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Kategorie:

Kartell

Dienststelle:

OLG Wien (009)

Aktenzeichen:

27 Kt 14/16


Bekannt gemacht am:

19.05.2017

Entscheidungsdatum:

26.01.2017


Über die Antragsgegnerin wird wegen der einheitlichen komplexen und fortgesetzten Zuwiderhandlung gegen § 1 Abs 1 KartG, nämlich kartellrechtswidriger Preisabsprachen und Kundenaufteilungen und/oder kartellrechtswidrigen horizontalen Informationsaustauschs mit Mitbewerbern in Bezug auf beschränkte Vergabeverfahren im Bereich Trockenbau, insbesondere in Wien sowie Niederösterreich und Steiermark im Zeitraum 2011 bis 2014, gemäß § 29 Z 1 lit a KartG eine Geldbuße von EUR 22.500,-- verhängt.

Begründung:

Die Antragstellerin begehrte die Verhängung einer angemessenen und in der mündlichen Verhandlung am 26.1.2017 mit EUR 22.500,-- bezifferten Geldbuße über die Antragsgegnerin wegen einheitlicher, komplexer und fortgesetzter Zuwiderhandlungen gegen § 1 Abs 1 KartG bzw Art 101 AEUV in Form kartellrechtswidriger Preisabsprachen und Kundenaufteilungen und/oder kartellrechtswidrigen horizontalen Informationsaustauschs mit Mitbewerbern in Bezug auf beschränkte Vergabeverfahren im Bereich Trockenbau insbesondere in Wien sowie in Niederösterreich und der Steiermark im Zeitraum 2011 bis 2014. Sie brachte im Wesentlichen vor, zwischen der Antragsgegnerin und ihren Mitbewerbern 3**** GmbH, P****e (P**** H GmbH, P**** G GmbH und P**** Wien GmbH) und A**** GmbH habe im Zeitraum 2011 bis 2014 ein etabliertes System bestanden, sich wechselseitig durch Abgabe von Deckangeboten zu unterstützen. Diese Vorgangsweise habe Aufträge von privaten und von öffentlichen Auftraggebern bzw. Sektorenauftraggeber bei Vergabeverfahren betreffend Bauaufträge im Unterschwellenbereich, also für Auftragsvergaben mit einem geschätzten Auftragswert von unter EUR 5,225 Mio, betroffen. In diesem Bereich seien nach dem BVergG Direktvergaben oder Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung bis zu einem geschätzten Auftragswert von EUR 100.000,--, Direktvergaben mit vorheriger Bekanntmachung bis zu einem geschätzten Auftragswert von EUR 500.000,-- und nicht offene Verfahren ohne öffentliche Bekanntmachung bis zu einem geschätzten Auftragswert von EUR 1 Mio möglich. In der Praxis würden derartige Ausschreibungen als beschränkte Ausschreibungen bezeichnet. Sie seien dadurch charakterisiert, dass nur zur Angebotslegung durch den Auftraggeber eingeladene Unternehmen teilnehmen könnten, eine Verpflichtung zur öffentlichen Bekanntmachung fehle und ein großer Ermessensspielraum seitens des Auftraggebers bestehe, ob er ein Unternehmen direkt beauftrage oder nur wenige – in der Regel 3 bis 5 – Vergleichsangebote vor Auftragserteilung einhole.

Der für beschränkte Ausschreibungen relevante Markt bestehe nur aus denjenigen Unternehmen, die durch die ausschreibende Stelle zur Angebotslegung eingeladen worden seien. Die Marktabgrenzung für beschränkte Ausschreibungen unterscheide sich daher von jener für offene Vergabeverfahren, bei denen auf den Kreis jener Unternehmer abzustellen sei, die in der Lage seien, die ausgeschriebenen Leistungen zu erbringen.

Bei folgenden 22 Bauvorhaben seien derartige Absprachen erfolgt:

i. Bauvorhaben „Lidlgasse 5, 1170 Wien" der Stadt Wien, MA 34-Bau- und Gebäudemanagement mit 3**** GmbH im Jahr 2011;

ii. Bauvorhaben „Landespolizeidirektion, Schottenring 7-9, 1010 Wien" der Bundesimmobiliengesellschaft m.b.H mit P**** Wien GmbH im Jahr 2012;

iii. Bauvorhaben „BG Schwechat, Schlossstraße 7, 2320 Schwechat" der Bundesimmobiliengesellschaft m.b.H mit P**** Wien GmbH im Jahr 2012;

iv. Bauvorhaben „Volksschule 21, Schillgasse 31, 1210 Wien" der Stadt Wien, MA 34 - Bau- und Gebäudemanagement mit A**** GmbH im Jahr 2012;

v. Bauvorhaben „Bezirksmuseum, Karmelitergasse 9, 1090 Wien" der Stadt Wien, MA 34 - Bau- und Gebäudemanagement mit P**** Wien GmbH im Jahr 2012;

vi. Bauvorhaben „Europeum Mariazell" der Pirker GmbH mit P****e (P**** H GmbH, P**** G GmbH und P**** Wien GmbH) im Jahr 2012;

vii. Bauvorhaben „Muthgasse 62, 1190 Wien" der Stadt Wien, MA 34 - Bau- und Gebäudemanagement mit P**** Wien GmbH und A**** GmbH im Jahr 2012;

viii. Bauvorhaben „Volksschule Engerthstraße 78-80, 1200 Wien" der Stadt Wien, MA 34 - Bau- und Gebäudemanagement mit A**** GmbH im Jahr 2013;

ix. Bauvorhaben „Gutscher Mühle, 3133 Traismauer" der Gutscher Mühle Traismauer GmbH mit P****e (P**** H GmbH, P**** G GmbH und P**** Wien GmbH) im Jahr 2013;

x. Bauvorhaben „Wasagasse 22, 1090 Wien" der Bundes-immobiliengesellschaft m.b.H mit P**** Wien GmbH im Jahr 2013;

xi. Bauvorhaben „Naschmarktgebäude" der Stadt Wien, MA 34 – Bau- und Gebäudemanagement mit P**** Wien GmbH im Jahr 2013;

xii. Bauvorhaben „Schule 23, Kirchenplatz 2-3, 1230 Wien" der Stadt Wien, MA 34 - Bau- und Gebäudemanagement mit A**** GmbH und P**** Wien GmbH im Jahr 2013;

xiii. Bauvorhaben „Schule Kolonitzgasse 15, 1030 Wien" der Stadt Wien, MA 34 - Bau- und Gebäudemanagement mit P**** Wien GmbH im Jahr 2013;

xiv. Bauvorhaben „Gumpendorfer Gürtel 2, 1060 Wien" der Stadt Wien, MA 68 - Feuerwehr und Katastrophenschutz mit P**** Wien GmbH im Jahr 2013;

xv. Bauvorhaben „Sensengasse 1, 1090 Wien" der Bundesimmobiliengesellschaft m.b.H mit 3**** GmbH im Jahr 2013;

xvi. Bauvorhaben „UKH Meidling, 1120 Wien" der Hoppe Architekten ZT GmbH mit 3**** GmbH im Jahr 2014; sowie

xvii. Bauvorhaben „Dachgeschossausbau, Schönbrunner Schloss Straße 28+30, 1120 Wien" der Bmst. Ing. Landauer GmbH mit P**** Wien GmbH im Jahr 2014;

xviii. Bauvorhaben "Schule Alseggerstraße 45/Bischof-Faber-Platz 1, 1180 Wien" der MA 34 - Bau- und Gebäudemanagement mit A**** GmbH im Jahr 2011;

xix. Bauvorhaben "Schule Oskar-Spiel-Gasse 1-3, 1190 Wien" der MA 34 - Bau- und Gebäudemanagement mit A**** GmbH im Jahr 2011;

xx. Bauvorhaben "Schule Konstanziagasse 50, 1220 Wien" der MA 34 - Bau- und Gebäudemanagement mit A**** GmbH im Jahr 2013; sowie

xxi. Bauvorhaben "Volksschule Weikersdorf, 2500 Baden" der Immobilien Baden GesmbH & Co KG mit A**** GmbH im Jahr 2014.

xxii. Bauvorhaben „Koppstraße 86, 1160 Wien“ der Linsinger Ziviltechnik GmbH mit P**** Wien GmbH im Jahr 2014.

Bei einem Großteil dieser Fälle seien von der Antragsgegnerin Angebotskalkulationen für Mitbewerber erstellt worden, die höher als das eigene Angebot der Antragsgegnerin gewesen seien. Die Antragsgegnerin habe diese Kalkulationen an die Mitbewerber geschickt und diese hätten sie – zum Teil mit exakt der gleichen Summe – als Deckangebot abgegeben. Dies betreffe etwa die Bauvorhaben „Schule Oskar-Spiel-Gasse“ (Beilagen ./J, ./L, ./K und ./1), „Schule Konstanziagasse“ (Beilagen ./M, ./S, ./2 und ./R), „Landespolizeidirektion Schottenring 7-9“ (Beilagen ./AA, ./BB und ./Z), „BG Schwechat“ (Beilagen ./CC, ./DD und ./Z), „Bezirksmuseum Karmelitergasse 9“ (Beilagen ./GG, ./HH und ./W), „Muthgasse 62, 1190 Wien“ (Beilagen ./LL, ./MM und ./OO betreffend P**** Wien GmbH und Beilagen ./NN und ./PP betreffend A**** GmbH), „Gutscher Mühle Traismauer“ (Beilagen ./TT, ./UU und ./VV), „Wasagasse 22“ (Beilagen ./WW, ./XX und ./Z), „Naschmarktgebäude“ (Beilagen ./YY und ./W), „Schule 23, Kirchenplatz 2-3, Wien“ (Beilagen ./BB, ./DD) und „Gumpendorfer Gürtel 2, 1060 Wien“ (Beilagen ./GGG, ./HHH und ./W).

In den meisten dieser Fälle habe die Antragsgegnerin tatsächlich den Zuschlag erhalten.

In anderen Fällen hätten sich Mitbewerber an die Antragsgegnerin gewandt und ein höheres Deckangebot übermittelt, das die Antragsgegnerin ihrerseits gelegt habe, um dem Mitbewerber zum Zuschlag zu verhelfen. Dies betreffe etwa die Bauvorhaben „Lidlgasse 5, 1170 Wien“ (Beilagen ./XY und ./W = RRR), „UKH Meidling, 1120 Wien“ (Beilagen ./MMM, ./NNN und ./LLL), „Sensengasse 1, 1090 Wien“ (Beilagen ./JJJ, ./KKK und ./III) und „Schönbrunner Schlossstraße 28-30, 1120 Wien“ (Beilagen ./PPP, ./QQQ und ./OOO).

In einigen Fällen sei von der Antragsgegnerin auch kein Angebot abgegeben worden, um Mitbewerber zum Zuschlag zu verhelfen, so etwa bei den Bauvorhaben „Europeum Mariazell“ (Beilagen ./II, ./JJ und ./KK) und „Volksschule Weikersdorf“ (Beilagen ./N, ./O und ./T). Auch sei von Mitbewerbern kein Angebot abgegeben worden, um der Antragsgegnerin zum Zuschlag zu verhelfen, wie etwa bei den Bauvorhaben „Volksschule Engerthstraße 78-80, 1200 Wien“ (Beilagen ./RR, ./SS und ./QQ) und „Koppstraße 86, 1160 Wien“ (Beilagen ./TTT und ./UUU).

Ob die Antragsgegnerin beim Bauvorhaben „Schule Alseggerstraße 45, 1180 Wien“ ein Angebot abgegeben habe, sei nicht klar. Sie habe aber eine Angebotskalkulation an A**** GmbH übermittelt (Beilagen ./D, ./Q, ./E, ./F).

Beim Projekt „Schule Kolonitzgasse 15, 1030 Wien“ sei die Antragsgegnerin zur Angebotsstellung nicht eingeladen worden, habe aber Datenträger zur Stellung eines Angebots von P**** Wien GmbH erhalten (Beilagen ./EEE, ./FFF und ./W).


 

Da eine einheitliche, komplexe und fortgesetzte Zuwiderhandlung vorliege, habe die Verjährungsfrist frühestens mit der Beendigung der Zuwiderhandlung im Jahr 2014 zu laufen begonnen. Gemäß § 33 KartG sei daher noch keine Verjährung eingetreten.

Bei einer Kernbeschränkung in Form von Preisfestsetzung und Marktaufteilung fielen die Sachverhalte, die sich nach dem 1.3.2013 ereignet hätten, gemäß § 2 Abs 2 Z 1 KartG idF KaWeRÄG 2012 jedenfalls nicht unter die Bagatellausnahme. Auf Grund der Marktabgrenzung bei beschränkten Ausschreibungen gelte dies auch für Sachverhalte, die sich vor dem 1.3.2013 ereignet hätten, da den Teilnehmern an den Zuwiderhandlungen jeweils ein Marktanteil von mehr als 5% bzw. 25% der zu den Ausschreibungen eingeladenen Unternehmen zukomme.

Projekte im Unterschwellenbereich könnten EU-weit bekannt gemacht werden, und es könne ein grenzüberschreitendes Interesse an der Teilnahme an derartigen Projekten bestehen. Teilweise seien bei den inkriminierten Verhaltensweisen im Trockenbaubereich auch Gesellschaften involviert, die Teile internationaler Unternehmen seien. Daher hätten die vorliegenden Vereinbarungen die Eignung, den Handel zwischen den Mitgliedsstaaten zu beeinträchtigen, und im Antrag sei neben § 1 KartG auch auf Art 101 AEUV Bezug zu nehmen.

Über das Vermögen der Antragsgegnerin sei das Sanierungsverfahren ohne Eigenverwaltung eröffnet worden. Im Hinblick auf die finanzielle Situation der Antragsgegnerin und die hier vorliegenden außergewöhnlichen Umstände, nämlich den massiven Umsatzrückgang, die Reduktion der Mitarbeiter, den prognostizierten Umsatz des laufenden Geschäftsjahres und das Risiko des Marktaustritts der Antragsgegnerin, werde beantragt, eine Geldbuße in Höhe von EUR 22.500,-- zu verhängen.

Der Bundeskartellanwalt trat dem Antrag der BWB bei.

Die Antragsgegnerin stellte den von der Antragstellerin vorgebrachten Sachverhalt außer Streit und sprach sich nicht gegen die Höhe der beantragten Geldbuße aus. Sie brachte vor, der Umsatz für das Geschäftsjahr 1.5.2015 bis 30.4.2016 werde voraussichtlich EUR 4 Mio betragen, die Bilanz sei noch nicht erstellt. Für das Geschäftsjahr 2014/2015 habe der Umsatz EUR 4,558.959,41 betragen. Im Verlauf des Kalenderjahres 2016 habe die Antragsgegnerin einen Großteil des Personals bis auf 18 Dienstnehmer abgebaut und werde in den nächsten Monaten das Dienstverhältnis mit 2-3 weiteren Mitarbeitern beenden, um die Kostenstruktur möglichst gering zu halten. Die im Herbst 2016 bezogenen neuen Geschäftsräumlichkeiten seien etwa um die Hälfte kleiner als die ursprünglichen in 1220 Wien, Handelskai 52, und entsprechend billiger. Im Sanierungsverfahren gehe die Antragsgegnerin von Verbindlichkeiten in Höhe von ca. EUR 1,9 Mio aus, deren 20%-ige Quote innerhalb von zwei Jahren zu erfüllen sei. Die Konkursquote werde voraussichtlich EUR 380.000,-- zzgl. geschätzte EUR 70.000,-- an Kosten des Verfahrens betragen. Dieser Betrag müsse innerhalb von zwei Jahren ab Annahme des Sanierungsplans aufgebracht werden. Der Umsatz für das laufende Geschäftsjahr sei im Hinblick auf die Umstrukturierungen mit EUR 2,5 Mio prognostiziert. Eine Geldbuße in zu großer Höhe würde den Marktaustritt der Antragsgegnerin zur Folge haben, da keine Möglichkeit bestünde, das Unternehmen in irgendeiner Form fortzuführen.


 

Da gegen die Richtigkeit der Außerstreitstellungen, die mit den von der BWB vorgelegten Urkunden Beilagen ./A - ./UUU im Einklang stehen, keine Bedenken bestehen, waren iSd § 33 Abs 1 AußStrG iVm § 38 KartG keine weiteren Erhebungen durchzuführen.

Rechtlich ergibt sich daraus Folgendes:

Über das Vermögen der Antragsgegnerin wurde zu 3 S 2/17i HG Wien am 9.1.2017 das Sanierungsverfahren ohne Eigenverwaltung eröffnet. Gemäß § 58 Z 2 IO können Geldstrafen wegen strafbarer Handlungen jeder Art nicht als Insolvenzforderungen geltend gemacht werden. Sie werden weder von der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens noch vom Abschluss eines Sanierungsplans berührt (§ 156 Abs 5 IO) und können nur durch Exekution in das insolvenzfreie Vermögen des Schuldners geltend gemacht werden. Geldbußen in Kartellverfahren sind Geldstrafen iSd § 58 Z 2 IO. Da sie das zur Insolvenzmasse gehörige Vermögen nicht betreffen, kann das Kartellverfahren gemäß §§ 8a, 6 Abs 3 IO iVm § 38 KartG, § 25 Abs 1 Z 4 AußStrG während des Insolvenzverfahrens fortgesetzt werden (16 Ok 7/15p).

Der BWB ist zuzustimmen, dass das zwischen der Antragsgegnerin und ihren Mitbewerbern 3**** GmbH, P****e (P**** H GmbH, P**** G GmbH und P**** Wien GmbH) und A**** GmbH im Zeitraum 2011 bis 2014 etablierte System eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung darstellt. Von der Antragsgegnerin wurden konzertiert Angebotskalkulationen für Mitbewerber erstellt, die höher als das eigene Angebot der Antragsgegnerin waren. Diese wurden von den Mitbewerbern als Deckangebot abgegeben, um der Antragsgegnerin zum Zuschlag zu verhelfen. Andererseits erhielt die Antragsgegnerin von Mitbewerbern Angebotskalkulationen und gab diese als Deckangebote ab, um den Mitbewerbern zum Zuschlag zu verhelfen.

Durch diese Koordinierung des Angebotverhaltens bei Vergabeverfahren mit Wettbewerbern erreichte die Antragsgegnerin eine Reduktion des Bieterwettbewerbs. Dies stellt als Preisabsprache und Aufteilung von Märkten bzw. Kunden einen Verstoß gegen die Bestimmungen des § 1 Abs 2 Z 1 und Z 3 KartG dar. Hiebei handelt es sich um Kernbeschränkungen, deren unmittelbare Auswirkung auf den Markt nicht geprüft werden braucht. Die Verhaltensweisen der Antragsgegnerin widersprechen den Zielsetzungen, die hinter der Einleitung eines Vergabeverfahrens oder einer Ausschreibung stehen. So sind nach § 19 BVergG Vergabeverfahren ua „entsprechend den Grundsätzen des freien und lauteren Wettbewerbs“ durchzuführen. Dafür ist die Einhaltung des Grundsatzes des geheimen Wettbewerbs unverzichtbare Voraussetzung.

Ein Freistellungs- bzw. Rechtfertigungsgrund nach § 2 KartG wurde nicht behauptet und ist nicht erkennbar.

Ein Bagatellkartell liegt nicht vor. Dies ergibt sich für jene Sachverhalte, die sich nach dem 1.3.2013 ereignet haben, bereits aus § 2 Abs 2 Z 1 KartG idF KaWeRÄG 2012. Nach dieser Bestimmung sind Kernbeschränkungen, so auch Preisfestsetzungen und Marktaufteilungen, explizit von der Bagatellausnahme ausgeschlossen.

Für die den Zeitraum vor dem 1.3.2013 betreffenden Verhaltensweisen ist davon auszugehen, dass im Hinblick auf den geringen Kreis der Teilnehmer an beschränkten Ausschreibungen diesen ein Marktanteil von mehr als 5% bzw. 25% zukommt. Da bei beschränkten Ausschreibungen nur eine bestimmte und begrenzte Anzahl von Unternehmen zur Legung eines Angebots eingeladen wird, stellen nicht eingeladene Unternehmen keine alternativen Anbieter dar und stehen mit den eingeladenen Unternehmen nicht im Wettbewerbsverhältnis. Die Marktabgrenzung hat daher in diesem Fall nicht wie bei einem offenen Vergabeverfahren zu erfolgen, wo auf den Kreis jener Unternehmer abzustellen ist, die in der Lage sind, die ausgeschriebenen Leistungen zu erbringen, unabhängig davon, ob sie sich bei einer konkreten Ausschreibung beworben haben oder nicht (16 Ok 6/12). Vielmehr besteht bei beschränkten Ausschreibungen der Markt aus denjenigen Unternehmen, die durch die ausschreibende Stelle zur Angebotslegung eingeladen wurden. Die Bagatellregelung des § 2 Abs 2 Z 1 KartG idF vor dem KaWeRÄG 2012 ist daher ebenfalls nicht anwendbar.

Entgegen der von der Antragstellerin vertretenen Auffassung ist die Zwischenstaatlichkeit im vorliegenden Fall zu verneinen. Gemäß Art 3 Abs 1 VO (EG) Nr. 1/2003 haben die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten auf Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die geeignet sind, den zwischenstaatlichen Handel zu beeinträchtigen, Art 101 AEUV parallel zum nationalen Wettbewerbsrecht anzuwenden. Dabei ist der Begriff des zwischenstaatlichen Handels weit auszulegen und erfasst den gesamten Wirtschaftsverkehr im Binnenmarkt. Die Eignung der Vereinbarung oder der abgestimmten Verhaltensweise, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, reicht aus. Im vorliegenden Fall wurden die Projekte weder im ganzen Bundesgebiet noch EU-weit bekannt gemacht. Ein grenzüberschreitendes Interesse an der Teilnahme an den Projekten ist nicht ersichtlich. Daher war nur innerstaatliches Wettbewerbsrecht anzuwenden und nicht auf Art 101 AEUV Bezug zu nehmen.

Ob allenfalls eine höhere als die von der BWB beantragte Geldbuße in Frage käme, ist im Hinblick darauf, dass das Kartellgericht nach § 36 Abs 2 letzter Satz KartG keine höhere Geldbuße verhängen darf als beantragt, nicht zu prüfen.

Eine niedrigere Geldbuße als die von der BWB beantragte Summe, die bei einem Umsatz des vorangegangenen Geschäftsjahres von EUR 4 Mio rund 5,6% des Höchstbetrags nach § 29 Z 1 KartG 2005 entspricht, kommt angesichts der Schwere und Dauer des Verstoßes aus spezial- und generalpräventiven Erwägungen nicht in Betracht.


Ausdruck vom: 28.03.2024 14:15:54 MEZ