wesen nach als geeignet anzusehen sind, negative Auswirkungen auf den Wettbewerb zu haben, weiterhin davon ausgegangen werden, dass die Prüfung ihrer Auswirkungen nicht notwendig ist („Maxima Latvija“ Rn 19). Nichts anderes kann für vertikale Abstimmungen der Verkaufspreisen von Wiederverkäufern gelten, insbesondere wenn diese - wie wohl in aller Regel und jedenfalls auch im vorliegenden Fall - auch auf eine horizontale Preiskoordinierung zwischen den Wiederverkäufern abzielen. Auf solche Arten von Verhaltensweisen im Vertikalverhältnis trifft die grundsätzliche Annahme, dass vertikale Vereinbarungen in der Regel als weniger schädlich für den Wettbewerb einzustufen sind als horizontale, nicht zu. Dies zeigt sich auch an Art 4 lit a der Vertikal-GVO 2010, der die Beschränkung der Möglichkeit des Abnehmers, seinen Verkaufspreis selbst festzusetzen, als Kernbeschränkung von der Freistellung nach Art 2 ausnimmt.

Ein Rechtfertigungsgrund nach Art 101 Abs 3 AEUV bzw § 2 KartG wurde nicht behauptet und ist nicht erkennbar.

Da das Kartellgericht nach § 36 Abs 2 letzter Satz KartG keine höhere Geldbuße verhängen darf als beantragt, ist hinsichtlich der Geldbußenhöhe nur zu prüfen, ob diese allenfalls niedriger zu bemessen ist. Dafür besteht hier aber kein Anlass. Eine allfällige "Druckposition" der Antragsgegnerin gegenüber nachfragemächtigen Wiederverkäufern hat die Bundeswettbewerbsbehörde mit ihrem Antrag ebenso berücksichtigt wie die Kooperation der Antragsgegnerin bei der Aufklärung der Verstöße und die Reduktion des Aufwandes der Wettbewerbsbehörden durch die Außerstreitstellung des Sachverhalts. Eine niedrigere Geldbuße als die von der Bundeswettbewerbsbehörde beantragte, die (bei Außerachtlassung der Umsätze der mit der Antragsgegnerin verbundenen Unternehmen) etwa 3,3 % des Höchstbetrags nach § 29 Z 1 KartG entspricht, kommt angesichts der Schwere und der Dauer des Verstoßes aus spezial- und generalpräventiven Erwägungen nicht in Betracht.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden."


Ausdruck vom: 29.03.2024 02:42:15 MEZ